w-
Zeitschrift
für
französisclie Spractie uni litteratur
begründet von
Dr. G. Koerting und Dr. E. Koschwitz
Professor a. d. ÜDiversität z. Kiel weil. Professor a. d. Univers. z. Königsberg i. Pr.
herausgegeben
von
Dr. D. Behrens,
Professor an der Universität zu Giessen.
Band XXXVn. L
tz-o \\\
n
Chemnitz und Leipzig.
Verlag von Wilhelm Gronau.
Alle Rechte vorbehalten.
Zeitschrift
für
französisclie Sprache unil Litteratur
begründet von
Dr. G. Koerting und Dr. E. Koschwitz
Professor ». d. Unirersität z. Kiel weil. Professor a. d. UniTers. z. Königsberg i, Pt.
herausgegeben
von
Dr. D. Behrens,
Professor an der Universität zu Giessen.
Band XXXVH.
Abhandlungen.
Chemnitz und Leipzig.
Verlag von Wilhelm Gronau.
INHALT.
Abhandlungen. g^.^^
Geiger L. Rousseaus Bekenntnisse in ihrer ersten Fassung . 225
Herzog, E. Aus dem Atlas Linguistique (Fortsetzung) ... 125
Kalepky, Th. Vom Infinitiv mit de und d nach commencer
und in verwandten Fällen 252
Küchler, W. Martin Fumee's Roman „Du vray et parfait
amour". (Ein Renaissanceroman) 139
Rösler, M. Sur les sources de la Legende des Siecles : ,,Le Ro-
mancero du Cid", ,.Bivar", „Le Cid exile" .240
Salvioni, C. Wortgeschichtliches : 1. apostume. 2. Ancora opi- ^^
niätre. 3. avachir t ' ttV ' ' ' ^o2
Tavernier. W. Beiträge zur Rolandsforschung. IL III. . . . 8J
Zu Roland 3995: terre d'Ebire • • 272
Urschlechter, H. Die vornehme französische Frau des XVIII.
Jahrhunderts nach den „Proverbes dramatiques" Carmon-
telle's . • • ^
Die vornehme französische Frau
des XVIII. Jahrhunderts nach den
,,Proverbes dramatiques^* Carmontelle's.
Vorbemerkung.
Ursprimg und Wesen der Proverbes dramatiques.
Der Name Proverhe dramatique ist wohl jedem bekannt, der
sich auch nur einigermaßen mit der französischen Literatur be-
schäftigt hat; man denkt dabei unwillkürhch an die reizenden
Einakter Alfred de Musset's, der diese Dichtungsgattung weit
über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt und berühmt
gemacht hat. In den Jahren 1830 bis 1851 ließ er in der Revue
des Delix Mondes die besten seiner Proverbes dramatiques er-
scheinen und manche dieser kleinen Konversationsstücke sind
vollendete Muster französischer Salonunterhaltung. In Musset
hat diese Literaturgattung ihren bedeutendsten, aber auch letzten
großen Vertreter gefunden; was manche seiner Schöpfungen so
wertvoll macht, fehlt bei manchen seiner Vorgänger fast voll-
ständig und die ersten Erzeugnisse dieser Art haben mit den
Werken des Meisters nicht viel mehr gemeinsam als den Namen.
Über die Entstehung der Proverbes dramatiques ist
man bis heute zu keinem abschließenden Urteil gelangt. Der
erste in Deutschland, der diese Frage wissenschaftlich erörterte,
ist meines Wissens Richard Werner in Berlin. Die Ergebnisse
seiner Untersuchung habe ich, soweit es mir tunlich schien, im
folgenden benützt.
Was zunächst die E n t s t e h u n g s z e i t der dramatischen
Sprichwörter anlangt, so läßt der Artikel im ^,Nouveau Larousse"
diese Dichtungsart bis in die Zeit Ludwigs XIII. hinaufgehen
und erwähnt auch die Stücke, welche Frau von Maintenon für
die Damen von Saint-Cyr schrieb, als hierher gehörig. Für die
letztere Annahme konnte Werner keine Belege finden und er
glaubt, daß es sich dabei um eine Verwechslung mit den ^,Loisirs"
der genannten Dame handle, die ebenfalls in dialogischer Form
abgefaßt sind.i)
^) Werner p. 5, Anm. 1.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 1
2 Hans Urschlechter.
In der Vorrede zur Ausgabe der ^^Proverhes et Comedies
posthumes" vom Jahre 1825 sagt die Gräfin Genlis, daß schon
,,tres longtemps avant Carmontelle" eine gewisse Frau Durand
eine kleine Sammlung von Proverhes dramatiques habe drucken
lassen, die aber bald wieder in Vergessenheit kamen, da sie sehr
abgeschmackt waren.-) Werner führt diese Stelle auch an; für
ihn ist das ^^tres longtemps" ebenso unklar wie belanglos. Allein
mit Hilfe der ^.^Bibliographie Universelle" können wir diesen
Zeitpunkt genau feststellen; es heißt dort nämhch, daß die Werke
der Madame Durand im Jahre 1737 in Paris in 6 Bänden ver-
öffentlicht worden seien; das ebendort aufgeführte Verzeichnis
gibt unter No. 7 an: „Melanges de poesies et onze comedies pro-
verhes." Diese letzteren elf comedies proverbes dürfte wohl Frau
von Genlis im Auge gehabt haben. Auf dem Britischen Museum
in London sind die ,Peuvres de Madame Durand" in 6 Bänden
(Paris 1737) unter der Signatur ,,12238 e" vorhanden. Es wäre
mir interessant gewesen, den Inhalt dieser Stücke kennen zu
lernen, um zu sehen, ob sie nicht doch irgend welche Ähnlich-
keit mit den Proverbes Carmontelle's hätten; allein trotz der
eifrigsten Nachforschungen konnte ich das Werk auf keiner der
deutschen Bibliotheken finden. Einen Auszug davon, betitelt
,ßeuvres melees de Madame Durand" (Paris 1737), der sich auf
der Kgl. öffentlichen Bibliothek in Dresden befindet, hatte ich
in Händen; allein derselbe enthält nicht eines von den elf Pro-
verbes und so mußte ich es aufgeben, dieser Frage näher zu treten.
Gleich diesen Stücken der Frau Durand rechnet Werner
auch alle anderen Erscheinungen gleichen Namens vor Carmontelle
nicht unter die eigentlichen Proverbes dramatiques. Der Name
Proverbe dramatique war schon vorher sehr verbreitet; es gab
schon früher Stücke, deren Titel ein Sprichwort bildete, aber das
waren nach Werner nur zufällige Erscheinungen, die mit
den eigentlichen dramatischen Sprichwörtern nichts gemeinsam
hatten.^) Er weist dies nach an den ,^Oeuvres dramatiques" eines
M. de Moissy, die 1773 in Berlin erschienen. Dieser Dichter
gehört nicht unter die dramatischen, sondern unter die didak-
tischen Schriftsteller, denn der Hauptzweck seiner Stücke ist
die Moral. Dasselbe gilt von einer anderen Sammlung „Nouveaux
proverbes dramatiques par Monsieur G..." (Paris 1784), wo der
Verfasser selbst von seinem Werke sagt, es sei ,,u}i ouvrage dont
le principal but est de porter la jeunesse ä la vertu et de l'instruire
en l' amüsant" .^)
Aus diesen Beispielen mag man ersehen, was damals alles
unter dem Namen Proverbe dramatique ging und wie schwierig
Prov. et Com. tome I, p. III, note.
^\^ornop r\ A. Anm 1
-) Jfrov. et vom. tome
^) Werner, p. 4, Anm. 1
*] Werner, p. 6 und 7.
Die i'ornchmc französisr/ie Frau des XV III. Jahrhunderts. 3
es ist, die Entstehungszeit dieser interessanten Literaturgattung
genau festzustellen Dies ist auch gar nicht so wichtig; sicher
ist, daß Carmontelle der erste war, der als Verfasser von dra-
matischen Sprichwörtern einen grof3en Ruf erlangte und dieselben
so in die Mode brachte, daß es bald kaum mehr eine Salonbühne
gab, auf der man nicht das eine oder andere seiner Stücke auf-
führte. Sainte-Beuve nennt ihn ,,/e grand ereateur du genre"^)
und in dem Artikel über Carmontelle im ^,Noui>eau Larousse"
heißt es: ^^Carmontelle fut, d propremenf parier^ le ereateur de ce
genre." An einer Stelle seiner ,,Correspondance liüeraire" , wo er
sich mit den Werken Carmontelle's befaßt, sagt Baron Grimm:
,,// etait le premier qui publiät des Proverbes dramatiqaes."^)
Lindau erwähnt in seiner Biographie Alfred de Musset's Car-
montelle als dessen einzigen Vorläufer,'^) was allerdings nicht
ganz richtig ist.^)
Auch bezüglich der Herkunft der dramatischen Sprich-
wörter gehen die Ansichten auseinander. Früher war man ge-
neigt, ihre Vorbilder in den Adagia der Römer zu erblicken
und so bringt auch der Herausgeber der zweiten Auflage der
Proverbes dramatiques Carmontelle's, in einem Anhang eine
Abhandlung „Table explicative de l'origine et du sens des Pro-
verbes contenus dans l'ouvrage, de leur concordance avec les adages
latins, espagnols et italiens, qui presentent le meme sens tnoral",
in welchem er den erwähnten Zusammenhang herzustellen ver-
sucht. Da aber der Hauptzweck dieser Adagia, wie schon das
Wort sagt, ein moralischer ist, so müßten auch die Proverbes
dramatiques in erster Linie eine didaktische Tendenz haben.
Dies ist aber, soweit wenigstens die Stücke Carmontelle's in
Betracht kommen, nicht der Fall. Die gleichfalls versuchte
Zurückführung dieser Dichtungsart auf die stSuXXca der Griechen
und die Atellanen der Römer glaubt Werner mit dem früher so
großen Bestreben der Franzosen, sich als die echten und alleinigen
Nachkommen der klassischen Nationen zu betrachten, erklären
zu können.^)
Wir dürfen also wohl annehmen, daß Frankreich die Heimat
dieser Literaturgattung ist, wie diese ja auch fast ausschließlich
hier ihre Pflege fand. Ob und inwieweit ein Zusammenhang
zwischen den dramatischen Sprichwörtern und der italienischen
Comrnedia deU'arte besteht, werde ich später zu untersuchen
haben. Im folgenden seien zwei Zeugnisse angeführt, die sich
speziell auf die Dichtungen Carmontelle's beziehen und Frankreich
^) Caus. du Lundi, III, 536.
^) Werner, p. 8.
^) ibid.
^) Zum mindesten müßte noch Theodore Leclecrq (1777 — 1851)
erwähnt werden.
^) Werner, p. 4.
1*
4 Hans Urschlechler.
als Entstehungsort der Proverbes dramatiques angeben; wir er-
fahren aus ihnen zugleich die Gründe für deren Entstehen.
In der Vorrede zu den ,,Proverbes et Comedies postfiumes"
sagt Frau von Genlis, daß der Herzog von Orleans, bei welchem
Carmontelle die Stelle eines Vorlesers bekleidete, diesen eines
Tages aufgefordert habe, eine Rolle in einem Stücke zu über-
nehmen, das man demnächst aufführen wollte. Carmontelle
lehnte dies ab mit der Begründung, daß er eine auswendig ge-
lernte Rolle nicht mit der notwendigen Natürlichkeit spielen
könnte; dagegen erbot er sich, kleine improvisierte Stücke zu
schreiben, bei denen nur der Gang der Handlung skizziert und
der Erfindungsgabe der darstellenden Personen der größte Spiel-
raum gelassen war. Carmontelle trat selbst häufig in diesen
kleinen Stücken auf und spielte gewisse Rollen sehr gut, ,,was
um so schwieriger war, als das französische Theater dafür keine
Vorbilder bot". ,,Auf diese Weise, fügt sie hinzu, brachte er
die ProQerbes dramatiques in die Modo und schließlich ließ er die
seinigen drucken."''^)
Dem französischen Theater waren derartige improvisierte
Stücke fremd, nicht aber dem französischen Publikum. Hein-
rich III. hatte die Truppe der Gelosi nach Frankreich kommen
lassen und schon zur Zeit, da Moliere noch ein Knabe war, er-
freuten sich die Vorstellungen der italienischen Commedia a
soggetto einer großen Beliebtheit. Die Stücke, welche die Italiener
in Paris aufführten, waren lustige Harlekinaden, in denen nur
der Gang der Handlung fixiert war. Die Schauspieler erfanden
den Dialog. ,,Es war dies, sagt Schneegans, nicht so schwer,
wie es auf den ersten Blick erscheint, denn die in jeder Komödie
auftretenden Personen waren stehende Typen. Jede Provinz,
jede Stadt Italiens hatte ihren Typus geliefert. So stammte
aus dem gelehrten Bologna der pedantische, eitle, in lateinischen
Phrasen sich ergehende Dottore, das handeltreibende Venedig
lieferte den alten, großartig tuenden, bald knauserig sparsamen,
bald galanten, aber stets hintergangenen Pantalone. Spanien
lieferte den Capitano usw. Doch diese Schauspieler waren nicht
bloß Improvisatoren von Witz; sie waren auch Mimen und
Gymnasten ersten Ranges. Sprünge, Purzelbäume, Pirouetten
aller Art, Schläge, Prügel, Ohrfeigen, Fußtritte machten bei
diesen Aufführungen häufig den Hauptspaß aus".^^) Diese
improvisierten Possen, — Gaspary nennt sie Commedia dell'arte,^-)
— mögen ja, was die Improvisation anlangt, Carmontelle als
Vorbilder gedient haben, allein bezüglich des Inhalts dürften
!•*) Prov. et Com., torn? I, p. III .-l IV.
") H. Schneegans, Moliere S. 29.
*-) Gasparv, Geschichte der italienischen Literatur. Band II,
S. 633 IT.
Die vornehme französische Fron des XVIII. Jahrhunderts. 5
die Proverhes Garmontelle's hoch über jenen Schöpfungen des
itahenischen Theaters gestanden haben.
Die beste und jedenfalls auch zutreffendste Erklärung
für die Entstehung der dramatischen Sprichwörter gibt das
Vorwort des unbekannten^^) Herausgebers der ,,Noiii'eaux Pro-
verbes dratnaticjues" vom Jahre 1811. Bei der Wiedergabe dieser
Stelle muß ich etwas weiter ausholen und einiges über das Gesell-
schaftsthoater selbst sagen; um aber einen Vergleich mit den
folgenden Ausführungen zu ermöglichen, lasse ich den Wortlaut
des Originals unten folgen. ^■^)
^^') Jn dem Avertissement zur Ausgabe der „Noiweaux Pro^'erbes
dramatiques'' vom Jahre 1811 heißt es u. a. :
,,L e j 0 n d de c e s p e t i t e s p i e c e s est e n g e n e r a l
tres leger: tantot c'est une anecdofe, une historiette plaisante, mise
en action; tantot c'est une Situation imaginee qui met en jeu quelque
innocent ridicule de caractere, et plus souvent de maniere, de langage,
de projession ou de circonstance. II n'y f a u t p o i n t chercher
u n n o e u d b i e n forme, n i e n eonsequence u n d e n o ü -
rn e n t d'e f f e t. C e ne s t p n i n t u n e c o m b i n a i s o n d r a -
m a t i q u e , q u e C a r m o n t e l l e e t a l e s o u s i> o s y e u x ,
c'e st u n c o i n de l a s o c i e t <• q ui l v o u s f a i t r e m a r -
quer, c^e s t une a v e n 1 u r e , une conversation de
s a l o n , de b o u d o i r , de b o u t i q u e , de spectacle, de
p r 0 m e n a d e n u de taut a u t r e l i e u public, ä laquelle
i l V 0 u s f a i t a s s i s t e r. C e q u'il a v u et e n t e n d u , il
l e r e p «■ t e a v e c I a f i d e l i t e d^u n m i r o i r et d'u n eck o."
Die gesperrt gedruckten Partien der angeführten Stelle finden
sich wörtlich auch in dem Artikel über Carmontelle in der Bibliographie
Universelle, und es heißt hier, daß diese Worte von Auger herrühren.
Unter den verschiedenen Trägern dieses Namens kann hier nur Louis-
Simon Auger in Betracht kommen, über den es im Larousse heißt:
Auger (Louis- Simon), critique et litterateur, ne ä Paris en 1772,
mort en 1829. II collabora ä un grand nombre de recueils et de journaux,
et publia divers ecrits, dnnt les principaux ont paru sous le titre de ,,Me-
langes philosophiques et litter aires'' (1828). Sous la Restauration, il
entra ä V Academie frangaise par ordonnance royale, et en devint secre-
taire perpetuel. Atteint d'une maladie nerveuse, il disparut un jour de
oon domicile et se noya dans la Seine.
Es sind nun zwei Möglichkeiten vorhanden: entweder ist Auger
selbst der Herausgeber der ,,Nouveaux Proverbes dratnatiques" , oder
der uns unbekannte Herausgeber hat diese Kritik von Auger in seiner
Vorrede verwertet. Wölcher dieser beiden Fälle hier vorliegt, vermag
ich nicht zu sagen.
^*) ,,Les Premiers Proverbes de Carmontelle parurent, il y a plus
de quarante ans, ä une epoque oü la comedie etait, comme aujourd'hui,
le plaisir ä la mode, et oü les theätres de societe s^ elevaient de taute pari.
On n'avait pas ete longtemps ä s^apercevoir que ces petits theätres ne
pouvaient s^accommoder des pieces de la Comedie frangaise; que, pour
bien jouer ces grands ouvrages, il ne suffisait pas d'avoir reienu quelques
inflexions et quelques gestes des acteurs en reputation, et qu'aux yeux
d'un parterre, plus poli que Vautre, mais plus malin et plus dispose
encore ä punir les pretentions ridicules, on etait necessairement ecrase
par le souvenir sans cesse renouvele du jeu des comediens de projession.
Pour echapper ä ces comparaisons mortifiantes, il ii'y avait qu^un seul
moyen, c'etait de se composer un repertoire particulier de petites pieces
6 Hans Urschlechter.
Es kann hier nicht meine Aufgabe sein eine Geschichte
des Gesellschaftstheaters in Frankreich zu geben; ich verweise
hierfür auf das Werk von Du Bled ,,La Comedie de Societe au
XVIir siede", dem ich auch einige Angaben entnehme.
Die Anfänge des Gesellschaftstheaters reichen zurück bis
in die Zeit Ludwigs XIII., wo der Kardinal Richelieu und die
Marquise von Rambouillet sich schon schauspielerisch betätigten. i^)
Als dem Adel durch Richelieu jeglicher Einfluß auf die Regierung
entzogen wurde, blieben ihm doch alle hohen und einträglichen
Stellen in Staat und Kirche vorbehalten. Die vornehme Gesell-
schaft des 18. Jahrhunderts bestand in ihrem überwiegenden
Teile aus einem glänzenden Schwärm von Männern und Frauen,
die kein anderes Interesse als das Vergnügen kannten und die
von Genuß zu Genuß taumelten. Diese Gesellschaft, in der
die Kunst des ,,savoir-viv7'e" höchstes Lebensprinzip war, suchte
sich gegenseitig an Prunk und Luxus zu überbieten, und Lotheissen
sagt von dem Leben dieser Aristokraten, daß es ,,eine einzige
große Komödie'' gewesen sei.^*^)
In einer derartigen Gesellschaft erfreute sich begreiflicher-
weise das Theater einer ganz besonderen Beliebtheit; neben
den großen Pariser Theatern kam das Gesellschaftstheater immer
mehr in Blüte. Die heißen Sommermonate verbrachte die vor-
nehme Gesellschaft auf ihren Landsitzen; neben anderen Ent-
behrungen, die der verwöhnte Pariser auf dem Lande schmerzlich
empfand, machte sich vor allem der Mangel einer Bühne geltend.
Was lag da näher als sich für diesen Mangel dadurch zu ent-
schädigen, daß man selbst zum Schauspieler wurde und die
Stücke, die man so oft auf den Bühnen der Hauptstadt hatte
darstellen sehen, mit seinen Freunden und Bekannten aufführte ?
Verschiedene Prinzen und hohe Herren, wie die Herzöge von
Clermont und von Orleans, welche das ganze Jahr über auf ihren
Schlössern lebten, hatten ihre ständige Bühne. Saint- Simon
erzählt in seinen Memoiren (annee 170-5 chap. 17), daß die Herzogin
von Maine eine wahre Leidenschaft für das Theater gehabt
habe. In Chatenay, Glagny und Sceaux sei sie aufgetreten
und habe großen Beifall geerntet. Voltaire schreibt 1752 von
jaciles ä apprendre et ä jouer, oü le ialenl naliirel des acieurs de societe
pul se developper lihrement; oü les iorts de la memoire, les fautes de
rinexperience, Vinegalite des moyens, et le defaut d'ensemhle nuisissent
moins ä Vagrement de la representation; enfin oü il füt pernus, sans
trop s'exposer au ridicule, de montrer autant et aussi peu de disposilions
naturelles et acquises quon pourrait avoir. Comme ces picces de peu
d'etendue nr devaient pas comporter un puissant interet dramatique, il
fallait encore qiCelles fussent en assez grand nomhre pour que chacune
d'elles ne reparüt pas avant d^avoir ete presque oubliee."
(Averlissement zu ,,\ouveaux' Proverbes dramatiques", p. V et VI.)
>&) Du Bled, Soc. franf. p. 32.
^"j Lotheissen, Zur Sittengeschichte Frankreichs.
Die vornehme französische Frau des XVIII. Jahrhunderts. 7
der damals 76jährigen Herzogin: ,,Wenn sie einmal krank ist,
80 soll man, anstatt ihr die letzte Ölung zu geben, ein schönes
Theaterstück vor ihr aufführen". i'')
Auch am Hofe in Versailles spielte man Theater: ,,Il y a
aussi ä Versailles, les lundis, la comedie du Roi, ou le rot joue,
Mesdames de France, des dames de la Cour, les princes et des seig-
neurs, et madame la marquise de Pompadour pour qui eile se fait,
parce qu'elle joue et declame parjaitement bien''.^^) An einer anderen
Stelle sagt Barbier: ,,Die Marquise Pompadour spielt sehr gut;
deshalb führen auch zu Versailles der König, die Prinzessinnen,
Frau von Pompadour, Damen und Herren des Hofstaates Lust-
spiele auf." ,, Dieses Vergnügen, fügt er hinzu, ist auch sonst
in Paris sehr in der Mode."^^) Bekannt sind auch wegen ihrer
Pracht die „fetes de costume", welche Marie Antoinette, die Ge-
mahlin Ludwigs XVL, in Trianon veranstaltete.
Wie schon die obige Bemerkung Barbiers ersehen läßt,
blieb das Gesellschaftstheater nicht lange auf die höchsten Kreise
beschränkt. Bald gab es keinen Salon mehr, in dem man nicht
schauspielerte und zu einer Zeit zählte man in Paris 160 „theätres
particuliers.'"'^^) Lenient sagt: ,,// etait alors de la fureur des
comedies ce qu'il en etait de celle des portraits au temps de Made-
moiselle de Montpensier ou de Mademoiselle de Scudery."^^) „C'est
une fureur, une folie que le theätre de societe dans la seconde moitie
du XV IIP siede. Le goüt de jouer la comedie gagne toutes les
classes."^-) Auch Du Bled bestätigt diese rasche \'^erbreitung
des Gesellschaftstheaters: ,,Le goüt de la comedie de salon devint
insensiblement une passion, une fureur universelle, penetrant
tous les ordres de la nation, ä tel point que ce talent fait en quelque
Sorte partie integrante de l'education "-^) Man war damals Nvirklich
so weit gekommen im Gesellschaftstheater ein Bildungsmittel
für die Jugend zu erblicken; so schrieb auch die Gräfin von
Genhs eine Anzahl Stücke für Kinder. Wie allgemein verbreitet
die Sucht des Theaterspielens damals war, mag folgende Tat-
sache zeigen: ein Mönch schreibt dem Dichter Colle, daß er und
einige seiner Mitbrüder die Absicht hätten, die „Partie de chasse
de Henri IV" aufzuführen, ,,ohne Vorwissen der Heuchler und
beschränkten Köpfe. "-^)
Was nun die ^Stücke betrifft, die auf den Gesellschaftsbühnen
aufgeführt wurden, so ist es natürlich, daß man zuerst Stücke
*') Caus. du Lundi, III, 219.
'8) Barbier, lY, 231.
19) Barbier, IV, 279.
-0) Du Bled, Cotn. Soc. p. 2.
21) Lenient, Band II, S. 2.
-2) Gonc, p. 13.
23) Du Bled, Com. Soc. p. 1 und 2.
-^) Lotheissen, p. 2.
8 Haus Urschlechter.
hernahm, die in der Comedie und den sonstigen großen Theatern
gegeben wurden. Dabei hatte man ja den großen Vorteil, daß
man Schauspieler von Beruf zu Vorbildern hatte. Diese möglichst
getreu nachzuahmen war das Bestreben der adligen Dilettanten
und manche Dame, die ihren Ehrgeiz darein setzte auf der Bühne
wirklich etwas Gutes zu leisten, studierte ihre Rollen mit Berufs-
schauspielerinnen ein. Es läßt sich wohl denken, daß man bei der
vielen Mühe, die man sich oft gab, einer guten Theateraufführung
bisweilen ziemlich nahe kam; allein in der Regel mußte der
Vergleich zwischen einer Vorstellung im Theater und einer solchen
im Salon naturgemäß zum Nachteile der letzteren ausfallen,
denn nur selten dürften sich diese Dilettanten so in ihre Rollen
hineingelebt haben wie ein Schauspieler auch nur zweiter oder
dritter Güte. Das Publikum dieser Salonaufführungen war
zwar weniger zahlreich als in einem öffentlichen Theater, dafür
aber gewählter und viel mehr zur Kritik geneigt. Dazu mochten
persönliche Momente kommen, die an der einen oder andern
der auftretenden Personen kleine Fehler und Lächerlichkeiten
um so stärker hervortreten ließen. Der Vergleich mit dem
Theater lag jeden Augenblick nahe und es mußte komisch wirken,
wenn ein Darsteller diese oder jene Geste eines gefeierten Schau-
spielers vortrefflich nachahmte, im übrigen aber seiner Rolle
nicht gew^achsen war.
Noch ein weiterer wichtiger Faktor kam hinzu um die Auf-
führung größerer Stücke im Salon zu erschweren. Ohne ein
gutes Auswendiglernen war eine auch nur leidliche Wiedergabe
der oft sehr umfangreichen Rollen schlechterdings unmöglich.
Nun war aber, wie wir später sehen werden, der Tag der vor-
nehmen Damen und Herren mit gesellschafthchen VerpfUchtungen
so ausgefüllt, daß ihnen nicht die Zeit zu einer täglichen mehr-
stündigen Geistesarbeit verblieb, \\ie sie das Auswendiglernen
der Rollen erheischt hätte.
Diese verschiedenen Umstände verleideten der Gesellschaft
nach und nach den Geschmack an der Aufführung umfangreicher
Stücke und legten den Gedanken nahe, sich ein eigenes Repertoir
für die Salonbühnen zu schaffen. Diese neuen Theaterstücke
mußten verschiedene Eigenschaften haben: sie mußten kurz
und infolgedessen leicht zu lernen sein, ihre Aufführung durfte
keine großen Anforderungen an die Bühnentechnik stellen;
sie mußten so angelegt sein, daß kleinere Mängel und Ungenauig-
keiten, wie sie sich aus der Ungeübtheit der Darsteller vielfach
ergaben, den Gesamteindruck nicht allzu sehr gefährden
konnten; dazu war vor allem nötig, daß man sich nicht
sklavisch an den Text zu halten brauchte, daß vielmehr
dem Talent der einzelnen Darsteller ein ziemlicher Spielraum
gelassen war.
Die vornehitie französischi' Frau des Will. Jaltrhunderts. 9
~^ Soweit es nun möglich war, all diesen Anforderungen zu-
gleich gerecht zu werden, geschah diesindenProverbesdramatiques.
Betrachten wir zunächst die Definition, welche Sainte-Beuve
von dieser Dichtungsart gibt:
,,Le Proverbe dramatique ä l'origine et dans le veritable esprit
du gejire, cetait une scene ou plusieurs scenes qu'on ecrivaii ou
que souvent on improvisait entre soi et sur un simple canevas, et
qui renferinait un petit secret. Ce secret etait le mot meme du Proverbe.,
mot qui etait enveloppe dans l'action et qu'il s'agissait de deviner."^^)
Verschiedene für das Wesen der dramatischen Sprichwörter
charakteristische Ausdrücke dieser Definition erfordern eine
nähere Betrachtung. Der Umfang der Stücke ist nicht bedeutend :
einige, oft nur eine einzige Szene. Bei dieser Kürze ist es möglich,
daß z. B. die vier Bände der Proverbes dramatiques nicht weniger
als 103 Stücke enthalten.
Sodann ist das ,,improviser" wichtig; der Darsteller ist nicht
an den Text seiner Vorlage gebunden — oft ist ein solcher
gar nicht vorhanden — , sondern er kann nach Belieben hinzu-
fügen oder weglassen, hier ein geistreiches Wort einflechten
und dort durch einen witzigen Einfall glänzen. Wie Carmontelle
die Improvisation auffaßt, sagt er selbst in einer ,, Lettre de l'Auteur
ä Madame de * ^ *", welche in der Ausgabe der ,,Proverbes dra-
matiques" enthalten ist; es heißt dort: „Quand le proverbe est
compose d'un certain nombre de scenes, il n'y a pas de mal de faire
un canevas dans sa tete ou par ecrit; c'est ce que les Italiens appellent
,,scennario" . On le divise par scenes, et Von y explique ce qui
fait le fond de chaque seine. Cetait de ces especes de canevas,
madame, que j'avais projete de vous envoyer, j'en avais ramasse
beaucoup, et je me promettais d'en faire aussi d'apres plusieurs
idees qui me sont ve.nues. Apres avoir fait un certain nombre de
ces canevas, je les ai trouves froids et peu propres ä vous amuser.
J'ai essaye de les dialoguer, pour vous donner des idees plus com-
pletes de la maniere dont il faut jouer les proverbes."
Dafür, wie aus einem und demselben Grundgedanken zwei
verschiedene Stücke werden, bieten uns die Proverbes Carmontelle 's
ein Beispiel. ,,La marchande de cerises"-^) und „La foire Saint-
Germain^'^'^) behandeln beide den nämlichen Stoff: ein Offizier
sucht einem Bürgersmädchen einen Liebesbrief zuzustecken
und lenkt mit Hilfe einer Kirschenverkäuferin die Aufmerksam-
keit der Mutter von seinem heimlichen Tun ab. Während nun
das erste Stück diesen Vorgang ziemlich kurz darstellt, ist in
das zweite eine sehr anschauliche Schilderung eines Jahrmarktes
verflochten, wodurch sich der Umfang mehr als verdoppelt.
^^) Caus. du Lundi, III, 536.
26) Prov. No. 73.
2^) Nouv. Prov. tome I, No. 12.
10 Hans Urschlechter.
Die Unterhaltung — von einer Handlung kann man in vielen
Fällen nicht reden, — dreht sich meist um etwas recht Unbe-
deutendes; irgend eine Lächerhchkeit in dem Charakter einer
Person, Gespräche im Theater oder im Salon, ein harmloses
Abenteuer oder irgend eine Tagesneuigkeit geben den Stoff zu
diesen kleinen Konversationsstücken.
Was endlich das proverbe oder, wie Saint-Beuve es nennt,
das secret anlangt, das dem Stück zugrunde liegt, so sagt Gar-
inontelle hierüber in der schon erwähnten ^^Lettre de VAuteiir":
,,Z/e mot du proverbe doil etre enveloppe dans Vaclion^ de maiiiere
que si les spectateurs ne le devinent pas, ü faut, lorsqu'on le leiir
du, qu'ils s'ecrient : ah ! c'est vrai : comme lorsqu'on dit le mot
d'une enigme que Von n'a pu irouver." Das in dem Stücke ver-
borgene Spi'ichwort hatte wohl hauptsächlich den Zweck, das
Interesse zu erhöhen; später bekam davon die ganze Dichtungs-
gattung ihren Namen.
Dies sind in Kürze die wesentlichen Eigenschaften der
Proverbes dramatiques; bei dem Mangel an passenden Stücken
mußte sich diese Dichtungsart bald großer Beliebtheit erfreuen.
Dies war bei dem Werke Carmontelle's auch tatsächlich der
Fall und die Beurteilung, welche dasselbe bei der Mit- und Nach-
welt fand, ist für den Verfasser ungemein schmeichelhaft. Baron
Grimm urteilt darüber in seiner ,,Correspondance litteraire" : „IIa
de la verite dans ses caracteres et du naturel dans son dialogue;
ü saisit bien les ridicules et ü a assez de causticite dans l'espril
pour les bien rendre." Das „Dictionnaire biographique" von
Chaudon und Delandine ist voll des Lobes: ,,Ce sont de petits
drames remplis d'interet, de finesse, d'esprü d'observation et d'apergus
rnoraux." Robert Falk sagt in seinem Buche ,,Zur Geschichte
des Liebhaber theaters" in bezug auf Carmontelle: ,,Mehr als hundert
kleine Stücke hat er uns hinterlassen, alle voller Esprit und Witz. 2^)
Werner bedauert, diesem allgemeinen Lobe nicht beipflichten
zu können. Er glaubt, daß Carmontelle's dramatische Sprich-
wörter auch recht mäßigen Anforderungen nicht gerecht zu werden
vermögen; besonders die Hauptsammlung ,, Prouerbes dramatiques"
bezeichnet er als ganz wertlos: ,,Die meisten der gewöhnlich nur
wenige Seiten umfassenden Stücke sind bis zur Albernheit trivial ;
das Sprichwort ist oft in seiner wörtlichen Bedeutung genommen,
und eine ganz kurze ,, Handlung" dient zur Erläuterung; der
Dialog ist uninteressant, eine Charakteristik meist kaum ver-
sucht."29)
Auf alle Einzelheiten einzugehen, durch welche Werner sein
abfälliges Urteil zu begründen sucht, würde zu weit führen. Es
-**) Alle diese Angaben sind Werner's Abhandlung (S. 8) ent-
nommen.
29) Werner, S. 9.
Die vornelnne. französische Frau des XVIII. Jahrhunderts. 11
ist dies auch gar nicht nötig, denn wie er dazu kommt, dem Werke
Carmontelle's jeden Wert abzusprechen, wird uns klar, wenn wir
gegen den Schluß seiner Abhandlung die Worte lesen: ,,Car-
montello schildert die Situationen, wie er sie gesehen, er weiß
die Wahrheit nicht gefällig, noch viel weniger schön zu gestalten
— er ist kein Künstler. "^^)
Für Werner kommt also — das geht aus seinen Worten
klai- hervor, — einzig und allein der literarische W^ert der dra-
matischen Sprichwörter in Betracht und von diesem Gesichts-
punkte aus läßt sich sein hartes Urteil begreifen. Gewiß, ein
Künstler ist Carmontelle nicht; aber wollte er denn überhaupt
einer sein ? Die folgenden Worte der ,, Lettre de l'Auteur" sprechen
für das Gegenteil: ,,Dans ces dialogues, je n'ai cherche ä mettre
que le ton de la conversation, et je ne me suis point applique ä faire
de belies phrases, parce qu'il n'en faut point faire en jouant les
proverbes : ce qu'il y a d'essentiel, c'est que chaque acteur parle
suivant le genre de son röle\ ainsi ce n'est pas du style que vous
trouverez ici, mais un grand desir d'avoir le ton de la verite."
Carmontelle kommt es also weniger darauf an, wie er das
oder jenes möghchst gefälhg darstellen könnte, als vielmehr
darauf, daß das Dargestellte naturwahr sei. Was somit seine
Werke an literarischem Wert verlieren, gewinnen sie an kultur-
historischer Bedeutung. Je weniger in ihnen die schöpferische
Kraft des Dichters zutage tritt, je getreuer sie Gesehenes und
Gehörtes darstellen, desto größer wird ihr Wert für denjenigen,
der in ihnen Zeugnisse für die Sitten und Gebräuche der damaligen
Zeit erblickt. Daraus, daß zuweilen Trivialitäten mit unterlaufen,
w^ollen wir ihm keinen besonderen Vorwurf machen; für uns
handelt es sich in erster Linie darum, w a s dargestellt wird ;
w i e es dargestellt wird, tritt dabei in den Hintergrund.
Carmontelle^^) hatte als Vorleser und Festordner des Herzogs
von Orleans überreiche Gelegenheit, das Leben und Treiben der
vornehmen Kreise zu beobachten. Da sein Herr ihn mehr als
Freund denn als Untergebenen behandelte, durfte er regelmäßig
an den Abendgesellschaften teilnehmen und sich an der Unter-
haltung beteiligen. Man unterhielt sich gerne mit ihm und
fragte ihn nicht selten um sein Urteil über dies oder jenes. ^^)
Außerdem w^ar er ein vortrefflicher Zeichner: er verfertigte
Transparente, die vielfach Szenen aus seinen Proverbes dar-
stellten, und führte sie mit Hilfe einer Laterna magica den Gästen
des Herzogs vor.^S) Als Porträtmaler zeichnete er sich besonders
aus: von allen bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit hat er
30) Werner, p. 24.
3') Carmontelle (Louis Carrogis dit) wurde am 25. August 1717
in Paris geboren und starb dort am 26. November 1806.
32) Prov. et Com. I, p. V.
^3) Prov. et Com. I, p. VI.
12 Hans Urschlechter.
Porträts gemalt und nach diesen wnirden die Bilder gestochen,
welche die ,,Correspondances" der Madame du Deffand und des
Barons Grimm zieren.-^*)
Als Schriftsteller war Garmontelle äußerst fruchtbar. Außer
den Werken, die er drucken ließ (acht an der Zahl), schrieb er
noch eine Unmenge von Skizzen und Entwürfen, aus denen
manche der späteren Schriftsteller die Stoffe zu ihren Stücken
entlehnten. Seine Manuskripte, so wird versichert, hätten
hundert Bände füllen können.-^^)
Die letzten Lebensjahre Carmontelle's waren unglücklich;
er geriet in die größte Not und er sah sich gezwungen, wollte er
nicht Hungers sterben, seine Werke im Mont-de-Pitie zu ver-
setzen.3^)
Daß ein so vielseitiger Mann durchaus geeignet war, das
Leben der vornehmen Kreise wahrheitsgetreu darzustellen,
unterliegt keinem Zweifel. Eine eingehende Beschäftigung mit
seinen Werken führt zu der Überzeugung, daß ihm dies vor-
züglich gelungen ist, und das Urteil, das Sainte-Beuve über die
Proverhes dramatiques Theodore Leclercq's fällt: ,,.... surtout ils
seront un commentaire vwant et iine explication animee des pre-
tentions et des travers d'iine epoque : c'est lä ce qiie j'appelle les
vignetles amüsantes et vraies de lliistoire""^"^) läßt sich auch auf
die dramatischen Sprichwörter Carmontelle's anwenden. All die
scheinbar großen Nachteile, die Werner ihm vorwirft, erscheinen
unter diesem Gesichtspunkte gar nicht so groß; ja man kann
sogar mit der Gräfin Genlis der Ansicht sein, daß eine gesuchtere
Ausdrucksweise den Stücken hätte schaden können.
Was endlich den Charakter Carmontelle's anlangt, so spendet
ihm Frau von Genlis, die fünfzehn Jahre hindurch fast täglich
mit ihm verkehrte, das schönste Lob:*,, peindre son carac-
täre, parier de sa conduite, de son esprit^ de ses talents, ce sera le
Iniier."^^)
Zum Schlüsse noch eine kurze Bemerkung über die Wahl
des Themas.
Man hat das 18. Jahrhundert nach seinen charakteristischen
Merkmalen das Jahrhundert der Aufklärung genannt; man könnte
es fast ebenso richtig das Jahrhundert der Frauen nennen. In
Frankreich stieg um diese Zeit die Macht der Frauen, nicht allein
in der Gesellschaft, sondern auch auf geistigem Gebiete, ja selbst im
Staatsleben zu einer Höhe, wie sie weder vorher noch nachher
je wieder erreicht wurde. Julia Kavanagh schildert den unge-
^*) Bibliographie universelle.
=*ö) ibid.
^"j Bibliographie universelle.
3') Caus. du Lundi, III, 526.
38) Prov. et Com. I, p. I.
Die vornehme französische Frau des XVI JI. Jahrhunderts. 13
heuren Einfluß der Frauen des 18. Jahrhunderts sehr treffend:
„They ruled society, as women of the world\ the empire of letters,
as patronesses of the fine arts; the State as favourites and advisers
of kings. They gave the tone to feeling, phUosophy, and thought.
Their caprice made wars and signed treaties of peace. They hastened
the fall of a Monarchy and the outbreak of the greatest revolution
of modern times"^^)
Diesen tatsächlichen Verhältnissen entsprechend nimmt
auch in dem ungemein abwechslungsreichen Bilde, das Carmon-
telle von der Gesellschaft seiner Zeit ent\\'irft, die Schilderung
der Frau den breitesten Raum ein. In einer schier endlosen
Fülle von Gestalten tritt sie uns entgegen und weiß immer wieder
unser Interesse zu erwecken. Die charakteristischen Züge all
dieser mannigfaltigen Erscheinungsweisen zu einem Bilde zu
vereinigen, ist der Zweck der nachfolgenden .\bhandlung.
I. Das Mädchen.
Das junge Mädchen wird in den Proverbes dramatiques nur
nebenbei erwähnt und aus den gelegentlichen Äußerungen der
Mütter gewinnen wir fast immer den Eindruck, als ob diese in
ihren Kindern eine mehr oder minder große Last erblickten,
durch welche sie sich in ihrer Bewegungsfreiheit behindert fühlen.
Im allgemeinen kümmert sich die vornehme Frau nicht
allzu viel um die Erziehung ihres Töchterchens. Gleich nach der
Geburt wird dieses einer Amme übergeben, der auch die ganze
Sorge für das kleine Wesen obliegt. Daß die vornehme Mutter
ihr Kind selbst stillt, ist eine Seltenheit und wird, wenn es einmal
vorkommt, als etwas Ungewöhnliches, fast Unerhörtes ange-
staunt.^*^) Der Beweggrund dazu ist wohl weniger in dem edlen
Verlangen zu suchen, dem Kinde die Segnungen der Muttermilch
angedeihen zu lassen, als vielmehr in der Anwandlung einer bloßen
Laune; das geht schon daraus hervor, daß sie sich dadurch nicht
abhalten läßt, an allen Vergnügungen teilzunehmen. Obwohl
ihre Milch schlecht ist, widersteht sie hartnäckig dem Drängen
ihrer Verwandten, eine Amme zu nehmen; dagegen hält sie für
die Kleine zwei Wiegefrauen. •*^)
Später erhält das Mädchen eine Gouvernante und dieser
fällt die Aufgabe zu, aus ihrer Pflegebefohlenen eine kleine Dame
zu machen. Bis zum neunten oder zehnten Jahre hat sie die
Erziehung und Ausbildung des Mädchens zu leiten. Auch über
^^) Kavanagh, I, p. 1.
■**^) Pro(^. et Com. II, 206.
■") Prov. et Com. II, 206,07.
14 Hans Ur schlechter.
diese Zeit erfahren wir bei Carmontelle recht wenig. Daß der
Unterricht im Tanzen schon ziemüch früh begann, zeigt die
Erwähnung, daß die erst zehnjährige Nichte eines Abbe schon
verschiedene Bälle mitgemacht habe. Damit sie auch noch zu
anderen eingeladen werde, will ihre Mutter nun ebenfalls einen
Ball geben.42)
Seine Mutter sieht das junge Mädchen nur selten. Die
Frau, die den Tag über unzählige Besuche empfängt, die zu
ihrer Unterhaltung Papageien und Schoßhündchen hält, hat kaum
einige Minuten für ihre Tochter übrig. Befaßt sie sich ja einmal
mehr mit der Erziehung ihres Kindes, so geschieht dies einzig
zu dem Zwecke, ihm ihre eigenen Grundsätze einzupflanzen. Ist
die Frau eine ^,sacante", so will sie auch aus ihrer Tochter eine
Gelehrte machen. Wenn nun die Fortschritte des Mädchens den
Wünschen der Mutter nicht entsprechen, so wird diese ungeduldig
und ruft ärgerlich aus: ,,Wie albern du heute wieder bist! Gehe
auf dein Zimmer und mache Verse!" Die schnippische Antwort
der Kleinen: ,,Foi7d bien de qiioi tJi inspirer !" wirft ein eigen-
tümliches Licht auf das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter .^"^)
Mit dem zehnten Jahre ist die häusliche Erziehung des
adeligen Mädchens in der Regel beendet und nur selten finden
wir, daß es auch nach diesem Zeitpunkte seine weitere Aus-
bildung im Elternhause erhält. Die zahlreichen Lehrer, die man
halten muß, kosten viel Geld und nicht jede Familie will sich so
große Ausgaben für diesen Zweck aufbürden."*'') Auch ist die
Meinung, die man damals vielfach von den Lehrern hatte, für
die letzteren nicht gerade schmeichelhaft: ,,Nur eine Sorge be-
schäftigt sie, nämlich wie sie die Stunde herumbringen sollen;
ihr Unterricht ist trocken, ohne Zusammenhang und eher lang-
weilig als nutzbringend."*^)
Da ist es doch viel bequemer und sicherer, das junge Mädchen
in eines der zahlreichen Klöster zu schicken, die sich mit der
Erziehung der vornehmen weiblichen Jugend befassen. Wer
etwa die Erziehungshäuser, in welche der französische Adel des
18. Jahrhunderts seine Töchter gab, mit den klösterlichen Insti-
tuten unserer Tage vergleichen wollte, würde ein ganz falsches
Bild bekommen. Hier strenge Regeln, die den Verkehr mit der
Außenwelt so weit als möglich ausschließen, dort eine Vorschule
für das Leben in der Gesellschaft, ein Zwischending zwischen
Weltleben und klösterlicher Zurückgezogenheit. In den besuch-
testen Straßen von Paris gelegen, hallen sie beständig wieder vom
Lärm der Großstadt und stehen in lebhafter Verbindung mit der
*^) Prov. et Coiu. II, 152.
^'^) Prov. et Com. II, 124.
^*) Nouv. Prov. I, 206.
*"•>) Nouv. Prov. I. 267.
Die vornehme französische Frau des XVJII. Jahrlninderts. 15
Außenwelt. Die Ausbildung, welche die jungen Mädchen hier
erhalten, entspricht vollkommen dem Charakter dieser Häuser;
sie ist halb weltlich und halb religiös. Bei Goncourt findet sich
eine sehr treffende Schilderung dieser Üoppelerziehung: ,, Partout
c'est une education flottant entre la mondanite et le renoncement,
entre la retraite et les talents da siede, une education qui va de
Dieu d un maitre d'agrement. de la meditation ä une lecon de reve-
rence.''**')
In dem Proverl) ..Le malentendu" führt uns Carmontelle in
eines dieser Erziehungshäuser. Die Klosterfrauen sind zwar ein
wenig plauderhaft und selbstgefällig — so fühlt sich z. B. eine
von ihnen sehr geschmeichelt durch das Lob des Doktors Februgin,
daß sie den besten cafe ä la creme zu machen verstehe, — aber
sie sind nachsichtig und liebevoll gegen ihre Schutzbefohlenen.
Die Äbtissin ist eine gute alte Dame, welche die ihrer Fürsorge
anvertrauten Mädchen wie eine Mutter liebt und ihnen Kose-
namen gibt. Die Zöglinge haben ihrerseits hohe Achtung vor
ihr und benehmen sich in ihrer Gegenwart sehr artig. Eine kleine
Schülerin, namens Julia, hat eine schwere Krankheit durch-
gemacht und wird in ein Zimmer gerufen, wo die Äbtissin und
der Hausarzt sie erwarten. Die Anwesenheit der ersteren macht
sie fast furchtsam; kaum aber hat sie das Zimmer verlassen, so
kehrt ihr jugendlicher Mutwille wieder, zu dessen Zielscheibe sie
den Arzt macht. Die Schwestern lächeln über den kindhchen
Scherz und die ganze Strafe, die man ihr auferlegt, besteht darin,
daß sie dem Doktor Abbitte leisten muß.^")
Für viele Mädchen hat dieses Leben im Kloster etwas unge-
mein Anziehendes und bleibt für sie oft bestimmend für ihr
späteres Leben. Hier sind sie der Tadelsucht einer launischen
Mutter entrückt und erkennen die kleinen Vergnügimgen dankbar
an, die wohlwollende Lehrerinnen ihnen gewähren. Häufige
Spaziergänge und Erholungen wechseln mit ernsten Unterrichts-
stunden ab ; die Veilchen und Reseden des Klostergartens wecken
in den Mädchen den Sinn für die Natur ;-^'^) es bereitet ihnen
großes Vergnügen, wenn sie den Hühnern Brot vorwerfen dürfen.'*^)
Noch in späteren Jahren denkt die Frau gerne an die im Kloster
verbrachten Jahre zurück und diese Zeit muß für sie viel des
Angenehmen gehabt haben, da sie dieselbe ,,die Morgenröte des
Lebens'" nennt, die Zeit. ,,in der man sich seines Daseins be-
wußt wird. '"50)
Wie wenig die Mädchen vom \'erkehr mit der Außenwelt
abgeschlossen sind, beweist der L'Uistand, daß sie zuweilen von
*^) Goncourt. p. 19.
*') Proi'. I, No. 95.
*^) Prov. et Com. I, 284.
^^) Prov. et Com. III, 100.
^"l Prov. et Com. I, 284.
1 6 Hans Urschlechier.
jungen Männern besucht werden, die ihnen Veilchen und andere
Blumen bringen.''^)
Die Früchte dieser klösterlichen Erziehung sind oft sehr
gute. So manches Mädchen lernt hier wahre Herzensgüte kennen,
Teilnahme für die Notleidenden aus den unteren Volksschichten,
Dankbarkeit gegen seine Lehrer, mit denen es sich ohne Rück-
sicht auf die in der Gesellschaft geltenden Gesetze, die einen
solchen Verkehr als nicht standesgemäß verbieten, gern unter-
hält. Auch sein Wissen ist ein umfassendes und gründliches
und das Mädchen benutzt jede Gelegenheit, um dasselbe im
Verkehr mit gebildeten Männern zu erweitern.^^) Wenn dann
ein solches Mädchen das Kloster verlassen soll, kommt es ihm
schwer an und tagelang verraten seine vom Weinen geröteten
Augen, wie schwer es ihm wird, von dem bisherigen Leben zu
scheiden. ^^)
Nicht alle freilich verlassen das Kloster so ungern. Viele
bringen keinen besonders großen Lerneifer mit; sie w^ollen in
nichts gründhch eindringen, sondern es genügt ihnen, von allem
nur eine oberflächliche Kenntnis zu haben. Das Bildungsideal
mancher vornehmen Dame ist ausgedrückt in den Worten:
,,// füllt toiit ejfleurer."^'^) Für so veranlagte Mädchen sind die
Unterrichtsstunden langweilig und die Zeit, die sie zum Lernen
verwenden sollten, füllen sie mit Romanlesen aus.^^) Da sie die
hier geschilderten Begebenheiten für reine Wahrheit nehmen,^**)
haben sie bald den Kopf voll romantischer Ideen und so kommt
es, daß ihnen trotz der großen Freiheiten, die man ihnen gewährt,
die Klostermauern zu eng werden und sie sich nach ihrer vollen
Freiheit, nach einem Leben sehnen, das sie in den Büchern so
rosig dargestellt finden.^'') Ein solches Mädchen betrachtet
natürlich den Austritt aus dem Kloster als eine Erlösung und hat
auf die Lobeserhebungen, welche eine Freundin der im Kloster
verlebten Zeit spendet, nur die verwunderte Antwort: ^,Ah ! ce
temps-lä peiil-il se regretter ?" ^^)
Noch härter klingt das Urteil einer Dame über das Kloster:
,,C'est un terrible inconvenient que le coiivent, et je vous assure
qu'il nuit beaiicoup mix progres de l'education."''^) Allein die
Gründe, auf welche sich diese Behauptung stützt, sind eher ein
Beweis für die Blasiertheit dieser Dame als für die SchädUchkeit
•^') Prov. et Com. I, 304.
52) Prov. et Com. II, 160—164.
53) Prov. et Com. II, 63.
54) Prov. et Com. 11, 163.
55) Prov. et Com. I, 284|85.
56) Proi'. et Com. I, 284/85.
57) Prov. et Com. I, 285. •
58) Prov. et Com. I, 284.
59) Prov. III, 342.
Die vonu'liine französische Frau des Will. Jahrlmiiderts. 17
der Klöster: ihre Tochter ist aus dem Kloster zurückgekehrt,
veredelt an Herz und Geist, empfänglich für alles Gute und
Schöne; was ihr fehlt, ist ^,riisage du monde", die feine Lebensart,
und diesen Mangel können in den Augen der Mutter alle Vor-
züge des Mädchens nicht auf wiegen. ^*^)
Fast unmittelbar auf den Austritt aus dem Kloster folgt die
Verlobung und nicht lange nachher die Heirat des Mädchens.
Dies mag uns vielleicht sonderbar erscheinen; wo hat denn das
Mädchen Gelegenheit gehabt, die Bekanntschaft junger Männer
zu machen ? Wie ist es in so kurzer Zeit möglich, daß ein Mann
seine Zuneigung gewinnen und in seinem Herzen tiefere Gefühle
wachrufen kann ? Wie kann es so rasch erkennen, ob derjenige,
dem es seine Neigung geschenkt hat, auch wirklich imstande ist,
es glücklich zu machen ?
All diese Fragen, die uns so natürlicli erscheinen, kommen
für das vornehme Mädchen des 18. Jahrhunderts gar nicht in
Betracht. Ihm steht es nicht zu, sich einen Gatten zu wählen;
dies besorgen seine Eltern und es hat sich dieser Entscheidung
einfach zu fügen. Worauf es bei dieser Wahl vor allem ankommt,
sagt uns Goncourt: ,,Le mariage etait avant tout iine af faire de
famille, im arrangement au gre des parents, que decidaient des
considerations de position et d'argent^ des convenances de rang et
de fortune"^'^) und bei Carmontelle sagt so ein Muster jüngling
der damaligen Zeit: ,,Die Heirat ist weiter nichts als eine Geld-
angelegenheit."^-)
Man könnte vielleicht denken, daß unter solchen Umständen
die Ehe für das Mädchen etwas Abschreckendes habe. Das ist
durchaus nicht immer der Fall. Die Ehe bedeutet für das junge
Mädchen den Eintritt in die Welt; die Türen der Salons öffnen
sich ihm, ein großer Name, Reichtum und Ansehen, womöglich
sogar die Ehre, am Hofe vorgestellt zu werden, warten seiner.
Besonders das letztere, die preseniation d la cour^^) ist für die
vornehme Dame die höchste Auszeichnung.
öO) Prov. III, 433.
•51) Goncourt, p. 22.
*'2) Proi'. et Com. II, 72.
®^) Die nachstehende Schilderung der ,,preseiitation ä la cour"'
entnehme ich dem Werke von du BIed ,,La comedie de societe au XVI 11«
siecle'\ p. 202—204:
Voici la grande solennite, fepreuve d' initiation, la presentation
ä la cour. Redoutable et desiree ceremonie qui achevera de tirer des limbes
Madame de Genlis, en la distinguant des femmes qui nont point en ce
rayon de Versailles .... Les femmes sont presentees en ceremonie, le
dimanche, en grand habit de cour, par une femme dejä presentee : elles
ont un enorme panier, une queue demesurement longue, et il faul vingt
ä vingt-deux aunes pour faire un grand habit sans garniture.
Premiere reverence ä la porte; quelques pas et seconde reverence;
troisieme reverence en face de la reine; alors la presentee ötait le gant
Ztschr. f. n-z. Spr. u. Litt. XXXVII'. 2
18 Hans Ur schlechter.
Ist es deshalb verwunderlicli, wenn das Mädchen einenn
Manne, der ihm das alles zu bieten vermag, ohne Zögern seine
Hand reicht, auch wenn es ihn vorher gar nicht gekannt hat ?
Dieser Gedankengang des jungen Mädchens von damals spiegelt
sich wieder in dem offenherzigen Bekenntnisse, das eine Frau
von Houdetot Diderot gegenüber ausspricht: ,,/e me mariai
poiir aller dans le nionde, et voir le bal, la promenade, l'opera et
la comedie . . ."^*) Einige Freundinnen halten einem Fräulein
von Bourbonne vor, daß der ihr zugedachte Bräutigam sehr
häßlich sei und daß sie ihn nicht zum Manne möchten. ,,Ach
was, erwidert das Mädchen, ich werde ihn heiraten, denn mein
Vater will es; aber ich werde ihn nicht lieben."^^) Dies ist bei
vielen Ehen der damaligen Zeit der Fall: man heiratet sich, ob-
wohl man im voraus weiß, daß man sich nicht lieben wird. Mit
Recht sagt Goncourt von den Mädchen des 18 Jahrhunderts:
,,C'est le mariage, et non le mari, qui fait leur desir et leur
reve '"^^)
Nicht immer ist es der ehrliche Wille, ihre Tochter gut zu
versorgen, der für die Eltern bei der Wahl eines Schwiegersohnes
ausschlaggebend ist. Zuweilen wird die Mutter, die selbst noch
jung erscheinen möchte und jedem, der es hören will, versichert,
daß sie noch nicht dreißig Jahre alt sei,^") durch ihre erwachsene
Tochter daran erinnert, daß ihre Jugend doch schon etwas ver-
blüht ist. Manchmal ist sie auch eifersüchtig auf die Huldi-
gungen, die man ihrer hübschen Tochter darbringt.^^) Welcher
Gedanke liegt da näher, als sich einer so gefährlichen Rivalin
zu entledigen, und wie könnte dies auf bequemere Weise ge-
schehen, als dadurch, daß man sie verheiratet ? Carmontelle
sagt von diesem Bestreben der Eltern, ihre Töchter los zu werden:
,,0n marie ses enjants, comme on vend son cheval; on dit toujours
de la main droi.te, s'inclinant projondemenl et saisissant le bas de jupe
de la reine pour le baiser : la reine Ven empechait en retirant sa jupe, disait
quelques mots ainiables, faisait une reverence, signal de la retraite qu^on
operait ä reculons, malgre la grande queue qu''on manoeuvrait odroilenient,
tout en executant les trois reverences d'adieu.
La presentation donnait aux femmes le droit de monter dans
les carrosses du roi et de la reine, de souper dans les petits appartements.
Si la presentee est duchesse ou si eile a le tabouret, Veliquette la dispense
du baisement du bas de robe, alors eile est ,,saluee''' par la reine ei les
princesses : on appelait ainsi Vhonneur de presenter sa joue droite ä la
reine, qui sur cette joue appliquait legerement la sienne. Le roi, ses
freres, accordaient cet honneur ä toutes les presentees, titrees, duchesses
ou non. La veille et le lendemain de la presentation, la presentee allait
faire des visites ,,aux honneurs": dames d^honneur, dames d^atour de
la reine, de Mesdames et des princesses ses belies- soeurs.
"4) Goncourt, p. 26, note 1.
^^) Du Bled, Les femmes au XVII I« siecle.
*■'«) Goncourt, p. 26.
") Prov. et Com. II, 177.
«8) Prov. II, 487.
Die vornehme fraiizösisehe Frau des Will. Jahrhunderts. 19
qae c'est la meilleure partie qaou pnisse proposer et Von ne eherche
qu'ä s'en defaire et ä se tromper l'un l'autre "^^)
Gewöhnlich ist es das Urteil der Mutter, das bei der Wahl
eines Schwiegersohnes bestimmend ist. Der Einwand ihres
Gatten, der betroffende junge Mann sei ein unfähiger Mensch
und ein Verschwende]', der seine Frau unglücklicli machen werde,
kann die Dame nicht von ihrem Plane abbringen. Für sie kommen
andere Gesichtspunkte in Betracht: der Betreffende ist der Sohn
einer Marquise, die ihm durcli ihren Einfluß am Hofe die höchsten
Stellen verschaffen kann; ihre Tochter wird durch diese Heirat
hoffähig, was für ihre Kinder s}3äter von großem Nutzen sein
kann, und erlangt Beziehungen zu den höchsten Kreisen. Mehr
Vorteile, meint sie, kann eine Heirat doch wohl überhaupt nicht
bieten. Ob die Partie ihrer Tochter auch paßt, darum kümmert
sich die Mutter gar nicht. Sie teilt ihr kurz mit, daß sie heute
abend ihren Bräutigam kennen lernen werde. ,,Aber ich werde
ihm nicht ins Gesicht zu sehen wagen." .,Du brauchst ja gar
nichts mit ihm zu reden und kannst ihn heimlich beobachten."
,,Und ich werde ihn heiraten müssen?" ,, Gewiß. "^*') Die Heirat
ist zwischen den beiden Müttern abgekartet; ihrem Gatten, der
sich für seine Tochter einen honnete homme wünschte, entgegnet
die Dame: ,,Eh! qui ne Fest pas, honnete homme ?"'^^) Der Um-
stand, daß der junge Mann eine Tänzerin an der Oper aushält,
ist in ihren Augen kein großer Fehler.'^) Im übrigen bedeutet
sie ihrem Gatten ganz kurz, daß er in dieser Angelegenheit gar
nicht mitzureden habe;'^^) sie hat schon den Notar bestellt und
am Abend wird der Ehevertrag unterzeichnet werden.
Ein anderes Mädchen soll einen Marquis heiraten. Zwar ist
dieser leichtsinnig, verschwenderisch, und steckt bis über die
Ohren in Schulden; aber er steht bei Hofe nicht schlecht und die
Eltern des Mädchens setzen unbegrenzte Hoffnungen auf ihn.
Ihre Tochter ,,a de Vesprit, des talents, et le plus grand desir de
plaire;"'^*) da sie außer diesen persönlichen Vorzügen noch 30000
Franken Rente hat, besteht für die Eltern kein Zweifel, daß ihre
Tochter eine sehr gute Partie machen wird.'^^)
Der Bräutigam, den ein glücklicher Vater für seine Tochter
gefunden hat, hat zwar noch kein Regiment, aber ,,?'/ eti a la
promesse" \ er ist nicht reich, aber er ,,hat die besten Aussichten".
Wenn seine Tochter ihn heiratet, wird sie am Hofe vorgestellt
«») Prov. I, 34.
'0) Prov. et Com. II, 64|65.
'1) Prov. et Com. II, 90.
'2) Prov. et Com. II, 85.
'3) Prov. et Com. II, 90.
'*) Prov. et Com. II, 102.
'5) Prov. et Com. II, 101102.
20 Hans Unrhlerhler.
werden, und falls einige ihrer Verwandten sterben, so ist es sogar
möglich, daß sie das ,,taboiiret"'^^) bekommt.'^)
Das Zustandebringen von Heiraten nimmt die vornehme
Frau des 18. Jahrhunderts sehr in Anspruch. '^^) Dabei ist sie
oft recht wählerisch; mit ihrer eigenen Tochter will sie sehr hoch
hinaus, während sie für ihren Neffen aus der Provinz in der
Nichte eines Abbe eine genügend gute Partie findet.'^^)
,,Mit zwanzig Jahren muß ein Mädchen verheiratet sein
oder es wird nie dazu kommen. "^^) Deshalb hat es auch eine
Mutter sehr eilig, für ihre beiden heiratsfähigen Töchter Männer
zu finden. Das macht ihr keine großen Schwierigkeiten; zwei
junge Herren verkehren öfters in der Familie und diese beiden
hat sie zu Schwiegersöhnen ausersehen. Sie glaubt bemerkt zu
haben, daß einer derselben ihrer Tochter Honorine Aufmerksam-
keiten erweise, und das veranlaßt sie, ohne Vorwissen des jungen
Mannes, dessen Onkel ihre Wahrnehmung mitzuteilen und ihm
zu bedeuten, daß ihr diese Heirat angenehm sein würde. Als
ihr Gatte sich bei seiner Tochter über diese Eigenmächtigkeit
ihrer Mutter beklagt und diese beschuldigt, daß sie ihre Kinder
verheirate, ohne sie nur zu befragen, nimmt das Mädchen seine
Mutter in Schutz: ,,Sind die Kinder nicht zu glücklich, wenn
die Eltern für ihr Glück Sorge tragen ?"8i)
Etwas bedenklicher Art sind die Beweggründe eines Grafen,
der seine Tochter durchaus einem verschuldeten Herzog geben
will. Der Chevalier, den das Mädchen liebt und der auch der
Gräfin als Schwiegersohn recht wäre, ist ein offener, liebens-
würdiger Charakter; der Graf zieht ihm den homme titre vor,
an dessen Seite seine Tochter eine große Dame wird und das
höchste Ansehen genießt. Er wirft seiner Gemahlin sogar vor,
daß sie ihre Tochter nicht liebe, da sie nicht bestrebt sei, dieselbe
gut zu verheiraten. Allein auch bei ihm ist weniger die Liebe
zu seinem Kinde maßgebend, als vielmehr das Versprechen des
Herzogs, ihm seine Maitresse, eine Tänzerin an der Oper, ab-
zutreten.^2)
Ein Edelmann wünscht sehnlichst, einen reichen venetiani-
schen Bankier mit 50000 Franken Rente zum Schwiegersohn zu
bekommen. Seine Tochter, ein ebenso folgsames wie praktisch
veranlagtes Mädchen, findet die 50000 Franken sehr begehrens-
wert und ist mit Freuden zu dieser Heirat bereit, voraus-
''*^) ,,Ai'oir le tabouret' ist der Ausdruck für das Recht, sich in
Gegenwart des Königs oder der Königin auf einen Schemel zu setzen.
") Prov. I, 225/26.
"«) Prov. et Com. II, 143.
'») Prov. et Com. II, 160—164.
''") Prov. et Com. I, 209.
^') Prov. et Com. 1, 233.
^-] Nouv. Prov. I, 114.
Die vorfie/ime französische Frau des XVIII. Jahrhunderts. 21
gosotzl natürlich, dal.'i ihr Zukünftiger wirklich oino so hoho
R(Mito hatP)
Nicht immer jedoch rimh'ii die Eltern ihn^ Tochter so ge-
liorsain und gefügig wie in den angeführten Beispielen. Trotz
der kurzen Zeit, die in der Hegel zwischen dem Austritt aus dem
Kloster und der Verlobung der jungen Mädchen liegt, ist doch
das Herz so mancher nicht mehr frei. ,,In unserem Alter, sagt
bei Carmontelle ein Mädchen, ist es ganz natürlich, daß man
ans Heiraten denkt; man beschäftigt sich unwillkürlich damit
und ist nur über den Gegenstand seiner Wahl im Zweifel; oft
wird uns auch diese Wahl nicht schwer: wir folgen der Neigung
unseres Herzens und lieben."'^'*) Auf einem Spaziergange oder
bei einem Ball hat das Mädchen einen Herrn kennen gelernt,
zu dem es sich hingezogen fühlt. Seinen Eltern sagt es wohl-
weislich nichts; eine verschwiegene Zofe ist ihre vertraute Beraterin
und vermittelt den Verkehr der Liebenden. Zuweilen macht sie
auch eine heimliche Zusammenkunft der Beiden möglich, die sich
bei dieser Gelegenheit ihrer unwandelbaren Liebe versichern.
Diese Heimlichkeiten üben auf das empfängliche Gemüt des
Mädchens einen eigenartigen Reiz aus, und was anfangs vielleicht
nur eine flüchtige Neigung war, wird mit der Zeit eine starke,
leidenschaftliche Liebe.
Was wird ein solches Mädchen tun, wenn man von ilim
verlangt, einen Mann zu heiraten, für den es nicht das Geringste
fühlt ? Wird es den Mut haben zu gestehen, daß sein Herz schon
gewählt habe und daß nichts auf der Welt es bestimmen könne,
den Geliebten zu verlassen ? Oft versucht es gar nicht, dem
Verlangen der Eltern sich zu widersetzen. Wenn der Vater
seiner Tochter eine Verbindung vorschlägt, die sie auf ewig von
ihrem Geliebten trennen muß, so erscln-ickt sie und weiß zunächst
gar nicht, was sie tun soll. Es drängt sie, dem Vater zu gestehen,
daß sie einen andern liebt; aber wie wird ihr Vater dieses Ge-
ständnis aufnehmen ? Hat er nicht die Macht, seinen Willen
trotzdem durchzusetzen ? Ist es da nicht besser, einem heftigen
und aussichtslosen Streit aus dem Wege zu gehen ? Die Furcht
vor dem Zorn des Vaters ist in den meisten Fällen stärker als
die Liebe zu ihrem Verehrer und so erklärt sie sich mit der vor-
geschlagenen Partie einverstanden.
Ein Mädchen liebt einen Chevalier und wird von ihm wieder
geliebt. Der Vater will, daß es den Sohn eines seiner Freunde
heirate; diese Zumutung setzt es in Verwirrung, aber es wagt
seine Liebe nicht zu gestehen. Als eine Dienerin ihm meldet,
daß der Chevalier gekommen sei und es zu sprechen wünsche,
erschrickt es heftig und ruft ans: ,,Ah, qn'il s'en garde bien !
•^3) Prov. II, 160.
^^) Prov. et Com. I, 234.
22 Hans Ur schlechter.
mon pere va rentrer !" Der Geliebte verlangt, daß es den Vor-
schlag seines Vaters entschieden zurückweise; „aber, erwidert es,
wenn er mich durchaus zwingen will . . . !"^^)
Daß die Fälle, wo das Mädchen ohne Widerspruch dem
Willen seiner Eltern gehorcht, ziemlich häufig sind, beweisen die
Worte eines Chevalier: ,,J'ai vii tant de fois des demoiselles avec
heaucoup d'amonr ne poiwoir pas resister d leiirs parents, et prendre
le parti d'eloigner d'elles, soiis quelqiie pretexte, leiir amant^ poiir
eviter Jeiirs reproches et se rendre plus capahles d'oheir d ce qii'on
exigeait d'elles. . . ."^^)
Manchmal ist das Mädchen so von seiner Liebe durch-
drungen, daß es dieselbe offen zu gestehen wagt. Welches ist
der Erfolg dieses freimütigen Bekenntnisses ? Carmontelle gibt
die Antwort auf diese Frage in dem Stücke ,,L'hahit nenf". Ein
Chevalier erfährt durch die Kammerfrau seiner Geliebten, daß
auch deren Vormund Absichten auf sie habe. ,,Nun, entgegnet
er, sie braucht ja nur ihre Einwilligung nicht zu geben." Die
Frau kennt aber das Mädchenherz ihrer Zeit besser und gibt
ihm zur Antwort: ,,Ich zweifle gar nicht daran, daß sie einwilligen
wird; zuerst wird sie verzweifelt tun; aber er wird immer wieder
in sie dringen und Sie wissen ja selbst, wie die jungen Mädchen
sind: zuerst weinen sie und schließlich willigen sie in die Heirat
«pour avoir la liberte»."^"')
Der Umstand, daß ihre Tochter schon eine Neigung gefaßt
hat, ist für die Eltern kein Grund, von ihrem Plan abzustehen.
Der Vater macht ihr begreiflich, daß es gar nicht nötig sei, daß
man sich vor der Heirat kennt; ja es sei sogar besser, fügt er
hinzu, wenn dies nicht der Fall ist, denn sonst ,, findet man tausend
Fehler aneinander. "^^) Da das Mädchen trotzdem keine Vernunft
annehmen will, erklärt er: ,,Ich tue alles, was du willst — und
diese Heirat findet in acht Tagen statt."^^) Die Mutter weist
ihre Tochter, die es für schrecklich hält einen Mann zu heiraten,
den sie nicht liebt, auf ihr eigenes Beispiel hin. Als sie heiratete,
liebte sie auch einen andern. Ihr jetziger Gatte wußte dies und
nahm daran keinen Anstoß. ,,Ein Mädchen liebt; an Stelle des
Geliebten gibt man ihm einen Gatten und dieser hat es bald
über den Verlust des Geliebten getröstet. "^•^) Auch die Kammer-
frauen unterstützen ihre Herrschaft in dem Bestreben, die Sinnes-
art des Mädchens zu ändern; sie sind viel um dasselbe herum,
lachen und weinen in demselben Augenblick und versichern
immer wieder, daß der ihm zugedachte Bräutigam es herzlich
■^^') Prnv. 1. 34.
'*«) Prov. H, 489.
«■'j Prov. III, 429.
■^s) Noiw. Proc. I, 294.
*^») Noin: Prov. I, 295.
■«') Prov. et Com. I. 245.
Die vonic/iiHc französische Frau des Will. Jahr/mnderls. 23
lieben werde.'-*^) So kommt es, daß das junge Mädchen schließlich
nachgibt und sich einen Gatten aufnötigen läßt. Im Grunde
genommen ist das ja immer noch das kleinere Übel, denn ,,toute
rejlexion faite, on atme inienx le mariage qiie son amanl"ß^)
Bei Carmontelle überwiegen die Fälle, wo der Widerstand
des Mädchens gegen den Willen eines despotischen Vaters von
Rrfolg begleitet ist. Dies erklärt sich aus der Tendenz der Pro-
verbes; ein Unterliegen des Mädchens in diesem Kampfe würde
immer einen unangenehmen Eindruck hervorbringen. In der
Wirklichkeit mag es wohl umgekehjt gewesen sein. Wenn auch
Dejob Recht haben mag mit seiner Behauptung, daß der Miß-
brauch der väterlichen Gewalt im 18. Jahrhundert nicht größer
gewesen sei als zur Zeit Moliere's,^*^) so dürfen wir doch nicht
glauben, daß dieser Mißbrauch im 18. Jahrhundert zu den Selten-
heiten gehört. Manche Eltern sind ja so vernünftig, daß sie
ihren Plan aufgeben, wenn sie sehen, daß ihre Tochter eine wirk-
liche Herzensneigung gefaßt hat. Die Liebe zu ihrem Kinde ist
doch noch größer als die Überzeugung von den großen Vorteilen,
welche die von ihnen vorgeschlagene Verbindung bringen würde.
Wenn sie die Tränen des Mädchens sehen, wenn dieses erklärt,
daß es gar nicht heiraten wolle^^) und die Rückkehr ins Kloster
dem Leben mit einem ungeliebten Manne vorziehe, ^^) so kommen
sie wohl zu der Einsicht, daß die Ehe denn doch kein bloßer
Kaufvertrag ist und lassen dem Mädchen seinen freien Willen.
\'erschiedene andere Erscheinimgen der Liebe, die sich bei
Carmontelle finden, mögen hier kurz erwähnt werden. Das seit
Moliere's „Ecole des Femmes" im französischen Lustspiel sehr
beliebte Motiv des Vormunds, der sein Mündel liebt, hat auch
Carmontelle in zweien seiner Stücke verwertet. In beiden Fällen
muß der Vormund trotz aller angewandten Schlauheit einem
jüngeren, glückhcheren Nebenbuhler den Platz räumen und, so
schwer es ihm auch fällt, in die Heirat des jungen Paares
willigen.^6)
Die kühl berechnende, verstandesmäßige Liebe findet bei
Carmontelle ihre Vertreterin in einem Mädchen, das seinem Lieb-
haber die folgende Standrede hält: ,, Denke darüber nach, wie
du deine Mutter dazu bewegen vvillst, daß sie mit meinem Vater
spricht; denn ich wiederhole dir, ich bin überzeugt, daß er ernst-
lich daran denkt, mich zu verheiraten. Gegenwärtig wird er
nichts dagegen haben, mich dir zu geben. Vor acht Tagen wäre
das anders gewesen; damals war dein Prozeß noch nicht ge-
^') Proi'. et Com. II, 72.
'■*2) Nouv. Prov. II, 34.
'■♦•'') Dejob, p. 91.
'^^) Nouv. Prov. I, 294. — Prov. et Com. I, 209.
••^) Prov. III, 456. — Nouv. Prov. I, 294.
'•'•■') Prov. II, 206—217. — Prov. III, 219 ff.
24 Hans Urschlechter.
Wonnen und dein Vermögen noch nicht so sicher gestellt wie
heute. "^^)
Recht anspruchsvoll in der Liebe ist ein Mädchen, daß seine
ganze Menschenkenntnis aus Romanen geschöpft hat und keinen
Mann finden kann, der seiner Liebe würdig wäre. Endlich scheint
es das so lange vergebens Gesuchte finden zu sollen. Ein Herr
ist von der Dame seines Herzens schnöde verlassen worden und
ist über den Verlust untrösthch. Trübsinnig und in sich gekehrt
geht er umher und seine Umgebung fürchtet, daß er sich ein
Leid antun werde. Das Mädchen sieht in dieser übermäßigen
Trauer die schöne Verwirklichung seiner romantischen Ansichten
über die Liebe und sucht sich den Besitz dieses seltenen Mannes
zu sichern. Inzwischen hat der Trübsinn des verschmähten Lieb-
habers immer mehr zugenommen; er glaubt die Geliebte tot
und will auch sterben. Ein teilnehmender Freund will ihm dabei
scheinbar behilflich sein ; er schüttet ein Pulver in ein Glas Wasser
und versichert ihm, daß das Gift in Kürze seine Wirkung tun
werde. ,
Als das Fräulein von dieser heroischen Tat ihres Ideals
Kenntnis erhält, eilt sie sofort zu ihm, um ihn womöglich noch
zu retten. Das leere Glas, das neben ihm steht, versetzt sie in
ungeheure Angst. Sie vergißt jede Zurückhaltung und bietet
ilim ihre Liebe direkt an: .... ,,/a purete de vos sentime?its, votre
constonce, votre fidelüe, tont en vous semble jait poiir in annoncer
IUI bonheur clont /'ose me flauer d'etre digne. . . /'^^) Sie reicht
ihm ein Elixier, das der Wirkung des Giftes Einhalt tun soll.
Allein ihre Sorge ist unnötig: die Furcht vor dem Tode war in
dem Unglücklichen doch größer gewesen als seine Verzweiflung,
und er hatte das harmlose Zuckerwasser weggeschüttet. Dieses
Geständnis versetzt das verzückte Mädchen wieder in die pro-
saische Wirklichkeit. Voll Verachtung wendet es sich von dem
,, Feigling" ab; „oui, äme faible! je vous crois un komme comme
nn autre et je suis trop heureuse d'etre desabiisee, puisqiie j'aurais
ete trompee en liant mon sort au vötre."^^)
Aus dem Gesagten können wir uns ein Urteil über die Liebe
des damaligen vornehmen Mädchens bilden. Manchmal ist eine
wirkliche Neigung vorhanden, aber dieses Gefühl ist nicht stark
genug, um das Mädchen zum Ankämpfen gegen die V^orurteile
der Zeit zu befähigen. Wenn der Verehrer des Mädchens ver-
langt, daß es seinem Vater seine wahren Gefühle kund tun solle,
ist es über diese Zumutung betroffen: ,,Comment! que je n'epou-
serai que vous? Vous plaisantez ?"^^) Wii- gehen wohl nicht zu
»') Proi'. III, 84.
^^) Noui>. Prov. II, 56.
'■>^) Nom<. Prov. II, 57.
»f*«) Prov. IV, 114.
hie vornehme franzö.sische Frau des XVIII. Jahrhunderts. 25
weit, wenn wir diese Worte als rliarakteristisch für das MädclKMi
des 18. Jalirhunderts bezeichnen. Eine solche Liebe gleicht
einem scliwanken Rohre, das jedem Windliauch nachgibt nnrl,
wenn der Drnck zu «froB wird, briclit.
Und (h)cli liat auch dieses vielgeschmähte 18. .Jahrhundert
die walire Liebe gekannt. Dieser nämliche Zeitraum hat auch
die ,,Nouvelle Ileloise" und ,^Paul et Virginie" liervorgebracht.
Dürfen wir annehmen, daß die unschuldsvolle Liebe dieser beiden
Kinder eine bloBe poetische Erfindung sei und daß die leiden-
schaftliche Liebe Julia's und Saint-Preux's nur ein Hirngespinst
Rousseau's war? Mit dieser Annahme würden wir dem 18. .Jahr-
hundert sicherlich unrecht tun. Es ist ja wahr, daß die Liebe,
wie sie Rousseau predigte, in jener Zeit wenig gekannt und viel-
fach noch weniger geschätzt war; für viele seiner Zeitgenossen
mag sein Mahnruf: ,,OhI komme, resserre ton existence en dedans
toi!" wie eine Offenbarung aus einer höheren Welt geklungen
haben, aber deswegen war Julia noch lange nicht das einzige
Mädchen, das den Mann seiner Wahl mit völliger Hingebung
liebte. Ihr liebliches Bild begegnet uns da und dort im 18. Jahr-
hundert, so auch bei Carmontelle. Ein Mädchen weist alle Ein-
wände gegen die Treue seines Gehebten zurück: ,,Wenn es auch
Treulose gibt, so möchte ich doch darauf schwören, daß der
Chevalier nicht zu ilmen gehört. Ich möchte lieber sterben, als
einen solchen Verdacht über seine Liebe zu mir hegen. "i^^)
Eine so zarte Liebe fühlt sich auch durch Kleinigkeiten schon
beunruhigt. Da sein Verehrer fortgeht, ohne ihm lange Er-
klärungen zu geben, wähnt das Mädchen gleich, daß es von ihm
nicht mehr geliebt werde und sagt ihm traurig auf immer Lebe-
wohl.^•^2) Aber die Zofe hat keine große Mühe, um ihre Herrin
wieder aufzuheitern. Sie braucht nur von ihrem Geliebten zu
reden und seine vortrefflichen Eigenschaften zu rühmen, so hat
das Mädchen seinen Kummer vergessen und stimmt begeistert
in die Lobeserhebungen der Dienerin ein. Es hält seinen Gehebten
für unvergleichlich und alle anderen Männer verschwinden neben
ihm; er ist in den Augen seiner Geliebten vollkommen. i'^^) Wenn
man das Mädchen so sprechen hört, denkt man unwillkürlich an
die Worte des Verfassers der ,, Neuen Heloise": ,,Quand la passion
est ä son comble, eile voit son ohjet parfait; eile en fait son idole,
eile le place dans le ciel."
Bevor ich dieses Kapitel schließe, will icli noch einen Be-
weis dafür anführen, daß die Liebe im 18. Jahrhundert nicht
unbekannt war; ich lasse deshalb einen jungen Infanteriehaupt-
mann seine Liebesgeschichte selbst erzählen:
loi) Proi>. I, 266.
'02) Proi>. III, 342.
103) Prob. III, 433.
26 Hans Urschlechier.
.,En arrivant ä Arras oü noiis sommes en garnison, j'y devins
unioiireux d'iine demoiselle qiii est reellement charmante; n'ayant
point de bien, je ne pouvais esperer de l'obtenir; mais cela ne put
diminiier notre amoiir. Des moyens qiie noiis avions pris poiir
nous i>oir, nous ont plonges dans lui abime affreux. Elle est devenue
grosse; la crainte d'etre exposee ä la jureiir de ses parenis, et son
desespoir si je ne <^oulais l'en sauver en Venlevant, ni'ont determine
ä m'enjiiir avec eile ä Paris, oü nous sommes depuis huit jours
et taut prets ä mourir de misere" }^^)
Wer erkennt nicht in der hingebenden Liebe dieses reichen,
vornehmen Mädchens, das dem vermögenslosen Gehebten alles,
selbst seine Ehre hingibt, ein Seitenstück zu der innigen Liebe,
welche die adelige Heldin Rousseau's zu dem armen bürgerlichen
Saint-Preux beseelte ?
II. Das Leben in der Ehe.
,,L'amour .... Tanioui' . . . .! Ce mot ne signifie
plus rien. Apprends donc les usages de ce pays-ci:
on epouse une femme. on vit avfC iine autre, et
l'on n'aime que soi."
(Saurin, Les tnceurs du tenips. Sc. VIII.)
Das Familienle])en der höheren Stände bietet im allgemeinen
einen recht traurigen Anblick. Man betrachtet die Ehe nicht
mehr als eine göttliche Einrichtung, als ein heiliges Band, das
zwei Herzen unauflöslich vereinigen soll; man erblickt in ihr
vielmehr einen bloßen \'ertrag, geschlossen zu dem Zwecke der
Fortpflanzung und der Vererbung eines großen Namens. Da-
durch wird die Ehe zu einer bloßen Interessengemeinschaft
herabgewürdigt; die Grundbedingungen für ein glückhches
Familienleben, wahre Herzensneigung und gegenseitige Achtung,
fehlen in derartigen Verbindungen gänzlich und die natürliche
Folge davon ist, daß in solchen Familien trotz alles äußeren
Glanzes das Glück unbekannt ist. Carmontelle schildert uns
das Schicksal vieler dieser Modeehen: ,,Souvent on se marie
Sans se connaitre ä present, et le cccur n'a point de part ä ces
unions. H y a des femmes qui n'ont meme connu l'amour que
trois ou quatre ans apres avoir ete mariees. Nuls soins, nuls
egards; on ne s'est jamais desire; on finit par s'eviter."^"^)
Nachdem die Zeremonien der Trauung vorüber sind, begibt
sich das junge Paar aufs Land um hier die Flitterwochen zu
verleben. Entwickelt sich hier ja eine etwas tiefere Neigung
zwischen den Neuvei-mählten, so muß diese nach der Rückkehr
nach Paris bald wiefler einer kalten Höflichkeit weichen. Der
'«>*) Prov. III, 301|'02.
105) Prov. III. 2G2.
Die vornclnur franzönscke Fr<tii des XVIII. JahrJauiderts. 27
gute Ton gostattot den beiden Gatten nicht, zusammen zu leben
und fortwährend miteinander zu veri<eliren. „Um die Mitte
des 18. Jahrhunderts," sagt Taine,^*'®) ,, wohnen Mann und Frau
in dem nämüchen Hause; das ist aber auch alles." Die Ehe-
gatten leben ganz unabhängig nebeneinander; jedes hat seine
eigene Dienerschaft, seine eigenen Pferde und Wagen. Wenn
der Mann seine Frau sprechen will, läßt er sich anmelden wie
jeder andere Besucher; er redet sie als ,, Madame" an, sie ihn
als ,, Monsieur". ^<''') So selten diese Besuche sind, so sind sie der
Frau doch nicht immer angenehm; ist sie schlechter Laune, so
muß sich ihr Gatte schon gefallen lassen, daß sie sich über den
„furchtbaren Lärm" beklagt, den er beim Betreten des Zimmers
mache. Nun er aber einmal da ist, will die Frau die Gelegenheit
benutzen, um von ihrem Gatten das Geld zu vier neuen Früli-
jahrskleidern zu erhalten und bittet ihn um 50 Louisdor. Allein
— ist es die Verstimmung über den schlechten Empfang oder
erscheint ihm die geforderte Summe etwas hoch — er bleibt
taub gegen ihre Bitten und gibt ihr nichts. ^"^)
Wenn umgekehrt die Frau ihren Gatten in seinen Zimmern
aufsucht, so weiß der letztere in der Regel schon den Grund
ihres Kommens: wenn sie nicht für das oder jenes Geld nötig
hätte, so würde ihm diese Ehre wohl kaum widerfahren. Und
er täuscht sich selten. Die Bedürfnisse der vornehmen Dame
sind groß und die Summen, die ihr Gatte ihr bewilligt, reichen
zu deren Befriedigung lange nicht aus. Auch kleine Kunstgriffe
helfen nicht viel: um den Kassierer ihres Mannes zu veranlassen,
ihr die Raten ihres Nadelgeldes vorauszubezahlen, hat sie ihm
ihre Loge in der Comedie überlassen. ^'^^) Trotzdem ist ihre Kasse
gegenwärtig wieder leer und das gerade in einem Augenblicke,
wo sie ein kostbares Schmuckstück ,,fast geschenkt"' bekommen
könnte. Ein Juwelenhändler hat ihr einen prachtvollen Dia-
manten um 6000 Franken angeboten; diese schöne Gelegenheit,
um biUiges Geld ein solches Kleinod zu erwerben, kann sie sich
unmöglich entgehen lassen. Ihr Gatte will die Notwendigkeit
dieses Ankaufs nicht einsehen und verweigert ilir die gewünschte
Summe, ^^'as tun? Ihre Kammerfrau weiß einen Ausweg:
sie braucht ihre Verlegenheit nur dem reichen Grafen zu gestehen,
der sich schon lange um ihre Gunst bemüht; dieser wird ihr mit
Freuden das benötigte Geld zur Verfügung stellen. Die Frau
kann ihn zwar nicht recht leiden, aber da sie zurzeit keinen
anderen Verehrer hat, den sie , .lieber hätte als ihn", entschließt
sie sich, seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. ^^•')
^"^j Taine, L'ancien regime.
10") ibid.
108) Prnv. I, fiOff.
1Ö9) Prnv. I, 220.
"0) Pmv. I. 229 t f.
28 Hans Urschlechter.
Manchmal hält der Mann die Hand so fest auf seine Tasche,
daß er seiner Frau auch für notwendige Ausgaben kein Geld
gibt: sie und ihre Töchter brauchen Kleider, die Lehrer des
Mädchens müssen bezahlt werden, aber er erklärt ihr, daß er
kein Geld habe.^^^) Sie hat sicherlich Grund dazu, wenn sie seufzt:
,,J'ai peu de credit aupres de mon mari."^^^) w^g ^gt vielfach
die Folge dieser übertriebenen Sparsamkeit der Männer ? Die
Frau läßt sich vor ihren Besuchern, besonders von den galanten
Abbes das nötige Geld ,, leihen" ;113) wie es mit dem Zurückgeben
bestellt sein mag, läßt sich bei der fortwährenden Ebbe, die in
ihrer Kasse herrscht, leicht denken. ^^*)
So schwer der Mann seiner Frau gegenüber mit Geld heraus-
rückt, so bereitwillig stellt er seine Kasse Hofdamen zur Verfügung,
die Geld brauchen, um mit ihrer Herrin zu spielen. Natürlich
denken sie gar nicht daran, es ihm zurückzugeben und machen
sich obendrein über seine Gutmütigkeit lustig. i^^) Auch seiner
Gehebten gegenüber ist er sehr freigebig: während er seiner Frau
eine kleine Summe versagt, scheinen ihm tausend Franken nicht
zu viel, um sich die Liebe einer Tänzerin zu sichern. ^^®)
Daß unter solchen Umständen die Frau von dem Benehmen
ihres Gatten nicht sehr erbaut ist, leuchtet ein; sobald die Rede
auf die Männer kommt, gibt sie ihrem Unmut Ausdruck: ,,Surtout
les maris m'impatientent; ils se croient en droit de vous con-
trarier sans cesse et sur tout. Si du moins ils cherchaient ä
nous amuser."^^') ,,Si les hommes, surtout les maris, nous parlent
ä nous, ce n'est que pour critiquer nos modes et nos ajustements."^^^)
,,Die Männer achten und lieben nur sich selbst"^^^) klagt die eine,
und eine andere ruft entrüstet aus: ,,Es ist doch schrecklich,
wie wir immer von den Männern behandelt werden! In allem
sind wir ihre Sklaven I"^^^)
Aber sie rächt sich auch bei Gelegenheit für diese unwürdige
Behandlung, indem sie sich um die Anordnungen ihres Mannes
nicht kümmert. Sie bestellt den Architekten und bespricht mit
ihm die Einrichtung eines Hauses, das sie in der Vorstadt Saint-
Honore erbauen lassen will.^^i) gig beklagt sich über ihren Mann,
der fortwährend ,,in fürchterlicher Laune" sei; aber auf dem
Lande wird i h r Wille maßgebend sein und er soll dann alles
1") Nouv. Prov. 1. 207.
112) Nouv. Prov. I, 212.
113) Prov. et Com. II, 247.
114) Nouv. Prov. I, 252.
115) ibid.
116) Nouv. Prov. I, 205.
11^) Prov. IV, 181.
118) Prov. et Com. II, 199.
119) Nouv. Prov. I, 213.
120) Ppov. pt Com. II, 3:^9.
121) Prov. et Com. II, 208/09.
Die wnichmr französische Frau des XV 1 1 1 . Jahrhunderts. 29
ausführen, was ihr in den Sinn kommt. ^22j jr^ ist ja gar nicht
so schwer, bei den Männern seinen Willen durchzusetzen; sie
sind ja so spaßig: sie wollen immer ihre Frauen leiten und dabei
tun sie nie etwas anderes als was diese wollen. "^2^)
So bildet sich zwischen den Ehegatten ein Verhältnis heraus,
in dem die eheliche Liebe eine recht bescheidene Rolle spielt;
an die Stelle des Vertrauens und Entgegenkommens treten Zu-
rückhaltung und kühle Höfliclikeitsformeln. Diese gegenseitige
Kälte ist übrigens noch lange nicht das größte der Übel, die das
Famihenglück untergraben. Das 18. Jahrhundert hebt in dieser
Hinsicht keine Halbheiten; es zieht vielmehr die Konsequenzen
und stellt bezüglich des Verkehrs zwischen den Gatten den Satz
auf: ,,n n'est pas de bon ton d'aimer sa femme."^^^) Bei Car-
montelle sagt ein Bedienter: ,,Die vornehmen Herren braueheu
ihre Frauen nicht zu lieben ;"^25j ^yjj, können für das \\'ort
,, brauchen" ruhig ,, dürfen" setzen, denn Taine sagt: ,,Un senti-
ment profond eüt semble bizarre et meme ridicule, en tout cas
inconvenient."^^^)
Daß bei dieser großen Freiheit, die man sich gegenseitig
gewährt, besonders an die Frau zahlreiche Versuchungen heran-
treten, liegt auf der Hand. Zu jeder Tageszeit sieht sie sich
von einer Schar von Verehrern umgeben, die ihr alle möghchen
Aufmerksamkeiten erweisen und um ihre Gunst buhlen. Die
Repräsentationspflichten, welche ihr als Hausfrau obliegen,
zwingen sie, Soupers und Bälle zu geben, und hier ist sie der
Mittelpunkt der Höflichkeiten und Zudringlichkeiten einer Menge
Schmeichler. ^2'^) Darf es uns Wunder nehmen, daß sie sich vor
einer so glänzenden Gesellschaft ihres Gatten schämt ? Vielen
ihrer Besucher ist ja gänzlich unbekannt, daß der bescheidene
Mann in einem Winkel des Salons, der sich nur selten an der
Unterhaltung beteihgt, der Herr des Hauses ist. Wie wenig der
Gatte bei den festUchen Veranstaltungen, welche die vornehme
Frau gibt, in Betracht kommt, zeigen die Worte eines deutschen
Bankiers: ,,J'ai ete plus que trois semaines que je croyais qu'il
n'y avait ä I^aris que de veuves. . . . Parce qu'on soupe toujours
chez la dame, et le mari il n'est point de parole pour lui dans
le prie ä souper."^28j [)jg Prau fühlt sich durch die Anwesenheit
ihres Gatten belästigt und bedeutet ihm mit den Augen, daß
er den Salon verlassen möge. Aber er will sie nicht verstehen
und bleibt. Als man sich zu Tische setzt, weiß sie es so ein-
122) Prov. et Com. II, 317—319.
123) Prov. et Com. II. 351.
124) Bader, p. 112.
125) Prov. et Com. I, 83.
126) Taine, L'ancien regime.
127) Nouv. Prov. I, 252.
128) Prov. III, 399.
30 Hans Urschlechter.
zurichten, dal.i für ilin kein Platz bleibt; sie sagt zu ihm, er solle
mit dem Erzieher seiner Kinder speisen. ^2^)
Der Verkehr mit weltgewandten Männern läßt die Frau die
Schwächen ihres Gatten noch mehr herausfinden. Dieser hat ihr
zu wenig esprit; er besucht sie wohl zwanzigmal im Tage, ohne
ihr etwas zu sagen; ja, er gibt sich sogar mit tapisserie ab.^^^)
Ein Vergleich zwischen einem solchen Manne und dem eleganten
Marquis fällt natürlich zum Vorteil des letzteren aus. Um nun
ungestört mit ihrem Liebhaber leben zu können und ihren Mann
los zu werden, will sie aus dessen Leidenschaft für die Pferde
Nutzen ziehen. Sie heuchelt große Lust, das Reiten zu lernen.
Ihr Gatte ist entzückt und überhäuft sie mit Aufmerksamkeiten;
er schenkt ihr ein hochmodernes Reitkleid und kann vor Freude
kaum den Tag erwarten, an dem sie mit ihm ins Bois de Boulogne
reiten wird. Allein sein Entzücken dauert nicht lange: die Dame
gibt dem Pferde die Sporen und saust in rasendem Galopp davon.
Als sie endlich zurückkommt und lächelnd das schweißtriefende
Tier vor ihm anhält, ist ihr Mann vor Zorn über eine solche Tier-
quälerei außer sich. Er macht ihr bittere Vorwürfe, aber sie hat
ihren Zweck voll und ganz erreicht: seit dieser Zeit kommt er
nur noch zu ihr, wenn sie Gesellschaft bei sich hat. Eine Baronin,
welcher diese Geschichte erzählt wird, findet, daß die Frau
es sehr geistreich angestellt hat, um ihren Gatten los zu
werden. "*^^)
Infolge der vielen Verpflichtungen, welche das Hofleben in
Versailles mit sich bringt, muß der Mann sich oft lange von
seiner Frau trennen und diese lebt ganz nach ihrem Belieben.
Wenn er als Gesandter an einen fremden Hof gehen muß, so
denkt sie gar nicht daran, ihn zu begleiten. ,,Das fehlte mir
gerade noch!" sagt eine Frau auf die Bemerkung ihrer Kammer-
frau, daß ihr Gatte sie vielleicht auffordern könne, zu ihm nach
Straßburg zu kommen. Da bleibt sie schon lieber in Paris und
läßt sich von einem Chevalier den Hof machen. Der letzte Brief
ihres Mannes enthielt viele Liebenswürdigkeiten; ,,er ist vielleicht
gar in Sie verliebt" meint ihr Verehrer und sie erwidert, sie
glaube es fast selbst. Doch die Treue ihres Mannes hindert sie
in keiner Weise, Beziehungen zu dem Clievalier zu unterhalten.
Leider wird das schöne Verhältnis bald gestört. Man meldet
der Dame plötzUch, daß ihr Mann zurückgekehrt sei; sie will
ihren Liebhaber sogleich davon benachrichtigen, aber noch
während sie an dem Briefchen schreibt, kommt dieser zurück
und trifft mit dem Gatten seiner Angebeteten zusammen. Da er
diesen nicht kennt, wittert er in ihm einen Nebenbuhler und fordert
129) Prov. III, 401.
130) Prov. et Com. I, 325.
i''!) Prov. et Com. II, 47/48.
Dir K'onichnic /ranzösisr/ie Frau des AT///. Jahihmulcrls. :H
ihn auf, das Haus zu vtM'lassen. Die trouloso Frau «M-scheint auf
der Schwelle und sieht sich verraten. Was tut der betrogene
Gatte ? Er erklärt seiner Frau, daß er aus der Sache nichts
machen werde, daß sie aber den anderen nicht wiedersehen solle.
,,Wie, mein Herr, Sie denken vielleicht....'" erwidert sie im
Tone der gekränkten Unschuld. Aber ihr Mann weiß, woran ci-
ist und verläßt stillschweigend das Zimmer. ^^^j
Es ist klug von dem Manne, wenn er wegen der Untreue
seiner Frau keinen Lärm schlägt, sondern sich mit der vollendeten
Tatsache abfindet. Der Grundsatz, daß die Ehre des Mannes
zum großen Teil von der Treue seiner Frau abhänge, hat damals
schon keine Gültigkeit mehr.^^^) Im 18. Jahrhundert ist die
Eifersucht ,,de mauvais ton"^^'^) und wenn die Gesellschaft er-
fährt, daß ein Herr seiner Frau den \'erkelir mit einem anderen
verboten, so ist er ob seiner Eifersucht dem allgemeinen Gespötte
ausgesetzt. ^^^) ,,Wenn im 18. Jahrhundert ein Mann seine Frau
allein besitzen wollte, so würde er als ein ,,perturbateur de la
joie publique" betrachtet werden, als ein \'errückter, «der die
Segnungen des Sonnenhchtes allein genießen wollte. »"■'^^)
Und doch gibt es auch im 18. Jahrhundert noch Überbleibsel
aus der Zeit, wo man es mit den ehelichen Pflichten noch ge-
nauer nahm. Ein Herr überrascht eines Tages seine Frau, wie
sie ein Briefchen schreibt; er wünscht es sehen zu dürfen, sie
verweigert es. Das bestärkt seinen Verdacht, daß sie Beziehungen
zu einem Chevalier habe, der sie häufig besucht. Er verlangt
von ihr, daß sie den Verkehr mit dem Herrn abbreche. Kaum
ist er fort, so kommt der Liebhaber der Dame; sie teilt ihm das
Ansinnen ihres Gatten mit und knüpft daran die Betrachtung:
.,Voilä ä quoi nous exposent nos maris avec leurs facons!" Plötz-
lich kommt der Herr zurück; der Chevalier flüchtet sich in ein
anstoßendes Zimmer, vergißt aber in der Eile, seinen Hut mit-
zunehmen. Die Unterhaltung der beiden Gatten ist sehr ge-
zwungen und die Frau versucht alles, um ihren Mann zum Fort-
gehen zu bewegen. Endlich gelingt ihr dies; aber schon nacli
einigen Sekunden kommt er zurück, denn er hat gemerkt, daß
er einen falschen Hut hat. Er fragt seine Frau, ob der Chevalier
nicht dagewesen sei; sie verneint es. Da er dies nicht glauben
will, wird sie zornig: ,,Si vous allez vous mettre ä me tourmenter
comme cela, je n'y tiendrai pas; je vous en avertis." Da hält
er ihr den Hut des Chevalier hin; sie nimmt ihn, betrachtet ihn
und sagt kaltblütig: ,,Nun ja, wenn er besser ist, als der Ihrige,
so liaben Sie bei dem Tausch ja nur gewonnen." Aber der Gatte
i^--^) Prov. I, 108 ff.
133) Dejob.
134) Bader, p. 118.
135) Prov. 1, 249.
136) Bader, p. 118.
32 Hans Urschlechler.
nimmt die Sache nicht so leicht. Entrüstet über diese Unver-
frorenheit entgegnet er: „Ich werde Ihren Eltern über Ihr Be-
tragen berichten und wir werden uns scheiden lassen. "^^^)
Passen zwei Ehegatten gar nicht zueinander, so nimmt der
eine oder der andere Teil seine Zuflucht zur Scheidung. Wenn
die Eltern sehen, daß ihr Schwiegersohn das Vermögen seiner
Frau verschwendet, so klagen sie auf ,, Separation des biens;"^^^)
dadurch wird wenigstens verhindert, daß er auch seine Kinder
zu Bettlern macht. i^^) Der Prozeß wird am Chätelet anhängig
gemacht; ist ein Teil mit der Entscheidung dieses Gerichtshofes
nicht zufrieden, so kann er an das Parlement appellieren; ist
auch das Urteil des letzteren nicht nach seinem Wunsche, so
steht ihm noch die Berufung an den Conseil offen. ^^°) Der Aus-
gang der Scheidungsklage ist für die Frau in den meisten Fällen
nicht sehr verlockend: auf Grund des Ehevertrags werden ihr
2000 Taler Pension zugesprochen und sie muß sich in ein Kloster
zurückziehen. ^"^i) Die letztere Bestimmung wird gegen Ende des
Jahrhunderts nicht mehr so streng gehandhabt. Eine Frau hat
es sehr arg getrieben, so daß sich ihr Gatte von ihr scheiden ließ;
auch die Gesellschaft steht auf der Seite des Mannes und tadelt
das Benehmen der Frau. Das hindert diese nicht, ins Theater
zu gehen und sich noch mehr in der ÖffentUchkeit zu zeigen
als vorher. i'*^) Manchmal ist es dem Manne auch nur darum zu
tun, seine Frau los zu werden und er gibt ihr ihr ganzes ein-
gebrachtes Vermögen zurück. Eine so vornehme Handlungs-
weise findet den Beifall der Gesellschaft: ,,C'est se conduire on
ne peut pas plus noblement."^*^) Barbier sagt bezüglich der
Scheidung in seinem ,, Journal": ,,C'est tout commun ä present
que ces separations de mari ä femme par transaction."^^*)
Daneben gibt es auch Männer, denen es gar nicht einfällt,
sich scheiden zu lassen, die vielmehr aus dem Vorkehr ihrer Frau
mit hochstehenden Personen Nutzen zu ziehen wissen. Sie sind
so nobel, gar keine Eifersucht zu zeigen, aber sie lassen sich
für diese Noblesse durch hohe Ämter und einträgliche Stellen
entschädigen: ,,Mademoiselle votre fille est fort jolie, eile sera
une femme charmante; c'est par les femmes qu'on fait fortune:
tous les gens de la cour viendront chez eux; son mari ne sera
pas jaloux, il sait comment il faut se conduire avec ces gens-
lä, et que les femmes ä Paris ont toute liberte."^'^'^)
13') Prov. I, 258 fr.
138) Nouv. Prov. I, 249.
13») Prov. et Com. III, 10.
140) Prov. et Com. II, 341.
141) Prov. et Com. II, 339.
1*2) Prov. et Com. II, 362.
143) ibid.
144) Barbier, IV, 328.
145) Prov. III, 468.
Die vornehme französische Frau des XV1I1. Jahrhunderts. 33
Freilich hat doi' \'oi rCihrcr nicht immer so leichtes Spiel
wie bei den oben geschiJdiM-ten Frauen. Gar manciie empfinden
für ihren Gatten, wenn auoli nicht Liebe, so docli Achtung und
Dankbarkeit, und schrecken deshalb vor der ehelichen Untreue
zurück. Die Frau hat sich in keiner Weise über ihren Gatten
zu beklagen,^*'') er ist aufmerksam gegen sie^^^) und läßt ihr in
allem vollkommene Freiheit ;^'*^) wie sollte sie es über das Herz
bringen, einen solchen Mann zu betrügen ? Und doch kann auch
diese Frau dem Zeitgeiste, der die häusHchen Freuden nicht zu
kennen scheint und das Glück unter fremdem Dache sucht, auf
die Dauer meist nicht widerstehen und unterliegt schließhch den
süßen Lockungen des \'erführere. Das 18. Jahrimndert hat in
allem recht weitherzige Ansichten; so erlaubt es auch der Frau,
die in der Ehe nicht das gefunden hat, was sie zu finden hoffte,
,,de se recrier sur le choix qu'elle a fait."'^^^) Anfangs erschaudert
die Frau vor einer solch leichtfertigen Moral; wohl kennt sie die
Anschauungen der Gesellschaft über die eheliche Liebe, aber die
Achtung vor ihrem Gatten und das PfHchtbewußtsein sind in
ihr doch noch stärker, als die Neigung zu dem jungen Manne,
der sie fort und fort seiner Liebe versichert. \'or diesem Worte
Liebe erschrickt sie; sie verbietet ihm je wieder von seiner Liebe
zu sprechen, denn was sie für ihn fühle, sei eine bloße Freund-
schaft.^^^) Sie kämpft lange mit sich, aber sie findet nicht die
moraUsche Kraft, den Verehrer abzuweisen. ,,Er liebt mich ja
aufrichtig,'" meint sie, ,,und ^^^rd mir treu sein."^^^) So übt das
süße Gift mehr und mehr seine Wirkung aus, aber ihre Gewissens-
bisse vermag es nicht zu betäuben: immer kehrt ihr der Gedanke
wieder, ihr Liebhaber könne sie betrügen und sie habe für einen
Undankbaren all diese schweren inneren Kämpfe ausgestanden.^^-)
Wenn wir sehen, wie viele Frauen ihre Männer hintergehen,
die einen kaltlächelnd und ohne das geringste Schuldbewußtsein,
die anderen nach langen seelischen Kämpfen, könnten wir viel-
leicht geneigt sein, die Frau allein für die Zerrüttung des Familien-
lebens verantwortlich zu machen. Damit würden wir ihr bitter
unrecht tun und gleichzeitig iliren Gatten in ein unverdient
günstiges Licht setzen. Der junge Mann des 18. .Jahrhunderts
ist, ebenso wie das junge Mädchen, infolge seiner ganzen Er-
ziehung zum Mustergatten wenig geeignet. Er hat selten etwas
Ordentliches gelernt, ist aber fast immer ein guter Spieler und
ein gewiegter Sportsmann; frühmorgens reitet er aus oder ver-
146) prov. J, 352; II, 276; Prov. et Com. I, 343.
"■^) Prov. et Com. I, 373.
"8) Prov. et Com. I, 22.
"9) Prov. II, 479.
150) Prov et Com. I, 330.
151) Prov. 11, 475.
152) Prov. II, 476.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII*. 3
34 Hans Urschlechler.
bringt seinen Vormittag im Boudoir einer Tänzerin i^^-"^) am iVbend
geht er ins Theater, besucht die Salons und schneidet den Damen,
jungen wie alten, die Cour.
Tritt nun ein solcher junger Herr in die Ehe, so müßte er
eigentlich auf manche der gewohnten Vergnügen verzichten. Im
Anfang geht dies ja auch leidlich, aber bald wird ihm das ewige
Einerlei des Familienlebens langweilig; er sehnt sich nach Ab-
wechslung und kommt so nach und nach zu seinen früheren
Lebensgewohnheiten zurück. Er besucht wieder die Salons und
sagt anderen Frauen Liebenswürdigkeiten, während er die seinige
stillen Betrachtungen über die Vergänglichkeit der Liebe über-
läßt. ,,Ach!"' ruft eine junge Frau aus, ,, warum kann man sich
doch nicliL immer lieben wie vor der Heirat! Ist es denn eine
Schande, seine eigene Frau ebenso gut zu behandeln wie die
eines andern ?"i54j Djg Gesellschaft findet dieses Benehmen des
Mannes ganz selbstverständUch: ,,L'opinion n'imposait pas la
vertu aux femmes, mais pas davantage l'amour ä leurs maris;
eile stipulait seulement, pour elles comme pour eux, une com-
plete liberte."^^^)
Der Mann macht vun dieser Freiheit zuweilen einen recht
ausgiebigen Gebrauch. Daß er die Frauen seiner Bekannten den
Hof macht, wäre am Ende noch nicht so schlimm; aber in den
Liebesaffären mit Damen der Gesellschaft findet er nur eine
Zeitlang seine Befriedigung. Bald können ihn derartige Ver-
hältnisse nicht mehr fesseln und er nimmt seine Zuflucht zum
letzten Mittel, um seine abgestumpften Sinne zu erregen, zur
Dirne^^®): ,,Je suis plus d'äge a rechercher les femmes de la societö
et je veux avoir une fille de l'Opera."^^'^) Die Tänzerinnen und
Figurantinnen der Oper werden von alten und jungen Theater-
habitues viel begehrt; ,,die Oper, d. h. die Tänzerinnen, vordreht
allen Männern den Kopf."*^®)
Diese für das 18. Jahrhundert charakteristische Talsache
mag uns, die wir unsere modernen Theaterverhältnisse gewöhnt
sind, auf den ersten Blick befremden, allein wir werden sie vollauf
begreifen, wenn wir uns die Herkunft und die Zusammensetzung
des Bühnenpersonals genauer betrachten. Die Dirne, die an
den Straßenecken und in den Gassen der Vorstädte ihre Opfer
an sich zu locken suchte, wurde von der Polizei scharf verfolgt:
sie wurde ins Hopitfd geschickt und, wenn sie rückfällig wurde,
mit schweren körperUchen Strafen belegt. Auf die Mitglieder
der Pariser Bühnen jedoch wurden diese strengen gesetzlichen
153) Nouv. Prov. II, lOUff.; 148; 266. — Prov. et Com. H. 148.
154) Prov. III, 203/04.
155) Dejob, p. 90.
156) Nouv. Prov. I, 253.
15") Nouv. Prov. II, 103.
158) Prov. et Com. II, 147.
Die vonii'linii' französische Frau des Will. Jalirlniii<lerls. 35
Bestimmungen fast gar nicht angewaiult. WVnn ein Mädchen
in die Mitgliederlisten der Oper, der Comedie Frangaise oder eines
der übrigen großen Pariser Theater eijigetragen war, so war es
damit der Polizeigewalt entrückt und genoß gewissermaßen eine
Art Unverletzlichkeit. Ja sogar die Eltern des Mädchens, die
mit dessen Beti'agen unzufrieden waren, hatten v^on nun an keine
Macht mehr über ihre Tochter. Wie begehrenswert mußte also
eine solche Stelle an einem Theater, wo die letzte der Figuran-
tinnen eine vollkommene Freiheit genoß, für so manches leicht-
fertige junge Mädchen sein! Und wie drängten sie sich dazu,
unter das Bühnenpersonal aufgenommen zu werden! Baudouin
führt uns in einem Bilde, das den bezeichnenden Titel ,,Le chemin
ä la fortune ?■' trägt, in eines dieser Theaterbureaus; daß es bei
der Aufnahme weniger auf wirkliches Können als auf körperliche
Reize ankommt, ist leicht erklärlich. ^^^)
Nach dem Gesagten wird es uns nicht mehr wundern, daß
im 18. Jahrhundert das Theater ein so großes Kontingent zur
r^rostitution stellt. Das Bekanntwerden mit den Tänzerinnen bietet
dem Manne keine großen Schwierigkeiten. Die Proben ermöglichen
ihm eine leichte Annäherung; in den Zwischenpausen der Vor-
stellung unterhält er sich mit ihr hinter den Kulissen oder er läßt sie,
wie ein Gemälde Moreaus^^^) ersehen läßt, in seine Loge kommen.
Am Morgen besucht er sie in ihrer Wohnung und verbringt den
ganzen Vormittag bei ihr.^^^) Natürlich glaubt er bald, daß das
Mädchen ihn wirklich liebe; da er weiß, daß er bei der Schönen
noch Nebenbuhler hat, macht er ihr wertvolle Geschenke und
sucht sich ihre Liebe durch das Versprechen einer Jaliresrente
zu sichern. 1^2) Das Mädchen geht recht schlau zu Werke imd
weiß aus seinem Liebhaber hohe Summen herauszupressen.
Selbst aus ihrer Treulosigkeit weiß die Dirne Kapital zu schlagen;
wenn ihr Verehrer sich darüber beklagt, daß sie ihm einen reichen
Engländer vorziehe, so beteuert sie ihm, daß sie diesen fortjagen
werde^^3) ^^d ihn allein liebe; die vielversprechenden Worte ihres
Briefes: ,, Adieu, mon eher Marquis, je te souhaite le bonsoir.
Quand nous reveillerons-nous ensemble dans les bras Tun de
Tautre, pour nous donner le bonjour ?"^ö*) verscheuchen in ihm
den letzten Zweifel an ihrer Liebe und gerne macht er ihr das
gewünschte Geschenk.
Die Bildung dieser Mädchen ist oft nicht groß;^^^) darauf
kommt es aber auch gar nicht an; wenn sie nur immer lustig
159) Vgl. auch Augustin de Saint-Aubin, .,La Promenade des
remparts de Paris" und Debucourt, ,,La Promenade au Palais-Royal."
160) Ygj Moreau, La petita löge.
i«i) Prov. et Com. II, 148.
162) Nouv. Prov. II, 110.
163) Prov. et Com. III, 10.
164) Prov. et Com. III, 11/12.
165) Nouv. Prov. II, 108/09.
3*
36 Hans Urschlechter.
sind, so isl das schon genug, um zu gefallen: ,,Amelie est bete
ä manger du foin; eile dit des choses impayables! olle ne sait
ni la valeur des mots ni la valeur des choses; mais olle rit tou-
jours; je la trouve tres amüsante. "i^^) Auch mit der Schönheit
ist es bei vielen nicht weit her: ,,Elle n'est pas trop jolie; olle
est un peu brune, mais eile est fort piquante;"^^'^) eine andere hat
,,une boucho pincee" und ist geradezu häßlich •,^^^) eine dritte ist
durchaus nicht hübsch, aber sie hat ,,de cos physionomios que
los hommos aiment toujours beaucoup".^^^) Ein Marquis hat eine
Tänzerin zur Geliebten, die er schon als Nähmädchon kannte,
und die damals viel frischer und schöner war.^'*')
Eine besondere Genugtuung bereitet es dem Manne, wenn
er einem Bekannten seine Geliebte wegschnappen kann;^'^^) auch
der Onkel ist vor der Rivalität seines Neffen nicht sicher und
vielfach hat der letztere mehr Glück. ^'^'') Die Dirne wird als eine
Art ,,bien public" angesehen, auf das jedermann ein Anrocht
liat: ,,.... et puis tout le monde l'a eue, il faut que j'aio mon
tour."-'^^) Viele Ehemänner vernachlässigen ihre Frau vollständig
und laufen nur den Dirnen nach;^^*) sie unterhalten eine ,,potite
maison", wo sie regelmäßig mit ihrer Geliebten zusammen-
kommen.^'^^) Wenn die Beiden sich auf der Straße begegnen,
verrät das Mädchen mit keinem Bück, daß es den Herrn kennt. i'^^)
Barbier bezeugt uns die weite Verbreitung des Dirnen-
wesens in der damaligen Zeit: ,,.... si c'ost parco quo le Roi a
une maitresse, mais qui n'en a pas ? Hors M. le duc d'Orleans,
qui est retire ä Sainte Genovievo et qui est tres meprise avec
raison." ^'''^) Wir können unser Urteil über den Ehemann des
18. Jahrhunderts in den Satz zusammenfassen: ,,Pour faire un bon
mari, le jeune homme du dix-huitieme siecle aime trop les femmes."
Dieser Verkehr ihres Gatten mit Dirnen kann der Frau
auf die Dauer nicht verborgen bleiben. Wenn sie ilnn nun des-
halb Vorhalt macht, so weiß er die Sache als ,,onfance" oder
als harmlosen Spaß hinzustellen.^'^) Allein die Frau weiß, daß
hinter einem solchen Verhältnis mehr steckt: ,,Los goüts pour
los filles sont ce qu'il y a de plus i'edoutabl<> pour nous";!''^) sie
166) Ppov. et Com. II, 74.
1«') Prov. et Com. II, 75.
168) Prov. I, 126.
169) Prov. et Com. II. 121.
"ö) Prov. et Com. I, 80.
i'i) Nouv. Prov. I, 202.
"2) Prov. et Com. II, 121.
"3) Prov. et Com. II, 75.
"*) Prov. et Com. I. 30.
1'*) Nouv. Prov. II, 97.
i"6) Prov. et Com. II, 378'.
1") Barbier, IV, 496.
i'8) Prov. et Com. I, 286.
1'«) ibid.
Die vornehnic französische Frau des XVIII. Jahrluiiulerls. 37
sieht nur 7X\ gut voraus, wohin ihr Mann kommt mit diesen
,,goüts passagers qu'il faut renouveler sans cesse".^^^) Liebt sie
ihren Gatten, so muB sein Benehmen sie tief betrüben. Ein
Baron macht seine Gemahlin unglücklich ,,par uno conduite
epouvantable".^^^) Eine Dame, die schon lange in der Gesell-
schaft ist, findet es ganz begreiflich, daß viele junge Frauen
ihre Männer nicht dauernd an sicii fesseln können, ,,comme elles
n'ont pas le ton des danseuses."^^-)
Wie findet sich die so vernachlässigte Frau mit der Untreue
ihres Gatten ab ? Manchmal sieht sie es sogar ganz gerne, wenn
ihr Mann anderen Frauen den Hof macht; das gibt auch ihr das
Recht, ihre eigenen Wege zu gehen: ,,Les maris ont des amuse-
ments particuliers; et pour que nous ne les leur reprochions pas,
ils nous laissent decider de ce qui nous plait."^^^) Nun ihr Gatte
fast völlig taub geworden ist und seine Rolle in den Salons aus-
gespielt hat, klagt sie: ,,Eh bien, tout cela est fini, et il m'est
retombe sur les bras."^^*) Eine andere nimmt ein Dienstmädchen,
das ihr Gatte ,,aimc beaucoup" und von dem er immer behauptet,
daß es noch eine Tänzerin werden könne. ^^^)
Zuweilen ist die Frau edelmütig genug, um dem Treulosen
nicht mit Gleichem zu vergelten. Sie hat ihren Gatten aus
Liebe geheiratet und fest darauf gebaut, daß er ihr treu bleiben
werde. Nun sieht sie ihr Vertrauen getäuscht: soll sie bei anderen
Männern suchen, was sie bei dem einen nicht fand? Wenn er
ihr die Treue nicht zu halten vermochte, was hat sie da von
den anderen zu erwarten ? Diese Erwägungen geben ihr die
Kraft, ihr Unglück standhaft und ohne Murren zu ertragen. ^^*^)
Aber nicht jede Frau ist so willensstark, daß sie ihre ge-
täuschten Hoffnungen still und ohne Klage zu Grabe tragen
kann: sieht sie sich von ihrem Gatten betrogen, so besteht auch
für sie kein Anlaß mehr, die eheliche Treue zu bewahren. Lange
kann sie an die Schuld ihres Mannes nicht glauben und weist die
Liebes Werbungen eines Chevalier ab. ,,Si mon mari me trom-
pait! ... Mais cela n'est pas possible."^^'^) Der Chevalier erbietet
sich, den Beweis für seine Behauptung zu erbringen, falls sie
ihn dann erhören will. Nach langem Zögern willigt sie ein. In
einem Domino, welcher dem einer Frau von Orville aufs Haar
gleicht, begibt sie sich auf einen Maskenball, den diese Dame
gibt. Bald hat ihr Gatte sie erspäht und in der Meinung, seine
Angebetete vor sich zu haben, beteuert er ihr seine leidenschaft-
180) prov. et Com. III, 8.
181) Prov. et Com. III, 14.
182) Prov et Com. II, 148.
183) Ppov et Com. II, 146.
184) Prov. et Com. II. 175.
185) Prov. et Com. II, 121.
186) Prov. et Com. II, 286/87.
IS'?) Prov. I, 352.
38 Hans Urschlechter.
liehe Liebe. Da sie als Beweis für die Aufrichtigkeit seiner Worte
das Porträt seiner Frau verlangt, gibt er es ihr mit den Worten:
,,Ah, qua ne me demandez-vous quelque chose de plus difficile ?"188)
Die Frau ist nun von der Untreue ihres Gatten überzeugt und
hält das Versprechen, das sie dem Chevalier gegeben hat.
So mögen es wohl die meisten der betrogenen Frauen ge-
macht haben und sie haben dabei die öffentliche Meinung auf
ihrer Seite: ,,Une femme que son mari abandonne, est un effet
qui doit rentrer dans la societe".^^^)
Carmontelle durfte natürlich die betrogene Gattin, die nun
ihrerseits ihren Gatten hintergeht, nicht in ihrer ganzen Ver-
worfenheit auf die Bühne bringen. Vieles deutet er nur leise
an und in den betreffenden Stücken ist viel zwischen den Zeilen
zu lesen. Wenn einmal die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts
einer Frau nachsagt, sie sei ,,un peu legere", ^^^) so läßt dieses
Wort eine recht weite Auffassung zu. Ein Herr erzählt von
seiner Gattin, daß sie es mit einem Chevalier sehr gut könne;
der letztere erfährt diese Äußerung von einem Freunde und
ruft entrüstet aus: ,,I1 pense aussi mal de sa femme!" Der andere
erwidert ihm gelassen: ,, Aussi mal, aussi mal: voilä de grands
mots."^^^) Er findet es also ganz in der Ordnung, daß die Frau
dem Beispiele ihres Gatten folgend, außerhalb der Ehe Genüsse
sucht.
Die rein platonische Liebe bildet wohl nui* in den seltensten
Fällen den Gegenstand dieser Liebschaften. Aus einer Stelle
bei Carmontelle geht dies klar hervor: Eine Frau möchte aufs
Land gehen, fürchtet aber, daß ihr Gatte ihr Schwierigkeiten
machen könnte. Sie will sich deshalb von ihrem Hausarzt einen
längeren Landaufenthalt, verbunden mit einer Milchkur verordnen
lassen; dagegen wird ihr Gatte nichts sagen können. Der Arzt
kommt; er fragt die Dame nicht erst lange was ihr fehle; er
weiß es ja schon im voraus : ,,C'est votre mari qui vous embarrasse ?"
Madame de Breville: ,,Oui, comment savez-vous cela ?"
Le docteui': ,,Parce qu'il n'y a rien de si commun; mais il
est encore temps de vous tirer d'affaire vis-ä-vis de lui. Vous
n'etes pas brouilles ensemble ?"
Madame de B.: ,,Non; pourquoi ?"
Le docteur: ,,Tant mieux, parce que les rapprocliements
scront plus faciles".
Madame de B.: ,,Les rapprochements ?"
Le docteur: ,,Oui, pour ce que vous desiriez: vous l'amenerez
lä aisement; quand unc feiiinx' est jolie, cela lui est facile."
188) Prov. 1, 359.
189) Piuv. 1, 355.
190) prov. oi Com. II, 17L
191) Nouv. Prov. I, 224.
Die vornehme jraiizösiselie Frau des XVIII. Johrlmiulerls. 39
Madame de B.: ,,Je ne vous comprends pas".
Le docteur: ,,I1 n'a pu se douter de rien encore ?"
Madame de B.: ,,De ce qua j'ai a vous dire ?"
Le docteur: ,,Oui; vous n'avez jias ou de maux de coeur
devant liii ?"
Madame de B.: ,,Quoi! imagineriez-vous que je suis grosse ?'
Le docteur: ,,Sürement. Est-ce que cc n'est pas cela ?"
Madame de B.: ,,Vous pourriez penser ? En verite,
docteur, il est bien vilain ä vous de croire cela de moi!"
Le docteur: ,,C'est de votre mari dont je pensais mal/'
Madame de B.: ,,r)e mon mari?"
Le docteur: ,,Oui; quand les maris negligent leurs femmes,
il n'est pas surprenant . . . ."'^^^)
Der gute Doktor scheint auf diesem Gebiete eine reiche
Erfahrung zu besitzen und wir dürfen wohl annehmen, daß
seine Diagnose nicht immer so falsch war wie in dem obigen Falle.
Wir wollen unsere Untersuchung in dieser Richtung nicht
weiter fortsetzen. Daß eine Frau, die sich einmal auf die schlüpf-
rige Bahn des Ehebruchs begeben hat, immer tiefer fallen muß,
sagt Boileau in den bekannten Versen seiner zehnten Satire:
,,Dans le crime il suffit qu'une fois on debute;
Une chute toujours attire une autre chute.
L'honneur est comme une ile escarpee et sans bords:
On n'y peut plus rentrer des qu'on en est dehors,"
und um zu erkennen, um wie viel das Laster bei der Frau häß-
licher ist als beim Manne, lassen wir eine Frau selbst reden:
,,When women fall, they fall deeper than men, because the only
sense of honour allowed them by society departs, if once the
purity of their lives is tainted".^^^)
,,La nature mele dans ses creations, sans pourtant les con-
fondre, l'ombre ä la lumiere, le grotesque au sublime. "^^^) Diese
Worte Mctor Hugos gelten auch vom 18. Jahrhundert; wenn
hier auch die Schatten überwiegen, so fehlt doch auch das Licht
keineswegs. Inmitten so vieler pflichtvergessener Frauen gibt
es auch manche tugendhafte Gattin, die in der innigen Liebe
zu ihrem Manne und ihren Kindern ihre volle Befriedigung findet;
je allgemeiner die Zersetzung des Familienlebens ist, desto er-
habener erscheinen diese Beispiele eheUchen Glückes.
Auch Carmontelle zeigt uns in einigen Stücken ein schönes,
harmonisches Familienleben. Welche Zufriedenheit spricht nicht
aus den Worten einer Frau: ,,Wie sollte ich nicht bestrebt sein,
einem Manne zu gefallen, den ich liebe und achte ? Unser Glück
hängt von uns seihst ab; mein Gatte flieht den Umgang mit
192) p,,ov. et Com. II, 331/32.
1^^) Kavanagh, vol. I, p. 12.
1^*) Victor Hugo, Preface de Cromwell.
40 Hans Urschlechter.
frivolen, leichtsinnigen und hinterlistigen Menschen; wie sollte
nicht auch ich sie hassen und wie könnte ich sie fürchten ? Liebe
und Achtung sind nicht immer beisammen, aber wo sie es sind,
kann nichts in der Welt ein solches Verhältnis stören. "^^^)
Die wollustgetränkte Luft von Paris, ,,oü Ion ne connait les
gens avec qui l'on vit le plus, et sa femme encore moins que les
autres",^^^) ist einem guten Familienleben nicht zuträglich. Des
halb flüchtet sich das liebende Herz, das inmitten der glänzenden
Gesellschaft zu erstarren droht, auf das Land und findet hier
in dem friedlichen Rauschen der Bäume und in dem Anblick
des ,, Grünen", dessen ganze poetische Kraft Rousseau seinen
Zeitgenossen enthüllt hat, seine Ruhe und seinen Frieden wieder.
Hier geht der Frau das Herz auf für die Annehmlichkeiten des
Familienlebens und für die Freuden des häuslichen Herdes.
Sie, die bis vor kurzem ,,ne voyait que Paris dans lo monde",^^^)
fühlt sich unsagbar wohl in der ländlichen Stille; hier ist sie
geschützt vor den Wogen des gesellschaftlichen Lebens und kann
sich gajiz ihrer Familie widmen. Eine liebevolle Gattin zu sein
und sich der Liebe ihres Gatten wert zu zeigen, das soll von nun
an ilu' ganzes Restreben sein.^^^)
Die wahre Liebe zeigt sich im Unglück. Da finden sich
Herzen, welche das Schw^elgen in Glück und Wohlstand gleich-
gültig gemacht hat, wieder zusammen; da zeigt sich auch am
schönsten die große, unbegrenzte Liebe, deren das Frauenherz
fähig ist. Weit davon entfernt ihrem Gatten, der durch seine
edelmütige Hilfsbereitschaft sein ganzes Vermögen verloren
hat, Vorwürfe zu machon, sucht die Frau ihn über seinen schweren
Verlust zu trösten. Alle Entbehrungen will sie redlich mit ihm
teilen und der Verlust ihres Ansehens in der Gesellschaft hat
nichts Schreckliches für sie. ,,Sachons nous restreindre au seul
necessaire; dans cette solitude, nous no craindrons pas les regards
de ceux qui veulent qu'on rougisse de n'avoir plus que la vertu. "^^^)
Solange sie ihren Gatten hat, ist sie nicht unglücklich: ,,Bist du
denn nicht mein ganzes Glück ? Was brauche ich denn mehr ?"2W))
Um die verzweifelte Lage ihres Mannes zu bessern, läßt sie sogar
die demütigenden Äußerungen einer vermeintlichen Freundin
über sich ergehen. Als das letzte Mittel, eine Bes.serung ihrer
Lage herbeizuführen, fehlschlägt, ruft sie: ,,Nun, dann laß uns
sterben, nichts soll uns trennen, selbst nicht der Tod."^^^) Als
endlich Rettung kommt, denkt sie in ihrer Freude zuerst an ihren
i»5) Prov. in, 27.
19«) Prov. III, 450.
19') Prov. 111, 449.
198) Prov. 111, 448 ff.
199) Prov. II, 328.
200) Prov. II, 332.
201) Prov. II, 340.
Die i'onic/iftif fraiizösisrhc Fidti des XVIII. .hihrhanderls. 41
Gatten: ,,11 m'ost bion doiix cl(> n'avoir plus licii ;"i naindio |)()ur
vous. ^^-)
Dies«' Beispiele wahrer laiche werden unser Urteil id)er das
Familienleben des 18. Jaluhunderts sicherlich etwas mildern
und uns zeigen, daß Du BIed recht hat mit seiner Behauptung:
,,Le dix-huitieme siecle a eu, lui aussi, ses parfaits exemples
de tendresse conjugale; en ce temps aussi on mourait d'amour,
on etait fidele."203)
Dürfen wir von einer Frau, die es mit ihren ehelichen Pflichten
so leicht nimmt, erwarten, daß sie eine gute Mutter sei ? Gewiß
nicht. Von der Sorge, die sie für die Erziehung ihrer Töchter
trägt, war schon die Rede. Die wSöhne kommen in der Regel
etwas besser weg und scheinen ihrem Herzen durchweg näher
zu stehen. So hat eine Frau mit ihrem Sohne, der in der Leib-
garde dient und bei jedem Wetter ausrücken und exerzieren
muß, großes Bedauern. ^^*) Wenn es nicht schon zu spät wäre,
würde sie ihm raten, sich der Jurisprudenz zu widmen; da sie
unter den Angehörigen dieses Standes viele Bekannte hat, wäre
ihr Sohn sicherlich emporgekommen und eine Stelle im Staats-
rate wäre ihm sicher gewesen. ^^^) Aber bei seiner ausgesprochenen
Leidenschaft für die Pferde, wagte sie ihm diesen Vorschlag
gar nicht zu machen. ,,Man ist sehr unglücklich", seufzt sie,
,,wenn man Mutter ist und seine Kinder lieb hat."-^'')
Dem Vater gegenüber, der an dem Benehmen seines Sohnes
viel zu tadeln findet, spielt sie die Rolle der \'ermittlerin. Sie
nimmt ihren Sohn stets in Schutz und weiß auf alle Vorwürfe
ihres Gatten eine Entschuldigung. Sein vieles Fernsein von
zu Hause erklärt sie damit, daß man überall von ihm entzückt
sei und daß alle Welt ihn haben wolle. Er ist sehr wißbegierig
und nimmt an allen möglichen Vorlesungen in verschiedenen
Teilen von Paris teil; da er auf Wunsch seines Vaters seinen
Wagen und seine Pferde verkauft hat, muß er den ganzen Weg
zu Fuß machen, und da ist es doch gar nicht zu verwundern,
daß er mittags zu spät heimkommt. Gegen seine Braut zeigt
er seit einiger Zeit eine auffallende Zurückhaltung; sein Vater
schließt daraus, daß er irgendwo ein Verhältnis habe, das ihn die
Verlobte vergessen lasse. Aber die Mutter erblickt darin nur
ein gewisses Zartgefühl, von dem die Männer nichts verstehen;
sie liebt ihren Sohn leidenschaftlich und ist überzeugt, daß er
nichts Unehrenhaftes tut: ,,Si les garcons n'avaient pas le coeur
d'une mere pour se refugier, pour se mettre quelquefois ä
202) prov. II, 341.
203) Du Bled, Com. Soc. p. 194.
204) Prov. et Com. II, 145.
205) pi-ov. et Com. II, 146.
206) il)id.
42 Hans Urschlechler.
l'abri do la severite de leur pere, ils seraient aussi trop a
plaindre."207)
In ihrer Affenliebe geht die Mutter so weit, daß sie auch in
den Schwächen und Lastern ihres Sohnes noch Anlaß zur Eitel-
keit findet. Sie weiß, daß ihr Sohn seine Frau auf jede Weise
vernachlässigt und seine Zeit bei Tänzerinnen verbringt; anstatt
ihm wegen seines ungeziemenden Benehmens Vorhalt zu machen,
bildet sie sich noch etwas darauf ein, daß diese Geschöpfe für
ihren Sohn schwärmen und an seiner Unterhaltung Gefallen
finden. 2^^) Sie findet es ganz begreiflich, daß eine Frau, die
nicht das Gebahren der Dirnen hat, ihrem Manne nicht lange
gefallen kann. Aber sie ist sich ihrer Mutterpfhchten bewußt:
den lockeren Vogel behindert sie in seinem Tun und Treiben
in keiner Weise; dafür schleppt sie ihre Schwiegertochter, die über
das Verhalten ihres Gatten tief unglücklich ist, auf alle Bälle und
sonstigen Vei'gnügen. Da die junge Frau, statt an dem abweclis-
lungsreichen Leben Gefallen zu finden, immer trauriger und teil-
nahmsloser wird, wird sie der Dame eine Last und diese ist froh,
als sie sich endlich an einige andere junge Frauen anschließt. ^09)
Die Liebe der vornehmen Frau zu ihrer Tochter äußert sich
vor allem darin, daß sie dieselbe von fridier Jugend an auf die
Bälle führt. ^^^) Die jungen Mädchen lernen — ob zu ihrem
Vorteil ist eine andere Frage — frühzeitig den Ton der Gesell-
schaft kennen und legen oft ein recht freies Benehmen an den
Tag; in ihren Ausdrücken ahmen sie die jungen Herren so ge-
schickt nach, daß sie von diesen wie ihresgleichen behandelt und
von ihnen betrachtet werden, ,,comme de jeunes polissons regar-
dent ]purs camarades."2ii) Den Gi'und für diese bedenkliche Er-
scheinung erblickt Carmontelle in der verkehrten Erziehung der
Mädchen durch ihre Mütter: ,,.... elles ne leur prescrivent pas
une conduite assez reservee. Dans les bals elles les abandonnent
aux libertes des jeunes gens, que leur presence ne reticnt pas,
puisqu'elles applaudissent ä tout celä."2i2)
Die Sehnsucht der verheirateten Frau nach dem W'itwen-
stande ist ziemlich verbreitet^^^) und manchmal spricht sie
diesen W'unsch ganz unumwunden aus.-^^) Oft war ihre Ehe eine
recht trübe: ihre Eltern hatten sie an einen Mann verheiratet,
den sie nicht liebte; er war ein ,,libertin",2^^) dei' seine Frau in
20") Noiiv. Prov. II, lOL
208) Prov. et Com. II, 148.
209) Pn.v. et Com. II, 148/49.
210) Prov. et Com. II, 152.
211) Nouv. Prov. I, 247.
212) Nouv. Prov. I, 247.
213) Prov. III, 401.
21-«) Prov. I, 61.
215) Prov. et Com. I, 30.
Die voniehnw jraiizösischf Frau des Will. Jahrhunderts. 4.'i
jed(>r \^Vis(' vernachlässigte; nun er gestorben ist, kann sie ihrer
Neigung l'olgfMi und ilucn früheren Geliebten heiraten. ^^^) Manche
Witwe kann gar nicht begreifen, wie eine Frau ein zweites Mal
heiraten kann;^^') wenn man reich ist, gibt es gar niclits Schöneres,
als Witwe zu sein, denn man kann da tun und lassen was man
will. 218) W^enn freilich die Frau durch ihren Gatten in ihrer
Freiheit nicht im gei'ingsten behindert wurde, hat sie durch dessen
Tod niclits gewonnen und auch nichts verloren; sie ist immer
,,au meme point".-'^) Eine andere aber hatte viel unter der Eifer-
sucht ihres Mannes zu leiden und ist froh, ihre Freiheit wieder
erlangt zu haben. 2'^^) Sie will nicht wieder hinraten, denn ,,elle
aime sa liberte". Das ist jedocii in den Augen ihres Onkels
kein Grund: ,,Les femmes sont-elles genees ä Paris ? Au conti-aire,
elles y regnent en souveraines."'-^^) Es wäre auch wirklich schade,
wenn sie mit ihren zwanzig Jahren sich nicht wieder verheiraten
wollte, denn sie hat ,,tous les caprices, toutes les fantaisies, et
meme les nerfs des femmes de Paris". ^^2)
in. Das Leben in der Gesellschaft.
,,Ce n'est guore eonnaitre la vie des femmes du
monde que de la croire aisee; eile est plus austere
que la vie retiree."
(,,La Mode", Comedie de ^Inie de Staal-Delaunay).
Die Sorge für ihre Familie spielt in dem Leben der vor-
nehmen Frau nur eine untergeordnete Rolle; sie muß zuiiick-
treten vor den weitaus wichtigeren und ungleich mannigfaltigeren
Verpflichtungen, die sie der Gesellschaft gegenüber hat. Für die
Gesellschaft ist sie erzogen und für die Gesellschaft lebt sie.
Ihr Hauptaugenmerk ist darauf gerichtet, wie sie den Platz, den
die Welt ihr eingeräumt hat, behaupten und ihren Machtbereich
womöglich noch erweitern kann. Wir müssen deshalb auch die
vornehme Frau in ihrem gesellschaftlichen Leben studieren, wenn
wir ein vollständiges und lebenswahres Bild von ihr gewinnen
wollen.
Eine Frühaufsteherin ist die Dame in der Regel nicht: Eine
Frau möchte gerne einmal das interessante Treibhaus des Abbe
besichtigen, gibt dieses Vorhaben aber auf. da sie hört, daß der
216) Prov. et Com. L 31 (> if.
-1') Prov. et Com. 1, 22.
-18) Prov. et Com. II, 261.
219) Prov. et Com. I, 22.
220) Nouv. Prov. II. 35.
221) Nouv. Prov. II, 255.
222) Nouv. Prov. II, 253.
44 Hans Ur schlechter.
Abbe täglich schon um 7 Uhr hingelit.223) Der Gärtner eines
Kommandeurs soll am nächsten Morgen in die Blumenbeete
frische Topfblumen einsetzen und damit fertig sein, bis die Damen
in den Garten kommen. ,,Da brauche ich mich nicht sehr zu be-
eilen," meint er, ,,danscetemps-lä.j'auronsdejämangelasoupe."'^^*)
Wenn die Dame ja einmal sich früher erhebt, so geschieht dies,
weil sie ,, tausend Sachen zu besorgen hat,"225) ^der weil sie mit
einigen Freundinnen einen Spazierritt verabredet hat.^^^)
Für gewöhnlich beginnt der Tag der vornehmen Dame erst
gegen elf Uhr. Der ,,petit jour" einer Dame, sagt Mercier, be-
ginnt um elf Uhr;^^'^) Besucher, die vor dieser Zeit kommen,
werden abgewiesen, ,,parce qu'il n'est pas encore jour."228) j)j(i
erste Toilette macht die Dame in der Abgeschlossenheit; auch ihr
bevorzugtester Liebhaber dürfte es nicht wagen, sie dabei zu
überraschen. ^^^) Im Bette sitzend, trinkt sie die ihr von einer
Zofe dargebotene Schokolade ; dann läßt sie sich von ihrer Kammer-
frau einen Bock überwerfen und die eleganten Pantoffeln an-
ziehen. Sodann nimmt sie in einem bequemen Fauteuil vor
ihrem Toilettentisch Platz, über dem ein großer, von Spitzen und
Musselin umrahmter Spiegel angebracht ist. Nun legt ihr eine
Zofe das Korsett an, das hinten zugeschnürt wird. Ist dies ge-
schehen, so ist die Zeit des grand lever gekommen und die Be-
sucher haben Zutritt. In einem feinen, durchscheinenden Peignoir
empfängt sie die ersten Besucher. ^^^)
Wir haben zwei Stiche, die uns die Dame bei der zweiten
Toilette zeigen. In dem ersten gewährt uns Baudouin, der
.Seh wiege rso Im Bouchers, einen Einblick in das Toilettenzimmer
einer Dame, die sich in Gegenwart ihres Anbeters ankleiden
läßt. 2^^) Das Zimmer erinnert noch an die Rokokozeit, verrät
aber bereits die Anfänge der Antike. Im Kostüm, in der Frisur
und der Körperhaltung zeigt sich das gleiche Streben zum Schlan-
ken und "Niedlichen. Das Haar ist ganz aus dem Nacken nach
oben gekämmt, damit der Hals desto schlanker erscheint. Die
Taille wird durch ein hohes Leibchen zusammengepreßt, mit
dessen Sclmürung die Zofe beschäftigt ist. Bei dieser Arbeit
hat sich der Saum des kurzen Unterrocks in das Band verwickelt
und wird kokett in die Höhe gezogen, damit das schlanke, mit
einem weißen Strumpf bekleidete Bein noch besser sichtbar
2") Prov. et Com. II, 155.
^ä"!) Prov. et Com. II, 278.
2-5) Prov. et Com. I, .333.
226) Prov. et Com. II, 49/50.
227) Mercier I, 62.
228) Goncourt p. Kiß.
229) Mercier III, 5.
230) Goncourt p. 108.
231) Vergl. die Re|iro(hiUtion l)'ei Rarinet, Rand IV, ,,Ein Toiletten-
zimmer von 1760."
hie i^'oriic/ifiic fraiizösisc/ie Frau des XVI/f. Ja/ir/iuitdc/Ls-. -45
wird. Zu (lor sclilankcn Taillf hildel dov korbartig aul'gebausclito
Rock einen seltsamen Kontrast. Aul' dem Sessel liegt ein Kleid,
welches jenen Neglige-artigen Charakter liat, der mit den ersten
Jahren der Regierung Ludwigs XV. beliebt wurde.
Während bei diesem Bilde verschiedene Umstände darauf
schiicüen lassen, daß die Dame vielleicht eher der Halbwelt als
den vornehmen Ständen angehört, fiihrt uns ein zweites, von
Lawrence gezeichnetes und von Delaunay gestochenes Bild in
ein Toilettenzimmer, das für die achtziger Jahre des 18. Jahr-
hunderts typisch ist. Das Bild ist unter dem Namen ,,Qu'en
dit l'abbe ?" bekannt und ist auch bei Racinet (Band IV) unter
dem Abschnitt ,, Zweite Toilette einer Dame von Stand, 1788 bis
1789" reproduziert; es liegt der Schilderung zugrunde, die Gon-
court von der Toilette der Dame gibt.^^^)
Die Dame sitzt seitwärts an ihrem Toilettentisch; sie hat
bereits Korsett und Unterrock angelegt und trägt noch das
Peignoir. Sie hält den Blick gegen die Mitte des Zimmers ge-
richtet, wo auf einem Sessel eine Modistin einen neuen Stoff
vorlegt. Das Haar ist leicht gepudert, und es bedarf nur noch
eines leichten Durchkämmens, um die Frisur zu vollenden.
Links, etwas hinter ihr, sitzt der Arzt und untersucht ihren Puls;
seine Aufmerksamkeit scheint aber weniger dem Pulsschlag als
vielmehr den schönen Schultern der Dame zu gelten. Ihm gegen-
id^er spielt ein Herr Guitarre. Der Abbe scheint schon länger
da zu sein und der Dame seine Aufwartung schon gemacht zu
haben, denn er steht jetzt im Hintergrunde des Zimmers und
unterhält sich mit einer Zofe. Der Abbe ist, wie Goncourt sagt, 2^^)
,,de fondation ä la toilette" und genießt das besondere Vertrauen
der Dame.23i) Er hält sie über alles, was sich in Paris ereignet,
auf dem Laufenden-^^) und weiß ihr stets die neuesten Skandal-
geschichten zu erzählen, denn er ist ,,repandu egalement dans
la bonne compagnie et dans la mauvaise".-^^)
Ist die Toilette so weit beendet and sind die Besucher wieder
fort, so greift die Dame zu einem Roman^^'^) oder einer sonstigen
leichten Lektüre. Für Romane, besonders wenn sie recht rühr-
selig sind, hat sie eine besondere Vorliebe. Die ,,touching novels"
von Richardson, ,, Pamela" und ,,ClarissaHarlowe",wurden, wie wir
später sehen werden, um diese Zeit ins Französische übersetztest)
und 1760 war auch Rousseaus ,,Neue Heloise" erschienen. Die
vornehme Dame bringt den Leiden der Liebenden die regste Teil-
232) Goncourt, p. 108—110.
233) Goncourt, p. 109.
234) Prov. et Com. I, 15; II, 370.
235) Prov. et Com. II, 7.
236) Nouv. Prov. I, 201.
237) Prov. et Com. I, 285, 324; III, 58 etc.
238) Heiss, p. 65.
'46 tlan.s Urschlechter.
nähme entgegen und möchte den jungen Leuten gerne helfen;
zum wenigsten möchte sie imstande sein, ihre Leiden zu teilen.
Diese Rührung über fremden Schmerz ist ihr ein Herzensbedürfnis,
,,ein hoher Genuß. "^39) Auch ihre Zofe, welcher sie die Romane
zum Aufschneiden gibt, soll dieselben lesen, kommt diesem
Wunsche aber nur selten nach. 2'*'')
Hernach kommt die eigentliche Toilette, der wichtigste Teil der
täglichen Beschäftigung der vornehmen Dame. Zahlreiche Hände
sind Stunden hindurch tätig, um ihr ein möglichst vorteilhaftes
Aussehen zu geben. Ihren Teint schont die Frau auf jede Weise
und legt sich deshalb die größten Opfer auf : sie geht im Sommer
nicht spazieren und schließt in ihrer Wohnung die Jalousien,
so daß weder Licht noch Luft eindringen können. ^^i) Wenn sie
bei einer Freundin Besuch macht, setzt sie sich so, daß ihre
Augen weder vom Tageslicht noch vom Feuer des Kamins ge-
troffen werden. 242) sje ist sehr stolz auf ihre schlanke Taille
und erzählt mit der größten Genugtuung, daß sie in der letzten
Zeit ,,zusehejids abgenommen habe".^*^)
Der Toilettentisch der Dame enthält eine reiche Sammlung
von Schminken, Puder, Odeurs, Essenzen und wie die tausend
Mittel und Mittelchen der Kosmetik alle heißen mögen. Es ist
nicht nötig, daß die Dame Sommersprossen oder einen anderen
kleinen Schönheitsfehler vor den Augen guter Freundinnen zu
verbergen hat;^^^) ungeschminkt würde die vornehme Frau des
18. Jahrhunderts nie und nimmer unter die Leute gehen. 2*5) Sie
hat stets die verschiedensten Arten von rouge vorrätig und ihr
parfumeur bringt ihr fast jede Woche eine neue; zwar kostet
davon der Topf drei Louisdor, aber was ist das für ein so un-
entbehrliches und wirksames Schönheitsmittel ?2*6) Um die Farbe
ihres Haares nach Belieben zu ändern, stehen der Frau zahlreiche
Mittel zur Verfügung, und so ist es gar nichts besonderes, wenn
sie eines Tages als Blondine erscheint, während sie tags zuvor
noch brünett war. 2*7) Für die verschiedenen Arten von Eaux
und Essenzen hat sie eine große Vorliebe und zieht deren Ge-
rüche dem Dufte natürlicher Blumen vor. 2*®)
Und nun beginnt der Aufbau jener wunderlichen Haar-
gebilde, die unserem modernen Geschmack geradezu unverständ-
••^39) Prov. III, 25.
2^0) Prov. et Com. II, 15.
241) Prov. et Com. II, 181.
242) Prov. et Com. II, 173.
243) Prov. et Com. II, 174.
244) Prov. et Com. I. 13.
245) Prov. et Com. II, 14.
246) Nouv. Prov. II, 274.
247) Nouv. Prov. II, 265.
248) Prov. et Com. I, 284.
Dil' vornehme französische Frau des Will . Jahrhanderls. 47
lieh erscheinen, die aber der Stolz und die; Zier(ie (Um- voi-neiimen
Fyaxx d(^s 18. Jahrhunderts waren. W'älirend die Dame, vor dem
Spiegel sitzend, sich mit einem ihrer Verehrer unterhält oder sich
von einem Abbe eine interessante Geschichte erzählen läßt,
kämmt ihr eine Kammerfrau die Haare zunächst gleichmäßig
über den Kopf herab, legt ihr dann ein mit Federn gefülltes
Kissen, den Pouf, auf den Scheitel, kämmt die Haare darüber
wieder empor und befestigt sie. Daran werden dann im Nacken
der Chignon und an den beiden Seiten je zwei bis vier falsche
Locken angeheftet. Es läßt sich wohl begreifen, daß durch diese
Prozedur eine Coiffüre entsteht, w^elche die Höhe des Kopfes
manchmal um das Dreifache übersteigt und oben der Schulter-
breite gleichkommt.''^*^) Wenn also bei Carmontelle der Erfinder
eines solchen Kunstwerkes behauptet, dasselbe sei 22 Zoll hoch,^^^)
so brauchen wir diese Coiffüre noch lange nicht zu den höchsten
zu rechnen.
Mit der Herstellung dieser Frisur, die wegen ihrer Ähnlich-
keit mit einem Igel den Namen Herisson^^^) trägt, ist jedoch
erst die Grundlage geschaffen für die mancherlei Zutaten und
Verzierungen, die daran noch anzubringen sind; es ist noch eine
Menge Florettseide, Gaze, Linon, Bänder und Perlenschnüre in
<len Herisson zu verarbeiten, bis daraus eine ,, geschmackvolle"
Coiffüre entsteht. Dies geht über das Können einer Kammerfrau
hinaus und es gehört dazu ein Haarkünstler von Beruf. Paris
zählt deren eine Menge, aber unter ihnen allen ist bei weitem der
erste der berühmte Leonard, der Günstling Marie- Antoinettens.
Wie ein Arzt fährt er bei seiner Kundschaft vor und wird überall
schon sehnsüchtig erwartet. Noch hat sich nicht die Türe hinter
ihm geschlossen, so fragt ihn die Dame schon, ob er nichts neues
erfunden habe. 2^^) Und nur selten muß er auf diese Frage mit
Nein anworten, denn der geniale Haarkünstler hat fast stets
etwas neues ausgedacht. Wer kennt nicht aus den Bildern eines
Moreau 1. J.,253) Saint- Aubin,254) Debucourt^sS) und Fragonard^öß)
diese eigenartigen Wunderkinder der Phantasie Leonards und
seiner Kollegen, wie Legros und Depain ?25'^) Unzählig sind die
Namen, die für die einzelnen Coiffüren erfunden werden. Fast
249) proy et Com. II, 28. — Veroj. aucli von Heydpii, Blatt 218
Fig. 1—4 und Blatt 235 Fig. 1, 2 und 4.
-50) Nouv. Prov. II, 265.
251) Vergl. Racinet D No. 43 etc.
252) Nouv. Prov. II, 265.
253) Ygi Moreau, Decoration du Öacre de Louis X\'I ä P»eiin.s. —
Les Adieux. — La Dame du Palais de la Pveine. — Le Festin Royal
ä r Hotel de Ville etc.
25*) Vgl. Augustin de Saint-Aubin, Portraits ä la mode.
255) Ygi Debucourt, La Promenade de la Galerie du Palais-Royal.
256) Ygi Fragonard, La Lecture.
2") Vgl. Racinet A No. 5.
48 Hans UrscJdcchler.
jeder Tag bringt neue Namen, die von politischen Ereignissen,
aus der Mythologie, von Begebenheiten des täglichen Lebens oder
von sonstigen, oft reclit unbedeutenden Geschehnissen herge-
nommen werden. Ich will aus der endlosen Reihe nur die am
häufigsten vorkommenden anführen: die grandes coiffures en
plumes,-^^) die coiffures ä laMontgoJfier,^^^) ä la Ceres, ^^O) ä l'Asia-
tique,^^^) die casque anglaise ornee de perles,-^-) die caleclie,-^^)
der pouf ä sentiment,^^*) au Colisee,^^^) coiffure ä la candeur,^^^)
ä la zodiacale.^^'') Bei der Frisur ä la Flore^^^) trägt man auf dem
Haar einen Blumenkorb, bei der Coiffure ä la Pomone^^^) einen
Korb mit aus Linon gebildeten Früchten Da es immer schwieriger
wird, neue Namen zu erfinden, greift man schließlich zu dem
einfachsten Mittel und bezeichnet, wie es ja auch heute noch ge-
schieht, die neue Erfindung als ,, neueste Mode"-270) Selbstver-
ständlich glaubt jede Dame, daß ihre eigene Coiffure die modernste
sei; auf die Äußerung einer Freundin, sie habe noch niemand mit
einer solchen Frisur gesehen, erwidert die Dame: ,,Das glaube
ich gerne, denn das ist ,,une coiffure nouvelle d'aujourd'hui".^''^)
Ein solcher Luxus kostet natürlich sehr viel Geld und bei
Carmontelle gibt eine Modedame zu, ,,qu'on ferait le bonheur de
bien des hommes, si on leur donnait une partie de l'argent qu'on
emploie ä sc coiffer."^^^) W'ii. begreifen dies, wenn wir ihre
Rechnung vom Friseur betrachten, die als ersten Posten aufweist:
,,Quatre nouvelles coiffures avec des plumes .... 50 Louis. "^'^)
Nächst den hohen Coiffüren ist für die Modetorheiten des
18. Jahrhunderts wohl nichts bezeichnender als der Reifrock oder
Panier. Wir können in den französischen Moden während der
Regierung Ludwigs XVL drei Perioden unterscheiden. Die erste
derselben wird l)eherrscht von den hohen Coiffüren und dem
Reifrock. Um 1760 etwa kam der letztere wieder in Blüte und
sollte bald alle seine Vorgänger an Größe übertreffen.-''*) Er
schwoll über den Hüften dergestalt an, daß man hier die Arme
258) Vgl. Hefner-Alteneck, Blatt 714, niiltloiv Fi<>ur.
259) Vgl. Racinet B No. 8; C No, 2.
260) Vgl. von Hevden, Band IV, S. 3.
261) Vgl. von Hevden. Blatt 218, Fig. 2.
262) Vgl von Heyden, Blatt 218, Fig. 3.
263) Ygi Gabriel de Saint-Aubin, La Fete du Colisee.
26'») Vgl. Racinet B, Text.
265) Vgl. Racinet C Xo. 21.
266) Vgl. Racinet C Xo. 5.
267) Vgl. Racinet C Xo. 6.
268) Vgl von Heyden, Blatt 218, Fig. 1.
269) Vgl. von Heyden, Band IV, S. 3.
2'0) Vgl. Racinet C No. 18.
2"i) Prov. et Com. II, 41.
272) Pi-ov. et Com. III, 86.
2") Xouv. Prov. II, 207.
274) Vgl. Ilottenroth, Band IL TalVl 1 1(> Xo. 12; Tafel 117 Xo. 2.
Racinel B Xo. 0 und 9.
Die vornehme französische Frau des XVJIJ. Jahrhunderls. 49
darauf logen konnte. Nicht mehr kreisrund, sondern oval, dreht
er seine Breitseiten nach vorne und hinten,275) so daß seine
Trägerin sich auf die Seite drehen mußte, wenn sie durch eine
Türe gehen wollte. Der Umfang dieser Paniers stieg bis zu
5 Meter. Neben diesem Reifrock kam später auch noch ein
Sattelrock oder ,,Cul de Paris" in die Mode, der nur das Gesäß
vergrößerte und das Kleid hinten emporhob.^'^) Wir begegnen
diesen beiden Arten von Röcken auf den Bildern Moreaus^^T)
und anderer zeitgenössischer Maler, wo immer sie Damen in
großer Toilette darstellen.
Um 1780 machte sich bereits eine Reaktion gegen die hohen
Frisuren und den Reif rock geltend. Marie-Antoinette hatte einen
großen Teil ihres Haares verloren und trug deshalb eine niedrige
Frisur. Der Aufenthalt in ihrem geliebten Trianon hatte ihr
den Gedanken nahegelegt, die Toilette mehr in Einklang mit der
umgebenden Natur zu bringen und zur Einfachheit zurück-
zukehren. Der Reifrock wurde beseitigt, aber dafür polsterte
man die Hüften, trug den Postiche, und von wirklicher Einfach-
heit waren diese eleganten Deshabilles noch himmelweit entfernt.
Unter Deshabille verstand man zu jener Zeit das Straßenkostüm,
d. h. alles, w^as nicht zur Gesellschafts- oder Hoftoilette gehörte.
Es war dies die Zeit des Caraco, der Polonaise, der Circassienne
und der Levite.
Im November 1785 erschien in Paris, von Esnault und Rapilly
herausgegeben, als erste in regelmäßigen Zeiträumen veröffent-
lichte Modezeitung, das ,,Cabinet des modes ou les Modes nou-
velles". Leclerc, Moreau d. J., Saint-Aubin, Watteau d. J. u. a.
lieferten dazu Beiträge. Es ist unmöglich, alle diese Darstellungen
der damaligen, äußerst mannigfachen Moden hier zu berück-
sichtigen; ich will mich darauf beschränken, ein Bild Watteaus,
das bei von Heyden reproduziert ist,^'^^) anzuführen.
Das Wetter muß etwas kühl sein, denn die Dame trägt eine
mit Wolle gefütterte und mit Pelz verbrämte Redingote von
rotem Atlas, die, ohne Taille, nur die Höhe des Knies erreicht;
sie hat einen breiten Überschlagkragen, über welchen sich die
Krausen des Fichu legen. Das Kleid, die rohe ronde, von hell-
blauem Seidenstoff, ist in Falten gelegt und ä la levite mit einer
Schleppe versehen. Die Taille, reichlich mit Fischbein gesteift,
hat eine Schnebbe, ist vorne geschnürt und an ihrem unteren
Ende mit Plisses versehen. Eine Schürze von weißer Gaze,
275) Yg] Babeau, Fig. 104: Interieur de Notre-Dame.
27«) Vgl. Hottenroth, Band II, Tafel 117 No. 12. — Hefner-
Alteneck, Blatt 713, Fig. E.
277) Yg} Moreau, La Sortie de l'Opera. — Les Adieux. — Deco-
ration du Sacre de Louis XVI. — La Revue du Roi ä la plaine de
Sablon. — Le Festin Royal etc.
278) Watteau, Französische Modedame um 1786. Vgl. von Heyden,
Band III, Blatt 191.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 4
50 Hans Urschlechter.
unten mit einer gefältelten Rüsche versehen, deckt den vorderen
Teil des Kleides. Der Schuh, der mit Bandstreifen geschmückt
ist, hat noch, genau wie in der vorigen Periode, sehr hohe Hacken^'^^)
und läuft vorne spitz zu.
Ein anderer kolorierter Kupferstich, der eine Üame in ähn-
licher Tracht zeigt, ist bei Hefner-Alteneck-^^) wiedergegeben.
Auf anderen Modebildern ist die Polonaise vorherrscliend; dies
ist ein kurzer Überrock mit weitausgeschnittenem Leibchen,
welcher ringsum so gerafft ist, daß er drei Flügel, die Volants,
bildet. ^^^) Das Korsott hat meistens dem bequemeren Mieder^^ä)
weichen müssen, das den Hals und vielfach auch die Schultern
entblößt; dies ist hauptsächlich l)ei dem Kostüm ä la Circassienno
der Fall.283) Darüber trägt man meist ein Fichu aus Musselin
oder Gaze.''^^^) In der wärmeren Jahreszeit tritt an die Stelle
der Redingotc der Caraco,^^^) der aus Seide oder Taffct gefertigt
ist. Sehr wertvoll sind auch die Schuhe; meist sind sie von
weißem, gelbem oder rosa Satin, ^^6) zuweilen auch aus rosa
Saffian^^'^) oder fleischrotem Maroquin. ^88) Der Absatz ist bei
allen diesen Arten sehr hoch und manchmal fast bis in die Mitte
des Fußes gerückt. Verziert sind die Schuhe teils mit bunten
Schleifen oder auch mit großen silbernen Schnallen.
In diese zweite Periode gehören auch noch die Negliges,
hemdartige Röcke, die man Pierrot^^^) nannte, sowie die Toiletten,
die dem reizenden Kostüm nachgebildet waren, welches die Contat
bei der Aufführung von Beaumarchais' ,,Mariage de Figaro" als
Kammermädchen Susanne getragen hatte. 2^") Außer in der
Zeichnung ,,La belle Suzon" hat Watteau d. J. dieses Kostüm
auch seinem Bilde ,,F^ariserin um 1785""^^) zugrunde gelegt. Das
WesentHchste daran ist das justaucorps ä la Suzanne, eigentlicli
ein Garaco von blauem .Seidenstoff mit doppeltem Faltenschoß.
Der Hals ist in kleidsamer Weise entblößt. Der faltige Rock ist
von lichtblauem Stoff und mit einem Falbala von weißem
Musselin garniert; von demselben Stoff ist auch die Schürze,
die zum Susannenkostüm untrennbar gehört. Die Haartracht
279) Vgl. Hefner-Alteneck, Blatt 713, Fig. A.
280) Vgl. Hefner-Alteneck, Blatt 713, Fig. E.
281) Vgl. Hefner-Alteneck, Blatt 714, rechte Figur, sowie Racinet
B No. 3 und 4. Vgl. Moreau, Le Rendez-vous pour Marly.
282) Vgl. Racinet C No. 11.
283) Vgl. Racinet B No. 6.
284) Vgl. Racinet B No. 4; D No. 21 und 43.
285) Vgl. Racinet D No. 35 und 40.
286) Vgl. Racinet D No. 19, 22, 25, 41, 43 und 49.
287) Vgl Yon Heyden, Band III, Blatt 192.
288) Vgl. von Heyden, Band III, Blatt 185.
289) Vgl. Racinet D No. 35.
290) Vgl. Racinet A No. 3:, La belle Suzon, gezeichnet von
Watteau d. .1.
291) Vgl. von Heyden, Band IV, Blatt 236.
Die vornehme französische fniu des XVIII. Jahrhunderts. 51
besteht in einer niederen Loekenfrisur, mit einem (lliignon im
Nacken, wie sie von Mario-Antoinette einocfülirt wurde unter
dem Namen ,,a l'enfant".
Während der dritten Periode ist l'üi' die Mode last aus-
schließlich der englische Geschmack maßgebend. Das Charakte-
ristische an dieser Mode ist die wirkhche Einfachheit, die alles
Überladene haßt und sich mehr den Körperformen anzupassen
sucht. Watteau liat uns auch von diesem Kostüm ein Bild hinter-
lassen, an dem wir die robe anglaise studieren wollen. -^2) Charak-
teristisch für diese Toilette ist ein schwarzer Spitzenüberwurf,
— dem Schnitte nach eine Art Caraco — das die ganze Brust
verdeckt und vorne geschlossen ist. Das Kleid ist schleppend
und mit einem w^eißen Devant von durchsichtigem Leinenstoff
auf rosa Unterlage versehen, der mit Volants und schmalen
Faltenrüschen besetzt ist — ebenfalls ein charakteristisches Kenn-
zeichen der robe anglaise. Das durch einen Taillengürtel gehaltene,
durch eine Tournüre (cul postiche genannt) stark gebauschte
Kleid zeigt hinten eine große Schleife von gelber Seide mit langen
Enden und weißen Quasten. Ein großes Fichu mit krausem
Besatz legt sich wulstig über den Busen und deckt auf den
Schultern den Spitzenschal. Das Fichu auf diesem Bilde bauscht
schon ziemlich stark und nähert sich schon sehr dem später aus
England herübergenommenen Fichu menteur,^^^) welches durch
ein Drahtgeflecht über dem Busen gebauscht wurde. -^'^) Die
Haarfrisur nähert sich mehr der männlichen; man trägt das
Haar en catogan, ä la conseillere^^^) oder ä l'ingenue.-^^) Auch
auf die Schuhe erstreckt sich das Streben nach Einfachheit: sie
erhalten eine mehr dem Fuße angepaßte Form und verlieren die
hohen Absätze, wie wir dies z. B. bpim souher ä la Jeannette^^'^)
sehen.
Im Winter kommt zu all diesen Toiletten noch ein Pelz^^^)
und ein mächtiger Muff aus Angorakatzenfell, 2^^) aus Marder-
fplisoo) oder auch aus weißem Schwanenflaum, mit weißen Band-
schleifen besetzt. ^^^)
2^'^) Watteau d. J., Pariserin um 1786; vgl. bei von Heyden,
Band III, Blatt 192.
293j Ygi Racinet D No. 7 und Debucourt, La Promenade de la
Galerie du Palais-Royal. — Vgl. auch Babeau, S. 159 Fig. 2 und 4.
29^) Über die robe anglaise vgl. noch: Hefner-Alteneck, Blatt
716 Fig. B und Racinet B No. 9; D No. 41 etc.
295) Vgl. Racinet D No. 7, 21, 41 und 52.
296) Vgl. Racinet D No. 4.
29") Vgl. Racinet D No. 35.
298) Prov. et Com. II, 17. — Vgl. auch Debucourt, La Promenade
de la Galerie du Palais-Royal und Racinet C No. 4.
Vgl. Racinet D'^No. 19 und 21, sowie Babeau, Fig. 67
299 \
S. 157.
300
Vgl. Racinet C No. 4.
301) Vgl. von Heyden, Blatt 192.
52 Hans Urschlechter.
Die Stoffe, aus denen diese Roben angefertigt werden, sind,
wie wir gesehen haben, vor allem Seide, Taffet,^^^) Musselin und
Gaze. Die besten und teuersten Stoffe sind der Dame gerade
gut genug.^^^) Leinene Kleider ,, halten nicht aus",-"^^*) — als ob
für sie die Haltbarkeit in Betracht käme. Hat sie ein Kleid ein
paarmal getragen, so legt sie es für immer ab, denn sie kann sich
doch unmöglich mehr mit diesen ,, alten Sachen'" sehen lassen. ^'^^)
Ihre Garderobe repräsentiert ein Vermögen und die Instand-
haltung derselben erfordert große Summen. In ihren Ansprüchen
an die Kasse ihres Mannes ist die Dame gar nicht sehr bescheiden;
so verlangt eine Frau das Geld gleich zu vier neuen Kleidern
mit der einfachen Begründung, daß sie nur ,,vieilleries" habe.^^^)
Eine andere meint, nachdem ihr Gatte eine Kleiderrechnung mit
50 Louisdor für sie bezahlt hat, das sei gar nicht viel; ihr Mann
scheint aber anderer Ansicht zu sein, denn er erwidert ärgerlich:
,,Non, ce n'est rien; et pour des chiffons encore!"^^'^)
Um ihre natürliche Anmut noch zu erhöhen, nimmt die
Dame zu den verschiedenartigsten Schmuckgegenständen ihre
Zuflucht. Der Herisson ist mit Perlenschnüren durchflochten
und mit Diamanten^^^) besät. Außerdem trägt sie Diamanten-
kolliers,^^^) Diamantringe, mit Edelsteinen besetzte Armbänder,
Ohrringe und eine Menge der eigenartigsten Breloques.^^*^) Ihre
Vorliebe für Juwelen ist ungemein groß; sie ist in Schmuck-
sachen Kennerin und ruft beim Anblick eines Paares Ohrringe
entzückt aus: ,,Ah! c'est la plus belle eau du monde."^^^) Der
enorme Preis von 12 000 Franken ist ihr nicht ^w hoch für solche
Prachtstücke; auf die Bemerkung eines Herrn, sie habe doch
schon genug Diamanten, entgegnet sie: ,, Davon verstehen Sie
nichts; Diamanten kann man gar nicht genug haben. "^^2)
Hier wäre auch der Platz, einiges über die Hüte zu sagen.
Ich will es nicht versuchen, unter den unzähligen Arten und
Namen eine Klassifizierung zu treffen, sondern will nur die am
meisten vorkommenden anführen. Was die Größe der Hüte
anlangt, so hat das 18. Jahrhundert hierin Erstaunhches geleistet.
Wenn bei Carmontelle eine Dame ausruft: ,,Elle avait un chapeau
cet ete, oh! un chapeau 1"^^^) so muß es sich hier schon um ein
302
303
304
305
306
30T
308
309
310
311
312
313
Prov. I, 61 etc.
Nouv. Prov. II, 263.
Prov. I, 61.
ibid.
ibid.
Prov. et Com. II, 336.
Vgl. Moreau, Le Festin Royal ä l'Hötel de villi
Vgl. Moreau, La Dame du Palais de la Reine.
Vgl. Hefner-Alteneck, Blatt 714, rechte Figur.
Nouv. Prov. II, 283. ■
Nouv. Prov. II, 284.
Prov. et Com. II, 29.
Die vornehme französische Frau des XVIII. Jahrluinderts. 53
walires Ungetüm handeln, denn sonst würde eine Frau der da-
maligen Zeit daran nichts Besonderes finden. Denjenigen, die
aus dem Staunen über den stets wachsenden Umfang unserer
modernen Damenhüte nicht herauskommen, wäre eine nur
einigermaßen gründliche Beschäftigung mit den Hutmoden des
18. Jahrhunderts zu empfohlen; sie würden dann zu der Über-
zeugung gelangen, daß auch von dem heutigen Glockenhut,
wenigstens was seine Größe anlangt, das Nil novi sub sole gilt.
Wenn im 18. Jahrhundert eine Frau sich ihrer Nichte nur sehr
vorsichtig nähert, aus Furcht, diese könnte ihr mit ihrem Hute
die Augen ausstoßen, und wenn das Mädchen meint: ,,I1 n'est
pourtant pas bien grand,"^^'*) so geht daraus hervor, daß
damals schon die Ansichten in diesem Punkte auseinander-
gingen.
Die Hüte zeigen in den drei Perioden, die wir oben unter-
schieden haben, die gleichen übertriebenen Dimensionen. Ver-
hältnismäßig geringen Umfang haben noch die Strohhüte, ^^^)
obwohl wir auch hier, wie z. B. beim Hute ä la Derozier,^^^) schon
ganz ungeheuren Formen begegnen. Einen viel bedeutenderen
Umfang zeigen dagegen die Filzhüte,^^') die Hüte aus Taffet,^^^)
Satin^*^) oder Gaze.^^Oj Hierher gehören die Hüte ä la Henri IV,^^^)
au Palais-Royal,^-^) k la Duchesse,^23) ^ l'Espagnole,^-*) ä la Tar-
tare,^^^) ä l'Anglomane^-'') usw. Garniert sind diese Hüte mit
Federn, ^^^) Blumen, ^^^) Rosengirlanden, italienischer Gaze, Krepp-
und Bandschleifen. Später trug man vielfach auch Bonnets, so
besonders die Haube ä la Figaro, ^2^) die Baigneuse^^^) oder auch
die Chapeau-bonnette.^^^) Die größte Auswahl in den modernsten
Fassons hat man bei der Mademoiselle Bertin,^^^) die geradezu
den Namen ,,ministre des modes"^^^) trägt.
314) Ppov. et Com. II, 3G.
315) Vgl. Racinet D No. 1, 2, 4, 40 und 43.
316) Vgl. von Heyden, Band IV, Blatt 236.
31") Vgl Debucourt, La Promenade de la Galerie du Palais-
Roval.
318) ibid. und Racinet C No. 19.
319) Vgl. Racinet C No. 4.
320) Vgl. Racinet D No. 49.
321) Vgl. Moreau, Le Rendez-vous pour Marlv.
322) Vgl. Racinet C No. 15.
323) Vgl. Racinet C No. 19.
324) Vgl. Babeau S. 159 Fig. 2.
325) Vgl. Babeau S. 159 Fig. 1 und Racinet C No. 8 und 10.
326) Vgl. Babeau S. 159 Fig. 4.
327) proY et Com. III, 192.
328) Prov. et Com. II, 28.
329) Vgl. Racinet D No. 19. und 51.
330) Vgl. Racinet D No. 3 und 5.
331) Vgl. Babeau S. 159 Fig. 3 und Racinet D No. 52 und 53.
332) Prov. et Com. II, 28.
333) Goncourt \^. 346.
54 Hans UrscMcchl.or\
Nach Beendigung ihrer Toilette bleiben der Dame bis zum
Mittagessen, das gewöhnlich um 3 Uhr eingenommen wird, noch
immer einige Stunden, die sie in den meisten Fällen zu Hause
verbringt. Hat sie Anlagen für Gesang und Musik, so singt sie
eine der neuesten Arien und begleitet sich selbst auf dem Kla
vier,^^^) oder sie greift zur Harfe, dem Lieblingsinstrument der
damaligen Zeit;^^^) manchmal nimmt sie auch bei einem Abbe
Unterricht im Harfenspiel. ^^^)
Auch die literarischen Neuerscheinungen interessieren sie.
Manuskripte neuer Theaterstücke, englische und deutsche Über-
setzungen, Broschüren aller Art bedecken den Tisch in ihrem
Boudoir. Wir haben schon bei der Besprechung der Moden
gesehen, daß England um diese Zeit einen großen Einfluß auf
Frankreich ausübt. Dieser erstreckt sich nicht nur auf die
Kleidung, sondern liauptsächlich auch auf die Literatur. Nach
dem Tode Richardson's, 1761, dessen rührselige Romane Pamela
und Clarissa Harlowe alsbald ins Französische übersetzt wurden,
erreicht die Anglomanie ihren Höhepunkt. Paris hat den ersten
Schritt zum Kosmopolitismus getan und bald wird es von
Übersetzungen aus den alten Sprachen und aucli aus dem Deut-
schen überschwemmt.^^') Zwischen 1750 und 1760 werden
Haller und Geliert ins Französische übertragen, 1760 auch
Geßuer.^^**) Die großen Zeitschriften befassen sicli mit den
Literaturen von ganz Europa; in der Gesellschaft spricht man
von den englischen und deutschen Neuerscheinungen ebensogut
wie von den französischen. Die Dame, die auf ihren Ruf als
gebildete Frau etwas hält, muß alle diese Sachen lesen, denn
man fragt sie nach ihrer Ansicht, verlangt ihr Urteil über dieses
oder jenes, und es wäre für sie eine große Demütigung, wenn sie
gestehen müßte, daß sie das betreffende Werk nicht kenne.
Um der Gefahr einer solchen Demütigung zu entgehen,
sucht sie sich immer auf dem Laufenden zu erhalten und
liest deshalb, oft ohne wii'kliches Interesse, all die Sachen,
die ihr Buchhändler ihr zuschickt oder die ein gefälliger Abbe
ihr bringt. 33«)
Freilich wird ilir aucli diese Beschäftigung oft reclit lästig.
Wie wir bald sehen werden, sind diese wenigen Stunden vor dem
Mittagessen die einzigen während des ganzen Tages, über die sie
frei verfügen kann. Wenn sie nun einen großen Bekanntenkreis
oder gar eine vertraute Freundin hat, der sie, obwohl diese nur
ein paar Straßen entfernt wohnt, täglich wenigstens einige Briefe
334) Prov. et Com. II, 107.
335 j Yg] Moreaii, L'Accord parfait.
336) Nouv. Prov. I, 201.
337) Heiss, S. 65.
338) Heiss, S. 52.
339) Prov. III, 29 ff.
Die vornehme französische Fraa des XVI II, Jahrhunderts. 55
schreiben muß,^''") so begreifen wir I('i<lit, daß ihr nur wenig
Zeit zum Lesen übrigbleibt.
Hin und wieder geht die Dame auch sclion am Vormittag
aus, um an einem der beliebten dejeuners anglais teilzunehmen^*^)
oder um mit einer Freundin einen Spazierritt ins Bois de Bou-
logne^*'^) zu machen, wobei sie ihr elegantes Reitkostüm^*^) be-
wundern lassen kann.
Den Nachmittag verbringt die Dame außer dem Hause;
lieber würde sie zu Fuß ausgehen als daß sie den ganzen Tag
daheim verbringen würde. ^**) Nur wenn sie Besuchstag hat,
bleibt sie zuhause. An den übrigen Tagen macht sie sich gleich
nach dem Mittagessen zum Ausgehen fertig, steigt in die elegante
Kutsche, und nun beginnt eine Rundfahrt von einem Moden-
geschäft zum andern. Eine Freundin hat ihr gesagt, daß in
diesem Geschäfte schöne neue Muster in Seidenstoffen einge-
troffen seien. Diese will sie sich zuerst ansehen und so erhält
der Kutscher die Weisung nach diesem Geschäftshause zu fahren.
Sie läßt sich eine Anzahl Stoffe vorlegen, findet aber nicht einen
tnnzigen wirklich schönen darunter ;^'*^) sie sind heuer ,,toutes
affreuses."^'*®) Unbefriedigt verläßt sie das Geschäft um ein
anderes aufzusuchen. Hier zeigt man ihr neue Winterstoffe
und sie ist von deren Schönheit entzückt; sie sind von denen
des vorigen Jahres sehr verschieden und haben Namen, die sie
noch nie gehört hat.^*') Da sie gar nicht teuer sind, sucht sie
sich auch gleich einige von den schönsten aus; man braucht ja
nicht sofort zu bezahlen, die Kaufleute ,,sont tres raisonnables
la-dessus.''^*^) Von da fährt sie zum Juwelier, wo sie sich über
die Pracht eines diamantenbesetzten Armbandes nicht genug
wundern kann. Ihr Friseur hat ihr heute Morgen von einer
neuen Coiffüre gesagt, von der er sich einen großen Erfolg ver-
spricht; sie fährt hin um sich dieses Wunderwerk anzusehen. ^*^)
Wieder im Wagen ruft sie dem Kutscher die Adresse eines Hut-
geschäfts zu, wo nun die neuesten Muster von Winterhüten
eingetroffen sein müssen. ^^°) Doch unterwegs fällt ihr ein, daß
sie einem Porträtmaler schon lange eine Sitzung versprochen
hat; die vielen Besorgungen ließen iiir immer keine Zeit; heute
340) Prov. III, 29 ff.
3«) Prov. et Com. II, 210.
.342J Ygi Moreau, La Rencontre au Bois de Boulogne.
343) ibid.
344) Prov. et Com. 11, 13i.
345) Pi-ov. et Com. 11, 39.
346) Prov. L 86.
347) Prov. et Com. III, ^07.
348) ibid.
349) Nouv. Prov. IL 267.
350) Prov. et Com. 11, 328.
56 . Hans Ur schlechter.
könnte sie wohl zu dem Maler gehen, zumal an dem Bilde nur
noch einige Kleinigkeiten fehlen. Zwar muß sie dann die Be-
sichtigung der neuen Hüte sowie anderer Neuheiten, die sie sehr
interessieren,^^^) verschieben, aber vielleicht kann sie dies morgen
schon nachholen. Ein Zuruf an den Kutscher, der Wagen wendet
und hält bald darauf vor der Wohnung des Malers.
Hier wird die Dame schon vom Abbe, einem begeisterten
Verehrer ihrer Schönheit, erwartet. Sie setzt sich auf den Sessel,
den der Maler ihr zurechtrückt, und dieser beginnt seine Arbeit.
Es dauert nicht lange, so kommt auch der Chevalier, der glückliche
Rivale des Abbe; natürlich wendet sie sofort den Kopf nach
der Türe, um den Eintretenden zu begrüßen. Bald unterhält
sie sich sehr lebhaft mit dem Chevalier; der Abbe, wohl ein wenig
eifersüchtig auf die offenkundige Bevorzugung des andern,
macht sie darauf aufmerksam, daß bei der Haltung, die sie gegen-
wärtig einnehme, der Maler nicht arbeiten könne. Nun sucht
sie sich gerade zu halten und damit sie keine Langweile hat,
erzählt ihr der Abbe eine pikante Geschichte; es gelingt ihr aber
auch jetzt nur schlecht, still zu sitzen und der Maler hat seine
liebe Not, mit seiner Arbeit vorwärts zu kommen. Endlich ist
der letzte Pinselstrich getan und die Dame darf ihren Platz ver-
lassen.^^2)
Es wäre interessant, etwas über die Stellung der Frau zur
Kirche zu erfahren. Leider findet sich bei Carmontelle nur eine
einzige Stelle, die auf dieses Verhältnis schließen läßt. Eine
Frau hat sich vorgenommen, in die Predigt zu gehen; dies ge-
schieht nicht etwa aus Frömmigkeit, — diese Unterstellung weist
sie entrüstet zurück — sondern weil der betreffende Prediger
,,fort ä la mode" ist. Seinen Namen weiß sie nicht mehr, aber
er hat viel esprit und ,,tout le monde y sera".^^^) Es kostet
jedoch wenig Mühe, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Sie
findet es schließlich doch viel unterhaltender, mit ein paar Freun-
dinnen auf eine der Foires zu gehen.
Diese Foires mit ihren menschlichen Abnormitäten,^^) ihren
seltsamen Tieren, ihren Maschinen und sonstigen Sehenswürdig-
keiten besucht die vornehme Frau sehr gerne. ^^) An den hals-
brecherischen Künsten der Seiltänzer findet sie besonderen Ge-
fallen ;^^^) auch die ausgestellten Tiere, vor allem dressierte Hunde,
erregen ihr Interesse in hohem Grade. Sie geht in eine Bude,
um die Kunststücke eines solchen Tieres zu sehen; im Innern
ist es schon ziemlich dunkel und der Geruch, der ihr entgegen-
351) Prov. et Com. II, 0; 39.
352) Prov. I, 85 ff.
353) Prov. et Com. II, 210.
354) Ygi Gabriel de Saint-Aübin, Le Nain de la Foire.
355) Prov. et Com. IL 211.
356) Prov. II, 83.
Die vornrinnc jraiizösisehe Fn/ii des XVIII. Jahrhiinderts. 57
dringt, ist nicht besonders einladend. iVJxT in l^rwartnng- des
bevorstehenden Genusses nimmt die sonst so anspruchsvolle
Dame diese kleinen Unannehmlichkeiten gerne mit in Kauf.
Doch ihre hohen Erwartungen erfüllen sich nicht: der Hund,
ein häßliches altes Tier, macht alles falsch, und ärgerlich verläßt
die Dame die Bude wieder.^'^")
Aber auch ernstere Beschäftigungen nehmen die Frau am
Nachmittag in Anspruch. Hätte Moliere hundert Jalire später
gelebt, so hätte er noch mehr Vorbilder für seine ,,Femmes sa-
vantes" gefunden als zu seiner Zeit. Die Sucht, für hochgebildet
zu gelten, ist bei den vornehmen Frauen des 18. Jahrhunderts
allgemein. Sie verstehen sich nicht nur auf die Beurteilung von
Gemälden und Skulpturen, ^^^) sondern befassen sich mit allen
Zweigen der Wissenschaft. ,,Une manie des sciences s'est emparee
depuis quelque temps de la plupart des femmes. Elles savent
tout actuellement, excepte le quantieme du mois, le joui- de la
semaine et Theure qu'il est."^^^)
Die Dame besucht Vorlesungen über Physik und Chemie,^®'')
liest die Histoire romaine und begeistert sich für die großen
Männer aus der Glanzperiode des römischen Reiches. ^^^) Sie
bedauert lebhaft, nicht Griechisch zu können ;^*'2) dafür treibt sie
aber Italienisch und ist darin schon so w^eit, daß sie zur Not den
Ariost lesen kann und in den operas bouffons jedes Wort ver-
steht.^^2) Auch der Sternenhimmel erregt ihr Interesse; sie
kennt die Namen der Planeten und ,, aller Sterne" ^^^) und be-
dauert, daß es keine Kurse für Astrologie gibt. Da könnte man
aus den Sternen die Tage lesen, an denen man Unglück im Spiel
hat, und sich so vor manchem empfindlichen Verlust bewahren. ^^^)
Für die Naturwissenschaften hat sie ein besonders reges Interesse;
nicht nur, daß sie Kurse darüber besucht; wo sie etwas Ab-
sonderliches findet, kauft sie es, um es ihrer Sammlung ein-
zuverleiben. Stolz zeigt sie dann ihren Gästen die Schätze, die
sie erw^orben hat: einen Seeigel, eine Mumie oder eine ,,scalata".^^^)
Nach dem Gesagten könnten wir vielleicht meinen, die Frau
besitze infolge dieser vielseitigen Beschäftigung mit der Wissen-
schaft ein ziemliches Maß von Kenntnissen. Allein bei vielen
Damen ist dies nicht der Fall; sie betreiben die Studien nach dem
357) prov. II, 82 ff.
358) Prov. I, 298.
359) Prov. et Com. II. 103.
360) Prov. et Com. II, 28; 103.
361) Prov. et Com. II, 36.
362) ibid.
363) Prov. et Com. C. II, 37.
364) Prov. et Com. III, 205.
365) Prov. et Com. II, 132.
366) Prov. I, 301.
58 Hans IJr schlechter.
bereits früher angel'ührten Grundsatz: ,,11 laut tout efl'leurer."^^')
JNIit dem Besuche der Kurse nehmen sie es nicht sehr genau;
die eine ist schon vierzehn Tage der Naturgeschichte fern ge-
hlieben und eine andere hat überhaupt erst drei l^hysikstunden
besucht. ^^^) Man hat aber auch zu viele Abhaltungsgründe:
das eine Mal muß man zu einem englischen Friihstück gehen,
das andere Mal hat man mit einer Freundin einen Spazierritt
verabredet oder man muß der Aufnahme eines neuen Akademie-
mitgliedes anwohnen. ^^^) Das letztere tut die vornehme Frau
jedoch nur dann, wenn der Aufzunehmende ein ,,homme de la
eour"^^*') ist; mit den Gelehrten aus dem Volke will sie nichts
zu schaffen haben, denn diese sind gefährlich: ,,sie haben bereits
eine Abhandlung über die Gleichlieit aller Stände geschrieben
und sie wünschen diese Gleichstellung nur deshalb, weil sie dann
den Adeligen bald über sein werden. "^"^)
Die Bildung der Dame würde unvollständig sein, wenn sie
nicht auch von der Dichtkunst etwas verstünde; deshalb bemüht
sie sich, selbst Verse zu machen und lädt auch ,, Dichter" ein,
ihre neuesten Schöpfungen vorzulesen. ^'■^) Wie lästig sie ihren
Besuchern dadurch zuweilen werden kann, lassen folgende Worte
eines Marquis ersehen: ,, Je ne puis souffrir Madame de Plantemere ;
eile a envio d'etre savante. II faudrait lire avi^^ eile tous les
ouvrages nouveaux."-^'^)
Die meiste Zeit der vornehmen Frau beanspruchen die vielen
Besuche, die sie zu machen hat. Wir können diese Besuche
in zwei Gruppen teilen: in solche, die einen bestimmten Zweck
verfolgen, und in solche, die bloße Höflichkeitsbezeugungen sind.
Der ersteren Art liegt meist der Gedanke zugrunde ,,La
protection et l'intrigue fönt toujours plus que le merite."'^'^)
Um für ihren kaum 23jährigen Sohn ein Oberstenpatent zu
erlangen, geht die Frau nicht zum Minister, denn bei diesem
hätte sie mit ihrer Bitte wenig Aussicht auf Erfolg; sie sucht
ihren Zweck vielmehr durch eine Marquise zu erreichen, die bei
d(mi Minister persona grata ist und der er keinen Wunsch ab-
zuschlagen wagt. 3'^^) Diese versteht es auch vorzüglich, ihre
Wünschi^ durchzusetzen: ,,11 faut toujours demander, obtenir
et se plainch-e; il n'y a que ceux qui savent se plaindre qui ob-
3«^) Prov. et Com. II, 163.
368j p,.ov et Com. 11, 44.
369) il)id.
3™) Prov. et Com. II, 162.
3^1) ibid.
3'2) Prov. et Com. II, 216; .385.
373) Prov. III, 510.
3'4) Prov. et Com. II, 56.
3"5) Prov. et Com. II, 26.
Die vonieJtnic französische Frau des XVIII. Jiil/rhanderts. 59
ticnnent; (iiiand t)ii inncrcic, il faiit sc l'aire promettre encorc."^"^)
Ihr Salon ist auch i'ortwährond von Damen besucht, welche durch
sie das oder jenes zu erlangen lioffen. Wünscht eine Frau einem
Abbe eine einträgliche Pfründe zu verschaffen, so sucht sie dies
durch die N'ermittelung einer Freundin zu erreichen, die bei
dem zuständigen Bischof großen Einfluß hat.^'')
Doch geht sie oft auch selbst zu dem betreffenden Beamten,
und wenn dieser ihrer Bitte, einem jungen Manne, für den sie
sich interessiert, diese oder jene freie Stelle zu geben, nicht will-
fahren zu können erklärt, droht sie, ihm ihre Freundschaft zu
entziehen und iiat damit in den meisten Fällen den gewünschten
Ei'foJg.3"8) Aber nicht immer läßt sie sich die Fürsprache fiii-
ihren Schützling so sehr angelegen sein. Da sie gerade an der
Wohnung eines Staatsrates vorüberfährt, spricht eine Dame
bei diesem vor, um ihm die Bitte ihres Schutzbefohlenen zu
unterbreiten. Die Art und Weise, wie sie das tut, läßt ersehen,
wie wenig ihr an der ganzen Sache eigentlich gelegen ist. Sie
belästigt den Beamten ja nur, weil ihr Onkel großes Interesse
an dem Fortkommen des jungen Mannes hat. Die Bittschrift
des letzteren hat sie zuhause liegen lassen. Doch das macht
nichts; es wird ja genügen, wenn sie ihm sagen kann, daß sie
mit dem Staatsrate über die Angelegenheit gesprochen habe,
daß aber die Erfüllung seiner Bitte nicht möglich sei.^'*^)
Natürlich spielen bei derartigen Besuchen auch Heirats-
angelegenheiten eine große Rolle; wenn die Frau für ihren Sohn
eine passende Partie gefunden hat, die Eltern des betreffenden
Mädchens aber nicht näher kennt, so sucht sie deren Einwilligung
durch die \'ermittlung einer Bekannten der Familie zu erhalten;
wenn nötig, soll diese die Eltern des Mädchens daran hindern,
ihre Tochter einem andern zu geben. ^^'')
Bei der anderen Art von Besuchen ist die Hauptsache die
Unterhaltung, das Bedürfnis, Neuigkeiten zu hören und zu be-
richten. ,,Les visites ne sont qu'une forme de politesse, ou
plutöt d'usage; ce ne sont pas lä des preuves d'amitie."^^) W^nn
auch die Dame des Hauses ihre Besucherin mit den freundlich-
sten Ausdrücken begrüßt und ihr den Vorwurf macht, sie habe
sich ,,mille ans" nicht mehr sehen lassen,^') so dürfen wir doch in
diesen Worten nichts weiter als eine Höflichkeitsformel erblicken.
Hire eigenen Verwandten besucht die Dame nur ungern; sie
ist schon vierzehn Tage nicht mehr bei ihrer Großmutter gewesen
376) prov. et Com. II, 81.
3^') Prov. et Com. III, 97.
378) Prov., Les bons.
3'») Prov. III, 30/31.
380) pro^- pt (^orn. II, 160—164.
381) Prov. et Com. II, 223.
382) Prov. et Com. II, 27.
60 Hans Urschlechter.
und um von ihr nicht gescholten zu werden, bittet sie eine Freun-
din, mit ihr hinzugehen; aber diese geht nicht mit, denn ,,chacun
a ses grands-parents, c'est bien assez."^^^) Eine Dame lädt ihre
Nichten ein, sie am nächsten Tag zu besuchen; sie versprechen
dies hoch und teuer und wenn sie ja am Kommen verhindert
sein sollton, wollen sie ihr ein Briefchen schreiben. ,, Jawohl",
erwidert die Dame, ,,ihr werdet keines von beiden tun/'^^'*)
Bei diesen Besuchen treten die kleinlichen, oft recht un-
schönen Eigenschaften der Frau so recht zutage. Plauderhaftig-
keit und unersättliche Neugierde haften ihnen allen an. Die
nichtssagendsten Vorkommnisse sowie die Skandalgeschichten
schlimmster Sorte finden an ihnen aufmerksame Zuhörerinnen.
Ein von ungefähr dazukommender Herr braucht nur eine etwas
geheimnisvolle Miene zu machen und er darf sicher sein, daß
sofort alle anwesenden Frauen ihn mit Fragen bestürmen und
daß er nicht eher Ruhe hat, als bis er die neueste Begebenheit
haarklein erzählt hat.^^^)
Den Hauptgesprächsstoff bilden die üble Nachrede und
abfälhge Bemerkungen über andere Damen. Besonders unge-
halten ist man über jene adeligen Frauen, welche den Vergnügun-
gen der Gesellschaft die stillen, bescheidenen Freuden eines
glücklichen Familienlebens vorziehen. Nur im wegwerfendsten
Tone spricht die Weltdame von diesen ,,especes"2^^) oder ,,especes
de prüdes". ^^'^) Auch die Bezeichnung ,,vertu"^^^) hat sie für
diese Frauen ; sie will mit ihnen nicht das geringste zu tun haben :
„C'est donc une vertu ? Cette femme-lä me deplait ä mourir."^^^)
Doch der Umstand, nicht zu diesen verächtlichen ,,especes"
zu gehören, bietet noch lange keine Gewähr, gegen jede Art von
Verleumdungen und Verdächtigungen. Selbst ihre Bekannten,
mit denen sie täglich verkehrt, ja sogar ihre Jugendfreundinnen,
sind nicht sicher vor dem abfälligen Urteil der vornehmen Dame.
Meistens beziehen sich diese lieblosen Reden auf die äußere Er-
scheinung der Frau. Vielleicht fühlt sich die Dame dadurch
verletzt, daß man in ihrer Gegenwart andere Frauen rühmt,
vielleicht auch sieht sie in dem Lobe der Schönheit anderer
Damen eine Geringschätzung ihrer eigenen Reize. Welcher Art
ihre Beweggründe auch sein mögen, sie läßt keine der Lobes-
erliebungen gelten, welche ihr Gast der Schönheit einer Frau
spendet. Lobt man deren schöne Augen, so entgegnet sie, die-
selben seien ausdruckslos. Die Gräfin, für deren Schönheit ein
383) Prov. et Com. II, 1G9— 170.
384) Prov. et Com. II, 125.
385) Prov. I, 340 ff.
386) Prov. III, 389; Prov. et Com. II, 352.
387) Prov. III, 400.
388) Prov. et Com. II, 143.
389) Prov. I, 90.
Die i'onu'linw französische Frau des XVIII. Jahrhunderts. 61
.\l)be so sehr schwärmt, ist ,,une petito sotto qui a des dents
qiii ne finissent pas".^^") Die Begeisterung der Herren für eine
andere erklärt sie folgendermaßen: ,,Oui, c'est une petite horreur
qui ne sait pas danser, et Ton trouve cela charmant. "^^^) Eine
andere Frau nennt sie „une sötte creature".^^^) Als man einer
Dame die Schönheit einer Frau von Rouviere rühmt, erwidert
sie: ,,Sie hat eine furchtbar dunkle Haut; zudem ist sie schlecht
gebaut. "^^^) Da die beiden zusammen im Kloster waren, ist an
der Wahrheit ihrer Worte nicht zu zweifeln. Wenn die Rede auf
eine Dame kommt, die allgemein als die erste Pariser Schönheit
gilt, hat man trotzdem noch einige ,,aber" und findet an ihr
noch manches auszusetzen, so vor allem, daß sie keine Physio-
gnomie habe.^^^)
Bietet aber die Schönheit einer Frau allen Verdächtigungen
keinen Angriffspunkt, so entdeckt man wenigstens in ihrem
Charakter den einen oder andern Fehler: der einen fehlt es an
esprit und Charakterfestigkeit,^^^) die andere ist ein ,, verzogenes
Kind",^^^) wieder eine andere nennt man eine ,,femmelette"^^')
oder eine ,,imbecille".^^^) Diese weiß nicht, wie einfältig sie
ist,'''^^) jene hat eine allzu große Vorliebe für festliche Veranstal-
tungen^''*') und in dem Benehmen einer Dritten sieht man ein
„etwas dirnenmäßiges Gebahren".^*^^) Und doch ist das Benehmen
der Frauen, die über andere so hart urteilen, um kein Haar besser;
man tadelt eben an anderen, was man selbst täglich tut.^''^) Hoch-
mütig sieht man herab auf die Fehler des Nebenmenschen und
spricht selbstgefällig: ,,Je serais bien fächee d'etre comme teile
ou teile personne. "*°^)
So abfällig die Weltdame über ihr nicht genehme Frauen
urteilt, so sehr ist sie auf der anderen Seite bemüht, die Vorzüge
ihrer Freundinnen in ein möglichst günstiges Licht zu stellen.
Die nämliche Dame, die an allen Frauen etwas auszusetzen findet,
sagt von einer Freundin: ,,Frau von Mirevault ist liebenswürdig!
Das nenne ich eine Frau."^"^) Dabei ist diese schon über vierzig
Jahre alt und, wenigstens nach dem Urteil des Abbe, gar nicht
390) Prov. I, 65.
391) Prov. I, 68.
392) Prov. III, 401.
393) Prov. I, 64.
394) Prov. et Com. II, 358.
395) Prov. et Com. II, 247.
396) Prov. et Com. II, 214.
397) Nouv. Prov. I, 104.
398) Nouv. Prov. I, 105.
399) Prov. et Com. II, 116.
400) Prov. III, 394.
■»Ol) Prov. I, 68.
402) Prov. et Com. III, 213.
403) Prov. et Com. III, 214.
^^^) Prov. I, 65.
62 Hans Urschlechler.
schön. Ja selbst die kleinen Schwächen der Freundin weiß sie
in vorteilhafte Eigenschaften umzuwandeln: die üble Angewohn-
heit einer Frau, bei jedem Wort, das sie spricht, zu lachen, schreibt
sie deren heiterem, lebensfrohem Wesen zu.'*"^)
Die üble Nachrede erstreckt sich nicht nur auf abwesende
Personen; auch die Anwesenden, ja die Frau des Hauses selbst,
sind zuweilen die Zielscheibe versteckter BöswilUgkeiten. Eine
Frau meint einer Bekannten gegenüber, es gebe Mittel, Sommer- •
sprossen zu beseitigen, ,, natürlich," fügt sie mit einem Blick in
das Gesicht ihrer Besuclierin hinzu, ,,wenn man welche hat."^"^)
Da einige Damen wissen, daß ein Herr von Mondoux eine reine
Null in seinem Hause ist, suchen sie ihn auf jede Weise ins Ge-
spräch zu ziehen, fragen ihn nach seiner Ansicht über ein neues
Trauerspiel und freuen sich höchlich, da sie sehen, wie sehr sich
Frau von Mondoux über diese Auszeichnung ihres Gatten ärgert. '*"")
Noch unhöflicher, zuweilen sogar verletzend, wird das Benehmen
der vornehmen Dame gegen die Frau, deren Vermögensverhält-
nisse — ob durch eigenes Verschulden oder nicht, ist gleich-
gültig — in Unordnung geraten sind. Mit jedem Worte, mit
jeder Miene, läßt sie dieselbe den Unterschied merken, der nach
ihrer Meinung nunmehr zwischen ihnen besteht. Hinter ge-
heucheltem Mitgefühl zeigt sich verhaltene Schadenfreude. Hire
Besuche werden immer kürzer und seltener, um endlich ganz
aufzuhören.*"^)
Bedauernswert ist die Frau, die unverschuldet ins Unglück
geraten ist und nun bei ihren vermeintlichen Freundinnen Hilfe
sucht. Wo sie ein mitfühlendes Herz und eine hilfreiche Hand
zu finden hoffte, empfängt man sie kalt und teilnahmslos. Man
lädt sie kaum zum Setzen ein; gleichgültig hört man ihre Er-
zählung an, ein Achselzucken ist die einzige Antwort. Entrüstet
über eine solche Undankbarkeit erhebt sich die Unglückliche;
die einstige Freundin hält ihr, wie einer Bettlerin, einige
Geldstücke hin, welche die Hilfesuchende empört zurück-
weist.4»9)
Diese letzteren Beispiele mögen zeigen, wie es manchmal mit
der Freundschaft und dem Edelmut in diesen Kreisen bestellt ist:
Freundlichkeit und Zuvorkommenheit im Glück, Rücksichtslosig-
keit und Verachtung im Unglück. Das sind die Schattenseiten
dieser vornehmen Gesellschaft, von der Carmontelle sagt, daß sie
sich zusammensetze aus ,,gens contraires au bonheur de ceux qui
les connaissent".'*^'')
'*"5) Prov. IV, 325.
406) Ppov et Com. I, 13.
^^') Prov. III, 394 fr.
-»OS) Prov. III, 451.
409) Prov. II, 327/28.
410) Prov. III, 451.
l)io wnir/uNc französische Frau des XVI U. Jahrliuiiderts. 63
Die B(?suohszt>it lallt, nacli einigen »Stellen bei vinserom
Dichter zu schließen, zwischen den SchluB des Theaters und das
Souper;*^^) so heißt es einmal: les visites depuis quelque
temps ne commencent qu'apres le spectacle."^^"^) Doch dürfen
wir wohl annehmen, daß dies erst für die spätere Zeit zutrifft,
daß man dagegen früluM- meist schon vor Beginn des Theaters
seine Besuche macht; zahlreiche Belegstellen sprechen für diese
Annahme. Jedenfalls ist man während des Theaters sicher,
niemand zu Hause anzutreffen; diese Zeit wählt man haupt-
sächlich dann zu Besuchen, wenn einem daran gelegen ist, die
betreffenden Personen nicht zu treffen. Diese bequeme Art,
seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen, scheint
damals sehr beliebt gewesen zu sein.'*^-'')
Wenn die Dame endlich gegen Abend ihre vielen Besuche
beendet hat, fährt sie nach dem Palais-Boyal oder nach den
Tuilerien. Diese Promenade im Palais-Royal sehen wir in zwei
Bildern Debucourts;*^^) bei Carmontelle spielen die Tuilerien eine
größere Rolle. Gegen Abend findet sich hier die ganze vornehme
Welt ein. In der großen Allee flutet ein Strom von fröhlichen
Menschen; die Damen zeigen sich in ihren prächtigsten Toiletten
und tragen ihre wertvollsten Diamanten. Dieser Abendspazier-
gang bildet ein Haupt vergnügen der Weltdame. *^^) Deshalb ist
sie auch sehr ärgerlich, wenn sie infolge schlechten Wetters auf
dieses Vergnügen verzichten muß: ,,Je suis bien fächee; car il
ne peut pas y avoir de Tuileries aujourd'hui, et je les aime beau-
coup,"*^'') oder wenn ein plötzlich einsetzender Regenschauer in
einem Augenblick das farbenprächtige Bild zerstört und sie sich
gezwungen sieht, in Eile in ihren W'agen zu f lochten. ^^')
In der späteren Zeit zieht man dieser Promenade in den
Tuilerien eine Spazierfahrt auf den Boulevards vor.'*^^) Langsam
folgt ein Wagen dem andern; elegante junge Herren kommen an
den Wagensclilag der ihnen bekannten Damen, um ihnen Schmei-
cheleien zu sagen; Blumenverkäuferinnen steigen auf das Tritt-
brett und bieten den Damen frische Blumen an."^)
Werfen wir hier einen kurzen Rückblick auf das Gesagte,
so sehen wir, daß der Nachmittag der vornehmen Frau ganz den
411) Prov. et Com. II, ISO; 230; 389.
412) Prov. et Com. II, 106.
413) Prov. et Com. I, 299; II, 115; 207.
414) Vgl. Debucourt, La Promenade publique au Palais-Royal
und Debucourt, La Promenade de la Galerie du Palais-Royal.
415) Prov. et Com. II, 262; 359 ff.
416) Prov. II, 116.
417) Prov. II, 7.
418) proy et coni 11^ 361; 395.
419) Prov. III, 508. Vgl. auch Augustin de Saint-Pierre, La
Promenade des remparts de Paris.
64 Hans Urschlechler.
gesellschaftlichen \'erpflichtungen und dem Vergnügen gewidmet
ist. Immer ist sie in Bewegung, keinen Augenblick hat sie Ruhe.
Wäre übrigens der Frau eine Stunde Alleinsein, eine Stunde, in
der sie sich mit sich selbst beschäftigen könnte, erwünscht ?
Wir dürfen dies kaum annehmen, denn wir sehen, daß sie fast
eine gewisse Angst davor hat, allein zu sein.
Und doch gibt es auch im Leben der Weltdame Stunden,
wo sie keine Gesellschaft hat, wo sie nicht ausgehen mag oder
wegen einer kleinen Unpäßlichkeit nicht ausgehen kann. Diese
langen Stunden sind ihr eine Qual; die Mittel, auf die sie verfällt,
um die Langeweile fernzuhalten, sind recht bezeichnend. Die
Stille des Zimmers ist ihr unheimlich; sie muß etwas Lobendes
um sich haben und hält deshalb kleine Hunde, Angorakatzen und
Papageien. *2oj Auch weniger schöne Tiere, wie Affen (magots),
gehören zu ihren Liebhngen.''^i) Dagegen kann sie größere Hunde,
besonders Jagdhunde, nicht ausstehen: ,, Getto vilaine bole-lä
venait toujours s'etendre devant lo feu et eile nous infectait.'"*'^-)
Auch Handarbeiten fertigt sie in solch einsamen Stunden.
Sie macht Liebesknoten,^23) beschäftigt sich mit parfilage*'^) oder
stickt für einen Verehrer eine Weste, *2^) Einen etwas eigentüm-
lichen Geschmack verrät es, wenn eine Dame einen Lehnstuhl
anfertigt, in dessen Sitz Musikinstrumente, umgeben von Mohn-
blüten und Lilien, eingestickt slnd.^^e^
Am Abend stehen der Frau die verschiedenartigsten Ver-
gnügungen zu Gebote. Da sind vor allem die zahlreichen Theater;
an den Spieltagen der Oper darf sie natürlich hier nicht fehlen;
„ganz Paris ist dort,"'*-") denn die Oper ist ,,le spectacle des
gens de goüt".'*-^) An den übrigen Tagen geht sie in die Comedie
frangaise oder ins Theätrc des Italiens. Auch kleinere Theater
besucht sie hin und wieder, so die petits spectacles du boulovard*^^)
oder die Varietes amüsantes.*^")
Wenigstens in einem der drei großen Theater, manchmal
sogar in allen drei,"*^^) hat die Dame ihre eigene Loge. Die grandes
loges der früheren Zeit^^^) haben den viel angenehmeren petites
^20) Prov. et Com. II, 318.
■121) Prov. I, 298.
«2) Prov. IV. 183.
423) Prov. II, 144; Prov. et Com. I, 345.
424) Prov. et Com. II, 6.
425) Prov. II, 10; Prov. et Com. II, 190.
426) Prov. III, 29 fr.
427) Prov. et Com. III, 208.
428) Prov. et Com. II, 93.
429) Prov. et Com. II, 203.
430) Prov. et Com. I, 4.
431) Nouv. Prov. II, 257.
432) Prov. et Com. II, 135.
Die vornehme französische Frau des XVI 11. Jahrhunderts. 65
loges^^^) weichen müssen. Betrachten wir die Schilderung der
letzteren bei Goncourt, so werden wir deren Beliebtheit leiclit
begreifen: „C'est une löge masquee de Stores. On y arrive en
deshabille, on y apporto son epagnenl, son coussin et sa chauffe-
rette. On y recoit le monde qu'on veut, et on y tient tout haut
une conversation dont on n'interrompt le babil et les eclats qmi
pour regarder par le morceau de verre de son eventail les entrants
et les sortants sans qu'ils vous voient."^^*) Überall in der Gesell-
schaft ist das Bestreben bemerkbar, sich in der Öffentlichkeit zu
verbergen ;*^^) deshalb nimmt man eine petite löge „pour y
arriver ä l'heure qu'on veut, pour y recevoir ses amis, ses con-
naissances, et pour n'etre pas en representation".*^^)
Es gehört zum guten Ton, nicht gleich bei Beginn der Auf-
führung anwesend zu sein; deshalb erscheint die vornehme Dame
erst im Verlauf des ersten Aktes oder nachdem schon der zweite
begonnen hat. Dabei macht sie möghchst viel Geräusch, um
die Augen der Zuschauer auf sich zu lenken; wie sollte man denn
sonst auf ihr Kommen aufmerksam werden ?^^") Die Frau geht
ins Theater, um sich zu unterhalten;*^^) wenn sie keine Bekannten
um sich hat, mit denen sie plaudern kann, langweilt sie sich.*^")
Deshalb lädt sie Herren in ihre Loge, um sich mit ihnen zu unter-
halten;^*") Herren, die ihr gerade einen Besuch abstatten wollen,
nimmt sie mit ins Theater ,,pour completer sa loge".**^) Die
Gesellschaft, die sie hier findet, ist nicht so langweilig, wie die-
jenige, welche ihr zu Hause ihre Aufwartung macht. **^) In der
Oper erfährt man nicht nur die Tagesneuigkeiten, sondern auch
die Skandalgeschichten der Gesellschaft: ,,0ü voulez-vous qu'on
puisse mieux s'instruire des nouvelles liaisons, des ruptures, et
de tout ce qu'il est important de savoir quand on vit dans la
bonne compagnie, pour ne pas faire, ä chaque pas, des bevues
ä renverser ?**^) Sowie man jemand kommen sieht, erfährt man
auch schon seine Geschichte ,,dans les foyers, dans les corridors,
comme dans les loges".^**)
Natürlich unterhält man sich ganz laut, denn in den petites
loges kann jeder tun was ihm beliebt. ^*^) Theaterbesucher, die
den Vorgängen auf der Bühne folgen und von dem Gesprochenen
433^ Vgl. Moreau 1. j., La petite löge.
*^*) Goncourt, p. 130.
*35) Prov. et Com. II, 135.
«6) ibid.
*3-) Prov. et Com. II, 351/52.
*38) Prov. et Com. III, 207.
*39) Nouv. Prov. I, 100.
**0) Prov. I, 69.
**i) Prov. et Com. II, 167.
«2) Prov. et Com. II, 134/35.
**3) Prov. et Com. III, 209.
***) ibid.
W5j Prov et Com. II, 135.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 5
6(5 Hans Urschlechter.
auch etwas verstehen möchten, kommen infolge dieser laut ge-
führten Gespräche zumeist nicht auf ihre Rechnung; es hilft
ihnen auch nicht viel, wenn sie eine andere Loge nehmen, denn
sie kommen dabei oft vom Regen in die Traufe. '*^^)
Wozu ist es denn auch nötig, daß man, besonders bei Schau-
spielen, immer nach der Bühne blickt ? Man sieht die Stücke
ja oft genug, da man jeden Tag ins Theater geht. Es ist auch
leicht, ein Urteil über die .Stücke abzugeben, denn diejenigen,
die man an der Oper gibt, sind alle gut.**'') Etwas anderes ist es
freilich, wenn die Guimard tanzt. Da richten sich die Blicke
aller Damen nach der Bühne, um die Kunst dieser unvergleich-
lichen Tänzerin zu bewundern und ihre geschmackvolle Toilette
einer eingehenden Prüfung zu unterziehen;**^) da entringen sich
manchem schönen Munde die entzückten Worte: ,,Ah! comme
olle est mise, comme eile dansel"**®) Alle anderen Tänzerinnen
verschwinden neben dieser gefeierten Schönheit, von der es in
oinem Polizeibericht heißt, sie habe ,,la plus belle gorge du
monde",*^") und der zu Ehren man ,,robes ä la Guimard"
trägt. *5i)
Bezüglich der Musik gehen die Ansichten der Gesellschaft
auseinander; es bestehen zwei Parteien, von denen die eine für
die französische Musik eintritt, während die andere der italieni-
schen den Vorzug gibt.*^^) Die letztere Partei ist die stärkere;
die große Mehrzahl der Damen kennt nichts Schöneres als die
neue, d. h. italienische Musik. *^^) Gluck erfreut sich noch großer
Beliebtheit, aber man zieht ihm vielfach die Italiener Sacchini
und Piccini vor.*^*) Eine Dame kann nicht verstehen, wie man
demnächst Glucks ,,Iphigenie in AuHs"*^^) geben kann, während
man doch so viele reizende Sachen von Piccini hat.*^^) Ein Abbe
geht in der abfälligen Beurteilung der Anhänger der französischen
Musik so weit, daß er hofft, daß diese ,,generation barbare tire
a sa fin".*^^)
Hier dürfte der Platz sein, einiges über das Gesellschafts-
theater zu sagen. In den Sommermonaten, sowie während der
Quinzaine de Päques sind die Pariser Theater geschlossen;*^^)
**6) ibid.
**') Prov. et Com. II, 136.
**«) Prov. et Com. II, 203.
**9) Prov. et Com. II, 137.
45oj Fragonard, p. 171.
451) Fragonard, p. 176.
452) Prov. et Com. I, 295.
*53) Prov. et Com. II, 107.
454) Prov. et Com. I, 295.
*55) Erstaufführung an der Oper 1774.
*56) Prov. et Com. II, 205.
*") Prov. et Com. II, 38.
*58) Prov. et Com. II, 192.
Die vornehme französisehe Frau des XVIII. Jahrhuiuirrts. (57
man nimmt deshalb zum Gesellschaftsthoater seine Zuflucht.
Den Sommer verbringt man auf dem Lande, weniger, weil man
die Annehmlichkeiten des Landlebens genießen will, sondern
weil es zum guten Ton gehört. Der Sinn für die Natur ist bei
vielen Damen nicht sehr stark entwickelt; der Geruch des Veil-
chens ist ihr zu gemein, ^^^) und sie findet, daß die natürlichen
Blumen ,,fast ebenso gut riechen" wie die künstlichen, die man
gegenwärtig maclit.^^") Es muß schon gar niemand mehr in
Paris sein, wenn die Dame sich entschließt, aufs Land zu gehen. *®^)
Man lädt sich gegenseitig ein und vertreibt sich die Zeit mit
Theaterspielen, denn ,,ohne Theater und Bälle wäre das Leben
in der Provinz unerträglich".^®-) Das Einstudieren der Rollen
und die liäufigen Proben bilden den Damen eine willkommene
Abwechslung, und manchmal sind sie mit ihren Gedanken so
ganz bei der bevorstehenden Aufführung, daß sie beim Lotto
oder Triktrak ganz unbegreifliche Fehler machen.*®^)
Die Bühne wird in der Orangerie oder einem größeren Saale
errichtet."*®*) Das Bestreben der vornehmen Dilettantin geht vor
allem dahin, sich als möglichst gute Schauspielerin zu zeigen.*®^)
Daß man einer Präsidentin nachrühmt, sie spiele sehr natürlich,*®®)
kann ihr gar nicht imponieren; ,,zum natürlich spielen gehört
nichts," meint sie, ,,das kann die Tochter meines Gärtners auch.
II faut savoir toutes les positions dans les differentes scenes,
combiner tous ses mouvements, avoir des oppositions dans ses
gestes, et savoir dire, surtout, ses ,,ä parte" de maniere que
tout le monde les entende."*®'') Wo sollte die Präsidentin denn
das alles gelernt haben ? Sie ist ja noch gar nicht lange in der
Gesellschaft und hat noch nicht oft genug ins Theater gehen
können, um sich das alles anzueignen. Von sich selbst dagegen
erklärt die Dame mit Stolz, daß sie ,,contrefait toutes les actrices
a s'y meprendre".*®^) Sie begnügt sich auch gar nicht damit,
den Schauspielerinnen im Theater ihre Künste abzusehen, sondern
sie übt auch, so sehr sie dies auch in Abrede stellt, ihre Rolle
mit der Mademoiselle Contat ein;*®^) trotzdem behauptet ein
Herr, er habe sie einmal ,,ä contresens" spielen sehen.*^") Zu-
weilen treibt die Frau die Nachahmung bekannter Schauspiele-
*59) Prov. et Com. I, 284.
460) Prov. et Com. II, 150.
*®i) Prov. et Com. I, 21.
*62) Prov. et Com. II, 109.
463) Prov. et Com. III, 41.
4®4) Prov. et Com. III, 45.
*®5) Prov. et Com. III, 51.
*®®) ibid.
4®') ibid.
468) Prov. et Com. III, 50.
46«) Prov. et Com. II, 204.
4^0) Prov. et Com. II, 205.
5*
68 Hans Urschlpchter.
rinnen so weit, daß sie unausstehlicli wird: ,,elle est ridiculo
avec ses pretentions."'*'^)
Bei der Verteilung der Rollen ist die Dame natürlich
darauf bedacht, für sich die dankbarste Rolle zu erhalten. In
,L'Oracle" spielt sie die Lucinde,'*''^) in ,,Le Philosophe marie'"
die Geliante;*^^) die Titelrolle in „Nanine"*'*) und die Rolle der
Marquise in ,,La Surprise de l'Amour"^'^^) gehören zu ihren
besten Leistungen. Einer Frau, deren Rivalität sie besonders
fürchten zu müssen glaubt, weist sie möglichst kurze und un-
dankbare Rollen zu.*'^)
Die Salonbühne bietet der Dame die beste Gelegenheit, ihre
Schönheit sowie ihre geistigen Vorzüge zur Geltung zu bringen:
,,Sa figure est charmante! Sa taille, son maintien, tout en eile
a de la gräce, de la noblesse; eile a de la sensibilite dans la voix,
de l'esprit, et un ton excellent."*") Kleine körperliche Mängel
weiß sie geschickt zu verdecken: ,,elle grossit sa taille par des
fleurs, des gazes."'*''^) Die Toilettenfrage spielt bei dergleichen
Veranstaltungen selbstverständlich eine bedeutende Rolle. Man
braucht ,,de belles etoffes", Taffet ist zu den hier benötigten
Kostümen zu gering.^^^) Nicht immer ist bei der Wahl der Toilette
der gute Geschmack ausschlaggebend. Obwohl die in einem
Stücke vorgeschriebene Tracht die französische ist, will eine
Dame einen hohen spanischen Kragen anlegen; da der Diamanten-
schmuck ihrer Freundin schöner ist als der ihrige, bittet sie diese,
ihr denselben zu leihen.*^") Die Wahl eines möghchst eleganten
Kleides nimmt viel Zeit in Anspruch; schließlich entscheidet sich
die Frau für ein grüngestreiftes, das ,,im Lichte rosa und grün
schillert". *8i)
Wenn die Dame am Schlüsse der Vorstellung das Theater
verläßt,^^2) schickt sie einen der sie begleitenden Herren fort,
um nach ihrem Bedienten zu suchen; er muß am Ausgang des
Theaters warten, bis ihr Wagen vorgefahren ist und sie dann
benachrichtigen.*^^) Hierauf fälirt sie zum Souper bei einer
Freundin; sie lädt auch einen Herrn, für (h^n sie sich interessiert,
**^i) Prov. et Cum. III, 4;i.
472) Prov. et Com. III, 64.
473) Prov. et Com. III, 61.
474J Prov. et Com. III, 56.
4'5) Prov. et Com. III, 65.
476) Ppov et Com. III, 56; 61.
4") Prov. et Com. III, 49.
478) Prov. et Com. III, 43.
4 '9) Nouv. Prov. II, 263.
480) Prov. IV, 188.
481) ibid.
482) Ygi_ Moreau, La Sortie de l'Opera.
483) Prov, et Com. II, 167.
Die vornehme französische Frau des XVII l. Jahrhunderts. 69
ein, sie zu begleiten; aber dieser bedauert, dies nicht tun zu
können, da er schon wo anders zugesagt habe. In Wirklichkeit
aber fürchtet er den zweifelhai'ten Genuü, den ein Versmacher
den Eingeladenen bereiten wird.'*^'') Zwar weiß die betreffende
Dame recht gut, wie unbeliebt das Vorlesen einer langweiligen
Tragödie bei ihren Gästen ist und sie hat diesen gesagt, daß sie
einige neue italienische Lieder zu hören bekämen ;^^^) allein man
weiß schon, daß dies nur eine Finte ist, und um die lang-
weilige Flezitation nicht mit anhören zu müssen, geht man erst
später hin, denn ,,ä present on vient aussi tard que l'on peut".*^*)
Nicht selten findet vor dem Souper ein kleines Konzert^^')
statt, bei dem manchmal auch der Sohn oder die Tochter des
Hauses ein Klavierstück vortragen ;'*^^) zuweilen tritt auch die
Hausfrau selbst mit einer Arie aus einer neuen Oper vor ihre
Gäste. 489)
Im Winter und besonders im Fasching ist das Leben der
Dame besonders abwechslungsreich; zu den sonstigen Ver-
gnügungen kommen noch die zahlreichen Bälle. Manche Frau
hat eine wahre Leidenschaft für das Tanzen; sie geht während
des Karnevals auf alle Bälle'*^*') und ,,est de toutes les loges oü
Ton danse".*^^) Eine Dame ist kränklich; der Arzt hat ihr viel
Bewegung verordnet und sie geht deshalb auf alle Bälle; in
diesem Fasching hat sie erst zehnmal getanzt, sie weiß aber
nicht, ob sie es nicht noch öfter tut.^''^) Eine andere hat sich in
den Kopf gesetzt, ihr Kind selbst zu stillen; trotzdem nimmt sie
an allen Vergnügungen teil und das ,, macht ihr gar nichts". 4^^)
Eine Vicomtesse hatte ein Brustleiden; kaum hat sie sich davon
etwas erholt, so geht sie wieder auf den Ball und tanzt sechs
Kontretänze nacheinander. Fürchterlich erhitzt verlangt sie Eis ;
man verweigert es ihr; aber einer von jenen jungen Männern,
die das Wohlwollen der Damen dadurch zu gewinnen suchen,
daß sie auch ihren tollsten Launen entgegenkommen, holt ihr
welches und sie ißt es, ohne daß es jemand bemerkt. Ein'e
schwere Lungenentzündung ist die Folge ihrer Torheit. *^4)
Es ist leicht einzusehen, daß ein Leben, wie es im vorher-
gehenden geschildert wurde, auf die Gesundheit der Frau äußerst
484) Prov. et Com. II, 385.
485) Prov gt coi^ jl^ 389/90.
48«) Prov. et. Com. II, 181.
487j Yg] Augustin de Saint-Aubin, Le Concert.
488) Prov. et Com. III, 129; 148.
489) Prov. et Com. II, 37.
490) Prov. et Com. II, 217.
491) Prov. et Com. II, 182.
492) Prov. et Com. II, 180/81.
493) Prov. et Com. II, 206.
494) Prov. et Com. II, 118.
70 Hans Ur schlechter.
nachteilig wirken muß; so sagt denn auch ein alter Arzt: ,,Les
bals, le mauvais air qu'on respire dans les petites loges des
spectacles, et le froid qui vous saisit en en sortant, produisent les
trois quarts des maladies."^^^) Die Modekrankheit unserer Tage,
die Nervosität, ist auch bei den Frauen des 18. Jahrhunderts
"^ine ganz gewöhnliche Erscheinung. ^^^) Daneben werden auch
Katarrhe, *^")Husten,'*^^)Brustschmerzen,^^^)Magenbeschwerden,^"")
Verdauungsstörungen^^^) und obstructions^"^) als gewöhnliche
Krankheitserscheinungen erwähnt. Die Frau wendet dagegen
Wasserkuren an,^"^) trinkt Milch^"'*) und geht eine Zeitlang aufs
Land;*"!) da sie aber ihre gewohnte Lebensweise nicht aufgeben
will, hilft das alles nicht viel. 5"«)
Einer besonderen Beliebtheit erfreuen sich die Masken-
bälle.^°'') Ein bequemer Domino sowie eine Gesichtsmaske aus
Pappe schützen die Frau vor dem Erkanntwerden und gewähren
ihr große Freiheiten. ,,Ce sont des libertes prises et des pardons
demandes, des hardiesses suivies d'excuses, et des excuses accom-
pagnees d'audaces, des eloges de la beaute appuyees par le
geste."^"^) Die treulose Gattin kann dort ungestört mit ihrem
Liebhaber verkehren, der leichtsinnige Ehemann findet hier die
beste Gelegenheit, seiner Angebetoten seine heiße Liebe zu
beteuern.^"^)
Das Haupt vergnügen auf den Bällen bildet die Unterhaltung
und das Spiel. Während die junge Welt sich zu den Klängen
der Musik im Tanze dreht, ziehen sich die übrigen in die an-
stoßenden Gemächer zurück, um zu plaudern oder zu spielen.
Hier und dort sieht man zwei Frauen, Arm in Arm, in lebhafter
Unterhaltung sich inmitten der glänzenden Gesellschaft be-
wegen.^^'') Die Dame legt großen Wert darauf, eine vertraute
Freundin zu haben, der sie alle ihre Herzensangelegenheiten
offenbaren kann. Sie läßt keine Gelegenheit vorübergehen,
<ler Gesellschaft zu zeigen, daß diese Frau ihre ,,grande
«5) ibid.
*96) Prov. 11, 436. — Prov. et Com. 11, 144; 111, 127 etc.
4«') Prov. et Com. II, 248.
-198) Prov. et Com. II, 334.
"99) Prov. et Com. II, 239; III, 334.
500) Prov. et Com. II, 240.
501) ibid.
502) Prov. et Com. III, 127.
503) Prov. et Com. II, 119; 111, 210.
504) Prov. et Com. II, 318.
505) Prov. et Com. II, 318.
506) Prov. II, 436/37.
507) Ygj Moreau, Le Bai masque ä l'Hotel de ville.
508) Goncourt, p. 138.
509) Prov. 1, 357 ff.
510) Prov. III, 373.
Die vornehme französische Frau des XVIII. Jahrhunderts. 71
amie"^^^) ist, und wenn sie zu einem Souper oder einem Ball
eingeladen wird, erkundigt sie sich erst, ob ihre Freundin auch
dort sein wird. ^^2)
Auch ungeladene Gäste, wie Taschendiebe und andere
Schurken, wissen sich in die Ballsäle einzuschleichen und machen
sich die Sorglosigkeit und Unachtsamkeit mancher Damen zu
Nutzen. Sie scheinen aucli ganz gute Geschäfte zu machen:
eine Frau fürchtet im Gedränge ihre Uhr zu verlieren und gibt
sie dem hinter ihr stehenden elegant gekleideten Gauner zum
Aufbewahren. Dieser verschwindet damit sofort und sucht am
andern Ende des Saales nach einer neuen Beute. Es dauert nicht
lange, so nimmt eine Dame ihre Ohrringe, die sie schmerzen,
heraus und gibt sie dem Schurken zum Einwickeln. Dieser läßt
den einen in seine Tasche gleiten und gibt ihr den anderen ein-
gewickelt zurück; die Dame steckt ihn ein, ohne den Betrug
zu merken. ^^^)
In einem anderen Saale wird gespielt; hier sitzen einige
Herren bei einer Partie Whist, ^i*) an einem anderen Tische
spielen mehrere Damen mit einem Abbe Lotto. ^i^) Da eine der
Frauen mit ihren Gedanken offenbar nicht beim Spiel ist, ge-
winnt der Abbe;-^^^) aber es gibt auch Frauen, die gut spielen ;^^')
diese sind von den Herren weniger gesucht, da die letzteren
befürchten, ihr Geld an sie zu verlieren. ^^^) Vor Leuten, die
im Spiel betrügen, hat man den größten Abscheu; solche
Kreaturen würdigt man keines Blickes. ^^^) Die beliebtesten
Spiele außer ^Mlist und Lotto sind trictrac,^^") billard^^i) y^jj
cavagnole.^-'^)
Die Bälle dauern in der Regel bis Tagesanbruch. Die in
der Oper beginnen gewöhnlich um 11 Uhr und enden um 6 Uhr
morgens. ^^^) Um diese Zeit begibt sich die vornehme Dame
endlich zur Ruhe, denn ihr Tag schließt, wie Mercier sagt, ,.ä
l'apparition de l'aurore."
511) Prov. et Com. II, 116.
512) Prov. III. 394.
513) Prov. III, 374.
51*) Prov. et Com. III, 42. Vgl. auch Moreau, La Partie
de Whist.
515) Prov. et Com. II, 166; III, 15/16.
516) Prov. et Com. III, 145.
51') Prov. et Com. III, 42.
518) Prov. et Com. III, 16/16.
519) Prov. et Com. II, 132.
520) Prov. et Com. II, 189: III, 42.
521) ibid.
522) Prov. et Com. III, 15/16.
523) Goncourt, p. 137 Anm. 2.
72 Hans Urschlechter.
IV. Galanterie und Liebe.
,,0n profane le nom de l'amitie dans le monde;
l'amour et l'amitie n'y sont guere qu'en peintures
et en sculptures; ils sont lä comme ces portraits
d'ancetres qui n'ont jamais ete connus de leurs
petits-fils."
(Carmontelle, La rentree de l'Opera.
Prov. et Com. I, 315.)
Es wäre ohne Zweifel eine dankbare Aufgabe, an der Hand
der dramatischen Erzeugnisse des 17. und 18. Jahrhunderts
darzutun, \\ie man in diesen beiden Jahrimnderten die Liebe
darzustellen pflegte. Das Ergebnis dieser Untersuchung würde
uns im ersten Augenblick sicherlich überraschen. Wir würden
sehen, daß die Auffassung der Liebe im 18. Jahrhundert grund-
verschieden ist von derjenigen, die wir bei den großen Klassikern
finden.
Das 17. Jahrhundert sieht in der Liebe eine alles bezwingende
Leidenschaft, ein Gefühl, das den ganzen Menschen durchdringt,
ihn veredelt und zu den größten Opfern befähigt. Die Heldinnen
eines Corneille oder Racine sind hehre Gestalten, und selbst die
sündige Liebe einer Phädra kann uns nur Mitgefühl, nicht aber
TUjscheu einflößen. Die dramatische Literatur des 17. Jahrhundert
hat die Verherrlichung des Weibes zum Ziele. Sie verdeckt
die materiellen Seiten der Liebe; die sinnliche, begehrende Liebe
hat darin keinen Platz. Sie zeigt uns dieses edelste der mensch-
lichen Gefühle in seiner ganzen Größe und Erliabenheit, mit einem
Wort: sie idealisiert die Liebe.
Anders im 18. Jahrhundert. Mit frevler Hand hat man den
Nimbus, der die Liebe früher umgab, wie einen unbequemen
Schleier hinweggerissen: aller edleren Regungen entkleidet,
steht sie da als sinnliches Begehren, als W'oUust. ,,L'ideal de
l'amour au temps de Louis XV n'est plus rien que le desir, et
l'amour est la volupte."^^^) Die Liebe ist also durchaus realistisch
geworden, man ist, wie Goncourt sich ausdrückt, ,,arrive au
vrai des choses."^^^)
Bei Carmontelle trägt die Liebe zwar nicht jenen stark
sinnlichen Zug, den Goncourt volupte nennt; seine Eigenschaft
als Theaterdichter der ,,bonne compagnie"^^®) mag ihn davon
abgehalten haben, dieses frevle Spiel mit der Liebe in seinem
ganzen Umfange und in seiner ganzen abstoßenden Häßlichkeit
darzustellen. Wo er uns galante Frauen zeigt, kommen meist
harmlosere Eigenschaften in Betracht; allein zahlreiche An-
•^24) Goncourt, p. 151.
525) Goncourt, p. 164.
526) Prov. et Com. III, 211.
Die i'onu'ltnie jranzösischf Frau des XVII I. Jakrhaiiderts. 73
deutungen lassen rcclit gut auf diMi wahron Cliaraktor vieler
dieser liaisons sehieBen.
Weibliche Scheu und Zurückhaltung sind der vornehmen
Frau des 18. Jahrhunderts vielfach unbekannt. Nicht nur, daß
sie sich willig dem Verkehr mit den Männern überläßt, sie sucht
deren Aufmerksamkeit durch Zudringlichkeiten aller Art geradezu
auf sich zu lenken. Vorübergehende Herren, die sie kennt, spricht
sie an und beklagt sich bitter darüber, daß sie von ihnen so sehr
vernachlässigt werde. ^-^) Um einen Mann, den sie zu ihren
Verehrern zählen möchte, an sich zu fesseln, scheut sie kein
Mittel. Sie erschöpft ihre ganze Unterhaltungsgabe um ihm
zu gefallen; sie lädt ihn zu Tische und weist ihm den Platz ihr
gegenüber an; sie führt ihn mit sich ins Theater und verfällt
schließlich auf die Aufführung eines Theaterstückes, dessen
,,scenes bien tendres"^^^) ihr gestatten, ihren Gefühlen in der
auffallendsten Weise Ausdruck zu verleihen. Da all diese Be-
mühungen nicht den gewünschten Erfolg haben, schlägt sie ihm
vor, mit ihr Paris, , .dessen Verbindungen nur oberflächlich sind
und schon deshalb nicht von Bestand sein können'", zu verlassen
und sie auf eines ihrer Landgüter zu begleiten, wo sie ,, ihrer
Liebe ungestört leben können. "^■^^) Kann eine Frau kühner
reden und ihre wahre Absicht in durchsichtigerer und aufdring-
licherer Klarheit äußern ? Es ist übrigens gar nichts so Unge-
wöhnliches, daß eine Frau sich mit ihrem Liebhaber auf das Land
zurückzieht;^^") daß die Dame dabei alles aufbietet um ihrem
Gaste das Leben so angenehm wie möglich zu machen, ersehen
wir aus den sehr befriedigten Worten eines Chevalier: ,,Ngus
avons chasse, joue au billard, au trictrac, et fait la meilleure chere
du monde."'^^)
Vergegenwärtigen wir uns zunächst das Milieu, in dem
sich die vornehme Dame bewegt. Die Gesellschaft setzt sich
zusammen aus ,,gens agreables et amusants"; ,,il faut que la
societe soit guirlandee de fleurs, cju'elle fourmille de talents
agreables, et qu'on ne se recherche que pour s'amuser."^^^) Die
Begriffe vertu und decence sind in diesen Kreisen unbekannt;
man hat kein Wort des Tadels oder Absehens für das Laster
in seinen verschiedenen Gestalten. ^^^) Man will sich amüsieren
und wäre es auch auf Kosten des guten Rufes anderer. ^^'*) Der
gute Ruf spielt übrigens keine große Rolle mehr: ,,Eh! qu'est-ce
527) Prov. I, 23.
528) Prov. et Com. II, 201.
529) Prov. II, 254.
530) Prov. III, 510.
531) Prov. et Com. II, 189.
532) Prov. et Com. III, 210.
533) Prov. et Com. III, 213.
534) Prov. et Com. III, 209.
74 Hans Urschlechter.
qui parle de reputation ä present ? II n'y en a plus ni bonne,
ni mauvaise ; chacun fait ce qu'il veut ; c'est le regne de la liberte."^^^)
Ebenso abgeschmackt ist es, von den guten Sitten zu reden:
,,Les mceurs, quel vieux mot! En a qui veut; mais on n'en
parle plus."^^^) Das Festlialten an solchen veralteten Begriffen
überläßt man den ,,gens respectables" ;^^'') die Gesellschaft hat
in dieser Beziehung andere Anschauungen und bildet sich ihre
sittlichen Begriffe nach anderen Gesichtspunkten. Für sie
ist gut, was angenehm ist, und ihre ganze Lebensweisheit baut sich
auf auf das Wort plaisir.
In dieser giftgeschwängerten Atmosphäre kann begreif-
licherweise die wahre Liebe nicht gedeihen. In dem ,,tumulte du
monde oü Tennui empoisonne toujours les plaisirs et oü Tespoir
d'en trouver devient l'unique jouissance"^'^^) herrscht vor allem
der esprit. Man sucht zu glänzen mit seiner Bildung und seinen
oft mehr eingebildeten als wirklichen Fähigkeiten; man sagt
sich Schmeicheleien, die nichts anderes sind als ein ,, Jargon
d'usage"^^^) und nur dazu dienen, sich gegenseitig auf liebens-
würdige Weise und mit lächelnder Miene zu betrügen. Die
Koketterie feiert hier ihre schönsten Triumphe. Die Frauen,
diese ,,jolies femmes ä la mode",5*°) betrachten die Huldigungen,
welche blasierte Lebemänner ihrer Schönheit (hu-bringen, als
etwas ganz Selbstverständliches; eines tieferen Gefühls, einer
wahren Herzensneigung sind sie unfähig und der Idealist, der
beim Eintritt in die Gesellschaft wähnte, eine ,,femme aimable,
uniquement occupee de lai" finden zu können, sieht bald ein,
daß er hier nach etwas suchen würde, was gar nicht vorhanden
ist.^*^) Diese ,, belies dames"^*'^) geben sich so viel Mühe, ihn
von ihrer Liebe zu überzeugen, daß er nur zu bald merkt, daß
dies nur Redensarten sind, von denen das Herz nichts weiß.
Man schmeichelt ihm nur deshalb so, weil man ihn zum besten
hat und sich nachher über seine Leichtgläubigkeit lustig machen
w^ill. ,,La patte de velours cache toujours des griffes."^*^)
Um einen Verehrer, der sie Nvirklich liebt, kümmert sich
die Dame nicht viel. Ein Mann, der nur sie auf der Welt sieht,
mit der er leben möchte, der eifersüchtig wird, wenn sie sich
mit flatterhaften Stutzern in eine sehr rege, nicht ganz harmlose
Unterhaltung einläßt, der froh darüber ist, daß sie durch schlechtes
Wetter verhindert ist, nach den Tuilerien zu gehen und daß er
•^35) Piov. et Com. III, 210.
536) ibid.
537) ibid.
538) prnv. et Com. I, 123.
539) prov. et Com. 1, 315.
540) prov. et Com. III, 55.
5") Prov. et Com. I, 125.
5-»2) Prov. et Com. I. 80.
543) Prov. et Com. I, 308.
Die vornehme französische Frau des XVIII. Jahrhunderts. 75
so eine Stunde mit ihr allein sein kann^*^) — ein solcher Mann
,,commence ä rennuycr".^^^) Wenn sie auch noch so fest von
der Aufrichtigkeit seiner Liebe überzeugt ist, so kann sie doch
seinetwegen den Genüssen des gesellscliaftlichen Lebens nicht
entsagen: ,,Quoi, parce que vous dites que vous m'aimez, il faut
que je renonce ä causer avec les gens que je rencontre; que je
ne parle qu'a vous; que j'annonce qu'il n'y a que vous que je
trouve digne de moi?"^*^) Ihre Auffassung von der Liebe weicht
allerdings auch merklich von der ihros \'erehrers ab und sie stellt
an ihn keine geringen Zumutungen: ,,Tout ce que je fais qui
m'amuse, doit vous faire plaisir: voilä comme on pense, commo
on sent, quand on aime reellement, avec delicatesse."^*") Der
Heiratsantrag, den ein bis über die Obren in sie verliebter Herr
einer Gräfin macht, kommt dieser so unbegreiflich vor, daß sie
eine Weile gar nichts zu erwidern vermag und schließlich ihrem
Gegenüber ins Gesicht lacht; der unglückliche ^'erliebte ist da-
durch für immer von seiner Leidenschaft geheilt. ^*^) Auf ein recht
zärtliches Verhältnis lassen auch die Worte schließen, mit welchen
eine Dame die Liebesbeteuerungen ihres Verlobten erwidert:
,,Vous voulez me parier de votre amour ? J'ai bien d'autres
affaires dans ce moment-ci.'"°^^)
Der Mann dagegen, der in der Liebe unbeständig ist, der
allen Frauen den Hof macht, der heute diese und morgen jene
mit den Versicherungen seiner Liebe überhäuft, ist sehr gesucht
und ihm laufen die Frauen förmlicli nach. Von einer gegen-
seitigen Achtung, dieser Grundbedingung der echten J.iiebe, ist
bei diesen Verhältnissen natürlich keine Rede; die Liebe, die aus
der Achtung entspringt, ,,commence ä devenir rare."^^") Wie
kann man auch eine Frau achten, wenn man von ihr verlangt,
daß sie die Pflichten, die sie gegen sich und ihre Familie hat,
gröblich verletze! Und doch darf man ihrer Einwilligung schon
im voraus versichert sein.^^^) Um ihre Gunst zu erringen, braucht
man keine übermäßigen Anstrengungen zu machen: der einge-
bildete Abbe, der ihr einige plumpe Schmeiciieleien zu sagen
weiß, gewinnt mit leichter Mühe ihr volles Vertrauen ;^^^) der
Chevalier ist wegen seiner Geckenhaftigkeit von den Frauen viel
umworben und man findet dies ganz natürlich, denn ,,c'est
Tusage''.^^^) Manche HeiTen haben bei den Damen solches Glück,
5«) Prov. II, 8.
545) Prov et Com. II. 149.
516) Prov. II, 8.
54') Prov. II, 9.
54«) proy et Com. II, 377.
5*9) Nouv. Prov. II, 257.
550) Prov et Com. III, 55.
fsi) ibid.
552) Prov. et Com. I, 15.
553) Prov. et Com. III, 29.
76 Hans Ur schlechter.
daß sie auch von solchen gerne gesehen werden, ,,qui ont le
plus de pretentions;"^^*) voll Selbstbewußtsein rühmt sich so ein
Unwiderstehlicher, daß die Frauen ihn reizend finden^^^) und
stolz erzählt er von seiner neuesten Eroberung, einer Dame
,,qui lui convient tres fort et avec qui il s'est arrange depuis
peu".^^^)
Für diese Art von Verbindungen — „fantaisies d'amour-
propre" nennt sie Carmontelle sehr treffend^^') — , gebraucht die
vornehme Frau gerne die Bezeichnung amitie; nach dem Zeug-
nisse eines Präsidenten ist diese ,, Freundschaft" zuweilen etwas
sehr Angenehmes und Nützliches und würde besser einen anderen
Namen tragen; er wenigstens hat von einer Dame Freundschafts-
beweise empfangen, die er sein Leben lang nicht vergessen wird.^^^)
Allein die Welt liebt prägnantere Bezeichnungen und macht aus
dem ami oder ami intime einen amant.^^^) Wir dürfen versichert
sein, daß sie damit den betreffenden Frauen nicht unrecht tut;
denn je bekannter ein Herr in der Gesellschaft ist, je mehr Liebes-
abenteuer er schon gehabt hat, desto größer ist das Verlangen
der Dame, die Neigung dieses Don Juan, wenn auch nur für kurze
Zeit, zu gewinnen. Sie ist befriedigt, wenn sie mit einem solchen
Löwen des Tages ins Gerede kommt und wenn sie sich rühmen
kann, ihn „gehabt zu haben". ,,Avoir" ist die Bezeichnung,
die man bei solchen vorübergehenden Verbindungen hat, und
wir können diesen Ausdruck unzählige Male aus dem Munde der
vornehmen Dame hören. ^^*') ,,Enlever" gebraucht sie, wenn es
ihr gelungen ist, einer Nebenbuhlerin einen Verehrer wegzu-
fangen.^^^)
Wie aber, werden wir uns fragen, kommt die vornehme
Frau denn dazu, sich Männern hinzugeben, von denen sie im
voraus weiß, daß sie in kurzer Zeit sie wieder verlassen werden,
während sie die aufrichtige Liebe eines ehrenwerten Mannes
schnöde von sich weist ? Ein erfahrener Lebemann erklärt seinem
Freunde diesen scheinbaren Widerspruch: ,,Quand vous n'etes
occupe que d'une seule, la societe vous regarde comme nul pen-
dant ce temps-lä: cette femme voyant qu'on n'est pas tente de
vous, ne s'en soucie plus elle-meme."^®^)
Wird die Dame eines Verehrers überdrüssig, so findet sie
leicht einen Vorwand, um mit ihm zu brechen. Sie wirft ihm
^^■^l Prov. et Com. 1, 65.
555) Nouv. Prov. I, 284.
556) Prov et Com. II, 191.
557) Prov. et Com. III, 55.
558j Prov. et Com. II, 377.
559) Prov. et Com. III, 34.
560) Prov. I, 68, 123. — Prov. et Com. III, 29; 200 etc.
561) Prov. II, 471.
562) Prov. II, 135.
Die vorneJune fianzösische Frau des XVII I. Jahrhunderts. 11
vor, daß er „est plein d'aLtentiun pour tuutes les t'emmes",^^^)
oder daß er „est occupe ä plaire ä mille autres femmes".^^*)
Wenn man keine weiteren Absichten hat, sagt sie, schaut man
eine Frau nicht so an, wie Sie es getan haben und wartet nicht
nach dem Abendessen auf sie, um ihr die Hand zu drücken. "■^*^)
Oder sie beklagt sicli darüber, daß er ihr eine andere Frau vor-
ziehe und erklärt ihm, daß sie ihn nicht mehr sehen wolle. Der
abgedankte Liebhaber hätte ihr ja zuvorkommen können; er
hätte sie nur in den letzten Tagen nicht mehr zu besuchen brauchen
und alle Welt würde glauben, daß er seine Beziehungen zu der
Dame abgebrochen habe. Allein als Kavalier überläßt er es der
Dame, in dieser Angelegenheit den ersten Schritt zu tun, ,,parce
qu'on ne tire plus vanite de cela."^^®)
Für gewöhnlich stellt die Dame an die Treue ihres Ver-
ehrers keine zu hohen Anforderungen; sie ist gerecht genug, um
diesem die nämliche Freiheit zu gewähren, die sie für sich selbst
beansprucht. Er darf sich ziemlich viel erlauben, ohne Vorwürfe
von ihrer Seite befürchten zu müssen. Wenn er sie beim Aus-
tritt aus der Oper plötzlich verläßt, um mit einer Tänzerin zu
plaudern, so sieht sie darin nichts Besonderes; sie wartet geduldig,
bis er zurückkommt und fragt ihn nach dem Namen der Dirne. ^^')
Zwei Damen schwärmen für einen Präsidenten, der im Verkehr
mit den Frauen eine solche Gewandtheit besitzt, daß er ,,donnerait
la main droite ä une femme de qualite, et l'autre ä une danseuse
en meme temps".-'^^) Die Frau verzeiht ihrem Liebhaber einige
,,legeretes" und ist nicht so engherzig, daß sie ihm nicht auch
den Verkehr mit anderen Frauen gestatten würde. ^^^) Oft weiß
sie auch, daß er Dirnen aushält und seine meiste Zeit bei diesen
verbringt, ohne daß sie ihm deshalb den geringsten Vorwurf
macht: ,,0n a vu des femmes excuser leurs amants d'avoir des
filles, meme tirer parti de cette infidelite, en faisant croire ä
leur vertu. "^''°)
Das Gesagte mag genügen, um zu zeigen, zu welchem Zerr-
bilde die Liebe in diesen Kreisen vielfach verunstaltet wird.
Die Auffassung, welche das 18. Jahrhundert von der Liebe hat,
spricht sich klar aus in den Worten Carmontelles : ,,Un amour
trop fort aneantit la gaiete; il fait perdre toutes les gräces de
Tesprit. Les autres passions, plus legeres, ressemblent ä l'eau
d'une fontaine qui prend naissance entre les fleurs d'un prairie
563) prov et coni. II, 295.
564) Nouv. Prov. I, 283.
565) Ppov. I, 212.
566) Prov. et Com. II, 188.
567) Prov. et Com. II, 168.
568) Prov. I, 126.
569) Prov. et Com. II, 149.
570) Prov. II, 137.
78 Hans Urschlechter.
agreable, qui les caresse, se repand ä droite et ä gaucho. . . .'■"^)
Es wäre gewiß unrecht, die ganze Schuld an dieser Mißachtung
der Liebe den Frauen zuschieben zu wollen; sicher ist aber, daß
sie viel, wenn nicht das meiste, dazu beigetragen haben: ,,c'est
ä elles, ä leur inconsequence et ä leur facilite, qu'on doit la liberte,
la legerete et Tinconstance de la plupart des hommes.""^) Y)\q
Worte einer Dame: ,,Ce sont plus les femmes qui perdent les
femmes que les hommes."^'^) enthalten eine schwere, aber nicht
grundlose Anklage gegen den Leichtsinn und die Frivolität vieler
Frauen des 18. Jahrhunderts.
Und doch ist auch in diesen Kreisen die wahre Liebe nicht
unbekannt. Es gibt auch unter den vornehmen Frauen des
18. Jahrhunderts reine, edle Naturen, die begreifen was es heißt,
das Herz eines charakterfesten Mannes sein eigen zu nennen.
Welch großes Vertrauen spricht aus den Worten einer Dame:
,,Quand on est sür Tun de Tautre, quand rien ne s'oppose ä notre
bonheur, l'äme jouit paisiblement et sans eclat d'une volupte
douce et pure."^'^) Die wahre Liebe schaut nicht auf Äußerlich-
keiten ; so liebt die edelgesinnte Frau von Mouson den buckeligen
und einäugigen Präsidenten von Rouvigny, trotz all der Neckereien
und boshaften Bemerkungen ihrer Freundinnen, und wir gönnen
ihr die Freude, die sie empfindet, da ihr Geliebter als schöner
junger Mann vor sie hintritt und erklärt, er habe diese Verklei-
dung nur deshalb so lange getragen, um ihre Liebe auf die Probe
zu stellen. Wie edel erscheint uns diese Frau, die dem geliebten
Manne antwortet: „Je n'avais pas besoin de vous voir mieux
que vous n'etiez pour vous aimer toujours."^^^)
Die große, selbstlose Liebe der Frau wird von ihrem Ver-
ehrer nicht immer in gebührender Weise gewürdigt. Eine Dame
liebt einen Herzog so innig, daß sie sich nichts weiter wünscht,
als ihm ihre Liebe zu gestehen und dann zu seinen Füßen zu
sterben -,5'^) da sie sieht, daß ihr Geliebter in Geldverlegenheit
ist, läßt sie sich von einem befreundeten Herrn tausend Louisdor
leihen und gibt sie ihrem Verehrer. Sie freut sich herzlich darüber,
daß sie ihm hat helfen können; was aber tut der Herzog mit dem
Gelde ? Er trägt es einer Dirne hin, um diese für sich allein
zu gewinnen. ^''^)
Rasende Eifersucht erfaßt die Dame, wenn sie erfälut, daß
ihr Geliebter auch noch anderen Frauen Aufmerksamkeiten
erweist. Die Angst, ihn zu verlieren, läßt sie zuweilen ganz
"1) Prov. II, 138.
"2) Prov. et Com. III, 8.
"3) Prov. et Com. II, 364.
"4) Prov. et Com. I, 99.
"5) Prov. III, 148.
"ß) Nouv. Prov. I, 303.
5" Nouv. Prov. I, 212—227.
])ie vomehme französische Frau des XVIII. Jdhrlinmlerts. 79
eigenartige Mittel anwenden, um sich vun seiner T^iehc zu über-
zeugen. Totenblässe bedeckt das Antlitz des Mannes, dem seine
Geliebte erklärt, daß die Schokolade, die sie soeben tranken,
Gift enthalten habe und sie beide sterben müßten. Er denkt
nicht an sich und beschwört den rasch herbeigerufenen Arzt,
alles aufzubieten, um die geliebte Frau dem Tode zu entreißen.
Durch so viel Liebe und Treue gerührt, erklärt sie ihm, daß
alles nur von ihr erdichtet worden sei, um sich von seiner Treue
zu überzeugen. ^''^) Einer anderen genügen die bloße Anwesen-
heit eines Dritten und die verzweifelten Anstrengungen, die ihr
Liebhaber macht, um den unbequemen Gast los zu werden, um
ilir jeden Zweifel an der Treue des Geliebten zu benehmen."^)
Auch die Liebe in ihrer schönsten Gestalt, die verzeihende
Liebe, hat bei Carmontelle ihren Ausdruck gefunden. Ein Baron
ist mit einer Marquise verlobt. Wenige Tage, bevor die Hoch-
zeit stattfinden soll, verläßt er seine Braut. Diese ergreift ein
tiefer Schmerz über die Treulosigkeit des Mannes, den sie so
aufrichtig geliebt hat. Schlaflose Nächte sowie die heißen Tränen,
die sie ihrem verschwundenen Glücke nachweint, zerrütten ihre
Gesundheit; ihr Kummer drückt sich in ihrem ganzen Wesen aus.
Inzwischen hat der Baron sein Unrecht eingesehen und tief
bereut. Voll ZerknirscTiung will er die Beleidigte kniefällig um
Verzeihung bitten, doch er findet ihre Türe verschlossen. Die
Marquise hat dem Schweizer vor dem Tore ihrer Wohnung das
Bild des Barons gegeben und ihm eingeschärft, denselben unter
keinen Umständen einzulassen. Endlich gelingt es einem Grafen,
der Mitleid hat mit dem Schmerze der Marquise und der die
beiden aussöhnen will, den Baron bei ihr einzuführen. Im ersten
Augenblick ist die Dame sehr erzürnt über die Anwesenheit des
Treulosen und will sich voll Verachtung von ihm abwenden.
Doch als sie näher in dieses Antlitz schaut, in das Kummer und
Reue so tiefe Furchen gegraben haben, als ihr Blick dem seinen
begegnet, der sie so flehend um Verzeihung bittet, kann sie den
edlen Regungen, die ihr Herz bestürmen, nicht länger wider-
stehen. Freundlich lächelnd reicht sie ihm die Hand mit den
Worten: ,,L'image du bonheur m'avait trompee. Puisse celle
du repentir que je vois dans cet instant, no m'abuser jamais."^^*')
Ich wäre hiermit am Schlüsse meiner Untersuchung ange-
langt. Werfen wir nochmals einen kurzen Rückblick auf das im
vorhergehenden Gesagte, so sehen wir, daß die vornehme Frau
des 18. Jahrhunderts himmelweit davon entfernt ist, das zu
sein, was sie ihrer natürlichen Bestimmung nach eigentlich sein
"8) Prov. III, 48 ff.
"») Prov. III, 77.
580) Prov. II, 384.
80 II (ins Urschlechter.
sollte: Gattin und Mutter. Die Sorgen für ihre Familie treten
bei ihr ganz in den Hintergrund gegenüber den Annehmlichkeiten
und Verpflichtungen des gesellschaftlichen Lebens. Kleinig-
keiten füllen den größten Teil ihres Lebens aus; gehässige Be-
merkungen über andere Frauen, Skandalgeschichten und be-
sonders Gespräche über Toiletten und Moden bilden die Haupt-
gegenstände ihrer Unterhaltung. Alles Ernste und Pflichtmäßige
ist ihr verhaßt, mit einem Lächeln geht sie an all den ernsten
Seiten des Lebens vorüber und stürzt sich leichtsinnig in die
Freuden und Genüsse, welche die blasierte Gesellschaft ihr bietet.
Nicht nur durch ihre Schönheit will sie den Mann beheiTSchen,
sondern auf allen Gebieten des täglichen und wissenschaftlichen
Lebens sucht sie ihm gleichzustehen oder gar ihn zu übertreffen.
Daher auch diese Herabwürdigung der Liebe; da sie dem Manne
auch in geistiger Beziehung keinerlei \^orrang zuerkennt, kann
sie ihm auch keine Achtung entgegenbringen. Nicht das edle
Verlangen, geliebt zu werden, führt sie zum Manne, sondern leicht-
fertige Koketterie und das Bedürfnis, über andere zu triumphieren.
Sie nimmt einen Liebhaber wie ein schönes Kleid, ,,parce que
c'est l'usage.''^^^) Das Herz bleibt bei allen derartigen Ver-
bindungen leer und kalt.
Und fragen wir uns nach dem Grunde dieser eigenartigen
Erscheinung, so müssen wir denselben in dem Geiste des Jahr-
hunderts selbst suchen. Wenn der Satz, daß der Mensch das
Produkt seiner Zeit sei, überhaupt jemals Geltung hat, so trifft
er bei der französischen Frau des 18. Jahrliunderts zu. Dieser
Zeitraum ist einzig und allein vom esprit beherrscht. Dieses
Ideal des Jahrhunderts, das in den Werken Voltaires und der
Encyklopädisten seinen beredtesten Ausdruck findet, färbt auch
auf alle Verhältnisse des gesellschafthchen Lebens ab. Und
da die Frau im Mittelpunkte der Gesellschaft steht, machen sich
bei ihr die schlimmen Folgen dieser unumsclu-änkten Herrschaft
des esprit am deutlichsten bemerkbar. Die Frau kennt kein
höheres Gefühl, keine edlere Regung, an die sie sich anklammern
kann, und fühlt deshalb in ihrem Herzen beständig eine Leere,
die sie im bewegten Treiben der Gesellscliaft am wenigsten emp-
findet. Sie braucht immer Leute um sich, die sie die Öde in
ihrem Innern vergessen lassen, und so ,,elle prend la passion de
la multitude".^^2) Und will sie in der Welt eine Rolle spielen,
so muß sie sich deren Anschauungen und Gesetzen anpassen,
,,denn," sagt Bader, ,, c'est le monde qui fait alors l'opinion, et,
par eile, il pousse aux maurs doni il a besoin."^^^)
5") Güucoui-l, p. 407.
582 \
Goncoui't, p. 412.
•^«3) P.i\(](n-, j). 115.
Die vonielinii' französische Frau des XVIII. J ahrlmnderls . 81
Der Stoff zur vorliegenden Arbeit ist folgenden Werken Car-
montelle's entnommen:
1. P r 0 V e r b e s d r a m a t i q u e s , precedes de la vie de
Carmontelle, d'une Dissertation historique et morale siir les Pro-
verbes, et suivis d'une Table explicative de l'origine et du sens
des Proverbes contenus dans l'ouvrage; de leur concordance avec
les adages latins, espagnols et Italiens qui presentent le meme
sens moral, de r^flexions et anecdotes analogues au sujet, par
M. C. de Mery. Nouvelle edition. Paris, Delongchamps, 1822.
4 vol. in -8.
2. N 0 u V e a u X Proverbes d r a m a t i q u e s. Paris,
Le Normant, 1811. 2 vol. in -8.
3. Proverbes et Comedies posthumes, precedes
d'une Notice par Madame la Coratesse de Genlis. Paris, Chez
Ladvocat, 1825. 3 vol. in -8.
Um bei dem häufigen Zitieren dieser Werke nicht immer den
ganzen Titel anführen zu müssen, habe ich für dieselben in obiger
Reihenfolge die Abkürzungen Prov., Nouv. Prov. und Proi>. et Com.
gewählt.
Bibliographie.
Goncouri. — E d m o n d et Jules d e G o n c o u r t , La Fenime
au dix-huitieme siecle. Paris, Charpentier, 1905.
Werner. — Richard Werner, Zur Geschichte der ,, Proverbes
dramatiques". l. Teil: Programm des Sophien-Realgymnasiums
zu Berlin, 1887.
Du Bled, Soc. frang. — Victor du Bled, La Societe f rauQaise
au XVI^ au XXe siecle. 5eserie: Le dix-huitieme siecle. Paris
Perrin et Gie., 1905.
Du Bled, Com. Soc. — Victor du Bled, La Comedie de Societe
au XVII le siecle. Paris, Calmann-Levy. 1 vol. in -12.
Du Bled, Les Femmes. — Victor du Bled, Les Femmes au
XVIle siecle. Dans ,, Bulletin de la Societe des Amis de l'Uni-
versite de Lyon". Xllle annee, fasc. IV, p. 161 — 175.
Caus. du Lundi. — C.-A. Sainte-Beuve, Causeries du Lundi.
3e edition. Tome III.
Dejob. — Charles Dejob, Les femmes dans la comedie frangaise
et italienne au dix-huitieme siecle. Paris, Charpentier, 1905.
Lotheissen. — Ferdinand Lotheissen, Zur Sittengeschichte
Frankreichs. Leipzig, Elischer, 1885.
Barbier. — Barbier, Chronique de la Regence et du regne de
Louis XV (1718 — 1763) ou Journal de Barbier, avocat au
Parlement de Paris. Premiere edition complete. Paris, Char-
pentier, 1857.
Mercier. — M e r c i e r , Tableau de Paris. — 3 tomes. Paris,
Librairie de la Bibliotheque nationale. 1906.
Kavanagh. — Julia Kavanagh, Woman in France during
the eighteenth Century. 2 vols. London, Putnam, 1893.
Bader. — Ciarisse Bader, La femme frangaise dans les temps
modernes. Paris, Didier et Cie., 1883.
Taine. — Hippolyte Taine, Les origines de la France con-
temporaine. Tome I: L'Ancien Regime. Paris, Hachette et
Cie., 1880.
Lenient. — Charles Lenient, La comedie en France au dix-
huitieme siecle. 2 vol.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 6
82 Hans Urschlechter.
Fragonard. — Virgile Josz, Fragonard. Moeurs du XVII Je
siede. Paris, Societe du Mercure de France, 1901.
Mme Durand. — Madame Durand, Oeuvres melees. Paris,
Chez Prault pere, 1737.
Schneegans. — Heinrich Schneegans, Moliere. Berlin 1902.
Heiss. — Hanns Heiss, Studien über einige Beziehungen
zwischen der deutschen und französischen Literatur im
18. Jahrhundert. Würzburger Habilitationsschrift 1907.
Gaspary. — A. Gaspary, Geschichte der italienischen Literatur.
Band II.
Goncourt, Vart. — Edmond et Jules de Goncourt, L'Art
du dix-huitieme siecle. Paris, Charpentier. — Tome I: 1906.
Tome II: 1900. Tome III: 1901.
Babeau. — Albert Babeau, Paris en 1789. Paris Firmin-
Didot et Cie., 1892.
von Heyden. — A. von Heyden, Blätter für Kostümkunde.
4 Bände. Berlin, Franz Lipperheide, 1876—1891.
Hottenroth. — Friedrich Hotten roth, Trachten der Völker
alter und neuer Zeit. Band II. Stuttgart, Gustav Weise, 1891.
J. H. von Hefner-Alteneck, Trachten, Kunstwerke und
Gerätschaften vom frühen Mittelalter bis Ende des 18. Jahr-
hunderts. Frankfurt a. M. 10 Bände.
Racinet. — A. Racinet, Geschichte des Kostüms. Deutsche
Ausgabe bearbeitet von Adolf Rosenberg. 5 Bände. Berhn,
Ernst Wasmuth, 1888.
Anm. Von diesem Werke kam für meine Arbeit besonders
Band IV in Betracht, und hier wieder besonders fünf Tafeln. Da
diese Tafeln in keiner Weise bezeichnet sind, gebe ich im folgen-
den die Abschnitte an, in welche die betreffenden Tafeln ein-
geschoben sind, und bezeichne sie mit den Buchstaben A — E:
A. 1. Die große oder Staatsrobe. — Allgemeine Modetypen.
B. 2. Frauentrachten. — Moden aus der 1. Periode der Regierung
Ludwigs XVI.
C. 3. Moden aus der 2. Hälfte der Regierung Ludwigs XVI. —
Haartrachten. — Hüte und Hauben. — Die Deshabilles.
D. 4. Die ,,Beau Monde" von 1785—86. Die Modezeitung vor
100 Jahren (Doppeltafel).
E. 5. Weibliche Moden während der Regierung Ludwigs XVI. —
Zweite Toilette einer Dame vom Stande, 1788—1789.
Hans Urschlechter.
Beiträge zur Rolandsforschung.
II.
Caiinen de prodicione druenonisi luad
Rolandsepos. 1)
Die Geschichte der Streitfrage nacii dem Verhältnis des
Carmen (im folgenden G gekürzt) zum Rld. ist bei Brückner,
Das Verhältnis des französischen Rolandsliedes zur turpinschen
Chronik und zum Garmen de prodicione Guenonis, Diss. Rostock,
1905, S. 5 — 20 nachzulesen. — Der erste, der über die Frage
geschrieben hat, ist Wilhelm Grimm, in der Einleitung
zum Ruolandes liet (Göttingen 1838): ,,Das lateinische Gedicht,
über dessen Zeitalter ich nichts zu bestimmen wage, dessen
schwerfällig künstliche Sprache aber noch in das 12. Jahrhundert
gehören könnte, mag die Sage absichtlich gekürzt
haben. Indessen kennt auch Turpin,^) Gallen und La Spagna
den listigen Blanscandiz nicht; daß aber Paligan gar nicht auf-
tritt, stimmt . . . mit dem isländischen Gedicht" (S. XCIX).
Grimm ließ also die Frage nach der Priorität unentschieden.
Sie wurde aufgenommen von Gaston Paris im Jahre 1882:
in jenem grundlegenden Aufsatz der Romania (XI 465 ff.) wies
er nach, daß das C einer Form der Rolandsdichtung entspreche,
die älter sei als das uns erhaltene Epos. Paris' Ausführungen
wurden 1884 von E. S t e n g e 1 in der Zs. f. roman. Phil. VIII
499 ff. bestritten: ,,der in gespreizten lateinischen Versen verfaßte
Auszug C sei nur als willkürliche und spätere Entstellung" des
erhaltenen Rolandsliedes (im folgenden Rld. gekürzt) anzusehen.
Die beiden Abhandlungen von Paris und Stengel sind bis
heute die wichtigsten in unserer Streitfrage geblieben; fast alle
Argumente für und wider hat man immer noch aus diesen Arse-
nalen entnehmen müssen.
^) Wir stellen die Fortsetzung des 1. Beitrags (diese Zs. XXXVI,
S. 71 ff.) zurück, weil sich uns das obige Thema nunmehr als das zu-
nächst wichtigste aufdrängt. Wir wollen Bausteine geben, und kein
System (a. a. O. S. 74), und bei Bausteinen kommt es nicht viel
darauf an, in welcher Reihenfolge sie liegen.
2) Nach Grimm (S. CVII) die älteste Quelle.
84 Wilhelm Tavernier.
Zum gleichen Ergebnis wie Paris kommen wii- in unserer
Dissertation vom Jahre 1901, die erweitert 1903 u. d. T. , Vor-
geschichte des altfranz. Rolandsliedes' erschien. ,,G kann nicht
das Rld. gekürzt haben," das stellten wir als das wichtigste
Resultat unserer Untersuchung hin (S. 202, Anm. 366). Die
Arbeit wollte jedoch eigentlich, dem Dissertationstitel ent-
sprechend, „über R im Rld." handeln, d. h. den Anteil des letzten
Bearbeiters an unserem Epos herausheben; das Verhältnis zum C
konnte daher nur neben vielem andern, und meist nur implizite,
behandelt werden.
Ohne Kenntnis unserer Vorgeschiciite hat G u s t a v B r ü c k-
n e r 1905 in seiner eingangs erwähnten Rostocker Dissertation
das Verhältnis des C zum Rld. ausführlich behandelt. Auch
seine Untersuchung führte zur Bestätigung der Ansicht von
G. Paris. — In einer eingehenden Besprechung der Brückner-
schen und unserer Dissertation (Zs. f. rom. Phil. XXXIl 713 ff.)
hat endlich Voretzsch 1908 den beiden gemeinsamen Standpunkt
als den richtigen anerkannt. Unter Zurückweisung der RT-
Hypothese von Ct. Paris, die Brückner wieder aufgenommen
hatte, hält Voretzsch, so wie wir selbst, ,,RC (d. h. das, was sich
durch Vergleichung von Carmen und Epos als alt erweist) für
die älteste erreichbare Vorstufe des Rolandsliedes."
Auf der anderen Seite hat es nicht an Verfechtern der
Stengeischen Anschauung gefehlt. B a i s t betonte, wie schon
bei früherer Gelegenheit (1895), so zuletzt 1902 in den , Beiträgen
zur romanischen und englischen Philologie, Festg. für ^^>ndelin
Foerster', S. 224 Anm. 2, daß er das C für eine Bearbeitung des
Rlds. halte. Zwar hat er seine Gründe nie veröffentlicht, doch
ist schon der gewichtige Name Anlaß genug, die Frage noch
einmal mit aller Unbefangenheit aufzurollen.
In Giuseppe F r a c c a r o 1 i's Werk ,L'irrazionale nella
letteratura', Torino 1903,^) betreffen unsern Gegenstand die
Abschnitte 47 und besonders 48 (II Carmen de prodicione Gueno-
nis, la Cronaca di Turpino e la Chanson. L'ambasceria di Bian-
candrino. S. 267 ff.). Fracc. sucht nachzuweisen, daß die ßlan-
candrinopisode gerade zum älteren Gut der Sage gehöre, und
daß das Fehlen dieser Episode im C auf nachträghchcr, zweck-
bewußter Auslassung seitens des lateinischen Reimschmieds
beruhe.
Stengel selbst hat sich 1905 in einer ausfülu^lichen l>c-
sprechung unserer , Vorgeschichte' (diese Zs. XXVI fl-, S. 23 ff.)
mit unseren Aufstellungen auseinandergesetzt: er hält seinen
Standpunkt nachdrückhch fest. — Ihm tritt P h. A u g. B e c k e r
zur Seite; zunächst 1905 in einer Besprechung unserer Dissertation
(Literaturblatt XXVI 239 ff.) und dann 1907 in seinem ,Grund-
^) Voi'liandeii in Berlin, Ivöiiigl. \V\\)\.
Beiträge zur Rolandsforschang. 85
riß der altfranzösischen Literatur' (S. 45 f.) erklärt er das C für
ein „Derivat der erhaltenen Rolandsdichtung".
So steht die Streitfrage. In jedem der beiden Lager sehen
wir eine rüstige Gefolgschaft. Es mag uns erlaubt sein, nach
9 Jahren (nonumque prematur in annurti) auf die RC-Theorie zu-
rückzukommen und uns mit den gegnerischen Einwürfen zu
beschäftigen. Nicht nur um sie zurückzuweisen, sondern auch
um sie der Sache zunutze zu machen.
Eigenen Zweifeln nämlich kam entgegen, was wir an 7wei
Stellen von Beckers Rezension lesen: ,,Wenn aber Tav. in seinem
Vergleich des Rolandsliedes mit dem Carmen recht hat und sich
wirklich so wenig Spuren der angeblichen Vorlage in unserer
Chanson finden, wird da nicht der Glaube wankend, daß das
Carmen überhaupt ein" Vorstufe des Rolandsliedes wiedergibt ?
Läßt sich denn das Carmen ohne weiteres in ein altfranzösisches
Heldenlied umdichten?" (Sp. 240). ,,Ein dem Carmen genau
entsprechendes französisches Heldenlied läßt sich nur denken,
wenn man sich nicht die Mühe gibt, sich die Details in altfran-
zösischer Darstellung konkret auszumalen" (Sp. 241).
Diese Sätze scheinen uns einen wichtigen Fortschritt in sich
zu schließen. Sie korrigieren treffend das Falsche an der RC-
Hypothese, aber in ihren Konsequenzen durchgedacht, wenden
sie sich gegen Beckers eigene Theorie, wonach das C eben doch
eine französische Vorlage, nämlich unser Rld., hat.
Wie so viel andere waren wir in unserer ,Vorgesch.' noch
stark im Bann von G. Paris — was möchte eher zu verzeihen
sein — und übernahmen ohne Kritik des Meisters Vorstellung,
daß das Carmen auf einem französischen Gedicht beruhe. Becker
hat recht darin, daß sich nichts Positives für diese Ansicht ins
Feld führen lasse. Was wir selbst, Vorgesch. 12 ff., an Beweisen
beigebracht haben, erledigt sich aus verschiedenen Gründen.
Die Übereinstimmung zwischen C 339 ff. und Rld. 1651 ff. kann
auch darauf beruhen, daß Turoldus nach dem C gedichtet hat.
— Das Argument des hiinc in C 451 hat schon Stengel mit Recht
zurückgewiesen (diese Zs. XXVII P, S. 24 f.). Wir waren an
dieser Stelle Michel's Text gefolgt, weil uns s. Z. der Text der
Romania nur zeitweilig, mit großen Unterbrechungen, zur Ver-
fügung stand. Im Mskr. steht aber /i°, ,,presumably for hoc,"
wie uns der Keeper of Mss. des British Museum, G e o. F. W a r n e r,
mitzuteilen die Güte hatte. Paris setzt hos ein, und diese Kon-
jektur hegt näher als hunc. — Ein letztes Argument hatten wir
(Vorgesch. 14, Anm. 32) von G. Paris übernommen: V. 283 — 295
in V* seien ein Rest von RC, disiecti membra poetae. Nun ist
aber die Übereinstimmung dieser Verse mit dem Bericht im
C 65 ff. eine sehr vage; sie beschränkt sich auf die Erwähnung
von Ganelons Furcht, und dies Motiv lag ja bei einem gefahr-
vollen Ritt durch fernes Land nahe. Alle charakteristischen
86 Wilhelm Taveriiier.
Züge der beiden Darstellungen sind verschieden; in V"^ eine Rede
an das Pferd, in C Schilderung einer angstvollen Irrfahrt. Die
Verse von V"* sind kaum in eine normannische oder franzische
Laisse umzudichten, da o-e und ü-e-Assonanzen durcheinander
stehen, und so wird man sie als Kopistenzutat, frankoitalienischer
Art, anzusehen haben. Dem Interpolator ging Ganelons Ritt zu
i-asch, darum retardierte er und sehmiickte aus. Dasselbe Be-
dürfnis fühlte und befriedigte, vielleicht unabhängig von jener
Laisse in V^ der Reimschmied in den Versen 34, 1 — 5 der Hdschr.
von Chateauroux und Venedig'^ (bei Stengel zu L. 30); auch hier
ist inhaltlich mit dem Carmen so gut wie keine Berührung.^)
Gröber hat im .Arch. f. d. Stud. d. neueren Sprachen
u. Lit., Bd. 84, 1890, S. 297 ff., besonders S. 298, die wörtlichen
Berührungen des C mit dem Rld. zusammengestellt; auch er
schloß, ohne zureichenden Grund, auf Abhängigkeit des lateini-
schen Dichters von einer französischen Vorlage. Die ,,chanson
de ges/p-mäßige Haltung des Ganzen" lasse auch das C nicht
verkennen. Das trifft eben nicht zu; Beckers oben (S. 85)
zitierte Sätze mögen zur Korrektur dienen. Alle von Gröber
gesammelten Übereinstimmungen können ihre Erklärung darin
finden, daß das lateinische Gedicht die Vorlage des französischen
Epikers gewesen.
Auch das letzte Argument fällt also fort. Mit nichts
läßt sich eine französische Vorlage für das C erweisen. Vielmehr
spricht eher gegen die Annahme einer solchen Vorlage das von
Becker in den oben zitierten Sätzen Angeführte. Vor allem sei
betont, daß dem Verfasser des C auch nicht der geringste Galli-
zismus unterlaufen ist, was beim Umdichten einer volkssprach-
lichen Vorlage (h)ch so nahegelegen hätte. Es gibt nichts Diskre-
panteres als den geschraubten Stil des C und den klaren, sicheren
Gang der Roland verse. Das macht an und für sich die Annahme
eines franzö.sischen Liedes RC wenig wahrscheinlieli, obschon es
natürlich kein zwingender Beweis für die Unmöglichkeit eines
solchen Liedes ist.
Weiter führt die Betrachtung dei' Eigennamen im C. Auch
hier keine Spur einer französischen Vorlage: kein Franci (viel-
mehr Galli 2. 195. 465), kein Francia {Gallia 195. 196. 467), kein
Karoliis Magnus. Unmittelbar aus dem Lateinischen geschmiedet
erscheinen Marsüius (von Mars), Grandonius (von grandis,
wenn nicht auch grando hereinspielt); daß Turoldus die gelehrten
Formen Marsilies, Marsilie, Grandonies (: 1570) braucht, spricht
doch stark für Abhängigkeit vom Lateinischen. Aber greifen
wir der Detailuntersuchung nicht vor; die Beweislast für das
Vorhandensein eine«' französischen Vorlage liegt ja durchaus
*) Auf die Bezielmngen des C zur Venetianus-Gruppp einzugehen,
wird sich Gelegenheit bieten, wenn wir, weiter unten, beim Durch-
gehen des C an die Szene vdu Marg^riz' Meldung an Marsüius kommen.
Beiträge zur Rolandsforsr/iiiiig. 87
auf der Gegenseite, sei es, dal.', mit l^aris und XOretzsch ein
Lied RC in der Volkssprache konstruiert wird odei' daß man
mit Stengel und Bekei' das C für ein Derivat des Rlds. ansieht.
Es genügt die Feststellung, daß keine der Parteien den pflicht-
schuldigen Beweis dafür erbracht hat, daß das C irgendwie von
französischer Vorlage abhängig ist.
Das hypothetische Lied RC muß also ganz aus der Unter-
suchung ausscheiden; darin haben Stengel und Becker Recht.
Wir haben es somit nur noch zu tun mit einem lateinischen
Gedicht und einem französischen Epos, die in unleugbaren Be-
ziehungen zueinander stehen. Nun stellt sich W. Grimm —
dem die Hypothese einer französischen Vorlage für das G noch
fremd war — das Verhältnis von C und Rld. so dar, daß keines
aus dem andern unmittelbar entsprungen sei, vielmehr ,, jedes,
bei aller sonstigen Übereinstimmung, mehr oder minder eigen-
tümliches enthalte, sodann, daß dieses Eigentümliche nicht durch
vorsätzliche Abänderungen, sondern aus volksmäßiger Mannig-
faltigkeit der Sage entstanden" sei (Ruolantes liet, S. C). Danach
wäre also, ebenso wie bei der RC-Theorie, kein direktes Ab-
hängigkeitsverhältnis zwischen C und Rld. anzunehmen; die ge-
meinsame Grundlage beider wäre die mündliche Sage. Diese
Auffassung erschien schon G. Paris unmöglich, und darum eben
nahm er ein ,, Gedicht" als gemeinsame Quelle an. Die Grimmsche
Ansicht setzt eine Verbreitung und einen Umfang der Sage vor-
aus, für den sich kein Beweis, keine Wahrscheinlichkeit anführen
läßt. ,, Positive Hinweise auf die Rolandssagc kommen vor 1100
nirgends vor" (Becker, Grundriß 44); wenigstens genügt die
Einfügung der Worte et Hruodlandus Brittannici limitis praefectus
in den Text von Einhards Vita Karoli (Ende des 9. Jahrhdts. ;
in der wichtigen B-Klasse der Hdschr. fehlt der Passus noch)
und das signiim Rotlani comitis in der gefälschten Fassung D des
Testaments des Abts Fulrad von Saint-Denis (Ende des 9. oder
Anfang des 10. Jahrb.; vgl. Tan gl in: Neues Archiv d. Ges. f.
ältere deutsche Geschichtsk. XXXII, 1907, S. 206 f.) nicht, um
das Vorhandensein einer inhaltsreichen, weitverzweigten Rolands-
sage zu erweisen. Man wird der Sage vielmehr nur einen recht
„bescheidenen Bestand an Szenen und Personen" (vgl. H e u s 1 e r,
Lied und Epos, 1905, S. 34) zuschreiben dürfen und wird sich
die Verbreitung vornehmlich an gewisse Reliquien, Klöster und
Kirchen und die Kreise ihrer Besucher und adligen Gönner ge-
bunden vorzustellen haben. Daß solch dunkles Raunen und
Reden von dem toten Heldengrafen hätte die Fülle der Details
übereinstimmend erhalten können, die C und Rld. gemeinsam
sind, ist ausgeschlossen. Man denke z. B. an das genaue Zu-
sammentreffen so beiläufiger Zahlenangaben wie C 103 und
Rld. 13.410— 20 000 Mann an des Marsilius Hoflager. Unmög-
lich würde mündHche Sage das ganze taktische Gefüge der Schlacht
88 Wilhelm Taveruier.
durch alle Treffen hindurch so fest erhalten, daß es in zwei Nieder-
schriften verschiedener Sprache und Dichtart genau parallel ver-
laufend geblieben ist. Und endlich würde eine Beschreibung,
wie die von Turpins Pferd aus mündlicher Sage nicht beidemal
fast wörtlich entsprechend und dabei in umgekehrter
Reihenfolge übernommen worden sein. Folgende Zu-
sammenstellung wird den Sachverhalt verdeutlichen.
C 339 (Horridus aspectus Rld. 1657 Soz ciel n'est beste ki
encontre lui alge)
auris brevis 1656 Petite oreille
(ardua cervix 1654^ l'eschine bien halte)
340 Costa prolixa 1654 Lungs les costez
tibia recta 1652 gambes plates
341 pes cavus 1652 Piez c o r b e z
344 Primus equos celeres 1651 Li destriers est et cinvanz
cursibus equat eques et aates.
Es entspricht also für die annähernd gemeinsamen Attribute
die Reihenfolge 1 — 8 im C genau der Reihe 8 — 1 im Rld. Beim
C gellt die Beschreibung im wesentlichen von oben nach unten,
beim Rld. \on unten nach oben. — Das horridus aspectus von
C 339 ist augenscheinhch durch Rld. 1657 umschrieben, und
Gautier's Übersetzung // n'y a pas de bete qui lui soit comparahle
ist falsch. - — Dem ardua cervix C 340 entspricht dem Zusammpn-
hang, wenn auch nicht dem eigentlichen Wortsinn nach, Veschinc
bien halte 1654; hier liegt doch nur leise Abänderung vor
(cervix: corporis pars ab occipitio a d d o r s u m — Thes. ling.
lat.), und bien halte und ardua stimmen noch zusammen. • —
Zwischen No. 5 und 6 der obigen Carmen-Reihe, in C 341, steht
crus perlargum.; es ist von Turoldus zu 1653 Carte la quisse
et la crupe bien l a r g e erweitert worden, wobei auf die genaue
Entsprechung von perlargum und bien large liingewiesen sein
mag. Diese detaillierende Abänderung steht zwar nicht zwischen
No. 5 und 6 der obigen Rld. -Reihe, aber doch nicht weit davon,
zwischen 3 und 4. Gründe des Metrums und der Assonanz er-
klären die geringe Abweichung zur Genüge. — In 1652 hat 0
copiez, V* coples, Müller, Gautier, Stengel danach colpez, was
G. Paris (Rom. XI 509, n. 1) hier nicht erklären zu können meint.
„II y a lä Sans doute un mot particulier, dont le latin pes cavus
nous donne peut-etre le sens." Die Konjektur corbez dürfte sich
aus der lateinischen l^irallele ohne weiteres ergeben.
Wenn irgend etwas, so zeigt die Vergleichung der beiden
Beschreibungen von Turpins Pferd, daß literarische Abhängigkeit
vorliegen muß, daß einer der Verfasser das Werk des andern
vor sich hatte und unsern Abschnitt erst überflogen, dann
gleich von rückwärts lier übertragen hat. Wenn also ein älteres
französisches Lied oder Epos (RC) als gemeinsame Quelle nicht
Beiträge zur /lolaiulsforschiiiig. 89
angenommen werden kann, wenn mündliche Sage zur Erklärung
der Übereinstimmungen nicht ausreicht,^) so bleibt schließlich
nur das literarische Problem: hat der lateinische Dichter des
Turoldus Epos benutzt oder hat Turoldus nach dem C gedichtet ?
Auf der Basis dieser Fragestellung treffen wir also mit unsern
verehrten Gegnern wStengel, Baist, Becker zusammen. Das
Problem ist verdunkelt worden dadurch, daß von Grimm an
bis in die neueste Zeit Pseudoturpin und Karlamagnussaga mit
in die Untersuchung hineingezogen worden sind. Wir selbst
hatten noch die unbegründete Hypothese eines älteren, ver^
schollenen Epos von G. Paris und Suchier (Geschichte der fran-
zösischen Literatur, 1900, S. 26) übernommen. Auch diese Eier-
schale muß fallen. Da wir in unserer Vorgesch. RC inhaltlich
aufs engste mit C gleichgesetzt hatten, oder nach Voretzsch'
Ausstellung ,,C zu sehr mit seiner (verlorenen) französischen
Vorlage identifiziert hatten", so bleibt Kern und Wesen unserer
einstigen Beweisführung durchaus unberührt von der obigen
pflichtschuldigen Korrektur. Im Gegenteil, wir hoffen, daß nach
Aufgabe der RC-Theorie die Priorität des C um so klarer sich
erweisen läßt. Wir behaupten also nach wie vor, C ist kein
kürzender Auszug aus dem Rld., wie es Stengel, Baist und Becker
annehmen, und stellen denselben die These entgegen: eine
Handschrift des C ist des Turoldus Haupt-
quelle gewesen.
Gegenüber einer neuen Behauptung pflegt sich das Miß-
trauen besonders lebhaft zu rühren, und diejenigen, welche solche
neue Thesen bestreiten, haben von vornherein mehr Aussicht
auf williges Gehör und auf Nachfolge als der Verfechter der neuen
Auffassungsweise. So ist es G. Paris mit seiner RC-Theorie
gegangen; während sie, dank dem Ansehen des Meisters, in
romanischen Ländern ungeprüft und obenhin akzeptiert worden
ist, hat sie in Deutschland nach der ersten Bestreitung durch
Stengel eine Reihe entschiedener Gegner und viel laue Aner-
kennung gefunden, jedenfalls nicht das gebührende Maß an
eingehender, wohlwollender Nachprüfung, die schließlich zur
Abstreifung des Falschen, zum Herausschälen des wichtigen
Wahrheitsgehaltes geführt hätte. Wir wollen uns diesen psycho-
logisch leicht crklärhchen Vorteil der Defensive zu Beginn unserer
Diskussion selbst zunutze machen. Die Bestreiter der Priorität
des C haben nämlich ihrerseits zwei positive Sätze zur Begründung
dieser Ansicht aufgestellt: 1. C habe die Blancandrinepisode ge-
^) Daß ebensowenig Lieder dafür in Betracht kommen können,
braucht nicht mehr ausgeführt zu werden. Hat es französische can-
tilenes von Rolands Tod gegeben, so würden doch solche Lieder nie-
mals z. B. das taktische, nach allen Regeln der Kriegskunst ausgeführte
Bild der Roncevauxschlacht bieten und mit aller Genauigkeit durch
Jahrhunderte festhalten können.
90 Wilhelm Tuveniier.
kannt. Das würde nach unserer Auffassung allerdings die Prio-
rität des C ausschließen. Aber prüfen wir Stengels Beweise,
Zs. f. rom. Phil. VIII 509—512.
C 15 soll die Eingangsverse des Rlds. (2 f.) reflektieren. Aber
diese Verse gehören nicht zur Blancandrinepisode, die erst mit
L. 2 beginnt. Vgl. Vorgesch. 10 Anm. 17 und damit überein-
stimmend Brückner 71.
C 16 soll an Rld. 266, 267 anklingen. Aber auch die Laisse 19,
zu der diese Verse gehören, liat nichts mit dem Blancandrin-
einschub zu tun.
Die Verse 29 ff.
Legatum lega cui dicas ut sibi dicat
Ut tibi submittat se, sua regna, suos;
Vel sibi si mavis per legatum breve leges,
[Jt melius possit credere posse tibi . . .
und 35 ff.
Da Carolo regnum. Die: Do, tunc esse superstes
Fors poteris; sed die: Abnuo, nullus eris.
Non sie nullus eris, quia non tantummodo nullus,
Immo minor nullo, si minor esse potcs . . .
sollen ,,doch offenbar nur einen Sinn lia])en, wenn sie die Ant-
wort bilden auf ein Anerbieten Marsilions, das Roland nicht für
aufrichtig gemeint hält. Sie markieren die Bedingungen, unter
denen der nachgesuchte Friede gewährt werden soll". Das alles
aus den obigen Versen herauszulesen, ist ein Wagnis, das unsere
Leser wie wir selbst nicht mitmachen werden. Es ist doch wirk-
lich mit keinem Wort auf A^orausgegangene Verliandlungen hin-
gedeutet! Der Sachverhalt im C ist ganz klar und folgerichtig:
Spanien ist unterworfen, nur Marsilius ist noch frei. Roland
aber will ganze Arbeit gemacht sehen, folglich muB auch Mar-
silius zur Unterwerfung gezwungen w'erden.
Ein weiteres Argument Stengels beruht auf C 147: Fortisan
instinctii Rollandi miUeris. ,, Woher weiß denn aber hier Marsilius
mit einem Mal, daß zwischen Gueno und Rollandus nicht alles
in Ordnung ist, während doch Gueno nach G aus heiterem Himmel
vor ihm erscheinen soll ? Wenn wir Marsilius auch für diploma-
tisch höchst gut unterrichtet von den Verhältnissen in Karls
Heerlager halten wollten,. . . so wäre denn doch der Divinations-
gabe des Marsilius zu viel zugemutet, wenn er ohne irgend
welchen direkten Anhalt die in V. 147 ausgesprochene schlaue
Vermutung geäußert haben wollte. Er muß also von den
jüngsten Vorgängen im Kriegsrat der Franken unterrichtet
sein. Durch wen anders konnte das aber besser geschehen als
durch den im Rld. allein erwähnten Boten Blancandin. . . ?" —
Wir haben Vorgesch. 10 Anm. 19 zwei Erklärungsversuche
gegeben, von denen wir den ei'sten (C habe ungeschickt gekürzt)
Beiträge zur Rolands jorschang. 91
zurücknehmen müssen. „Aber vielleiclit liat C . . . nur unge-
schickterweise Marsilius aussprechen lassen, was allein er, der
Dichter, bis dahin wissen konnte."^) Damit berührt sich, was
Brückner 77 1". ohne Kenntnis unserer Vorgesch. Stengel er-
widert hat. ,,Nach der Sachlage in C konnte Marsilius auch
ganz wohl von selbst auf den Gedanken kommen, Roland habe
die Sendung Ganelons veranlaßt, denn nach C's Darstellung war
er ja der einzige Ratgeber des fränkischen Kaisers .... Freilicli
hatte der Dichter, der das Gespräch auf Roland bringen wollte,
es ungeschickt angefangen, wenn er Marsilius ohne weiteres so
sprechen läßt." Der Rolandsdichter hat, wie Brückner zutreffend
ausführt, die störende Härte seiner Vorlage ausgeglichen; durch
das Gespräch Ganelons mit Blancandrin L. 29—31 wie das
andere mit Marsilius L. 41 — 45 wird nicht ohne Gewandtheit
Roland in den Vordergrund geschoben, als das vor allem in
Betracht kommende Opfer des Verrats. — Stengel verfällt hier
in den Fehler, den er in Laurentius' und Paris' Arbeiten öfter
glaubte korrigieren zu müssen: einer geringfügigen Unebenheit,
die sich allenfalls sogar logisch rechtfertigen läßt, legt er über-
triebene Wichtigkeit bei. Denn es ist gewiß ein kühner Schluß,
aus der Zeile Fortisan instinctu Rollandi miiteris das Vorhanden-
sein der umfangreichen Blancandrinepisode in einer Vorlage des
C zu folgern. Nicht also wie Stengel will, ,, basiert hier C evident
auf dem Rld. und entstellt dessen Angaben in unglücklicher
Weise", sondern der planvoll schaffende Dichter des Rlds. fügt
seiner Vorlage die fehlende Motivierung ein, wozu ihm die Blan-
candrinepisode eine bequeme Handhabe bot.
Ein letztes Argument für Kenntnis der Blancandrinlaissen
seitens des Verfassers von C sieht Stengel vielleicht in folgendem:
,,Auf den Anklang von C 90 an die statt 0 11 herzustellende
Zeile von R :
Suz une olive s'en est alez a Tumbre
wie der bereits von Paris hervorgehobene der V. 101 — 3 von C
mit 0 13 braucht hier nur hingewiesen zu w^erden." Den Versen
G 89 f.
Deinde videt regem spaciantem sub spaciosa
P i n u , sub cujus frondibus u m b r a placet
entsprechen im Gang der Erzählung vielmelir die Verse der L. 32:
Un faldestoet out suz l'u m b r e d'un p i n ,
^) Vgl. D r e r u p , Homer, 1903, S. 15: ,,Bei Unebenheiten und
Widersprüchen ist sehr häufig nur eine Unachtsamkeit oder Unbeholfen-
heit des Dichters zu konstatieren, welcher die handelnden Personen
gelegentlich etwas erwähnen läßt, wovon sie eigent-
lich nichts wissen können, ... welcher besonders deutlich
in der Vorbereitung späterer Ereignisse seiner Person etwas sagen
oder tun läßt, was sich von ihrem Standpunkt aus nicht völlig erklärt."
92 Wilhelm Tavcnüer.
usw. So die Lesart in 0; Stengel hat nach V* die Pinie beseitigt,
um die gleichmäßige Verteilung der Baumarten auf Christen und
Sarazenen durchzuführen. Solch Bestreben mag aber schon
den Kopisten von V^ (und danach die verwandten Hand-
schriften) ebenso wie spätere Ependichter beeinflußt haben.') Im
Rolandslied werden die Bäume noch rein sachlich, aus selbst-
erworbener Anschauung heraus und nicht schematisch, nach
politischen Rücksichten verteilt. (So mit G. Paris, Rom. XI
500 n. 3; anders Stengel, Zs. f. rom. Phil. VIII 508 Anm. und
früher wir selbst, Vorgesch. 24 f. zu ^'. 11; 82 zu \'. 993.) Wir
sehen keinen Grund, um den pin in V. 407 aufzugeben. Im
Gegenteil, in 500 wird ja ausdnicklich auf d e n pin zurück-
gegriffen :
\'ait s'apuier suz le pin a la tigo,
wo wieder \^ und Stengel nn statt le schreiben müssen. Der
Dichter hat die, von der Pinie uznrankte Szene ganz klar gesehen.
Doch, worauf es uns hier nur ankommt, C 89 f. entspricht zunächst
den Versen 407 ff. im Rld., wie C 103 — die 20 000 Sarazenen —
zunächst in V. 410 derselben L. 31 ihre Entsprechung finden.
Das sind aber Verse, die mit dem Blancandrineinschub nichts
zu tun haben: Ganelon erblickt das Treiben an Marsilius' Hof,
dies Moment der Erzählung ist ja beiden Berichten gemeinsam.
Hierin liegt also nichts Beweisendes für Kenntnis der Blancandrin-
epis(»de auf Seiten des Lateiners. Vielmehr mußte Turoldu?,
als er diese Episode in seine Vorlage einfügte, schon in L. 2 das
Hoflager des Marsilius schildern. Er entnahm natürlich auch
für diese erste Beschreibung die Anregung und das nötige Material
der Schilderung seiner Vorlage, C 89 ff., und so ist denn auch
in I;. 2 sowohl die iimbre V. 11 als auch die Zahlenangabe vini
milier d'hiimes V. 13 hereingekommen. Sobald man in Turoldus
den nachschaffenden Dichter (darum vielleicht declinet 4002),
im C die Vorlage sieht, liegt alles klar auch in obigem Punkt.
Aber selbst bei andrer Auffassung wäre Stengels Argument
nicht durchschlagend, weil C seine Verse 90 bezw. 101 — 103
ebensogut wie aus L. 2 auch aus L. 31, aus einem Stück dem
Rld. und G gemeinsamer Erzählung entnommen haben könnte.
Nicht für unsere Erage (ev. Kenntnis der Blancandrin-
gesandtschaft seitens des Verfassers C) kommt in Betracht das
Argument Stengels auf S. 510: C 22 — 28 seien ,, offenbar nur
eine verunglückte Kombination" von Rld. 180 ff. ,,und den
Eingangsversen Rld. 6 — 9." Diese letzten Verse gehören nicht
zur Blancandrinepisode. Tiu'oldus hat sie aus dem bei C schon
gleich im Anfang der eigentlichen Handlung stehenden Kriegsrat
') V* imigeht (Ion // 40(i, die sapeie 093 und ersetzt den lorier
2651 durch die Oüve; so wird der Kopist denn auch den pin in 407
absiclitlich beseitigt liaben.
Beilrägc zur Uolandsjorschting. 93
in seine Expositionslaisse 1 hereingenommen; mit Blancandrin
und seiner Gesandtschaft haben sie nichts zu tun.
Blicken wir auf Stengels Beweisgründe zurück. Die Leser
werden mir zugeben, daß sie bis auf das eine, docl) leicht erklärliche
Forlisan insiinclu liollandi mitteris recht belanglos sind, zumeist
aber den Gegenstand gar nicht treffen.
Nach der Feststellung, daß Kenntnis der Blancandrin-
episode seitens des Carmendichters keineswegs erwiesen ist,
gehen wir zur zweiten positiven Behauptung der Gegenseite
über. ,,Dei' Turpin verrät noch offenkundiger als das Carmen
die Spuren der Baligantepisode"' (Becker, Grundr. 45). Das ist
für den Turpin richtig, aber wo ist im C eine Spur der BaUgant-
episode zu entdecken ? Selbst ein hochdotiertes Preisausschreiben
würde resultatlos verlaufen müssen. Was bisher, doch nur ver-
mutungsweise, zur Stütze dieser zweiten These angeführt worden
ist, findet sich bei Stengel 511 Anm. 1. Der Zug, daß Brami-
mund im C sich für Ganelon verwendet, von seiner Schönheit
«ergriffen, ,, könnte auch für die Existenz der Baligantepisode
in der Vorlage von C sprechen, da nur in dieser Bramimund
stärker hervortritt." Welch kühne Folgerung wäre das! Wird
nicht jede Königin normalerweise dann am stärksten hervor-
treten, wenn ihr Gemahl im Sterben hegt und der einzige Sohn
und Erbe tot ist! Wer anders hätte den todwunden Gatten
beklagen, Baligants Gesandten und Bahgant selbst empfangen,
die Stadt übergeben können als die Königin ? Ist nicht selbst
hier ihre Rolle im Grunde eine notgedrungene, passive, reprä-
sentative, wie sonst im Rld? Und wäre dem selbst nicht so,
es bliebe immer noch ein falscher Schluß: weil Bramimund in
der Baligantepisode mehr hervortritt, so muß ein lateinischer
Dichter, der sie eine doch immerhin maßvolle Rolle spielen läßt,
eben diese Episode gekannt haben. Wo doch Bramimund im
Rld. auch in der Szene mit Ganelon, auch in der vorletzten Laisse
nicht nur erwähnt wird! Doch Stengel selbst legt ja auf das
in Rede stehende Argument kein großes Gewicht, und so bleibt
nur die Feststellung, daß für die behauptete Kenntnis der Baligant -
episode seitens des Dichters von C auch nicht der geringste Be-
weis erbracht worden ist.
Warum fehlen also Blancandrin- wie Baligantepisode im C,
ohne auch nur die leiseste Spur zu hinterlassen ? Die Gegen-
seite wird antworten: jene beiden Episoden sind vom Verf. des
C reinlich ausgeschieden worden. Daß der lateinische Reim-
schmied kürze, das liege doch auf der Hand. In der Tat ist dies
Vorurteil alt und allgemein. Schon Grimm (s. o. S. 83)
deutete auf die Möglichkeit hin, daß C gekürzt habe. — Als
dann G. Paris gegen den Schluß jener grundlegenden Unter-
suchung, Romania XI, durch seine falsche RT-Hypothese in
die Brüche geriet, — in bezug auf Durendais Abschied, den
94 Wilhelm Tavernier.
einen Heiden, der als letzter von Rolands Hand fällt und das
Duell zwischen Tierri und Pinabel standen Rld. und T gegen
C — half er sich mit der Annahme: C est ici tres abrege (S. 511).
Toute la fin dans C est tellement tronqueo qu'on se demande
si son original n'etait pas defectueux (S. 512). Diese Annahme
wurde durch Paris' Notlage gefordert, aber nicht bewiesen. Sie
war Wasser auf die Mühle der Gegner. Zunächst wiederholte
Stengel in seiner Entgegnung (S. 502) die Behauptung von der
rücksichtlosen Kürzung, welche der Verf. des C mit seiner Vor-
lage vorgenommen habe. ,, Gegen den Schluß hin nimmt diese
Neigung zum Kürzen in C so überhand, daß sich z. B. nicht
einmal ausmachen läßt, ob die Baligantepisode ... in der Vor-
lage von C fehlte, oder selbständig von C ausgelassen wurde."
Eine Begründung erübrigte sich für Stengel damals, weil kein
Gegensatz bestand. In unserer Vorgesch. haben wir, im Bann
der gemeinsamen Auffassung von Paris und Stengel, noch ohne
Bedenken S. 12 das C ,,eine gekürzte Übersetzung halb
und halb Bearbeitung" genannt. ,, Kleinere Episoden könnte es
ganz übergangen haben" (S. 16). In der eigentlichen Unter-
suchung aber haben wir von diesem Ausweg, soweit wir sehen,
nur einmal, in einem ganz nebensächlichen Punkte,. Gebrauch
gemacht.^) Das Lachen Rolands, V. 323, sei ein so unwesent-
licher Zug, daß ihn das C wohl übergangen haben mag (S. 42).
Dieser Satz sei hiermit in aller Form zurückgenommen. Im
übrigen haben wir uns nicht nur Stengels, sondern auch Voretzschs
Kritik zugezogen, weil wir das kürzende Verfahren des Carmen-
dichters zu wenig berücksichtigt hätten. Zum Beweis für diese
Kürzungen weisen beide auf C 242 hin:
Et reliqui quorum nomina non memoro.
Damit werde die ,, Unterdrückung der meisten Pairs-Namen
ausdrücklich zugegeben" (Stengel, diese Zs. XXVIIP, S. 25). Das
heißt eine banale Redensart, ein gleichgültiges ,Undsoweiter' allzu-
ernst nehmen. Wie oft begegnet nicht solche Wendung, wenn
Autoren nichts zu sagen wissen oder nichts sagen wollen.®) Ent-
w^eder mochte unser Dichter nicht durch Namenaufzählung er-
müden, vielleicht auch hatte er an dieser Stelle weitere Namen
^) Dazu zweimal in den einleitenden Ausführungen der schon
1901 gedruckten Dissertationsbogen. Die Vermutung S. 10 Anm. 19
Abs. 1 unserer Vorgesch. ist bereits oben S. 90 f. zurückgenommen
worden, die Behauptung der S. 13 Abs. 1 fällt mit der oben S. 85
gegebenen Korrektur.
8) Vgl. z. B. Vita Hludovici imp. (Mon. Germ. Scr. II, 1829,
S. 608): . . . quorum, quia vulgata sunt, nomina dicere supersedi;
Eadmeri Historia novorum, Lib. II (ed. by Rule, London 1884,
S. 77): Subscripserunt his multo plures, quos nos brevitati studentes
notare non necessarium duximus; Orderici Vitalis Historia eccles.
XI 12 (ed. Le Prevost, Tom. IV, 1852, S. 213): ... et multi alii
profecti sunt, quorum nomina nequeo singillaliin litteris assignare.
Beiträge zur liolandsfoischung. 95
gar nicht zur V^erfügimg und suchte» sich erst nachher noch ein
paar (Engelierus, Anseus, Walterus) für den Gebrauch zusammen.
Die Namen, die Turoldus in der G 241 f. entsprechenden Laisse
bietet, deuten auf den wahrscheinlichen Sachverhalt hin. Der
Rolanddichter übertrug zuerst ziemlich genau G 241
Huic c o m e s in primis Oliverus, Gero, Gerinus
in
Delez lui vient sis c u m p a i n z Oliviers,
Vint i G(M'ins e sis compaing Geriers (793 f.).
"Nun ließ ilui die N'orlage im Stich. Das Nomina sunt odiosa
gilt für den Epiker nicht. Turoldus suchte also die Lücke aus-
zufüllen und die Zwölfzahl herzustellen. Da werden Namen
erfunden oder von weither herangezogen, Ate (so Baist, Zs.
f. rom. Phil. XVIII, 1894, S. 273) und Berengiers, Girarz de
BossiUon und der Herzog Gaifiers, von dem nachher auch
nicht einmal mehr die Rede ist. Kurz, bei Turoldus liegt
Fi'illsel vor, und nicht Kürzung im C.
Gehen wir auf ein weiteres Argument bei Voretzsch ein.
Er zitiert (Zs. f. roman. Philol. XXXII 714 Anm. 1) die
Verse 267 ff.:
Samson, Turpinus, Oliverus, Gero, Gerinus
Qulnque prosternunt corpora, quisque suum;
Post alii qiiinqiie prosternunt corpora quinque.
,,An der korrespondierenden Stelle, Roland 1213 ff., treten tat-
sächlich nacheinander Olivier, Turpin, Gerin, Gerier und Samson
auf. Daraus kann man mit Sicherheit schließen, daß der Ver-
fasser auch die Namen der folgenden Kämpfer (1281 ff.): Anse'is
Engelier, Oton, Berengier gekannt hat." So Voretzsch. Anseus
und Engelierus kommen allerdings später im C vor (V. 305. 317).
Ob der Lateiner schon an unsrer Stelle die beiden Namen präsent
hatte oder sie erst weiterhin bei passender Gelegenheit erfand,
das halte ich nicht für ausgemacht; die Frage ist auch unwichtig.
Ich sehe keinen Beweis dafür, daß dem Dichter des C die Namen
Otes und Berengier s bekannt waren. Wichtig aber ist ein Satz,
der bei Voretzsch folgt: ,,Daß der Verf. des C von 10 Kämpfen
statt 9 redet, ist mißverständliche Auffassung von Roland 1308
Des XII pers H X en sunt ocis."
Gerade umgekehrt scheint mir hier das Rld. in deutlicher Ab-
hängigkeit von C. Das alii quinque in 269 könnte allenfalls daher-
kommen, daß zufällig 5 Namen den Hexameter 267 ausgefüllt
haben. Es wird doch vielmehr eine beabsichtigte Rechnung
vorliegen. Nach dem C hat des Marsilius Neffe 11 Begleiter,
er selbst ist der zwölfte. Die G. Paris unklar gebliebenen Verse
253 f. erhalten durch zwei notw^endige Konjekturen ihren Sinn
zurück :
96 Wilhelm Taveniier.
Patricios hie u n d e n o s conjurat in a r ni a ,
Rfige duodecimus cogitur ire tarnen.
arma für omnes der Hdschr. nach Lucan II 48:
. . . conjiiret in arma
Mundiis ... ;
Claudian XV .331 f. (Carmina, rec. Jeep, Vol. I, Lipsiae 1876,
S. 131):
• . . conjurat in arma
Progenies vesana lubae . . .
undenos für undecimus, das wohl durch das duodecimus dos
folgenden Pentameters hereingekommen, ist unzweifelhaft ge-
geben. Mittellateinisch ist die Vertauschung von Cardinale und
Distributivum (darüber Voigt in seiner Ausg. des Ysengrimus,
1884, S. XLIf.); vgl. z. B. Hrotsvitha, Pelagius 129 (Opera,
ed. Strecker, Lipsiae 1906, S. 57): Loris procedunt vincti
comites duodeni; Ysengr. II 8:
Dentibus undenis dimidiuque carens.
Nach dem C sind es also im ganzen 12 Kampfgenossen auf
sarazenischer Seite. Von ihnen fällt erst des Marsilius' Neffe
(C 257 ff.), dann werden 2x5 weitere Pairs (268 f.) getötet,
und es bleibt richtig noch einer, Margaretus, übrig (279 ff.). Hier
ist die Ziffer (2 X 5 =) 10 durchaus an ihrer Stelle, es liegt gar
kein Mißverständnis auf Seiten des Carmendichters vor, wie
Voretzsch meint. Dagegen muß dieselbe Zahl in dem oben zitierten
Vers Rld. 1308 auffallen. Wie kommt Turoldus dazu, gerade
zwischen 10 und 11 den Schnitt zu machen? Warum nicht
zwischen 11 und 12, wo doch eben nur einer von den 12 entrinnt
imd sich dadurch gegen die übrigen abhebt! Der Rolanddichter
hängt hier augenscheinlich an der Zahlenangabe seiner lateinischen
Vorlage. Betrachten wir sein Verfahren im einzelnen, so wird
diese Abhängigkeit noch deutlicher. Ganz dem C entsprechend,
läßt Turoldus erst durch Rolands Hand den Aelroth fallen; dann
treten die 5 Frankenpairs auf, die in C 267 mit Namen gegeben
waren (Olivier und Turpin kommen als die bedeutenderen voran),
und nun läßt den Dichter die Vorlage mit dem alii quinque 268
allein. Die fehlenden Namen müssen beschafft werden: zwei
waren noch aus dem weiteren Schlachtbericht im C zu entnehmen,
Anscis (C 317) und Engeliers (C 305); sie kommen denn aucli
zunächst heran. Den ^^'alterus (C 421. 425) kann Turoldus nicht
Jn-auchen, (hi er ihn schon vorher detachiert hat (L. 66V Da
greift er denn auf die Namen zurück, die er sich L. 65 zusammen-
gesucht hatte und holt sich daher Oton und Rerengier. Damit
sind 10 Sarazenenpairs durch 10 ihrer christlichen Gegner erledigt.
Die Tatsache wird getreu der lateinischen Vorlage nach gebucht.
Beiträge zur Rolandsjor sehnig. 97
Da Turoldus in der Zelinzahl den Aelroth eingerechnet hat, das
C aber nicht, so kommt im Rld. die Zahlenangabe an eine Stelle
zu stehen, wo sie für den Gang der Erzählung ganz belanglos ist.
Dem Rolanddichter bleiben 12 — 10 = 2 (statt wie im C 12 —
(1 + 2 X 5) == 1) sarazenische Pairs übrig, Chernubles und Mar-
gariz. Statt nun zwei weitere Frankenpairs gegen die beiden
aufzubieten, wie man erwarten sollte, fängt Turoldus mit Olivier
wieder von vorn an, dem dann Roland als Gegner des 12. Sara-
zenen folgt (vgl. Vorgesch. 106). Das verstärkt noch den Schnitt
zwischen No. 10 und 11, und daß hier die Zahlen der lateinischen
Vorlage die Logik der Handlung durchkreuzend eingewirkt
haben, das wird noch dadurch nahegelegt, daß Chernubles als
zwölfter getötet wird, hinter Margariz, der entkommt; als ob
Turoldus sich auf die vergessene Nummer 12 nachträglich be-
sonnen hätte.
Der Vergleich der obigen, von Voretzsch angezogenen Stelle
spricht also eher dafür, daß Turoldus in Abhängigkeit vom C
ist, als für das umgekehrte Verhältnis.
Andere Argumente hat Stengel (diese Zs. XXVIII^ 25)
dafür beibringen wollen, daß C seine Vorlage rücksichtslos ge-
kürzt habe. So habe er den Namen Rencesvals ausgelassen.
Im gleichen Sinne fragt Becker (Literaturbl. XXVI 241):
,,Weil Roncevaux in den Distichen nirgends steht, soll der Name
im Ur- Roland gefehlt haben ?" An einen schriftlich fixierten
französischen Ur-Roland glauben wir nicht mehr. Daß aber die
(ihrem Inhalt und ihrer Ausdelmung nach violleicht recht geringe)
Sage, aus der das C geschöpft hat, daß diese ursprüngUche Roland-
sage schon den Namen Roncevaux in sich beschlossen hat, das
bezweifle ich allerdings, und stimme darin vielleicht mit meinem
verelirten Gegner zusammen. Die Sage ist in Geographie schwach.
— Auch daß der Dichter des C diesen Ortsnamen überhaupt
gekannt hat, glaube ich nicht. Die alten historischen Berichte
bieten doch den Namen Rencesvals nicht. Turoldus allerdings
hat Roncevaux aus eigner Anschauung kennen gelernt (so mit
Recht Becker, Grundr. 36). Daß in der Handschrift des C das
erste Incipit lautet: Incipit prologus in hello de Runcevalle^ be-
weist nichts — dieses Incipit kann ja von irgend welchem .Schreiber
herrühren.
,,Man beachte ferner, daß Rollandus 21, Oliverus 225, Tur-
pinus 267 ohne weitere Angabe eingeführt, also als anderweit
bekannt vorausgesetzt werden; dasselbe gilt von consul Gueno 39."
So fährt Stengel fort. Nun Gueno wird doch durch die Be-
zeichnung ,Graf' wenigstens etwas näher bestimmt. Für Olivier
holt C 241 zum Teil die Einführung nach [Huic comes in primis
Oliverus. . .). Aber wie werden denn Roland und Olivier im
Rld. eingeführt ?
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 7
S8 Wilhelm Tavernier.
103 Charles li magnes estoit en un vergier,
Ensembl'od lui Rollanz et Oliviers.
Erst im Verlauf des Epos erfährt der Hörer näheres über diese
beiden; am meisten charakterisieren sie sich doch selbst durch
ihre Handlungen. Nicht anders ist Vergil vorgegangen; man
vgl. H e i n z e , Vergils epische Technik^ 1908, ^S. 374 ff. Oft
werden in der Aen. nähere Angaben über die Personen erst dann
gemacht, ,,wenn sie ihre Hauptszene zu spielen haben." Oder
man lese z. B. III 239 f.
. . . dat Signum specula Misenus ab alta
Aere cavo. invadunt socii et nova proelia temptant ....
Kein Wort darüber, wer Misenus war; sein Tun erklärt, was der
Leser wissen soll.
So zeigt sich überhaupt bei vergleichender Betrachtung
andrer Dichtwerke Stengels Argument als hinfällig. Hat auch
Homer gekürzt, weil ,,es ihm nicht eingefallen ist, zu sagen,
wer Achill oder Agamemnon war" ? Stengel sieht fälschlich in
einem naiv oder bewußt gebrauchtem Kunstmittel dichterischer
Erzählung ein Indizium für nachträgliche Kürzung.
Auf einem Versehen beruht wohl der nächste Satz Stengels:
,,Turpinus wird, ebenso wie 241 Oliverus, 421 sogar comes titu-
liert, wogegen 451 scharf kontrastiert." An beiden Stellen heißt
doch comes Begleiter!
419 Rollandus jam non vexat nisi tercius liostes,
Tercius impugnat, tercius obstat eis;
Turpinus comes huic hinc, Walterus comes inde.
Von Wichtigkeit dagegen ist die Feststellung Stengels
(S. 31), daß der geistliche Stand Turpins nirgends angegeben
wird. Es wird sich so erklären lassen, daß das Carmen in der
Diözese von Reims entstanden ist, wo Turpin, der große Erz-
bischof, unvergessen war (vgl. Becker, Grundr. 46). Im Ver-
hältnis zur Länge des C tritt Turpinus stark hervor, relativ mehr
als im Rld. (vgl. C 267, 295—301, 319, 335—346, 369, 421, 437
bis 452). Und wir werden weiter unten noch anderweitige Indizien
dafür antreffen, daß das Carmen mit Reims und seinem Sprengel
zusammenhängt. Da das C ein Schulbuch, für Klosterschulen
berechnet, ist, war ein Prädikat für den gefeierten Wohltäter
der Reimser Kirche, den Günstling des großen Karls, nicht
nötig.
Wir kommen nun zu einigen Argumenten Beckers (Literatur-
blatt XXVI, S. 241).
„Weil in den lateinischen Versen nirgends Carolus Magnus
{—^ — l — —) vorkommt, sollte es. nicht in der franz. Vorlage
gestanden haben?" Ja das unglückliche ,, Schlüssel" wort Char-
lemagne müssen wir allerdings preisgeben. Stengel hat mit
Beiträge zur Rolandsforschuii^. 99
seinem Einwand (diese Zs. XXVIII- 32 f.) Reclit. Die betr. Stelle
meiner Vorgescli. (S. 19), in den schon 1901 ausgedruckten
Dissertationsbogen, entsprach einem nachher überwundenen
Stadium der Untersuchung, wo wir naiverweise die älteren Teile
des Rlds. noch für herausschälbar hielten. Alte, liebe Zeit! Mit
der Leugnung einer französischen Vorlage für das C wird das
ganze Indizium ja hinfällig. Doch mag dem oben zitierten Satz
Beckers gegenüber bemerkt sein, daß im C immer Karolus ge-
messen wird (3. 35. 113. 145. 173. 180. 429), und daß Karolus
Magnus^ Karolum Magnum sehr gut in den Hexameter hinein-
paßt, sobald das folgende Wort konsonantisch anlautet (Genit.,
Dativ, Abi. passen stets). Wenn nun wirkhch C das Rld. gekürzt
hätte, wäre es allerdings auffallend, daß dem lateinischen Dichter
nicht auch einmal ein Karolus Magnus untergelaufen ist. Aber
lassen \\dr hier immerhin den Zufall gelten, so gut er sich auch
in das System unserer Auffassungsweise einfügt.
,,Weil der lateinische Versifex die Verwandtschaftsbeziehun-
gen nirgends ausdrücklich erwähnt, sollen sie jüngere Erfindung
sein ?" Diese Frage Beckers möchte ich allerdings bejahen.
Irgend einer muß doch nun einmal z. B. das Onkelverhältnis
Karls zu Roland ersonnen haben. Warum sollte es nicht Turoldus
gewesen sein! Die französische Epik spinnt ja vor unsern Augen
solche Verwandtschaftsverhältnisse aus. In dem regret des C für
Roland (465 — 472) keine Erwähnung seiner Verwandtschaft mit
Karl, und bei Karls Trauer um die Toten (475—479) von Roland
nicht die Rede. Das spricht doch dagegen, daß dem Lateiner
etwas von diesem besonderen Verhältnis Rolands zu Karl be-
kannt gewesen ist. Anderseits kann man leicht erklären, wie
Turoldus zu dem Motiv gekommen ist. Der erste der sarazeni-
schen Pairs war im C als des Marsilius Neffe eingeführt, und wie
nun Turoldus Pendants schaffen mußte bis ins Kleinste, so
machte er auch den vornehmsten christlichen Kämpfer zum
Neffen seines Herrn und Kaisers.
Was wir bisher an vermeintlichen Kürzungen des C be-
sprochen haben, betrifft Kleinigkeiten, Auslassung von Namen,
einführenden Bezeichnungen und Verwandtschaftsbeziehungen.
Wenn man mit Voretzsch solche Kürzung im Kleinen zugeben
woJlte, so wäre damit noch gar nicht bewdesen, daß der Dichter
des C so \\dchtige, so spannende oder so umfangreiche Episoden
seiner Vorlage stillschweigend übergehen konnte, wie die Blan-
candringesandtschaft, die dulor de la mort de Rollant, Rolands
Abschied von Durendal, die Baligantschlacht, schön Aldas Tod.
Es bleiben alle die schweren Bedenken zu Recht bestehen, die
wir Vorgesch. 11 f., 202 Anm. 366, diese Zs. XXVF S. 154 f.
formuliert haben. Eingegangen auf diese Bedenken ist eigent-
lich nur Becker; aber folgen wir seinen Erklärungsversuchen
(Literaturbl. XXVI 240).
100 Wilhelm Taveniier.
„Man denke sich nur, was man selber anfinge, wenn einem
etwa als Aufnahmebedingung für das Seminar die Aufgabe ge-
stellt würde, ein Stück aus den Nibelungen oder dem Rasenden
Roland in französischen Alexandrinerpaaren wiederzugeben!"
Der Vergleich ist weit hergeholt und, scheint mir, nicht gan7>
zutreffend. Einmal wäre jedem Seminaraspiranten soviel dich-
terische Fertigkeit im Französischen zu wünschen, als sie unser
,,Versifex" im Lateinischen besaß. Sein Stil mag manchem nicht
behagen, er ist gewiß etwas gesucht und eintönig, aber die Technik
beherrscht er doch durchaus. Die hätte ihn nicht gehindert,
in seiner Art zu sagen, was er nur immer wußte und wollte.
Aber gehen wir selbst auf das Bild ein, nehmen wir an, es hätte
jemand nach dem Nibelungenlied Siegfrieds Tod in französischen
Alexandrinern zu erzählen und wäre halbwegs bei gesundem
Verstand: dann müßte es mit schlimmen Dingen zugehen, wenn
er eine so grandiose Szene wie das Bluten des Leichnams in
Gegenwart des Mörders ganz wegließe, dafür an die detaillierte
Beschreibung der Jagd im Odenwald etwa ein halb hundert Verse
wendete. Nun, wie gesagt, das Bild an sich ist wenig zutreffend.
Auch nicht, was in Beckers Argumentation damit zusammen-
hängt: ,,Man mutet dem lateinischen Versifex da eine Geduld,
eine Fertigkeit, auch soviel Zeit und Muße zu, wie er sie kaum
besaß." Ja warum denn nicht? Wenn irgend ein Gedicht keine
Spuren der Eile verrät, so ist es das C. Mit dem geringsten
Gedanken spielt noch der Dichter seltsam hin und her, wie Kinder
mit Seifenblasen; er selbst ein glückliches Kind jener Zeit, da
das time is money noch nicht erfunden war.
Daß der ,, Geburtstag eines Gönners" zur Eile getrieben
habe, wie es Becker als Möglichkeit hinstellt, ist doch eine
grundlose Annahme, um so mehr als wir dann doch wohl
eine Dedikation erwarten dürften. Wenn Becker weiter
unser C ,, vielleicht als Schularbeit" gedichtet sein läßt, so
unterschätzt er unser Gedicht. Die fest ausgeprägte Manier,
ein deutliches Streben nach psychologischer Motivierung, die bis
zum Komplizierten geht (das hat Voretzsch a. a. 0. S. 723
treffend bemerkt), schließen den Gedanken an einen krassen
Anfänger aus. Man mag allenfalls von ,, Abiturientenarbeit" red(Mi,
wobei aber jede Gedankenverbindung mit ,Eile' fortfallen muß.
Das C ist doch eher das Werk eines Scholastikus, eines jungen
Lehrers vielleicht, der in usum scholarum gedichtet hat, den
adligen Schülern seiner schola externa an einem drastischen Bei-
spiel das wichtigste Adelsgebot jener Zeit zu Gemüte führend:
Du sollst nicht verraten, dabei allerlei nützliche Belehrung,
betreffend Taktik, Pferdekenntnis und anderes einschiebend. —
,,Weil der Verfasser des C sich vorgenommen, seine Kunstfertig-
keit am Roland zu üben, nimmt man als selbstredend an, daß
er gleich zwei- bis dreitausend Disticha schreibt und setzt voraus,
Beiträge zur Rolandsforschung. 101
daß er für alles, was seine Vorlage enthält, auch den entsprechenden
Ausdruck zur Verfügung hat." Nicht, daß er ungefähr gerade
soviel \'erse macht als seine Vorlage, müßten wir als wahrschein-
lich fordern, aber daß der Lateiner nicht die markantesten, auch
in mittelalterlichem Sinne interessantesten Episoden mit Still-
schweigen übergeht und andrerseits in Schilderungen, Zahlen-
angaben, taktischen Details von verblüffender Treue ist. Und
noch viel mehr Erklärung müssen wir von den Vertretern der
Kürzungshypothese fordern. Wir werden gleich unten die Be-
denken gegen jene Hypothese rubrizieren, um darzutun, in
welche Unwahrscheinlichkeiten sich die Verfechter derselben
stürzen. Vorher sei noch einmal betont: daß der Lateiner ebenso-
gut die Blancandringesandtschaft hätte wiedergeben können wie
die Gesandtschaft Ganelons, ebensogut die letzten Hiebe Duren-
dals wie manchen Hieb vorher, ebensogut schön Aldas Tod
schildern wie den Oliviers, Turpins, Rolands, daran sollte kein
Zweifel sein. — Auch der Ausweg sei zurückgewiesen, daß der
,,Versifex" etwa aus dem Gedächtnis nachgedichtet hätte und
daß dadurch die seltsamen Auslassungen und Abänderungen zu
erklären seien (so Stengel, diese Zs. XXVIIP, S. 32). Das ist,
wie wir oben gezeigt haben, ausgeschlossen: die eine der
beiden Dichtungen muß dem Verfasser der anderen vorgelegen
haben oder von ihm völlig auswendig gewußt sein. — Endlich
sei der Vollständigkeit halber gegen eine Wendung Stengels
protestiert (diese Zs. XXVIIF^, S. 32): ,, Bedenkt man nun, daß
C nur in lückenhafter Form auf uns gekommen ist, ..." Ein
einziger Pentameter fehlt (252), wohl durch Abschreiberversehen.
Selbst an dieser Stelle ist für den Sinn keine Lücke, und sonst
erst recht nicht.
\¥ir haben nun, bis auf den letzten Buchstaben, wirklich
alles Revue passieren lassen, was unseres Wissens je an Argu-
menten dafür beigebracht worden ist, daß das C eine Kürzung
sei. Die Beweispflicht in unserer Sache fällt durchaus der Gegen-
seite zu; das Präjudiz ist dafür, daß die brevior lectio in jener
Zeit auch das Ursprünglichere sei. Man weise ein Dichtwerk
des 11. und 12. Jahrliunderts auf, das ein anderes so gekürzt hat
wie der Carmendichter es mit dem Rld. getan haben soll. Er-
weiterung, Ausschmückung ist überall die Regel. Mögen die
Leser urteilen, ob die Vertreter der Kürzungshypothese ihrer
Beweispflicht genügt haben. Mir will scheinen, daß nur recht
kleine Dinge vorgebracht worden sind, im Vergleich zu den
großen Fragen, welche die Gegenseite beantworten müßte.
Formulieren wir:
1. Wie ist es, bei obiger Hypothese, zu erklären, daß sich
der Abbreviatur, der in soviel Kleinem so getreu seiner Vorlage
folgt, gerade die Höhepunkte der Handlung hat entgehen lassen,
die dulor de la mort de Rollant^ Rolands Abschied von Durendal,
102 Wilhelm Tcweniier.
schön Aldas Tod, Szenen, die mittelalterliche Menschen nicht
weniger rührten als uns ?
2. Wie ist es möglich, daß er bei dieser Kürzung zufällig
eine ganze Reihe von Widersprüchen und Unebenheiten beseitigt
hat, die in seiner Vorlage unverkennbar sind ?
3. Wie ist es möglich, daß er ebenso zufällig alles Wunder-
bare, alles Ahnungsvolle, das doch über das ganze Rld. hin
zerstreut ist, Vorzeichen, Träume, Engel, die auf- und nieder-
steigen, reinlich vermieden hat ?
4. Wie ist es mögUch, daß der Abbreviator zufällig alles
übergangen hat, was an Namen, faktischen Anspielungen, an
Gesinnungen und Stimmungen im Rld. auf den Kreuzzug zurück-
geht, auch dies alles nicht nur in der Baligantepisode vorkommend ?
5. Wie ist es möglich, daß der Abbreviator zum Übermaß
des Zufalls noch alles weggelassen hat, was der Rolandsdichter
aus der Aneide und der Pharsalia übernommen hat ?
6. Wie kommt es, daß, was das Rld. mehr hat als das C,
durchaus dem entspricht, was dem späteren Epos eigen ist gegen-
über dem früheren Lied, dem entspricht, was auch sonst dichte-
rische Bearbeiter ihrer Vorlage einzufügen pflegen ?^^)
Diese Kette von Fragen verlangt denn doch eingehendere
Beantwortung, als bisher gegeben worden ist. Nichts könnte
uns lieber sein, als wenn sich der verehrte Verfasser des ,, Grund-
risses der altfranzös. Literatur" zu solcher Entgegnung entschlösse.
Die bisherigen Lösungsversuche gingen nach zwei Richtungen.
Stengel und Becker meinen im wesentlichen: alles erklärt sich
daraus, daß der Verfasser des C ohne jedes Verständnis und in
großer Eile und Flüchtigkeit gearbeitet hat. Dem steht aber
Punkt 2 gebieterisch entgegen. Ein ungeschickt und eilig dich-
tender Abbreviator hätte doch nicht zufälhg eine ganze Reihe
von Widersprüchen aus seiner Vorlage getilgt. Wie kann der
von Becker supponierte täppische Geselle in der Wiedergabe von
Ganelons Gesandtschaft einen so viel wahrscheinlicheren, wider-
spruchslosen Bericht bieten gegenüber dem stark abweichen-
den, recht wenig plausiblen im Rld. ? Das führt hinüber
zu einem gewichtigeren zweiten Einwand. Es ist noch nicht
genügend betont worden (allein Voretzsch hat dahingehören-
des beigebracht; vgl. seine , Einführung' 118 und oben),
wieviel Eigenes, wieviel vom Rld. Abweichendes doch das
C bietet. Das wird die Zusammenstellung weiter unten
zeigen. Dieses Maß von Selbständigkeit, von Abweichungen
(und nach der Richtung des Logischen hin) verträgt sich nicht
mit der Annahme von flüchtiger Anfängerarbeit. Und noch sei
^") Vgl. Vorgesch. 13. Hier sind an wichtigem inzwischen die
treffenden Ausführungen H e u s le r's in ,Lied und Epos', 1905,
besonders S. 21 f., 34 f. hinzugekommen. Darüber, und über einen
von Stengel (diese Zs. XXVIIP, S. 33) erhobenen Einwand unten mehr.
Beiträge zur Rolandsjorschung. 105
in diesem Zusammenhang wiederliolt : wenn der Versifex so oilig-
nach einer französischen Vorlage arbeitete, wie Becker annimmt,
dann muß es zum mindesten auffallen, daß nicht hier und da
ein Gallizismus unterlaufen ist. Davon findet sich im C keine
Spur, weder was Wortschatz noch was Syntax anlangt.
Im besonderen von der Blancandrinepisode ausgehend, hat
ein andrer Vertreter der Kürzungshypothese Erwägungen, wie
den obigen, nachgegeben, und demgemäß einen neuen über-
raschenden Erklärungsversuch gewagt. Fraccaroli meint
(a. a. 0., S. 271): ,,Se dunque di Biancandrino non parla ne il
Carmen ne la Cronaca di Turpino, e un mero asserto gratuito il
(lire che questi rappresentano una fase anteriore della leggenda::
piü probabilmente anzi i loro autori...ragionarono
come ragiona G. Paris, sceverarono tra le diverse ver-
sioni quella che razionalmente pareva meglio attendibile, e
cercarono di eliminare ciö che parve loro o contraddittorio o
superfluo."
Der Verfasser des G ist also, nach Fracc, bei seiner Kürzung
planmäßig vorgegangen. Von denselben Erwägungen geleitet
wie G. Paris schied er alles Widerspruchsvolle im Rld. aus. Da
wird man entgegnen müssen: w^arum schied denn der wohl-
weislich schaltende Abbreviator gerade die wirkungsvollsten
Szenen aus, warum alles Wunderbare, Kreuzzughafte, Vergilische
seiner Vorlage! Fracc. dürfte die Antwort schwer fallen.
Wir stellen fest, daß sich die Kürzungshypothesen Stengel-
Beckers und Fraccarolis wie zwei Löwen gegenseitig auffressen.
Die beiden Erklärungsversuche heben einander auf. Die Hypo-
these ist eben falsch. Das C ist keine Kürzung.
III.
Tnrolduü.
In unserer ,, Vorgeschichte" hatten wir unter dem Strich
(S. 193 ff.) die Hypothese gewagt, der Turoldiis in V. 4002 sei
mit dem gleichnamigen Bischof von Bayeux zu identifizieren.
Bisher ist von keiner Seite auf diese Vermutung eingegangen
worden. Stengel findet augenscheinlich wenig Gefallen an
unserer Hypothese (,,Tav. wdll ja auf Grund der vielbesprochenen
Schlußzeile von 0 sogar den Bischof von Bayeux erkennen",
diese Zs. XXVIII^, 1905, S. 33). P h. Aug. Becker reiht
in seinem Grundriß (1907, S. 42 f.) den Turoldus von Bayeux
ohne weitere Bemerkung drei anderen Trägern jenes Namens
an, in denen man vor uns den Dichter des Rolandsepos ver-
mutet hat.
Wir kommen auf die Frage zurück, nachdem einige historische
Veröffentlichungen in der Zwischenzeit neue und bedeutsame
104 Wilhelm Tavernier.
Aufschlüsse die Persönlichkeit und die Schicksale unseres Turoldus
betreffend gebracht haben.
In demselben Jahre, in dem wir unsere Dissertation abge-
schlossen hatten, erschien Poree: Histoire de Tabbaye du
Bec. Tom. I. Evreux 1901. Das Werk bot einige auf Turoldus
bezügliche Daten, und wurde uns besonders wichtig durch den
Hinweis auf ein früheres Buch des nämUchen Verfassers, L'abbaye
du Bec et ses ecoles,i^) 1045—1792, in Evreux 1892 erschienen.
Dort findet sich S. 65 ff. aus Ms. lat. 13575 der Biblioth. nationale
ein Brief an unsern Turoldus abgedruckt. Ein Mönch, der zwischen
1130 und 1160 im Kloster le Bec lebte, hat ihn verfaßt (Abbaye 63;
Histoire I, 534). ,,L'auteur de la lettre avait sans doute ete
envoye en residence dans quelque prieure de l'ordre; c'est de lä
que partit cette epitrc dictee par l'affection austere qui unissait
le religieux ä Tancien eveque" (Poree, Histoire I, 536). Der
Brief verstärkt willkommenerweise das Licht, das Anselms schon
bekanntes Schreiben auf des Turoldus Persönlichkeit geworfen
hatte. 12)
Weit wichtiger noch ist ein Fund, den wir dem gelehrten
Benediktiner M o r i n in Maredsous verdanken. Es handelt
sich um einen bisher unbeachtet gebliebenen Brief des Papstes
Paschalis II. an Klerus und Volk von Bayeux. Morin hat ihn
aus Ms. Hatton 23 der Bodleiana in der Revue d'histoire ec-
clesiastique, Tom. 5, 1904, S. 284 ff. abgedruckt und in trefflicher
Weise kommentiert (,, Lettre inedite de Pascal II, notifiant la
deposition de Turold, eveque de Bayeux, puis moine du Bec
«8 oct. 1104»."). Nun endlich erfahren wir den wahren Grund für
des Turoldus' Abdankung und erhalten damit den Schlüssel zu
seinem Schicksal. Die Leser werden sehen, daß es nicht weniger
interessant ist als seine Persönlichkeit.
Es lohnt nicht, hier noch einmal auszuschreiben, was wir
früher bereits über Bischof Turoldus von Bayeux zusammen-
getragen haben; wir bringen im folgenden nur die Ergänzungen
^^) Vorhanden in ßerhn, König!. Bibl.
^2) Ob der Brief wirklich an Turoldus abgeschickt worden, ist
fraglich ; er könnte auch ein rein literarisches Produkt sein. H a u r e a u
urteilt über diesen und die übrigen Briefe desselben Unbekannten:
,,Nous croyons bien qu'elles sont reelles, mais nous ne le garantissons
pas; il est possible que nous ayons encore lä, non pas de vraies
missives, mais une ceuvre litteraire" (Notices et extraits de quelques
manuscrits latins de la Bibliotheque nationale, II, S. 233). Die
Frage ist für unsere Untersuchung kaum von Belang. Turoldus hat
bis gegen 1146 im Kloster Bec gelebt. Der Unbekannte wird ihm
aller Wahrscheinlichkeit nach persönlich nahe gestanden haben. Und
hätte er den Exbischof selbst nicht mehr mit Augen gesehen, es
waren doch zu viele Brüder noch aus Turoldus Zeit da, als daß er dessen
Charakterbild hätte fälschen können. Und nur um die P e r s ö n 1 i c h -
k e i t des Exbischofs handelt es sich hier.
Ht-ilräge zur Rolandsforschuno. 105
und Berichtigungen, die sich aus den neueren Veröffentlichungen
ergeben.
Was zunächst die Heimat des Turoldus anbetrifft, so ist
das Vorgescli. 196 aus Hermant, Histoiro du diocese de Bayeux
(Partie I), Caen 1705, S. 151 Übernommene zurückzunehmen.
Woher Hermant den Namen von Turoldus Vater kennt, ver-
mögen wir nicht zu sagen; bis auf weiteres wird man seiner An-
gabe hierin so wenig trauen können wie in bezug auf das Wappen
,,de la famille de Turoldus de Bremoy.' Der gute Pfarrer von
Maltot (bei Evrecy, Dep. du Calvados) ist augenscheinlich nur
durch ein Versehen auf Bremoy gekommen. Er oder schon vor
ihm jemand hat das Ebremoii bei Ordericus Vitalis (Historia
ecclesiastica, X 4. ed. Le Prevost, Tom. IV, Parisiis 1852, S. 18)
auf das ihm näher liegende Bremoy bezogen. Es handelt sich
aber um Envermeu, 14 km östlich von Dieppe, unweit der Grenze
des pikardischen Sprachgebietes. Dort ist Turoldus' Heimat ge-
wesen. Und wenn wir in unserem Turoldus den Dichter des
Roiandrepos sehen, dann verstehen wir eine Tatsache, die bis-
her rätselhaft erscheinen mußte. Wir denken an den pikardischen
Einschlag in der Sprache des Rlds. Da ist zunächst das -omes
der 1. Person Plur. (V. 391 (:); V. 640b und 922 hat Stengel das
von einem Kopisten wohl nicht ohne Absicht umgangene -omes
mit Recht wieder hergestellt). — Das Wort destourhier (:2548)
hat R. B c r g e r ,,auf Grund der großen Wörterbücher und der
Glossare zu den Ausgaben der entsprechenden Texte vorherrschend,
wenn nicht ausschUeßlich in Werken bezw. Handschriften eines
begrenzten nordöstlichen Bezirks gefunden" (Canchons und
Partures des altfranzös. Trouvere Adan de le Haie, Bd. I, Halle
1900, S. 40). - - Noch sei Wendelin F o e r s t e r zitiert (Zs. f.
roman. Philol., XXVIII, 1904, S. 505, Anm. 1): .,in der ersten
Tirade des Roland" ist ,/time unter den -digne z. B. im Pikardischen
vollständig berechtigt"; vgl. das aimet 1092 in rm-e- Assonanz.
Auch in der zwiespältigen Behandlung des ai wird das Nach-
\Narken einer in der Pikardie (darüber unten mehr) und
an deren Grenze verlebten Jugendzeit zu erkennen sein.^^) —
Über diese Dialektfragen hier ausführlicher zu handeln, würde
den Rahmen unserer Untersuchung sprengen; es ist Zeit, daß
die Sprache des Rolandsepos wieder einmal gründlich durch-
forscht wird, und das dürfte vielleicht Bedier als nicht unwert
seiner Arbeit betrachten. Nur eins sei noch betont: unser Dichter
hat sich auf einen bestimmten Dialekt weder festlegen wollen
noch können. Er hat weder für Francier (so B a i s t , Varia-
tionen 20, in: Beiträge..., Festgabe für Foerster, S. 232), noch
^') Da Turoldus schon als junger Mann an Königs Hof und von
da nach Bayeux gekommen, so verträgt sich mit diesem pikardischen
Einschlag in seiner Sprache sehr wohl die Behandlung von i < e + i.
106 11 7//? '/m Taver liier.
für Normannen ausschließlich gedichtet. Das ganze Frankreich
soll es sein! Er wandte sich an alle Besten seiner Nation, welche
im Feuer des Kreuzzugsenthusiasmus zusammengeschmiedet
worden war. Darum schuf er sich — gleich den Epikern
anderer Völker — eine Kunstsprache, die, rein literarisch, nirgends
zu seiner Zeit gesprochen w^urde. Des Dichters Heimatdialekt,
das Normannische, und daneben das Francische, haben das
meiste beigetragen, aber auch, was ihm an Pikai'dischem aus der
Jugendzeit im Ohre lag, hat er nicht verschmäht. Je vielseitiger
seine Ausdrucksweise, um so leichter waren Assonanzen zu ge-
winnen. — Über die mit dem Dialekt des Verfassers vermischte
Kunstsprache des Epos vgl. John Meier in seiner nicht genug
zu rühmenden Rektoratsrede ,, Werden und Leben des Volks-
epos". Halle 1909, S. 18 f.; 45, Anm. 62.
Turoldus entstammte einem vornehmen, reichen Geschlecht.
Die betreffenden Angaben der Vorgesch. 196 werden bestätigt
durch den neu entdeckten Papstbrief. Paschalis spricht von
Turoldus als einem uir in terra sua potens et iiohilis (Morin 285),
auf dessen Ansehen er habe Rücksicht nehmen müssen, i^)
In schwungvollen Ausdrücken schildert der obenerwähnte
Mönch von le Bec den Reichtum und die hohe Wertschätzung,
deren sich Turoldus in der ganzen Normandie erfreute (Poree,
Abbaye 65): In gloria seculari paulo ante conspicuus eminebas,
utpote prelati fungens officio, divitiis abundans ... et
quocumque procedebas fallacis mundi favoribus excipiebaris ....
fastigii seoularis ambitionem, quam usque ad nauseam prius
hauseras . . . Heccine est illa per to tarn fere Normanni-
am famosissima tui ipsius victoria (gemeint ist des Bischofs
Eintritt ins Kloster). In diesem Mönchsbrief wird naturgemäß
auf den geistlichen Rang des Turoldus das meiste Gewicht gelegt.
Als Bischof von Bayeux war er der erste Suffragan des Erz-
bischofs von Ronen und rangierte vor den übrigen Bischöfen des
Herzogtums (Gallia christiana, ed. altera, Tom. XI, Parisiis
1874, col. 346/7: reliquos provinciae antistites antecedit. —
Vgl. C. H i p p e a u , Dictionnaire topographique du departement
du Calvados, Paris 1,883, S. XXVIII). Die einzige bisher be-
kannt gewordene Urkunde mit des Turoldus Namen (GalUa
Christ. XI, Instrumenta, col. 128) führt ihn gleich hinter seinem
vorgesetzten Erzbischof vor den andern Bischöfen an: Huic
vero causae seu placito interfuerunt ex parte regis,
Willelmus archiepiscopus Rotomagensis, Turoldus episcopus Ba-
jocensis, Gislebertus episcopus Ebroicensis — es folgen noch zwei
englische Bischöfe, 4 Abte, 4 Archidiakone, 5 Barone.
'*) ne tanto cont'usus obprobrio uir in terra sua potens et nobihs
sie in patriani remearet; Sic ei in annuni ex apostolicae conpassionis
affluenlia indutiae prorogatae sunt.
Beiträge zur Rolandsforschang. 107
Da man noch manchmal auf seltsame oder vage Vor-
stellungen von einem Biscliof in jener Zeit trifft, so sei daran
erinnert, daß die Bischöfe damals mit die Funktionen heutiger
Provinzialbehörden versahen; sie waren weit mehr ,, Geheime
Regierungsräte" als Priester, und wenn irgendwo so trat in
England und in der Normandie noch bis zu des Turoldus Bischofs-
zeit das Geistliche hinter dem Charakter als Staatsbeamter
völlig zurück. ^'^) Unter dem roten Willielm, der seit 1096 auch
in der Normandie herrschte, waren zeitweilig (so zwischen 1096
und 1099; vgl. Böhmer, S. 144, Anm. 6; S. 150 ff.) alle Be-
ziehungen zu Rom abgebrochen; er regierte seine Kirche ohne
Papst. Wir können hier nicht die spannende Kirchengeschichte
jener Jahrzehnte aufrollen, und verweisen auf die äußerst an-
ziehende Darstellung in Böhmers obenerwähntem Werk
(besonders S. 140—162).
Nach dem Gesagten haben wir uns den Bischof Turoldus
als reichbegüterten Baron und hohen Staatsbeamten, bei allen
Hof tagen an der Seite seines Landesherrn, vorzustellen. Die
oben erwähnte Urkunde zeigt ihn denn auch in Ronen, im Gefolge
des Königs Heinrich. Soviel zur Beruhigung derjenigen, die
sich zwar zu dem Gedanken durchgerungen haben, daß auch ein
Epos wie das Rld. einen Verfasser hat, denen aber die weitere
Vorstellung unerträglich ist, daß dieser Dichter ein Bischof
gewesen sein soll.
Noch müssen wir zwei mittelbare Zeugnisse anführen für
das große Ansehen und den Reichtum, dessen sich die Familie
unseres Turoldus erfreute. — In einem Treffen des französisch-
engUschen Krieges von 1097/98 machten die Franzosen eine
Reihe vornehmer Gefangener, darunter Geroldus deEbre-
m o u ; ,,quorum redemptionibus opimis egentes Franci
ad dimicandum animati sunt" (Ordericus Vitalis, X 5, ed. Le
Prevost, Tom. IV, S. 23; vgl. Edward A. Freeman, The reign of
WilHam Rufus, Vol. II, Oxford 1882, S. 179). Dieser Geroldus
ist nach Le Prevost ,,probablement parent d'Hugue et de Turold
d'Envermeu, dont nous venons de parier" (a. a. O., n. 1). Das
hohe Lösegeld entsprach dem Rang und Reichtum des Gefangenen.
^^) ,,Der normannische und anglonormännische Klerus dieser
Tage dachte royaUstischer und zugleicli Dank der konsequenten Ab-
sperrungspohtik der Krone partikularistischer, als der Klerus aller
anderen damaligen Landeskirchen'' (Heinrich Böhmer, Kirche
und Staat in England und in der Normandie im XI. und XII. Jahr-
hundert, Leipzig 1899, S. 269). — Bezeichnend ist eine Stelle bei
Ordericus (XI, 39; Tom. IV, S. 297): In illo tempore migraverunt
plures sanctitate et sapientia praecipui doctores ecclesiarum : Anseimus
scilicet archiepiscopus Cantuariorum, et Guillelmus archiepiscopus
Rotomagensium, venerabilesque coenobiorum rectores (es folgen
3 Äbte) . . . Pro tantorum itaque transitu b a r o n u m videtur ipse
mundus lugere. Alles geistliche Herren, und dabei ,, Barone".
X08 Wilhelm Tcwemier.
— Wie begütert des Turoldus Familie gewesen ist, das beweist
ferner die umfangreiche Schenkung, die der jugendUche Bischof
und sein Bruder dem Kloster le Bec machten. ,,Vers l'an 1100,
Turold, eveque de Bayeux, et son frere, Hugues d'Envermeu
donnerent ä Tabbaye Teglise de Saint-Laurent d'Envermeu
avec toute la dime et un böte, Teglise de Notre-Dame et la dime
de la vicairie, de vicaria, qui lui appartenait, la dime des moulins
et du tonlieu d'Envermeu, Teglise de S.-Quentin (-au Bosc,
canton d'Envermeu) avec sa dime, et quelques acres de terre
sises ä Envermeu et ä Tourville, Turchetivüla (Tourville La Cha-
pelle, canton d'Envermeu) (Poree, Histoire 1, 427 f.).
Gehen wir jetzt von der äußeren Stellung zur Persönlichkeit
des Turoldus über. Die knappe Charakteristik der Vorgescb.
(S. 197 ff.) läßt sich heute wesentlich ergänzen.
Turoldus war ein geistig hervorragender Mann. Zwar die
a. a. 0. 197 zitierten Worte animo sanus, plurimumque vividus^^)
wird ihr Verfasser wohl in erster Linie auf die ungebrochene
Frömmigkeit und Gebetsfreudigkeit des Exbischofs bezogen
haben. ^'') Schon eingehendere Aufschlüsse über dessen Persön-
lichkeit erhalten wir aus einer Stelle des, noch immer unedierten
Miraculum beatae Fidis de episcopo Bajocensi, die von Poree
aus der Hdschr. Bibl. nat. lat. 5427 zweimal abgedruckt worden
ist (Abbaye 67, n. 2; Histoire I, 536 f., n. 3): Monachus autem
factus, tantae humilitatis, modestiae ac gravitatis discretionisque
sectator extitit, ut parvo in tempore, non solum junioribus
iter ad caelestia capessenda praeberet, verum etiam prioribus
ipsis in regulae observatione, cunctisque optimis
s t u d i i s sese mirabilem exhiberet. In diesem Charakterbild
interessiert uns am meisten die Liebe zu geistiger Beschäftigung,
von der die letzten Worte reden, aber auch Takt und stille Würde
sind Züge, die wir festzuhalten haben. — Wie tief der Eindruck
w'ar, den diese Persönlichkeit hervorrief, das bestätigt der oben
erwähnte Brief des Klosterbruders. Wir wissen (Poree, Histoire I,
538 f.), daß der Briefschreiber von griesgrämigem, strengem,
schwer zu gewinnendem Charakter gewesen ist. Und doch
kann er nicht vergessen, wie sehr ihn die Bekanntschaft mit
Turoldus ergriffen hat. ,,Neque enim obHvisci possum, quando
primum de sancto amore tecum agere cepi, quam promptissime
ad nostram condescendisti familiaritatem, quam devotum,
quam hilarem, quam discretum te mihi exhibuisti, devotum
siquidem in mente, hilarem in vultu, discretum in sermone"
(Poree, Abbaye 66 f.). Hier kommt zur tiefen Frömmigkeit,
^*') Der bei diesem Wort in der Vorgeschichte unterlaufene
Druckfehler sei hiermit verbessert.
^'') ,,Ipse quoque aegrotus, animo sanus, plurimumque vividus,
ad divae Fidis virginis opem celeriter confugit" (Migne, Patrol. latina,
159, Parisiis 1903, Sp. 170, loannis Picardi nota).
ßeiträge zur liohindsjorschnii'^. 109
zum vollendeten Takt ein weiterer Zug hinzu, die stille Heiterkeit.
Davon werden wir weiter unten zu reden haben. Vorerst sei
ein artiges Widmungsgedicht zitiert, in dem des Turoldus heiter-
helle Augen gerühmt werden. Einer der bedeutendsten Dichter
jener Zeit, Hildebert, seit 1097 Bischof von Le Mans,^^) schickt
dem Bischof von Bayeux einen Ring, ,,Du sollst nach Bayeux
gehn", so spricht der Dichter zu dem Kleinod, ,,und einem Größeren
als ich die Hand schmücken". Da strahlt freudiger der Stein,
und sein fröhliches Leuchten ist nur der Wiederschein der hellen
Augen des Beschenkten. Wir wollen die graziösen Verse des
Dichterbischofs unseren Lesern nicht vorenthalten.
Ad episcopum Bajocensem.^^)
Annulus hie nuper moerebat clausus in arca,
Obscurusque lapis et quasi tristis erat.
At postquam dixi : Bojocas ibis, erisque
Majoris digitum praesulis orbe ligans,
Laetior explicuit radios, sparsitque s e r e n a s
Gemma faces, oculis exhilarata tuis.
Hoc ex te Domino pretium lucratur, adestque
Plus lapidi praesul, quam lapis ipse sibi.
18) Sein Vorgänger starb am 29. Juli 1097 (Freeman, II, 210).
^^) In Hildeberti opera. Labore et studio Antonii Beaugendre,
Parisiis 1708, Sp. 1333; abgedruckt von Migne, Patro). lalina, 171,
Parisiis 1893, Sp. 1407. In beiden Drucken steht hinter ligans (Z. 4)
ein Punkt, den wir als sinnstörend oben in ein Komma verändert
haben. — In dem ungenannten Adressaten des poetischen Widmungs-
schreibens sieht Beaugendre ,, forte Odonem, fratrem Guillelmi
Conquestoris". Diese Vermutung ist den mancherlei Versehen hinzu-
zureihen, die in der Histoire litteraire de la France, Nouv. ed., Tom. XI,
Paris 1869, S. 278 ff. bei Besprechung der Werke Hildeberts dem
Kommentator Beaugendre nachgewiesen werden. Odo starb zu
Palermo im Februar 1097 (Morin 286), als Hildeberts Vorgänger noch
lebte. Aus dem majoris praesulis der Z. 4 ist aber zu schließen, daß
Hildebert selbst schon Bischof war, als er obige Verse verfaßte. Praesul
heißt m.eistens Bischof, allenfalls Abt (s. Ducange), aber das letztere
ist Hildebert nicht gewesen. Er war bis zu seiner Wahl 1097 Archidiakon
(Ordericus Vit., X, 7; Tom. IV, S. 41. — Vgl. Freeman II, 211). —
Abgesehen selbst von diesem zeitlichen Argument ist es fast undenkbar,
daß Hildebert Verse wie die unseren, auf einen so heiteren, freund-
schaftlichen Ton gestimmt, an den alten Sturmgesellen Odo gerichtet
haben sollte, den mächtigen, gewalttätigen, vielgehaßten Bruder des
Eroberers. Der war durch Rang und Alter weit von Hildebert ge-
schieden, welcher, wenn auch nicht ganz geringer, so doch nur beschei-
dener Herkunft gewesen ist (Histoire litteraire de la France, Nouv.
ed., XI, 250 f.). — Auf Turoldus als Adressaten paßt alles. Er war
ungefähr im gleichen Alter wie Hildebert. Beide waren im selben
Jahre Bischof geworden. Die Worte majoris praesulis erklären sich
sehr wohl in bezug auf Turoldus, welcher der Amtswürde nach (als
der rangälteste Bischof der Normandie — die Grafschaft Maine war
dem Normannenherzog lehnspflichtig und das Bistum Le Mans depen-
dierte für die Temporalien gleichfalls von des Turoldus Landesherrn
110 ]\'ilhelm Tavernier.
Dies allerliebste Gedicht wird noch besonders merkwürdig,
weil es die beiden wohl größten Dichter jener Zeit miteinander
verknüpft, beide vor nicht langem und in jungen Jahren Bischof
geworden. Zieht man selbst alles ab, was in den obigen Versen
auf Rechnung der Artigkeit und dichterischer Übertreibung
kommen mag, so bleibt doch für Turoldus das Bild einer ge-
winnenden Persönlichkeit übrig, und das serenus und cxhilarata
stimmt gut zu dem hilaris in vultii im Brief des Mönchs vom
Bec: Turoldus ist ein frommer, aber dabei ein fröhlicher Mensch
gewesen. Mönchische Traurigkeit und Zerknirschung waren seine
Sache nicht; in tiefster Seele seines Gottes gewiß hat er mit
hellen, leuchtenden, gar nicht niedergeschlagenen Augen in die
schöne Welt gesehen.
Und nun kommen wir zu dem, was der heilige Anselm,
dieses Mönchsideal, und was, vielleicht in Abhängigkeit von dem
Heihgen, der Mönch vom Bec an Turoldus zu tadeln haben.
Nicht lange vor seinem Tode, in den Jahren 1108 oder 1109,
schreibt der greise, ehrwürdige Primas von England seinem
lieben Freunde Turoldus, der vor nicht langem Mönch geworden
war, den folgenden Brief.^°)
Anseimus, servus Ecclesiae Cantuariensis, fratri et amico
charissimo Turoldo, Dei gratia monacho Beccensi, salutem et
boni propositi perserverantiam usque in finem.
und Gönner, vgl. Freeman II, 212) und durcli seine vornehme Ab-
stammung ,,der Größere" von den Beiden war. Dazu kommen folgende
Daten. 1098 zog Wilhelm der Rote als Sieger in Le Mans ein, von
Hildebert feierlich empfangen (Freeman II, 240). Um dieselbe Zeit
etwa war Hildeberts Landesherr, der edle Graf Hellas von Maine, in
B a y e u X als Gefangener (Ordericus X, 7, Tom. IV, S. 51; Freeman II,
242). Da mögen sich denn leicht Beziehungen zwischen Hildebert
und dem Bischof von Bayeux angesponnen haben. Ja selbst persönliche
Bekanntschaft der beiden kann man als ziemlich sicher annehmen.
Wir wissen, daß Hildebert zwischen seinem Grafen und dem König
von England den Friedensvermittler gemacht hat. Mit Erlaubnis
Wilhelms durfte er seinen gefangenen Herrn besuchen (Freeman II,
238, 628 f.). Hellas war zunächst nach Ronen, dann aber nach Bayeux
gebracht worden. Nichts spricht dagegen, daß der Besuch in Bayeux
stattgefunden hat, das ja soviel näher an Le Mans lag als Ronen.
In diesen Tagen könnte Hildebert zuerst den Turoldus in die heiteren,
liellen Augen geschaut haben. Auch späterhin bot sich Gelegenheit
für eine persönliche Begegnung der beiden. Ende 1099 z. B. mußte
Hildebert an des Königs Hof nach England, um sich zu verantworten;
die Reise mag nicht weit ab von Bayeux geführt, oder Turoldus mag
sich im Gefolge seines königlichen Herrn sich befunden haben. Jedenfalls
liegt in den politischen Verhältnissen jener Jahre Anlaß genug begründet,
daß der Bischof von Le Mans dem Günstling seines obersten Lehns-
herrn Geschenk und gute Worte zukommen ließ. — Des Turoldus
Vorgänger, Odo, stand zu seinem königlichen Neffen im denkbar
schlechtesten Verhältnis, zuweilen herrschte offene Feindseligkeit.
20) Anselmi epistolae, Lib. III, 137, bei Migne, Patrolog. lat.,
159, Sp. 169 f.
Beiträge zur Holandsforschung. 111
Benedictus Deus in donis suis et sanctus in omnibus operibus
suis, qui cor vestrum convertit a vanitate ad veritatem. Vani-
tatem enim sequuntur omnes qui altitudines et honores
atque divitias hujus saeculi concupiscunt, . . . Veritatem
autem tenent, qui terrena et transitoria toto corde
c 0 n t e m n u n t , et ad veram humilitatem toto conatu ascen-
dunt.... In viam paradisi vos direxit divina dementia, imo
in quemdam paradisum hujus vitae vos introduxit, cum vos in
claustralem conversationem monachici proprositi introduxit.
Caveat igitur vestra prudentia ne cor vestrum
retro respiciat. Retro autem monachus respicit cum
ea saepe recolit quae deseruit. Quod cum saepe
facit, refrigescit in eo amor caelestis, et reviviscit amor mundi,
et fastidium taediumque propositi sui. Sicut igitur corpus vestrum
cor sit separatum a mundana cogitatione, et
Sit semper occupatum aliqua utili et spirituali medi-
t a t i 0 n e. Spiritus sanctus semper faciat vos gaudere et
gratias agere Deo de bono incoepto. Amen.
Das ist ein schöner Brief; die äußerst taktvolle Art ehrt
den Schreiber so wie den Empfänger und ist kennzeichnend für
beide Persönlichkeiten. Was hier nur schonend angedeutet ist,
wird in dem mehrerwähnten Mönchsbrief breiter getreten (Poree,
Abbaye 65 f.):
Goegit me familiaritatis tue reverentia scriptum tibi conso-
lationis impendere, quamvis circa te nulla sit justa consolationis
necessitas. . . . (s. o. S. 106) . . . Mens autem tua, quae, ut reipsa
cernitur, nequaquam adhuc gravitate claustrali solidata est,
ruminando commemorat ubi, quis, qualiter degere consuevisti, et
fastigii secularis ambitionem, quam usque ad
nauseam prius hauseras, ut pace tua loquar, iterum somniare
non desinis. Heccine... (s. o. S. 106). . . .
Die beiden freundschaftlichen Briefe bezeugen, daß sich
Turoldus nicht leicht in das weltflüchtige, tatenarme Mönchs-
leben hineingefunden hat. Er hatte, obschon ein frommer Mann,
den weltoffenen Sinn, der die schöne Erde und alles Lebende
auf ihr mit liebender Seele und sehenden, sehnenden Augen
umfaßt. So mögen wir uns wohl den Dichter des Rolandsepos
vorstellen: fromm und frei, ein rechtes Kind jener ,, Sturm- und
Drangperiode", ''^^) der Jugendtage einer neuen Zeit.
Wer Gott und die W^elt kann
Behalten, der ist ein selig Mann.
Gott niemand das entgelten läßt.
Ob er der Welt Hulden hat.
Ein Mann soll Lob und Ehr erjagen
Und doch Gott im Herzen tragen.
2^) So Wilhehn Meyer aus Speyer, in: Nachrichten von der
Königl. Ges. d. Wissensch"! zu Göttingen, Phil. hist. KL, 1907, S. 88.
112 Wilhelm Taveniier.
So hat Wolfram hundert Jahre später das gepriesen, was dem.
Dichter unseres Rolandshedes zum Vorwurf gemacht worden ist.
Und noch könnte man, aus nicht lange vergangener Zeit, die
Worte eines hohen Prälaten (Gerok) danebenstellen:
Doch daß ich auch als Christ ein Mensch gebUeben
Und keck, was menschlich, faßte ins Gesicht,
Ein Mensch in Dulden, Glauben, Hoffen, Lieben,
Es reut mich nicht.
Solche weltfromme Gesinnung, ein Christentum ohne Welt-
haß und Weltflucht, war in den Augen Anselms und des un-
bekannten, überaus strenggesinnten Mönchsbruders nicht nur
kein Verdienst, sondern ein Grund für ernste, doch wohlgemeinte
Vorwürfe. Versuchen wir, nach den Wendungen der beiden
Briefe, näher zu umschreiben, wohin der, wenn auch respektvolle,
Tadel zielt (vgl. Vorgesch. 198). Um irgendwelche Verstöße
gegen die Mönchsregel, überhaupt um offenbare Vergehen kann
es sich nicht handeln; das schhcßt der Ton der beiden Schreiben
aus wie auch die oben S. 108 zitierte Stelle aus dem Miraculum
beate Fidis. Von Bedeutung sind in Anselms Brief die Worte
mundana cogitatio im Gegensatz zur iitilis et spiritiialis meditatio,
und beim Mönch vom Bec die fastigii secularis ambitio. Welt-
liches Sinnen, weltlicher Ehrgeiz, was mag damit gemeint sein ?
Hat Turoldus von Wiederaufnahme und Fortsetzung seiner
geistlichen Karriere geträumt ? Das ist an sich nicht allzu-
wahrscheinlich, so bald nach dem Verzicht auf den Bischofssitz,
und die Annahme paßt auch nicht recht zu der utilis et spiritualis
meditatio, die Anselm dem jüngeren Freunde empfiehlt. Das
utilis fordert als Gegensatz am ehesten ein unnützes Sinnen,
ohne Zweck; und wir kommen wieder auf unsere alte Vermutung
zurück, daß die mundana cogitatio sich auf Beschäftigung mit
weltlicher Dichtung beziehen könnte. Dann versteht sich gut
das freundhch Milde in Anselms Tadel; eine sündige Neigung,
ein Verstoß Hegt nicht vor, nur eine harmlose Liebhaberei, die
doch andere erfreuen will. Wie bald sich Turoldus im Kloster
aller Herzen, aber auch durch strenge Erfüllung der Regel die
Achtung seiner Vorgesetzten gewann, das hat uns die eben
erwähnte Stelle des Miraculum gezeigt.
Fassen wir zusammen, was sich uns zur Charakteristik des
Turoldus ergeben hat. Wir stehen vor einer bedeutenden, achtung-
gebietenden und dabei herzgewinnenden Persönhchkeit. Darin
stimmen alle zeitgenössischen Zeugen zusammen. ,,Fuit nostris
temporibus vir valde venerabilis, Turoldus nomine . . ."
So beginnt das Miraculum beate Fidis (vgl. Delisle, in
BibUotheque de l'Ec. des chartes XXXVII: 1876, S. 526). —
Wie aus den Zeilen Anselms, so spricht Achtung gepaart
mit herzlicher Zuneigung aus dem Brief des Mönchs vom Bec,
Beiträge zur l{()laiuisfor.sclmii<i. 113
und diesen Zeugnissen und dem des Miraculum beate Fidis
reiht sich ein mittelbares an: wir meinen die taktvolle, schonende
Art, in welcher der große Geschiclitsschreiber jener Zeit, Ordericus
Vitalis, von dem Fall Turoldus handelt. Ordericus schreibt an
der oben angeführten Stelle in bezug auf unsern Bischof: Qui
post annos VII praesulatum pro q u i b u s dam a r c a n i s
u 1 1 r 0 reliquit. Ordericus, dessen Nachrichtenfülle staunens-
wert ist, wird wohl gewußt haben, warum sein Landsmann ge-
gangen ist und daß sein Verzicht nicht so ganz freiwilHg war,
und hätte ers selbst nicht gewußt, so wäre es ein leichtes gewesen,
den Grund zu erfahren; von St. Evroult war es ja nicht weit
bis zum Bec. Die Wendung pro quibusdam arcanis scheint doch
vielmehr von jemand geschrieben, der aus Rücksicht auf Turoldus
— er lebte damals noch — nicht das sagt, was er sagen könnte,
und den Fall von der günstigsten Seite her betrachtet. '^^j Auch
hier also wohl eine Äußerung des Wohlwollens, das die Persön-
lichkeit des Turoldus auslöste, ein Beweis für die Achtung, deren
sich der Exbischof bei seinen Landsleuten erfreute. Dieselbe
gründete sich, wie wir sahen, auf des Turoldus vornehme Her-
kunft, auf seine gewichtige Stellung, aber nicht weniger auf
seine vornehme, taktvolle Gesinnung, sein kluges Tun und Reden,
sein Wissen und Können. Neben diesem Zug der Vornehmheit
muß etwas Herzgewinnendes in Turoldus Persönlichkeit gelegen
haben, eine gewisse Innigkeit, die am meisten aus dem Schreiben
des Mönchs vom Bec herauszulesen ist. Dieser Herzensinnigkeit
entspricht eine tiefe Innerüchkeit, die nach zwei Seiten geht.
Turoldus ist ein frommer Mann gewesen. Das wird uns reichlich
bezeugt. Was auch seine Gegner in Rom gegen ihn vorgebracht
haben, von seinem Lebenswandel und seiner Frömmigkeit ist
in dem Prozeß keine Rede. Die muß nicht zu bestreiten ge-
wesen sein, sonst wären dergleichen Vorwürfe in dem päpstlichen
Absetzungsdekret nicht unerwähnt geblieben.
Als integer vitae scelerisqiie piiriis, so steht Turoldus vor
uns da. Und damit berührt sich ein andrer, wesentHcher Charakter-
zug, die stille Herzensheiterkeit. Finsterer Askese fern hat er
mit hellen, liebenden Augen in die Welt gesehen. Jhro Höhen
sind ihm nicht fremd geblieben: am Königshof hat er gelebt,
und vor dem Papst hat er gestanden. Frankreich, England,
Italien, Spanien hat er kennen gelernt. Eine Zeit großer Taten
und entscheidender Umwälzungen voll hat er mit durchgemacht,
und den führenden Männern seiner Zeit ist er nahe gewesen.
Der größte Gelehrte und Heilige des Roland Jahrzehnts war dem
22) Anders z. B. Papst Honorius II. Ei- scheint in einem
Brief an den Bischof von Bayeux (a. d. J. 1127, bei Migne, Patr.
tat., 166, Sp. 1276 B) von einer Absetzung (dejectio) seines Vor-
gängers Turoldus zu reden. Der augenscheinlich verderbte Text
bedarf der Aufklärung.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 8
114 Wilhelm Tavernier.
Turoldus ein väterlicher Freund, den größten Helden jener Tage
muß er auf der Sonnenhöhe seines Ruhms gesehen haben, zwei
der bedeutendsten und dabei modernsten Monarchen der Zeit
standen ihm als Landesherren nahe. — Aber auch des Lebens Tiefen
sind dem Turoldus nicht fremd geblieben — jahrelanger Kampf
um seine Stellung, eine erschütternde, tränenvolle Szene vor
dem Papst, ein formelles Absetzungsdekret, endlich der Ab-
schied von der großen Welt und im Klosterfrieden noch inneres
Ringen und Sehnen.
Soviel von des Turoldus Persönlichkeit. Halten wir dies
Charakterbild neben dasjenige, das sich aus dem Rolandslied
für dessen Verfasser gewinnen läßt. Fromm, vornehm, volh
Innigkeit und Wärme, von sonnigem Humor durchleuchtet,
eine solche Dichterpersönlichkeit spricht auch aus unserm Epos.
Mit dem, was wir selbst in der Vorgeschichte und sonst über die
Eigenart des Rolanddichters geschrieben haben, deckt sich im
wesentlichen die treffende Charakteristik in Ph. Aug. Beckers
Grundriß (S. 40 ff.). Auf ihn sei verwiesen; nur wollen wir
noch aus einer jüngst erschienenen deutschen Rolandsüber-
setzung-3) einige Worte der Einleitung zitieren (S. 5): ,,in
unserem Liede lebt eine Seele von tiefer Lebenserfahrung,
junger Begeisterung, wärmendem Manneshumor und wirk-
lichem Adel."
Die tiefe, ehrliche Frömmigkeit, welche das Rolandsepos
durchweht, ist keinem entgangen. Weniger hat man die gottes-
gewisse, sieghafte, aufrechte Art dieser Frömmigkeit erkannt,
die durchaus unmönchisch, unasketisch ist. Sie gibt doch dem
Lied seine eigentümliche Klangfarbe, sie reiht es gedanken-
geschichtlich am sichersten ein. Es war seelisches Neuland,
was Turoldus seinen Zeitgenossen mit rührend ringenden Kunst-
mitteln, in köstlichem Jugendstil, geschenkt hat. 2^)
Mit diesem tieffrommen, doch weltaufgeschlossenen Sinn
hängt die Innigkeit zusammen, die mit am meisten beiträgt zu
dem Zauber unserer Dichtung. Turoldus ist ganz eins mit seinen
Helden, mit solcher Liebe hat er seine Gestalten umfaßt. Welche
Gefühlstöno w^eiß er nicht anzuschlagen, wieviel Zärtlichkeit
legt er nicht in das Freundschaftsverhältnis der Helden zuein-
ander, wieviel herzliche Zuneigung selbst in das Lehnsverhältnis
z^^^schen Karl und seinen Vasallen hinein. Genug, das Rolands-
lied ist im tiefsten durchwärmt von derselben HerzUchkeit und
^^) Das Lied von Roland und Kaiser Karl, deutscli von Werner
Schwartzkopff. Groß-Lichterfelde 1910.
^*) Darüber wird Bedier in dem nun bald erscheinenden 3. Band
seiner ,, Legendes epiques" mehr und besseres zu sagen haben; wir be-
scheiden uns daher vorläufig mit dem Rückweis auf das, was Vor-
geschichte 100 über die Stimmung freudiger Weltfrömmigkeit in
unserem Epos ausgeführt ist.
Bcilrägc zur /{oldiiilsforsr/ning. 115
Innigkeit, wie .sie nach den geschichtlichen Zeugnissen unsern
Turoldus ausgezeichnet und liebenswert gemacht haben.
Eine besondere Ausdrucksform dieser Innigkeit war, was
wir nennen würden, der stille Humor, den die Zeitgenossen mit
hilaris und serenus umschreiben müssen. Ihn hat Turoldus
besessen, das wissen wir, und längst niclit zur Genüge ist man
bisher dem Humor gerecht geworden, der an nicht wenigen
Stellen des Rolandsepos aufblitzt. Es ist bezeichnend, daß,
so viel wir sehen, als erster und fast als einziger ein Däne auf
diesen Zug hingewiesen hat, C. Rosenberg in seiner, nicht
genug beachteten Dissertation, Rolandskvadet, et normannisk
Heltedigt, Kjöbenhavn 1860 (S. 221 f.); er sah in dem Humor
des normannischen Dichters ein Erbstück aus der nordischen
Heimat. Wir behalten uns vor, über den Humor im Rolands-
epos eingehender zu handeln (falls es Bedier nicht tut).
Wie man dem Humor in unserer Dichtung nicht gerecht
geworden ist, so hat man auch noch immer nicht allgemein die
Vornehmheit erkannt, die dem Rld. eigen ist und die es turm-
hoch aufragen läßt unter seinesgleichen. Immerhin sind die
Leute glückUch am Aussterben, die von dem Dichter als einem
Jongleur sprechen. Endgültig hat Gröber ihnen gegenüber
betont: ,,das Rolandslied zeigt zuviel Hoheit und zu wenig von
dem plebejischen Sinn jüngster Chansons de geste, als daß es
niederen Ursprungs sein könnte" (Archiv f. d. Stud. d. neueren
Spr., Bd. 84, 1890, S. 321). Unser Dichter gleicht auch darin seinem
großen Vorbild Vergil, daß Vornehmheit der Gesinnung und der
Sprache sein Charakteristikum ist. Er gibt eine geschlossene
Weltanschauung, von solcher Höhe, solcher zwingenden Wucht,
daß wir in der lateinischen Literatur jener Tage kaum etwas
Ebenbürtiges zu finden vermögen. Kein gewöhnlicher Mensch
hätte unser Epos dichten können, sondern nur eine so außer-
ordentUche, hochstehende Persönlichkeit, wie es Turoldus von
Bayeux gewesen ist.
Der Rolandsdichter steht auf der Höhe der zeitgenössischen
Bildung. Das offenbart sich nicht nur in seiner Weltanschauung;
auch die Kenntnisse, die er überall verrät, zeigen, daß er, natür-
lich kein Gelehrter von Profession, aber ein Hochgebildeter ge-
wesen sein muß. Die im Verhältnis zu anderen Epen übergroße
Zahl von gelehrten Wörtern,^^) zum Teil direkte Latinismen,
vom Dichter ad hoc übernommen, verraten einen Verfasser,
der eben so gut Latein sprach als Französisch, der auch
lateinisch dachte. Und dem entspricht seine Kenntnis lateinischer
Literatur. Mit der Bibel ist er vertraut, aus Einhard und dem
2^) Wobei noch zu berücksichtigen ist, daß der Wortschatz der
meisten Epen vom Rld. beeinfkißt worden ist und daher Buchwörter
übernommen hat.
116 Wilhelm Tavenürr.
Carmen hat er sich sein Material über Karl und Roland geliolt,
in die Aneide ist er bis aufs tiefste eingedrungen, sich ihre Schön-
heiten und den Zauber ihres Ethos ganz zu eigen machend, aus
dem düsterschimmernden Totenkranz der Pharsalia hat er sich
ein paar grüne Blätter aufgehoben. Und nicht nur Bücher-
kenntnis spricht aus seiner Dichtung. Überall bUtzen Erinne-
rungen auf an die Reisen, die Turoldus weit in die Welt geführt
haben, das Rhonetal hinab, und dann nach Rom, und wieder
durch die dunklen Fichtenwälder der Pyrenäen nach Spanion
hinein. Nicht nur Lorbeer und Ölbaum, sondern auch eine
Fülle von Ortsnamen sind ihm von diesen Reisen her im treuen
Gedächtnis geblieben. Eine große Reihe bedeutungsvoller
Personennamen zeigen den geschichtskundigen Mann, und
sprechen für die vielerlei persönlichen Beziehungen, die ihn mit
fürstlichen und adligen Zeitgenossen verknüpften. Mit wieviel
Interesse und Sachkenntnis hat er den Gang des Kreuzzugs
verfolgt! Denn nicht jeder Beliebige hat damals soviel Orts-
und Völkernamen des fernen Ostens zur Verfügung gehabt wie
unser Dichter. Und trotz alledem w^ar einst die Vorstellung
von der absoluten oder doch relativen Unwissenheit des Roland -
dichters nicht wenig verbreitet. Zwar was G a u t i e r in seiner
Ed. classique der Chanson de Roland (1875, S. XXIX) schrieb,
notre epiqiie est un ignorant, das hat der allezeit Lernfreudige
selbst später gemildert. Wie seltsam muten auch jene Worte an,
wenn man z. B. bedenkt, daß kein Rolandsforscher in den vals
de Moriane 2318 Morienval, Moriana Wallis, eine der Residenzen
Karls des Kahlen erkannt hat. Von den Gelehrten, die Namens-
verzeichnisse zum Rld. verfaßt haben, hat keiner gesehen, daß
die Garmalie ( Garamantes auch in der Äneis) in der Pharsalia
eine große Rolle spielt; der ,, Ignorant" kennt seine Alten besser
und gebraucht den Namen durchaus sinngemäß. Von den anderen
Modernen, die Datan und Abirun 1215 überhaupt nicht als Per-
sonennamen geschweige denn als Bibelnamen erkannt haben,
ist hier nicht zu reden; diese Namen waren im Mittelalter aucli
weniger Gebildeten nicht fremd.
Überschauen wir das Bild, welches wir uns aus dem Rolands-
epos von seinem Dichter machen können, so müssen wir sagen:
es gleicht durchaus dem Bild der Persönlichkeit, das wir für
den Bischof von Bayeux aus den Zeugnissen seiner Zeitgenossen
gewonnen haben. Dort wie hier derselbe liebe, vornehme, tief-
fromme doch fröhliche, hochgebildete Mann. Solche Persönlicli-
keiten waren rar dazumals, und so entnehmen wir aus obigem
wenigstens e i n Argument für unsere These, daß Turoldus von
Envermeu der Dichter des Rolandsepos gewesen ist.
Es würde allein nicht zum Beweise genügen; aber was wir
von des Turoldus Leben wissen, das wird uns im folgenden weitere
und präzisere Argumente bieten.
Beiträge zur liolandsforschung. 117
Ehe wir df^va Lebenslauf des Turoldus nachgehen, nehmen
wiv ein Argument aus unserer Vorgeschichte auf, das mit der
überragenden Persönlichkeit und Stellung des Bischofs zusammen-
hängt. Y. 4002 heißt der Dichter Turoldus sclilechthin. Wenn
man damals in der Normandie diesen Namen ohne Zusatz ge-
brauchte, dann konnte kaum ein gewöhnliclier Sterblicher ge-
nannt sein. Die Bezeichnung wäre so gut wie nichtssagend
gewesen, denn der Name war allzu verbreitet. ,,Navnet er saare
almindeligt blandt Normannerne i det Ute Aarhundrede'', stellte
schon Rosenberg 207 fest. Wir verweisen auf Vorgesch. 193,
Baist, Variationen 20 (= Beiträge, Festg. f. Foerster 232), diese
Zs. XXVI-, S. 157 Tavernier. Über einen terminus ante quem. . .3
(in: Piniol, und volkskundUche .Aj-beiten, Vollmöller dargebracht,
1908). Wenn des Turoldus Landsmann. Ordericus Vitalis,
vom fernen Orient erzählt, macht er aus dem Armenierfürsten
Thoros einen Turoldus de Montanis (XI 26; Tom. IV, S. 257;
XI 29, S. 267)! Also stimmt das bloße Turoldus in V. 4002
wohl zu unserer Annahme, daß der allbekannte (wir erinnern an
die Worte „per totam Normanniam famosissima" im oben zitierten
Mönchsbrief) Bischof von Bayeux der Dichter des Epos gewesen ist.
Turoldus, so haben wir anzunehmen, ist in den Jahren
1055 — 1060 geboren. Edelstem Geschlecht entsprossen, wird er
an einem der benachbarten Höfe als Pflegesohn (nourri) seine
Jünghngsjahre verbracht haben. Kommt der Graf von Ponthieu,
dessen bedeutendste Residenz Abbeville war, ohnehin aus geo-
graphisclien Rücksichten in erster Linie in Betracht, so spricht
noch ein anderes .\i'gument dafür. Die Tapisserie von Bayeu.v
schildert, wie Gesandte des Normannen- Herzogs zum Grafen
Guy von Ponthieu kommen, der sich mit dem gefangenen Harold
in Beaurain (bei Montreuil in der Picardie) aufhält. Die Pferde
der Gesandten werden durch einen ..Zwerg"' am Zügel gehalten,
,, Turoldus" steht darüber. Wir haben schon in der Vorgeschichte
behauptet, daß es sich nicht um einen Zwerg handelt; was hätte
der in der durchaus realistischen Darstellung der Tapisserie zu
suchen? Wir wiederholen, hier ist der spätere Bischof von
Bayeux dargestellt. Er mag als Page an des Grafen Hof die
Szene miterlebt und vielleicht wirklich damals die Pferde der
Gesandten gehalten haben. Bei unsrer Annahme erklärt sich
die große Rolle, die Guy von Ponthieu auf der Tapisserie spielt,
wo seine Verhandlungen mit Harold und Wilhelm in unverhältnis-
mäßiger Breite geschildert werden. Es erklären sich weiter die
Pikardismen im Rld., von denen wir oben gesprochen haben.
Turoldus ist also von demselben Grafen erzogen worden,
der später 1080 in Abbeville den französischen Thronfolger zum
Ritter w^affnete (Luchaire, Louis VI le Gros, Paris 1890, S. 6).
Das nächste, was wir von Turoldus, und zwar durch den neu-
gefundenen Paschalisbrief, erfahren, ist, daß er curialia officia
118 ^Vilhelm Tavemier.
versehen hat. An welchem Hof, das läßt sich nur mutmaßen,
und auch über die Zeit läßt sich vorerst nichts genaues sagen.
Von 1091 ab gehörte der Osten der Normandie Wilhelm dem
Roten (Freemann 1, 275 f.), dem König von England, und an
ihn wird in erster Linie zu denken sein. Er ist es, der den
Turoldus später zum Bischof macht, also wird unser Dichter ihm
schon vorher nahe gestanden haben. Die Beziehungen mögen
angeknüpft sein, als Wilhelm 1091 sechs Monate lang in Eu,
nicht weit von Envermeu, residierte (Freeman I, 293); sie
dauerten fort, als Wilhelm 1096 von seinem Bruder die Nor-
mandie als Pfand erhalten hatte. Von etwa August 1096 bis
April 1097, dann wieder von November 1097 bis 1099 liielt sicli
Wilhelm in der Normandie auf (Freeman II, 207, 245); da
würden wir dann Taroldus in seinem Gefolge zu denken haben.
Aber auch nach England mag er als Hofbeamter oder auch
als Bischof später mit seinem Herrn gekommen sein. Das
braucht nicht mit Gautier angenommen zu werden, um das
angelsächsische atgier zu erklären. An Wilhelms Hof dürfen wir
uns nicht wundern, das Wort zu finden. Dem atgier entspricht
die Tatsache, daß ,,plusieurs idiotismes saxons se rencontrent
dans les Inscriptions de la Tapisserie", worüber bei Laffetay,
Notice historique et descriptive sur la tapisserie dite de la reine
Mathilde, 3. ed., Bayeux 1880,2ö) S. 19 ff. näheres zu lesen ist.
Daß Turoldus, wenn er an Wilhelms Hof lebte, einige angel-
sächsische Brocken aufgeschnappt hat, ist anzunehmen, auch
wenn er nie nach England herüber gekommen wäre. Alle Wahr-
scheinlichkeit spricht aber in jener Zeit, da Fürsten und liohe
Geistliche noch mehr als heute unterwegs waren, an sich
dafür, daß Turoldus wirklich den Kanal gekreuzt hat.
Wenn wir uns den Rolanddichter an König Wilhelms Hof
vorstellen, dann werden gewisse Stimmungen, die unser Epos
durchziehen, zeitgeschichtlich schärfer beleuchtet. Der König
war das Urbild eines Despoten, eine wüste, rücksichtslose Kraft-
natur, aber eine Seite seines Charakters hat etwas Versöhnendes.
Er fühlte sich durch und durch als Ritter, und wo er es mit Rittern
zu tun hatte, da hielt er Ritterehre und Ritterwort hoch. Das
war damals noch etwas neues, und eben die furchtbare Per-
sönlichkeit des roten Königs hat dazu beigetragen, diese Ritter-
ideale seinen Zeitgenossen beizubringen. Er war der modernste
Monarch seiner Zeit.-^) Das Rolandsepos, um 1107 gedichtet,
-'') Vorhanden: Univ.-Bibl. Göttingen.
-') Vgl. Freeman I, G: In the Company of the Red King \ve are
introduced to a new line of thought, a new way of looking at things,
of which in an earUer generation we see hardly stronger .signs in Nor-
mandy than we see in England. For good and for evil, if Wilüam
Rufus bears the mark of his age, ho also 1 e a v e s h i s mar k
o n his age.
Beiträgt' zur Holnii(lsforsr/iiiHi^. 119
steht, das braucht nicht mehr ausgeführt zu werden, schon ganz
drin in dieser Moderne. Das Rittertum mit seinem Ehrenkodex,
seiner Kampf'esweise, seinen Bräuchen, seiner Ti'acht ist an-
nähernd ausgebildet; die lei de Chevalier (V. 752) gilt für die
Rolandslielden wie für den roten König und sein adhg Gefolge.
Das Rittertum jener Normannenbarone hatte eine besondere
Färbung. Die Frauen spielten noch keine Rolle oder doch nur
die äußerster Passivität. Dagegen stand Mannesschönheit hoch
im Kurs. Die Rittor Wilhelms schmückten sich und hielten
sorgfältig auf ihr Äußeres wie Frauen, trugen ihre Haare wie
Frauen, und waren sich in zärtlicher Zuneigung zugetan, die
nicht selten die Grenze des Naturgemäßen überschritt. Der
König selbst huldigte nach dieser Richtung offenem Laster.
In solcher Umgebung, inmitten solcher Gefühlsstimmungen und
Gefühlswerte hat Turoldus gelebt. Und wenn dem so ist, dann
verstehen wir manches in seiner Dichtung: das Gefallen an
männUcher Schönheit — keine Frau wird geschildert, das Epi-
theton la bele für Alda ist alles — , die fast frauenhaft zärtliclie
Zuneigung der Helden zueinander, überhaupt der Gefühlsüber-
schwang dieser Männer, der an die andere Sturm- und Drang-
periode im 18. Jahrhundert erinnert, schließlich die oft betonte,
bescheiden passive Rolle der Frauen in unserer Dichtung. Doch
über dies alles wird in einer besonderen kulturgeschichtlichen
Betrachtung im einzelnen zu handeln sein; kehren wir zu den
Lebensschicksalen unseres Turoldus zurück. ^'^)
Eben noch Laie im Hofdienst, wurde Turoldus, so erfahren
wir aus dem neugefundenen Papstbrief, zum Diakon ernannt.-^)
Es wird nicht gesagt, wo, aber aus diesem Schweigen ist mit
aller Wahrscheinlichkeit zu schheßen, daß auch hierfür, wie für
den ganzen Prozeß, Bayeux in Betracht kommt. Ebensowenig
sagt das Schreiben des Paschalis etwas über den Zeitpunkt der
Ernennung; als das wahrscheinlichere wird man nach der Fassung
des Briefes annehmen dürfen, daß kein allzugroßer Zeitraum,
nicht etwa viele Jahre, zwischen dieser Ernennung und der zum
Bischof verflossen sind. Sehr wohl kann man sich folgenden
Sachverhalt denken. Im August 1096 kam König Wilhelm nach
der Normandie herüber und übernahm von seinem liederlichen
Bruder die Regierung des Herzogtums, dessen Zustände an
2^) Nur sei noch angemerkt, daß sich des Königs Fluch [Dei
odium habeat...., s. Eadmerus, Historia novorum in Anglia, ed. by
Martin Rule, London 1884, S. 115) im Rld. wiederfindet.
23) Danach hat Turoldus selbst folgendes zugegeben: diaconi
etiam officium quod non nisi certis hcet temporibus extra eadem
tempora accepisse se non negauit. Caeteros etiam minores ordines
qui distinctis ordinibus distribui praecipiuntur. simul usurpasse asseruit;
Cum nuper ex curialibus assumptus officiis. aeccle-
siam incessisset; Quibus nimirum euentis. patuit eum tunc temporis
neophiti quoque [non] caruisse flagitio (Morin 284 f.).
120 Wilhelm Tavernier.
völlige Anarchie grenzten; bald hatte er mit eiserner Hand Ord-
nung geschaffen. Mit Robert zog damals dessen Onkel, der
Bischof Odo von Bayeux, fort zum heiligen Land. Wilhelm mag
auf dem wichtigen Posten in Bayeux einen Mann seines Ver-
trauens gewollt haben, und so machte er Turoldus zum Diakon.
Die höchste Würde des Kapitels (in Bayeux folgte der Diakon
gleich auf den Bischof) erreichte Turoldus vom Neophyten aus,
alle dazwischen liegenden ordines hatte er übersprungen. Das
war nach den kirchlichen Vorschriften nicht zulässig, aber wer
hatte damals in der Normandie danach zu fragen, wenn der
König entschieden hatte ? Damals schon könnte des Turoldus
Mitwirkung an der Bayeux- Stickerei begonnen haben, die ja
zum Schmuck der Kathedrale bestimmt war. Doch darüber
werden wir gleich unten zu reden haben. — Der greise Bischof
von Bayeux sollte seine Heimat nicht wiedersehen. Februar 1097
starb er in Palermo. ,, Cujus obitum rex Guillelmus ut audivit,
Turoldo, fratri Hugonis de Ebremou, episcopatum dedit"
(Ordericus Vit., X 4; Tom. IV, S. 18). Das Kapitel zu fragen,
fiel dem roten Wilhelm nicht ein; er regierte seine Kirche selbst.
Gegen den Willen des unbeugsamen Despoten gab es keinen
Widerspruch. Aber schwer genug wird es das Kapitel (dem so
bedeutende Männer wie der Theologe und Dichter Serlo an-
gehörten) gekränkt haben, daß nicht nur sein Wahlrecht miß-
achtet, sondern obendrein ein noch jugendlicher Günstling über
die Köpfe der Älteren hinweg befördert wurde. Einerlei, Turoldus
bestieg die Kathedra; der Erzbischof von Ronen, Wilhelm Bona
Anima, der während der langen Zeit, da er den Erzstuhl inne
hatte (1079 — 1110), wiederholt vom Papst suspendiert war (auch
wieder 1096; vgl. Böhmer 189 und wegen der letzten Suspension
ebd. 187, bes. Anm. 3), wird den Erwählten seines Landesherrn
konsekriert haben. Der Papst hatte damals in der Normandie
niclits zu sagen (vgl. oben). Turoldus war Bischof, pontifex
ordinatiis Baiocassinae iirbis.'^^) Er konnte, als Herr der Kathe-
drale, das Werk der Bayeux- Stickerei, wenn es noch nicht voll-
endet war, mit Muße zu Ende führen. Daß die Tapisserie gegen
Ende des 11. Jahrb., also zu des Turoldus Bischofszeit vollendet
worden ist, entspricht dem Urteil der kundigsten Beurteiler.
Die erste Anregung mag von dem prachtliebenden Vorgänger
des Turoldus ausgegangen sein, der nach Ordericus ,,multis
honoribus et ornamentis episcopalem ecclesiam ditavit"
(X 4; Tom. IV, S. 18). Aber an einer Mitwirkung des Turol-
dus bei der Ausführung des Kunstwerks, sei es als Diakon, sei
es als Bischof in Bayeux, zweifeln wir nicht. Es würde seinem
vornehmen Charakter entsprechen, daß er auf die Ehrung seines
'^'^) Diese Bezeiclinung im Miräciüum beatae Fidis ist Vorgesch.
195 in Unkenntnis des neugefundenen Paschalisbriefes zu Unrecht
])eanstandet worden.
Beiträge zur Holandsforsrhiiiig. 121
Amtsvofgängers, der sich doch recht wenig Sympatliien erworben
hatte, nach Kräften bedacht war, indem er ihm einen erheb-
lichen Anteil an den geschilderten Ereignissen gibt (Stcenstrup
42 f.). Sich selbst liat Turoldus an bescheidener Stelle, in einer
Statistenrolle, angebracht. Das Monogramm des Kiinstlers ist
dasselbe auf der Stickerei wie im Rld.: Turoldus sans phrase.
Mag man über die Mitwirkung des Turoldus an der Tapisserie
<lenken wie man will, soviel ist von allen Zuständigen anerkannt,
die Stickerei hat im Anfang des 12. Jahrh. die Kathedrale von
Bayeux geschmückt. Turoldus muß sie also jedenfalls
gesehen und gründlich gekannt haben. Darauf kommt es zu-
nächst an. Wir haben V^orgesch. 197 und dann ,,Über einen
terminus. . ." 11 auf die frappierende Ähnlichkeit mancher Szenen
des Rolandsepos mit solchen der Tapisserie hingewiesen. Eine
eingehende Nebeneinanderstellung, die wir in einem besonderen
Beitrag geben wollen, wird die enge Verwandtschaft der beiden
Kunstwerke über jeden Zweifel herausheben. Nicht nur in den
Kampfschilderungen dieselben Bilder hier und dort, sondern
auch sonst: breitausgemalte Gesandtschaften, Städteeinnahme,
Seefahrt, ein sterbender König auf seinem Bett, die Königin an
seiner Seite, feierlicher Eid, Begräbnis, Gespräch zu zweien, die
Bäume in ornamentaler Verwendung und vieles mehr. Zu dieser
Übereinstimmung in den Bildern kommt anderes hinzu: Steen-
strup 41 f. hat treffend auf die bescheidene Rolle hingewiesen,
welche die Frauen in den Schilderungen der Tapisserie spielen:
unter den mehr als hundert Personen sind nur drei weibliche,
und alle drei von der Gegenpartei. Auch diese drei ganz im
Hintergrund der Handlung, ,,nemlig ^Ifgyva, denne mystiske
Kvinde,'^^) der saettes i Forhold til en klerk, Edvards Hustru,
der sidder ved bans Dödsleje, og en angelsaksik Kvinde, der
flygter med sin Barn" (S. 41). Also eine Braut und eine Königin
am Sterbebett ihres Gemahls. Beide finden im Rld. ihr Pendant.
Überhaupt entspricht die bescheidene, mehr passive Rolle der
Frauen in unserem Epos den Verhältnissen auf der Tapisserie.
Dort drei Frauen im ganzen, im Rld. zwei, welche wirklich
auftreten.
Eine weitere innere Verwandtschaft zwischen Tapisserie und
Rolandslied zeigt sich in der starken Betonung des Rechts-
standpunkts. Das lebhafte Rechtsgefühl äußert sich im Epos:
Paien unt tort et crestien unt dreit (1015).
Nos avum dreit, mais eist glutun unt tort (1212).
In dieser Ethik schwelgt — echt französisch — die Begeisterung
der Helden (vgl. Terminus 7). Ganelons Schuld und sein Prozeß
führen direkt ins Juristische. Nicht anders auf der Tapisserie.
''^^) Es handelt sich vielmehr um Harolds Braut (Laffetay 51 f.).
122 Wilhehn Tavernier.
Treffend hat Laffetay 17 ff., 42 f. betont, daß der ganze erste
Teil des Werks im wesentlichen einem Zweck dient, nämlich
Wilhelms gutes Recht auf England zu erweisen. ,,Quel que
soit l'auteur du plan de cet ouvrage, il l'a compose sous l'inspi-
ration d'une i d ö e , et cette idee il a voulu la propagcr dans
les masses. La Tapisserie est un plaidoyer en faveur de Guillaume ;
on peut la resumer ainsi: La conquete de l'Angleterre par le duc
de Normandie fut une entreprise aussi glorieuse qu'elle etait
legitime" (S. 42). Daß Bischof Odo, dieser gewalttätige
Mensch, dem immer .Maclit vor Recht gegangen ist,^'-) der Ur-
heber dieses Entwurfs gewesen ist, der bis ins kleinste Detail
von einem Rechtsideal bestimmt ist, wird schwerlich jemand
glauben. Aber bei Turoldus dürfen wir nach allem, was wir
über seinen Charakter wissen, sehr wohl diesen Hunger und
Durst nach Gerechtigkeit erwarten, der sich in gleicher Weise
auf der Tapisserie und im Rld. offenbart.
Wir können nicht auf die innere Verwandtschaft im Aufbau
der beiden Kunstwerke eingehen, der beiderseits mit feinster
Technik durchgedacht ist, und nacli dem Prinzip der Zweiteilung
(Gautier hat mit seiner Dreiteilung des Rolandsepos, wie so oft.
vorbeigegriffen). Nur mit einem Wort sei nur noch des Humors
gedacht, der die ernsten historischen Schilderungen der Tapisserie
auf den Borten lebensvoll umspielt. Unsere heutige prüdere
Zeit hat ihn an einigen Stellen sogar anstößig gefunden. Der-
selbe Humor wie auf der Tapisserie durchwärmt, so sahen
wir oben, das Rld., und wie die Tapisserie gar nicht zimperlich
das Natürliche mit der köstlichen Freiheit des ,,finstern" Mittel-
alters darstellt, so scheut auch unser Dichter nicht vor humor-
voller Derbheit zurück in den unter Tränen lächelnden Versen
1720 f.
Wir glauben, daß die innere Verwandtschaft der beiden
Kunstwerke zu groß ist, als daß man sie voneinander trennen
könnte. Beide mit ,Turoldus' signiert sind Schöpfungen des-
selben Geistes. Aber wer das nicht annehmen will, der wird
wenigstens das zugestehen müssen: die unleugbaren Beziehungen
des Rlds. zu der Tapisserie machen es wahrselieinlich, daß bei
dem V. 4002 als Bearbeiter genannten Turoldus an den Bischof
■i^on Bayeux zu denken ist, der das Wunderwerk der Tapisserie
zum mindestens eingehend gekannt haben muß.
Nicht lange sollte des Turoldus Episkopat unangefochten
bleiben. Den königliclien Gönner Wilhelm traf, in seiner Sünden
Maienblüte, der Pfeil eines Spießgesollen (2. August 1100); homo
jecocissimus pro fera confossus interiit (William of Newburgh bei
Freeman IJ, 336). Im September desselben Jahres kehrte Robert
^2) ,,murtos suis exspohavit", sagt Ordericus in seinem Nachruf
(Hist. eccl. X, 4; Tom. IV, S. 18).
Beiträge zur Rolands forschang. 123
zurück; im nächsten Jahre beginnt der Krieg mit König
Heinrich, der noch 1101 damit endet, daß Robert auf England,
Heinricli auf seine normannischen Besitzungen (außer Domfront)
verzichtet. Auch Bayeux, das der Beauclerc besetzt hatte, ging
wieder in Roberts Gewalt über. Turoldus muß mit König Hein-
rich — wohl während Heinrich Bayeux in Händen hatte —
inzwischen in nahe Beziehungen getreten sein, denn wir erfahren
aus dem PaschaHsbrief von 1104: er hat dem König von England
sein Wort gegeben, nicht aus den Händen des Herzogs der Nor-
mandie die Investitur mit den Bistumsgütern annehmen zu
wollen (,,pro fide etiam non accipiendi a normannorum comite
honoris aecclcsiastici ante conspectum anglici regis data"', Morin
285). Diese Zusage mußte, nach dem Kompromiß zwischen den
beiden Brüdern von 1101, des Turoldus Stellung sehr er-
schweren.
Robert hatte aus dem Kreuzzuge reichen Ruhmeslorbeer,
aber auch seinen alten Leichtsinn heimgebracht. Bald herrschte,
wie ehedem, in seinen Staaten völlige Anarchie. Alsbald rührt
sich das seinem Bischof feindliche Kapitel von Bayeux. Noch
im Jahre llOl'^^j t^^ es einen Schritt, den es unter Wilhelms,
auch unter Heinrichs Botsamkeit nie hätte wagen dürfen, es
bringt die Sache vor den Papst. Der feuchtfröhliche Landesherr
wird sich um die Angelegenheit überhaupt nicht gekümmert
haben, und wenn doch, hatte er keinen Anlaß, dem Turoldus
nach dem \ orangegangenen die Stange zu halten. Zu dem
widerspenstigen Kapitel gehörte Turgisus (s. Vorgesch. 199).
Nicht ohne Absicht, mit schelmischen Lächeln wird Turoldus
gerade diesen Namen einem heidnischen Grafen gegeben haben,
dem obendrein noch so lästerliche Worte in den Mund gelegt
werden:
Plus valt Mahuns que sainz Pierres de Rume (V. 921).
Wie bedeutungsvoll der Dichter einen erheblichen Teil der Eigen-
namen gewählt hat, das wird weiter unten zu zeigen sein.
Paschalis zitiert den Bischof vor sein Gericht. Zunächst er-
scheint Turoldus nicht. Auf die zweite Vorladung geht er 1103
nach Rom (,,Post secundam sane uocationem cum ad nos anno
praeterito peruenisset", Morin 284).
Sind im Rolandsepos Erinnerungen an eine Romreise seines
Verfassers zurückgeblieben? Zum Glück so viel, daß wir aus
ihnen das wichtigste ^^-gument für unsere These gewinnen, daß
kein andrer als Turoldus von Bayeux das Rld. gedichtet
hatte.
33) Das geht aus dem Pa.schahsbrief vom 8. Okt. 1104 hervor:
lam enim triennium agitur. ex quo ipsius causae actio uentilata est
(Morin 284).
124 Wilhelm Tavernier.
Im nächsten Heft, wenn wieder Frühling geworden ist, wollen
wir dem Bischof auf dem Ritt nach dem Süden folgen, über
Morienval nach Reims, Dijon, Beaune (1892), Saint- Antoine,
und die Rosne (vgl. Schw^an-Behrens ^, § 120 A) entlang, über
Vienne, Valence, Viviers (von 0 2209 in Riviers verderbt) nach
St. Gilles, und weiter bis zum Mons gaiidii vor dem ewigen
Rom.34)
Oppenheim a. Rh. Wilhelm Tavernier.
^*) Weiter wird über die Reise des Dichters nach Spanien zu
liandeln sein, mit Bezug worauf das Vorgescli. 76 ff., Anm. 132
über das Verhältnis des Compostella-Bädekers zum Rld. Gesagte,
sowie auch die in dieser Zs. XXVP, S. 152 gegen eine persönhche An-
wesenheit des Dichters in Spanien geäußerten Bedenken sclion hier
zurückgenommen sein mögen.
xius dem xVtlas Linguistique.
(Fortsetzung.)
4. gase, madüt 'mür'.
Sieben Nummern des östlichen Gascognisch 669, 678, 679,
688, 689, 781, 782 weisen auf einem anscheinend geschlossenen
Gebiet in Karte 891 für )7iür eine Maskuhn-Form mit -t auf. Der
Vergleich mit anderen Karten zeigt uns, daß das r von MATURU
lautgesetzlich schwinden sollte, also madü, wie es denn auch
sonst im Gascognischen zumeist heißt; doch verstünden wir auch,
daß das r durch die Einwirkung des Femininum und der
.Vbleitungen erhalten ist oder wiederhergestellt wurde wie in
698, 699 und in viel ausgedehnterem Maß bei dur (K. 429).
An einen lautgesetzUchen Übergang des /■ zu ^ wie er wohl vor-
liegt an den beiden provenzalischen Punkten 768 und 778 (madö'^),
wo das r intervokalisch zu geschwächtem d wird und dies im
Auslaut in die entsprechende Tenuis übergeht, ist in der Gascogne
nicht zu denken.
Wir haben vielmehr eine interessante Analogiebildung vor
uns. Zu dem fem. madüro wurde mask. madüt gebildet nach
Analogie der Paare bet bero (BELLU), nubet nubero, sadiit sadiiro
usw. Das Feminin hat also wieder einmal als spinta analogica
gedient.
5. toile, etoile.
Jaberg beschäftigt sich in seinem \'ortrag ,, Sprachgeo-
graphie" (gedruckt Aarau, 1908, bei H. R. Sauerländer)!) mit
der F'rage „Gibt es Lautgrenzen?" Um darauf zu antworten,
hat er auf 4 beigegebenen Karten Lautgrenzen einzelner Wörter
miteinander verglichen. Die erste dieser Karten enthält die
Grenzen des w-Diftongs bei toile. etoile, mois. Da mois andere
lautliche Bedingungen aufweist als die beiden anderen Wörter.
1) Vgl. dazu Meyer- Liibke.s Anzeige in den GöGA. 1909, S. 138 fr.
und meine demnächst erscheinende im LgrPh. [Aus der Rezension
von Gauchat, DL 1910, Sp. 1947, die erschien, als dieser Artikel
bereits in der Redaktion lag, ersehe ich zu meiner Freude, daß
ich mit meinen Bedenken in mehr als einem Punkt nicht so allein
stehe. Korrekt. -Zusatz.]
126 E. Herzog.
legt Jab. nur Gewicht auf die \erschiedenheiten die sich bei
toile und etoüe zeigen. Die zweite zeigt den Mangel des pros-
thetischen \"okals mehrerer mit SC- anlautenden Wörter. Da,
wie Jab. selbst anführt, der prosthetische \'okal ,, satzphonetischen
\'eränderungen besonders leicht zugänglich ist", die satzpho-
netischen Bedingungen der Entwicklung oder Nicht-Entwicklung
des Vokals bei verschiedenen Wörtern ungemein verschieden
und sehr schwer kontrollierbar sind, so ist dieses Beispiel, wo
Gleichheit der Entwicklung schon von vornherein nicht zu er-
warten ist, sehr übel gewählt. Die 3. und 4. Karte umgrenzt
das Gebiet, auf dem sich lateinisches CA- als h- gehalten hat,
für eine Reihe Worte.
Aus diesen Ader Karten zieht Jabejg das Fazit: .,Das Laut-
gesetz, das da sagt, daß ein gewisser (lateinischer) Laut unter
gewissen Bedingungen an einem bestimmten Ort sich gleich
bleibt oder sich zu einem bestimmten neuen Laut entwickelt,
ist eine Abstraktion. In Wirklichkeit hat jedes Wort seine
besondere Geschichte. ""
Diesen Eindruck von der Sache mag man auch sonst oft
genug haben, wenn man sich nicht die Mühe gibt, tiefer ein-
zudringen. Man will z. B. mit Hilfe der Gillieronkarte eine
Lautgrenze aufstellen, sucht sich ein Wort als Repräsentanten
des Lautes auf und — wenn man Glück hat, d. h. wenn das
betreffende Wort in den in Betracht kommenden Gegenden
wirkhch noch existiert und nicht durch ein anderes verdrängt
ist, wenn die lautliche Entwicklung nicht durch einen Faktor
gestört ist, an den man nicht gedacht hat usw. — dann vermag
man wirklich die Grenze in seine Karte einzuzeichnen.
Man will aber doch die erhaltene Grenze kontrollieren,
man schlägt deshalb eine zAveite Karte auf: Große Divergenzen! ! —
Man hat noch das Glück, eine dritte Karte für das Phonem zu
entdecken; die Grenze geht vielleicht hier ein Stückchen mit
der ersten, dort mit der zweiten, dann aber läuft sie mitten durch
oder läßt beide Grenzen links oder rechts liegen. Kein Wunder,
daß man ungeduldig wird und sich der Meinung zuwendet, daß
es eine gesetzliche Entwicklung der Laute überhaupt nicht gibt,
sondern nur ,, wandernde ^^"örter'■.
Nun ist es aber ein leichtes, eine so weitgehende Schluß-
folgerung ad absurdum zu führen. \'on den beiden ^^'ortformen,
die an der Grenze zusammenstoßen, repräsentiert die eine die
ursprüngliche Form, die andere die veränderte. Wollen wir
nun auch den großen Umfang des Gebietes, auf dem die Änderung
stattfindet, durch Wanderung der Wörter erklären, so müssen
wir doch jedenfalls ein wenn auch noch so kleines Zentrum an-
nehmen, auf dem die Lautänderung der verschiedenen Wörter
gleichartig durchgeführt wurde. \'on dort aus wäre dann die
Neuerung über das Gesamtgebict verbreitet worden, indem
Alis dem Atlas Lin^iiistiqiw. 127
(las umgeformte Wort als Vokabel weiter wanderte. Es ist
leicht, zu erweisen, daß dies ein anderes Bild geben würde, als
wir tatsächlich finden. Lexikalische Bestandteile, die wandern,
sind in den Wanderungen völlig voneinander unabhängig. Jaberg
sagt z. B. ganz richtig (Sprachgeogr. S. 9): ,, Nirgends decken sich
die Grenzen des französischen Einflusses. . . Jedes Wort hat
seine besondere Geschichte." DaB die Grenzen der Lautänderung
für zwei oder mehrere Worte lange Strecken hindurch überein-
stimmen, wie dies ja oft genug vorkommt, wäre bei den obigen
\'oraussetzungen ungemein auffällig. Jaberg gibt nicht nur diese
langen Grenzlinien, sondern auch ,,Normalgebieto der lautlichen
Entwicklung" zu. Ja er selbst zeichnet uns ein solches Normal-
gebiet für erhaltenes ka- in Südfrankreich ein, bei dem nur drei
Punkte fraglich seien. Er gelangt dazu durch einen genauen
\'ergleich verschiedener Karten und durch wohlberochtigte Kritik
der dort gegebenen Wortformen. Setzte man diese Tätigkeit —
wobei man allerdings hie und da bei besonders widerspruchs-
vollen i'Vngaben auch die historischen Daten berücksichtigen
müßte — fort, so würden vermutHch auch diese drei Punkte
verschwinden: 729 und 878^) würden sich als zum ^a- Gebiet
gehörig erweisen, 991 fiele vermutlich dem ÄY/-Gebiet zu. — W^ie
soll man sich aber die Entstehung solcher Normalgebiete vor-
stellen ? \'or allem würden sich aicht die Beziehungen erklären,
die zwischen der Qualität der Wörter und der Gleichartigkeit
ihrer Entwicklung bestehen. Auch Jaberg gibt es zu: je volks-
tümlicher, je gebräuchlicher ein Wort ist, je w'eniger es schrift-
sprachlichem Einfluß ausgesetzt ist, um so größer ist die Chance,
die Laute gleichartig entwickelt zu finden, denn auch er wählt
für seine Zwecke ,, möglichst volkstümliche, der Entlehnung
nicht verdächtige Wörter" (S. 6 Anm.). Wir würden aber eher
umgekehrt erwarten, daß die Grenzlinien um so unregelmäßiger,
um so eigenartiger seien, je größeren Widerstand das heimische
W^ort der von außen eindringenden Fremdform leistet.
Wir kommen also mit der Wandertheorie nicht ans Ziel
und müssen uns die Sache anders vorstellen. Sicher ist ja doch,
daß vollständig gegen fremden Import gefeit und von fremden
Lautungen unbeeinflußbar nur die allerwenigsten lexikalischen
Bestandteile der Sprache^) sind. Bedenkt man das, so wird man
einsehen, daß die von Jaberg aufgestellte, in der Theorie ganz
^) Über ca- und ga- in dem Departement Basses-Alpes, wozu
auch dieser Grenzpunkt gehört, vgl. zuletzt P. Meyer, Documents
linguistiques du Midi de la France, p. 337.
^) Oder vielmehr gar keiner. Nur hat eben ein Ort, der gewisse
seiner grundlegenden Formen von großer Häufigkeit zugunsten einer
andern Mundart aufgibt, eben auch seinen Dialekt nicht mehr bewahrt.
Daß es dabei mitunter zu besonders schwierigen Mischungsverhält-
nissen kommen kann, die eben dann für sich studiert sein wollen, tut
der Richtigkeit unserer Anschauungen keinen Abbruch.
128 E. Herzog.
richtige Forderung, daß sich die Gebiete gleicher lauthcher
Entwicklung verschiedenen lexikalischen Materials nicht nur an-
nähernd, sondern vollständig decken müssen, in der Praxis nicht
erfüllt werden kann.
Daß auf einem kleinen Gebiet die Entwicklung zunächst
gleichförmig vor sich geht, mußten wir ohnehin annehmen. Aus
welchem Grund sollten \\iv glauiben, daß, was auf einem kleinen
Gebiet möglich war, auf einem großen nicht denkbar sei ? Dann
aber ist die Folgerung unabweisbar, daß immer die lautliehe
Entwicklung das primäre ist, das stetige, sich gleichbleibende,
genau umgrenzbai'e, das Wandern und Entlehnen das Sekundäre,
das die ursprünglichen \erhältnisse trübt. Daraus erwächst
aber wieder die Forderung, daß man möglichst darauf bedacht
sei, die lautlichen ^'erhältnisse an allen einzelnen Punkten zu
erforschen, die ,, Normalgebiete" zu umgrenzen, selbst wenn die
Verhältnisse durch Entlehnungen usw. noch so verworren liegen.
— Nur so ist es ja schließlich möglich, über die Wanderung der
Worte und ihr Eindringen in fremdes Gebiet — wenn es uns
darauf ankommt — ein zutreffendes Bild zu gewinnen.
Der Umstand, daß man diese Aufgabe im allgemeinen lösen
kann oder daß man wenigstens der Lösung in den weitaus meisten
Fällen näher kommt, zeigt uns, daß die Hypothese der unab-
hängigen lautlichen Entwicklung das richtige trifft. Die Nieder-
geschlagenheit, die sich unser bemächtigt, hat, wenn wir die
Lautgrenze auf Grund von 2 — 3 Karten aufstellen wollten, wird
sich mehr und mehr in Zuversicht verwandeln, wenn weitere
Karten vorhanden sind, die dazu genommen werden. Auch das
nördliche (normannisch-pikardische) A:«- Gebiet, auf dem wir in
Jabergs Karten nur ein krauses Liniengewirr sehen, werden wir
schließlich bei einiger Geduld umgrenzen können, so daß nui-
wenige Punkte unklar bleiben. —
Aber freilich, es gehört dazu eine erhöhte Anwendung der
Kritik, ein sorgfähiges Gegeneinander-abwägen und -abschätzen
der einzelnen Beispielworte und der Angaben, die wir dafür finden.
Dieses Schätzen mag manches subjektive Element enthalten und
wir werden im einzelnen oft mit Postulaten, a-priori-Annahmen
und Hypothesen arbeiten müssen. Das läßt sich nun nicht
vermeiden. Das subjektive Element, und damit die Unsicher-
heit unserer Schlüsse, wäre ja schheßlich in viel höherem Grad
vorhanden, wenn wir ohne derartige Studien nur aus dem geo-
graphischen Bild, das uns die Karten gewähren, zeigen wollten,
wie die Worte wandern, d. h. es so machen, wie bisher zumeist
die Karten bearbeitet wurden.
Auf welche Punkte eine derartige kritische Behandlung zu
achten hat, möchte ich nun gerade an Hand der ersten Jaberg-
schen Karte darlegen, auf diö Gefahr hin, Dinge zu sagen, die
manche für ebenso selbstverständHch und überflüssig halten
Aus dem Atlas IJnguisliqiie. 129
werden, \vio sie mir selbst im Grunde orscheinen. Jab. hat, wie
gesagt, auf dieser Karte bei den beiden Worten das Gebiet des
?i-L)iftongs [11(1, V? etc.) abgegrenzt und die beiden Grenzen
ziemlich divergierend gefunden. Auf die mannigfachen anderen
Verschiedenheiten, die sich zwischen tela und Stella — sowohl
im Diftong-Gebiet selbst als außerhalb desselben - — finden, ist
er nicht eingegangen, obwohl das recht lehrreich gewesen wäre,
auch verschiedene Monoftong-Inseln im Diftonggebiet hat er
.,(Ier Übersichtlichkeit der Zeichnung wegen vernachlässigt". So
unvollständig, wie sie ist, schien die Karte Jab. hinzureichen,
um die oben besprochenen Schlüsse daraus zu ziehen. Ob auch
die Voraussetzungen da sind, die zu den Schlüssen berechtigen,
um diese Frage hat er sich wenig gekümmert und hat nicht
untersucht, ob man, wenn man sich darum kümmert und sie in
Rechnung zieht, nicht gerade zu den umgekehrten Resultaten
kommt.
Die Kritik nun hat sich in solchen Fällen auf dreierlei zu
erstrecken. Erstens ist zu untersuchen, ob die lauthchen
Bedingungen zweier Wörter wirklich identisch seien. Man darf
dabei nicht zu leichtfertig sein. Ganz identische Bedingungen
kommen ja eigentlich nirgends vor, und ganz kleine Verschieden-
heiten können oft schon hinreichen, Nicht-Übereinstimmung in
zwei Gebieten zu erklären. Es hat nicht nur mois, das auch
Jaberg auf Grund dieser Tatsache von der Betrachtung aus-
schließt, einen ganz anderen Bau als toile und etoile, auch diese
beiden Wörter stimmen nicht so vollständig überein, wie man
vielleicht zunächst glauben w'ürde. Zunächst hatte Stella gemi-
niertes /, tela einfaches; das geminierte / war ,,exihs", das ein-
fache ,,pinguis". Der Qualitätsunterschied spiegelt sich noch
unverkennbar an einigen Punkten der provenzalisch-katalanischen
Grenze wieder, wo Stella mouilhertes / hat, tela nicht-mouilliertes
(786, 793, 797). Sonst ist freilich heute weder ein Quantitäts-
noch ein Qualitätsunterschied nachweisbar: das II scheint sich
früh vereinfacht zu haben, so daß sich auch das e überall als
freier Vokal entwickelte und das II in Stella ist,*) wo sich sonst
ein Unterschied zwischen // und / zeigt, wie letzteres behandelt
worden (vgl. 807, 811, 813 usw.). Soweit sind wir aber heute
schließlich noch nicht über den Lautstand orientiert, daß wir
für alle Mundarten mit apodiktischer Gewißheit diese Tatsache,
die wir fürs Zentralfranzösische als bekannt und nachgewiesen
voraussetzen, behaupten könnten. — Ferner ist Stella im Ro-
■*) Immerliin könnte man einige Verschiedenheiten in Savoyen,
Aostatal etc. mit dem Unterschied von frei und gedeckt in Verbindung
bringen. 963, 966, 975, 976 z. B. zeigt für Stella: ?, e, für tela: g», gi.
Aber 943 zeigt uns das umgekehrte Verhältnis, 963, 976 hat für
mustela: f. Wir werden diese Differenzen also besser zu den im
nächsten Abschnitt zu besprechenden zählen.
Ztsclir. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 9
130 E. Herzog.
manischen dreisilbig geworden und auch das kann unter Umständen
auf die Entwicklung eingewirkt haben. Die erste Silbe kann
z. B. den Akzent an sich ziehen, wodurch der ursprüngliche Ton-
vokal geschwächt wird; darauf beruhen wohl die Verschieden-
heiten 935 etöla — t^la, 950 et^ra — tdra, 818 HHa (vgl. chandelle
= sadHa) — ida. Zu diesen Differenzen, die sich aus der laut-
lichen Entwicklung an und für sich ergeben, kommen noch andere,
die mit der verschiedenen Verwendung in Verbindung stehen.
loile wird wohl fast nur im Sing, gebraucht, Hoile sehr häufig im
Plural, es kann also dort nicht, wohl aber hier der Singular
vom Plural analogiscli beeinflußt sein. Daß aber der Plural sich
anders entwickelt hätte als der Sing., kann sehr wohl in manchen
Mundarten zutreffen, z. B. im Frankoprovenzalischen, wo der
Sing, auf -a, der Plural auf -e ausgeht, aber auch vielleicht in
andern Mundarten, wo z. B. das End-3 in dem einen Numerus
zu einer andern Zeit verstummen konnte als im andern und diese
Differenz irgendwie auf den Tonvokal einen Einfluß ausüben
mochte, etwa zunächst einen quantitativen, der sich aber dann
auch in einen qualitativen umzusetzen vermochte. — Aus alle-
dem geht hervor, daß es vielfach ohne genaues Studium der
Einzelmundart und ihrer Sonderheiten nicht möglich sein wird,
von zwei divergenten Formen die eine oder die andere als nicht-
bodenständig zu verdächtigen.
Eine zweite Seite der kritischen Tätigkeit müßte sich
damit befassen, zu untersuchen, inwieweit den schwankenden
Angaben des Atlas wirklich verschiedene Aussprache entspricht.
Der vorsichtige Forscher muß sich immer der Fehlergrenzen
bewußt sein, die sich aus der Art und Weise, wie der Atlas ent-
standen ist, ergeben. Jeder Laut bewegt sich sogar bei derselben
Person innerhalb gewisser artikulatorischer und akustischer
Grenzen. Die Richtigkeit der Auffassung beim Abfragen hängt
vielfach von momentaner Disposition ab, Frische und Abspannung
des Sprechenden sowie des Hörenden kann in der Verschieden-
heit der Angaben zum Ausdruck kommen; aber auch z. B. der
Kontrast gegen unmittelbar früher Gehörtes kann bei der Be-
stimmung eines Lautes, besonders eines solchen, der sich nicht
genau in die gewohnte schriftfranzösische Lautskala einpaßt,
eine Rolle spielen. Auf die Verschiedenheit zwischen nahe an-
einanderliegenden Werten wie ^ und c, ä und ?, <? und «, <l und ä
ist überhaupt wenig Gewicht zu legen, vgl. dazu das lehrreiche
Beispiel, das A. Thomas, Nouv. Ess. S. 357 Anm. beibringt.
Das gilt ferner besonders auch für die Quantitäts- und Akzent-
angaben, das gilt endlich namentlich für Diftonge. So ist
zwischen a*^, ae, "e, ai, ei usw. oft ein regelloses Schwanken zu
beobachten. Aber nicht nur die Auffassung der einzelnen Diftong-
bestandteile ist so unsicher, auch über das Vorhandensein des
schwächeren Teils eines Diftongen herrscht großer Zweifel, vgl.
Aus dem Atlas Linguistique. 131
für ioile — koile z. 13. 939 $ — ?y, 927, 937 ?^ — ?, 60, 63 « — rt^,
40 a^ — a, 481 g — ^'-^ etc. Wer Gauchais schöne Studie über
die Einheit des Patois von Gharmey gelesen hat, weiB, daß es
sich hier wohl zumeist um Ühergangsstadien handelt; dennoch
ist unwahrscheinlich, dal.5 so häufig ein und dasselbe Individuum
die beiden Etappen nebeneinander gebraucht; sondern es wird
sich eben um jene Stufe handeln, wo der eine Laut bereits so
stark verflüchtigt ist (oder ev. erst so leise in Erscheinung tritt),
daß er — je nach den momentanen Dispositionen — bald noch
wahrgenommen wird, bald sich völlig der \^'ahrnehmung ent-
zieht. Dasselbe nun was für den zweiten Bestandteil der Diftonge
a^, e* etc. gilt, kann auch für den ersten Teil von wg etc. Geltung
haben, wg ist bekanntlich auch im Schriftfranzösischen in einer
Reihe von Fällen zu g geworden und zwar scheint die Entwick-
lung namentUch von dem vorhergehenden Phonem abhängig
gewesen zu sein (vgl. die beiden Karten doigt und droit mit-
einander). Jedenfalls geschah aber der Lautwandel «§ > ? durch
ein Zwischenstadium, wo das u eben noch sehr schwach hörbar
war. Wo nun etwa heute solch ein Zwischenstadium noch be-
steht, wird man sich auf ein ähnliches Schwanken der Angaben
des Atlas zwischen «? und q gefaßt machen müssen, wie oben
zwischen «^^ und a etc. Ein solches Zwischenstadium wäre man
nach den Angaben des Atlas z. B. für Punkt 5 anzunehmen ge-
neigt, der mitten im wg- Gebiet liegend für eine Reihe von Fällen
^ zeigt: z. B. für toile (aber nicht für etoile), für toi^ (aber
nicht für moi) usw. Auch 261 ety-gl neben IQl ist vielleicht so
zu deuten. Genaueres aber könnte natürlich nur das Studium
des gesamten für jeden einzelnen Punkt gebotenen Materials
ergeben.
Das dritte ist die Kritik der Worte selbst nach der
semantischen Seite. Sind sie so beschaffen, daß die Wahr-
scheinlichkeit eines schriftsprachlichen oder gemeinsprachhchen
Einflusses möglichst gering ist, sind z. B. toile, etoile ,,möghchst
volkstümliche, der Entlehnung nicht verdächtige Wörter" als
die sie Jaberg S. 6 ausgibt ? Volkstümlich, allgemein bekannt
sind die Begriffe 'Leinwand' und 'Stern' jedenfalls; auch der
Bauer kann diese Begriffe nicht entbehren, es müssen also in
allen Mundarten Nordfrankreichs — die ja der Hauptsache nach
Bauernmundarten sind — Wörter dafür vorhanden sein. Volks-
tümlich bedeutet aber noch nicht: über jede Entlehnung erhaben;
trotz der Volkstümliclikeit können Umstände eintreten, die die
Worte in stark beeinflußten Gegenden als der Entlehnung unter-
worfen erscheinen lassen. Auf diese Umstände ist aber jedenfalls
Rücksicht zu nehmen.
Die Leinwand ist ein Handelsprodukt. Der Bauer, der
sie kaufen und verkaufen will, muß zum Kaufmann gehen, zu-
meist in die benachbarten größeren Städte, deren Mundarten, wie
9*
132 E. Herzog.
die aller Städte, schon friili der Verkehrssprache stark angeglichen
waren. Der Kaufmann selbst sprach also ehemals P-i^l, jetzt
mal und so hört der Bauer den Stoff bezeichnen. Ein Einfluß,
wie er ja bei allen Gegenständen, die dem geschäftlichen Verkehr
unterliegen, zu konstatieren ist, läßt sich also schon a priori
nicht in Abrede stellen.
Beim Stern sind die Gründe der ,,Infiltrazion der schrift-
sprachlichen Form" ganz andere. Die Sterne bilden einen be-
liebten Gegenstand des Schulunterrichts, wohl auch der Predigt.
Sie spielen im Leben des Kindes, das sie als etwas Auffälliges,
Wunderbares ansieht, eine besondere Rolle, im Leben des Er-
wachsenen sind sie von relativ geringer Bedeutung. Das Kind
nun, das besonders in der Schule darüber unterrichtet wird,
wird also auch gern die in der Schule gehörte Form anwenden
und sie leicht für sein ganzes Leben beibehalten. Dazu kommt
noch, selbst für den Erwachsenen, der in dem Stern einerseits
etwas Kleines, Liebliches, andrerseits etwas Wunderbares, zur
Andacht Stimmendes sieht, die spezifische Gefühlsnuance hinzu.
In allen Gegenden nun, wo ein großer Prozentsatz doppelsprachiger
Individuen vorhanden sind, die die Schriftsprache neben ihrem
Dialekt verstehen und mehr oder minder vollkommen sprechen,
entwickelt sich das Gefühl, daß der Dialekt die gröbere, nur für
den Hausgebrauch taugliche Sprache ist, die Schriftsprache die
feinere, gewähltere. Daraus ergibt sich, daß für den Gefühlston,
mit dem man von Sternen spricht, die schriftsprachliche Form
vielfach als die angemessenere erscheinen mußte. — Dazu kommt
nun vielleicht noch, daß eW^l mit seiner Endung den Eindruck
eines Diminutivums machen mußte, so daß das Wort als Ausdruck
eines Begriffs, für den ja nicht die wirkliche, sondern die schein-
bare Größe des Gegenstands in Betracht kommt, vorzüglich zu
passen scliien. Namentlich für einen großen Teil Lothringens, wo
etu^l und daraus entwickeltes eWal gegen toi, tal stehen, könnte
dieses Moment von einer gewissen Wichtigkeit gewesen sein.
Daraus ergibt sich : wir dürfen von vornherein weder von
tela noch von Stella die Lautgrenze richtig wiedergegeben erwarten.
In der Tat sehen wir, daß bei beiden Wörtern die w-Form viel-
fach in Gebiete eingedrungen ist, wo sie nicht zu Hause ist.
Ein Vergleich mit anderen Karten zeigt uns, daß sie besonders
nach Westen, gegen die Normandie, vorgeschoben ist; so gehören
z. ß. die Punkte 318, 334, 329, die für tela und Stella den Diftong
aufweisen, noch zum e- Gebiet. Und gäbe es jemand, der für
diese Gebiete toile, etoile als Eindringlinge anzuerkennen etwa
deshalb zweifeln wollte, weil ein ebenso gebautes Wort nicht
zur Verfügung steht, so ist ein solcher Zweifel für die im prov.
Sprachgebiet gelegenen Punkte 729, 822 ausgeschlossen, wo uns
durch die Karte 123: belette die lautgesetzliche Fortentwicklung-
-ela > -yalo : mastela = mustyalo belegt ist.
Aus- dem Atlas Linguisiiqiw. 133
Da die Motive der Ausdehnung ganz vtMschiedcn sind, so
ist nicht zu erwarten, daß die Ausdehnungsgebiete sieli decken.
Und zwar zeigt sich, daß für slella die Neigung, die schriftfran-
zösische Form anzunehmen, größer, für icla geringer war. Wir
werden das leicht verstehen, wenn wir daran denken, daß die
Erzeugung der Leinwand bis vor kurzer Zeit noch vielfach Gegen-
stand der Hausindustrie war, die Gefahr der Beeinflussung durch
den kaufmännischen Verkehr also nicht so groß, als es zunächst
scheinen mag. Freilich zeigt sich andrerseits, daß im Süden
die echte heimische Form leichter bei tela als bei Stella durch
fremde — u. zw. nicht schriftsprachliche — Formen ersetzt wird :
offenbar handelt es sich hier um die Formen irgendwelcher süd-
französischer Handels- und Verkehrszentren, die aufs Land
liinausdringen. So zeigt in Gegenden, in denen e vor /- zu ie, ia
geworden ist, tela die sozusagen normale prov. Form {t(ilo, tclo):
712, 715, 840, 847, 836, 855, 875 und zwar legen in den 4 letzten
Nummern die Reflexe von mustela dafür Zeugnis ab, daß das
ye ya von Stella wirklich bodenständiges Produkt ist.
Im allgemeinen also ist die Wf-Form bei eloile viel weiter
verbreitet als bei toile\ zirka 45 Punkte haben für etoile den
w-Diftong, für toile nicht, während nur 1 Punkt (nicht wie Jaberg
angibt, 2) das umgekehrte Verhältnis zeigt, nämlich die prov.
Nummer 810, die aber auch für Stella nicht die richtige Wieder-
gabe, sondern eine Entlehnung aus einer Nachbarmundart auf-
weist, wie wieder miistyago aus mustela mit dem dort lautgesetz-
lichen Wandel l > g beweist. — Auch zeigt sich, daß etoile und
toile häufig nicht in der gleichen Form weiter drangen, so hat
386 Mg bei etoile^ ua bei toile, was darauf hinweisen dürfte, daß
etoile das ältere Lehnwort ist, während z. B. in 6, w^o das w§
von toile die reguläre Entwicklung sein könnte, das '^a von etoile
die Herkunft aus dem Schriftfranzösischen dartut. Freilich liegen
bei vielen dieser Ungleichheiten offenbar jene Schwankungen
der Auffassung zugrunde, von denen wir oben sprachen.
Aus einem eingehenden kritischen Studium der beiden
Gillieronschen Karten; aus einer Vergleichung derselben mit
andern; einer ^>rgleichung mit andern dialektologischen Quellen
der Vergangenheit und der Gegenwart ließe sich gewiß noch
vieles lernen. Das Vorangehende dürfte aber genügen, um uns
zu überzeugen, daß man mit einer so oberflächlichen Art, an
den Gegenstand heranzutreten, wie es die Jabergsche ist, den
Glauben an die Lautgrenzen und Lautgesetze nicht zu erschüttern
vermag.
Denn auf die V e r s c h i e d e n Ji e i t e n der Reflexe
müssen wir gefaßt sein, wenn wir mit genauer Rücksichtnahme
auf die speziellen sprachlichen Verhältnisse und auf die Art des
Zustandekommens der Angaben an das Studium der zwei Karten
134 E. Herzog.
gehen. Neben diesen Verschiedenheiten steht aber die große
Überzahl der Übereinstimmungen; und auf diese kann
niemand gefaßt sein, der die Gesetzmäßigkeit der lauthchen Ent-
wicklung und damit die Konstanz der Lautgrenzen a priori leugnet.
6. soif.
Als erstes Beispiel dafür, wie die ,, Wörter wandern", führt
Jaberg in der genannten Schrift den /-Typus von SITE an.
Das /-Gebiet umfaßt nach Gillierons Karte die Departements
Seine, Seine-et-Oise, Seino-et-Marne, erstreckt sich nach Nord-
westen bis an die pikardischc Grenze, reicht nach Süden bis
knapp an die provenzalische Grenze, sendet vom Departement
eher einen schmalen Arm die Loire abwärts bis nahe an die
Mündung und sendet schließlich von der Ile de France einen
zweiten schmalen Arm durch die Champagne bis genau an die
lothringische Dialektgrenze. —
Jaberg akzeptiert die Deutung Meyer-Lübkes, wonach wir
es hier mit einer Analogiebildung zu tun haben [sois soif nach
nois noif etc.) und fälirt dann fort:
,,Eine imminente Analogiebildung war soif nicht; es muß
d a h e r ^) auf einem engbegrenzten Gebiete — unsere Karte
weist uns auf das Zentrum Nordfrankreichs — entstanden sein
und sich von da aus verbreitet haben."
Jaberg schließt also so: Weil ich mir eine so eigentümliche
Analogiebildung wie soif höchstens auf einem kleinen Gebiet
erklären könnte, so muß ich annehmen, daß die ziemliche Aus-
dehnung des /-Typus auf Entlehnung (Wanderung) zurückzu-
führen sei. Und dieser Schluß erscheint Jab. so evident, daß
er soif als prächtiges ]3eispiel fia^ das Wandern der Wörter ver-
wendet. Und doch würde Jab. einen solchen Schluß kaum
gewagt haben, wenn es nicht eben gerade Paris wäre, das als
Ausgangspunkt der Bewegung aufgefaßt werden könnte und die
behauptete Ausstrahlung eine Stütze in den zahlreichen andi^rn
lexikalischen Einflüssen gefunden hätte, die von der Hauptstadt
ausgehen. Aber eben weil unser Fall erst eines solchen Rück-
halts, einer Stütze durch andere evidentere Fälle bedarf, ist er
als Beispiel übel gewäiilt.
Die Kräfte, die bei Analogiebildungen wirksam sind, kennen
wir im einzelnen noch viel zu wenig, um zu beurteilen, ob ein
Fall „imminent" sei, ob das Wort unter einem starken System-
oder Normzwang gestanden sei (das soll doch wohl ,, imminent"
bedeuten). Das können wii' nicht a priori sagen, sondern
nur a posteriori, d. h. aus i\vm rückschließend, was uns
der Fall selbst und seine geographischen Daten in A'ergangenheit
^) Von mir gesperrt gedruckt.
Aus dem Alias- Lingiiistique . 135
und Gegenwart lehren. \\ as \\\v a p i- i o r i erwarten, mögen
wir immerhin feststellen; bevor wir es aber zur Erklärung ver-
wenih'u, müssen wir doeli eben alle diese iJaten sorgfältig sammeln
und stimmen diese nicht zu unserer Erwartung, so ist das eben
ein Beweis dafür, daß entweder die angenommene analogische
Einwirkung unrichtig war, oder daß wir dabei irgend welche
Zusammenhänge übersehen haben, die wir noch zu ergründen
versuchen müssen.
Daß die /-Form in manchen Fällen aus dem Schriftfranzösi-
schen oder sagen wir lieber aus der gemeinfranzösischen Ver-
kehrssprache entlehnt wurde, ist sehr leicht möglich, ist sogar
für einzelne vorgeschobene Punkte, wie 447, 435, wo das «e
von suef nicht heimatsberechtigt zu sein scheint, ferner für
die isolierten Nummern 284, 475, 479, 518^) durchaus das
wahrscheinliche. Im großen und ganzen aber ist die
Jabergsche Anschauung unrichtig und das heutige /-Gebiet
im Gegenteil eher als der Rest eines früheren größeren Ge-
biets aufzufassen.
Das gesamte /-Gebiet der Gillieronschen Karte zeigt uns den
w-Diftongen (s^ff/, sV-ef) mit einziger Ausnahme des ganz im
Süden, an der Grenze gelegenen Punktes 600, der sef hat. Da
dieser Punkt, soviel ich nach den andern Karten sehe, noch
zum %- Gebiet gehört, so hat wohl auch hier ursprünglich s'^ej
bestanden und der Wandel zu sej erklärt sich vielleicht, wie wir
oben S. 131 den zu etel in 5 erklärt haben, wobei etwa noch eine
dissimilatorische Einwirkung von Seiten des / anzunehmen ist.
Eine andere Erklärungsmöglichkeit wäre, daß heimisches oder
importiertes sUef mit dem südlichen se kontaminiert wurde.
Wir dürfen also wohl von diesem einen im Bourbonnais
gelegenen Punkt absehen und die heutigen /-Formen, die uns
der Atlas bietet, sämtlich auf die vokalische Variante soif
zurückführen.
Das war aber nicht die einzige /-Form, die existiert hat.
Im Normannischen gab es die Formen seif^ seyf, sef, die sogar
über den Kanal ins Anglonormannische verpflanzt wurden:
En. 2750, Simund de Fresne, Rom. Ph. 684, 694, Saint Gregoire
in Bartsch, LLfr. 99?, vgl. auch die Beispiele bei Godefroy. Das
®) Im Südwesten, wo diese letzteren Punkte hegen, scheint
SITIS z. T. zunächst der Volkssprache abhanden gekommen zu sein.
Wenigstens ersetzt 478 (nördl. von 479) den Begriff durch besogne
de boire, 621 (nicht weit von 518) durch enide de boire. (Statt des
letzteren Punktes (621) ist auf Jabergs Karte fälschlich 529 als der-
jenige Punkt angegeben, auf dem s i t i s fehlt, wie ihm überhaupt
hier einige kleine Versehen unterlaufen sind: es gehört — wenigstens
nach K. 1237 des Exemplars des Atlas, das ich benutze — 400, 800,
901 nicht zum /-Gebiet; letztere Nummer, sowie 902 hat vielmehr
eine eigentümliche r-Form: suär.)
136 E. Herzog.
heutige Normannische zeigt keine Spur einer /-Form, sondern hat
5g, so etc. Ferner kennt der lothringische Dialogus animae et
rationis die Formen soif saif und damit befinden wir uns wieder
in einer Gegend, die nach dem Atlas heute die /-Form nicht
kennt.'^) soif scheint auch vereinzelt im Wallonischen und
Pikardischen vorgekommen zu sein, wo es heute ebenfalls
nicht gefunden wird.^) Im Mittelfranzösischen begegnen wir
dann der Form seiif, die Villon auf eteuf und Ronsard aus
Vendöme auf boeiij reimen läßt. Die ö-Formen finden sich aucli
heute noch in Vendome, ferner im Maine, Orleanais, auch in
der Normandie, aber ohne /.
Daraus geht jedenfalls soviel hervor, daß man für die Er-
klärung des / von der ehemaligen, nicht von der heutigen Ver-
breitung ausgehen muß. Das Nebeneinanderstehen der /-Form
und der /-losen Form macht jedenfalls die Annahme Meyer-
Lübkes, daß es sich um eine 7\nalogiebildung handelt, sehr wahr-
scheinlich. Handelte es sich um ein rein lautliches Phänomen
oder um Beeinflussung seitens einer nichtlateinischen Sprache
zur Zeit der Romanisierung, so würden wir wohl die /-Form
eher in großen geschlossenen Gebieten erwarten dürfen. Wenn
es aber Analogie ist, so sehe ich keine andere Möglichkeit als
eben die von Meyer-Lübke ausgesprochene (hist. Gr. S. 181) nach
«ei/, seif (SEPE), bei der die Gleichheit des Nominativs maß-
gebend war.^) Es ist zu beachten, daß diese Worte als einsilbige
Feminina mit ei ziemlich alleinstehend waren und desto leichter
gegenseitiger Beeinflussung unterlagen. Ich lasse dahingestellt,
ob der Umstand, daß das t vor dem Verschwinden wolil
einen dem Spiranten p verwandten Laut angenommen hat,
also die Ähnlichkeit mit den f- Stämmen erhöht wurde, mit im
Spiele war. Freilich bleiben Schwierigkeiten: zunächst, daß wir
ursprünglich seiiL (SITIS), aber seis (SEPES), neis haben, dann
daß /ei, das vierte \A'ort, das gleichen Bau hatte, nirgends (üne
/-Form aufzuweisen hat. Doch mag der Unterschied zwischen
:; und 5, besonders im Satzinnern, nie besonders groß gewesen
sein und fei durch das anlautende /, also durch eine Art Dissi-
milazion, vielleicht auch durch engen, begrifflichen Anschluß an
/ei, das von den andern Worten dadurch verschieden war, daß
'') Jaberg hätte dies nicht entgehen sollen, da er doch den Beleg
nach dem Dict. gen. selbst zitiert. [Ein Beleg aus dem lothr. Psalter
wird von Groß RF XXVII 607 angeführt. Was die Auffassung
des Vorgangs seitens dieses Autors anbetrifft, so wird mit ilim nur
der übereinstimmen können, dem der Gedanke nichts Auffälliges
hat, daß Lauttendenzen nur gerade dort wirken, wo es ihnen paßt,
Korrekt.-Zusatz.]
8) Wiese, Spraclie der Dial. Greg. 8. 104. Wist. le m. 1611,
Jean Bod., Jeu Nie. 1059.
^) Also wie muef, wolil auch Marhuef etc. nacli hocuf, ceuf, neuf;
bief nach chief, brief, grief.
Aus dem Atlas Lingiiistique, 137
es von Anfang an vokalisch auslautete, vor einer Form feif be-
wahrt worden sein. Immerhin wird man zugeben müssen, daß
man mit dieser Erklärung des / ziemlich weit von völliger Sicher-
heit entfernt ist. — Der Einwand jedoch, den Hubor in dieser
Zs. XXXIV^ 139 erhebt, daß das Wort soij ,,wohl nie als
Subjekt in Verwendung gewesen sei", scheint mir hinfällig;
warum sollte man gerade im Altfrz. nie z. B. gesagt haben:
'mein Durst ist größer als mein Hunger', 'der Durst quält
mich', also Ma soiz est plus granz de ma fain, la soiz nie
destraint?^^) Wir können vielleicht annähernd angeben, welche
Verbindungen eines Wortes in der heutigen Umgangssprache
geläufig sind, aber über die Verhältnisse der Vergangenheit
wissen wir nichts und aus den heutigen darauf Schlüsse zu
ziehen, ist zu kühn.
War einmal die Stufe soif (= iWe/) erreicht, so fand die Form
vermutlich eine kräftige Stütze an den Wörtern uef, buef (= üe/,
hüef)^ in denen der zweite Teil des Diftongen eine identische
Aussprache gehabt haben mag.
Daß wir die /-Form heute nicht mehr in dem Umfang finden
wie ehemals, wird uns nicht wunder nehmen, wenn wir an Formen
denken wie cle oder an bceu^ ceu selbst, die nach dem Atl. lingu.
die weitaus herrschenden sind. Mehrere Strömungen haben sich
vereinigt, diese Formen zu schaffen: 1) Analogie nach dem Plural;
2) Analogie nach den Formen des Satzinnern (vgl. sg/ neben
sedöcr, nöf neben nö mezö), 3) für manche Gegenden wohl auch
lautgesetzlicher Abfall selbst in der Pausaform. Daß für soif
speziell das erste dieser Momente so ziemhch wegfällt, dürfte
der Grund sein, daß die /-Formen sich hier besser erhalten haben,
als bei boeuf etc.
Und so darf man denn das Umgekehrte von dem vermuten,
was Jab. behauptet hat, nämlich daß viele der heutigen /-losen
Formen des Atlas auf alte /-Formen zurückgehen. Namentlich
\\ird man das für die meisten Orte des Zentral- und Westfran-
zösischen annehmen, die uns so zeigen, vgl. das oben über Vendöme
Bemerkte. Aus se oder s^e würde sich so ja vielleicht an dem
einen oder andern Punkt gewinnen lassen (vgl. z. B. 349 dö =
doigl)^ nicht aber auf dem ganzen Gebiet. Dagegen hat der
assimilatorische Wandel von sef, suef zu söf, süöf > söf nichts
auffallendes, wenn man an weitverbreitete Formen wie cheu{f),
feuve, leuve (leve) etc. denkt.
Wien. E. Herzog.
(Fortsetzung folgt.)
^^) Dagegen kommt der Plural wirklich kaum in Betracht, ob-
wohl er nicht ganz ausgeschlossen ist, vgl. AI. 80c (A).
/^
Martin Pumee's Roman
„Du vray et parfait amour".
(Ein BeDaissanceroman.)
I.
Der Terfassei*, mein l¥ei*k und seine
Pei'sönliclikeit.
Der Roman, dem die folgende Untersuchung gewidmet
ist, trägt den Titel ,,!)« i>raij et parfait amour. Escrit en grec, par
Athenagoras phüosophe athenien. Contenant les amours honestes
de Theogenes et de Charide, de Pherecides et de Melangenie." Er-
schienen ist er zu Paris im Jahre 1599 und erlebte im Jahre
1612 noch zwei weitere Auflagen.^) Er umfaßt 387 Doppel-
seiten in 16^. Der Verfasser nennt sich nicht. Als Übersetzer
der angeblichen Übersetzung aus dem Griechischen zeichnet
M. Fumee, S. de Genille.
Über den Verfasser und sein Werk herrschten und herrschen
auch heute noch vielfach irrige Vorstellungen.
Zunächst gelang dem Autor die beabsichtigte Mysti-
fication. Athenagoras wurde allgemein als Verfasser des Romans
betrachtet.-) Selbst der gelehrte Bischof Huet glaubte eine
^) Es ist bisher nicht erkannt worden, daß es sich um zwei Auf-
lagen des Jahres 1612 handelt. Die eine ist erschienen bei Daniel
Guillemot (rue des cordiers derriere les Jacobins), der auch die erste
Ausgabe verlegt hatte ; die zweite bei Toussaincts du Bray (rue S. Jac-
ques aux Espics meurs et en sa bouticque au Palais ä Ventree de la gallerie
des prisonniers). Ein Exemplar der 1612 bei Guillemot erschienenen
Ausgabe ist auf der Göttinger Universitätsbibliothek vorhanden.
2) So schreibt M^' de Gournay in L'Ombre de la Damoiselle de
Gournay: „Nous apprenons d^ Athenagoras, en son Livre du Parfaict
amour, que la Theologie du Jupiter Hammon portoit, que les Demons
iettoient par fois en Vair des beuglemens et forgeoient ces orages que nous
oyons, pour le deuil de se veoir deslogez par le trespas de chez quelques
belles ames qu'ils souloient regir" (1626, p. 336).
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII' 10
140 Walther Küchler.
Zeit lang an die griechische Herkunft des Romans. In seinem
Buche ,,Z)e l'origine des Romans"^) spricht er ausführlich über
ihn, und was er zu seiner Würdigung sagt, ist immer noch das
Beste, was bisher über das Werk geschrieben worden ist. Man
erkennt, wie gern er an die antike Herkunft glaubte, wie er an
sie glauben wollte und sie daher für wahr oder doch für möglich
hielt. Aber er war doch zu gewissenhaft, um sich auf die Dauer
selbst zu täuschen. So überzeugte er sich denn nach erneuter
Lektüre und genauer Prüfung, daß das Werk von einem modernen
Verfasser stammen müsse. Doch glaubte er nicht an die Ver-
fasserschaft Fumees. ,,La piece vient d'un plus grand ouvrier
que luy, quoy qu'il ne manquast pas d'erudäion", urteilt er und
vermutet, es stamme aus dem Kreise der Gelehrten, die der Kar-
dinal von Armagnac um sich versammelte. Ja, er geht so weit
zu behaupten, daß der zu seinen Lebzeiten hochgeschätzte Guil-
laume Philander, der Herausgeber und Kommentator des Vitruv
den Roman geschrieben habe, um seine Theorien über Archi-
tektur in ihm niederzulegen und unter dem Schutze antiker
Autorität zu verbreiten. Er glaubt allen Ernstes, der Roman
sei in griechischer Sprache abgefaßt gewesen und Fumee habe
ihn, selbst getäuscht, im guten Glauben ein griechisches Original
vor sich zu haben, übersetzt.
Die Unhaltbarkeit dieser Annahme liegt auf der Hand.
Niemand wäre wohl damals in Frankreich fähig gewesen
ein Werk in griechischer Sprache zu schreiben. Außerdem
ist zu beachten, daß Philander im Jahre 1565 gestorben
ist. Man müßte also die Abfassung des Romans vor diesen Zeit-
punkt setzen und weiterhin annehmen, daß die Übersetzung
Fumees über dreißig Jahre lang im Manuskript liegen geblieben
sei. Die dem Roman vorangestellte Fiktion will allerdings, ohne
irgendwie von Philander zu sprechen, den Eindruck erwecken,
als ob das Manuskript lange Zeit im Verborgenen geblieben wäre.
Der Brief, in dem Fumee von seiner Übersetzung spricht, ist
vom 4. Oktober 1569 datiert, aber man darf natürlich keinen
Augenblick daran zweifeln, daß er nur eine Fiktion ist. Es hat
übrigens gar keinen Zweck, noch länger mit irgend welchen ge-
wichtigen Gründen, wie man sie leicht beibringen könnte, Huets
Phantasiegebilde von dem griechischen Original und seiner Über-
setzung durch Fumee bekämpfen und entkräften zu wollen. Seine
Vermutung mußte nur deshalb erwähnt werden, weil auf sie der
Glaube an Philander als an den Verfasser des ganzen Werkes
oder einzelner Teile zurückgeht. Auf Huet stützen sich z. B. die
„Bibliotheque des romans" von Gordon de Percel (Amsterdam
1734) und ganz deutlich die ,,Bibliothdque universelle des romans"
vom August 1775, die in diesem Bande auch einen Auszug aus
^) Zuerst 1670. Benutzt nach der zweiten Auflage, Paris 1678,
Martin Fumee's Roman j,Dii vray ei parfait amonr" . 141
dem Romane bietet. Jn neuerer Zeit hat H. Körting auf Phi-
lander nicht ganz verzichten wollen.^) Er spricht von einer
gemeinsamen Arbeit Philanders und Fumees. Jenem sei die
Erfindung, diesem, der über eine gewandtere Feder verfügte,
etwa die letzte Redaktion des Werkes zuzusclireiben. Auch
diese Ansicht ist durch keinen Beweis zu stützen. Körting
behauptet zwar, es Ueßen sich zwischen den fachwissenschaft-
lichen Einschiebseln des Romans und Philanders Anmerkungen
zu Vitruv Übereinstimmungen nachweisen, aber das ist nicht
der Fall. Man darf getrost Fumee als den einzigen Verfasser
des Romans betrachten und ihm ohne weiteres die Erfindung
der literarischen Täuschung, um die es sich hier handelt, zu-
schreiben.
Diese Täuschung geschieht auf folgende Weise. Ein ge-
wisser Bernard de San-Jorry, in einem ausGastres vom I.Oktober
1596 datierten, als Vorrede an den Leser gedachten Brief, schreibt,
er habe, nun fast siebzig Jahre alt, seine Papiere wieder durch-
gesehen und dabei die Abschrift des Romans gefunden, die er
nach dem Exemplar, welches an Herrn von Lamane gesandt
worden sei, hatte anfertigen lassen. Er habe den Roman von
neuem mit großem Gefallen gelesen und halte ihn für zu gut
verloren zu gehen. Er habe einen seiner Leute beauftragt, sich
in Toulouse zu erkundigen, ob der Roman schon veröffentlicht
sei und habe auf einen verneinenden Bescheid hin den Herrn
von Fonbouzart, der gerade nach Paris an den Hof reiste, gebeten,
die Kopie einem Drucker zu übergeben ....
Auf diese hiermit noch nicht beendete, aber uns in diesem
Zusammenhange nicht weiter interessierende Vorrede folgt ein
von M. Fumee, S. de Genille aus Marly, den 4. Oktober 1569
datierter Brief an Monsieur de Lamane, Protonotaire de Monsieur
le Gardinal d'Armaignac. In diesem Schreiben kündigt Fumee
seinem Adressaten an, daß er seiner Aufforderung entsprechend,
den Athenagoras (vostre Athenagoras . . . pour n'avoir veu iceluy
en autre main) zurücksende. Er glaube aus einer Stilvergleichung
des Romans mit den anderen Schriften des Athenagoras schließen
zu können, daß das Werk wirkUch von Athenagoras sei. Mit
dem Original sende er ilim eine Kopie der Übersetzung, die er
angefertigt habe.
Diesem Briefe schließt sich sodann, um die Täuschung voll-
ständig zu machen, eine Vorrede des Athenagoras selbst zu
seinem Roman an und dann erst kann die Erzählung beginnen.
Daß wir es hier mit einer Irreführung zu tun haben, daß
Fumee auch die Vorrede des angebhchen Herausgebers B. de
San-Jorry geschrieben hat, läßt sich beweisen. Es gibt nämlich
*) Geschichte des französischen Romans im XVII. Jhdt. t. I p. 38/39.
10*
142 Walther Küchler.
eine Übereinstimmung zwischen einer von Fumee in der Vorrede
zu seiner Übersetzung von Procops Gotenkrieg geschriebenen
Bemerkung und einer Ausführung des Herausgebers. Fumee
verteidigt in seiner Vorrede zu Procop seinen Sprachgebrauch
und schreibt zu diesem Zwecke: ,,6'j ie n'ay iise poiir les mols
propres de la guerre des dictions barbares, desquelles nos soldats
usent auiourd'huy si commiinement, encor qne cela aisement nie
deubt estre permis escrivant de gens aussi barbares, ie ne l'ay neant-
moins jait que pour Ie respect que ie porte plus ä la simplicite ancienne
fonde sur bonnes raisons prinses de nous mesmes et non mandiees
d'autruy,qu'd la subtiliti moderne accomodee sans aiicime discretion\
sgachant d'autre part que faisant autrement i'eusse irrite les plus
sages et mieux advisez et excite ä se moequer de moy sans recevoir
aucune digne ou vraye louange de ces inventeurs de tnots nouveaux."
Fumee stellt sich mit diesen Ausführungen in die Reihe derer,
die wie Estienne Pasquier und andere, ganz besonders Henri
Estienne, den Wert und die Würde der guten alten französischen
Sprache gegen die respektlosen Neuerer, die sie durch auslän-
dischen Flitter und schillernde Neubildungen entstellen und ver-
unglimpfen, in Schutz nehmen. Und ganz dieselbe Stellung
nimmt der angebliche Herausgeber des Romans ein, wenn er in
seiner Vorrede auseinandersetzt, daß er die Übersetzung in erster
Linie veröffentlicht habe ,,pour Ie doux et simple langage du
traducteur, lequel regardant Ie piain et grand chemin de nostre
langue Frangoyse vous pourra plus contenter et delecter que ne
feroient ces longues clauses parees et enflees ou ces affectees et mig-
nardes paroles desquelles aucuns usent pour Ie iourd'huy et abusent
indiscretement . . . y meslans, qui est encore Ie pis, des mots nouveaux,
mal ä propos et s'abstenans des propres comme en estans destournes
par sottes fagons de parier qu' aucuns au commencement introduisent
par gausseries et mocqueries et puis par usage sont prinses par les
plus mal-advisez comme indignes ä des honnestes personnes et non
plus recevables parmy nostre langage, Ie rendant par ce moyen
dejectueux de bons et anciens mols Frangois et s'aydans d'autres
en leur place mendiez, empruntez et escorchez d'autres langues". . .
Wenn man nicht annehmen will, daß Bernard de San-Jorry,
als er diese Worte niederschrieb, Fumees Procopübersetzung
vor sich hatte, oder daß er mit Fumees Auffassung vom Sprach-
gebrauch und seiner Sprache selbst aufs innigste vertraut war,
so bleibt nur übrig auf Fumee selbst als den Urheber der beiden
nach Tendenz und Ausdruck so ähnUchen Ausführungen zu
schheßen. Wenn aber als der Verfasser des angebUch von Bernard
de San-Jorry geschriebenen Vorworts Fumee erkannt wird,
so folgt ohne weiteres, daß das Spiel durchschaut und Fumees
Autorschaft gesichert ist. Wie geschickt übrigens die Täuschung
eingefädelt ist, mag man daraus ersehen, daß im sechzehnten
Jahrhundert ein Herr de San-Jorry wirklich lebte, von dem
Martin Fumee's Roman ,,Dii vraij et parfait amour" . 143
wir wissen, daß er großes Interesse für die Schriften des Athena-
goras hatte. Es gibt nämUoli eine Übersetzung der beiden von
Athenagoras erhaltenen Schriften, die den Titel trägt: ,,Deux
Opuscules qiii est tout ce qui se troiive d'Athenagore, philosophe
grec, chrestien, contenant iine Apologie pour les chrestiens, aux
empereurs Antonin et Comniode, et im traite de la resurrection
des morts" (Bourdcaux 1577). Die zweite Abhandlung, das
Traktat über die Auf erweckung der Toten, hat der Übersetzer,
Arnaud du Ferrier, gewidmet ä Monsieur du Faur, Seigneur
de S. Jory, President en la Court du Parlement de Tolose, und
er erwähnt dankbar die Verbesserungen zu seinem Autor, die
ihm der Präsident gelegenthch hat zukommen lassen. Fumee
hat sicher diese Übersetzung gekannt und aus der Widmung
den Namen des angebhchen Herausgebers entlehnt, um die
Wahrheit der griechischen Herkunft um so augenscheinlicher
zu machen.
Über die Persönlichkeit dieses Fumee, der also als Verfasser
des Romans ,,Du vraij et parfait amour" erwiesen ist, wissen
wir so gut wie nichts. Als feststehend darf erachtet werden,
daß er der Sohn des mit Kindern reich gesegneten Martin Fumee,
seigneur des Roches S4 Quentin, maitre des requestes, war.
Jener Fumee, von dem die ,,Histoire genealogiqiie et chronologique
des ehanceliers de France" berichtet: ,^3Iartiii Fiimee^ seigneur
de Genille et de Marly le Chastel, fit hommage de sa terra
de Genille le 30 mai 1573 et le 21 mai 1588 de celle de Marly
le Chastel^ prenant la qualite de gentilhomme de la chanibre de
monsieur le duc d'Anjou" }) Seine Lebenszeit gibt die „Noui^elle
Biographie generale'','^) ich weiß nicht auf Grund welcher Do-
kumente als von etwa 1540 bis etwa 1590 an. Da mehrere seiner
Werke nach 1590, der Roman erst 1599, erschienen sind, so
hat er wahrscheinlich bis zur Wende des Jahrhunderts gelebt.
Martin Fumee ist der Verfasser folgender Werke:
Histoire generalle des Jndes occidentales et Terres neuves,
qui iusques ä present ont este descouvertes. Traduite en frangois
par M. Fumee^ Sieur de Marly le Chastel, Paris 1569.
In der Vorrede zu diesem aus dem Spanischen des Lopez
de Gomara übersetzten Jugendw^erkes kündigt Fumee ein Werk
über die in Siebenbürgen gegen die Türken stattgefundenen
Kämpfe an. Dieses Werk ist jedoch erst erschienen im Jahre
1595 unter dem Titel:
Histoire des troubles de Hongrie. Contenant la pitoyable
perle et ruine de ce Royaume et les guerres aduenues de ce temps
5) 3. ed. t. VI p. 422 1'.
6) t. 19 p. 56.
144 Walther Küchler.
en iceluy entre les Chrestiens et les Tarcs. Par Martin Fiimee,
Sieur de Genille., Chevalier de Vordre du Roy.
Vorher veröffentlichte er:
Histoire des guerres faictes par rempereiir lustinian contre
les Vandales et les Goths. Escrite en Grec par Procope et Agathias
et mise en Frangois par Martin Famee, Sieur de Genille, Chevalier
de Vordre du Roy. Paris, 1587 in fol. Die Übersetzung gibt die
beiden ersten Bücher, sowie andere Stellen aus den anderen
Büchern nicht wieder.
In die religiösen Streitigkeiten der Zeit greift er ein mit
dem Werke: Traite pour Vunion et Concorde entre ceux qui se
disent Chrestiens. Au Roi, par le Sieur deGenillS, Martin Fumee,
Chevalier de Vordre du Roi. Tours 1591.
Im Jahre 1599 erscheint dann der Roman ,,i)w vray et parfait
amour.""')
In der Titelangabe aller dieser Werke, mit Ausnahme des
ersten, wo er sich als Sieur de Marly le Chastel bezeichnet, nennt
sich Fumee Sieur de Genille, und dieser Umstand mag wohl die
Veranlassung gewesen sein, daß man bisher immer geglaubt hat,
man habe es mit zwei verschiedenen Verfassern zu tun. Nämlich
mit Martin Fumee, Sieur de Marly le Chastel, dem Verfasser der
,, Histoire generale des Jndes occidentales" und mit Martin
Fumee, Sieur de Genille, dem Verfasser der übrigen, oben ge-
nannten Werke.
Seit Lacroix du Maine hat sich diese Meinung festgesetzt.^)
Daß jedoch zwischen dem Sieur von Marly le Chastel und dem
Sieur de Genille kein Unterschied zu machen ist, geht aus der
bereits angeführten Notiz der „Histoire genealogique et chronolo-
gique des chanceliers de France'' hervor und außerdem aus der
bisher nicht beachteten Tatsache, daß sich Fumee selbst in der
') Dies sind die gesicherten und mir bekannten Werke Fumees.
Die Bibliotheque universelle (nouv. ed. t. XV p. 289 f.) weiß außerdem
noch zu berichten, es heiße, Fumee habe zusammen mit seinem Bruder
unter dem Pseudonym du gendre d'Alcofribas (eines der Pseudonyme
Rabelais') eine Sammlung von Facetien veröffentlicht. Von diesem
Werke ist aber nirgends eine Spur zu entdecken. Nach Fabricius,
dem Verfasser der Bibliothecagreca, soll er auch Procop „De vEdificiis
übersetzt haben. Paris 1587. fol. Auch dieses Werk habe ich nicht
entdecken können. Möglicherweise liegt eine Verwechselung mit
der im gleichen Jahre im gleichen Format erschienenen Übersetzung
des Gotenkrieges vor.
^) Juvigny, der Herausgeber des Werkes von Lacroix du Maine,
hatte schon die Vermutung ausgesprochen, daß man es mit ein und
derselben Persönlichkeit zu tun habe (t. II p. 101 f.) Aber seine Ver-
mutung ist unbeachtet geblieben, da sowohl die Bibliotheque univer-
selle (Michaud) wie die Nouvelle Biographie generale stets von zwei
Martin Fumee als den Verfassern der in Frage stehenden Werke sprechen.
Auch in dem Katalog der Bibliothek des British Museum ist dieser
Fehler wiederholt.
Martin Fumee's Roman ^^Dii vra]j et parfait amour". 145
fünften Auflage der ,,Histoire ginerale des Indes occidentales"
als Herrn von Genille bezeichnet.
Sind wir auch über die äußeren Lebensumstände Furaees
nur sehr dürftig unterrichtet, so können wir doch aus seinen
Schriften einigermaßen erfahren, welch Geistes Kind er gewesen
ist. Wenn man nur die Titel seiner Werke liest, so fällt einem
die Vielseitigkeit seiner schriftstellerischen Tätigkeit und damit
auch seiner Neigungen und Kenntnisse auf. Die alte und die
neue Geschichte, Amerika und Europa, die religiösen Fragen
der Gegenwart ziehen ihn an, die schöne Literatur lockt ihn,
auch auf ihrem Felde seine Kräfte zu versuchen. Wenn man seine
Werke näher betrachtet, so erkennt man, daß man es mit keinem
Stümper, sondern mit einem schon in jüngeren Jahren recht
ernsthaft gestimmten, gewissenhaft arbeitenden, sehr belesenen
Gelehrten zu tun hat, dem es redlich um Erkenntnis der Wahr-
heit in allen Dingen zu tun ist. ,,Ce pendant qiie ces derniers
troiibles avoient cours, poiir soulager mon esprit greve de veoir
un iemps si calamiteiix, ie prins ce livre en main, Amy Lecteur^
pour te le tradiiire et te donner cognoissance de heaucoup de choses^
desquelles on parle en l'air et par un ouy dire seulement, qiii outre
passant tousioiirs ses bornes, sehn la nature d'un bruict volant^
faict bien souvent changer le vray enjaux\ mit diesen Worten leitet
er sein erstes Werk ein, und diese Wahrheitshebe, die in engster
Beziehung steht mit seiner Vorliebe für die Geschichte und die
ihn im tendenzlosen Aufsuchen und Wiedergeben der Tatsachen
die Pflicht und die Aufgabe des Historikers erblicken läßt, bildet
einen der hervorstechendsten Züge seines Wesens.
Ohne ein hervorragender Mensch und Gelehrter zu sein,
gewannt Martin Fumee die Sympathien dessen, der sich mit
ihm beschäftigt, durch die Ehrlichkeit und Gediegenheit, von
denen sein Streben nach umfassender Kenntnis erfüllt ist.
Er hat nichts Ausschweifendes und Ruheloses an sich, vielmehr
etwas GründHches und fast Pedantisches. Von seiner Zeit hat
er den Drang nach dem Universalen: ^^Voiilant ce monde en esprit
compasser" beginnt ein Sonnet, das er der ,,Histoire generale
des Indes occidentales" vorangestellt hat, aber von jener gärenden
Unruhe, die sie erschüttert und vorwärts treibt, fühlt er wenig
in sich. Im Gegenteil, er liebt den Frieden und bleibt gern bei
dem Altgewohnten. Er schreibt ein ganzes Buch über die reü-
giösen Fragen der Zeit und kommt schließlich zu der Erkenntnis,
man solle das Reden um reUgiöse Dinge am besten lassen, das
führe nur zu Zuchtlosigkeit und Gottlosigkeit. Die Kirche
allein habe sich mit der Religion zu beschäftigen. Am besten
bleibe alles, wie es vor elfhundert Jahren gewesen sei.
Daß ein solcher Mensch, wenn er sich auf dem Felde der
Dichtkunst versucht, kein hinreißendes Kunstwerk schreiben
kann, ist klar. Und so ist denn auch sein Roman kein über-
146 Wahher KiicMer.
ragendes Gebilde geworden, das, aus persönlichster Schöpfer-
kraft geboren, die literarische Entwicklung in neue Bahnen
mit zwingender Macht hätte leiten können.
Aber dieser Roman, so unbeachtet er bisher geblieben ist,
stellt sich doch, gerade weil seine Eigenart aus der Wesensver-
fassung des Autors, trotz des engsten Anschlusses an ein lite-
rarisches Vorbild, entsprungen ist, als eine originelle Schöpfung
dar, die aus dem Entwicklungsgang des französischen Romans
nicht wegzudenken ist, ja, die das Bild der sich vorbereitenden
Entwicklung, des sich gestaltenden Ideals auf ästhetischem
Gebiet in seinen ersten Umrissen zeigt.
Diese Auffassung von dem Werte des Romans steht im
Widerspruch zu der heute allgemein geltenden. Nachdem der
Roman anfangs mit größtem Interesse aufgenommen worden
war, hat sich im Laufe der Zeit das Urteil über ihn erheblich ge-
wandelt. Z. T. weil man über erfolgreicheren Werken, die auch
für die Nachwelt ihren vollen Klang behielten, ihn vergessen,
ihn nicht mehr gelesen und z. T. weil einer dem andern, ohne
eigne Prüfung, das harte Urteil nachgesprochen hat. Huet
nach längeren kritischen Ausführungen war noch zu dem Er-
gebnis gekommen: ,,Cet oui>rage est invente avec esprit, condiiit
cwec art, sententieux, plein de beaux preceptes de Morale, orni
d'une gründe cariete d'images agreahles et jiidicieiisement arrangees."^)
Die „Bibliotheque universelle" vom August 1775 findet das Werk
interessant. Die ,^Bibliotheque des Romans" findet es zwar
nur wenig interessant, aber von nicht gewöhnlicher Art und
gesteht ihm zu ,,rfe grandes beautez et quelques endroits qui sentent
l'antiquite."^^) ,,
Alle neueren Forscher sind zu weniger günstigen Ergebnissen
gekommen. Körting bezeichnet den Roman nur als ,, Prototyp
all der Nachahmungen, die der griechische Roman in Frankreich
hervorrief. "^^) Oeftering behauptet sehr absprechend, die Er-
zählung sei nichts weiteres als ein minderwertiges Pastiche, ein
mißlungenes Konterfei des Heliodorschen Urbildes.^-) Aber
er wiederholt mit diesen Worten nur Chassangs Urteil, der den
Roman ,,ce pastiche mediocre des romans grecs" nennt,^^) und
dasjenige Schoells, der ihn einfach als ,,w7i mauvais livre"
abtut. 14)
») A. a. O. p. 73.
10) T. II p. II.
11) A. a. O. t. I p. 39.
1^) Heliodor und seine Bedeutung für die Literatur (Literar-
historische Forschungen, 18. Heft, Berhn 1901) p. 61.
1^) Histoire du Roman et de ses rapports avec Vhistoire dans Van-
tiquite grecque et latine. Paris 1862, p. 414, Anmerkung.
1*) Histoire de la litterature grecque profane. 2. Aufl. t. V p. 106
Anm.
Martin Fiunh's Roman ,,JJu vray et parfail amoiir\ 147
Ob diese ungünstigen Urteile der Wahrheit entsprechen,
wird die Untersuchung lehren, die ohne Voreingenommenheit,
lediglich auf Grund gewissenhafter Prüfung der den Roman zu-
sammensetzenden Elemente seine wirkliclie Verfassung, sein
Verhältnis zu Heliodor, seine Vorzüge und Schwächen aufweisen
möchte.
II.
I>ei* Inlialt dcsi Koitian!«
,,I>u vray et pai*fait anioui»**.
Der Inhalt des Romans ist in möglichster Kürze folgender.
Während des Krieges der Römer gegen Perseus von Macedonien
ist bei der Einnahme der Stadt Meliböa durch Cn. Octavius eine
junge Griechin, namens Charide, in die Hände des Feldherrn
gefallen, der sie unverzüglich nach Rom sendet, wo er ihr in
seinem Hause großmütig Gastfreundschaft gewährt. Er behandelt
sie, als er dann selbst zurückgekehrt ist, nicht wie eine Kriegs-
gefangene, sondern wie eine Tochter. Das junge Mädchen ist
die Braut eines Atheners, Theogenes mit Namen, der sich hatte
verleiten lassen die Waffen gegen Rom zu ergreifen. Er ist bald
in Gefangenschaft geraten; Charide hat den Schmerz ihn vom
Hause des Octavius aus im Triumphzuge des Paulus Aemilius,
des Oberfeldherrn im macedonischen Kriege, zu erblicken. Theo-
genes soll mit den macedonischen Gefangenen ins Gefängnis
wandern, aber er wird seinem greisen Vater, der aus Athen herbei-
geeilt ist und vor dem Senat um Gnade für den unbesonnenen
Sohn bittet, alsbald freigegeben. Charide erhält von Octavius
selbst die freudige Nachricht. Nicht lange darauf darf sie, von
Dienern des Praetors geleitet, in ihre Heimat zurückkehren.
Während ihres Aufenthaltes im Hause des Octavius hat sie
Freundschaft mit der um viele Jahre älteren Melangenie ge-
schlossen, die dem Haushalt des edlen Römers vorsteht und ihr
auf ihre Bitten ihr leidvolles Leben erzählt. Das Geschick hat
Melangenie früh der elterlichen Fürsorge beraubt, sie ist auf dem
Lande, in der Nähe Karthagos aufgewachsen, hat dann, zur
Jungfrau erblüht, die Liebe eines jungen Kaufmanns aus Salamis,
namens Pherecides, erworben und ist mit ihm entflohen, um in
seiner Heimat seine Gattin zu werden. Sie wird aber unterwegs
durch Räuber von ihm getrennt, gelangt zum Heiligtum des Jupiter
Amnion, lebt dort still mehrere Jahre in Gemeinschaft der
frommen Frauen des Orakels, wird dann von unbestimmter, quäle-
rischer Sehnsucht nach dem verlorenen Freund ergriffen, wagt sich
wieder hinaus in die Welt, fällt bald zur See abermals Räubern in
die Hände, die sie nach Sardinien verkaufen, von wo aus sie nach
148 Walther Küchler.
einiger Zeit in das Haus des Cn. Octavius gelangt, der sie zur
Leiterin seines Haushaltes macht.
Charide, die der neugewonnenen Freundin die Geschichte
ihrer Liebe erzählt hat, verläßt Rom und kehrt über Epidamnia
in die Heimat zurück. Dort findet sie einen Brief von Theogenes
aus Athen. Sie antwortet sogleich und fordert ihn auf zu ihr
zu kommen. Theogenes macht sich, ohne zu zögern, auf den Weg,
sein Schiff wird aber von Piraten überfallen und er selbst nach
Byzanz geschafft. Charide erfährt das Unglück, reist mit dem
Sohn einer Freundin, Adraste, nach Byzanz und kauft den Geliebten
los, mit dem sie nach so langer Trennung ein frohes Wiedersehen
feiert.
Aber das Glück ist ihnen nicht hold. Auf der zu Schiff
erfolgenden Rückkehr werden sie von widrigen Winden in das
schwarze Meer verschlagen und geraten bei der ersten Landung
in die Gewalt der Scythen, die gerade mit dem verwandten Volks-
stamm der Nomaden in Krieg leben. Adraste und Charide,
die beide für keusch befunden werden, sollen zur Herbeiführung
eines glückhchen Ausgangs des Krieges den Göttern geopfert
werden. Theogenes, der bei der Gefangennahme verwundet
worden ist, kann wegen seiner Wunde nach den Gesetzen nicht
zum Opfer zugelassen werden. So ist es ihm möglich, die drohende
Gefahr von den zum Opfertode Bestimmten abzuwenden, indem
er einige Männer und Jungfrauen der Feinde erbeutet, von denen
ein Paar an Stelle der Charide und des Adraste des Opfers für
würdig befunden wird.
Während darauf Theogenes für den Scythenkönig gegen
dessen Feinde kämpft, stellt ein mit dem Schutze der Charide
beauftragter Dolmetscher ihrer Tugend nach. Charide aber
entzieht sich zusammen mit Adraste durch Flucht der Gefahr.
Der Dolmetsch setzt ihnen nach, ohne sie jedoch ergreifen zu
können. Theogenes kehrt aus dem Feldzuge heim, findet Charide
nicht, dafür aber einen von ihr zurückgelassenen, aufklärenden
Brief. Er erwirkt die Hinrichtung des von der vergeblichen Ver-
folgung heimgekommenen Frevlers, eilt der Geflohenen nach
und findet sie wieder.
Nun ist die Zeit ihrer Leiden zu Ende. Sie kehren nach
Meliböa, vorsichtigerweise zu Lande, zurück und feiern dort ihre
Hochzeit. Nach einigen Monaten des Glückes begibt sich der
junge Gatte nach Athen zum Besuche seines Vaters. In seiner
Abwesenheit langt in Meliböa Melangenie an, die Octavius der
Charide auf ihre Bitte gesandt hat. Theogenes kehrt zurück,
um die Gattin dem Vater zuzuführen. Auf der Reise nach Athen
trifft man in Korinth ganz unerwartet den Pherecides, den lang-
verlorenen Freund der Melangenie. Nun können die beiden
altgewordenen Liebenden noch ein spätes Glück finden. In
Argos, im Junotempel, findet ihre Vermählung statt, und dann
Martin Fumee's Roman „Du vray et parfait amour". 149
ziehen alle gemeinsam nach Athen, wo sie in Liebe und Freund-
schaft, Tür an Tür, miteinander ilir Leben zubringen.
IIL
I>ie Quellen de» Roman» und ihre Bearbeitung'.
Eine aufmerksame Lektüre des Romans verhalf mir bald
zu der Einsicht, daß Fumee eine gute Kenntnis antiker Ver-
hältnisse gehabt und Mitteilungen antiker Schriftsteller für die
Komposition des Romans verwendet haben müsse.
Während ich auf der Pariser Nationalbibliothek mit dem
Forschen nach den von Fumee benutzten Quellen beschäftigt
war und die Ai'beit bereits ein gut Stück gefördert hatte, sah ich
wieder einmal Huets Büchlein über den Ursprung des Romans
durch und fand, daß auch ihm eine Anzahl von Stellen des Romans
aufgefallen waren, die sich auf antike Schriftsteller beziehen
mußten, „principalement ä Herodoie, Plutarqiie, Quinte Curce,
lamhlique le Philosophe et Ileliodore, qui sont les grands originaux
d'oä il a tire toute la matiere de son Roman."
Etwa zu gleicher Zeit gelangte in meine Hände das Exemplar
des Romans, das einst Huet in seiner Bibhothek besaß. Und
in diesem Exemplar entdeckte ich eine Reihe von handschrift-
lichen Bemerkungen Huets zu den Quellen einiger Stellen des
Romans. Aus diesen Notizen ergibt sich, daß er auch Entspre-
chungen zu Callimachus, Lucian, Pausanias, Josephus Antonius,
zu Macchiavelli und zur Bibel gefunden hat. Manchmal irrt
sich Huet, vieles ist ihm auch entgangen. Das ist natürhch,
er hat ja nicht ein systematisches Studium der Quellen vor-
genommen, sondern offenbar nur aus der Fülle seiner Kenntnisse
und Erinnerungen heraus die jeweihgen Entsprechungen, die
er aufgezeichnet hat, gefunden.
Dankbar muß ich anerkennen, daß seine Gelehrsamkeit
mir mehr als ein Mal die Arbeit erleichtert hat.
In der Erwägung, daß die Kenntnis der von Fumee benutzten
Quellen und die Ai't ihrer Verwendung durch ihn von der größten
Wichtigkeit für die richtige Beurteilung des Romans ist, wollen
wir nunmehr die Fahrt zu ihnen antreten.
Plutarch.i^)
In höchst wirkungsvoller Weise beginnt der Roman mit
einer Schilderung des Triumphzuges, den Paulus Aemilius nach
^^) Plutarch ist in der Übersetzung Amyots, der sich Fumee
ohne Zweifel bedient hat, zitiert, und zwar nach der Ausgabe der
(Euvres de Plutarque, die zu Paris von 1818 — 1821 in 25 Bänden erschien.
150 Walther ■ Küchler.
Beendigung des Krieges gegen Perseus von Macedonien in Rom
hielt. Sie ist nicht der Phantasie Fumees entsprungen, sondern,
was auch Huet nicht bemerkt hat, der Erzählung Plutarchs in
seiner Lebensbeschreibung des Paulus AemiUus nachgebildet.
Eine vergleichende Betrachtung der Fassung Plutarchs und
der Darstellung Fumees gewährt gleich einen guten Einblick in
die Arbeitsweise des letzteren.
Nach Niederschlagung gegnerischer Intriguen wurde, wie
Plutarch ausführt, dem P. Aemilius der Triumphzug bewilligt,
.Auquel Vordre et la maniere jiit telle-}^) Premierement le peiiple
ayant clresse force escJiaffaux, tcuit es lices oii se fönt les ieiix des
courses de chariols et chevaux que les Latins appellent Circos,
comme ä l'entoiir de la place et aiitres endroits de la ville par oii
l'appareil du triiimphe avoit ä passer., tous se troiwerent avec leurs
heiles 7'obbes, pour en voir la magnificetice . Si estoyent tous les
temples des Dieux ouverts et pleins de festons et de perfums, et y
avoit par tous les quartiers de la ville des sergens et autres ojficiers
tenant des bastons en leurs mains, pour faire retirer la presse et
serrer ceulx qui se jetteroyent ä la foule irop en avant par les carre-
fours et qui iroyent et viendroyent par la ville, ä fin que toutes les
rues fussent i'ides et nettes."
Der Triumphzug verteilte sich auf drei Tage. Plutarch
schildert den ersten und zweiten Tag und fährt dann fort: ,,Le
troisieme iour au plus matin, commencerent ä marcher les trom-
pettes sonnans un son, non point tel que Von le sonne pour marcher
par les champs ny pour faire wie monstre, mais celuy propre que
Von sonne ä une alarme ou un assault pour donner courage aux
soudards quand on est sur le poirict de combatre."
Fumee beginnt den Roman mit dem Sonnenaufgang des
dritten Tages: Als der Sternonglanz erbleicht und über dem
Kapitol die Sonne erscheint, da ist ein jeder schon zum Schauen
bereit, ,,les uns aux fenestres, autres aux partes et aucuns sur
les toicts des maisons et peu par les rues ordonnees pour la monstre
de ce magnifique triumphe, ä raison que les sergens et commis ä
ceste Charge avec leurs verges et haches en main en faisoyent vider
et reculer le peuple, pour laisser la voye plus libre. Les rues estoient
encor toutes tendues comme au iour precedent, de belies et riches
tapisseries. Ses temples ornes cV excellentes tentures et de grandes
et espaisses ramees embellies de certains houquets fagonnez de
diverses f leurs et entreposez par les rameaux. . . . C'estoit une heaute
admirable de voir depuis le plant de la nie iusqu'au plus haut des
maisons choses si exquises que V ceil ne pouvait se rassasier ä la
veue d'icelles, les parois et fenestrages estans revestues de ce que
chaque citoyen avoit de plus precieux entre ses meubles] mesme
estoit une chose singuliere d voir les'visages, la grace et le maintien
Via des hotnrnes illustres l. 3 p. 68 ff.
Martin Fiimee's Roman „Du vray ei parfait atnour" . 151
des ieunes femmes et jilles appuyees et acoudees sur les fenestres,
qui efjagoyent par leur liistre Vexcellence des tableaiix, qui gd et
lä avoyent este attachez par dessus les tapisseries. . . Et par la
Conference qiie Von pouvoit faire de Viine ä l'autre on iiigeoit ayse-
ment de conibien excede la vive beaute celle qui n'a en soy aucun
mouvement. Aussi les rayons, qui estinceloyent du feu naturel
des riches pierreries dont lenrs chefs estoyent ornez esloyent inimi-
tables au peintre qui en avoit represente de semblables en ses
tableaux.
Estant ainsi la ville bien disposee et le peuple simple. . . . estant
ränge fort serrc le long de la rue sans oser s'avancer plus avant que
les sergents et officiers commis ä cest effect leur permeltoyent, estans
par eux repoussez fort rudement avec la hampe de leurs haches
ceux qui par une trop gründe envie iointe ä une indiscretion et
temerite s'advangoyent trop avant pour voir promptement de loing ce
qu'avec le temps ils pouvoyent contempler pres d'eux, on commenga
ä ouyr des trompettes et clairons faisans un bruit et iintamarre
merveilleux, ne sonnans point en fagon d'une feste, ny comme
on a accoustume de faire en quelque resiouissance populaire ou
autre, mais on eust dit qu'e c'estoit encor une seconde alarme et
teile que Hannibal donna une fois aux partes de la ville\ tellement
qu'ä ce bruit aucuns qui ont le coenr plus prompt ä se laisser aller
ä la crainie qu'ä se roydir et s'enfler avec raison et iugement contre
quelque accident que ce soit, imaginoyent soudain, comme la pensee
est plus viste que la parolle, que quelques ennemis entroyent ia
en la ville ayans quelque inlelligence avec aucuns citoyens et avec
les soldats de Paul j^mile. . . Mais iceux voyans que ceux qui
sonnoyent ces trompettes marchoyent plus pausement et plus modeste-
ment que ne requer oit une Invasion de ville, se r'asseurans contemp-
loyent de bon ceil ce qui leur apportoit un grand contentement, se
voyans devoir estre plus asseurez en leurs cceurs par le bonheur
de leur Republique, laquelle se fortifioit et s'estendoit de iour ä
autre, ainsi que ceste feste pompeuse leur en donnoit preuve et
asseurance. Chacun donc estoit fort tendu et tenoit ses yeux fichez
contre-bas la rue, remarquant attentivement tous ceux qui passoyent."
Um mehr als das Vierfache dehnt Fumee diesen Teil der
von Plutarch gegebenen Beschreibung des Triumphzuges aus,
mit dem Erfolge, daß er dem Leser die Buntheit und Bewegtheit
des Augenblicks in plastischer Klarheit zur Anschauung bringt.
Vorzüglich gelingt es ihm, mit geringen Mitteln die Erwartung
und Aufregung der Masse über und in den Straßen zu schildern,
das Drängen des engzusammengepreßten Volkes, die allzugnoße
Neugierde einiger Vorwitziger, die von den Beamten mit rauhen
Gesten zurückgehalten werden und nun wenigstens die Hälse
recken, um recht bald das nahende Schauspiel zu sehen. Aus-
führhcher als Plutarch spricht er von dem Schmuck der Tempel.
Nicht nur feine Gewebe schmücken sie, auch Guirlanden mit
152 Waliher Küchler.
mancherlei Blumen verziert, sind um sie geflochten. Mit ge-
nießender Freude verweilt er bei dem reichen Schmuck der Häuser
und besonders bei der Schönheit der edelsteingeschmückten
Frauen und Mädchen, die sich aus den Fenstern lehnen und so
recht erkennen lassen, wie sehr die lebendige Schönheit die
bewegungslose übertrifft. Der kriegerische Trompetenschall ver-
anlaßt ihn ein wenig Massenpsychologie zu treiben und die Wir-
kung der unerwartet kriegerischen Töne auf die harrende, erregte
Menge zu schildern. ^^)
Historische Erinnerungen, psychologische und künstlerische
Erwägungen, auch die bei Plutarch der Beschreibung des Triumph-
zuges vorangehende Bemerkung, daß die Soldaten des Triumpha-
tors wegen allzu geringer Belohnung unzufrieden mit ihm waren,
müssen ihm dazu dienen, seinem Gemälde neue, wirkungsvolle
Farben zu verleihen.
Im weiteren Verlaufe der Schilderung schheßt sich Fumee
ziemlich getreu an Plutarch an, zeigt jedoch das Bestreben, die
Vorlage durch allerlei Hinzufügungen in beschreibendem Sinne
oder zur Erhöhung der malerischen Anschaulichkeit zu erweitern.
So gleich in dem folgenden, die Darstellung weiterleitenden
Abschnitte, der bei Plutarch- Amyot kurz heißt: ,, Apres lesquelz
suyvoyent six vingts hceujs gras et refaits, ayans toutes les cornes
dorees et les festes couronnees de festons et de chappeaux de fleurs"
und bei Fumee ausführlicher: ^, Apres ces sonneurs de trompettes
marcJioyent d'iin pas pesant deux ä deiix six vingts Bceiijs les
plus grands de corsage et les plus gras qu'on avoit peu choisir,
ayans pres d'un pied de distance d'une corne ä l'autre et le panon
leur pendant quasi iusques sur le iarret, portans leur teste levee
et se ioüans de leur queu'e en iettant le floquet d'icelle sur leur
crouppe comme si de l'estahle on les menoit ä la pasture, estans
toutesfois conduicts pour une fin bien contraire. Car c'estoit pour
victimes qu'on les avoit choisis pour cest effect et pour le merite de la
feste on avoit dore leurs cornes et mis sur leurs testes des chappeaux
de fleurs et de longs festons sur leurs eschines et sur leurs flancs."
Es würde zu weit führen, die vollständigen Beschreibungen
des Triumphzuges bei Plutarch und Fumee vergleichend einander
gegenüberzustellen. Die angeführten Beispiele haben genügend
gezeigt, in welcher Art Fumee seine Vorlage verwertet. Schön-
heitssinn, Freude an unmittelbarer Anschaulichkeit und auch das
Bestreben, ein antikes Sittenbild seinen Lesern vor Augen zu
führen, haben ihn bei der Ausgestaltung seiner Quelle geleitet.
^^; ßei der Beschreibung des zweiten Tages des Triumphzuges
spricht Plutarch von den auf vielen Wagen mitgeführten künstlich
durcheinander geworfenen, klirrenden Waffen der Feinde, deren
bloßer Anblick einen gewissen Schrecken einjagte. Fumee hat wohl
an diese Stelle gedacht, als er den Schrecken der Wartenden über das
Trompetengeschmetter seiner Darstellung hinzufügte.
Martin Fumee's Roman ,,Du vray cf parfait amoiir" . 153
Gelegentlich des Höhepunktes des Zuges, bei dem Auftreten des
gefangenen Perseus, kann er es sich nicht versagen, auch eine
moralische Betrachtung dem Texte Plutarchs hinzuzufügen.
Mitten aus der Bewegung des Triumphzuges, aus dem ein-
drucksvollen historischen Augenblick heraus, dessen Schilderung
die Phantasie des Lesers mächtig ergriffen hat, läßt nun Fumee
in einer glückhchen künstlerischen Eingebung, ganz selbständig,
die romanhafte Handlung herauswachsen. Im Gefolge des ge-
fangenen Fürsten schreitet stolz und aufrechten Ganges ein schöner
Jüngling. Als er vor dem Hause des Praotors Octavius vorüber-
zieht, da erblickt ihn von einem der Fenster dieses Hauses herab
eine schöne, aus Meliböa nach Rom gefülirte Griechin. Charide
erblickt Theogenes, ihren gehebten Freund. In lange Klagereden
bricht sie aus und folgt dem Gefangenen mit den Augen, bis er
ihr entschwindet. Nur ihn sieht sie und nicht den siegreichen
Feldherrn, der auf seinem Triumphwagen wie ein Phoebus glanz-
voll einherzieht.
Soweit die Schilderung des Triumphzugs und seine Ver-
bindung mit der Handlung des Romans.
Die beiden ersten Tage des Triumphes werden an anderer
Stelle des Romans von Melangenie der Charide, ebenfalls nach
Plutarch, erzählt. ^^) Die Beschreibung ist wieder erheblich aus-
führlicher als die Plutarchs. Neue Gesichtspunkte für die Beur-
teilung des Verhältnisses unseres Autors zu seiner Vorlage ergeben
sich nicht, daher darf ein näheres Eingehen auf die Schilderung
füglich unterbleiben.
Am Abend des Tages, der der Charide für ein paar Augen-
blicke ihren Liebsten als Gefangenen gezeigt hatte, findet ein
Freigelassener des Octavius sie traurig in ihrem Zimmer. Er
rühmt ihr zum Trost den Edelmut und die Milde seines Herrn
und übergibt sie dann der Sorge der Melangenie, die auch nichts
Besseres zu tun weiß, als der armen Verlassenen und Liebes-
kranken Trost zu spenden. Ihre Rede ist entlehnt der Trost-
schrift Plutarchs an Apollonius.^^)
Plutarch-Amyot: Fumee i^o)
Or se douloir et se sentit- attaint Si c'est le regret que vous pouvez
au vif pour la perte (Vun jils est avoir avec raison de ce que vous
une douleur qui procede de cause avez perdu, tant vos parens, amis
naturelle et n^est point en nostre que vos biens, qui vous detiennent
puissance. en ielles angoisses, certes c'est une
douleur qui procede de causes
naturelles, lesquelles estans en nous
et procedantes de nous des nostre
18) S. 202 ff.
1^) Gonsolation envoyee ä ApoUonius sur la mort de son fils.
ffiuvres de Plutarque t. 16 p. 210 ff.
20) S. 14 b ff.
154
Walther Küchler.
Plutarch ist nicht der Meinung
derer, die da loben ,,si haultement
je ne sgai quelle brutale et farouche
et sauvage impassibilite," sondern
ist für maßvollen Ausdruck des
Schmerzes.
Der ist weise, der Glück wie
Unglück zu ertragen weiß, ,,ayant
bien propense que c'est ne plus
ne moins comme en un estat popu-
laire, lä oü Von tire les magistrats
au sort, et fault que celuy ä qui
le sort eschet, commande; et celuy
qui en est frustre porte patiemment
le refus de fortune: ainsi fault il
qu'en la distribution des evene-
ments et succes des affaires, il se
contente, sans plainle ny resistence,
de ce que la fortune luy envoye;
car ceux qui ne peuvent faire cela,
ne pourroient non plus supporter
sagement et modereement de grandes
prosperitez . . .
Das beste Mittel zu dieser
schmerzlosen Ruhe des Geistes
zu gelangen besteht darin, sich
mit Hilfe der Vernunft von langer
Hand gegen alle Wechselfälle des
Geschickes zu wappnen. ,,car
il ne se faut pas seulement recog-
noistre niortel, mais aussi attache
ä une vie mar teile et ä des affaires
qui facilenient se changent d'un
estat en un autre tout contraire.
Car certainement et les corps des
hommes sont mortels et caduques
et leurs fortunes mortelles, et leurs
passions et affections aussi, et
generalement tout ce qui est ou
appartient ä la vie humaine . . .
Hesiod schreibt, Pandora habe
das P'aß mit den Leiden geöffnet,
so daß
Rien ne resta que V esperance seule
Dans ce fort muy, soubs le bord
de sa sueule.
premiere conformite,foHtqu' icelle soit
excusable, n'estans les premiers mou-
vemens en la puissance de V komme.
Mais comme les occasions prece-
dentes servans de raison aux
effects, qui s^ensuivent d^icelles,
doyvent estre prinses et empoignees
Selon que la necessite le requiert
par les plus sages, ainsi devons
nous faire paroistre nos peines
et ennuis, autant que nous pen-
sions la douleur nous pouvoir
apporter quelque consolation.
Durch Selbsterkenntnis und
weisen Zuspruch müssen wir un-
serem Schmerze Linderung ver-
schaffen „et penser ä ce que nous
sommes, estans crcez par le grand
Dieu ainsi que la creation et In-
stitution d'une Republique popu-
laire, en laquelle on tire au sort
pour parvenir aux Estats d' icelle,
lä oü celuy, qui a este fruslre de
son attente obeist volontiers ä
celuy, qui en est pourveu; estant
raisonnable que de mesme nous
nous compotitons es accidens de
fortune, laquelle les distribue bons
ä quelques-uns et mauvais ä d^autres
pour lesquels il ne faut nous esto-
maquer conlre eile. Car faisant
autrement c'est nous declarer com-
bien nous serions insupporlables
es prosperitez d'icelle, qui est un
vice fort ennuyeux ä chacun ....
Den Göttern muß man gehor-
chen. ,,Ils nous ont donne la vie,
mais suiette ä la mort, de laquelle
komme, qui iamais aye este en-
gendre au monde, n'a peu s'exemp-
ter quelque art qu'il aye peu
apprendre. Nos humeurs, nos
passions et Jios affections estans
nostres sont semblablement mor-
telles et ne peuvent estre de duree
non plus que nous. Aussi sont
les evenemens tant bons que mau-
vais que la fortune nous envoye . . .
ä quoy nous sert ceste esperance que
Pandore nous a reservee pour
prendre patience en nos adversitez.
Martin Fiitnee's Roman ,^Du crai/ et parjail amour" . 155
Ziemlich genau dem Sinne nach, gewöhnlich frei umschrei-
bend, doch auch die gleichen Wörter und Wendungen nicht ver-
schmähend, schließt sich die Trostredo der Melangenie in ihrem
größten Teile an die angeführten Stellen aus der Trostepistel
Plutarchs an.
Die ernsten und doch freundlichen Worte erfüllen Gharide
mit Vertrauen zu der Sprecherin. Sie bekennt, daß der Grund
ihres Kummers in dem Unglück ihrer Liebe zu suchen sei. Ihr
Geständnis gibt der Melangenie Veranlassung zu einer neuen
größeren Rede über die Liebe.
Die Rede beginnt mit der Plutarchs Tischgesprächen-^) ent-
lehnten Bemerkung, daß die Liebe ^^estand habillarct'' sich nicht
verhehlen könne, und inspiriert sich dann in ihrem weiteren
Verlaufe aus dem Dialog über die Liebe.
Plutarch-Amyot :22)
Je dis doncques en soniine que
Le ravissernent et enthusiasme des
aimants ri'est point sans divinite . .
Nous sommes contraincts par
manifeste evidence de croire que
Vaccident de Varc en ciel n'est
autre qu'une reflexion du. vray
de nostre veue qui donne dedans
une nuee humide, egale et mo-
yennant espesse, oü eile rencontre
et tauche au Soleil, en voiant par
reflexion sa clarte et lueur, eile
imprime en nostre entendement
ceste opinion que teile apparition
soit emprainte dedans la nuee.
Teile est V ingenieuse habilite et
subtile invention de Vamour, qui
es ames gentilles et bien nees fait
une reflexion de memoire de beau-
tez qui apparoissent et sont ainsi
nommees icy au regard de celle
divine, veritablement aimable, heu-
reuse et admirable beaute, mais
la plus part des hommes vulgaires,
poursuivants et maniants une image
dHcelle qui apparoit es belles et
ieunes personnes, ne plus ne moins
que dans des miroirs, h'en peuvent
tirer fruict aucun plus asseure
ne certain, que un peu de volupte
Fumöe:^^)
Die Liebe ist eine die mensch-
liche Kraft übersteigende Raserei.
„amenant avec soy une alienation
de Ventendement humain, lequel
les vostres ont voulu nommer
Enthusiasme, i^oulans couvrir ceste
passion sous inspiration ou re-
pletion de puissance divine.
Sie sagen: Amour estant un
Dieu ne pouvoir inspirer en nous
que choses divines et que les obiects
des beautez que nous voyons ne
doivent servir ä nos sens naturels
que d'un miroir et representation
de la beaute divine, ä laquelle
cest Amour doit eslever nos desirs,
demeurans amoureux pudiques
et chastes sans s^amuser trop ä
la contemplation des corps humains
et terrestres, laquelle engendre et
nous propose lors un Amour
conirefait et bastard, comme ils
Vappellent, ainsi qu'est Varc du
ciel, aux couleurs et beaute duquel
les enfans s^amusent et le pensent
nianier y aprochans les mains,
sans considerer qui est Vautheur
d'iceluy et d'ou il procede et ce
qu'il represente. Et continuans
leurs discours philosophiques disent
qu^ä cest Amour on luy attribue
des aisles pour monstrer que nous
devions avec luy eslever, comme en
Volant, nostre intellect vers la divi-
nite et la nous sanctifier et demeurer
21) Des propos de Table I 5. T. 18 p. 43.
22 ) De l'Amour. § 39 und dann besonders § 57 und 58 (CEuvres t. 22).
23) S. 18 f.
Ztschr. U frz. Spr. u. Litt. XXXVII'
11
156 WaUher Küchler.
meslee de douleur, ce qui ri'est autre tousiours autour de ce Dieu. Je
chose qiCun esblouissement et erreur ne fais point de doute que vous
du vulgaire, qui en des nuees et estant Grecque et de maison teile
des umbres cherche et poursuit que ie pense, n'ayez apris tels
en vain le contentement de son discours, qui vous peuvent estre
desir, ne plus ne moins que les en- plus cogneus qu'ä moy estrangere
fants qui taschent ä prendre ä et que suivant iceux n'ayez conduil
helles mains Varc en ciel, attirez vostre Amour, remettant seulement
et trompez par Vespece qui apparoit devant vos yeux la beaute de quelque
ä leurs yeux; mais Vanioureux personnage que vous pouvez avoir
konneste, pudicque et chaste fait veu ce iourd'huy entre les captifs
bien autrenient, car il esleve son de vostre pays comme un instrument
desir de lä vers la divine, spirituelle et memoire des choses intellec-
et intellectuelle beaute et rencon- tuelles et spirituelles qui sont en
tränt la beaute d'un corps visible, Ventendement divin, enjlammanl
s^en sert comme d^un instrument d'avantage vostre pensee vers la
de sa memoire, Vaime et le caresse, contemplation d' icelies, en hantant,
et en conversant et hantant avec conversant, caressant et aymant
luy, d^aise et de ioye enflamme ceste beaute corporelle autant pour
encore sa pensee d'avantage ... le moins qü'il vous peut estre au-
Celuy qui veritablement est amou- iourd'huy permis; ne voulant penser
reux et aiant approche des vrayes que ce soit autre Amour impudique,
beautez, autant comme il est loysible qui cause en vous telles passions . .
ä Vhomme, prend des aeles, devient
sanctifie et demeure pour tout
iamais lä sus, ballant et se prome-
nant tousiours alentour de son
Dieu.
An sich mag es pedantisch und einfältig sein, einem schmerz-
gebeugten Menschenkind, dem die Reinheit auf der Stirn ge-
schrieben steht, eine solche Rede über die platonische Liebe zu
halten. Uns interessiert in diesem Augenblicke nicht die Frage
des inneren Taktgefühls, sondern nur die rein äußerhche Tatsache,
daß Fumee aus dem Texte Plutarchs eine Rede gemacht hat,
welche die entlehnten Gedanken allgemeiner Art mit den durch
den Roman gegebenen besonderen Personen und Verhältnissen
in Verbindung zu setzen weiß.
Auf ihrer Reise in die Heimat steigt Charide im Hause des
Poleten von Epidamnus ab. Kaum angekommen, läßt sie sich
zum Altar der Schutzgötter führen, um ihnen zu danken für die
Aufnahme und dem Neptun für die glückhche Fahrt. Man führt
sie durch einen langen Gang, der Zugang zu zwei oder drei Zim-
mern gewährt, in einen kleinen, nur zwei Quadratfuß großen,
steinbelegten, sehr dunklen Raum, in dem man nur mit Mühe
die Formen der Penaten erkennen kann. Die Penaten sind zwei,
zwei Fuß hohe, in Nischen stehende Holzfiguren, sie stellen
Jünglinge dar, die mit Hundefellen bedeckt sind. Vor ihnen
befindet sich ein kleiner Altar, in dessen ausgehöhlter Mitte noch
ein wenig Kohle gUmmt. Neben dem Altar, ein wenig erhöht,
ist eine steinerne Hundefigur zu sehen, mit ausgestrecktem Hals,
Martin Fumee's Roman „Du vray et parfait amour" . 157
gehobener Nase, offenem Maul, sich reckend auf den vorwärts
gestreckten Vorderbeinen. Der Polet rührt die Kohle um, zündet
sie an und reicht Gharide Mohnköpfc, die sie nach Verrichtung
des Gebets auf das Feuer streut.
Während des Abendessens erkundigt sich Gharide bei ihrem
Wirt, warum man in den heiligen Räumen der Häuser nur diese
beiden Götter, die man Laren oder Penaten nenne, habe. Bereit-
willigst erteilt ihr der Polet Auskunft über die Penaten. Gastor und
Pollux, die Brüder der Helena, wie manche glauben, könnten es
nicht sein, da die Laren schon vor dem troischen Kriege, während
dessen die beiden Brüder noch lebten, verehrt worden wären.
Die Penaten seien vielmehr — so viel sei von seiner Erklärung
in diesem Zusammenhange angeführt — die Dämonen „que nous
disons estre gardiens et tutelaires de chaque chose^ n'estant ville,
pays, Republique, Royaume, ny mesme komme particulier, qui
n'aye deux Daimons pour sa garde". Den Grund, weswegen sie
mit Hundefell bedeckt sind und warum ein Hund neben ihnen
steht, gibt dann der Polet nach Plutarch-Amyot, Demandes
romaines: „Pourquoy est-ce qu'aupres des Lares que proprement
ils appellent Prsestites, ils mettent un chien et eux sont revestus
de peaux de chiens?"-'^)
Im Anschlüsse an die Unterhaltung über die Penaten gibt
der in religiösen Dingen wohlbewanderte Polet seinem jungen
Gaste Auskunft über das Wesen der Gottheit überhaupt.'"^^)
Nachdem er zunächst ausein- Fkitarch-Amyot:
andergesetzt hat, daß die Priester Etwa: „Et usent les presbtres
allerlei geheime Zeremonien für ^g marques et de mysteres aucuns
den Opferdienst erfunden und pi^g obscurs autres plus clairs
diese mit Hülfe von dunklen ^^wr conduire nostre entendement
Fabeln erklärt hätten, in der ^ ^^ cognoissance de la divinite
Absicht das Volk im Ungewissen (j)g jgis et d'Osiris § 66).26)
zu halten und dadurch enger an
die Gottheit zu fesseln,
erläutert er, was Kaufleute aus Mais lä ou tous les autres villes
Theben ihm während seines Auf ent- et peuples de VMgypte contribuent la
haltesin Alexandria über die wahre quote qui leur est imposee pour jaire
Gottheit gelehrt haben. Sie haben protraire et peindre les animaux
ihm gesagt, daß die allgemein ge- que Von y honore, ceux qui habitenl
glaubten Fabeln nicht wörtlich en la contree Thebdide seuls entre
zu nehmen seien, mais que comme tous n'y donnent rien, estimans
il ri'y avoit qu'un nionde et qü'un que rien qui soit mortel ne peult
ciel, il ri'y avoit aussi qu'un Dieu, estre Dieu, ains celuy seul qu'ils
lequel ils nommoyent Cnephaeos, appellent Cnef, qui iamais ne
qui signifie invisible. nasquist ne iamais ne rnourra.
(Ebda § 21)
Ce qui approchoit fort ä ce que Piaton aitribue eux Dieux
nos Philosophes Grecs relevoyent Olympiques et Celestes taut ce qui
et cachoyent sous ceste distri- est dextre et non pair et tont
24) (Euvres de Plutarche t. 21 p. 293 f.
25) S. 235 f.
26) t. 17, p. 313.
11*
158
Waltker Küchler.
bution de nombre pair et impair,
donnans V impair aux Dieux et
le pair aux Daimons, voulans par
cela monstrer que encor qu'il y
eust plusieurs Dieux, il y en avoit
toutefois un, qui restoit seul, c'est
ä dire commandant ä tout . . .
Jceux disoyent que cet invisible
iamais rCeut naissance et qu^aussi
il ne prendroit iamais jin, qu'en
iceluy estoit la providence souve-
raine, par laquelle il fait bien ä tout
ce qui est du monde et par laquelle
il a ordonne divinement et pru-
demment toutes les choses divines.
De son ordonnance dependent
les consequences des naissances et
actions des choses humaines et
mondaines, lesquelles procedantes
de ceste Deite supresme, retiennent
de leur origine un estre divin,
qui a donne occasion ä nos premiers
Theologiens d'inventer la naissance
des Dieux, c'est ä dire des actions
diverses de ceste grande Deite,
constituans les uns plus grands
et plus puissans que les autres
Et parce que ces actions
et meslanges naturelles procedantes
de Vordonnance du seul Dieu
souverain, s' acheminent avec un
ordre certain et immuable on a
ä icelies adiuge une seconde pro-
vidence, suyvant laquelle on pense
iceux Dieux operer et icelle pro-
ceder d'eux . . .
Die Menschen werden gelenkt
und regiert von diesem höchsten
Gott, aber durch Vermittlung,
und zwar durch die in der Luft
befindlichen Dämonen.
Hesiode les nomine autrement Es-
prits vestus d'une substance aeree
et les estime saincts, ayant la
garde des humains.
Aiceux on attribue une tierce
espece de providence, ä cause
de la Charge qu'ils ont pour nostre
conservation.
ce qui est senestre et pair aux
X)a?mons (Ebda. §24). An anderer
Stelle wird auch eine ähnliche
Anschauung der Pythagoräer von
Plutarch mitgeteilt.
La providence doncques supre-
me et premiere est V intelligence
et volonte du premier et souverain
Dieu, qui fait bien ä tout ce qui
est au monde, par laquelle toutes
Les choses divines en tout et par-
tout ont este tres bien et tres sage-
ment ordonnez et disposees.
La seconde providence est celle des
seconds Dieux qui vont par le
Ciel, par laquelle les choses tem-
porelles et mortelles s'engendrent
et ordonneement et regleement et
ce qui appartient ä la conversation
et continuation de chaque genre
des choses. (De la fatale destinee
§ 20).27)
Der Gedanke, daß die übrigen
Götter durch Geburt von dem
einzigen, ewigen und unsterb-
lichen Gott abstammen, findet
sich nicht hier, sondern in dem
Dialog ,,Des Oracles qui ont cesse
§ 27.28)
Im 51. und 52. Kapitel der
gleichen Schrift werden Verse
Hesiods über die Natur der
Dämonen wiedergegeben, die
lauten:
Esprits vestus de substance aerec
Allans par tout' la terre labouree.
Und
Saincts habitans dessus la terre tarde,
Pour des humains mortels avoir
la garde.
La troisieme [providence) se peut
vray-semblablement appeller la pro-
vidence des Demons qui sont parmy
la terre, ordonnez pour observer et
regir les actions des hommes (De
la fatale destinee § 20).
2') t. 19 p. 372.
28) t. 17 p. 370.
Martin Fumee's Roman „Du vray et parfait amour". 159
Das Altertum liat außerdem Hesiod hat zuerst vier Arten
noch Halbgötter angenommen, vernünftiger Wesen unterschieden,
mehr aus Schmeichelei gegen die die Götter, die Dämonen, die
Großen, als weil es in Wirklich- Halbgötter und die Menschen . . .
keit welche gäbe . . . (Des oracles qui ont cesse § 17.)
. . . Anfangs war die Religion
des Menschen nichts anderes als
ein Verlangen nach Erkenntnis
des höchsten Gottes, um ihn an-
zubeten und ihm für seine Wonl-
taten zu danken. Dieses Ver-
langen war damals der wahre
und einzige Gottesdienst. Depuis
les naturalistes et Mythologiens
coiwrans leur philosophie naturelle
tiree des cnnsequences des choses
crees et ordonneez premierement
de Dieu, avec leurs fahles, pour
denoter ä quel Dieu, c'est ä dire
quelle action du Souverain ils
\>ouloyent adresser leurs prieres,
ils inventerent les sacrifices.
Sodann nach längeren, nichts
neues bringenden Ausführungen:
Pour montrer que res Dieux et le
grand Dieu rCest qu'un, an void . .
en la ville de Says . . . une image
de Pallas, sous laquelle sont escris
ces mots: Je suis tout ce qui onques
a este, qui est et qui sera et aucun
niortel rt'a encore sceu descouvrir
inon voyle.
Aus drei verschiedenen Schriften Plutarchs trägt sich
Fumee die Ausführungen, die er dem Poleten über das Wesen
der Gottheit in den Mund legt, zusammen. Er hält sich
häufig genau an seine Vorlagen, aber seine genaue Kenntnis
der Schriften des alten Philosophen erlaubt ihm auch, dann
und wann mit eigenen Worten den Sinn von Plutarchs Lehre
wiederzugehen.
Noch an einer anderen Stelle nimmt er Veranlassung, sich
über götthche Dinge, und zwar besonders über die Dämonen
und das Verhältnis der Menschen zu ihnen zu äußern.-^)
Die durch Krankheit im Heihgtum des Jupiter Ammon
zurückgehaltene, über die Trennung von ihrem Pherecides
trauernde Melangenie tröstet eine der frommen Frauen. Sie
finde ihren Schmerz begreif hch. Die MenschUchkeit in uns
äußere sich auf diese Weise in solchen Herzen, die nicht kalt
und hart wie Marmor seien. So sagt sie ihr, etwa nach ähnlichen
Äußerungen Plutarchs in der Trostschrift an Apollonius. Dann führt
sie die Dämonen ein. Die guten Dämonen seien auch solchen
Leidenschaften unterworfen, wenn sie die Herrschaft über eine
Wer in den ägyptischen Priester-
orden aufgenommen wurde, dem
wurden mitgeteilt „les secrets de
leur Philosophie, qui couvroit plu-
sieurs mysteres soubs le voile de
fahles et souhs des propos qui
obscurement monstroient et don-
noient ä veoir ä travers la verite . . .
(De Isis et d'Osiris § 7).
En la ville de Sais l' image de
Pallas, qu'ils estiment estre Isis^
avoit une teile inscription: Je
suis tout ce qui a este, qui est et
qui sera iamais, et n'y a encore
eu homme mortel qui rn'ait des-
couverte de mon voile (Ebda. § 8).
2») S. 104 ff.
160 WaÜker Küchler.
ihnen anvertraute, tugendhafte Seele, die sich vom Körper löse
und in den Himmel eingehe, verlören. Denn wenn sie sich dieser
inniggeliebten Seelen beraubt sähen, erhöben sie in der Luft
ein Geheul, erregten Stürme und verfinsterten die Luft mit
großen, dunklen Wolken. Manchmal auch klagten sie mit mensch-
lichen Lauten und verkündeten mit schrecklicher Stimme den
Tod einer großen Persönlichkeit, die sie in ihrem Schutze gehabt
hätten.
Es scheint, als ob Fumee, indem er solches ausführt, Plutarch
falsch verstanden hätte.
In seiner Schrift nämlich ^,Des Oracles qui ont cesse" führt
Plutarch aus, es sei als sicher erwiesen, daß es neutrale und
mittlere Naturen gebe, die, an die Grenzen des Göttlichen
und Menschlichen rührend, seien ^^sub/ectes aux passions
mortelles" . Diese Naturen seien die Dämonen. ^^) Soweit
entlehnt Fumee richtig. Daß die guten Dämonen beim Tode
der ihr anvertrauten Seele eines bedeutenden, tugendhaften
Menschen Geschrei erheben, Sturm erregen und die Luft ver-
dunkeln, sagt aber Plutarch nirgends. Dagegen spricht er in
anderem Zusammenhang von solchem Treiben der Dämonen.^^)
Nämlich da, wo er vom Tode des großen Pan spricht, um
zu beweisen, daß auch die Dämonen sterblich seien. Er läßt
einen der Interlocutoren desselben Dialogs nach Hörensagen
berichten, wie einmal bei Windstille von der Insel Paxes
aus eine laute Stimme dreimal den Namen des Steuermannes
eines vorüberfahrenden Schiffes gerufen und ihm aufgetragen
habe, an einem bestimmten Orte zu verkünden, der große Pan
sei tot.
Der Steuermann, an der bezeichneten Stelle angekommen,
führt seinen Auftrag aus. Kaum hat er die Worte gesprochen,
da hört man einen großen Lärm wie von mehreren klagenden
Stimmen. Die Nachricht von diesem merkwürdigen Vorfalle
wird nach Rom gebracht. Der Kaiser Tiberius läßt nachforschen,
wer dieser Pan sei, und die Gelehrten meinen, es müsse der Sohn
der Penelope und des Merkur sein.
Ein anderer Teilnehmer erzählt sodann, daß in der Gegend
der Bretagne mehrere öde Inseln seien, die man dort die Inseln
der Dämonen und Halbgötter nenne. Er selbst sei im Auftrage
des Kaisers hingegangen, um Erkundigungen über sie einzuziehen.
Kurze Zeit nach seiner Ankunft habe sich das Wetter in erstaun-
licher Weise getrübt und ein furchtbarer, von Donnern begleiteter
Sturm habe sich erhoben. Nach Beendigung des Unwetters
hätten ihm die Einwohner erklärt, einer von den Dämonen
und Halbgöttern sei gestorben. Denn wie eine Lampe, wenn sie
3») § 19, t 17, p. 358.
") § 26 u. 27.
Martin Fiimee's Roman „Du vray et parfait amour" . 161
ausgehe, üblen Geruch verbreite, so sei es auch mit den großen
Seelen. So lange sie leuchteten, seien sie milde und liebUch,
aber wenn sie auslöschten, dann erregten sie Gewitter und große
Stürme und verpesteten wohl auch manchmal die Luft mit an-
steckenden Krankheiten.
Es ist sehr wohl möghch, daß Fumec sicli dieser Stelle er-
innert, aber vergessen hat, daß es sich um den Tod von Dämonen
handelt. Wahrscheinlich hat er auch nicht verstanden, wer der
große Pan sei. Ihn hat er wohl für eine der großen Persönlich-
keiten gehalten, von denen er spricht, und geglaubt, er sei eine
von den Seelen, die unter dem Schutze der Dämonen ständen.
Da auch Plutarch von Pan keine genaue Vorstellung hat, so wdrd
sein Mißverständnis um so eher begreif hch.
Die fromme Frau hat deswegen die Dämonen erwähnt, weil sie
diese der Melangenie als Beispiel vorstellen möchte. Die Dämonen
sind zwar menschlichen Leidenschaften unterworfen, aber da sie
zugleich am Göttlichen Teil haben, so sind ihre Leidenschaften
nicht von langer Dauer. Ebenso sei der Mensch Köfper und
Geist, den Leidenschaften Untertan und fähig, sich durch die
Vernunft über sie zu erheben. An der Hand platonischer Ge-
danken vom Gefängnis des Körpers und dem geistigen Prinzip,
dem wir entstammen, richtet die fromme Frau Melangenie in
ihrer Betrübnis auf.
Es ist nicht ganz unmöglich, daß Fumee den Phaidon Piatos
selbst verwertet hat, engere Anlehnungen finden sich nicht.
WahrscheinUch hat er sich damit begnügt, aus Plutarchs Schrift
,,Z)e la vertu morale^^^^) einige in Betracht kommende Stellen
zu umschreiben.
Sicherlich nicht aus Plato, sondern ebenfalls aus Plutarch
ist ihm geläufig der Mythus von Penia und Porus, den Plato
im Symposion erzählt. In sehr geschickter Weise hat er ihn in
die Handlung des Romans verwoben.^^) Charide bedauert dem
Poleten gegenüber, daß sie so unwissend sei und immer nur ja
oder nein antworten könne. Sie vergleicht sich mit jener Penia
„l quelle de soy-mesme est tousiours indigente, ne pouvant rien
donner de soy et appettant l'autruy pour se parer, pour
s'embellir et pour s'enrichir.^'' Und so möchte sie auch von ihm
täglich lernen, um ihren groben Geist zu bilden. Der Polet, als
guter Kenner aller mythologischen Dinge, bleibt in seiner Ant-
wort im Bilde, wenn er entgegnet, da sie sich für Penia halte,
so wolle sie also, daß er die Person des Porus spiele. Das aber
32) CEuvres de Plutarque t. 13. Zu S. 105a bei Fumee Avürden
etwa passen die Worte : Uojfice doncques de la raison active selon nature
est d^oster et retrencher tous exces et toutes defectuositez aiix passions,
und eile imprime en la partie irraisonnable les vertus morales qui sont
mediocritez entre le peu et le trop (§ 10).
33) S. 257b f.
162 Walther Küchler.
sei Sache des Theogenes. Und dann wird er höflich und galant-
Zwar bedeute Penia das weibliche und Porus das männUche
Element, aber man könne jedem von beiden den einen und den
anderen Namen beilegen „puisque Penia nous signifie La mattere
indigente, rüde et grassiere, et Porus nous denote ahondance ei
richesse desirable et aymable ä cause de sa plenitude et de sa per-
fection". Diesearme und rauhe Materie könne man aber ebenso-
gut dem Manne wie dem Weibe zusprechen; und vielleicht täusche
er sich nicht, wenn er sie, Charide, eher für Porus als Penia halte,
n'estant Theogenes que ceste matiere sans forme, qui pour s'embellir
a hesoing de ce qui est exquis et ahondant en vous. Doch er will
keinem Unrecht tun. Sie beide sind, glaubt er, Hermaphroditus.
Sie beide sind arm und reich zugleich. Der Überfluß des einen
hilft der Bedürftigkeit des anderen. Einer allein kann das Kind
der Liebe, das der Vereinigung von Penia und Porus entspringt,
nicht erzeugen, es müßte denn die falsche Liebe sein, die man
Philautos nennt. %
In „De Iris et d'Osiris''^ erzählt Plutarch nach Plato: „Penia,
c'est ä dire pauvrete, desirant avoir des enfans, s'alla coucher au
long de Porus, c'est d dire richesse, qui dormoit et que ayant este
engrossie de luy, eile enjanta amour. . . Porus ist der gute, weise
Vater; Penia, die Mutter, ist arm und bedürftig, et qui pour
son indigence appete autruy . . . car Porus n'est autre chose que
le premier aimahle, desirable, parfaict et n' ayant hesoing de rien,
et . . . Penia la matiere qui de soy-mesme est tousiours indigente
du bien. . ."^^)
Kaum minder geschickt verwendet der Polet in seiner Unter-
haltung mit Charide über ihre Liebe zu Theogenes eine andere
Bemerkung, die Fumee bei Plutarch gefunden hat. Er ver-
sichert der Charide, daß sie beide mit gutem Grunde von Liebe
zueinander ergriffen seien; denn sie seien doch kein Liebespaar
nach Art der Stoiker, die, wie sie sagen, ihre Liebe nur häßlichen
Personen zuwenden. Zwar behaupten sie dieses Paradox da-
durch zu erklären, daß sie unter den Häßlichen die Lasterhaften
verstehen, die man lieben müsse, um sie zu bessern und auf den
Weg der Tugend zurückzuführen, und daß die Liebe nach voll-
brachter Besserung sich von diesen ab- und anderen, mit dem-
selben Übel Behafteten, zuwenden müsse, um bei ihnen die
gleiche Tätigkeit auszuüben; aber die Liebe, die zwischen euch
Beiden wohnt, so schließt der Polet, hat es nicht nötig, einen
von euch vom Laster zur Tugend zu bekehren.^^)
Zweimal spricht Plutarch von dieser Meinung der Stoiker.
In den „Propos estranges des Stotques'' und in „Des communes
conceptions contre les Stoiques''. An der letzteren Stelle, die
3*) (Euvres de Plutarque t. 17. p. 302 (§ 56).
35) S. 254a f.
Martin Fumee's Roman ,,Dii vray et parfail arnoiir\ 163
ihrem Wortlaut nach den Ausführungen des Poletcn am nächsten
steht, heißt es: ,,/k disent que les ieunes gens sont laids estans
vicieux et fols, et que les sages seuls sont beaiix et que de ces heaux
lä, nul iamais n'a este aime ny digne d'estre aime. Et cela n'est
pas encore le plus estrange, mais ils disent que ceulx qui sont
airnez pour ce qu'ils sont laids, cessent d'estre aimez quand ils
sont devenus beaux."'^*^) Wie der Polet, bezeichnet auch Plutarch
in seiner Polemik die Ansichten der Stoiker mehrere Male als
paradoxal.
Man wird sich vielleicht schon gefragt haben, was für
eine Persönlichkeit denn dieser Polet, der so gut in der Theo-
logie und Philosophie der Alten Bescheid weiß, eigentlich ist. Auf
sehr ungezwungene Weise erhalten wir im Roman selbst Aus-
kunft über ihn.-^')
Gharide hat die erste Nacht sehr gut in seinem Hause ge-
schlafen, erwacht erst, als es heller Tag geworden ist und findet,
als sie ihr Zimmer verlassen hat, den Gastherrn nicht mehr
<laheim. Auf ihr Befragen teilt einer seiner Diener ihr mit, es
sei am frühen Morgen ein Schiff in den Hafen eingelaufen, und
mehrere Kaufleute der Stadt hätten seinen Herrn geholt, um
nachzusehen, welche Waren das Schiff führe. Gharide gibt der
Meinung Ausdruck, der Herr Polet sei wohl einer der reichsten
Kaufleute der Stadt. Doch der Diener belehrt sie, daß sein
Herr nicht Polet heiße und auch kein Kaufmann sei. Er übe
vielmehr das Amt aus, die Waren der ankommenden Schiffe
auf ihre Güte und Echtheit hin zu prüfen und den Verkaufspreis
zu bestimmen. Eine besondere Vergütung für seine Tätigkeit
erhalte er nicht, er beziehe nur das Einkommen, das ihm als
Mitghed der Stadtverwaltung zukomme. Er gibt sodann aus-
führUch an, wie die Stadt dazu gekommen sei, dieses Amt ein-
zurichten. Seine Angaben stimmen genau überein mit denen,
die Plutarch in den „Demandes des choses grecques" über diesen
Gegenstand macht.^^)
Außer der Beschreibung des Triumphzuges und neben den
längeren Reden und Gesprächen über moralische, philosophische
und rehgiöse Gegenstände, entlehnt Fumee den Werken Plutarchs
noch eine große Menge mannigfacher Nachrichten und verarbeitet
sie in seinem Roman, Sie alle anzugeben würde zu weit führen,
aber je mehr wir von ihnen in der Art ihrer Verwendung kennen
lernen, ein um so getreueres Bild von der Zusammensetzung
des Romans können wir uns bilden.
3«) t. 20 p. 381 (§ 33).
3') S. 242a f.
^^) Qu'est-ce que les Epidamniens qui sont ceux de la ville de
Duras appellent Poletes, c^est ä dire le vendeur. T. 21, p. 379.
164 Walther Küchler.
Als Octavius seinen Triumphzug zu Wasser gefeiert hat,^^)
begibt er sich nach einem dem Jupiter dargebrachten Opfer,
von einigen Freunden begleitet, in sein Haus. Nach dem Bade
beginnt das Mahl, während dessen man nur von dem Kriege
gegen Perseus spricht. Hinter Octavius steht ein Sklave, „qui
avec sornettes ne le faisoit que brocquarder, le piquant souvent avec
parolles aigres et qui eussent este insup portables ä autres personnes."
Octavius jedoch läßt sich nicht aus seiner Ruhe bringen. Das
Verhalten des Sklaven entspricht einem alten Brauch „ainsi
ordonne d'anciennete pour cognoistre la grace, la constance et la
temperance que doit avoir celuy qui par ses vertus helliqueuses
obtient ce bei honneur de triomphe."
Fumee scheint diesen Zug aus einer Angabe Plutarchs im
Leben des Paulus Aemilius entlehnt zu haben. Plutarch erzählt,
daß dem Triumphwagen des Feldherrn seine Soldaten folgten,
die Siegeslieder sangen, meslans parmy quelques brocardes et traicts
de risee sur leur capitaine^^) Was Plutarch vom Triumphzug
erzählt, hätte also Fumee mit einiger Veränderung und morali-
sierender Nutzanwendung auf das Gastmahl übertragen.
Nach Beendigung der Mahlzeit erfolgt die Spende an die
Götter, jeder der Teilnehmer setzt sich einen Blumenkranz aufs
Haupt, und alle stimmen ein Lied zu Ehren des Bacchus an.
Dann singt ein jeder in Nachahmung griechischer Sitte ein Lied
zum Preise einer anderen Gottheit, wobei ein in bestimmter
Ordnung von Hand zu Hand wandernder Myrtenzweig die Reihen-
folge bestimmt. Wer zur Leier spielen kann, übt seine Kunst.
Zum Schluß läßt Octavius persische Leierspielerinnen und
-Sängerinnen auftreten, deren Spiel und Gesang die Gäste mit
Entzücken anhören. In später Nacht kehren die Geladenen,
mit Fackeln versehen, nach Hause zurück.
Noch ein zweites Gastmahl des Octavius führt uns Fumee
vor. Genau gibt er die Lage der Personen auf kleinen Betten
um den Tisch herum an und erwähnt sodann, daß die tafelnden
Senatoren mit Absicht nicht von Politik gesprochen hätten.
Sie hielten es für schwierig, nachdem man Blut und Gehirn
durch eine größere Menge Wein, als man gewöhnlich trinke,
erhitzt habe, sich so zu beherrschen, daß man nicht frei seine
Meinung heraussage. Eine solche Offenheit sei sehr gefährlich,
da man vor Sklaven spreche, vor denen man sich wegen ihrer
treulosen Natur stets hüten müsse.*')
Ohne Zweifel hat Fumee die Diskussion gekannt, die in den
Tischgesprächen Plutarchs sich an die Frage anknüpft: S'ils
faisoient bien de consulter ä table. '^") Im Gegensatz zu Fumee
39) S. 24a.
*^) t. 3 p. 73.
^M S. 147a.
*2) t. 18 p. 362.
Martin Fumee's Roman ,,Du vray et parfait amour'''' . 165
entwickelt dort einer der Sprechenden mit großer Beredsamkeit
die Auffassung, gerade bei der Behandlung von Staatsangelegen-
heiten solle man nicht den Wein verschmähen, der den Geist
kräftiger mache, der den Freimut verleihe, die Wahrheit zu sagen,
imd der die Falten der Seele entfalte. Die bedächtige Natur
Fumees vermochte sich, wie es scheint, zu solcher Weinbegeiste-
rung nicht aufzuschwingen.
Den Gastgeber Cn. Octavius bringt er an anderer Stelle mit
einer anderen Überlieferung Plutarchs in hübsche Verbindung.
Nach einem Besuch bei Charide, bei dem er sie seiner wohl-
wollenden Sorge versichert hat, verabschiedet Octavius sich von
ihr mit einem Kusse. Da er merkt, daß das junge Mädchen
über diese Zärtlichkeit etwas betroffen ist, so beruhigt er sie.
Er wisse wohl, daß in ihrem Lande bei ehrsamen Leuten der
Kuß nicht erlaubt sei, und er verstehe wohl, warum sie einen
Schritt zurückgewichen sei, aber er habe ihr diesen Kuß nach
römischer Sitte gegeben. Und diese Sitte hätten die Römer
von den troischen Frauen übernommen, welche ihre Gatten
und Kinder aufs engste umarmt und geküßt hätten, als diese
herbeigeeilt wären, um den Brand der Schiffe zu löschen, den sie,
die Frauen, angelegt hätten, weil sie es müde geworden wären,
noch länger auf dem Meere umherzuirren. Ebenso habe er sie,
wie ein Vater seine Tochter, geküßt, um ihren Kummer zu be-
sänftigen.''^)
Diese Anekdote von den Trojanerinnen hat Fumee bei
Plutarch gefunden und zwar in „Les vertueux faicts des femmes
(Des Dames troiennes)M)
Einige abergläubische Vorstellungen, die während der Hand-
lung zutage treten, sind auf Plutarch zurückzuführen.
Das Schiff, auf dem Melangenie und Pherecides sich befinden,
ist in einen schweren Sturm geraten. Nach vielen Stunden der
Gefahr erscheinen auf dem Mäste zwei Sterne, Castor und Pollux,
die durch ihren Glanz anzeigen, daß die Gebete der Gefährdeten
erhört sind. Laute Freudenrufe erschallen; denn nun hat man
die Gewißheit, dem Unwetter entronnen zu sein."*-^) Fumee
wird diesen Glauben an die Göttlichkeit des S. Elmsfeuers aus
der Schrift ,,Des Oracles qui ont cesse'^^) kennen gelernt haben.
Charide hat einen schlimmen Traum gehabt, der sie um
Theogenes und das Glück ihrer Liebe zittern läßt. Nicosie, die
Gattin ihres Vormunds, sucht sie zu beruhigen und doch zugleich
auch auf die traurige Nachricht von der Gefangennahme des
*3) S. 32a.
**) t. 16 p. 139.
") S. 76a.
45
*«) § 41 t. 17 p. 389.
166 Walther Küchler.
Theogenes vorzubereiten. So gibt sie denn zu, daß man der
Jahreszeit nach allerdings dem Traume vielleicht trauen könnte;
wäre man im Herbste, so wäre es anders, da seien die Träume
ohne weissagende Kraft, im Frühhng und Sommer dagegen
enthielten sie wohl Wahrheit.^^) Der Grund, weswegen man
die Träume im Herbste nicht zu fürchten brauche, ist nach
Plutarchs Tischgesprächen angegeben. '^'^)
Eine auf abergläubischen Vorstellungen beruhende sym-
bolische Opferhandlung wird bei der Vermählung der Melangenie
und des Pherecides erzählt. Der Priester öffnet den Leib des
geopferten Tieres, holt die Galle heraus und wirft sie neben den
Altar, voulant signifier par lä gu'entre deiix conioincts par mariage
ne doü demeurer aucune rancune et gue la foy et fidelite qu'ils
se promettent l'un ä l'aiitre sur l'autel^ ne doü estre pleine gue
de douceur.*^) Diese Handlungsweise -des Priesters und ihre
Bedeutung kannte Fumee aus Plutarchs Schrift „Les preceptes
de mariage" . ,,Ceulx gui sacrifient ä Juno conjugale ou nuptiale
n'offrent pas le fiel avec le demourant de la beste immolee, ains
le tirent dehors et le iettent aupres de l'autel, par laguelle cerimonie
celuy gui l'a pr emier ement instituee a voulu donner d eniendre
qu'en mariage il n'y doit point avoir de fiel, c'est ä dire amertune
de cholere ny de courroux guelcongue.'^'-'^)
Alle bisher behandelten Beispiele stimmen darin überein,
daß die vorgenommenen Entlehnungen zu festen Bestandteilen
der Handlung, d. h. zu unmittelbar durch Beschreibung, Ereignis,
Rede oder Gespräch die Erzählung fördernden Situationen ge-
worden sind. Neben solchen Fällen gibt es nun andere, in denen
die Entlehnung lediglich als Belehrung wiedergegeben, keine
innerliche Verknüpfung mit der Handlung eingegangen ist,
sondern sich nur als rein äußerlicher Aufputz gibt, der im Gefüge
der Begebenheiten gänzlich zu entbehren wäre. Sie zeugen nur
von der Belesenheit des Verfassers.
So besucht z. B. Charide in der Stadt Epidamnus den Tempel
der Venus. Dieser Besuch ist ein Stück der Handlung, wenn auch
nur ein recht geringfügiges. Fumöe erzählt nun — und das ist
an sich ganz überflüssig — daß dieser Tempel von Uhsses zum
Andenken an seine Mutter Anticlia gebaut worden sei. Anticlia,
so heißt es, rettete sich vor den Nachstellungen des Sisyphus
in eine kleine Kapelle. Um sie dem Verfolger zu entziehen,
schickten ihre Eltern sie nach Böotien, wo Laertes sie heiratete.
Ulisses, der in der Stadt Alalcomenion geboren wurde, nannte
*') S. 285b.
*8) 8. Buch, t. 18 p. 433.
«) S. 372a.
öO) t. 15 p. 16.
Martin Fumee's Roman ,,D« iraij et parfait amour\ 167
später eine Stadt auf Ithaca nach dieser Stadt Alalcomene und
ließ an Stelle der Kapelle in Epidamnus einen Tempel errichten.^^)
So führt Fumee aus, indem er eine Legende, die Plutarch in den
Demandes grecgues^^) erzählt, ein wenig umwandelt und die
Gründung des Tempels hinzuerfindet.
Ein anderes Beispiel dieser Art. In den Hafen von Epidamnus
läuft ein Schiff ein, in welchem man nur Tote, zwei Schwer-
verwundete und ein paar große Hunde findet. Eine Erklärung
der Vorgänge, die zu diesem Zustand des Schiffes und seiner
Bemannung geführt haben, weiß man einstweilen nicht zu finden.
Auf der Brust des einen Verwundeten findet man ein Geheim-
schreiben, wie es die Lacedämonier bei geheimen Botschaften
verwenden. ^^) Diese Art geheime Mitteilung (scytale), wie sie
Fumee beschreibt, fand er ausführlich erläutert in Plutarchs
Beschreibung des Lebens des Lysander.^^)
Pherecides und Melange nie landen im Hafen von Dictinna
auf Kreta. In der Stadt befindet sich ein der Göttin Dictynna
geweihter Tempel. Melangenie fragt ihre Wirtin, wer diese
Göttin sei, und erhält zur Antwort, es sei Diana; der Beiname
komme von dem Worte Dictyon^ qui signifie rets et proprement
toiles avec lesquelles on chasse aux grosses bestes, ä cause qu'icelle
a este inventrice de tels instriiments et engins.^^) Fumee entnimmt
diese Belehrung mit einer leichten Änderung aus Plutarch: „Aussi
Vappelle Von. . . Dictynna, c'est ä dire aimant les filets ä cause
de la chasse de la mer."^^)
Bei ihrem Aufenthalt in Argos erzählt man den Reisenden
allerlei auf die Stadt bezügliche Sagen. So erzählt man ihnen
von den Aenaniern, die ihren König Onocleus töteten und dann
durch List das Land der Jnachier gewannen^^) nach Plutarchs
„Demandes grecques" ;^^) sowie von dem verräterischen Überfall
des Cleomenes, des Königs von Sparta, seiner Zurückweisung durch
die schnell herbeigeeilten Frauen von Argos und seinem aus Wut
und Scham erfolgten Selbstmorde^) nach einer Erzählung Plutarchs
in den „Apophtegmes des Lacedaemoniens" .^^)
Abseits der eigentlichen Handlung, als episodische Einfügung,
steht die Erzählung einer Höllenvision, die Melangenie erzählt.^^)
51) S. 243b.
52) t. 21 p. 393.
53) S. 250.
5^) Les Vies des hommes illustres t. 4 p. 353.
55) s 63a.
5«) t. 20 p. 99.
s'^) S. 376a f.
58) t. 21 p. 377 u. 364.
59) S. 378b.
«0) t. 16 p. 61.
") S. 158b.
168 Walther Küchler.
Ein vom König von Aethiopien unschuldig eingekerkerter „gentil-
homme de sa cour" wird von Merkur in die Hölle geführt, die ihm
ihre Wunder und Greuel und die Strafen der Verdammten offen-
bart. Er kommt mit einer guten Lehre für den König zurück,
der, unterrichtet von der Vision, nach dem Heihgtum des Jupiter
Ammon schickt, um zu erfahren, was er tun soll. Fumee ist
wahrscheinlich zu seiner Vision angeregt worden durch eine
ähnliche Vision, die in der Schrift „Pourquoy la iustice divine
differe la punition'"^'^) enthalten ist. Plutarch erzählt da von
einem gewissen Thespesius, der scheintot ist und dessen Seele
in die Hölle geführt wird, wo sie, durch das Anschauen der Strafen
der Verdammten bewogen, den Entschluß zur Besserung faßt.
In den Einzelheiten weicht Fumees Erzählung erheblich von der
Plutarchs ab, er schmückt sie mit seinen Kenntnissen von der
antiken Unterwelt. Der Schluß der beiden Erzählungen weist
eine gewisse Übereinstimmung in Einzelheiten auf.
H e r o d o t.
Nicht moralische und philosophische oder tiefer eindringende
religiöse Belehrungen holt sich Fumee aus dem Werke des ,,prince
et Premier des historiographes grecz'\ Entsprechend dem
Charakter der neun Bücher des Geschichtenerzählers entlehnt
er ihm allerlei Anspielungen auf historische und legendarische
Ereignisse und Anekdoten, religiöse Sagen, Sitten und Gebräuche,
Merkwürdigkeiten, Beschreibungen von Tempeln und Kunst-
werken.
Seltener wie bei den Entlehnungen aus Plutarch werden
die durch Herodot gewonnenen Anregungen zu selbständigen
Szenen und Situationen der Erzählung, wie etwa im folgenden
Fall: Die kleine Melangenie wächst, wie sie selbst erzählt, auf
dem Lande, in der Familie eines Gärtners heran. Solange sie noch
jung ist, in kindlichen Spielen. Eine Zeit lang hat sie Umgang
nur mit Schafen und Hammeln. Manchmal vergnügt sie sich
damit, die langen Ohren der Schafe, die herabhängen, wie die
von großen Spürhunden, zu kämmen. Manchmal vertreibt sie
sich die Zeit damit, einen kleinen Wagen zu bauen, um auf ihn
die 25 bis 30 Pfund schweren Schwänze der Hammel zu legen,
welche Kaufleute aus Ägypten mitgebracht und ihrem Onkel
zum Geschenk gemacht haben.^^) Diese Geschichte von den
Hammeln ist oft von alten und neueren Schriftstellern wieder-
holt worden; Fumee hat sie jedenfalls bei Herodot gelesen, der
Ullis erzählt, daß es in Arabien zwei Arten von merkwürdigen
Hammeln gebe, les uns ont les queües longues de trois coudees,
«2) t. 16 p. 349 ff.
63) S. 45b.
Martin Fumee's Roman ,,Du vray et parfail amour\ 169
lesquelles si on laissc trainer, dies s'escorchent en batant par terra.
Mais auiourd'huy chescun berger est devenu charron. Hz fönt
petitz chariots qu'ils pendent aux queiies desdils nioutons et dedans
mettent et lient les queües^'^.)
In Kapitel 60 des zweiten Buches schildert Herodot die
Heise von ägyptischen Wallfahrern nach Bubastis zum Feste
der Diana. „Hommes et femmes s' embarquent ensemble et grand
nombre tant d'iin sexe que de l'autre se trouve en mesme barque;
les aucunes des femmes batent les sonneties et les hommes sonnent
de la f laste et da fiffre, autres chantent et batent les mains. Ap-
prochans de ville^ prennent terre et lä aucunes des femmes fönt
ce que i'ay dit et les autres crient apres Celles de la ville, leurs disans
mil iniures; les autres dansent et autres taschent ä les retirer dans
le bateau. Autant en fönt Hz par toutes les villes qai sont sur le
bord de la riviere. Ce faisant ceste allee en Bubastis^ Hz y meinent
grand nombre de bestial pour sacrifier et celebrer la feste, en laquelle
plus est despendu de vin qu'il n'est au reste de toute l'annee . . .
Fumee läßt Melangenie eine Reise von Memphis nach Bu-
bastis unternehmen und als ihr eigenes Erlebnis erzählen, was
Herodot von der merkwürdigen Wallfahrt berichtet. ^^) Ceste
riviere dite Bubastique estoit quasi couverte de basteaux pleins de
personnes qui descendoyent ä ceste feste par devotion, hommes et
femmes estans meslez ensemble. In dem Boot aber, in dem sie
selbst gefahren ist, waren aus Achtung für ihre Person keine
Männer, so will es der sittsame Charakter des Romans. On
n'oyoit sur l'eau que chansons, chaque bastelee s'efforgant de s'esclatter
le plus qu'il leur estoit possible. Avec les chants les femmes tenans
en main une couronne de sonnettes avec un petit baston les sonnoyent
de l'autre main, leur donnant un ton artificiel correspondant aux
flustes et fiffres, desquels les hommes ioüoyent pendant qu'autres se
battoyent les mains avec certaines mesures venans ä la cadence
des autres. Par ce moyen il se fait un tel charivari et un tel tintamarre
que Von n'oyroit Jupiter tonner. . .
Mit gutem Erfolge verarbeitet Fumee den Bericht Herodots,
hier und da ein paar stärkere Akzente aufsetzend, zu einer sehr
ansprechenden Schilderung lebhaft bewegter, z. T. derb-komisch
wirkender Szenen.
Nicht immer gestaltet er seine Quellen in so glücklicher
Weise aus zu einem selbständigen, reizvollen Bilde, wie die beiden
angeführten Beispiele es zeigen. Häufig begnügt er sich damit,
durch eine dem alten Historiker entnommene Anspielung auf
historische Ereignisse oder Anekdoten die Erzählung zu würzen.
Wenn z. B. Melangenie erzählt, daß der König der Nasamonen
®*) Herodot ist zitiert nach der Übersetzung von Pierre Saliat,
die Fumee wahrscheinUch benutzt hat. Benutzt habe ich die Ausgabe
von 1556 in fol.
«^) S. 183b f.
170 WaUher Küchler.
einen Traum gehabt habe, der Trockenheit bedeute, so weiß
sie zu sagen, daß er sich an das Schicksal der Psyllen erinnert
habe, die durch einen vom Südwind aufgewirbelten Sandsturm
bis auf den letzten Mann verschüttet worden seien. Darum
sei er ängstlich geworden und habe eine Gesandschaft zum Heihg-
tum des Jupiter Ammon geschickt. '^^) Fumee konnte eine solche
Erinnerung in dem König erwecken, weil er selbst sich an Herodot
IV, 173 erinnert, wo der Untergang der Scyllen berichtet wird.
Ebenso, wenn er die Priester des Heiligtums auf göttlichen
Schutz vertrauen und ihr Vertrauen mit dem Hinweis auf die
Vernichtung des von Gambyses gegen sie ausgesandten Heeres
ebenfalls durch einen Sandsturm begründen läßt,^') schöpft
er aus Herodot, und zwar aus dem 25, und 26. Kapitel des dritten
Buches.
Als Charide den bereits erwähnten, trübe Ahnungen in ihr
erweckenden Traum gehabt hat und ihre Freundin sie vor schlimmer
Ausdeutung zu behüten sucht, hält sie ihr auch das Beispiel des
Gambyses vor, der auf Grund eines Traumgesichtes seinen Bruder
ermorden ließ und seine Voreihgkeit später bitter bereute. ^^)
Herodot erzählt Traum, Mord und Reue in Buch 1 1 1 , Kapitel 64 u. 65.
Solche kurze, ungezwungen in die Rede sich einfügende
Anspielungen machen durchaus nicht den Eindruck gelehrten
Aufputzes. Sie sind da, wo sie fallen, ganz an ihrem Platze und
verleihen dem Stil der Erzählung Leben und Anschaulichkeit.
So bilden auch, abgesehen von der ganz äußerlich aufge-
propften Beschreibung des Jupiter Ammon-Tempels, die in
die Erzählung eingestreuten Beschreibungen von Kunstwerken
eine glückliche Bereicherung des Stils.
Es ist ausschließlich die für alles Schöne begeisterte Melangenie
welche ihrer jungen Freundin von den Werken der Kunst, die
sie auf ihren Irrfahrten kennen gelernt hat, berichtet. Ihre
Schilderungen beruhen häufig auf Angaben Herodots. So geht
die Beschreibung des Tempels der Diana in Bubastis auf Buch II,
Kapitel 138 zurück. Melangenies Schilderung entspricht ziemlich
genau der Herodots. Sie schließt sehr hübsch ab mit der frei
erfundenen Bemerkung: ,,Cowwe nous faisions nos prieres en ce
temple, nous n'oyions autre bruit qu'un beslement de brebis et un
muglement de bceufs et autres bestes, lesquelles on sacrifioit ga et
lä tout autour du circuit du temple."'^^) Das Bestreben dem Augen-
blick eine gewisse Realität zu verleihen, zeigt sich in dieser Hin-
zufügung.
In verschiedenen Kapiteln des zweiten Buches gibt Herodot
Auskunft über den Tempel des Vulcan in Memphis; über Künst-
le) S. 92a.
") S. 96b.
«8) S. 285b.
«9) S. 187a.
Martin Fiimee's Roman ,,Du vray et parfait amour''. 171
werke, die in und außer ihm zu sehen sind. Fumee, der Melangenie
nach Memphis gelangen läßt, nimmt die kurzen Angaben Herodots
zum Ausgangspunkt für eingehende, selbständige Beschreibungen.
So fand er z. B. in Kapitel 176 folgenden Hinweis: „Amasis. . .
mit ä Memphis devant le temple de Vulcan un colosse gisant d
Venvers, lo?ig de soixante et quinze piedz. Plus en ce mesme plan
feit dresser deiix colosses aux deux costez de ce gisant^ faits de mesme
pierre et portant chesciin vingt piedz de haut.''''
Melangenies Beschreibung lautet: ,,^ l'arriuay, . . ie fus fort
espouvantee voyant un grand Colosse estendu devant le temple
ayant la face et le devant du corps contre terre, long de soixante
et quinze pieds et ayant d chacun de ses costez un autre colosse dehout
haut de vingt pieds. Celuy qui estoit couche, estoit tailU comme
tout nud ayant les cheveux longs iusques sur les espaules. L'autre
qui estoit ä son coste dextre, avoit sur soy la semhlance d'une peau
de Lyon, qui en escharpe luy descendoit d'une espaule sur les parties
honteuses, tenant en Vun de ses poings une grosse et lourde masse
faicte de mesme estoffe et avoit les cheveux fort crespus. Tout son
Corps au reste semhloit nud, ayant un pied et la iambe advancez
comme pour marcher. Ce que ie croy Vouvrier avoir fait pour
donner meilleur empattement d ce lourd fardeau. Le tiers, qui
estoit ä gauche, sembloit horgne d'un ceil et estoit ceint d'une large
bände rapetassee, comme il sembloit, de plusieurs peaux de chevre,
laquelle luy couvroit devant et derriere les parties secrettes, et avoit
les cheveux non crespus et toutefois assez courts, mais brouillez et
entremeslez Vun parmy l'autre. II avoit les deux pieds ensemble
sinon Vun qui avoit le talon esleve contre mont, se portant de ceste
iambe seulement sur les orteils et tenoit en sa main une grande et
grosse perche, qui le surpassoit de quaire ou cinq pieds et le gros
bout s'advangant d'environ six pieds sur terre servoit d'appuy ä
ce geant et comme d'arc-boutant pour soustenir ceste masse." So-
dann folgen noch Bemerkungen über die Kunst der Künstler,
die es verstanden haben, bei der Anfertigung dieser Kolossal-
figuren die richtigen Verhältnisse zu wahren und auch die Gesetze
der Perspektive zu beobachten.™) Bei der Beschreibung scheinen
Fumee wohl irgendwelche Statuen oder Bilder vorgeschwebt zu
haben, wie es sicherlich der Fall war bei seiner ausführlichen
Beschreibung eines Standbildes der Ceres, das Herodot im 121.
Kapitel kurz erwähnt.
Diese Statue, so lautet der Text Fumees, „porte la semblance
d'une femme enceinie representant la Deesse Ceres comme il semble^
parce qu'elle tient en sa main un gluis de bled, et en Vautre eile
porte un rameau de iuiubes et sur sa teste une couronne faicte de
plusieurs fruicts pendans ä leurs reinceaux. Elle est vestue d'une
cotte, qui semble si legiere, et les plis si proprement et dextrement
'0) S. 179b f.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVIP. 12
172 Walther Küchler.
vuidez qu'iceux n'empeschent point quon ne voye la grosseur^ la
longueiir et proportion des iarnbes et des bras, estant la siihtilite de
Vouvrier si delicate qiie Von iugeroit les menibres estre veritablement
couverts d'une vraye cotie de lin. clair et legier. Elle a les cheveux
longs pendans sur les reins et les deux mammelles rondes et enjlees."^^)
Wie bei den aus Plutarch entlehnten Beispielen haben wir
auch unter den Entlehnungen, die Fumee Herodot zu verdanken
hat, eine Reihe von solchen, die in rein äußerlicher Weise als
belehrende Mitteilungen Verwendung finden.
Einmal ist in einem solchen Falle wenigstens der Ansatz
zu gesprächsmäßiger Behandlung gemacht und so der Belehrung
eine etwas lebendigere Augenblicks Wirkung gesichert w^orden.'^)
Herodot berichtet in II, 54 zwei über den Ursprung des Orakels
von Dodona bestehende Legenden. Nach der einen Sage, die
von den Priestern des thebischen Zeus verbreitet werde, hätten
die Phönizier einst zwei heilige Frauen aus Theben entführt und
die eine den Afrikanern, die andere den Griechen verkauft, und
diese Frauen seien die ersten gewesen, welche bei diesen Völkern
Orakel eingerichtet hätten. Die weissagenden Priesterinnen von
Dodona behaupten demgegenüber, es seien aus dem ägyptischen
Theben zwei schwarze Tauben entflogen, von denen die eine nach
Afrika, die andere zu ihnen gekommen wäre. Die eine habe
von einer Buche herab ihnen mit menschlicher Stimme verkündet,
es solle an dieser Stelle ein Orakel des Jupiter eingerichtet werden,
und die andere habe in gleicher Weise das Orakel des Jupiter
Ammon begründet.
Fumee verwendet diese Nachricht, indem er von Melangenie
die erste Fassung der Legende vortragen und von Charide die
zweite hinzufügen läßt. Sodann spinnt er die Unterhaltung
weiter, indem Melangenie eine dritte, von den Priestern des
Ammontempels für wahr gehaltene Version über den Ursprung
ihres Heiligtums anschheßt. Eine Nachricht über die Gründung
dieses Tempels fand er bei Herodot (II, 42). Er verwendet sie
jedoch nicht, sondern gibt eine andere Legende wieder, von der
ich nicht weiß, woher er sie hat.
Gelegentlich löst irgend ein Erlebnis, der Besuch eines Tem-
pels etwa, die Belehrung aus. So hat Melangenie von einer
frommen Frau im Tempel der Diana Dictynna den Grund für
die Feier einer in ihm von den Samiern abgelialtenen reUgiösen
Zeremonie erfahren. Was sie gehört hat, erzählt sie der Charide t'-^)
Periander von Korinth wollte sich an den Einwohnern von Corcyra
rächen, die seinen Sohn Lycophron getötet hatten, weil Periander
ihm die Herrschaft über Korinth abgeben und sich selbst nach
Corcyra zurückziehen wollte. Die Corcyraer aber mochten den
'M S. 181a f.
'2) S. 151.
'3) S. 64b ff.
Martin Fiimee's Roman ,,Z)" ^''^.'/ ^^ parfait amour'' . 173
Periander, dessen Grausamkeit sie fürchteten, nicht in ihrer
Stadt haben und töteten seinen Sohn, damit er gezwungen sei,
in Korinth zu bleiben. Um sich zu rächen, ließ Periander drei-
hundert Söhne der vornehmsten Familien von Corcyra ergreifen
und sie nach Sardes scliicken, wo sie kastriert werden sollten.
Als die korintiiischen Schiffe in Samos anlegten, erfuhren die
Samier das den Knaben bevorstehende Sclücksal und rieten diesen,
sich in den Tempel der Diana zu flüchten. Die Korinther be-
lagerten den Tempel, um die Entflohenen auszuhungern. Da
veranstalteten die Samier festliche Reigen, bei denen sie den
Eingeschlossenen heimlich Lebensmittel zuführten. Schließlich
fuhren die Korinther unverrichteter Dinge ab. Die Samier
aber feiern bis auf den heutigen Tag die damals eingerichtete
religiöse Zeremonie. So erzählt Herodot in den Kapiteln 48 — 53
des 3. Buches und nach ihm Fumee in seinem Roman.
Anlehnend an diese Sage erzählt Melangenie von der Auf-
lehnung der Samier gegen ihren Tyrannen Polycrates und zwar
mit unbedeutenden Abweichungen nach dem in den Kapiteln
44, 45, 54, 57 — 59 des dritten Buches verstreuten Bericht Herodots.
Bei Herodot konnte Fumee auch von jener wunderbaren
Sonnenquelle lesen, die im Heiligtum des Jupiter Ammon ent-
springt, des Morgens lauwarm ist, dann im Laufe des Morgens
sich abkühlt, bis sie des Mittags am kältesten ist, um dann wieder
an Wärme zuzunehmen, derart, daß sie um Mitternacht ins
Kochen gerät. Herodot gibt Kunde von dieser merkwürdigen
Quelle, von der auch noch andere Historiker und Geographen
zu berichten wissen, im 18L Kapitel des 4. Buches. Melangenie
unterrichtet Charide von diesem Wunder und gleich darauf von
der Einrichtung des ,, Sonnentisches" im Lande der Äthiopier
nach Herodot III, 18.'^)
Herodot ist es schheßUch gewesen, der unserem Autor eine
Reihe von Angaben über Sitten, Gebräuche und Merkwürdigkeiten
bei den Scythen gehefert hat. Charide und Theogenes werden zu
diesem Volke verschlagen, und es ist nur begreif höh, wenn Fumee ge-
wissermaßen als MiUeuschilderung allerlei Züge aus ihrem Leben
beibringt. Nicht alle Angaben, die er über sie macht, kann ich
quellenmäßig belegen. Aus Herodot entlehnt er: ihre Abneigung
gegen fremde Sitten, bezeugt auch durch die Ermordung des
Anarchasis, der nach seiner Rückkehr aus Griechenland griechi-
sches Wesen bei ihnen einführen wollte, nach IV, 76. Die Namen
einiger ihrer Götter nach IV, 59. Ihre Marsopfer nach IV, 62.
Den im ganzen Jahre gleichmäßigen Wasserstand ihrer Flüsse
nach IV, 50. Die Zeremonien beim Begräbnis ihrer Könige
nach IV, 7L'^)
74\ g 169a
'5) Alle diese Angaben auf den Seiten 309—320 f.
12*
174 Walther Küchler.
Li vi US.
Alle im Roman erzählten Begebenheiten, die sich auf den
Krieg der Römer gegen Perseus von Macedonien beziehen, mit
Ausnahme der dem Plutarch entlehnten Beschreibung des Triumph-
zuges des Paulus ^milius, entnimmt Fumee dem Geschichts-
werke des Li vi US.
Auf Buch 44, Kapitel 46 stützt er sich, wenn er Cn. Octavius
die Stadt Mehböa erobern und plündern läßt.
Für die Beschreibung des Triumphzuges, den Cn. Octavius
zu Schiff hielt, verwendet er aus 45, 42 die Stellen: ,,Cn. Octavius
Calendis Decembribus de rege Perseo navalem triumphum egit",
und ,,Naves regise captse de Macedonibus, invisitatse ante magni-
tudinis, in campo Martio subductae sunt". Aus Kapitel 35 zieht
er außerdem noch die Stelle heran: ,, Paulus ipse post dies paucos
regia nave ingentis magnitudinis, quam XVI versus remorum
agebant, ornata Macedoni is spoliis non insignium tantum armorum,
sed etiam regiorum textilium, adverso Tiberi ad urbem est sub-
vectus, conpletis ripis obviam effusa multitudine."
Aus diesen kurzen Angaben macht er die ausführliche Be-
schreibung eines prächtigen Schauspiels.''^) Mit dem Sonnen-
aufgang sieht man das Volk längs der Tiberufer, ayans toas
les yeux tournez vers le couchant, tellement que la splendeur du
Soleil ne leur donnant en veue, ils avoyeni la commodite plus grande
de voir ä leur ayse la magnificence des vaisseaux.
Zuerst kommen die römischen Zwei- und Dreiruderer mit
geschwellten Segeln; denn der Zephirwind war dem Triumphe
sehr günstig. Die Waffen der auf den Schiffen in Reih und
Glied aufgestellten Soldaten strahlen in wunderbarem Glänze,
von den Sonnenstrahlen, die auf sie fallen. Unaufhörlich ertönen
Fanfarenklänge. Die römische Jugend, die noch nie eine solche
Veranstaltung gesehen hatte, ist ganz hingerissen von all dem
Glanz und Getöse. ,,0/i eust pense que c'eust este un reriouvellement
du ravissement de Proserpine."
Darnach erblickt man die gewaltigen macedonischen Schiffe.
,,Elles representoyent de grandes Colosses et sembloyent eiitre tant
d'autres vaisseaux ces trois hautes Piramides situees entre Celles
qui les environnent." Sie sind mit reichen persischen Geweben
bedeckt; zu beiden Seiten sind macedonische Schilde auf ihnen
angebracht, zwischen denen geschickt große Lanzen aufgesteckt
sind, so daß man hätte glauben können, die Schiffe seien voll
von feindlichen Soldaten. Die weitgeschwellten Segel verdecken
den Ausblick auf die anderen Schiffe, die ihnen folgen. Diesen
großen Fahrzeugen, an die andere Schiffe angekettet sind, folgt
die von Ruderern vorwärts bewegte Galeere des Feldherrn, deren
■^e) S. 22b.
Martin Fumee's Roman ,,Du vray et parfait amour'' . 175
Segel nicht aufgespannt sind, damit man um so besser ihren reichen
Schmuck und die Person des Triumphators erbUcken könne.
Dieser sitzt , mit seinen Waffen angetan, auf dem Verdeck in
einem Sessel aus vergoldetem Silber, representant le Dieu Neptune
giiand il est accompagne de Tritons. Im Hafen angekommen
werden die macedonischen Schiffe mit Hülfe von Maschinen
aiif das Ufer gezogen und auf dem Marsfelde aufgestellt, um dort
als Erinnerungszeichen an den Sieg über Perseus zu dienen.
Zeigt diese Schilderung des Triumphzuges, wie Fumee mit
Hülfe seiner Phantasie die knappen Angaben der Vorlage zu
einem an malerischen Bildern reichen, bewegten Vorgange aus-
zugestalten und dem Leser die Illusion römischen Lebens zu
geben weiß, so gewährt ein anderes Kapitel seines Romans eine
nicht minder interessante Anschauung von seiner Arbeitsweise.
Fumee führt uns eine Senatssitzung vor, in der über das Schicksal
der macedonischen Gefangenen und auch des Theogenes ent-
schieden ^vird.''^)
Zunächst übersetzt er fast wörthch aus dem 42. Kapitel des
45. Buches die folgenden Stellen: ,, Patres censuerunt, ut Q.
Cassius Persea regem cum Alexandro fiho Albam in custodiam
duceret . . . Bitys filius Cotyis regis Thracorum cum obsidibus
in custodiam Carseolos est missus. Ceteros captivos, qui in
triumpho ducti erant, in carcerem condi placuit." Im Roman
heißt es: ,,Qiiinte Cassie eiit la charge de mener le Roy Perses
avec l'iin de ses fils qui se nommoit Alexandre., en la ville d'Albe
poiir la tenir prison, et fiit ordonne qua Ritis fils du Roy de Thrace
seroit mene ä Carseoles et que les autres prisonniers seroyent dispersez
par les prisons de la ville."
Theogenes, der besonders auffällt ä son port et ä sa grace,
soll mit Bitis fortgeführt werden. Livius berichtet, daß einige
Tage nach dieser Sitzung Gesandte des Königs Cotys gekommen
seien, um die Gefangenen loszukaufen. Fumee läßt diese Gesandt-
schaft an demselben Tage auftreten und gibt die bei Livius nur
kurz angedeutete Rede der Gesandten und die Antwort des
Senates in erheblich erweiterter Form wieder, wobei er auch
einige Stellen aus dem IL und 12. Kapitel des 42. Buches in die
Rede der Thracier hineinarbeitet.
Mit der Gesandtschaft, so erzählt Fumee, ist ein Athener
namens Polycrates, ein vvürdiger Greis, gekommen, der nun
in geziemender Weise den Senat um Gehör bittet. Dieser Greis
ist niemand anders als der Vater des Theogenes, der die Frei-
lassung seines Sohnes erbittet. Er stellt dem Senate vor, wie
Theogenes, ohne Feind der Römer zu sein, von Kameraden
verleitet, von jugendlichem Drang nach kriegerischen Aben-
teuern getrieben, in den Dienst des Perseus getreten und wie er
") S. 32a ff.
176 Walther Küchler.
dann bald gefangen worden sei. In beweglichen Worten fleht
er die Milde des Senats gegenüber dem jugendlichen Leichtsinn und
der Undankbarkeit gegen die Römer, die Freunde der Athener, an.
Von Polycrates, dem Vater des Theogenes, und von seinen
Sorgen um den Sohn weiß natürlich Livius nichts zu berichten.
Fumee aber weiß ihn mit der Geschichte in Verbindung zu bringen,
indem er sich verschiedener Stellen aus Livius bedient. Er
macht aus diesem Polycrates einen der pohtischen Führer der
Athener, der mehrere Male mit den Römern in offizielle Bezie-
hungen getreten ist.
Im Verlaufe seiner langen Rede erinnert der Alte an diese
Beziehungen, die ihn stets als Freund und Förderer der römischen
Interessen gezeigt haben. Es ist nun sehr interessant, zu sehen,
wie Fumee diese Rede aus einer Reihe von historischen, durch
Livius vermittelten Tatsachen zusammensetzt.
Polycrates gibt sich als Mitglied der Gesandtschaft zu er-
kennen, die vor 35 Jahren nach Rom gekommen sei, um die
Hülfe der Römer gegen den Vater des Perseus, PhiUpp von
Macedonien, zu erbitten. Im L und 5. Kapitel des 3L Buches
erwähnt Livius solche Gesandtschaften. Er erinnert ferner
daran, daß er es gewesen sei, der auf der zu Korinth abgehaltenen
Versammlung mit einer besonderen, ihm durch die Freundschaft
zu den Römern eingegebenen Kühnheit gesprochen habe: ,,7".
Quintie sgait avec quelle hardiesse provenante de l'amitie sincere
gue nous portons au peuple Romain, ie parlay en l'assemhlee,
qui fut faite ä Corinthe contre Nabis." So schreibt Fumee nach
Livius 34, Kap. 22 und 23: ,,Quinctius conventum Corinthum
omnium sociarum civitatium legationibus in diem certam edicit."
Quintius befragt die versammelten Abgeordneten über ihre
Meinung betreffs eines gemeinsamen Handelns gegen Nabis,
den Tyrannen der Lacedsemonier, und da heißt es von dem
Gesandten der Athener, er habe ,,quantum poterat gratiis agendis"
die Verdienste der Römer um Griechenland hervorgehoben.
Der Greis erinnert an die Hülfsbereitschaftder Römer gegenüber
den Athenern, als diese von Philipp bedroht waren: ,,Nous n'avons
mis en ouhly la diligence dont usastes ä nos prieres quand vous
nous ejivoyastes C. Claude Cento pour nous garentir du siege dont
le Roy Philippe nous menagoit". Diese Anspielung nimmt Fumee
aus Livius 31, 14: P. Sulpicius begibt sich nach Macedonien;
„ibi ei praesto fuere Atheniensium legati orantes, ut sc obsidione
eximeret. Missus extemplo Athcnas est C. Claudius Centho,
cum viginti longis navibus et mille militum copiis." Weiterhin
ruft er dem Senat die Ergebenheit der Athener in einem anderen
Falle ins Gedächtnis zurück: ,,Vous n'ignorez aussi comme pour
nous associer du tout avec vous et oster touie esperance ä Philippe
de nous reconcilier avec luy, nous fismes abbatre en nostre ville et
is autres, qui dependent de nostre Republique toutes les statues
Martin Fumee's Roman ,,Du vraij et parfait amoiir\ 177
et miages de Philippe et de toiis ses predecesseurs tant d'hommes
qua de femmes et rayer et effacer leurs noms, casser et annulier
tous les ioiirs de feste et les prestres ordonnez en leiir memoire;
detester et execrer Philippe, ses enfans et son Royaume par nos
prestres toutesfois et qiiantes qii'ils feroient priere poiir vons, pour
le peuple Athenien et pour leurs associez. Fast wörtlich übersetzt
Fumee diese Stelle aus liber 31, cap. 44: „Rogationen! oxtemplo
tulerunt plebesque scivit, iit Pliilippi statuse, imagines omnes,
nominaque earum, item maiorum eius virile ac muliebre secus
omnium tollerentur delerenturque ; dies'[ue festi, sacra, sacerdotia,
quae ipsius maiorumve eius honoris causa instituta essent, omnia
profanarentur . . . Sacerdotes publicos, quotienscumque pro popula
Atheniensi, sociisque, exercitibus et classibus eorum precarentur,
totiens detestari atque exsecrari Philippum, liberos eius regnum-
que, terrestres navalesque copias, Macedonumque genus omne
nomenque.
Noch einen anderen Beweis der athenischen Freundschaft
führt er an: ,,/Z n'y a pas encor longtenips que nous fismes aussi
paroistre ceste hardiesse et ceste affection envers vous quand en
l'assemblee Pansetolique, estans quasi toutes les villes Grecques
pour le Roy Antioche emhrassant une tyrannie sous couleur de
defendre les Mtoliens, nous rompismes ceste ligue d la priere de
celuy, qui commandoit ä vostre armee et persuadasmes aux JEtoliens
de vuider leurs differens avec vous, plustost par par olles que par
armes; comme aussi par nostre eniremise et nous intercedans pour
eux vous jistes trefue avec eux et Acilie leva le siege de devant la
forteresse d'Amphisse, qui leur appartenoit." Diese Ausführung
entlehnt Fumee aus dem 6. und 7. Kapitel des 37. Buches. Livius
erzählt von Scipio Africanus : causam relinquendi honeste Aetolici
belli quaerens Asiam et regem Antiochum spectabat, iusseratque
Athenienses non Romanis solum, ut pacem bello preeferrent,
sed etiam ^Etolis persuadere . . Und es erlangen dann die ^Etolier
vom römischen Konsul Waffenstillstand; ,,soluta obsidione
Amphissse, M. Acilius, tradito consuli exercitu, provinciadecessit."
In ähnlicher Weise macht sich Fumee außerdem noch das
8. Kapitel des 43. Buches und das 10. Kap. des 38. Buches zu
Nutze. Im ganzen setzt er aus sieben verschiedenen Stellen,
die er fünf verschiedenen Büchern des Livius entnimmt, die
Rede des Polycrates zusammen.
Der Erfolg dieser diplomatischen Rede bleibt nicht aus.
Theogenes ^^^rd seinem Vater ohne Lösegeld zurückgegeben,
und die Beurteilung seines Verhaltens wird dem athenischen
Volke überlassen.
In ganz ähnlicher Weise beutet Fumee seinen Livius bei
einer anderen Gelegenheit aus. Er läßt den Octavius aus der
Sitzung des Senats zurückkehren, sich zu Charide begeben und
ihr gute Nachrichten über das Schicksal Macedoniens über-
178 Walther Küchler.
bringen J^) Er sagt ihr u. a.: „Aufourd'huy au Senat a este con-
firmee la grace qu'avoit faü le Consul auec les dix Legats oii Ambassa-
deurs du Senat envoyez vers luy apres la deffaite de Perses, d tous
Macedoniens, qui avoyent suivy son party. Par icelle iceux Mace-
doniens deraeurent en leur liherte et avec la ioüyssance de leurs
terres et possessions sans rien innover en leurs costumes, sinon
pour le regard de ce qui touchoit la principaute, au Heu de laquelle
on a dwise le Royaume en quatre Provinces qui se gouverneront
chacune ä part en forme de Repuhlique. II est vrai que tous ceux,
qui sous Perses ont commande en ses armees terrestres et navales
avec leurs enfans qui sont au dessus de l'aage de quinze ans, ne
sont aucunement comprins en ceste liherte et a este arreste que ceux
de ceste qualite, qui ont este amenez en ceste i>ille, seront retenus
h prisons .... Aussi quand cest arrest envoye par le Senat fut
prononce en Latin par le Consul^ auquel ie servais puis apres de
truchement en le rapportant en Grec, le peuple qui estoit Id convenu
en fort grand nombre, y ayant este appelle de toutes les villes de la
Macedoine, au Heu d'estre marris de se voir priver de la presence
de leurs Capitaines et superieurs, firent demonstration d'en estre
tres contens, se voyans par ce moyen delicrez de toute guerre, d laquelle
tendent tousiours ceux qui n'ont fait autre mestier, ne pouvans
s'employer d autre chose." ■ . . ^ . _ ^r... • ", - ,<;
-. Für diese Mitteilung sind maßgebend gewesen Stellen aus
dem 29. und 32. Kapitel des 45. Buches. Paulus ^Ernylius hat
nach Amphipolis die Ersten der macedonischen Städte zu feier-
lichem Tribunal geladen. „Silentio per pr^econem facto, Paulus
latine, quse senatui, quse sibi ex consihi sententia visa essent,
pronunciavit: ea Cn. Octavius praetor (nam et ipse aderat) inter-
pretata sermone greco referebat. Omnium primum liberos esse
iubere Macedonas, habentes urbes easdem agrosque, utentes
legibus suis, annuos creantis magistratus . . . Deinde in quatuor
regiones dividi Macedoniam (Kap. 29)". In Kap. 32 wird von einer
neuen Versammlung der Macedonier erzählt, in der erklärt wurde:
„Quod ad statumMacedonisepertinebat, senatores, quos synedros
vocant, legendos esse, quorum consilio respublica administraretur.
Nomina deinde sunt recitata principum Macedonum, quos cum
liberis, maioribus quam quindecim annos natis, preecedere in
Italiam placeret. Id, prima specie saevum, mox apparuit multi-
tudini Macedonum pro libertate sua esse factum".
So weit verwendet Fumee die Angaben des Livius an dieser
Stelle seines Romans. Livius schreibt in Kapitel 32, im An-
schluß an die Auffassung, welche die Macedonier von der Maß-
regel der Römer gewannen: ,,Nominati sunt enim regis amici
purpuratique duces exercituum, preefecti navium aut prsesidiorum;
servire regi humiliter, aliis sup^rbe imperare adsueti, praedivites
'8) S. 68a f.
Martin Famie's Roman ,,Du vraij et parfait amour\ 179
alii, alii, quos fortuna non sequarent, his sumptibus pares . . .
Omnes igitur, qui in aliquibus ministeriis rcgiis, etiam qui in
minimis legationibus fuerant, iussi Macodonia excedere atque
in Italiam ire, qui non paruisset imperio, mors denunciata".
Fumec hat sich auch diese Angabe niclit entgehen lassen
und sie an einer ganz anderen Stelle seines Romans angebrachte^)
Auf ihrer Heimkehr nach Meliböa reist Charido durch das vom
Kriege heimgesuchte Macedonien und kann sich nicht der Tränen
erwehren ,,Äe preseniant devant les yeux les ruines fresches du
pays et considerant les villes degarnies de Hohes bourgeois ä raison
qiie les Romains avoyent fait passer en Italie (sur peine de la vie
ä qui n'oheyroit ä leiir Edici) toiis les principaux des Macedoiniens,
ious les Officiers du Royaume iusques ä ceux, qui avoyent servy
le Roy es plus petites charges, qui fussent, en sorte qu'on voyoit
les villes degarnies de honestes et riches citoyens. Le menu peuple
esiimoit que ce changement luy estoit d gründe descharge; parceque
telles personnes serviables en toute humilite d'an coste ä leur Roy^
estoyent d'autre part accoustumez ä Commander au peuple avec
fagon süperbe et insupportable, les uns estans opulens et abondans
en richesses et les autres ausquels fortune n'avoit departy tant de
hiens se rendans ä ceux-cy pareils par des despences somptueuses
le taut au despens du peuple."
Die Entlehnungen aus Liidus, soweit sie mit dem mace-
donischen Kriege und den in ihn verwickelten Schicksalen der
Charide und des Theogenes zusammenhängen, sind mit diesem
letzten Beispiel beendet. '^'^)
Auch das Geschick der Melangenie hat unser Autor aufs
engste mit bedeutsamen historischen Ereignissen verknüpft.
Zu Beginn der Erzählung ihrer Leiden läßt er den Schatten
Hannibals einen Augenblick vor dem Leser auftauchen.
Zwischen Rom und Karthago ist Friede geschlossen. Hanni-
bal, zum Praetor der Stadt ernannt, ist unversöhnt und denkt
nur daran, den Frieden zu brechen. Er gewinnt durch die Ein-
richtung volksfreundlicher Gesetze das niedere Volk und reizt
die Großen gegen sich auf, die ihn daraufhin bei den Römern
verdächtigen. Der röm.ische Senat schickt unter vorgespiegeltem
79) S. 261b f.
8") Einige weniger wichtige Anspielungen auf Tatsachen, die
Livius berichtet, finden sich noch in einer Unterhaltung des Poleten
von Epidamnus mit Charide. Wenn der Polet erzählt, die Stadt habe
nach Beendigung des Krieges den Römern Schiffe gestellt, so ent-
spricht das, nicht ganz genau, einer Angabe des Livius in 42, 48. Von
der Zufriedenheit der Römer mit der Stadt kann der Polet sprechen,
gestützt auf 45, 43. — Ehe Charide Rom verläßt, verrichtet sie ihr
Gebet im Tempel der Juno „sumomme Camülean pour avoir este dedie
par le Consul Camille apres avoir subiugue les Veies", schreibt Fumee
S. 230b und nimmt diese Nachricht von der Tempelweihe durch
Camillus aus Livius V, 22.
180 Walther Kücliler.
Vorwand drei Abgesandte nacli Karthugo. Hannihal, der erkennt,
daß es auf ihn abgesehen ist, rettet sich durch die Flucht zum
König Antiochus, der noch unschlüssig ist, ob er gegen Rom
zu Felde ziehen soll. Die römischen Gesandten wissen nach
Bekanntwerden der Flucht ihres Feindes das Volk ihm abspenstig
zu machen und ganz auf die Seite Roms zu bringen. So beginnt
in genauem Anschluß an Livius 33, 46 — 49 die Erzählung der
Melangenie, um dann in romanhaftes Fahrwasser einzulenken.
Der Vater Melangenies — auf diese Weise gewinnt Fumee den
Anschluß an die Historie — ist einer der vornehmsten Karthager
und der getreueste Freund Hannibals. Am Morgen nach der
Flucht begibt er sich zum Schein in Hannibals Haus, um ihn
zu begrüßen, und verläßt darauf eiligst die Stadt. Die Tochter
übergibt er einem Verwandten. Und so ist ihre Leidenszeit
angebrochen.
Nach einer Reihe von Jahren finden wir sie als Sklavin auf
Sardinien. Da bricht der Aufstand gegen die Römer aus, der
Gonsul Tiberius Sempronius schlägt ihn in mehreren Schlachten,
in denen mehr als 15 000 Sarden fallen, nieder, führt 250 Geiseln
von den nicht Aufständigen nach Rom, ebenso alle Aufrührer
mit dem größten Teile ihres Vermögens, und auch Melangenie
gelangt nach Rom, wo sie für den Haushalt des Octavius er-
worben wärd.^')
Diese historischen Ereignisse, die von neuem das Geschick
der Melangenie beeinflussen, sind von Livius in verschiedenen
Kapiteln (10, 12, 13, 16, 21, 26) des 41. Buches berichtet worden.
Er spricht auch von der Unmenge der gefangenen Sarden, die
in Rom billig als Sklaven verkauft wurden.
Quintus Curtius.
Die Schilderung der Wanderung, die Melangenie in Beglei-
tung der Gesandtschaft des Königs der Nasamonen durch die
Wüste zum Tempel des Jupiter Ammon unternimmt,^'-^) lehnt
sich an die Erzählung an, die Q. Curtius Rufus in seinem Werke,
De rebus gestis Alexandri Magni," im 7. Kapitel des 4. Buches
von dem Marsche Alexanders zu demselben HeiUgtum gibt.
Wie bei Q. Curtius das Heer Alexanders, so ziehen auch
die Personen Fumees unter großen Beschwerden durch den un-
fruchtbaren, lockeren, unter den Füßen der Wanderer nach-
gebenden, die Spuren verwischenden Wüstensand, haben sie
zu leiden unter Hitze und Durst. Und gleicherweise verschafft
ein starker Regen ihren Leiden Linderung. Q. Curtius erzählt,
wie plötzlich die Sonne durch Wolken verdunkelt wird und bald
81) S. 192b ff.
82) S. 90a ff.
Martin. Fumee's Roman ^,Du vray et parjait anioiir"'. 181
darnach der Regen niederrauscht. Dann fährt er fort: ,,Enim-
vero, ut largum quoqiie imhrem oxcusserunt procelIa3, pro se
quisque excipere eum, quidam ob sitim impotentes sui, ore quoque
hianti captare coeperunt." Diese Angabe erweitert Fiimee folgen-
dermaßen. Er spricht zunächst davon, daß dieser Regen als
eine von Gott gesandte Vorbedeutung auf glücklichen Ausgang
betrachtet wurde, und erzählt dann das Verhalten der Erfi'euten:
„Ceste plmje fiit receiie d'un chaciin avec iin tel contentemeni qu'il
n'estoü possible de plus, et poiir en rendre graces d Dien les uns
se mettoyent ä genoux, autres estendoyent les hras en l'air et puis
baisoyent la terre coinme si avec la langue ils l'eussent voulu lescher.
Chacun avoit son petit vaisseau ou gobelet pour boire, lequel ils
tendoient ä la pluie et ceux qui n'en avoient point se renversans
la teste et le col en arriere et tirans la langue de dehors le plus qu'ils
pouvoyent recevoyent une merveilleuse volupte par le decoulement
de ceste eau fresche lequel se jaisoit le long de leur gosier iusques
en Vestomach.'''' Gewiß eine gut, gelungene stilisierende Aus-
schmückung der durch Q. Curtius gegebenen, kurzen Anregung.
In der Nähe des Heihgtums erscheinen dem Heere Alexanders
einige Raben. ,,Jamque haud procul oraculi sede aberant, quam
complures corvi agmini occurrunt, modico volatu prima signa
antecedentes, et modo humi residebant, quum lentius agmen
incederet; modo se pennis levabant, antecedentium iterque
monstrantium ritu. So schreibt der lateinische Historiker,
und Fumee: ,,Z,e cinquiesme iour nous remarquions de V oeil des
oyseaux voleter, et estans plus prez nous apperceusmes en la cam-
pagne des aigles et corbeaux non pas ensembk; car le corbeau redoubte
fort les serres de l'aigle. Nous ne voyons point les corbeaux qu'en
trouppe se ienans ainsi ensenible pour se gareniir de l'Aigle qui
ne s'accompagne gueres de son espece sinon lors qu'il est en amour. '
Im Gegensatz zu seiner Quelle, die nur von Raben berichtet,
spricht Fumee auch von Adlern, versäumt er nicht eine natur-
\vissenschaftliche Belehrung hinzuzufügen und läßt er außerdem
noch den Führer der Truppe seinen Leuten verbieten auf diese
Vögel oder andere Tiere zu schießen, aus Furcht, man könnte
irgend ein dem Juppiter geheiUgtes Tier töten.
Die Ankunft im Haine des Heiligtums, die Beschreibung
der Örtlichkeit erfolgt ebenfalls im Anschluß an Q. Curtius.
,, Tandem ad sedem consecratam deo ventum est. Incredibile
dictu, inter vastas sohtudines sita, undique ambientibus ramis,
vix in densam umbram cadente solo, contecta est; multique
fontes dulcibusque aquis passim manantibus alunt sylvas. Coeli
quoque mira temperies, verno tepori maxime similis, omnes
anni partes pari salubritate percurrit." Erheblich ausführlicher
schildert, ausgehend von dieser Darstellung, Fumee den heiligen
Hain: ,,Enfin nous entrons en ces forests que nous voyons de
si hing. Icelies sont rejreschies de plusieurs ruisseaux d'eau douce
182 Walther KiicMer.
et fresche, qiii coulent sous leiirs verdures. C'est iine chose admirdble
comme en si peu d'espace on troiive un si grand changement. Nous
venions ce nous semhloit des foiirneaiix des Cyclopes et toiit soudain
nous estions tombez es isles fortunees. Nous rencontrions un vray
printemps contra taute raison humaine. Car nous fourrans plus
avant dedans ceste voye aduste et brulee par la mauvaise conduite
de Phaeton, qui est ceste zone et climat torride que les anciens ont
estime estre inhabitable pour sa trop grande chaleur, nous rencon-
trions le frais, la region habitee, le pays plaisant ä merveille. Teile
chose incredible ä ceux qui ne Vauroyent veu, nous faisoit une
preuve claire et evidente que le grand Dieu Juppiter se plaisoit
d faire souQent sa demeure en ce temple . . .
Man kann nicht sagen, daß trotz der größeren Wortfülle
die Schilderung Fiimees anschaulicher oder eingehender wäre.
Wie so oft, tritt eben nur an die Stelle vielsagender Knappheit
die seichtere, umschreibende Breite. Immerhin ist auch hier
das Bestreben nach Stilisierung nicht zu verkennen; so, wenn
Fumee bilderreicher als Curtius die glücksehgen Inseln^^) den
Öfen der Cyklopen entgegensetzt oder von der überheißen Sonnen-
glut als der mauvaise conduite de Phseton spricht. Als eine sehr
gute Hinzufügung und Vertiefung der Vorlage ist es zu betrachten,
wenn Fumee von den frommen Empfindungen der Ankommenden
spricht, wenn er ausdrückt, wie ihnen die Heihgkeit und Berühmt-
heit des Heihgtums bewußt und erklärlich wrd, und wenn er
besonders die gehobenen und feierhchen Gefühle der Melangenie
beschreibt. „Certainement ie croy quant ä moy veu V emotion
qu'entrant en ceste forest ie sentis soudain laquelle tendoit d un
ravissement de tnon esprit, que tont ce Heu est rempli de divinite^
ou que ceste emotion procedoit de l'admiration que nous pouvions
avoir avec raison de la beaute, de la douceur, et de la temperie de
l'air que nous avions rencontre, ainsi que nous nous sentons esmeuz
pour une chose inesperee."
Q. Curtius berichtet über die Bewohner des Heiligtums
und ihre Wohnungen folgendes: ,,Incolee nemoris, quos Ammonios
vocant, dispersis tuguriis habitant; medium nemus pro arce
habent, triplici muro circumdatum. Prima munitio tyrannorura
veterum regiam clausit, in proxima coniuges eorum cum liberis
et pellicibus habitant; hie quoque dei oraculum est, ultima muni-
menta satellitum armigerumque sedes erant."
Fumee rühmt zunächst, was Q. Curtius nicht hat, die
Einfachheit, Milde, Liebenswürdigkeit und den Diensteifer der
Bewohner, er erzählt, wie sie ihre Gastfreundschaft, Lebens-
mittel und überhaupt alle Bequemlichkeiten, die sie gewähren
können, anbieten, wie aber der Führer nichts annehmen will,
83) Maxäpwv VTjaos nennt III, 26 Ilerodot die Oasis, die auf dem
Wege von Theben nach der Oasis des Jupiter Amnion Hegt.
Martin Fiimee's Roman ,,Dii vray et parjait ainour\ 183
ehe sie nicht den Tempel besucht hätten, wie sie auf dem Wege
dorthin eine große Anzahl hier und da verstreuter Hütten be-
merken ^,composees de gros marrin, sur lequel pour couvertures
ils arrangent des feuillards si dextrement et si bien serrez en poincte
que l'eaii du ciel n'ij peut entrer." Im übrigen wiederholt er die
Angaben des Q. Curtius von der Dreiteilung der Wohnungs-
anlage.
Am Eingang des zweiten Ringes traf, so erzählt Fumee,
die Gesandtschaft auf die Priester. Alle grüßten, indem sie ihre
Häupter entblößten, die Priester neigten sich tief zum Gruße
und wandten sich dann dem Tempel wieder zu. ,,Apres eux
sans aucun intervalle suivoyent des femmes et des filles en assez
grand nombre qiii nous firent pareüle salutation, nous donnans
par lä ä entendre que nous les devions suivre. Ces femmes et filles
chantoyent en leur langage certaines chansons ä l'honneur de Juppiter.
Les Prestres parvenus ä l'entree du temple se rangerent d'une part
et d'autre et les femmes et filles qui sont voüees au Service du Dieu,
entrerent au temple continuans leurs chants, restans nous autres
devant ces Prestres au dehors. Cependant quatre Prestres venans
du profond du temple s'advancerent vers l'entree, apres lesquels
le grand Prestre se voyoit porte en une cliaise par deux autres Prestres
d cause de sa vieillesse. A son arrivee tous les Prestres se proster-
nerent en terre comme nous fismes aussi et laissans la veue contra
hos par humilite et tenans iceux en leurs mains certains vaisseaux
d'or, qui sont plats et un peu creux, dedans lesquels y avoit des charbons
ardents; ils ietterent dessus des drogues aromatiques, qui rendoyent
une odeur la plus douce qu'il estoit possible."
Für diese feierliche Zeremonie fand Fumee nur wenig An-
deutungen bei Q. Curtius. Dieser erwähnt nur, daß die Priester
kostbare Gefäße schwingen, daß ihnen Frauen und Jungfrauen
folgen, welche ,,patrio more inconditum quoddam carmen"
singen, um Jupiter günstig zu stimmen, und endlich, daß der
älteste Priester Alexander begrüßte. Die ganze, höchst an-
schauliche Inszenierung der Begegnung ist Fumees selbständige
Komposition.
Nach dem Beispiel Alexanders bringt auch der Führer der
Gesandtschaft Geschenke dar.
Was Fumee dem Werke des Q. Curtius zu ver-
danken hat, ist hiermit erschöpft.^*) Er hat mit Glück
und Geschick die Nachrichten des Historikers verwendet und
aus ihnen eine der am besten erzählten Episoden seines
Romans gemacht.
^*) An anderer Stelle (S. 155) gibt er, lediglich als historische
Belehrung, die Antwort wieder, die Alexander von dem Ammonpriester
zuteil wurde, und verwertet für diese Angabe den Schluß desselben
Kapitels.
184 Walther Küchler.
Pr 0 c 0 p.
Anschließend an den Tod des Scythenkönigs und die im
Scythenlande üblichen Leichen- und Begräbnisfeierlichkeiten
spricht Fumee auch von dem Jenseitsglauben der Scythen und
erzählt dabei Folgendes: Die Scythen glauben, daß die Glück-
seligen auf einer Insel im Ozean zwischen Britannien und Thule
nach Osten zu wohnen, und daß die Seelen ihrer Könige, die das
Volk nicht unterdrückt und tugendhaft gelebt haben, dorthin
geführt werden. An der Küste der östlichen Bretagne, so sagt
man, wohnen Fischer, die deshalb dienst- und zinsfrei sind,
weil es ihre Aufgabe ist, die Seelen dieser Fürsten hinüberzu-
fahren. Die Seelen langen de? Abends oder in der Nacht
an, wenn die Fischer schlafen. Sie klopfen an die Türe, und
die Fischer machen auf und hören, daß man sie zu ihrer
Pflicht ruft. Alsbald stehen sie auf, begeben sich ans Gestade
und finden dort fremde Schiffe, ohne Matrosen oder andere In-
sassen auf ihnen. Sie treten hinein und beginnen zu rudern.
Und wie sie rudern, bemerken sie wohl, daß die Schiffe beladen
sind wie mit Menschen, aber sie sehen Niemanden. Dann plötzlich
erblicken sie sich am Ufer jener glückseligen Insel, in kürzester
Zeit haben sie den Weg zurückgelegt, zu dem sie in ihrem eignen
Fahrzeuge einen Tag und eine Nacht gebrauchen würden. Wieder
sehen sie Niemanden, aber sie hören die Stimme derer, die die
Neuankommenden begrüßen und mit ihrem Namen und dem
ihrer Eltern, nach ihrem Rang und ihren Taten benennen. Und
sobald die Schiffer ihrer Last ledig geworden sind, werden sie
mit derselben Schnelligkeit, mit der sie gekommen waren, wieder
zu ihren Wohnungen zurückgeführt.
Diese schöne, geheimnisvolle Sage hat Fumee in Procops
Gothenkrieg, im 20. Kapitel des vierten Buches gefunden und
mit kleinen Auslassungen in den Roman übernommen. ^■^) In
seine Übersetzung des Gothenkriegs hat Fumee neben manchen
anderen Kapiteln auch dieses Kapitel ausgelassen, da es seine
Absicht war, nur die unmittelbar auf den Krieg sich beziehenden
Ereignisse in seiner Übersetzung mitzuteilen.
Vi t r u vi US.
Melangenie übergibt der Cliaride eine ausführliche schrift-
liche Besciireibung des Tempels des Jupiter Ammon.'^*^) Diese
Beschreibung ist das Phantasiegebilde eines mit der Wissen-
schaft der Architektur vertrauten Mannes, wie es deren im
^^) Von Thule steht in dem benutzten Kapitel bei Procop nichts,
dagegen spricht er II, 15 von Thüle als einer sehr großen, zehnmal
größeren Insel als Britannien, die weit im Norden liogi>.
86) Fcuill. 206b— 226n.
Martin Fumees Roman ,,/)» vraji et parfuii aniour'. 185
architekturfreudigen Zeitalter der Renaissance viele gab. Das
klassische Werk über architektonische Fragen war seit langer
Zeit das Buch des Vitruvius ,,Dc Architectura", das allen Arbeiten
auf dem Gebiete dieser Kunst und Wissenschaft zugrunde lag.^^)
So beruht denn auch die Beschreibung des Juppiter Ammon-
Tempels z. t. auf den Angaben und Vorschriften des Vitruvius. Wie
Fumee den Vitruv verwertet, mögen einige Beispiele zeigen.
Wenn Fumee schreibt ,,Le temple de Hammon est esleve sur
sept marches comprins le plan pour une marche ... Ce nomhre
impair est ä fin qii'en montant le pied droict se troiwe sur le plan,
parce que coiislamierement on leve le pied droict le preniier pour
faire la premie?'e demarche," so denkt er an Vitruvius III, 3: ,,Gra-
dus in fronte ita constituendi sunt, uti sint semper impares. Nam-
que cum dextro pede primus gradus ascendatur, item in summo
templo primus erit ponendus." D. h. was Vitruv als allgemeine
Forderung aufstellt, wird bei ihm unter Beibehaltung der theo-
retischen Begründung die besondere Eigenschaft des Tempels.
Von den Säulen schreibt Fumee: „Les qualre colonnes, qui con-
stituent les quatre coings sont un peu, coinme environ d'une cin-
quantiesme partie, renforcees. Ce qui toutesfois ne semble pas paroistre
ä l'oeil ä cause de l'air environnant plus ä l'aise les coings pour
l'amour de leur contour, qui abuse nostre ceil." Diese Beobachtung
liefert ihm Vitruvius III, 2: Etiamque angulares columnse crassiores
faciendae sunt ex sua diametro quinquagesima parte, quod eae
ab aere circumciduntur et graciUorcs esse videntur aspicientibus."
Wenn Fumee die Gestalt und den Schmuck der jonischen
Säulen auf eine besondere Absicht der Alten zurückführt, so
schöpft er wieder aus Vitruv. Dieser berichtet IV, 1 die dorische
Säule sei nach dem Bilde des männlichen Körpers geformt worden
und fährt dann fort: ,,Item postea Dianae constituere aedem,
quaerentes novi generis speciem, iisdem vestigiis ad muliebrem
transtulerunt gracilitatem, et fecerunt primum columnae crassi-
tudinem altitudinis octava parte, ut haberent speciem excel-
siorem, basi spiram supposueruat pro calceo, capitulo volutas,
uti capillamento concrispatos cincinnos praependentes dextra
ac sinistra collocaverunt et cymatiis et encarpis pro crinibus
dispositis, frontes ornaverunt, truncoque toto strias, uti stolarum
rugas matronali more demiserunt."
Fumee: „Or combien que la base se trouve simplement bastie,
toutefois ce chapiteau est en ses platesbandes et demy bozel et demy
nacelle tout couvert de menus ouvrages de fleurs et quelques plaisans
compartimens. Ce qui a este invente ä ce que i'ay apprins, par
les anciens, voulans par leurs colonnes Joniques representer de
heiles et ieunes filles, faisans ä ceste fin ces colonnes plus longues
et plus deliees que ne fönt les autres nations les leurs; et par ces
^') Mir lat;' vor die Ausgabe Lug'duni MDL 11.
186 Walther Küchler.
voluies ils ne vouloyent representer que les cheveux ainsi hien tressez
et pliez par cordons en formes de limagons, faisans de l'une ä l'autre
couler ces Bandes couvertes de fleurofis, comme signifians par icelies
les couronnes de fleurs que leurs filles portoyent en teste par dessus
leurs cheveux d leurs festes et assemblees solennelles (213 b f.);
und indem er von anderen Säulen spricht, die eine für die frommen
Frauen des Heiligtums bestimmte Gallerie stützen: .,^La forme
de ses colonnes est composee d'une autre fagon, encor qu'elle soit
Jonique comme est le hastiment du temple, duquel les colonnes estans
plaines^ celles-cy sont canelees, voulans les anciens architectes par
ces caneleures representer les plis des robbes de leurs Joniennes" (222a).
Abgesehen von diesen Beispielen direkter Entlehnung sind
auch die Angaben der Maße des Gebäudes, die Ausführungen
über die Symmetrie der einzelnen Teile der Säulen und andere
Einzelheiten nach Vorschriften des Vitruvius, wenn auch durch-
gehends unter Zugrundelegung anderer Zahlenverhältnisse ge-
halten. Übereinstimmungen mit den Anmerkungen des Philander,
wie Körting angibt, habe ich nicht gefunden.
Die lange Beschreibung ist außerordentlich monoton und
ermüdend und bei der Fülle der termini technici und wegen der
peinlichsten Pedanterie in der Besprechung von Kleinigkeiten
eher geeignet im Leser das Gefühl der \'erwirrung zu erregen,
als eine klare Anschauung von dem beschriebenen Tempel zu
gewähren. Es hat ganz den Anschein, als ob sie von einem
gelehrt erscheinen wollenden Dilettanten in architektonischen
Dingen, wie Fumee es unzweifelhaft war, verfaßt worden ist.
Macrobius.
In seiner Belehrung über die Penaten teilt der Polet auch
folgende Ansicht mit: „Aucuns ont voulu faire accroire que les
Dieux Penates estoyent ceux^ par le moyen desquels nous respirons,
nous sommes faicts corps et ioüyssons de raison . . ." (234 b). Diese
Angabe übersetzt Fumee wörtlich aus dem 4. Kapitel des 3. Buches
der Saturnalien des Macrobius: ,,Qui diligentius eruunt
veritatem, penates esse dixerunt, per quos penitus spiramus,
per quos habemus corpus, per quos rationem animi pos-
sedemus."
Weiter gibt der Po'et an, warum man den Manen Mohnköpfe
zum Opfer darbringt. Im 7. Kapitel des 1. Buches der Satur-
nalien spricht man von den Festen zu Ehren der Laren und ihrer
Mutter, der Göttin Mania. Es heißt dort, daß auf Befragen über
die Art des Opfers das Orakel des Apollo geantwortet habe: „Ut
pro capitibus capitibus supplicaretur." Daher wurden lange
Zeit der Mania Kinder zum Opfer gebracht. Diese grausame
Sitte beseitigte der Consul Junius Brutus nach Vertreibung des
Tarquinius und ließ statt mit Kinderköpfen mit Knoblauch- oder
Martin Fnmee's Roman .^Dii i^ray et parfait amonr". 187
Mohnköpfen opfern. Fumee spricht weder von der Göttin Mania
noch von dem römischen Consul. Er läßt den Laren selbst
opfern auf Grund des doppelsinnigen Apollo-Orakels. Statt des
Consuls sind es die Griechen, welche das Orakel in menschlicherem
Sinne auffassen, da sie wissen, daß die Götter und unter ihnen
Apollo keine Mensclienopfer verlangen (S. 235).
Noch eine dritte Anlehnung an Macrobius findet sich in dem
Roman.
Der Polet in seiner Rede über die Gottheit spricht nämlich
auch von dem der Minerva, der Juno und dem Jupiter zugleich
gewidmetem Tempel in Samothrace: ,,Ainsi que nous pouvons
remarquer par le temple de l'Air en Samothrace^ lequel est dedie
d Juno et ä Minerve ^ attribuans la plus haute region de l'Air ä
Minerve, la plus hasse a Juno et celle du millieu ä Juppiter, feignans
Juppiter mary de Juno pour estre l'air inferieur commande par
le superieur, et Minerve sortie du cerveau de Jupiter, qui est la
plus haute partie de l'homme" (S. 237b). In Saturn. III, 4 heißt es:
„Esse autem medium aethera Jovem, Junonem vero imum
aera cum terra et Minervam summum aetheris cacumen. Et
argumento utuntur, quod Tarquinius Demerati Corintliii filius,
Samothracicis rehgionibus mystice imbutus, uno templo ac sub
eodem tecto, numina memorata coniunxit."
Die Abweichungen Fumees von Macrobius sind leicht ersicht-
lich. Bei keinem alten, von mir durchgesehenen Schriftsteller
sind die angeführten drei Angaben zu finden, so daß wohl Fumees
Abhängigkeit von Macrobius anzunehmen ist.
Pausanias.
Für die Eindrücke und Belehrungen, die den Reisenden in
Argos zuteil werden, scheinen neben Plutarch die Korinthiaca des
Pausanias unserem Autor einiges Material geliefert zu haben. So
spricht z. B. Pausanias in Kapitel 17 von Statuen, die vor dem Ein-
gang und im Vestibül des Tempels aufgestellt sind, sowie von einer
Junostatue aus Gold und Elfenbein, die Polycletes angefertigt
habe. Ohne Zweifel von Pausianias angeregt schreibt Fumee:
,,Ce temple de Juno est fort renomme et entre autres singularitez,
qui y sont, il est grandement embelly et enrichy pour les statues
qu'on y veoid taillees de la main de Polyclete, lesquelles pour l'art
de sculpture surpassent Celles qu'on trouve avoir este faictes par
le sculpteur Phidias" .^^)
Von den Opfergaben erwähnt Pausanias einen aus Gold
und Edelsteinen verfertigten Pfau. Fumee läßt seine Personen
neben Hammeln und Tauben auch Pfauen zum Opfer dar-
bringen.
«8) S. 372b.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII% 13
188 Walther Küchler.
Schließlich spricht er noch nach Pausanias (II, 15) von der
Feindschaft der Argier gegen Mykene und von der Zerstörung
dieser Stadt durch die Argier in einem günstigen Augenblicke.^^)
Den Kampf der Frauen von Argos gegen Cleomenes, den
Pausanias ebenfalls kurz erwähnt, erzählt er, wie wir sahen,
nach Plutarch.
Apollodorus.
Auch Pausanias erzählt im 8. Kapitel des 2, Buches seines
Werkes die Sage von Melampus, der die Frauen von Argos vom
Wahnsinn geheilt habe um den Preis der Teilung des Reiches
zwischen dem Könige Anaxagoras, ihm selbst und seinem Bruder
Bias. Aber Fumee, der diese Sage in seinem Roman vorbringt,^^)
ist nicht seiner Fassung, sondern der Überheferung, die Apollo-
dorus im 2. Kapitel des 2. Buches seiner Bibhothek gegeben hat,
gefolgt, wie eine Gegenüberstellung der beiden Texte, die aber
bei der geringen Bedeutung, die die Erzählung der Sage in der
Ökonomie des Romans einnimmt, nicht nötig ist, erweisen würde.
Auch den Danaemythus, den Fumee auf der gleichen Seite
erzählt, macht er sich im wesentlichen nach der von Apollodor
im 4. Kapitel desselben Buches mitgeteilten Fassung zu eigen.
Kleine Abweichungen finden sich, so eine wohl absichtlich ratio-
nalistischer Art. Den Goldregen des Jupiter nämlich, der nach
dem Bericht des Apollodor Danae verführt, wandelt er in Gold,
mit dem der Wächter der eingeschlossenen Jungfrau von einem
Liebhaber bestochen wird.
Mit den angeführten Beispielen ist die Summe der Ent-
lehnungen aus antiken Schriftstellern bei weitem nicht erschöpft.
Es sind nur angegeben worden die Quellen, von denen mit Be-
stimmtheit gesagt werden konnte, daß sie dem Verfasser un-
mittelbar vorgelegen haben müssen, als er seinen Roman schrieb,
oder solche, an die er sich so genau erinnerte, daß er sie ungefähr
so wiedergab, wie er sie kennen gelernt hatte. Alle für die Kom-
position des Romans wichtigen Quellen sind bei dieser Beschrän-
kung nach ihrer Herkunft und der Art ihrer Verwendung auf-
gewiesen worden. Alle Entlehnungen aus dem Altertum, die
sich in dem Roman finden, anzugeben, würde zu weit führen.
Es wäre auch gänzlich überflüssig; denn daß einem Schriftsteller
der Renaissance das Schrifttum der Antike aufs innigste vertraut
ist, ihm bei seiner Tätigkeit unaufhörhch Motive und Gedanken,
Tatsachen und stilistische Wendungen liefert, ist eine altbekannte
Sache und hätte nicht noch einmal an einem neuen Beispiel
gezeigt zu werden brauchen. So sind denn viele, nur eben flüchtig
8») S. 377.
90) S. 375a f.
Martin Fumee's Roman ,,Dii vray et parjait amour". 189
auftauchende und wieder verscliwindende Reminiszenzen aus dem
Altertum, die dem Autor auf den verschiedensten Wegen hatten
zugehen können, die etwa schon ein allgemeines Gut der Gebildeten
geworden waren und von ihm verwertet worden sind, ohne daß
man an eine ihm im AugenbUck gegenwärtige Quelle zu denken
hat, nicht mit berücksichtigt worden. Um das Bild des Romans,
das man sich nach den genannten Quellen vielleicht gemacht
hat, zu vervollständigen, genügt es, sich vorzustellen, daß zu den
behandelten Entlehnungen noch eine ganze Reihe von anderen
kleinen und kleinsten hinzutreten, die zwai- irgend welche neuen
Gesiclitspunkte für das Verständnis des Werkes nicht mehr hinzu-
fügen, von denen eine jede aber mit dazu beiträgt, jenen anti-
kisierenden Hauch zu verstärken, der über das ganze Werk aus-
gebreitet liegt.
Eine besondere Art von Quelle darf jedoch noch Anspruch
auf Erwähnung machen. Das ist die geographische Karte.
Mit peinlicher Gewissenhaftigkeit verzeichnet Fumee jedesmal,
wenn sich ihm die Gelegenheit bietet, den Reise weg seiner
Personen, gibt er genau die Lage der Örtlichkeiten an, die sie
berühren. Neben dem Studium geographischer Werke hat ihm
zur unmittelbaren Anschauung der geographischen Verhältnisse
unzw^eifelhaft die Benutzung von Atlanten verhelfen .
M acch i a ve lli.
An die Schilderung der beiden ersten Tage des Triumph-
zuges des Paulus ^Emilius durch Melangenie knüpft Charide eine
Betrachtung allgemein-geschichthchen Charakters an. Sie wundert
sich nicht, daß die Römer tägüch ihre Macht weiter ausbreiten,
da sie den Ruhmespreis des Triumphzuges ihren Heerführern
als Belohnung verleihen. Denn nichts lasse uns das Leben mehr
verachten und sporne besser zu den schwierigsten Dingen an als
der Ruhm. Wenn wir Griechen, so vergleicht sie schmerzHch,
ebenso gehandelt hätten, anstatt unseren Ruhm auf die Wagen-
rennen zu gründen, so wäre die Macht der Römer jetzt nicht so
ausgebreitet in unserem Lande . . . Wir haben auch in Griechen-
land tapfere Feldherrn gehabt, aber die Belohnung für ihre kriegeri-
schen Taten ist immer sehr mager gewesen; denn unsere Vor-
fahren glaubten, ein Feldherr dürfe sich nur durch den Willen
nach Recht und Gerechtigkeit leiten lassen. So und noch weiter
philosophiert — ein wenig aus der Rolle der schüchternen Jung-
frau und sentimentalen Liebhaberin fallend — die kleine Charide
(204b f.).
Fumee kann wohl aus sich selbst diese Betrachtung gezogen
haben. Immerhin darf darauf aufmerksam gemacht werden,
daß Macchiavelli in seinen ,,Discorsi sopra la prima deca di
T. Livio", und zwar Buch I, Kap. 28 und 29, Rom und Athen
13*
190 Walther Küchler.
einander gegenüberstellt, was die Belohnungen angeht, die beide
Staaten ihren Heerführern zukommen ließen.
Francesco Colonna.
In einer handschriftlichen, wohl aus dem achtzehnten Jahr-
hundert stammenden Notiz, welche in einem auf der Pariser
Nationalbibliothek befindhchcn Exemplar des Romans enthalten
ist, heißt es unter anderen Bemerkungen: L'auteur est vraisem-
hlahlement Giiillaume Filandrier, au moins des descriptions d'Archi-
tecture et peut-etre du tout ä Vimitation de Francesco Colonna.
Der Roman Fumees ist sicher keine Nachahmung der
„Hypnerotomachia di Poliphilo" des Francesco Colonna. Doch
ist es nicht ganz unmöglich, daß Fumee an das Beispiel dieses
Romans gedacht hat, als er in sein Werk die architektonischen
Teile und die Beschreibungen von Kunstwerken einführte. In
dem auch in Frankreich viel vorbreiteten Werke des Italieners
finden sich in reicher Fülle halb wissenschafthch-theoretisch,
halb künstlerisch-anschaulich gegebene Beschreibungen von Bau-
werken, Statuen und Bildern. Irgend welche Berührungen aber
in der Anlage des Ganzen oder in einzelnen Beschreibungen
sind nicht zu entdecken. Von einem greifbaren Einfluß Colonnas
auf Fumee kann also keine Rede sein. Der Sinn für Kunst
und künstlerische Beschreibung war diesem Zeitalter an und
für sich eigen.
Eine alchimistische Allegorie.
Auf der Reise, die Theogenes und Charide nach allen glück-
lich überstandenen Gefahren der Heimat zuführt, erzählt Theo-
genes seiner Braut als Wegkürzung von einem seltsamen Schau-
spiel, das einer der Großen des Scythenreichs eines Abends in
seinem Zelte habe aufführen lassen. 9^)
Dieses Schauspiel hat folgenden Inhalt: Der Gott Apollo
tritt auf, mit schöngekämmtem, bis auf die Schultern herab-
hängendem, blondem Haar und spricht einige dem zuschauenden
Theogenes unverständUche Worte. Bald darauf erscheint unter
einem weißen Schleier ein Dämon ^.palpable ce sembloit-il, toutefois
ne se pouvoit il arrester". Blitzschnell nähert er sich dem Gotte
und sogleich ist es dem Zuschauer — täuscht ein Trug seine
Augen — als ob Apollo verschwunden wäre und nur der Dämon
noch übrig bliebe. Dann kommt Vulcan herbei, offenbar in der
Absicht, Apollo zu rächen; denn er fährt den Dämon mit heftigen
Worten an, so daß dieser augenbückhch verschwindet und Apollo
wieder sichtbar wird. Dieses dem Zuschauer gänzHch unver-
81) S. 345b ff.
Martin Fumee's Roman ,^Du i>raij et parfail amour". 191
ständliche Schauspiel wiederholt sich fünf- oder sechsmal. Nach
dem letzten Mal sieht Apollo ganz hinfälHg aus, obwohl sein
Teint derselbe gebUeben ist. Er deutet mit Gesten an, daß er
sich ganz gebrochen fühle. Der Dämon ist aber noch nicht
zufrieden mit seinem Werke, er erscheint von neuem mit einem
von einem langen gelben Gewände über und über bedeckten
Kameraden, und beide bearbeiten Apollo dermaßen, daß er wieder
ganz unsichtbar wird. Wieder eilt Vulcan zu Hilfe und zwingt
die beiden Dämonen zur Flucht. Apollo zeigt sich, schwächer
als je, nicht mehr fähig, sich vom Boden zu erheben. Da er-
scheint Aesculap. Der läßt sogleich ein Bad von gewissen, aus
gereinigtem Sand der cyrenäischen Wüste bereiteten Droguen
zurichten. Mit diesem Bade wird Apollo vor einem Feuer mehrere
Male gesalbt und eingerieben und ebenso oft wird er wieder
abgetrocknet. Dann legt man ihn für einige Zeit in ein kaltes
Bad „faict des excremens de Bacchus". In diesem Bad wird
Apollo immer kleiner und zerschmilzt wüe Schnee an der Sonne,
derart, daß seine Substanz sich überall in dem Wasser verbreitet.
Dieser eigentümliche Erfolg seiner Kur macht den Arzt gar nicht
irre, er ist vielmehr seiner Sache sehr sicher und läßt das Bad
so oft wiederholen als der Kranke vorher gewaschen, gerieben
und getrocknet worden war. Schließlich wird das gesamte Bade-
wasser mit Hilfe eines kleinen Feuers erwärmt, all die Feuchtig-
keit" verschwindet und Apollo erscheint getrocknet, aber noch
schwächer von all den Waschungen und Salbereien. Theogenes
hält ihn für verloren und wundert sich nur, wie man in diesem
Lande dazu komme, dem Volke den Tod eines Gottes vorzuführen,
da doch die Götter für unsterblich gehalten werden. Aber er
sollte sich täuschen. Denn der Arzt ruft den Sohn der Luft und
des Mondes herbei, der ihm übergibt ,,dii plus beau et plus
precieux qui fut en soy". Dieses geheimnisvolle Etwas des
geheimnisvollen Wesens gibt Aesculap dem Apollo zu ver-
schlucken, der durch dieses Mittel sofort seinen lebendigen
und wunderschönen Teint wiedergewinnt, aifec une teile pleni-
tude de vie que se communicquant en tel estat aux malades
et decrepits, il les remettoit en meiUeure disposition qu'ils
n'acoient este."
Damit ist das Schauspiel zu Ende, und es ist dem Theogenes
wohl zu glauben, wenn er versichert, daß der Sinn dieser Vor-
führung ihm ein Geheimnis geblieben sei.
Auch mir blieb die Bedeutung des Rätsels verschlossen, bis
ich sie in der oben erwähnten handschriftlichen Notiz fand. Es
steht da zu lesen:
Clef pour les Chimistes.
Apollon — L'or
Daimon — le mercure
192 Walther Küchler.
Vulcan — le feu de la naiiire et le feii^-)
Vetement blond — le soiifre
Drogiies des sahlons de la coiitree Cyrenaique — sei Ammoniac
Excrement de Bacchus — Tartre
fils de l'air et de la liine — Rosee
Apollon plein de de — Grand ceiivre et Vor jin
Aesciilape — Vartiste.
Wir haben es also in jenem Schauspiel unter dem Scythenzelt
mit einer allegorischen Einkleidung des großen, göttlichen Werkes
zu tun, an dem Jahrtausende hindurch die Alchimisten gearbeitet
haben. Genau nach den Vorschriften, wie sie die alchimistischen
Schriftsteller in ihren Werken geben, vollzieht sich, ihrer Allegorie
entkleidet, die Prozedur, die Fumee schildert. Die äußerliche
Vernichtung Apollos und seine Wiederbelebung bedeutet nichts
anderes, als etwa die in einem dem Avicenna zugeschriebenen
Traktat enthaltene Forderung ,,ut corporeum fiat spirituale
sublimando et cum est spirituale, fiat iterate corporeum des-
cendendo".''^) Bei Hermes Trismegistus in der Übersetzung
Berthelots: ,,»^1 ta ne depouilles pas les corps de leur nature cor-
porelle et si tu ne donnes pas une nature corporelle aux etres in-
corporelles, rien de ce que tu attends n'aura lieu."^^)
Allegorische Darstellungen des Goldmachens finden sich
bei alten und neuen alchimistischen Schriftstellern. So z. B. bei
Zosima, wie sie Berthelot in seiner Sammlung mitteilt^^), oder
in dem Werkchen von Zachaire: Opuscule tres-excellent de la
vraye philosophie naturelle des Metaulx, traictant de V augmentation
et perfection d'iceux,^^) dessen letzter Teil die Überschrift trägt
Cy commence la tierce partie, en laquelle L'aucteur monsire la
praclique soubz allegorie. Keine der mir bekannten Allegorien
entspricht genau der von Fumee erzählten, aber es kann gar
kein Zweifel sein, daß Fumee mit der Geheimsprache der Al-
chimisten, welche die Metalle, Salze und die anderen dem Werke
dienenden Körper z. T. mit antiken Götternamen belegten.
vertraut war, ebenso wie mit den geheimnisvollen Allegorien,
die ihre Werke enthalten.
Der unbekannte \'erfasser der handschriftlichen Eintragung
setzt seine Notiz noch mit einigen Bemerkungen fort, aus denen
hervorgeht, daß er Guillaume Philander für den wahrscheinlichen
^2) So lese ich die an dieser Stelle nicht ganz deutliche Handschrift.
^^) Bibl. ehem. de Mangel 1. I. p. 629; nach Berthelot: Collection
des anciens alchimistes grecs t. II. p. 124 (Paris 1888).
»*) Ebda.
»5) T. II p. 125 ff.
^®) Lj'on 1574 in-K)**, darin enthalten auch der ,,naicte de vene-
rahle docteur Allemant Messirc Bernard Conte de la Marche Trevisane
sur le mesme subiect, in dessen 4. Teil der Autor ebenfalls ,,wn peu
paraboliquement" von der pratique spricht.
Martin Fiimee's Roman „Du vray et parjait amour". 193
Verfasser des Romans hält. Anhänger dieser Theorie könnten
eine Bestätigung für sie finden in der weiteren, auf dem Büchlein
von Zachaire fußenden Bemerkung „on faisoit de la Chimie chez
le Cardinal d'Armagnac ainsi qiie de l'architecture." Tatsächlich
erzählt Zachaire, daß er sich mit einem Abbe aus der Nähe von
Toulouse zusammengetan habe, qui disoit avoir Ic double d'une
recepte pour faire nostre grande oeuvre, que un sien amy qui suyvoit
le Cardinal d'Armaignac luy avoit envoye de Rome. Aber dieses
Zusammentreffen braucht uns durchaus nicht zu veranlassen
auch den Verfasser des Romans in der Umgebung des für Kunst
und Wissenschaft begeisterten Kardinals zu suchen.
Auch Martin Fumee war ein Mensch der Renaissance, fähig
in sich aufzunehmen und auf seine Weise zu verarbeiten, was
an geistigem Gehalt sie mit sich führte.
Die Art der Entlehnungen aus dem Altertum.
In überraschend reichem Maße, das hat die Untersuchung
bisher gelehrt, durchdringt das Altertum den Roman. Eine
Fülle von Kenntnissen und Anregungen, die er aus antiken
Autoren gewonnen hat, verarbeitet Fumee in seinem Werke.
Plutarch, Herodot, Livius, Quintus Curtius, Procop, Vitruvius,
Macrobius, Pausanias und Apollodor haben sich als die mit
Sicherheit festzustellenden antiken Autoren erwiesen, aus denen
Fumee für die Komposition seines Romans Elemente in mehr
oder minder größerer Anzahl verwendet hat.
Ihnen gegenüber hat er aus neueren Quellen so gut wie nichts
geschöpft. Möglicherweise hat ihn der Roman des Francesco
Colonna angeregt auch in seinem Roman der Wissenschaft der
Architektur einen Platz einzuräumen, sicher haben ihm auch
moderne alchimistische Schriften die Idee zu der allegorischen
Darstellung des großen W^erkes gegeben, vielleicht hat ihm
auch einmal eine Erinnerung an Macchiavelli vorgeschwebt,
aber der Kern des Romans bleibt von direkten Entlehnungen
aus neueren Schriftstellern so gut wie frei.
Verschieden wie die Zahl der den einzelnen Autoren ent-
nommenen Entlehnungen, ist auch der Grad des Anschlusses,
den die verschiedenen Quellen an den Roman gefunden haben.
Manche sind fast wörtlich verwertet, manche sind weitläufiger
ausgeführt, manche sind kürzer behandelt worden. Manche
müssen dem Verfasser textlich während der Bearbeitung vor-
gelegen haben, manche sind wohl aus dem Gedächtnisse heran-
gezogen worden.
Der innere Zusammenhang, den die Quellen mit der Kom-
position des Romans eingegangen sind, ist ebenfalls sehr ver-
194 Walther Kückler.
schieden. Eine große Menge bleibt äußerliches Beiwerk. Sie
erscheinen als lose aufgesetzte Anekdote, als historische, geo-
graphische, naturwissenschaftliche, mythologische Belehrung, ohne
jede Verbindung mit der Handlung oder mit dem äußeren oder
inneren Leben der Personen. Andere, ohne ihren belehrenden
Charakter zu verleugnen, sind doch unzertrennUch mit der Hand-
lung und mit dem Wesen der Personen verknüpft worden. Sie sind
zu Reden oder Gesprächen in bestimmten Situationen zu be-
stimmten Zwecken geworden, sie geben Aufschluß über Über-
zeugungen, Ansichten und Gefühle, die das Innenleben ihrer
Träger erschließen. Wieder andere sind zu Impulsen des Ge-
schehens geworden oder begleiten die äußeren Handlungen mit
pittoresker Anschaulichkeit. In den letzteren Arten ihrer Ver-
wendung gehören sie zu den wichtigsten, die Eigenart des Romans
wesentlich mit bestimmenden Elementen des Werkes.
Das geschichtliche Element in dem Roman.
Unter allen Romanen seiner Zeit wird unserem Roman
dadurch eine eigenartige Stellung gewährleistet, daß der Ver-
fasser seine Handlung auf einem geschichthchen Hintergrund
sich erheben läßt. Aus den großen geschichtlichen Ereignissen
ihrer Zeit wachsen die Schicksale der Personen heraus. Die
Wechselfälle des Römerkriegs gegen Perseus von Mazedonien
haben Charide nach Rom geführt. Der gleiche Krieg hat dem
Theogenes die Waffen in die Hände gedrückt und ihn ebenfalls
in die Gefangenschaft nach Rom gebracht. Bei einem historischen,
genau in seinem wirklichen Verlauf und Milieu geschilderten
Ereignis erblickt Charide unverhofft den gefangenen Geliebten.
Die Loslösung des Theogenes durch seinen Vater wird fast zu
einer Staatsangelegenheit aufgebauscht, bei deren Verhandlung
das ganze Verhältnis der Römer zu den Staaten der griechischen
Halbinsel aufgerollt wird und zw^ar nach genauen geschichtlichen
Quellen. Die Großmut des römischen Senats gegenüber der
erfundenen Person des Romans erscheint so gewissermaßen nur
als ein Glied in der Kette der Beziehungen, welche Rom mit
seinen Freunden und Bundesgenossen verbindet.
So steht das äußere und innere Leben der Personen, ihr
Tun, ihr Leiden und ihr Gefühl in inniger, dem Leser immer
wieder zum Bewußtsein gebrachter Verknüpfung mit diesem
Krieg, seinen Wechselfällen und Rückwirkungen. Und ebenso
ist Melangenies Leben durch die hohe Politik bestimmt worden.
Hannibals endliches Unterliegen schleuderte sie aus den ruhigen
Bahnen ihres Lebens, und die sardinische Empörung ließ sie für
manche Jahre ein Asyl als Dienerin im Hause des römischen
Prätors finden.
i
Martin Fumee's Roman ,,l)u vraij et parfaü amoiir", 195
Überall haben wir es in den Grundlinien des Lebens unserer
Personen mit klaren, auf historisch-wahren Voraussetzungen
beruhenden Verhältnissen zu tun, mögen dann auch im einzelnen
die abenteuerlichen Zutaten sich einstellen.
Neben den bedeutenden historischen Persönlichkeiten und
Erlebnissen, mit denen die erfundenen Personen des Romans in
Berührung gebracht werden, ist es eine große Reihe von kultur-
historischen Einzelheiten, welche dem Roman eine gewollt
antikisierende Färbung, den Eindruck der Echtheit und Wirk-
lichkeit des Milieus verleiht. Die enge Verknüpfung mit dem
alltägUchen Leben, die der Verfasser den Begebenheiten des
Romans zu geben gewußt hat, gibt ihm häufig Gelegenheit,
Sitten und Gebräuche zu schildern, kleine Gewohnheiten zu
berühren, deren Existenz ihm aus seiner Kenntnis des Altertums
geläufig war. Die Schilderung zweier von Octavius veranstalteten
Gastmähler, die Versuche, Einrichtung, Würde und Aufgaben des
römischen Senats erkennen zu lassen, Opfer und Gebet der
Charide am Altar der Laren, sowie die häufig erwähnten Opfer
und Gebete aller Personen in den Tempeln der Götter, das un-
ablässige Hineinspielen so mancher mythologischer, historischer
und dichterischer Erinnerungen in die gewöhnliche Rede, solche
und viele andere Dinge geben zwar keine besonders tiefe und
umfassende Anschauung vom Leben und Empfinden der Um-
welt, in der die Personen sich bewegen, aber sie sind doch als
Anfänge des Aufmerkens auf die durchschnittliche Kultur einer
vergangenen Zeit und der Verwertung dieser Beobachtung für
die Erzählungskunst entschieden zu beachten.
Die Echtheit des historischen Milieus wird allerdings dadurch
gleich wieder in Frage gestellt, daß die Personen, die so in einer
bestimmten Zeit lebend gedacht werden, von religiösen, philo-
sophischen und moralischen Vorstellungen erfüllt sind, die erst
Jahrhunderte später in das Bewußtsein der Menschen gelangten.
Was an Religionsphilosophie und Moral in dem Roman steckt,
das hat Fumee aus Plutarch genommen, der um die Wende des
ersten und zweiten Jahrhunderts n. Chr. lebte, während der
Krieg gegen Perseus von Mazedonien in den Jahren 171 — 168
V. Chr. ausgefochten wurde.
Die Bedeutung Plutarchs für den Roman.
Seine R e 1 i g i o n s p h i 1 o s o p h i e.
Immerhin stört dieser Anachronismus nicht allzusehr. Das
Historische bezieht sich auf Äußerlichkeiten des Lebens und der
Geschicke der Menschen, das Philosophische und Religiöse auf
die Innerlichkeit ihrer Gedanken und Gefühle. Diese beiden
196 Walther Küchler.
AVeiten gehen im Roman nebeneinander her, ohne sich gegen-
seitig zu stören. Dem Kenner der Geschichte wird zwar ihre
innere Unvereinbarkeit klar, aber der Roman verschmilzt sie
ohne Schwierigkeiten.
Betrachtet man die Entlehnungen, die Fumee aus Plutarch
in religionsphilosophischer Hinsicht macht, so findet man, daß
er mit sicherem Blick das Wesen der Plutarchischen Theologie
erkannt und demgemäß in seinem Roman verarbeitet hat. „Ein
reiner und würdiger Gottesbegriff, eine dualistische Weltanschau-
ung und im Zusammenhang damit der Glaube an Offenbarungen
der Gottheit und an Wesen, die sie vermitteln,'" das sind nach
Eduard Zeller'-^^) die hervorstechendsten Züge der an Plato und an
den Neupythagoreismus sich anschließenden Theologie Plutarchs.
Gott ist gedacht als das ewige und einheithche Wesen, als das
Gute, welches alle Vollkommenheit in sich hat und in neidlosem
Wohltun sich allen mitteilt, als die Vernunft, deren versorgendes
Walten sich auf Alles erstreckt. Den Göttern haften keine
menschhchen Schwächen und Leidenschaften an, auch die physi-
kalische Deutung der Mythen, die Übertragung der Götternamen
auf Elemente und Naturereignisse, streitet nicht mit der Natui-
des Göttlichen.
Diese Auffassung von dem höchsten, unsichtbaren und
ewigen Gott der Güte, von den unter ihm stehenden, von ihm
geschaffenen übrigen Göttern und der Glaube an die Dämonen
als die in der Mitte zwischen der Gottheit und den Menschen
lebenden, höheren Geister der Luft ist in den von Plutarch ge-
gebenen Grundzügen in den Roman übergegangen.
Christhche Vorstellungen hat Fumee in seine religiösen
Betrachtungen nicht hineingetragen. Höchstens könnte man
erwähnen, daß in äußerlicher Weise die Schilderung des Lebens
der Priester und der frommen Frauen im Heiligtum des Jupiter
Ammon in einzelnen Zügen christlich-mönchische, nonnenhafte
Färbung erfährt.
Auch jener gemilderte Stoizismus, der die Philosophie
Plutarchs durchzieht und sich mit dem Ideahsmus Piatos und
der aristotelischen Vernunftlehre verbindet, ist in Fumees Werk
wieder anzutreffen und besonders in der Persönlichkeit und in
den Reden des Octavius und der Melangenie nachzuweisen.
Daß auch die im Roman geltende Auffassung der Liebe
zwar auf Piatos Liebesbegriff zurückgeht, aber in ihrem lehrhaften
Ausdruck nicht unmittelbar auf ihren Schöpfer, sondern auf
Plutarchische Bearbeitung zurückzuführen ist, hat die Unter-
suchung gezeigt.
^') Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Ent-
•icklung. Dritter Teil, zweite Abteilung p. 183. Vierte Auflage (1903).
Martin Fumee's Roman „Du vray et parfait amour" . 197
Dio Römer tugend.
Durcli dio Lektüre Plutarchs ist schließlicli ein Gefühl in
unserem Autor ausgelöst worden und in seinen Roman über-
gegangen, das in der Folgezeit von großer Bedeutung für die
französische Literatur, besonders für dio Tragödie, geworden ist.
Das ist das Gefühl der Bewunderung für Römergröße, der Sinn
für Römertugend. Es ist ganz offenbar, daß dio Gestalt des
Praetors Cn. Octavius, wie sie im Roman erscheint, unter dem
Einfluß dieser von Plutarch verbreiteten Begeisterung für das
Römertum aufgefaßt ist. Octavius erscheint als der ideale, edle
Römer. So etwa wie Paulus Aemilius von Plutarch geschildert
ist, charakterisiert ihn Fumee. Plutarch kennzeichnet die Natur
des Paulus Aemilius als „doulce et humaine". Er rühmt die
,,Uberalite et magnanimite" seines Geistes, die Sorge, mit der er
sich um das Wohl seiner Soldaten und um das Schicksal der
Besiegten kümmert.
Nicht anders ist Octavius von Fumee gedacht. Noch ehe
wir ihm selbst im Roman begegnen, singen Diener und Dienerinnen
das Lob seiner edlen Gesinnung. Melangenie verheißt der Charide,
daß sie bald kennen lernen werde seine Tugend „accompagnee
de ioute doulceur et coiirtoysie" . Obwohl die Freilieit des Krieges
es ihm gestattet hätte und obwohl ihre Jugend und Schönheit
ihn hätten verlocken können, so habe er doch nie ihre Ehre
anzutasten versucht. In seiner Enthaltsamkeit folge er nur
dem allgemeinen Beispiel; denn ,,/a continence des Capitains
Romains excede en cela les autres nations^ ne se licentians en aiicune
chose indigne de vertu, non plus d la guerre qu'ä la maison". So
rühmt sie in dem Einzelnen die Gesamtheit. Weiter weiß sie
von seinem mitleidigen Herzen zu erzählen. Er möchte, daß
jeder der gleichen Freiheit sich erfreue wie er selber. Schon
mehreren Sklaven habe er die Freiheit geschenkt, und wenn sie
seine Güte anflehen wollte, so würde er auch gegen sie die gleiche
liberalite et douceur zeigen, aber da sie jeden Tag die douce
humeur ihres Herrn spüre, so ziehe sie es vor, bei ihm zu
bleiben.
Als Octavius dann auftritt, zeigt er sich so, wie man ihn
auf Grund des von seinen Dienern ihm gespendeten Lobes er-
wartet: als ein feiner, taktvoller, gütiger Mann. Als er zum
erstenmal das Zimmer der Charide betritt, grüßt er sie nicht
wie ein Herr seine Sklavin grüßt oder mit der affektierten Grazie
dont on use envers quelque garce ou concubine, sondern mit
solch achtungsvoller Ehrerbietung, als wenn er eine vornehme
Dame, die in seinem Hause Gastfreundschaft genösse, vor sich
hätte. Die Worte, die er an sie richtet, sind ganz von väterlicher
Fürsorge und Liebe durchdrungen. Sie soll sich bei ihm fühlen
wie eine Tochter, will er, sie soll volle Freiheit genießen, als ob
198 Walther Küchler.
sie zu Hause wäre. Eine hohe Absicht leitet ihn bei seinem
Verhalten. Er möchte, daß sie das Lob der Römer mit in ihre
Heimat trüge; qiie si un Philippe et im Alexandre Roys de vostre
pays se sont montrez continens ä l'endroit des Dames captives,
voiis avez essaye im Romain victorieux non moins garny de
pareille vertu. Das ist die einzige Belohnung, die er für
sein Tun erstrebt, n'estant mon hut qu'en proffitant ä mon>
semhlable faire chose qiii m'apporte et ä ma repiibligiie gloire et
honneiir.
Sein Wunsch soll in Erfüllung gehen. Als Charide heim-
gekehrt ist, verkündet sie dankbaren Herzens sein Lob. Sie
erzählt ihrer Amme, wie es ihr ergangen ist. Bei der Plünderung
der eroberten Stadt hätten Soldaten sie ergriffen, da sei Octavius,
der Feldherr, gekommen und ihm sei sie übergeben worden.
Und der ist die Tugend selbst, und er hat mich erkennen lassen,
daß nicht ohne Grund die Götter den Römern ihre Gunst er-
weisen; denn wo die Tugend herrscht, da ist die Gottheit gegen-
wärtig.
Der mit solchen römerfreundlichen Gefühlen Zurückgekehrten
versäumt ihre mütterliche Freundin nicht, die Greuel der Ver-
wüstung und Brandschatzung, die sich ihre Vaterstadt von den
Römern hatte gefallen lassen müssen, zu berichten. Das Herz der
Freundin ist von Bitterkeit gegen die siegreichen Feinde erfüllt.
Wo sie nur kann, macht sie ihre Empörung gegen die Römer Luft.
Aber an dem Abend, da sie zum ersten Male wieder mit Charide
zu Tische sitzt, muß sie es dulden, daß auch Gapito, der Frei-
gelassene des Octavius, mit von der Gesellschaft ist, darf sie
von nichts anderem reden, als von der Größe und von dem Ruhm,
von der Gerechtigkeit, Güte und Milde des römischen Volkes;
denn so will es Charide.
Diese Hochschätzung der Römer als eines Volkes, in dem
edle Menschlichkeit gedeiht, in dessen Wesen Edelmut mit Staats-
klugheit sich paart, dessen glänzende Macht unter dem Schutze
der Götter sich entfaltet hat, sie ist ein nicht unwichtiger Gharakter-
zug des Romans, sie ist einer der Fäden mehr, die ihn mit dem
Geiste seiner Zeit verbinden.
Amyots Plutarch Übersetzung.
Daß es gerade Plutarch war, der dem Autor zu seiner Römer-
begeisterung verhalf, wie er ihm auch die moralischen und philo-
sophischen Gedanken lieferte, mit deren Hilfe er die Fabel seines
Romans vertiefte, hat nichts besonders Auffälliges an sich.
Man braucht sich nur die Tatsache zu vergegenwärtigen, daß
dank der ihm durch Amyot gewordenen Übersetzung kaum einer
Martin Fumee's Roman ,JJu vray et parfait amouf\ 199
der antiken Schrii'tsteller in dieser Zeit einen so starken Einfluß
gewonnen hat wie gerade Plutarch.
Plutarch hat in geschicktester Weise den ganzen Stoff der
antiken Philosophie in Diskussion und Kritik verarbeitet und
der Nachwelt aufs Bequemste dargeboten. Bequem für die,
welche auf das tiefere Studium der verschiedenen philosophischen
Systeme verzichten und nur die allgemeinsten Gedanken aus
ihnen sich aneignen wollten. Er selbst stand auf dem Standpunkt
einer Philosophie, für die das Zeitalter ganz besonders empfäng-
lich war, auf dem Standpunkt des Neoplatonismus. Er hat
ferner einen großen Teil der alten Geschichte, indem er die
geschichthchen Ereignisse im Anschluß an das Leben und den
Charakter des von ihm dargestellten Mannes behandelte, dem
Leser in anregender Weise dargeboten. Er hat ein großes
Tatsachenmaterial zusammengetragen, er hat die Fülle der
rein menschlichen Züge, der Begebenheiten des Alltags, die
pittoresken Einzelheiten, Anekdoten und Legenden, Mythus und
Fabel, kurz, er hat keine Mittel verschmäht, das umfassende
Gemälde von antiker Kultur, von innerlich gedanklichem Be-
streben und äußerlichen Vorfällen zu entwerfen, das er uns
hinterlassen hat.
Darum wurde sein Werk für viele eine unerschöpfliche Fund-
grube. Für den Historiker und Morahsten, den Philosophen und
Dichter. Die TatsächUchkeiten seines Werkes so gut wie der
allgemeine Geist, von dem es durchweht ist, haben auf lange
Zeit bestimmende Wirkung ausgeübt. Namen wie Rabelais
und Montaigne, Balzac und Rousseau tauchen sogleich auf und
erinnern an die Macht, die Plutarch, auf jeden in anderem Sinne,
ausgeübt hat.
Die direkten Entlehnungen, die Fumee aus Plutarch gezogen
hat, sind uns durch die Untersuchung bekannt geworden und mit
ihnen der Geist, den sie in das Werk hineingetragen haben.
Aber es ist vielleicht noch mehr durch das Medium der Amyot-
schen Übersetzung aus Plutarch in unseren Roman hinüber-
gegangen. Der menschlich-einfache, schlichte Ton, der die
Übersetzung Amyots auszeichnet, das allem äußerhchen Prunk
Feindhche, das dem Stil des Bischofs eignet, Eigenschaften, die
so gut der bürgerlich-geschwätzigen, niemals aufregenden, von
allem Pathos freien Art des griechischen Philosophen und Histori-
kers entspricht, sie finden sich bis zu einem gewissen Grade in
dem Romane Fumees wieder. Nicht so rein und schön wie bei
Amyot. Aber sie sind doch da und verleugnen sich nicht. Wie
sie sich äußern, soll in dem letzten Teile der Arbeit, der den
Roman ,,Z)m vray et parfait amoiir" den äthiopischen Geschichten
Heliodors gegenüberstellt, zu zeigen versucht werden.
200 Walther Küchler.
IV.
Das Terhältnis des Romans Kit Heliodors
„Aethiopisclien Oescfaiichteii''.
Ähnlichkeiten und Unterschiede.
Der Roman ist bisher ausschließlich unter dem Gesichts-
punkte des ihm zugrunde liegenden Quellenmaterials, der Art
der Nutzbarmachung dieses Materials und nach den Fäden, die
ihn in dieser Beziehung mit dem literarischen Schaffen seiner
Zeit verbinden, betrachtet worden.
Es kann nicht mehr zweifelhaft sein, daß unter diesem
Gesichtspunkte der Roman sofort ein erheblich größeres Interesse
gewinnt, als es die bisherigen Urteile über ihn, die ihn lediglich
als sklavische Nachahmung des Hehodorromans gelten lassen
wollten, ahnen ließen. Zwar ist es an sich wohl kulturgeschicht-
lich interessant genug, daß gerade zur Zeit der Renaissance der
spätgriechische Liebesroman einen so umfassenden, auf lange
Zeit hinaus wirksamen Einfluß auf die Romanliteratur gewinnen
konnte; was aber des Interesses und der wissenschaftlichen
Forschung erst in erhöhtem Maße wert ist, das ist die Unter-
suchung, wie der unter dem Einflüsse des griechischen Romans
neu sich entwickelnde moderne Roman aus den kulturellen
Kräften und Bestrebungen seines eignen Zeitalters seine innere
Verfassung herausbildet.
,,Du vray et parfait amour" — ein Renaissance-
roman.
Mag der Roman zunächst auch unter dem die freie Schöpfer-
kraft lähmenden Einfluß Heliodors entstanden sein, mag der
Verfasser vom Anfang bis zum Schluß vielleicht auch nichts
anderes beabsichtigt haben, als ein dem Heliodor genau ent-
sprechendes Gebilde zu schaffen, mag selbst seine Arbeitsweise
ihm als die gleiche erschienen sein, wie diejenige, welche er als
die des Heliodor erkannt hatte,^^) dennoch hat er ein von seinem
^^) Von Heliodor und seiner Arbeitsweise schreibt Rohde (Der
griechische Roman und seine Vorläufer, Leipzig 1876 p. 455 f.): ,,Im
übrigen hat er nicht ohne eine gewisse Sorgfalt die einzelnen Züge
seiner Darstellung aus Büchern gezogen .... Er ist ein Büchergelehrter
und teilt von seiner Gelehrsamkeit reichlich mit. Überall schafft er
sich Gelegenheit zu Exkursen und gelehrten Ausführungen über Gegen-
stände der Naturkunde, der wirklichen oder der fabelhaften, der Alter-
tümer, ägyptischer, persischer oder, griechischer, wobei ihm denn in
Ermangelung lebendiger Anschauung, bisweilen curiose Irrtümer
begegnen." Man könnte diese Ausführungen wörtlich auf Fumee
anwenden. Er arbeitet nicht anders. Wahrscheinlich hat er sogar
Martin Fumee's Roman „Da i'ruij ei /tarfaif anioiir'' . 201
Vorbild verschiedenes Werk geschaffen, donnuch hat seine Arbeit
das höchste Interesse; denn er kann gar nicht anders als unter
veränderten Kulturbedingungen und dorn Heliodor fremden
literarischen Voraussetzungen schaffen.
Wir liaben es in dem Verfasser mit einem Menschen joner
Zeit zu tun, für die das Studium der Werke des Altertums, das
Verwerten der antiken Erfahrung und Weisheit für das Leben
der Gegenwart höchste Lust und heißester Ernst war.
In vielfach verschiedener Form wurde diese Arbeit geleistet,
kamen die Erträgnisse des emsigen Fleißes der Gelehrten dem
allgemeinen Kulturleben zugute. Wir sehen diese Arbeit in den
zahllosen Spruch- und Sentenzensammlungen, die den antiken
Weisheitsstoff in gehäufter Menge darboten, damit ein jeglicher
sich nehmen könne, was ihm zusagte für die Erweiterung und
Vertiefung seiner Bildung und Lebensauffassung. Wir sehen sie
im kecken Werke Rabelais', das lachend und höhnend auf alles
Dunkle und Staubige, Unfreie und Unnatürliche losschlägt, im
Namen der unablässig zitierten Autorität des Altertums. Wir
finden sie wieder in der streng und nüchtern sich gebenden, vom
Geist der Antike durchtränkten Tendenzschrift des La Boetie,
im philosophisch durchsetzten, ebenfalls auf der Fülle antiker
Gedanken und geschichtlicher Tatsachen sich aufbauenden
Essaybuch des Montaigne, in anekdotengehäuften, halb ernst-
haften, halb lockeren Unterhaltungsbüchern, wie es Henri Estienne
in seiner .^Apologie poiir Herodote" und Guillaume Bouchet in
seinen „Serees" dem Publikum bieten.
In allen diesen Werken haben wir die verschiedenen Varia-
tionen eines großen Themas A'^or uns, Manifestationen einer Zeit,
die nach neuen Idealen strebte, nach Schönheit und Freiheit,
nach Erneuerung der enthusiastisch verehrten Antike zum Besten
der ringenden Kräfte.
Und in diese Bestrebungen hinein, als ein origineller Arbeiter
trotz der Masse der benutzten Quellen, stellt sich auch Martin
Fumee. Was andere auf anderen Gebieten, leistet er auf dem
Gebiete der kunstmäßigen, romanhaften Erzählung. Unendlich
schwächer als die Großen vor und neben ihm, als der ungestüme,
geniale Rabelais und der auswählende, dem Innerlichen zuge-
wandte Lebenskünstler Montaigne, darf er sich doch im Prinzip
an ihre Seite stellen Als einer der in der zweiten oder dritten
von der Arbeitsweise HeUodors eine ähnliche Anschauung gehabt wie
Rohde. So hätte er ihn also mit vollem Bewußtsein ,, sklavisch"
nachgeahmt. Sicher ist die Übereinstimmung, was die Büchergelehr-
samkeit angeht, die denkbar größte, und die Neigung zu Exkursen
teilt Fumee vollkommen mit Heliodor. Die Ähnlichkeit seines Werkes
in dieser Hinsicht mit dem Heliodors wird nicht im mindesten ge-
leugnet. Es soll auch nicht versucht werden, irgend welche inneren
Unterschiede nach dieser Seite hin zu konstruieren.
202 Walther Küchler.
Linie folgenden Mitstreiter im Kampfe jener Zeit, nicht auf dem
Gebiete der höchsten Lebensfragen in Philosophie und Moral,
aber auf dem Gebiet des ästhetischen Empfindens, des inneren
Taktes und des sittlichen Feingefühls; denn auf diesem Felde
bemühte sich auch sein Roman um die Anerkennung neuer
Werte.
Dieser innige Zusammenhang des Verfassers mit seiner Zeit
trennt sein Werk von dem des Heliodor.
Gewiß, auf den ersten Blick sind die ÄhnUchkeiten zwischen
den beiden Romanen groß. Ja, auch wenn man genauer zusieht,
wird vielleicht der Eindruck zunächst nicht anders sein. Man
entdeckt vielmehr immer neue Übereinstimmungen, man erkennt,
wie getreu in allen Teilen Fumee das Werk Heliodors gekannt
und wie abhängig er in seiner eigenen Schöpfung von ihm ist.
Unendlich viel von dem äußerlichen Aufputz hat er ihm abgeguckt,
und wenn es nur nach diesem Äußerlichen ginge, so möchten die
wohl recht haben, die seinen Roman ein wertloses Pastiche
nennen. Aber die wirkliche Erkenntnis vollzieht sich glücklicher-
weise nicht nach Äußerlichkeiten, und so dürfen wir es wagen,
unter voller Anerkennung all der vorhandenen äußerlichen
Ähnlichkeiten, nach den Abweichungen und Unterschieden
zu suchen, die das eine Werk innerlich von dem anderen
scheiden.
Die Komposition der beiden Romane.
Nach dem Vorbilde Heliodors geht auch Fumee sogleich in
medias res^^). Es ist fast ein Gesetz, das sich die Romanschrift-
steller nach Heliodors Beispiel auferlegen, ihre Romane nicht
mit dem Beginn der Beziehungen ihrer Personen zueinander,
sondern mitten in den sie betreffenden Ereignissen anfangen zu
lassen. Fumee, der erste konsequente Nachahmer Heliodors,
macht es nicht anders. Aber sogleich fällt der Unterschied beider
Werke ins Auge. Statt wie Heliodor mit einer phantastisch-
rätselhaften, von Blutgeruch, Orgiendunst und Leichen erfüllten
Szene, in der die beiden Hauptpersonen des Romans eine halb
rührende, halb lieroische Gruppe bilden, statt mit einer Szene,
deren Bedeutung erst sehr spät im Verlaufe der Erzählung be-
kannt wird, beginnt Fumees Roman mit der maßvoll-künstleri-
schen Schilderung eines historischen Ereignisses, des durch die
Straßen Roms sich bewegenden Triumphzuges des Paulus Aemilius.
Und fast zu gleicher Zeit, auf die einfachste und kürzeste Weise
wird dem Leser das Schicksal der beiden Hauptpersonen in
^^) Zum Vergleich muß natürlich die Übersetzung Amyots heran-
gezogen werden, die unter dem Titel „Histoire Ethiopique" 1547 zuerst
erschien. Eine Neuausgabe in der ,,Collection des romanciers grecs
et latins'\ Band 2 u. 3 der Sammlung. Paris 1822.
Martin Fum^e's Roman ,,Du vray et parfait amour". 203
seinen wesentlichen Zügen klar. Seine Phantasie, angeregt durch
Gesagtes und nicht Gesagtes, überschaut sogleich, ohne noch
über Einzelheiten unterrichtet zu sein, die Lage. Bei Heliodor
wird vom ersten Augenblick an die Spannung auf den höchsten
Grad gebracht, auf lange hinaus fiebernd erhalten und nicht
befriedigt. Bei Fumce halten sich Erwartung und Befriedigung
die Wage, ausgeglichen durch die vom Autor geschickt auf
den richtigen Weg geleitete Mitarbeit der Phantasie des Lesers.
Es soll mit diesem Vergleich nicht behauptet werden, daß
die Szene Fumees in ihrer ganzen Ausgestaltung besser sei als
die Heliodors, wie überhaupt die Untersuchung nicht absolute,
ästhetische Werturteile zutage fördern will; es soll nur eben der
verschieden geartete Charakter der beiden Werke aufgewiesen
und dargetan werden, daß verschiedene ästhetische Maßstäbe
zu ihrer Beurteilung lierangezogen werden müssen.
Die Komposition des Heliodorschen Romans wird weiterhin
dadurch gekennzeichnet, daß wir in seinem ersten Teile eine
beständige Mischung von Handlung und Erzählung haben.
Während allerlei Wechselfälle das Liebespaar in beständiger
Aufregung halten, erzählt ein mit ihrem Schutze beauftragter
Grieche ihnen die Geschichte seiner Leiden, und erzählt ein alter
ägyptischer Priester, der selbst in sehr wichtiger Weise in das
Geschick des Liebespaares eingegriffen hat, diesem Griechen
die Geschichte des Paares und erklärt endlich am Schlüsse
des 5. Buches, wie es gekommen ist, daß man die Beiden in
der seltsamen, im ersten Kapitel dargestellten Situation ge-
funden hat.
Das Wesentliche in dieser Komposition ist neben dem Wechsel
von Handlung und Erzählung, gelegentlich sogar von Handlung
und Erzählung der Erzählung, der Umstand, daß die Handlung
die Personen in immer neue Verwicklungen hineinführt, daß immer
neue Gefahren sie bedrohen. Kaum sind sie einer entronnen, be-
droht sie eine andre. Kaum sind sie wieder vereinigt, werden sie
wieder getrennt; immer neue Feinde, Verfolger, Bedroher ihrer
Keuschheit und ihres Lebens stehen wider sie auf, beständig kommt
es dabei zu Mißverständnissen und Verwechselungen, immer neue
Anforderungen werden an ihre Erfindungsgabe und an ihre
Widerstandskraft gestellt. UnaufhörHch wechselt der Schau-
platz, treiben Raub, Mord, Brand, Kampf, Flucht die Personen
ruhelos umher und halten ihre Gefühle in angespanntester, hin
und her schwankender Erregung.
Genau übernimmt Fumee das Schema dieser Komposition,
im ersten Teil Mischung von Erzählung und Handlung, im zweiten
Teil Handlung allein. Es liegt uns wieder ob, zu prüfen, ob
denn auch in der Art, wie dieses Schema von ihm mit Leben
erfüllt worden ist, die Übereinstimmung mit dem Vorbild so
groß ist, wie man gewöhnlich gemeint hat.
Ztscbr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 14
204 Walther Küchler.
Da fällt zunächst auf, daß er, statt seine Personen von Ort
zu Ort zu jagen, sie zunächst auf das Haus des Octavius zu Rom,
fast auf ein oder zwei Zimmer des Hauses, beschränkt hat, daß er
anstatt einer ruhelos bewegten Handlung, so gut wie nichts irgend-
wie Aufregendes geschehen läßt, sondern daß er dafür in ungleich
stärkerem Maße als Heliodor es tut, allen Nachdruck auf die
breitere Darstellung des Seelischen, auf die eingehendere Aus-
malung der Gefühle, auf die Komposition von Reden und Er-
mahnungen, auf die eindringliche Fassung moralischer, philo-
sophischer Betrachtungen legt. Und während aller dieser Reden
und Gespräche, durch kleine, eingeflochtene Andeutungen wie
durch ausführlichere Auseinandersetzungen, wird der Leser all-
mähUch genauer in das Schicksal der Charide und des Theogenes
eingeweiht.
Mit der Vielheit der Ereignisse bringt Heliodor immer neue
PersönHchkeiten auf den Plan, Räuber aller Art, Krieger, Priester,
Frauen, Kaufleute; Personen, die kommen und gehen, länger
oder kürzer verweilen, ganz aus dem Roman verschwinden,
weil sie getötet werden oder sonst unentbehrhch geworden sind.
So werden wir gleich zu Anfang ausführhch mit den Geschicken
des Griechen Knemon bekannt gemacht, sehen wir ihn handelnd
in einer Reihe von Szenen auftreten, und dann wird er an eine
Ägypterin verheiratet und bleibt fürderhin aus dem Spiele.
Nur ganz wenig Personen führt Fumee in seine Handlung
ein. Zunächst eigentlich nur zwei Frauen, die ältere Melangenie
und die jüngere Charide. Das intime Zusammenleben dieser
beiden Frauen, die bald zu Freundinnen werden, ruft ohne weiteres
den Eindruck großer Ruhe und stillen Friedens hervor. Sie sind
es, die einander die Geschichte ihres Lebens und ihrer Liebe
erzählen. Die eine, alt geworden, ohne Hoffnung, resigniert,
ganz in den Pflichten des Haushalts aufgehend, voll Dankbarkeit
für den, der ihr ein Asyl gegeben und sein Vertrauen geschenkt
hat, wobl geeignet, die junge Freundin zu trösten, deren Wunden
noch frisch und ungeheilt sind, die sich in Tränen und Trauer
verzehrt, sich dann wie ein Kind besänftigen läßt durch trost-
reichen Zuspruch, durch die Erzählung von fremdem Leid und
von den Dingen der weiten Welt. Zu diesen beiden stillen, feinen
Frauen im Frauengemach tritt die edle Persönhchkeit des väter-
lich gesinnten Octavius, der keinen Aufruhr des Geschehens und
der Gefühle mit sich bringt, sondern nur bemüht ist, die letzten
Stürme und Zweifel in der Brust des trauernden Mädchens zur
Ruhe zu bringen.
In dieser Atmosphäre des Friedens erzählt zuerst Melangenie,
dann Charide ihre Geschichte. Keine aufregenden Ereignisse,
wie es bei den Erzählungen in HeUodors Roman der Fall ist,
stören und unterbrechen sie. Die Gründe, die ihrem Erzählen
von Zeit zu Zeit ein Ende machen, sind ganz natürlicher Art,
Martin Fiimee's Roman ,,Dii vray et parfait amour". 205
die Essenszeit, der Einbrucli der Nacht, die Tätigkeit im Hause,
wie sie alle Tage getan werden muß, die Sorge der Melangenie
für die Ruhe der Charide, das Kommen und Gehen des Octavius.
Kein Laut von außen dringt zu ihnen, keine Handlung lenkt ab,
höchstens daß einmal Octavius ein Gastmahl hält oder daß in
der Senatsitzung Polycrates seinen Sohn zurückgewinnt.
Zwingend fällt der Unterschied auch dieses Teiles der Kom-
position der beiden Romane ins Auge. Hier Unruhe, schillernde
Zerfahrenheit, künstlich gesteigerte, durcli allerlei Kniffe und
Kunststücke in wechselvollem Auf und Ab gehaltene Erregung.
Hier Ruhe und Einheit der Stimmung, eine große seelische
Erschütterung, die sich äußert in jammernden Klagen, dann
durch freundliches Zureden zu gleichmäßigem, trauerndem Gefühl
sich ebnet und zuletzt in hoffnungsvolle Erwartung neuen Glückes
sich verwandelt.
Bemerkenswert ist auch, daß die in diesem ersten Teile
erzählte Lebensgeschichte der Melangenie, was ihren äußeren
Umfang wie ihren inneren Gehalt angeht, einen viel bedeut-
sameren Platz im Gefüge des Romans einnimmt, als die ganz
episodenhaft bleibende Erzählung des Knemon bei Heliodor.
Auch die innige Verbindung, in der Melangenie und Charide sich
aneinander anschheßen, trägt zur Erhöhung des Interesses für
Melangenie bei. Dabei hat es Fumee verstanden, mit Hilfe einer
aufmerksam retouchierenden Behandlung der Charide ihre
Stellung als Heldin unangetastet zu bewahren. Indem er am
Ende seiner Erzählung die Melangeniehandlung mit der Charide-
Theogeneshandlung zusammenstoßen läßt, vereinigt er sehr
geschickt sie, die bisher nur als Erzählung vorgetragen worden
war, mit der eigentlichen Handlung.
Die Abhängigkeit Fumees von Hehodor geht so weit, daß
sie sich sogar in der Namengebung zeigt. Chariclea und Theagenes
heißt das Liebespaar im griechischen Roman, Theogenes und
Charide im französischen. Der Klang der Namen ist fast gleich,
aber die Menschen, sie die tragen, sind doch nicht ganz dieselben.
Die beiden Frauen, die in beiden Romanen viel stärker hervor-
treten als die Männer, unterscheiden sich bedeutend voneinander.
Chariclea ist so recht die Gestalt eines Abenteuerromans.
Sie stammt aus äthiopischem Königsgeschlecht. Lange war die
Ehe ihrer Eltern ohne Kinder geblieben. Da wird in einer von
der Gottheit bezeichneten Stunde das Kind von der Mutter
empfangen. Während der Schwangerschaft betrachtet die
Königin häufig ein Bild der Andromeda, und darum ist das Kind,
das sie zur Welt bringt, von weißer Farbe. Ein Kind von weißer
Farbe, geboren von dunkelfarbigen Eltern! Aus Furcht, sie
möchte der Untreue bezichtigt werden, setzt die Mutter das
Kind aus. Ein äthiopischer Philosoph, ein Gymnosophist, zieht
das Kind auf und übergibt es, als es sieben Jahre alt geworden
14*
206 Walther Küchler.
ist, zusammen mit reichen Kostbarkeiten, in Ägypten einem
griechischen Priester aus Delphi, namens Charicles. Der erzieht
sie als seine Tochter. Sie weiß nichts von ihrer hohen Abkunft,
wächst in unvergleichlicher Schönheit heran, wird Priesterin des
Apollo und weiht sich zugleich der Diana, da sie fest entschlossen
ist ihre Jungfräulichkeit zu bewahren und für immer der Ehe,
die sie haßt, zu entsagen. Wie begreiflich, \\drd sie eine leiden-
schaftliche Jägerin und durchstreift mit Pfeil und Bogen die
Wälder, zur großen Bekümmernis ihres wackeren Pflegevaters,
der keinen sehnlicheren Wunsch kennt, als sie einem Neffen zu
vermählen.
Dagegen Charide. Sie ist ohne alle Wunder empfangen und
geboren worden. Sie ist die Tochter des höchsten Beamten von
Meliböa, der, in seiner Jugend am Hofe Philipps von Mazedonien
erzogen, nach bestem Wissen und Gewissen die Stadt verwaltet,
als wahrer Freund des Perseus. Er ist früh, ebenso wie seine
Gattin, gestorben, das Kind ist als Waise und zugleich als reiche
Erbin zurückgeblieben. Einer ihrer Vettern ist ihr Vormund
geworden und bemüht sich redlich um ihr Bestes. Sie ist nicht
anders als andere junge Mädchen ihres Standes herangewachsen,
sie ist nicht Priesterin und nicht Jägerin, sie hat auch keine
grundsätzliche Abneigung gegen die Ehe. Es ist nichts Wunder-
bares in ihrem jungen Leben vorgefallen.
Bei den Männern tritt die Verschiedenheit nicht so stark
hervor.
Theagenes bei Heliodor ist aus dem Geschlechte des Achilles,
er ist der Führer einer Gesandtschaft, die von den Enianiern,
einer thessalischen Völkerschaft, zu den phytischen Spielen nach
Delphi gesandt wird.
Theogenes bei Fumee ist der Sohn eines in den poUtischen
Angelegenheiten seiner Vaterstadt sich betätigenden Atheners.
Gänzlicher Verzicht auf alles Wunderbare und Außerge-
wöhnliche in der Herkunft seiner Personen, deutliche Hinneigung
zu einfacheren, natürlichen, bürgerlichen Verhältnissen kenn-
zeichnet also den Roman Fumees im Gegensatz zu dem des
Heliodor.
Sehr ähnUch ist die Art, wie in beiden Romanen die erste
Begegnung der beiden Paare geschildert wird. Chariclea und
Theagenes sehen sich zuerst bei einer feierUchen Opferhandlung
und werden sogleich von Liebe zu einander ergriffen; Charidens
und Theogenes' erstes Zusammentreffen erfolgt bei einem Feste
zu Ehren der Minerva, und mit der gleichen Plötzlichkeit stellt
sich auch bei ihnen die Liebe ein.
Sieht man aber genauer zu, vergleicht man alle Umstände,
die zu dieser Begegnung führen, ferner wie die Begegnung ver-
läuft und die erste Liebe sich äußert, wie die Vereinigung der
Liebenden ermöglicht wird, wie es zur Trennung kommt, so
Martin Fiimee's Roman ,,Z>a vray et parfait amour" . 207
wird man von neuem die große Vorschiedenlieit, die zwischen
beiden Romanen waltet, gewahr.
In feierHchem Zuge, unter Hymnengesang und Tänzen
thessahscher Jungfrauen, begibt sich die thessahsche Gesandt-
schaft zum Tempel des delphisclien Apollo. Inmitten einer
glänzenden Reiterschar reitet auf stolzem, tänzelndem Pferde,
das frei im Winde flatternde Haar von keinem Helm beschwert,
mit einem wehenden Mantel angetan, Theagenes, von allen
Frauen bewundert und ersehnt, der schönste der Männer. Es
naht die schönste der Frauen, Chariclea, auf einem von weißen
Ochsen gezogenen Wagen, in purpurnem, gold durchwirktem
Kleide. Ihr Haar wallt zum Teil frei auf die Schultern herab,
zum Teil ist es von blumigem Kranze zusammengehalten. In der
linken Hand hält sie den vergoldeten Bogen, der Köcher hängt
ihr an einer Schärpe über die Schulter; in der rechten Hand
trägt sie eine Fackel, deren Leuchten überstrahlt wird von dem
helleren Glanz ihrer Augen.
Es folgt die Opferhandlung. Nach der Sitte muß Theagenes
aus der Hand der Priesterin das heilige Feuer empfangen. In
dem Augenblick, da Gharide es ihm reicht und er es nimmt, da
sie beide einander ins Gesicht sehen, werden sie beide von Liebe
ergriffen. Abwechselnd rot und blaß färben sich ihre Wangen.
In ihrem Gemach angekommen wirft sich Gharide auf ihr
Bett, tonte languissante, les yeux haignes et arroses d'amour.
Ihr Pflegevater hält sie für krank und gerät in große Angst.
Auch mit der Ruhe des Theagenes ist es vorbei. Er vertraut
sich schließlich dem in Delphi weilenden ägyptischen Priester
Calasiris an, der längst die plötzlich entstandene Liebe der beiden
jungen Menschen erkannt hat, aber ihnen, sowie dem Charicles
gegenüber, den allwissenden, prophetisch begabten Magier spielt.
Er sinnt, wie er die Flucht der Liebenden bewerkstelligen könne.
Ein geheimnisvolles, bei der Opferhandlung verkündetes Orakel,
deutet ihm an, daß die Götter etwas besonderes mit dem Paare
vorhaben; im Traum erscheinen ihm Apollo und Diana und
fordern ihn auf sich der Liebenden anzunehmen und sie nach
Egypten fortzuführen. Nachdem sich Chariclea und Theagenes
bei den Wettspielen, die Theagenes aus den Händen der Geliebten
den Siegespreis verschaffen, noch einmal gesehen haben, bewerk-
stelhgt der schlaue Egypter die Flucht auf einem phönizischen
Schiff. Nun beginnt die lange Reihe der dem Paare bestimmten
Leiden. Zunächst wird ein Piratenführer von Liebe zu Chariclea
ergriffen. Er kapert das Schiff, auf dem sie vor ihm fliehen wollen
und bekommt sie so in seine Gewalt. Vom Sturm werden sie an
die Nilmündung verschlagen, Chariclea willigt zum Schein in die
Heirat mit dem Piraten ein. Galasiris überredet einen seiner
Offiziere, Chariclea liebe ihn und nicht den Hauptmann. Darauf
fordert der Getäuschte das Mädchen für sich, ein wüster Kampf
208 Walther Küchler.
entspinnt sich, in dem schließlich alle Seeräuber fallen. So
gelangt der Leser auf mannigfachen Umwegen zu der das Buch
eröffnenden Szene. Nach kurzer Zeit werden die Liebenden
vorübergehend gewaltsam auseinandergerissen. Theo genes wird
zum egyptischen Gouverneur des Großkönigs geschickt, Chariclea
gelangt in die Hände eines Kaufmanns.
Wiederum behält Fumee das äußere Schema des Schicksals
der beiden Personen bis zu diesem Punkte bei.
Bei einem Feste der Minerva in Meliböa führen eine Anzahl
junger Mädchen der Stadt einen Tanz zu Ehren der Göttin auf.
In zwei Gruppen bewegt sich die Schar. Die eine Gruppe wird
von einer die Göttin darstellenden Priesterin der Minerva geführt,
die andere von einem als Apollo verkleideten Jüngling. Zu
seinen Liedern tanzen die Mädchen vor dem Tempel. Theogenes.
der wegen Teilnahme an einem Duell für einige Zeit aus Athen
verbannt worden und nach Mehböa zu einem Oheim gekommen
ist, schaut dem Tanze zu, appiiye sur les petites murailles du
parvis. Und wie nun inmitten der anderen Mädchen Charide
an ihm vorübertanzt, fällt ihr Blick auf ihn und treffen seine
Augen die ihrigen. Während des Tanzes können sich ihre Blicke
nicht mehr voneinander trennen. Wie Charide selbst in der
Rückerinnerung erzählt, überkam sie zugleich eine geheime
Scham, welche sie zwang arrivant vis ä vis de luy, de haisser im
peu la paupiere de nies yeux, laquelle soudain apres Vavoir im
peu oiitrepasse^ ie relevois et m'aperceu bien qu'iine pareille honte
le saisit aussi. Sie achtet nicht mehr auf den Rest des Festes,
nur hätte sie wohl gewünscht, der Tanz möchte noch länger
dauern ä fin de laisser j^epaistre mes yeux d'iine douce humeur
quils hiimoyent de ce hei obiet qui se presentoit ainsi fiche devant
eux. Nach dem Tanze müssen die Mädchen eine Hymne singen.
Diejenige, welche den Preis davonträgt, wird mit dem Minerva-
gewande bekleidet und in festlichem Zuge in ihre Wohnung
zurückgeleitet. Wer den Preis davongetragen hat, weiß Charide
nicht. Als die Reihe zu singen an ihr war, da liatte die Leiden-
schaft, die sie beherrschte, so sehr all ihre Sinne verwirrt, daß
sie nicht wußte, was sie tat und sagte, ihre Stimme zitterte,
ihre Augen irrten umher, ihre Haltung war unsicher, und wenig
Zusammenhang war in ihren Worten. Daher wurde ihr der
Preis nicht zuerteilt.
Beim Abendessen war es ihr nicht möghch, zu essen, sie träumte
nur, da ihr Geist wo anders war. Ma contenance n'estoit qiie
d'arrondir entre mes doigts mes mietles de pain et tcnir mes yeux
fichez sur la table. Hu' Vormund fragt sie, was sie habe, warum
sie nicht esse, ob sie krank sei. Wenn sie sich nicht wohl fühle,
so müsse man beizeiten Abhülfe schaffen, denn wenn man sich der
Medizin zu spät bediene, so schaffe sie manchmal keinen
Nutzen. Die Gattin des Vormundes glaubt den Grund der
Marl in Fjunee's Roman ,./)u vray et parfait amour". 209
Krankheit gefunden zu haben; sie meint, das Mädchen sei krank
aus Trauer, daß sie nicht wieder den Preis davongetragen habe,
der dieses Mal der Tochter des Protagoras zuerteilt worden sei.
Sogleich tröstet sie, sicher sei da Begünstigung mit im Spiele
gewesen, man habe wohl dem Protagoras danken wollen für die
Sorge, die er der Stadt gewidmet habe, und keine Rücksicht auf
das Verdienst genommen. Der Vormund läßt sich täuschen und
hält dem Mädchen eine lange Rede über die Ehre dieser Welt
und gibt ihr zu bedenken, daß sie doch schon zweimal den Preis
gewonnen habe. Charide ist froh, daß man auf falscher Fährte
ist. Sie legt sich zu Bett, kann aber nicht schlafen, sondern
wendet sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite, als ob
sie vom Fieber geplagt wäre. In der Dunkelheit sieht sie immer
die Schönheit des fremden jungen Mannes vor sich.
Sie überlegt, wie sie ihn sprechen könne; denn sie hat ge-
merkt, daß er, der ihr bis zu ihrem Hause nachgefolgt ist, dieselben
Gefühle hegt wie sie. Sie ist sich auch ganz darüber klar, daß sie,
da sie keine Eltern mehr hat, frei über sich verfügen könne und
daß sie, wenn er vielleicht nicht viel Geld liabe, sie doch genug
für zwei besitze. Am anderen Morgen erhebt sie sich, kränker
als zuvor. Die treubesorgte Pflegemutter rät ihr mit zwei Freun-
dinnen in den nahegelegenen Tempel der Juno zu gehen und die
Göttin um Linderung ihrer Traurigkeit und um einen guten Mann
zu bitten, denn sie sei doch nun alt genug, um sicli zu verheiraten.
Theogenes schreibt der Charide und bringt bald darauf eine
Begegnung mit ihr zustande, indem er seinen Oheim in das Haus
ihres Vormundes begleitet. Charide erwartet ihn. Sie kommen
nach dem Mittagessen. Charide hat sich nicht aus dem Zimmer
ihres Vormundes gerührt und ist mit einer Stickerei beschäftigt,
als die beiden sich melden lassen. Es trifft sich sehr gut, daß
Nicosie, die Gattin ihres Vormundes, ausgegangen ist, um eine
kranke Freundin zu besuchen. Während die beiden älteren
Herren von ihren Geschäften reden, begi^ißen sich die beiden
Liebenden, reden zunächst von allgemeinen Dingen und sprechen
dann bald von ihrer Liebe. Sehr deutlich gibt Charide ihrem
Liebhaber sogleich ihre Auffassung von ihrem Verhältnis zu
verstehen: attendu que par vostre lettre ie voiis voy faire mention
de Venus et de Ciipidon son fils, ie ne i^eux point vous celer mon
iniention, laquelle quelque amour qu'il y ait ne tend ä exposer m.on
honneur au bahil du peuple^ ny par la perfe d'icelay acquerir Ie
hlasme d'une Thays. L'amour que vous avez peu cognoistre que
ie vous parte n'a prins racine en moy que sous condition de Mariage.
Theogenes bekennt, daß auch er kein anderes Ziel erstrebe.
Die Liebenden sehen sich nach dieser Begegnung dann noch
oft im Hause der Witwe Pamphylie, einer Freundin der Charide,
die zugleich mit dem Onkel des Theogenes verwandt ist. Die
Freundin ist bei ihren Zusammenkünften stets mit anwesend;
210 Walther Küchler.
denn sie verschiebt ihre Beschäftigungen auf andere Stunden.
Ein Jahr lang verkehren sie so miteinander, dann bittet Theogenes
durch Vermittlung seines Oheims bei dem Vormunde der Charide
um ihre Hand.
Diese Tatsache wird in der Stadt bekannt und erregt all«
gemeinen Unwillen. Man ist empört, daß die reiche Erbin einen
Fremden heiraten will. Andere Freier stellen sich ein, und die
nicht ruhenden Intriguen bringen es dahin, daß Theogenes aus
der Stadt gemesen wird.
Der Wunsch des Liebespaares geht darnach, sogleich zu
heiraten. Charide ist entschlossen, mit dem Geliebten fort-
zuziehen. Aber in einer Aussprache über die Sachlage über-
redet der Vormund sie einstweilen zum Scheine nachzugeben,
das Gerede der Leute nicht herauszufordern, sich für eine gewisse
Zeit zu trennen, ohne doch ihrer Verbindung, die er später er-
möglichen wolle, zu entsagen. Theogenes weint vor Freude
über die guten Absichten des Vormundes und aus Trauer über
die bevorstehende Trennung. Charide bleibt ruhiger, denn ihr
Wille steht fest. In diesem schweren Augenbhcke geht der
taktvolle Vormund im Zimmer auf und ab und stiehlt sich dann
ganz unvermerkt davon, wobei er sich der Tränen nicht erwehren
kann. Die Liebenden benutzen den kurzen Augenblick des
Alleinseins, um sich zum erstenmal zu umarmen und zu küssen.
Bald kehrt der Vormund zurück. Theogenes überreicht der
Charide den Verlobungsring, küßt sie mit Einwilligung des Vor-
munds ein zweites Mal und nimmt dann mit Tränen in den Augen
Abschied. Der Rest des Tages geht für Charide hin in Gesprächen
mit ihren Pflegeeltern über ihre Liebe. In der Nacht kann sie
nicht schlafen, da ihr Geist von Leid erfüllt ist. Sie fürchtet,
Theogenes möchte aus Liebeskummer in die weite Welt gehen
und sich allerlei Gefahren aussetzen, um sein Leben zu enden;
oder er könnte sie vergessen, wenn er sie nicht mehr sehe. Dann
wieder ist sie gutes Mutes und glaubt an seine Liebe, da sie beide
zu fest miteinander verbunden seien, als daß ihre Liebe zer-
brechen könnte. ,,Und dann benetzte ich mein Kissen mit
Tränen, erfüllte meine Kammer mit Seufzern und schaute immer
wieder zum Fenster hinaus, um zu sehen, ob der Tag anbräche.
Ich konnte es nicht erwarten, den Geliebten zu sehen und den
Abschied voneinander so lang als möglich zu gestalten." Als
es dann endlich Tag geworden ist, kleidet sie sich an und schmückt
sich weniger als sonst, wie es andere Mädchen wohl getan hätten.
„Je ne songeois point ä telles ruses, n'estant mon esprit occapS.
que de la seiile force de mon amitie spirituelle.''
Bei der Freundin Pamphylie treffen sich die Liebenden.
Nach langen Reden von Liebe, Tugend und Treue küssen sie
sich unter Tränen, begeben sich in den Tempel der Juno, legen
vor ihr ein Eheversprechen ab, umarmen sich vor dem GotteS"
Martin Fumee's Roman ,,Da vray et parfait aniour". 211
bild zurückhaltend mit einem Kusse und trennen sich dann
ohne längeres Abschiednehmen. Es wäre ihnen nicht möglich
gewesen, so war ihnen beiden das Herz beklummen.
Theogenes schifft sicli ein, sein Onkel begleitet ihn zum
Hafen und schaut ihm nacli, so lange er das Segel bemerken
kann. Charide bleibt still zu Hause, die Geselligkeit gefällt ihr
nicht, Pamphylie besucht sie oft, sie spricht mit ihr von ihm,
und das erleichtert ihren Kummer. Theogenes schreibt ihr, daß
er die .Absicht habe, die Ruinen Trojas zu besuchen und von da
aus mit ihrem Einverständnis in das Königreich Pontus zu gehen,
um dort in dem gegen die Scythen ausgebrochenen Kriege die
Kampfesweise dieses Volkes kennen zu lernen. Nur einmal kann
Charide ihrem Freunde schreiben. Dann bricht der Krieg aus und
führt sie beide als Gefangene nach Rom.
Wer diese Erzählung von Liebe, Vereinigung und Trennung
der Charide und des Theogenes mit dem entsprechenden Ab-
schnitte des griechischen Romans vergleicht, wird zugeben
müssen, daß es der ,, sklavische Nachahmer" verstanden hat,
trotz allen äußeren Anschlusses etwas ganz neues zu geben.
Alles Pompöse und Prunkhafte ist aus seiner Erzählung ver-
schwunden. Da reicht keine purpurbekleidete, mit Pfeil und
Bogen versehene Apollopriesterin einem glänzenden Gesandt-
schaftsführer das heilige Feuer und den Siegespreis. Da ver-
künden die Götter nicht geheimnisvoll dunkle Orakel und ent-
bieten ihren Willen in Traumgesichten, da treibt kein ägyptischer
Prophet ein frivoles Magierspiel, da findet keine listenreiche, mit
Waffengeklirr und Stimmenlärm inszenierte Entführung statt,
keine Piraten entbrennen in Liebe, töten sicli gegenseitig um
den Besitz der Schönen, keine Räuber und Krieger bedrohen
die Liebenden und reißen sie schließHch auseinander. Vielmehr
spielt sich alles was geschieht, in friedlichen, natürlichen, bürger-
lichen Verhältnissen ab. Modern, wahr, reahstisch stellt Fumee
dar, was bei Heliodor antiquiert, abenteuerlich, konventionell
erscheint. Ganz unwillkürlich vergißt man eine Zeitlang, daß ja
die Handlung im alten Griechenland vor sich geht, man stellt
sich die Straßen und Häuser einer kleinen Stadt zu Fumees
Zeiten vor, die Menschen im Kostüm der Renaissance, man sieht
sie leben in ihrer deutlich geschauten Umgebung, im alltäglichen
Dasein.
Weder Charide noch Theogenes heben sich sonderlich über
ihre Umgebung heraus. Charide tanzt in der Schar der Mädchen
und Theogenes schaut zu, wie alle anderen Zuschauer auch.
Nirgends heißt es, daß beide die schönsten ihres Geschlechtes
seien. Trägt Theogenes bei den Spielen den Preis davon, so
entgeht Chariden der Preis, weil die Liebe sie verwirrt hatte.
Schlicht, innig und wahr wie die erste Begegnung, sind auch
alle die anderen Etappen der Liebe geschildert, das Mahl zu
212 Walther Küchler.
Hause mit den klugen Reden der Pflegeeltern und der das Brot
zerkrümelnden, träumerisch entrückten Charide, das erneute
Zusammentreffen, der Entschluß zur Trennung, der Abschied.
Kaum, daß die Außenwelt mit vernehmbarem Geräusch in das
heimhche Liebesglück sich hineinmischt, alles Geschehen bleibt
auf die natürlichsten Handlungen der beteiligten Personen und
auf die ebenso natürlichen Äußerungen ihres seelischen Zustandes
beschränkt. Und wenn c:ie Außenwelt dann doch einmal sich
störend bemerkbar macht, wie glücklich ist da vom Dichter
ihr hemmendes Eingreifen motiviert worden. Der Unwille
der heiratsfähigen Männer der Stadt darüber, daß ihnen die
reiche Beute entgeht und dem Fremden zufallen soll, und der
Zw^ang der Rücksichtnahme auf die öffentUche Meinung — solche
Dinge erinnern die Liebenden daran, daß sie nicht allein auf
der Welt sind.
Es verdient mit Anerkennung hervorgehoben zu w^erden,
daß Fumee unter dem mächtigen Zwange des Heliodorschen
Einflusses sich d i e Selbständigkeit des Schaffens bewahren
konnte, die ihn zu so origineller Darstellung der Beziehungen der
Charide und des Theogenes befähigte.
Ähnlich, ebenso anschaulich und natürlich mit realistischen
Zügen durchsetzt, hat er die Liebe der Melangenie und des Phere-
cydes geschildert. Nicht, wie im vorhergehenden Falle, in die
Kleinstadt führt er uns, sondern ein ländliches Idyll läßt er vor
uns erstehen, keimende Liebe zwischen Blumen und Gemüse-
beeten, neckende Worte bei Blumenpflücken und Früchtesammeln,
die Liebeserklärung in schattiger Laube, während die Gärtners-
tochter vom Zahnweh geplagt in der Stube hockt, die heimliche
Flucht an dem Tage, da der Gärtner mit Früchten und Zwiebeln
zu Markte gezogen ist.
Vergebens sucht man bei Heliodor nach solchen anmutigen
und wohltuenden Szenen. Bei ihm findet man Abenteuer,
immer wieder nur Abenteuer von Anfang bis zu Ende.
Natürlich ist Fumees Roman vom Abenteuerlichen nicht frei.
Nachdem er einmal seine Paare zusammengeführt hat und sie
sich ihrer Vereinigung zu freuen anfangen, beginnen auch für
sie die Abenteuer. Ganz nach dem Vorbilde Hehodors. In den
Teilen des Romans, welche die den Personen zustoßenden, aben-
l(!uerlichen Gefahren schildern, ist die Abhängigkeit Fumees
von Heliodor am stärksten. Doch auch hier wird uns die ver-
gleichende Betrachtung das richtige Maß der Abhängigkeit
erkennen lassen.
Wir hatten Theagenes und Chariclea da verlassen, wo er
als Sklave zum Großkönig geschickt werden sollte, sie in den
Besitz eines Kaufmannes kam. Theagenes nun gelangt nicht
zum Könige, sondern nach Memphis an den Hof des Satrapen
Oroondates. Dort findet ihn Chariclea, die von Calasiris los-
Martin Fiimee's Rotnnn „Du vrai/ et parfnit amoar" . 213
gekauft worden ist und in Bettlerkleidung aul' der Suche nach
ihm das Land durchstreift hat, wieder. Theagenes kennt sie in
ihrer Verkleidung anfangs nicht und schlägt die zudringliche
Bettlerin, für die er sie hält, sogar ins Gesicht. In Memphis
geht es ihnen sehr schlecht. Theagenes muT» sich die Nach-
stellungen der sinnlichen Gattin des Satrapen gefall<'n lassen,
und da er sich weigert, ihr zu Gefallen zu sein, Sklavendienste
tun. Chariclea ward mit Vermählung an einen der Beamten des
Hofes bedroht. Beide werden ins Gefängnis geworfen, Chariclea
eines Giftmordes beschuldigt und zum Feuertode verurteilt, aber
durch die VVunderkraft eines magischen Steines, den sie bei
sich trägt, vor dem Tode bewahrt. Ilu^er Feindin ledig, gelangen
sie schließUch auf Umwegen in die Gewalt des Königs der Äthiopier
und werden, da sie die Keuschheitsprobe bestehen, zum Opfer
für die Götter bestimmt. Aber Chariclea wird rechtzeitig als
Tochter des Königs erkannt. Nach Überwindung von mancherlei
letzten Schwierigkeiten und Gefahren entgelit auch Theagenes
dem drohenden Opfertode, und die beiden Liebenden werden
endlich durch das Band der Ehe miteinander vereinigt, und
der Wille des Gottes, der sich einst in dunklem Orakelspruche
kundgegeben hatte, ist nach all den Prüfungen und Hindernissen
in Erfüllung gegangen.
In Fumees Roman ergeht es den Personen folgendermaßen:
Der Krieg führt beide nach Rom. Theogenes darf, von seinem
Vater freigemacht, nach Athen zurückkehren. Ebenso kehrt
Charide friedlich nach Meliböa zurück, wobei sie unterwegs im
Hause des Poleten zu Epidamnus absteigt und mit ihm religions-
philosophische Gespräche führt. Auf ihre Bitte reist Theogenes
zu ihr, wird auf dem Wege von Seeräubern gefangen genommen
und nach Byzanz geschleppt. Charide kauft ihn los. Sie ge-
langen ins Scythenreich, Charide soll nach bestandener Keusch-
heitsprobe geopfert werden. Theogenes wendet die Gefahr ab.
In seiner Abwesenheit flieht Charide vor den Nachstellungen eines
Scythen. Theogenes findet sie bald wieder. Gemeinsam kehren
sie nach Meliböa zurück, heiraten und ziehen nach Athen zu
dem alten Polycrates.
Das ist alles nicht sehr verschieden von Heliodoj-, aber doch
auch nicht gleich. Das Abenteuerliche bei Fumee ist um ein
paar Grade schwächer als bei Heliodor, auch die Zahl der Aben-
teuer ist geringer. Eigentlich handelt es sich nur um die erneute
Gefangennahme des Theogenes, um den drohenden Opfertod
der Charide und um die Nachstellungen durch den Scythen.
Wir finden keine Bettlerverkleidung, keine Verführungsversuche
an Theogenes, keine Anklage wegen Verbrechens, keine wunder-
bare Errettung vor dem Feuertode und keine wundersame Wieder-
erkennungsszene. Außerdem selien wir die Personen nicht nur
leidend, sondern auch handelnd. Charide macht sich ohne
214 Walther Küchler.
Zögern auf den Weg nach Byzanz und kauft den Geliebten los,
Theogenes befreit durch Taten die Geliebte vor dem Opfertode,
Charide rettet sich vor der Entehrung durch die Flucht. Überall
suchen die Personen durch tatkräftiges, schnelles Handeln, nicht
nur, wie bei Heliodor durch Listen und scheinbares Nachgeben,
gegen die Tücken des Schicksals zu kämpfen. Vollständig fehlt
der unsichtbar alles Geschehen lenkende Wille der Gottheit und
damit das Orakel und seine Erfüllung. Alles Unterschiede, die
in der gleichen Richtung wie nun schon so manche bemerkte
Abweichungen liegen.
Auch die Geschichte der Melangenie und des Pherecydes ist
nicht allzu reich an abenteuerlichen Elementen. Nach Heliodors
Beispiel werden sie von Räubern festgenommen, dann für viele
Jahre voneinander getrennt und als altgewordene Leute wieder
vereinigt. Das GöttHche spielt bei ihnen insofern eine Rolle,
als gleich nach der Trennung dem schlafenden Pherecydes sein
Schutzgeist erscheint und ihm verheißt, daß er einst unerwartet
die Verlorene wiederfinden werde. So sucht er sie, bis er sie
endlich findet.
Die Liebe in den beiden Romanen.
Wie sich zwei Liebende in unerschütterlicher Treue in allen
Gefahren, trotz aller Verführungsversuche und Anschläge auf
ihre Keuschheit und Jungfräulichkeit gegenseitig ihre Liebe
bewahren, das ist das Thema des Heliodorschen Romans und der
Nachahmung durch Martin Fumee. Dieses Thema vor allem
zog ihn an, wie es auf die Zeit den größten Eindruck machte.
Das Thema von der verfolgten und standhaften Liebe wirkte
und reizte zur Nachahmung, mehr als die abenteuerUchen Elemente
an sich, die man allerdings gern mit in Kauf nahm.
Das Liebesproblem war dem Zeitalter eine wichtige Sache.
Der Roman Heliodors kam gerade gelegen und wurde mit in
die Bewegung, welche die Verfeinerung der Liebe anstrebte,
hineingerissen. Der Roman Fumees zeigt diese Tatsache aufs
Deutlichste; und auch unter diesem Gesichtspunkte stoßen wir
auf neue, wichtige Unterschiede, die ihn von seinem Vorbilde
trennen.
Bei HeUodor ist die Entstehung der Liebe im Jüngling
zunächst nur sinnHche Glut. Er will das schöne Mädchen be-
sitzen, genießen; wenn es nicht anders geht, auch gern heiraten.
Er quält sich in unbefriedigtem Verlangen. Bei der Jungfrau
wirkt das plötzliche Erstehen der Liebe wie eine ermattende
Krankheit. Dir Gefühl ist nur Qual, die ihr alle Kräfte raubt,
Angst, wie sie die Jungfräulichkeit, die sie sich gelobt, vereinbaren
könne mit dem neuen Gefühl, das sie überwältigt, Scham über
das Verlangen, das sie beseelt. Sie hilft sich, als sie sieht, daß
Martin Fumee's Roman .J)ii vray et parfait amour". 215
sie ninht mehr widerstehen kann, gewissermaßen, indem sie sich
dem Gefühl der Liebe hingibt, aber sogleich den Geliebten
schwören läßt, ihre Unschuld zu bewahren bis zur Hochzeit oder
wenigstens bis zu dem Augenblick, da sie von selbst cinwilHgen
werde, die Seine zu werden. Mit den schwersten Eiden schwört
der Jüngling, was sie verlangt. Und nun bewahren beide, trotz
aller Gefährdungen, ihre Keuschheit. Dem Manne wird es nicht
allzu leicht. Mehrere Male muß Chariclea sein Flehen zurück-
weisen, und auch sie selbst bleibt nicht frei von sinnlichen Re-
gungen. Einmal, als sie, von Theagenes getrennt, im Hause des
Kaufmanns Nausicles weilt, wird sie in ihrer Kammer, während
gerade die Tochter des Kaufmanns Hochzeit feiert, von bachanti-
scher Leidenschaft ergriffen. Sie zerrauft ihr Haar, zerreißt ihr
Kleid, sie stimmt aus ihren durch das Hochzeitsfest im Hause
erregten Sinnen ein wildes Klagelied an. Sie jammel't über ihre
Verlassenheit, spendet dem Fernen ein Tränenopfer wie einem
Toten, wünscht ihn im gleichen Atemzag in ihr Lager und wünscht
ihn wieder hinweg; sie will jungfräulich bleiben und kann doch
nicht wider ihre Leidenschaft. Sie bildet sich ein, sie hätte den
Freund neben sich und sie küßte und umarmte ihn.
Eine solche Szene wäre in Fumees Roman ganz undenkbar.
Man fragt sich, wenn man Heliodors Roman liest, vergeb-
lich nach den tieferen moralischen Gründen, welche die Personen
veranlassen, keusch und einander treu zu bleiben. Man könnte
als Antwort aus dem Roman herauslesen, daß es eben der edlen
Natur des Menschen und besonders der Frau eigen ist, die einmal
geschworene Liebe treu zu bewahren. Man könnte sagen, daß
es die Absicht des Verfassers gewesen sei, das Lob der sorgsam
gehüteten Keuschheit und Reinheit, des Widerstrebens gegen
alles Unreine und Unerlaubte zu singen, seine Helden als ideale
Verkörperungen der reinen, standhaften Liebe hinzustellen.
Heliodor mag eine solche Absicht gehabt haben.
Das eigentliche Thema des Romans jedoch scheint von
einer solchen idealistischen Durchdringung frei zu sein. Es
gehört ganz wesentlich zu dem Thema Hehodors, daß von An-
fang an der Wille des Gottes, des Helios-Apollo, die Geschicke
der Personen bestimmt. Zurückführung der Charide in das
heimatliche Sonnenland, trotz aller Gefahren und Hindernisse,
das ist der eigentliche Vorwurf des Romans. In diesem Sinne
müssen wir die zu Anfang dieses Abschnittes gegebene De-
finition des Themas enger ziehen. Bewahrung der Treue und
Keuschheit erschien den Zeitgenossen Fumees als das wirk-
liche Thema. Und so vernachlässigte denn auch Fumee selbst
alles Orakelhafte und verkannte damit die eigentliche Be-
deutung des Romans.
Daß der Gott die, welche seine Priesterin ist, unverletzt
an Leib und Seele bewahrt, versteht sich von selbst. Das Interesse
216 Walther Küchler.
des Verfassers liegt ausschließlich darin, eine möglichst große
Anzahl mögUchst gefährHcher Abenteuer in effektvoller Ab-
wechselung aufeinander zu häufen und durch dieses nerven-
anspannende Spiel, denn ein Spiel des Gottes und des Autors
ist der Roman, mit dem Leser zu spielen.
Die Bewahrung der Liebe und Keuschheit ist also nur eins
von den Mitteln, vielleicht das bedeutsamste, welches dem Spiel
zu seiner Wirkung verhilft. Insofern ragt die Behandlung der
Liebe im Roman nicht über die anderen im Roman geschilderten
Seelenvorgänge hervor, als nirgends der Versuch gemacht worden
ist, sie als ein tieferes Gefühl erkennen zu lassen. Chariclea ist
zu Anfang lediglich das konventionelle Bild einer fabelhaften
Jägerin und Priesterin, der natürlich weiblich zu fühlen versagt
ist. Sie steht abseits ihres Geschlechts. Sie haßt die Ehe —
warum, wird nicht gesagt — und hat den Willen, sich nie einem
Manne hinzugeben. Die Kühle und Gefühllose wird dann mit un-
erhörter Heftigkeit von der Leidenschaft gepackt, überläßt sich
ilir nach qualvollem Kampfe, aber nur, wie wir sahen, unter der
Bedingung, daß sie unberührt bleiben darf, so lange es ihr beliebt.
So und nicht anders ist ihr Verhältnis zur Liebe.
Von irgend einer tieferen, moralischen oder philosophischen
Begründung der reinen Liebe, ebenso wie von einer tiefinnerlichen
Durchdringung des ganzen Menschen durch das Gefühl hingebender
Liebe ist in dem Roman keine Rede. Und auch darum klafft
ein so weiter Unterschied zwischen Heliodor und Fumee.
„Du vray et parjait amour" betitelt sich der Roman Fumees.
Und diese wahre und vollkommene Liebe, wie sie der Verfasser
darstellen wollte, ist die platonische Liebe, in der Auffassung,
die er und seine Zeit von ihr hatte. ,,Mon entreprise n'est que
pour cest Amour lequel nous disons estre jus de Jupiter^ qui trace
le chemiri ä ceste amitie qui nous fait paroislre divisez d'avec les
bestes brutes, laquelle procedant de ce vray Amour nous rend amateurs
des choses divines et aussi aymez de la divinite, estant iceluy divin
et spirituell so äußert sich der Verfasser in seiner Vorrede und
fügt hinzu, daß er nicht durch gelehrte Diskurse oder Dialoge,
sondern in einer anderen, an diese Art der Belehrung sich an-
lehnenden Form den Geist seiner Mitbürger erheben wolle d V amour
des choses Celestes et vertueuses.
Von selbst bot sich ihm für seinen Zweck das Schema des
spätgriechischen Liebesromans dar. In ihm fand er reine Liebe
dargestellt. Aber auch nicht mehr. Keine Spur von der philo-
sophischen Grundlage, die Plato dem Liebesbegriff gegeben
hatte, die die Zeit der Renaissance sich von neuem aneignete,
die der Verfasser, wie wir gesehen haben, in direkten Ent-
lehnungen aus Plutarch sich holte.
Charide und Melangenie fühlen tief und innig, menschlich
wahr und wissen, warum sie sich rein halten. Weil sie ihre Liebe
Martin Fumees Roman ,,Du vray et parjait aniour" . 217
von vornherein unter den platonischen Liebesbegriff stellen,
weil sie unter ihr einen Abglanz höherer Liebe verstehen, weil
die irdische Liebe, recht verstanden, zu liimmlischen Erkennt-
nissen, zum Göttlichen führt, darum geben sie sich, ohne Angst
und Qual, beseligt ihrer Liebe hin.*'^'^)
Man darf nicht von dem Verfasser erwarten, daß er mit
gereifter Kunst das moralische und philosophische Element
so in den Roman hineinzuarbeiten versteht, daß es als ursprüng-
liche Äußerung ihres eigensten Wesens wieder aus den Menschen
herausstrahlte; zu S(dcher dichterischen Schöpfung reichte seine
Kraft nicht aus. Die Philosophie seiner Personen ist vielmehr etwas
Angelerntes, und sie geben sie von sich wie eine Lektion, die sie
hersagen. Nur auf Grund technischer Ungeschicklichkeiten
vermag sie häufig genug Eingang in die Komposition seines
Romans zu finden. Es fragt sich auch, ob Charide, so wie sie
Fumee zeichnet, gerade die geeignete Persönlichkeit ist, diese
platonische Liebe zu verkörpern. Im Grunde ist sie viel zu sehr
das junge, für die warme, natürliche, von aller Philosophie freie
Liebe geschaffene Weib. Keusch und sittsam, ehe sie liebt,
keusch und sittsam, wenn die Liebe sie ergriffen hat, und nur
darauf bedacht, bald mit dem geliebten Manne in der Ehe ver-
einigt zu sein. Was der Chariclea abgeht, das Weiche und Mäd-
chenhafte, das besitzt sie in schönster Harmonie. Weil sie in
der natürlichen Reinheit ihres Gefühlslebens aller Philosophie
entsagen könnte, steht ihr die Liebesphilosophie nicht gut zu
Gesicht. Darum hat der Verfasser auch mit gutem Takt die
meisten und deutlichsten pliilosophischen Äußerungen der älteren,
gereifteren Melangenie in den Mund gelegt.
Es ist nun eine natürliche Folge der Hineintragung dieses
Liebesbegriffs in das übernom.mene, äußerliche Schema, daß
die Gefahren und Anfechtungen, denen die Liebenden ausgesetzt
sind, an Zahl und Bedeutung so auffällig hinter denen in Heliodors
Roman zurückbleiben. Es ist fast, als ob dem Verfasser das
alte Thema unter der Hand zerrönne. Was hat die spirituelle
Liebe, die er seinen Mitbürgern weisen will, mit geheimnisvollen
Orakeln und deren Erfüllung zu tun ? Was braucht er die Häufung
von zahllosen Nöten und Gefahren, um diese Liebe zu prüfen
und zu quälen ? Die geistige Liebe hat es mit Gefühl und Er-
kenntnis zu tun, wo die Laune des Gottes von ^Villkür zu Willkür
100) Wenn Charide in der ersten Nacht, die auf die Liebeser-
kenntnis folgt, wie vom Fieber geplagt ist und auch am anderen Morgen
sich noch nicht besser fühlt, so haben wir ein dem Heliodor entlehntes
Motiv vor uns, das Fumee gedankenlos beibehalten hat. Ein Motiv,
das außerdem in der gesamten Romanliteratur der Zeit mit unfehl-
barer Sicherheit sich einstellt, sobald jemand von Liebe ergriffen wird.
Wirkliche Qualen wie Chariclea sie fühlt, kennt die Liebe der Charide
nicht. Auch ist die Krankheit nach dem ersten Schreiben des Theogenes,
das sie seiner Gegenliebe versichert, spurlos verschwunden.
218 Walther Küchler.
schritt und das Keuschheitsverlangen der köchertragenden
Chariclea eine simple technische Notwendigkeit des erfindungs-
reichen Erzählers war.^^^)
So wird uns aus dem veränderten Standpunkt Fumees
gegenüber dem Thema Heliodors die veränderte innere Ökonomie
seines Romanes klar. Wir verstehen, warum sein Werk, mag
es auch noch so viel Elemente des äußeren Schemas beibehalten
haben, doch nur ein Schatten dieses Schemas geworden und
an innerUchem Gehalt so weit über das Thema des nach-
geahmten Werkes herausgewachsen ist.
Die künstlerische Darstellung der Gefühle.
Die Innerlichkeit, die im Gegensatz zu Heliodor in den
Roman hineingekommen ist, zeigt sich auch darin, daß der
Verfasser in ungleich stärkerem Maße die Gefühle seiner Per-
sonen, und zwar wahre und echte Gefühle, schildert. Die Gegen-
überstellung der verschiedenen Ausschnitte aus den beiden
Romanen hat den Unterschied zwischen ihnen auch in dieser
Beziehung deutlich hervortreten lassen. Es soll nicht von neuem
gezeigt werden, welcher Art das Gefühlsleben ist, wie es hervor-
tritt in dem Verhältnis der Charide zu Theogenes, der Melangenie
zu Pherecydes, der Melangie und der Charide, des Octavius zu
Charide, in dem Verhältnis des Vaters Polycrates zu seinem
Sohn, der Charide zu ihren Freundinnen — überall haben wir es
mit natürUch-menschhchen Beziehungen und echten Gefühlen
zu tun, während wir im Roman Hehodors beständig auf ver-
wickelte, sonderbare Verhältnisse stoßen und auf Gefühle, die
zwar hier und da durchaus ernst und innig, in der Regel jedoch
blos heftig flackernd, abnorm, zufälhg und schwankend sind,
so daß sie den Leser innerlich kalt lassen. Mit welchen künst-
lerischen Mitteln Fumee die Gefühle seiner Personen zu veran-
schaulichen weiß, soll zum Schluß noch untersucht werden.
Nicht nur auf schulmäßig-rhetorische Art, durch ausführhche,
schön komponierte Reden, durch lange, mit erregten Ausrufen
durchsetzte Klagetiraden läßt er seine Personen ihre Stimmungen
und Gefühle äußern, sondern auch edlerer Mittel, der Kunst
realistischer, die Situation durch Haltung und Gebärde malender
Erzählung, weiß er sich mit Erfolg zu bedienen.
Als der Triumphzug vorübergezogen ist, tritt Capito, der
Freigelassene des Octavius in das Zimmer der Charide und findet
*®^) Zu bemerken ist auch, daß aus Fumees Roman alle Bei-
spiele von sinnlicher und unreiner Liebe verbannt sind. Keine ver-
heirateten Frauen entbrennen in sündiger Glut zu schönen Jünglingen,
nie, mit einer Ausnahme, stellt die Sinnlichkeit der Männer den Frauen
nach.
Martin Funiees Ronwti ..Du iray et parfait arnour". 219
sie couchee sur im petit lict estendue sur les reins une iambe croisee
sur Vaiiire et nn bras estendu avec la main negUgemnient pendante
contre-bas, ten-ant le bout de son voyle de l'autre acec lequel eile
couvroit son visage.^^-) Diese Haltung kennzeichnet so ihren
traurigen Gemütszustand, daß Capito ihr versichert, auch wenn
er nicht ihre klagende Stimme gehört hätte, so \\-ürde er doch
gleich mit den Bhcken erkannt haben, daß sie von Trauer er-
füllt sei. Er hält ihr nun eine längere Trostrede, während derer
Charide nicht unbeweglich bleibt. Charide s'estant ia un peu
reUi'ee aux paroUes de Capito et penchee sur un coste, estant appuyee
sur le coude et ayant reiecte sur sa teste soji voyle ä deniy, tellenieni
qu'on ne luy voyoit que le nez et la bauche, se print en phrant tousiours
amerement d proferer ces niots . . ^^)
Als dann Melangenie eintritt und zu ihr redet, erhebt sie
sich nicht von ihrem Ruhebette, sondern läßt ruhig alle ihre
liebreichen Worte über sich ergehen. Erst als Melangenie, auf
ihre Liebe anspielend, stärker an die Wunde rührt, gerät sie in
plötzliche Erregimg: ..A ces mots Charide comme soudain poussee
par un esprit incogneu se tourna tout le corps de dessus son petit
lict et se laissa choir sur Melangenie, Vembrassaiit par le col avec
ses deux bras, les cuisses et iambes restans encore sur la couchette,
luy disant ai'ec une voix plainiive et resonnante, aiant les ioues
et la bouche pleines de larmes . . . "^^) Am Morgen des über-
nächsten Tages macht Octavius ihr seinen Besuch. Ihn empfängt
sie nicht Hegend, sondern hört, wie es sich geziemt, stehend
seine Worte an: ,. Pendant les propos d'Ociavie, Charide, qui
des Ventree d'iceluy s'estüit levee en pieds, s'estoit tousiours tenue
immobile ayant le voile abaisse iusques sur les sourcils des yeux,
lesquels eile tenoit fichez en terre, tenant ses ?7iains cachees sous
son vestement comnie pour le soustenir et s'estant le sang retire
es ennrons du coeur, qui la faisoit paroistre plus blanche et son
teinct imiter le marbre Parien, ressejnbhit ä ceux-ld, qui amenez
devant le tyran n'attendent qu'un iugement inique d la torture oii
meurtrisseure de leurs corps: ne pouvani au reste si bien se contenir
que Von ne eist quelques larmes couler de ses yeux."^^^) So wird
sehr gut ihre ängsthche Schüchternheit und die Ungewißheit
ihrer Seele ausgedrückt. Dann, als Octavius sie mit freundHchen
Worten beruhigt, erleichtert sich ihr Herz und in die bleiche
Marmorfarbe ihres Anthtzes ergießt sich rosiger Schimmer.
Diese ersten Szenen mit den immer wieder durch leise Schat-
tierungen leicht veränderten Bildern des trauernden Mädchens
stellen dem Leser die Gesamterscheinung dieser rührenden
Frauengestalt mit zwingender Macht vor die geistigen Augen,
102) S. 9b.
*03) s. IIa.
^^) S. 17b.
i<^5) s. 30b f.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII^ 15
220 Walther Küchler.
und durch den ganzen Roman begleitet ihn die Vorstellung
von Charide als einem Tröstung heischenden, sehnsüchtigen Wesen.
Mit großer Liebe hat der Verfasser den Abschied der Charide
von ihren Freunden in Rom geschildert. ^°*^) So groß ihre Sehn-
sucht ist im Heimatlande wieder mit dem Geliebten vereinigt
zu sein, so schwer fällt ihr doch die Trennung. Offen spricht
sie mit dem väterlichen Freund über ihre zwischen Freude und
Trauer geteilte Stimmung, wie hart es ihr sei, aufzugeben die
,,rfoii/ce et amiable freguentation" mit ihm. Bei der letzten Mahl-
zeit ißt sie setir wenig. Melangenie trägt die aufgetragenen
Speisen fast unberührt wieder hinweg. Als sie ins Zimmer zu-
rückkehrt, findet sie Charide auf dem Ruhebett liegend, nicht
schlafend, sondern träumend von verschiedenen Dingen. Am
anderen Morgen begrüßt Octavius, ehe er sich in den Senat
begibt, die Scheidende, sagt ihr mit gütigen Worten Lebewohl
und wünscht ihr glückUche Reise. Da neigt sich Charide tief
zur Erde, richtet sich bescheiden wieder auf, senkt den BUck
und hebt ihn wieder und spricht ihm in langer Rede ihren Dank
für seine Wohltaten aus. Als sie geendet hat, fällt sie auf die
Knie, umarmt die des Octavius unter strömenden Tränen. Octavius
faßt sie unter die Schultern, hebt sie auf, umarmt sie zärtlich
und küßt sie, mouülant ses levres au ruisseau des pleurs qui
couloyent le long des ioues et par tout le visage d'elle. Seine
Festigkeit verhindert nicht, daß auch ihm weich zu Mute wird,
Tränen treten ihm in die Augen und beweisen, daß die Philosopliie,
le laquelle estoit imbeu se sage et vertueux Capitaine, nicht
ganz das Menschliche in ihm töten konnte. Er fühlt seine
Schwäche und möchte sie verbergen. Er küßt Charide nochmals
und geht dann schnell mit einem kurzen Reisewunsch aus dem
Zimmer. Ehe er das Haus verläßt, befiehlt er dem Capito während
der Reise aufs Beste für seine Schutzbefohlene zu sorgen und
begibt sich, die Tränen zurückdrängend, fort pensif et portant
une face bien triste, in den Senat. Charide aber, von tiefstem
Schmerz bewegt, wirft sich auf ihr Bett und weint und seufzt
ohn' Unterlaß, weil sie den verlassen soll, den sie lieben, achten
und ehren muß wie keinen andern. Melangenie, die selbst nicht
weniger schmerzhch bewegt ist, nimmt sich zusammen, mahnt
zum Aufbruch und tröstet. Da wendet Charide sich um, wirft
beide Arme um ihren Hals und klagt, daß sie scheiden muß
von ihnen Beiden, die gleiche Tugend haben, denen sie so viel
zu danken hat für Belehrung und Beispiel. Sie steht auf, küßt
sie von neuem und schenkt ihr einen Ring, den sie vom Finger
zieht. Melangenie kann nicht sprechen, ihre Tränen zeugen
von ihrem Schmerz. Stumm hilft sie der Charide die Treppen
hinuntersteigen. Die geht zum Gebet in den Tempel der Juno,
»"«) S. 198b f. und S. 226b ff.
Martin Fumees Roman ,,Du vray et parfait amour" . 221
kehrt zurück, wird auf's Pferd gehoben — ein letztes Lebewohl,
und alle bleiben in Trauer zurück.
Wer hätte eine so künstlerisch-maßvoll geschilderte, von
der Wärme echten Gefühls beseelte Szene in diesem so gering
geschätzten Roman vermutet ? Nichts war für ihre Gestaltung
aus Heliodor zu holen. Sie ist ganz des Verfassers unbestreit-
bares Eigentum.
Ähnlich, aber weniger ausführlich malt Fumee die Heimkehr
der Gharide, die tränenreiche Begrüßung mit der alten Amme,
das Wiedersehen mit der inzwischen verwitweten Gattin ihres
Vormundes, die erste Nachtim eigenen, leeren Hause, den Empfang
des von Theogenes an sie gerichteten Briefes, die Absendung
ihrer Antwort. Sehr hübsch, ganz kurz, ist ihr Gemütszustand
in der Morgenstunde veranschauücht, in der sie dem Boten den
Brief übergeben hat. Wie eine Erleichterung ist es über sie
gekommen, et comme si eile tenoit desia en main la iouyssance
de ses amoiirs et s'estimant comme au port asseure, voulant se
donner du bon temps ne voulut bouger du lict pour ce matin et
se rendormü.^^')
Vorzüghch ist die freudige Überraschung des Theogenes
geschildert, als der Bote ihm unerwartet den Brief Gharidens
überbringt; er nimmt den Boten beim Arm, zieht ihn in ein
Zimmer und fragt ihn, woher er komme, wo Gharide sei, wie es
ihr gehe, in welcher Verfassung er sie verlassen habe, wer in
jenem Augenbhck bei ihr gewesen sei, wie lange sie schon wieder
in der Heimat weile — so fragt er kurz und schnell eins nach
dem andern und hört dabei kaum auf die Antworten . . }^^)
Und so gibt es eine große Reihe von Szenen, in denen auf die
anschaulichste Weise das innere Gefühl zusammen mit dem
äußeren Gestus dem Leser nahe gebracht wird. Es würde zu weit
führen, sie alle hier anzumerken. Der Stil des Autors, der keines-
wegs glänzend zu nennen ist, sondern infolge der langen und
verwickelten Perioden, die er gerne bildet, häufig etwas Schwer-
fälhges und Pedantisches hat, gewinnt durch solche Schilderungen
bedeutend an Farbe und Lebendigkeit.
Wenn auch die meisten kürzeren oder längeren Szenen
dieser Art als Fumees künstlerisches Eigentum unbedenklich
betrachtet werden dürfen, so ist doch gewiß, daß auch für diese
Seite seines Werkes Heliodors Beispiel nicht ohne Einfluß auf
ihn geblieben ist. Auch Heliodor liebt das Malerische, Plastische,
Sinnfälhge in seinem Stil, Es ist ihm darum zu tun, seine Per-
sonen mit ihren Gefühlen anschauhch in die Situation hinein-
zustellen. Diese Neigung konnte Fumee aus der Lektüre Heliodors
gewinnen. Tatsächlich weisen einige seiner Schilderungen starke
^0') S. 273a.
i"8) S. 278a.
15*
222 Walther Küchler.
Anklänge an verschiedene Stollen seines Vorbildes auf. Aber
in der Übereinstimmung zeigen sich doch auch wieder die Unter-
s chiede.
Hehodor ist ein gewandter Erzähler. Mag sein Stil auch
schwülstig, outriert, geschmacklos poetisierend sein, er weiß
doch zu wirken. Er hat den Sinn für's Heruische. Das Prunkende
ist der eigentliche Charakter seines Stils. Er prunkt mit über-
raschenden Einfällen, mit Witz, mit dem Reichtum der Farben,
mit fütterndem Glanz, er prunkt mit Freude und Schmerz, mit
dem Heiligen und Unheihgen. Verglichen mit seiner Art hat
die Fumees etwas unbestreitbar Monotones, auf den ersten
Blick Langweihges und Pedantisches, Wo Hehodor glänzt
und funkelt mit seinen Gauklerkunststücken, schleicht er be-
scheiden einher und bringt seine besten Gaben eingewickelt in
der Hülle gut dokumentierter Gelehrsamkeit und ungeschickt
gezimmerter Satz-Perioden. Aber wo denn einmal das Künst-
lerische bei ihm sich entfaltet — und allzu selten ist das nicht
der Fall — trägt es auch ein ehrhcheres und soHderes Gesicht
als die ungleich geschicktere, blendendere Arbeit des Mannes, der
sicher kein Bischof war, wie eine törichte Sage es aufgebracht hat.
Zwei Beispiele nur mögen Heliodors Kunst der malerischen
Schilderung vorführen und zeigen, was Fumee aus ihr entlehnen
konnte und was nicht.
Die Anfangsszene. Am Strande des Meeres, inmitten von
Leichen und wüst umherhegenden Waffen, Steinen und Tafel-
geräten erblicken Räuber eine Gruppe, die ihnen Staunen und
Scheu verursacht: „C'etoit une jeune pucelle assise dessiis im
rocher, de beaute si rare et si emerveiUable, qii'ä la voir seulement
on l'eüt prise pour une deesse, Vrai est qu'elle etoit triste ä cause
du piieux etat aiiqiiel eile se voyoit pour lors reduite; mais toute-
fois encore montroit-eUe d son maintien la grandeur de son courage.
Elle avoit le chef couronne d'un chapeaii de laurier et des epaules
Uli pcndoit par derriere un carquois qu'elle portoit en echarpe; son
hras gauche etoit appuye sur son arc tout debout, et laissoit pendre
negligemment contre le bas le reste de sa main, sur sa cuisse droite
reposüit le coude de son autre bras et avoit la joue dedans la paume
de sa main, dont eile soutenoit sa tele, tenant les jeux fiches en terre
d regarder devant eile un jeune damoiseau etendu tout de son long . . .
Kein Zweifel, daß diese Beschreibung Fumee gegenwärtig
war, als er die trauernde Gharide malte. Die schlaff nieder-
hängende Hand, den traurig gesenkten Blick übernimmt er ohne
weiteres, nicht aber das gesamte Bild. Nicht das Theatralische
und Aufgeputzte, das Imposante und Heroische der Gruppe.
An keiner Stelle seines Romans findet sich ein ähnliches Bild,
ebensowenig eine Beschreibung, wie sie Hehodor an die vor-
hergehende anschheßt, wenn er das Bild der in goldfarbigem,
sonnenbestrahltem Kleide, bachantinnengleich den Felsen herab-
Martin Fumee's Roman ,,Du vray et parfait amour". 223
eilenden Chariclea malt, deren Pfeile bei jedem Schritt klirren
und Furcht in das Herz der Barbaren gießen, die eine Göttin
vor sich zu sehen wähnen. Solche Farben hat der ehrliche Fumee
nicht auf seiner Palette. Ein Blender ist er nicht.
Näher berührt sich Fumee mit einer anderen Schilderung
Heliodors. Dieser erzählt, wie die von verzehrender Liebesglut
zu Theagenes ergriffene Gattin des Satrapen nicht schlafen kann:
,,Elle demoura toute cette niiit ainsi couchee, souvent se remuant,
puis sur im cöte, puis sur un aiiire, et soupirant du profond de
son coeiir; tantöt se dressant sur ses pieds, tantot se laissant retomber
sur les genoux, or decouvrant quelque partie de son corps, et puis
se rejetant soudain ä la renverse dessus son Ut, appelant quelquejois
l'une de ces fenimes sofis occasion aucune et puis la ren\^oyant
aussitöt Sans lui rien eommander . . . .^^^)
Auch Charide kann nicht schlafen in einer Nacht, wie wir
bereits sahen. Auch in einer anderen Nacht nicht; als sie zum
ersten Male wieder daheim schlafen möchte ,,mais pour penser
d son amy Theogenes, l'imagination duquel la vint aussitost saisir
accompagnee de soing et de soucy pour trouver des expedians tendans
ä scavoir de ses nouvelles; et ne pouvant ä ceste occasion dormir
ne faisoit que se tourner en son lict tantost d'un coste, tantost de
Vautre, souspirant, gemissant, et se pleignant sur le doubte qu'an
amy a tousiours de ce que il aime."^^^')
Fumee liat von Heliodor abgeschrieben, kein Zweifel. Charide
wendet sich genau von einer Seite zur andern und seufzt und
jammert wie die Frau des Satrapen. Nur mildert er etwas die
Heftigkeit der Bewegungen. Aus künstlerischer Schwäche oder
aus gewolltem Maßhalten ? So ist er äußerlich dem Heliodor
ziemUch gleich. Aber innerlich wieder nicht. Nicht unreine
Liebesbrunst versagt der Charide den Schlaf. Im leeren Hause
denkt die soeben Heimgekehrte an den fernen Geliebten. Nur
von inniger Sorge ,,c?e soing et de soucy", ist sie erfüllt, nur von
der Unruhe ,,qu'un amy a tousiours de ce que il aime."
Die Sinnenglut der Frau des Satrapen nimmt kein Leser
ernst. Sie ist ja nur da, um dem Theagenes und der Chariclea
ein paar schwere Tage zu bereiten und sie beide an den Rand des
Verderbens zu führen. Wir wissen, es wird doch alles gut ab-
laufen. So lesen wir ohne innere Anteilnahme die Qualen der
Frau, genießen höchstens mit kühler Bewunderung die effekt-
volle Schilderung, die der gewandte Erzähler von ihnen gibt.
Die Unruhe der Charide im leeren Hause ergreift uns tief. Was
bei dem einen leere, technische GeschickUchkeit war, diente dem
anderen, um ein echtes Gefühl in Worte zu kleiden.
109) Livre VII. chap. 3.
110) S. 266b.
224 Walther Küchler.
V.
Das Ergfebnis.
In der Vorrede an die Leser schreibt der fingierte Athena-
goras, daß er, um die Erinnerung an ein Beispiel edler Liebe,
wie es in Athen gegeben worden sei, dauernd zu erhalten, sich
damit begnügt habe, de ramasser gd et lä par nostre ville plusieurs
memoires pour relever et enrichir une histoire qui s'en alloit quasi
estre mise en ouhly pour la longueur du temps. Und Martin Fumee
in dem angeblichen Briefe an Herrn von Lamane schreibt: „Quant
au suiect que s'est propose cest autheur ie ne puis dire s'il est fonde
sur une histoire ou sur une invention fabuleuse. Les temps toute-
fois et les personnes dont il jait mention se rapportent fort hien
les uns avec les untres^ qui feroient iuger sa narration etre plustost
d'une histoire que d'u7ie fable."
Mit diesen beiden Aussprächen hat der Verfasser deutlich
die Gesichtspunkte angegeben, die ihn bei der Abfassung seines
Werkes geleitet haben. Er wollte ein Beispiel edler Liebe er-
zählen, wie es sich wirklich zugetragen hätte. Die Erzählung
sollte eher den Eindruck einer wahren Begebenheit als einer
Fabel erwecken, Zeiten und Persönlichkeiten sollten zur Erzielung
dieses Eindrucks verhelfen.
Indem Martin P'umee diese Absicht zu verwirklichen suchte,
entfernte er sich von Heliodor.
Vom ersten bis zum letzten Worte ist alles, was in dem
griechischen Roman geschieht, Phantastik. Als der französische
Übersetzer des Werkes, Jaques Amyot, in dem Proesme du
Translateur das reichlichste Lob gespendet hat und dann ein
wenig Kritik übt, da tadelt er an dem Werke, daß es doch eben
nur eine Fabel sei. In Wirklichkeit ist ja auch Fumees Roman
nichts anderes, aber der Verfasser hatte doch die Absicht das
Fabelhafte zurücktreten und den Eindruck des Wahren hervor-
treten zu lassen.
Und auf diese Absicht kommt es an; denn sie und nur sie
gewährte die Möglichkeit eines künstlerischen Fortschrittes
über Heliodor hinaus. Das Schema Heliodors und die nicht
endenwollende Nachahmung dieses Schemas hat die Entwicklung
des französischen Romans gehemmt. Fumee, indem er Wirk-
lichkeit erstrebte, hat die Erzählungskunst gefördert. Seine
Anlehnung an wirkliche geschichtliche Vorgänge, der damit
verbundene Versuch der Milieuschilderung und des Eingehens
auf intim-häusliclie Verhältnisse, schheßlich die mit künstlerischer
Realistik veranschaulichte Darstellung der Gefühle sichern ihm
eine unbestreitbare Originalität und lassen ihn teilnehmen an
der Entwicklung der französischen Erzählungskunst.
Martin FumSe's Roman „Du vray et parfait amour". 225
Wenn man die großen Romane des siebzehnten Jahrhunderts,
die Werke eines d'Urfe, La Calprenede, der Scudery betrachtet,
so findet man, erstickt in geschwätzigem Wust, aber doch vor-
handen, das gleiche Bemühen um künstlerisch-anschauliche Be-
handlung des Milieus, der Situationen und Gefühle. Kein Zweifel,
daß auch das Beispiel des vermeintlichen Athenaguras neben
anderen, spanischen und italienischen Einflüssen, maßgebend
gewesen ist, denn so vergessen, wie heute war der Roman ,,Du
vray et parfait amour" damals nicht.
So sind es in der Hauptsache drei Eigenschaften, welche
den Roman Fumees von dem Heliodors scheiden; Das Element
der Geschichte, die vollkommene, platonische Liebe und der künst-
lerische Realismus in der Wiedergabe der Gefühle.
Nach wie vor, daran ändert das Resultat dieser Untersuchung
nichts, wird der Roman unter die Nachahmungen des Heliodor-
schen Romans einzureihen sein. Aber es war die Absicht der
Arbeit, zu zeigen, daß mit einer solchen Klassifikation so gut
wie nichts gesagt ist, sondern daß sie nur ein Wegweiser zu
der tieferen Erkenntnis sein kann.
Gießen. Walther Küchler.
Rousseaus Bekenntnisse in ihrer
ersten Passung.
Der vierte Band des den Fachgenossen wohlbekannten
Rousseau-Jahrbuchs, der die Bezeichnung 1908 trägt, aber erst
im Laufe des Jahres 1909 erschienen ist, erfreut uns durch eine
Gabe, die alle Liebhaber der französischen Literatur dem ver-
dienten Herausgeber, Herrn Theofile Dufour, hochhebst danken
werden, nämlich der ersten Fassung von Rousseaus Conjessions.
Freilich nur der drei ersten vollständigen Bücher und der ersten
Hälfte des vierten Buches.
Wer von Rousseaus Leben und von seinen Werken spricht,
kann es kaum vermeiden, dabei auf Goethe hinzuweisen und
einen Vergleich zwischen den beiden, in ihrem Leben und ihrem
Geschicke so ungleichen Menschen und doch so verwandten
Naturen zu ziehen. Fast unabweisbar ist der Vergleich zwischen
Werther und der neuen Heloise; außerordentlich nahe liegt die
Gegenüberstellung von Christiane und Therese, um nur e i n
Werk und e i n Lebensereignis hervorzuheben. Auch beim Text
der Conjessions möchte man an eine Goethesche Ai-beit denken,
deren erste Fassung gerade in neuester Zeit so viel von sich reden
gemacht hat. Ich meine den Wilhelm Meister. Schon den Zeit-
genossen, die dieses Werk bei seinem ersten Erscheinen 1 795 ff.
lasen, war bekannt, daß das im Druck Ausgegebene eine spätere
Bearbeitung darstellte und wenn die Kunde von diesem Faktum
auch dem größeren Publikum allmählich verloren ging, so wußten
die Kenner, daß eine solche erste Fassung, die auf 12 Bücher,
im Gegensatz zu den späteren acht Büchern berechnet war,
existiert hatte oder zum mindesten weit vorgeschritten war, so
daß mindestens sechs Bücher davon vollendet waren. Auch den
Titel dieser älteren Fassung ,, Wilhelm Meisters theatralische
Sendung" kannte man in Fachkreisen gar wohl. Aber man schien
die Hoffnung aufgeben zu müssen, diese Fassung, obgleich man
sehr gespannt auf sie war, wiederzufinden, bis ein Zufall sie im
März 1910 ans Licht brachte.
Rousseaus Bekenntnisse in ihrer ersten Fassung. 227
Etwas glücklicher ging es mit Rousseaus Conjessions. Man
konnte nicht nur ahnen (sondern hatte ziemlich bestimmt klin-
gende Äußerungen darüber), daß bei einem so langsam arbeitenden
Schriftsteller, wie Rousseau einer war, ein Werk so vielfacher
Überlegung, bei dem mannigfache Rücksichten zu nehmen waren,
nicht gleich in der Weise fertig werden konnte, in der es seinem
Autor befriedigte. Und in der Tat waren zwei Manuskripte
bekannt, das sogenannte Pariser, das von 1798 — 1817 wieder-
holentlich, und das sogenannte Genfer, das von 1782 — 90 einige
Male gedruckt worden ist. Aber diese beiden Fassungen stellen
im großen und ganzen den definitiven Text, diesen nur in zwei
abweichenden Redaktionen dar.
Früher als diese ist nun eben die ältere Redaktion,
deren Handschrift in Neufchatel aufbewahrt wird. Die Tatsache,
daß eine solche existierte, war bisher keineswegs unbekannt,
vielmehr hatte schon 1850 Felix Bovet in einer Schweizer Zeit-
schrift die sehr merkwürdige Einleitung zu dieser älteren Fassung
herausgegeben; diese einzelnen Fragmente waren 1906 in einer
französischen Zeitschrift wiederholt worden. Erst jetzt aber
wird diese ursprüngliche Bearbeitung bekannt gemacht.^)
Sie enttäuscht, sagen wir das gleich von vornherein, einiger-
maßen und auch darin möchte sie das Schicksal teilen, das
Goethes erste Fassung des Wilhelm Meister höchstwahrschein-
lich erleiden wird. Denn es ist kein vollständig neues Werk, so
daß sich weder große Abschnitte hier ausschließhch finden, noch
etwa wichtige und bedeutsame Partien der zweiten Fassung
hier noch nicht vorkommen, sondern es ist eine Behandlung der-
selben Dinge, im großen und ganzen auch in derselben Weise.
Was die Abfassungszeit unseres Manuskripts betrifft, so
wird man den Resultaten des Herausgebers im ganzen beipflichten
können: es ist begonnen im Oktober 1764 und fortgesetzt bis
zum Anfang 1765. Dann trat eine Pause ein, erst im März 1766
^) Jean- Jacques Rousseau. La premiere redaction des conjessions
livre 1 — 4 publice d'apres le manuscrit autographe par T h e o f i 1 e
Dufour Docteur es lettres in dem Sammelwerk: Annales de la
Societe Jean-Jacques Rousseau. Tome quatrieme 1908 ä Geneve
chez Julien, editeur au Bourg-de-Four 32. S. 1—275. Der Ein-
leitung zu dieser Veröffentlichung XVI SS. sind einzelne der vorstehen-
den und folgenden Bemerkungen entnommen. Der eigentliche Text
der 4 Bücher geht von S. 1—224, dann folgen drei Anhänge, deren
erster überschrieben ist: 1. Les debauches. Eine Reihe sehr interessanter
Fragmente, die als Vorarbeiten zu bezeichnen sind, 2. Le manuscrit
Moultou, eine Beschreibung der oben erwähnten Genfer Handschrift,
und 3. Mon portrait, gleichfalls Selbstschilderungen, die im Zusammen-
hang mit der großen Lebensbeschreibung stehen, die schon mehrfach,
aber niemals ganz korrekt im Drucke wiedergegeben waren. Die nach-
folgende Untersuchung berücksichtigt diese drei Anhänge nicht,
sondern geht nur auf die ursprüngliche Fassung, im Vergleiche zu
dem rezipierten Texte ein.
228 Ludwig Geiger.
und zwar in Wootton nahm Rousseau die lange unterbrochene
Arbeit wieder vor und beendete sie (eben unseren Text, d. h.
bis zur Hälfte des vierten Ruches) im Juni 1766. Statt diese
angefangene Arbeit dann w^eiter fortzusetzen, begann er alsbald
die neue Redaktion, die ziemlich rasch das bisher Geschriebene
umgestaltete und auch die Fortsetzung verhältnismäßig schnell
anfügte, so daß das 5. Ruch, das in einer Urfassung überhaupt
nicht existiert, sicher dem August 1766 zuzuweisen ist, weil sich
in ihm einzelne Anspielungen auf Ereignisse des genannten
Monats und Jahres finden.
Die Gründe, die den Schriftsteller zu dieser neuen Arbeit
veranlaßten, hat man früher, ehe man die ältere kannte, darin
sehen wollen, daß er die Absicht hatte, die ursprünglich psycho-
logische Darlegung in eine apologetische zu verwandeln. Dies
ist, wie man jetzt positiv behaupten kann, nicht der Fall. Die
Gründe liegen einfach in einer gewissen Unzufriedenheit mit
einzelnen Längen, in dem Wunsch manches genauer zu motivieren,
vieles stilistisch neu zu gestalten.
Und so kann man nur wiederholen, wirklich neu ist in der
späteren Redaktion so gut wie nichts, ausgelassen sind nur ver-
hältnismäßig wenige Namen und Tatsachen. Aber das Ganze
ist für die stiHstische Kunst des Schriftstellers von so hervor-
ragender Wichtigkeit, ein so außerordentlich merkwürdiges
Zeugnis für die Arbeits- und Auffassungsweise des eigenartigen
Mannes, daß es sich im höchsten Grade lohnt, diese Urfassung
näher zu behandeln.
Rei dieser Darlegung enthalte ich mich, auf die vollständig
veränderte Einleitung einzugehen, weil sie den Fach-
genossen längst bekannt ist, ich habe versucht, an anderem
Orte (in der Deutschen Rundschau) zum erstenmal eine Über-
setzung dieser neuen Einleitung zu geben und darf wohl darauf
verv/eisen.
Im allgemeinen darf als Einleitung zu dem folgenden Einzel-
vergleich folgendes hervorgehoben werden: die Veränderungen
sind größtenteils aus stilistischen Gründen erfolgt, aber auch
gewisse Tendenzen haben dazu obgewaltet. Und zwar sind bei
den Auslassungen die nachfolgenden Momente ausschlag-
gebend gewesen : es erfolgten Streichungen von Aus-
drücken, die ein Selbstlob enthielten, andererseits Auslassungen
solcher Stellen, die Ungünstiges über ihn berichteten und Un-
annehmlichkeiten darstellten, unter denen er litt. Endlich traten
Streichungen oder Milderungen solcher Stellen ein, an denen er
von Freunden, ja selbst von Feinden Häßliches oder Schlechtes
erzählt hatte. Solchen Auslassungen der späteren Fassung sind
die Zusätze anzureihen. Rei ilmen erkennt man, daß manche
unberechtigt, ja geradezu unlogisch sind, weil sie Stimmungen
im Knaben oder Jüngling voraussetzen, die ihn nicht beherrscht
Rousseaus Bekenninisse in ihrer ersten Fassung. 229
haben können; oder unnötig, weil sie Selbstverständliches ent-
halten. Treffen beide Momente nicht zu, so kann man auch
bei diesen Zusätzen, ebenso wie dies bei den Auslassungen mög-
lich war, bestimmte Absichten unterscheiden, nämlich entweder
die, das Gesagte zu verstärken, oder die, die Gedanken, die
geäußert worden waren, abzuschwächen. Dagegen finden sich
eigenthche Berichtigungen verhältnismäßig selten. Sie
bestehen z. B. in Einfügung von Namen, die aus irgendwelchen
Gründen ausgelassen waren, seltener in Verbesserungen wirk-
licher Fehler und Gefühle.
Vergleicht man nun im einzelnen die beiden Fassungen, so
kommt man häufig auf die Vermutung, einen ganz neuen Ab-
schnitt gefunden zu haben, und freut sich darüber, da ja die
Arbeit des buchstäbhchen Vergleichens eine mühevolle und nicht
sehr erquickliche ist. Nach wenigen Minuten jedoch tiberzeugt
man sich, daß diese angebUch unbekannte Stelle nur an einem
andern Orte steht. Doch sind auch solche Beispiele höchst
lehrreich, weil sie treffhche Beweise für Komposition und Technik
des Autors geben. Zwei Beispiele sind besonders instruktiv,
beide befinden sich im dritten Buch, beide in der Erzählung der
zweiten, aber noch nicht definitiven EtabHerung bei Frau
von Warens. Nachdem der Autobiograph berichtet hat, wäe er
sich von seinem rasch gewonnenen Freunde Bäcle ebenso rasch
wie schmerzlos getrennt hat, und seinen Einzug in das Haus der
„mütterhclien" Freundin beschrieben, schildert er ihre Haus-
haltung und Dienerschaft, um dann erst von der Lage der Wohnung
und Lebensweise zu berichten. In der späteren Fassung dagegen
stehen die letzten Abschnitte an erster Stelle, gewiß mit Recht.
Denn den Anfang hat die Beschreibung der ÖrtUchkeit zu machen,
ehe man auf die Bewohner und ihre EigentümHchkeiten eingeht.
Sehr charakteristisch ist ferner das folgende. Da Rousseau seine
neue Gastfreundin ungemein enthusiastisch charakterisiert hat,
fügt er dem stark ausgedrückten Lobe einen kleinen Tadel hinzu,
indem er von der Langsamkeit Kunde gibt, die ihm besonders
lästig gewesen sei bei ihren Unterhaltungen mit gleichgültigen
oder unangenehmen Personen. Darauf folgt ein Abschnitt, wie
sehr ihn besonders ihre allzu große BehagUchkeit bei Tische gestört
hätte, die darin bestand, daß sie heiße Speisen nur in so großen
Pausen zu sich nahm, daß er währenddessen zwei oder drei
Portionen verschlungen habe; er habe sich aber aus dieser Un-
mäßigkeit kein Gewissen gemacht, da er damals in ihre schwierigen
ökonomischen Verhältnisse noch nicht eingew^eiht gewesen sei.
In der endgültigen Fassung dagegen steht dieser ganze Abschnitt
weit früher, bei der Schilderung ihrer Wohnung und Lebens-
weise. Auch hier kann man wohl der neuen Redaktion recht
geben, denn die Darstellung der äußeren Gewohnheiten des
Daseins gehört gewiß zusammen, und es ist ein Fehler der älteren
230 Ludwig Geiger.
Fassung — wohl hervorgerufen durch das Motiv, die einzelnen
Äußerungen der Langsamkeit zusammenzustellen — , daß
dieser Abschnitt nach der Darstellung des geistigen Verkehrs,
der Lektüre, des Inhalts der Unterhaltungen zu stehen kam.
Ein höchst charakteristisches Beispiel dieser Umstellung,
vielleicht das charakteristischste, findet sich am Anfange des
vierten bezw. am Ende des dritten Buches. In den bekannten
Drucken beginnt das vierte Buch mit den Worten: ,,Ich komme
an und finde sie nicht mehr." Ein solcher Anfang ist ein grober
Fehler. Daß unter ,,sie" Frau v. Warens verstanden wird, weiß
doch nur der aufmerksame Leser, der hintereinander liest; für
den dagegen, der seine Lektüre unterbricht, oder für den, der
durch Zufall ein solches Werk aufschlägt und sicher zu sein
glaubt, am Anfang eines neuen Buches etwas in sich Alige-
schlossenes, für sich allein Verständliches zu finden, bedarf es
nun des Nachdenkens oder Nachschlagens, das entschieden vom
Übel ist. Aber es ist nicht nur äußerlich, sondern auch inner-
lich falsch. Am Ende des dritten Buches war das seltsame
Abenteuer erzählt worden, das Rousseau mit dem Singmeister
Le Maitre aus Annecy hatte. Er sollte diesen, der sich durch
üble Behandlung seiner Vorgesetzten gekränkt fühlte, und seinen
Quälern einen empfindliclien Streich dadurch spielte, daß er sie
gerade beim Osterfeste im Stich ließ, auf das Geheiß seines
,, Mütterchens" nach Lyon begleiten. Er machte sich wirklich
auf die Reise und erreichte das Ziel. Dort drückte er sich aber
heimlich von seinem Gefährten, gerade in dem Augenblick, da
dieser, der häufiger und stärker als es ihm gut tat, dem Weine
zusprach, von einer Art epileptischer Krämpfe auf der Straße
befallen wurde. Ein häßhcher Streich, den der Erzähler durch-
aus nicht zu beschönigen sucht, denn er schließt seinen Bericht
mit den Worten: ,,Gott sei Dank habe ich dieses zweite^) Ge-
ständnis beendet; hätte ich viele ähnliche zu machen, so würde
ich die angefangene Arbeit liegen lassen." Dann beginnt das
neue Buch logisch mit der Bemerkung, daß alles frühere, was
er zu erzählen gehabt, in der Erinnerung der Menschen eine
Spur hinterlassen hätte, daß aber die Ereignisse dieses neuen
Buches, die seltsamsten seines Lebens — es handelt sich um den
geschlechtliclien Verkehr mit Frau von Warens — völlig unbe-
kannt geblieben wären, wenn nicht er selbst sie entliüllte. Das
wird im einzelnen begründet: sein Verlassen Lyons, seine Reise
zu dem Mütterchen, die Trauer, daß sie gerade einen Ausflug
2) Der redigierte Text hat ,, dritte". Das ist eine zutreffende
Änderung. Der erste böse Streich ist die ungerechte Beschuldigung
des Dienstmädchens, sie habe das von Rousseau gestohlene Band
entwendet, der zweite die unsittlichen Posituren, in denen er sich
den jungen Mädchen in Turin zeigte; der dritte ist dann dieses un-
würdige Verlassen eines hilflosen Kranken an einem fremden Orte.
Rousseaus Bekenntnisse in ihrer ersten Fassung. 231
unternommen hätte, dessen Ursache er niclit kannte, wird an-
gedeutet und dann zusammenfassend gesagt — aber eben in der
Mitte des Abschnittes und nicht am Anfang: ,,Ich komme an
und finde sie nicht mehr." Das ist unendHch viel dramatischer,
als diesen eben analysierten Absclmitt an das Ende des dritten
Buches zu verweisen, als Programm für dieses Buch (der Bearbeiter
mußte daher le Livre siiivant statt: ce livre setzen).
2. S t i 1 i s t i s c li e Ä n d e r u n g e n. Es ist dieselbe Dar-
stellung und doch eine Arbeit, bei der der Autor jedes Wort erwog,
jeden Satz noch einmal unter die kritische Lupe nahm. Diese
Behauptung könnte man durch viele Dutzende von Stellen be-
weisen, freilich ist zu betonen, daß der Eifer des Bearbeiters
erlahmte, und daß diese Veränderungen im ersten und zweiten
Buche viel häufiger sind, als im dritten und vierten. Und auch
in diesen beiden letzteren ist es sehr bemerkenswert, daß das
dritte Buch, wenn auch nicht in dem Grade, wie die beiden
ersten, noch zahlreiche Umänderungen aufweist, während das
vierte von solchen mühevollen Änderungen verhältnismäßig
wenige Spuren zeigt. Um nicht ermüdend zu werden, begnüge
ich mich damit, ein paar charakteristische Beispiele hervorzuheben,
die eine steht ziemlich am Anfang, die zweite etwa in der Mitte.
Ich wähle gerade diese drei Stellen, weil sie nicht bloß sprach-
lich, sondern auch wenigstens einigermaßen inhaltlich wertvoll
sind (ich bezeichne die erste Fassung mit A, die zweite defini-
tive mit B).
A B
Ainsi mon pere perdit la moitie Je n'ai pas su comment mon
de son etre. II ne s'en consola pere supporta cette perle, mais je
Jamals. II passa le reste de sa sais qu'il ne s'en consola jamais.
vie ä la pleurer, ä parier d'elle. II II croyait la revoir en moi, sans
croyait la revoir en moi, mais il pouvoir oublier que je la lui
ne pouvoit oublier que je la lui avais ötee; jamais il ne m'em-
avois ötee. .lamais il ne m'em- brassa que je ne sentisse ä ses
brassa que je ne sentisse ä ses soupirs, ä ses convulsives etreintes,
soupirs, ä ses etreintes convulsives, qu'un regret amer se melait ä ses
qu'un regret amer se melait ä ses caresses; elles n'en etaient que
caresses. Elles n'en etaient que plus tendres. Quand il me disait:
plus tendres par la tristesse qui Jean-Jacques, parlons de ta mere;
s'y melait. Ah! disait-il en gemis- je lui disais: He bien, mon pere,
sant, rends-la-moi, console-moi nous allons donc pleurer; et ce
d'elle, remplis le vide qu'elle a mot seul lui tirait dejä des larmes.
laisse dans mon äme, l'aimerois-je Ah! disait-il en gemissant, rends-
ainsi si tu n'etais que mon fils? la-moi, console-moi d'elle, remplis
Trente ans apres l'avoir perdue, le vide qu'elle a laisse dans mon
il est mort dans les bras d'une äme. T'aimerois-je ainsi si tu
seconde epouse, mais le nom de n'etais que mon fils? Quarante
la premiere ä la bouche, et son ans apres l'avoir perdue, il est
Image au fond du coeur. mort dans les bras d'une seconde
femme, mais le nom de la premiere
ä la bouche, et son image au fond
du coeur.
232 Ludwig Geiger.
Die zweite findet sich im dritten Buch. Sie handelt über
den Geistlichen, den Abbe Gaime, den Rousseau selbst als Ur-
bild seines Vicaire Savoyard angibt.
A B
Seulement, la prudence l'obli- Seulement la prudence l'obli-
geant ä parier avec plus de geant a parier avec plus de
reserve, 11 s'expliqua moins ouver- reserve, il s'expliqua moins ouver-
tement sur certains points; mais tement sur certains points; mais
au raste ses maximes, ses senti- au raste ses maximes, sas senti-
ments furant las memes, et jus- mants, ses avis furant las memes,
qu'au conseil de m'en ratournar et jusqu'au conseil da retourner
dans ma patrie, tout fut comme dans ma patria, tout fut comme
je Tai rendu depuis au public. je Tai randu depuis au public.
Ainsi, Sans m'etandre sur das Ainsi, sans m'etandre sur des
entretiens dont chacun peut voir entretiens dont chacun peut voir
la substance, je dirai saulemant la substance, je dirai que sas
qua cas leQons si sages, mais legons sagas, mais d'abord sans
d'abord sans äffet, furant dans effet, furent dans mon coeur un
mon coeur un garme de probite garme de vertu et de religion,
et de religion qui ne s'y est point qui ne s'y etouffa jamais, et qui
^touffe, et qui n'attendait qu'une n'attandoit pour fructifiar que les
heureuse culture pour fructifier. soins d'une main plus cherie.
Quoique alors ma conversion Quoique alors ma conversion
ä la vertu füt peu solide, j'avais füt peu solide, je ne laissois pas
le coeur touchö. d'etre emu.
Alle die zahlreichen stilistischen Änderungen, von denen
absichtlich hier nur ganz wenige Proben gegeben sind, haben
bestimmte Gründe. Bald leitet den Bearbeiter die Einsicht, daß
der ursprünglich gewählte Ausdruck nicht klar, nicht bestimmt
genug, zu stark oder zu milde sei, bald der, daß er nicht gut
klinge oder geradezu sprachwidrig sei; in andern Fällen schien
ihm die Motivierung nicht ausreichend, so daß er sich genötigt
fand, ein paar Worte oder vSatzteile einzusetzen und wegzunehmen;
kleine Momente, die anfänglich vergessen waren, mußten nach-
getragen werden und ähnliches. Das alles waren stilistische,
redaktionelle, logische Gründe, nicht aber bestimmte Ten-
denzen. Aber auch an solchen fehlte es nicht, und auch sie
gaben Anlaß zu Änderungen.
Solcher Tendenzen kann man drei verschiedene unter-
scheiden :
a) Streichungen von Ausdrücken, die ein
Selbstlob enthielten. Da Rousseau bei Schilderung
seines kurzen Aufenthaltes in Confignon seinen Lehrer, den Geist-
lichen Monsieur de Pontverre, erwähnt, hatte er gesagt, er ,,sans
avoir etudie comme M. de Pontverre., j'etais moin,s mais mieux
instruit. que lui". Bei dem Bericht seines Zusammentreffens mit
Herrn von Aubonne in Turin, der, sich mit ihm freundschaftlich
unterhielt, ,,ich war entzückt von ihm," croyant qu'il elaii de moi.
Bei Schilderung seiner gesellschaftlichen Ungeschicklichkeit
(II. Buch), heißt es: ,, Meine Physiognomie und meine Augen
Rousseaiis Bekenntnisse in ihrer ersten Fassung. 233
versprachen mehr," ursprünglich hieß es noch als Zusatz zu
Physiognomie „animee et mes yeiix pleins de feu"; bei der Reise
mit Mr de Maitre „ich brachte so viel natürliche Gründe hervor",
war ehedem noch hinzugefügt ,,ei si hien toiirnes". Da er im
vierten Buche davon spriclit, daß er gegen die Reize der Made-
moiselle Marceilet unempfindlich war, hatte er seine Keuschheit
ein wenig gerühmt durch die Worte: ,,e f je ne sacke pas que
dans tont le cours de ma vie quelquejois assez agace par des femmes,
rien de pareille me soit jamais tombe dans l'esprit."
h) Als fernere Tendenz kann man Auslassungen von
Stellen bezeichnen, die Unannehmlichkeiten darstellen,
unter denen er litt oder die etwas nicht allzu Günstiges von ihm
berichteten. Bei dem ersten Zusammentreffen mit Frau v. Warens
hatte er eine Charakteristik von sich gegeben und von sich unter
anderem gemeldet, er habe „les dents vilains" gehabt, das fiel
fort. Bei dem Turiner Aufenthalt erzählte er, wie er den Palast
des Königs besucht und sich fast wie ein Bewohner des prächtigen
Gebäudes gefühlt habe, dabei hatte er ziemlich ruhmredig ge-
sprochen, indem er schrieb: „/e m'en regardais dejä sinon tout
ä fait comme le maitre au moins comme l'un des habitants et cela
me paraissait extremement beau." Auch dies wurde gestrichen.
c) Gestrichen oder geändert wurden endlich Ausdrücke, die
andere verletzen konnten. Hatte er ursprünglich gesagt
,, Monsieur de Pontverre gab mir die unangenehme Aussicht, ein
«Bandit» zu werden", so wurde daraus ein «Taugenichts». Dazu
gehören auch gelegentliche Milderungen.
Das geschieht an folgenden Stellen: bei der Schilderung
seiner Reise nach Turin hatte er zu Ungunsten seiner Gefährtin
den bösen Ausdruck gebraucht: „outre Vargent destine pour notre
voyage et dont je ne vis jamais rien" dies wurde entfernt. Der
Geselle der Mme Basile wurde charakterisiert, er hatte ein ge-
wisses italienisches Lächeln, statt dessen wurde nun
gesetzt „etwas Falsches, Boshaftes, Ironisches". Bei der Vor-
führung des Polizisten, dem er infolge seiner Ausreden entlaufen
war, und der sich bei der Wiederbegegnung recht freundlich
zeigte, hatte es geheißen, er sei ein guter Mann, quoique Piemon-
tais, die letzten Worte fielen fort. Bei der Darstellung von
le Maitre's Trunksucht stand der Passus „ef dont la gaite de
sangfroid valait mieux que celle de sa crapule'% auch diese Stelle
fiel weg. Endlich war Mlle Giraud, die älthche Vermittlerin seines
Verkehrs, mit den jungen Mädchen Galley und Graffenried recht
schlecht fortgekommen, am Schluß der boshaften Charakteristik
standen die Worte „c'etait comme si eile m'eüt voulu mordre",
auch diese Stelle fiel.
Viel häufiger als Umstellungen, tendenziöse Auslassungen,
Abschwächungen und kleine Zusätze sind Veränderungen,
teils Hinzufügungen, teils Auslassungen, bei denen bestimmte
234 Ludwig Geiger.
Gründe wohl kaum vorliegen. Ich wähle aus den Beispielen,
die ich gesammelt habe, nur einige markante.
1. Auslassungen, Bei der Darstellung der Einführung
in die katholische Rehgion stand vor den Worten „der dog-
matische Glaube ist nur eine Frucht der Erziehung," noch die
Phrase ,,/a vanite seule ou l'interet ce qui la dicte\ eile ne penetre
point en dedans." Nach den Worten ,,Mein Schreck war ge-
mildert durch die Liebkosungen, die die Priester in der Um-
gebung der Stadt Genf den Kindern angedeihen ließen," hatte
es früher geheißen: ce n'etait pas l'eglise qu'il me jaisait peiir;
j'aimais fort ä les voir au Presbytere. Bei dem merkwürdigen
Abenteuer mit dem Knaben im Seminar, der ihn unsittlich be-
rührt, spricht er von der Glut seiner Küsse, die ihm sehr un-
angenehm gewesen seien, setzt aber hinzu, mais qui me touchaient
beaucoup; dies fiel ebenso weg, wie der Zusatz, da er von den
ganz unsittlichen Handlungen des Verdorbenen gesprochen hatte:
Sans respect de l'auiel et du crucijix qui etait devant lui. Diese
Unsittlichkeiten erschreckten ihn zwar außerordentlich, übten
aber doch die Wirkung aus, ihn einigermaßen bei diesem Ver-
gleiche zu den Frauen hinzuzuziehen. Dann folgte noch die
merkwürdige Stelle: Les idees quelle (der Vergleich) ?ne fit naitre
changent en desir et en charme le degoüt que j'avais eu jusque alors
pour leur jouissance. W^enn er ursprünglich geschrieben hatte:
,,man ist sicher, mich mit Käse, anständigem W'ein gut zu be-
wirten," und noch hinzugefügt hatte: et la liberte, so tilgte er
später die letzten Worte. Bei dem Abenteuer mit der niedlichen
Mme Basile fiel der Satz fort : en un mot je plus assez ä cette jeune
dame pour revenir chez eile avec une sorte de familiarite qu'il ne
tint pas ä man gout, ni peut-Hre au sien qui n'augmeniät davantage.
Ebenso vor der Nennung ihres Namens die Charakteristik: son
air caressant, son etre tendre, au premier abord il semblait que
l'amitiee füt dejä faite et qu'il ne put rien venir de plus, und bei
dem Fortschritt des Abenteuers die höchst charakteristischen
W'orte ,,ma tete s'en allait". Hatte der Schriftsteller dann be-
richtet, ,,die fünf oder sechs Jahre Altersunterschied hätten sie
schützen können," so setzte er diesen Worten, die stehen blieben,
ursprünglich die folgenden hinzu : un reste d' incertitude me faisait
irembler d'encourir son indignation et de me faire chasser de chez
eile. Der Mann der Schönen wurde von der Reise zurücker-
wartet: sie dachte, so wird berichtet, es sei Zeit mich zu entfernen.
Ursprünglich stand dann noch ,,et peut'etre voulait eile prevenir
le retour de son mari". Eine der wenigen Anspielungen auf die
Zukunft wurde getilgt und zwar der Satz, der steht, nachdem
berichtet worden war ,,der Graf de la Rocque habe ihm gesagt,
das Gewissen des Schuldigen werde den Unschuldigen genugsam
rächen": mais ma punilion n'est pas taute interieure et David Hume
ne fait aujourd-hui que me rendre ce que je fis jadis ä la pauvre
Rousseaus Bekenntnisse in ihrer ersten Fassung. 235
Marion. — Im Hause Breil ist man in großer Aufregung, man
denkt nicht an ihn „quand on aurail eii en ma faveur tous les beaux
projels sur lesqiiels j'avais im peu trop compte" und bald darauf,
vor den Worten „ich liebte es Mlle de Breil anzusehen", hatte
mit Bezug auf seine Wünsche gestanden peut-itre par ce qua
je ne savais pas trop ä quoi les fixer. Gelegentlich des Einzugs
bei Mmc v. Warens berichtet er, es habe sich um sein Quartier
gehandelt, die Wirtin habe ihr Kammermädchen gefragt, wonach
dann in der Urfassung die später getilgten Worte standen ,,moins
je crois pour avoir son avis dont eile ne se souciait gueres que pour
capter son approbation". Bei dem Zusammenleben mit ihr hatte
es nach den Worten, „meine Unruhe in ihrer Abwesenheit war
geradezu schmerzlich," noch geheißen: ,,j'etais toufours en crainte
qu'on ne liii parlät qii'on ne la degoutät de moi, qii'il n'y eüt quelque
chose de fait ou de dit qiii nous separat", er erzählt sodann von
seinem Stückchen „L'amant de liii-mSme" und bemerkt: ,,wenn
ich mich in der Vorrede für 18 Jahre ausgab, so habe ich um
einige Jahre übertrieben", worauf dann noch die Worte folgen:
,,mais il est certain, que je n'en avais pas vingt-deux et il n'y a
rien, qu'il n'y paraisse." Bei seiner Mitteilung, er habe auf der
Rückreise von dem Ausflug mit Le Maitre erfahren, Mme de
Warens sei nach Paris gereist, war ehemals zu lesen: ,,et peut-etre
V avais- je rencontree en route sans en rien savoir" und nach dem
Verlassen dieses Reisegefälirten hatte ursprünglich die größere
Stelle gestanden: ,,Ce n'est pas quand une vilaine action vient
d'äre faite que le sentiment en est cruel, c'est quand on se la rappelle,
car le souvenir ne s'en eteint point, le temps efface tous les autres
sentiments, mais il aigrit le remords et le rend plus insup portable:
suriout quand on est malheureux, on se dit que Von merite de l'etre et
qu'au Heu de trouver en soi la consolation qu'on y cherche, on
n'y trouve qu'un nouveau tourment: Je crois que les heureux ont
peu de remords, mais celui qui commit le mal doii s'assurer de
VHre touie sa vie; autrement il ne sait pas quel avenir il se prepare
dans ces malheurs". Daraus machte B. „ce n'est pas quand une
vilaine action vient d'etre faite qu'elle nous tourmente, c'est quand
longtemps apres on se la rappelle; car le Souvenir ne s'en
eteint point."
Später ausgelassen wurden auch folgende Abschnitte. Der
erste findet sich Buch I nach der Darstellung der merkwürdigen
Erzählung, daß der Knabe (10 Jahre alt, nicht 9 , wie er berichtet),
sich lieber von der Vierzigjährigen (nicht Dreißigjährigen, wie
er sagt) Fräulein Lambercier schlagen ließ, als von deren Bruder,
und lautet so: „Ich weiß nicht, woher diese frühzeitige, viel-
leicht durch die Romanlektüre, beschleunigte Sinnlichkeit stammte,
nur das ist mir bekannt, daß sie auf mein übriges Leben, auf meinen
Geschmack, mein Betragen und meine Sitten Einfluß gehabt.
Ich erkenne den Faden dieser Entwicklung und halte es für
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII\ 16
236 Ludwig Geiger.
nützlich der Spur zu folgen. Wie aber soll ich sie auf diesen
Blättern bezeichnen, ohne sie zu beschmutzen ?"
„Diese erste Sinneserregung drückte sich dermaßen in
mein Gedächtnis ein, daß, als sich nach einigen Jahren meine
Einbildung zu erhitzen anfing, dies immer unter der Gestalt
derjenigen geschah, die sie anfänghch hervorgerufen, und als
der Anbhck junger, schöner Frauen mir Unruhe erregte, bestand
die Wirkung immer darin, aus ihnen ebenso viele Fräulein Lam-
bercier zu machen."
Ist an allen diesen Stellen B. gekürzt oder läßt diese Fassung
interessante Bemerkungen aus, so fügt sie an vielen Orten kleinere
oder größere Sätze ein. Auch dafür können aus den zahllosen
vorhandenen Stellen nur einige angeführt werden. Diese Zusätze
enthalten häufig unrichtige und unpassende Einfügungen von
Anschauungen späterer Zeit. So wird z. B. bei der Reise mit
dem jungen le Bäcle berichtet, sie hätten geglaubt mit ihrem
physikahschen Spielzeug überall Nahrungsmittel zu erhalten,
weil sie meinten, diese kosteten den Bauern ja nichts. B. fügte
dann noch hinzu: ,,et que qiiand ils n'en gorgent pas les passants
c'est par pure mauvaise volonte de leur part."
Dieser Zusatz ist nicht begründet, weil der jugendliche
Reisende doch nicht so töricht war, eine derartige Anschauung
zu hegen. Ähnlich unberechtigt erscheint die Frage, die er
stellt, da er zum zweiten Male zu Frau v. Warens kam: ,,a l'äge
QU j'elais, la peur de monrir de faim donne-t-elle de pareille alarme."
Das Verlassen des Herrn le Maitre entschuldigt er mit den Worten:
er hätte ja bei fernerem Verbleiben nur die Kosten verdoppelt,
die der gute Mann liätte tragen müssen, worauf B. noch einfügt:
,,voild comment alors je voyais la chose, je la vois autrement aujourd'-
hui\ Bei der Schilderung des heblichen Abenteuers mit den beiden
jungen Mädchen Galley und Graffcnried, meint er, es sei einer
der schönsten Tage gewesen, wie man sie im Alter nicht mehr
sähe, worauf B. nocli einsetzt: ,,eZ qu'on n'a jamais vu dans le
triste sol ou j'habite aujourd'hni." Ähnlich ist es, wenn am Schlüsse
des in der alten Bearbeitung erhaltenen Stückes nach den Worten,
,,das geringste erreichbare Vergnügen reizt mich mehr als die
Freuden des Paradieses," noch der lehrhafte Zusatz eingesetzt
wird: ^,j'excepte pourtant le plaisir que la peine doit suivre: celui-ld
ne me tente pas, parce que je n'ainie que des jouissances pures,
et que jamais oii n'en a de telles quand on sait qu'on s'apprSte un
repentir."
Einzelne dieser Zusätze sind recht unlogisch. Im
ersten Buche z. B. führt er aus: ,, keine meiner Neigungen besteht
in käuflichen Dingen", dann folgt in B. : il ne faut que des plaisirs
purs et l'argent les empoissonne tgus. Dieser Zusatz unterbricht
den Zusammenhang, denn darauf folgt die Stelle: ,,ich liebe z. B.
Genüsse der Tafel," dem Zusammenhang nach müßten diese
Rousseaus Bekenntnisse in ihrer ersten Fassung. 237
unter die unkäuflichen gehören, während sie doch wie alle anderen
bezahlt werden müssen. Nicht minder unpassend ist der folgende
Zusatz: Rousseau erzählt, wie Mme de Warens ihn bestimmt
habe, nach Itahen zu getien. Er setzt auseinander, die Schönheit
der zu erwartenden Reise hätte ihn verführt ,,/a vanite meme
y milait sa pointe; si jeune aller en Italie avoir dejä cu tant de pays,
suivre Hannibal ä travers les monts me parassait une gloire au
dessus de inon dge." Dieser Einschub ist aber deswegen völlig
unberechtigt, weil nichts in der früheren Schilderung eine solche
Anspielung auf das Altertum begründet. — Der Pfarrer, der ihn
im katholischen Glauben unterrichtet, wird von ihm durch die
Kirchenväter besiegt. Rousseau fügt jedoch hinzu, schheßlich
habe er geschwiegen, weil er seinen Lehrer nicht zum Äußersten
treiben wollte. Danach setzt B. ein: ,,car je voyais assez que le
vieux petit pretre n'avait pris en amitie ni mon erudition ni moi."
Das ist aber doch kein Grund, denn da ihm der alte Priester so
wie so nicht grün war, so hätte es weiter nichts geschadet, ihn
noch mehr zu entrüsten. Auch als er die Pracht des Hofes von
Sardinien sah, hatte er schwerlich die Empfindung, die die spätere
Fassung mit den Worten bezeichnet „gui bientöt vue et toujours
la meme ne frappe pas longtemps." Bei den Abenteuern mit den
jungen und alten Frauenzimmern heißt es: an der Art, wie die
jungen und alten mich fortgehen ließen, urteilte ich, daß ich mit
ihnen allein nicht so leichten Kaufes fertig geworden wäre. In
diese Sätze schiebt B. ein: je jugais que l'homme que j'avais tant
craint m'etait fort utile. Dieser Einschub ist an dieser Stelle
unpassend, er hätte vielleicht an anderem Orte eingefügt w^erden
können.
Unnötig ist jedenfalls der Zusatz bei dem Unterricht
des Abbe Gaime ,,dont je n'avais que de fausses idees" nach den
Worten ,,er machte mir eine wahre Schilderung des mensch-
lichen Lebens," denn in diesem Worte ,,wahr" liegt ja schon
inbegriffen, daß der Schüler bis dahin eine falsche Vorstellung
gehabt hatte.
Gegenüber diesen unlogischen oder unnötigen Einfügungen
zeigen sich andere, in denen die Absicht erkennbar ist, das Gesagte
zu verstärken. Bei dem Pfarrer Lambercier hatte A.
ausgeführt, dieser habe, obgleich Prediger und Kirchenmann,
fast ebenso gut gehandelt, wie gesprochen. Dies begründet B.
durch die Ausführung „da er innerlich gläubig war." Herr
Basile schickt den Knaben durch seinen Commis fort. B. schiebt
ein, um eben den Triumph des eifersüchtigen Commis zu er-
höhen „il assaisonna sa commission de tout ce qui pouvait la rendre
insultante et cruelle." Einmal zählt Rousseau die Dinge auf, die
er gern esse: Birnen, Käse, B. vervollständigt die Liste durch
die Worte ,,ei quelques verres d'un gros vin de Montf errat d couper
par tranche." Als der Berichterstatter von Mme de Vercellis
16*
238 Ludwig Geiger.
fortgeht, war er träumerisch, unruhig, wünschte ein ungeahntes
Glück. Diese Darstelhing genügt B. nicht, so daß noch hinzu-
gesetzt wird: ich weinte und seufzte. Le Maitre verliert seine
Kiste mit seinen Kompositionen, die Arbeit von 25 Jahren, das
schien B. noch zu schwach, so daß noch die Worte hinzukommen
,,/e fruit de ses talents, l'ouvrage de sa jeunesse et la ressource de
ses vieux jours." Bei der Erzählung der falschen Beschuldigung
gegen die junge Marion schien dem Autor die ursprüngUche
Schilderung zu stark und man mag aus folgender Gegenüber-
stellungersehen, wie er den Gedanken abzuschwächen unternahm:
A B
Cent fois j'ai cru l'entendre Tant qua j'ai vecu tranquille
me dire au fond de mon coeur: 11 m'a moins tourmente, mais au
Tu fais l'honnete homme et tu milieu d'une vie orageuse il m'öte
n'es qu'un scelerat. Je ne savais la plus douce consolation des
dire combien cette idee a empoi- innocens persecutes: 11 me fait
sonne d'eloges que j'ai re^us, et blen seiitlr ce que je crois avolr
combien souvent en moi-meme dit dans quelque ouvrage, que le
eile me rend tourmentante l'estime remords s'endort durant un destln
des hommes. Cela va quelque- prospere, et s'aigrlt dans l'ad-
fois au point de me faire regarder versite.
comme une confirmation de mon
crime de souffrlr que l'on pense
hlen de mol.
Höchst erwähnenswert sind auch noch Zusätze anderer Art.
Zunächst Berichtigungen und Ergänzungen. Da
er einmal ausführt, es sei merkwürdig, daß er bei einer so starken
Auffassungsgabe von seinen Lehrern nichts gelernt, setzt er
hinzu ,, außer von meinem Vater und Herrn Lambercier." Unter
den Geistlichen, die den Singmeister schlecht behandelt, hatte
er ursprünglich nur ,,den Kantor" erwähnt, in der zweiten Be-
arbeitung läßt er die Namensnennung folgen: ,, genannt Abbe
de Vidonne." In der Kindheitsgeschichte ist die ganze Ausführung
neu, die über die gemeinsame Beschäftigung mit seinem Vetter
handelt, über die Beschmierung von Papier, die Darstellung
des itahenischen Charlatans Gamba-Corta und die mit dem
Vetter zusammen vorgenommene Abfassung von Predigten und
Komödien. Bei einzelnen Abschnitten findet eine völlige Um-
arbeitung statt. Aus den wenigen Zeilen, die das Liebesverliältnis
des Knaben zu Mlle Vulson darstellen, ist in der neuen Bearbeitung
eine förmliche, ziemlich ausführhche Geschichte geworden. Die
Charakteristik einzelner Personen wird näher ausgeführt. Ur-
sprüngHch war der Großvater der Mme de Breil etwas kurz abge-
fertigt, seine Unterredung mit dem jugendlichen Diener war
einfach berichtet worden. In der neuen Fassung wurden zur
Charakteristik die Worte eingesetzt ,,ce bon vieillard quoique
homme d'esprit en avait moins que Madame de Vercellis mais il
afüit plus d'entrailles et je reussis mieux aupres de lui.
Rousseaus Bekenntnisse in ihrer ersten Fassung. 239
Die im Vorstehenden mitgeteilten Stellen geben nur eine
verhältnismäßig kleine Auswahl der zahlreichen von mir ge-
sammelten Abweichungen. Wollte man alle einzelnen kleinen
stilistischen Veränderungen zusammenstellen, namentlich solche,
die rein sprachlicher Natur sind, so müßte man Bogen füllen.
Gerade eine solche Arbeit ist gewiß von großem Nutzen und würde
für Seminararbeiten höchst empfehlenswert sein, sie würde
zeigen, mit welch außerordentlicher Genauigkeit Rousseau seine
einmal niedergeschriebene Arbeit durchging und würde viel-
leicht dazu führen, gewisse Gesetze des Wohlklanges zu statuieren,
die er bei seiner späteren Fassung zu beobachten suchte. Aber
auch schon der vorstehende Vergleich läßt, wie ich hoffe, einen
sehr interessanten Einblick in die Werkstätte des bedeutenden
Schriftstellers tun.
Berlin. Ludwig Geiger.
Sur les sources de la Legende des Siecles:
"Le Romancero du Cid", "Bivar",
"Le Cid exile".
Trois fois dans le courant de la Legende des Siecles., le per-
sonnage demi-historique demi-mythique du Cid nous apparait:
dans le Romancero, Bivar et le Cid exile. V. Hugo se serait-il
servi pour les trois morceaux de la meme source, ou a-t-il employe
trois sources differentes ?
Examinons d'abord le morceau le plus important par son
etendue, le groupe
"le Romancero du Cid".
Les sources peuvent etre divisees a deux points de vue
differents: d'apres le contenu ou d'apres la langue dans laquelle
elles sont composees. Adoptons la premiere Classification, car
eile nous epargnera des repetitions fastidieuses, ce qui se rapporte
aux sources ecrites en Espagnol pouvant bien souvent s'appliquer
aux ouvrages frangais.
Le plus ancien ouvrage qui fasse mention du Cid est le " Poema'\
ouvrage du onzieme siecle. Or un resume de cet ouvrage a paru
en 1841 dans la France Litteraire (t. VI) avec la traduction de
quelques passages. Plus tard une traduction complete fut publiee
en 1858 par DamasHinard avec le texte espagnol en regard.
Nous n'avons pu decouvrir aucun accord textuel qui pourrait
nous amener ä considerer le Poema comme source de V. Hugo.
Sans doute le Cid est considere comme ami du peuple aussi bien
dans le Poema que dans V. Hugo. Mais il est douteux que cette
conception soit passee d'un poeme ä I'autre. En effct le Cid de
V. Hugo est un ennemi acharne des tyrans, et le roi espagnol
auquel il s'adresse semble cacher Napoleon III. Au contraire
le Cid du Poema, tout en defendant le peuple, garde pourtant de
la deferencc pour son roi. II est donc peu probable que V. Hugo
se soit servi du texte espagnol. Dans la traduction de Damas
Hinard nous trouvons p. 269 un passage puise dans les Antigüedades
Sur les soiirces de la Legende des Südes. 241
de Espana de Berganza (Madrid 1721). "Lors du premier exil
du Cid (entre 1075 et 1080) le roi Alphonse VI, dejä indispose
contre son vassal, fit un voyage du cöte de Bivar. Le Cid, bien
qu'il n'ignorät point le mecontentement du roi, alla ä sa rencontre
et s'avanQa pour lui baiser la main. Don Alphonse refusa de la
lui donner et lui dit avec colere: "Allez sortez au plus tot de mon
royaumc." Un tel passage se trouve egalement dans la Cronica
del famoso Cavallero Cid Ruydiez Campeador (LXXXIX)'),
mais il manque completement dans le Poema et dans les Romances
oü je n'ai pu trouver une indication que le Cid et le roi se soient
jamais rencontres ä Bivar. Or le Cid de V. Hugo regoit le roi
ä Bivar et c'est lä qu'il lui adresse les reproclies qui sont la matiere
des XVI poemes. Mais si V. Hugo s'etait servi ou de Damas
Hinard on bien des Antig'nedades ou de la Cronica., soit dans le
texte original soit dans une traduction, oü aurait-il donc pris ces
reproches interminables ? Cherchons dans le seul ouvrage im-
portant qui nous raste encore, les Romances qu'on designe ordi-
nairement sous le nom de Romancero, nom egalement adopte
par V. Hugo pour ses poemes sur le Cid.
Les editions espagnoles dont V. Hugo a pu se servir sont
innombrables. Les textes frangais parus du temps du poete
sont moins nombreux. Abel Hugo, frere du poete, avait
publie en 1822 des ,, Romances Historiques traduites de l'espagnol"
Sans y inserer les Romances sur le Cid. II nous dit (p. 100):
"C'est encore ä cette epoque (XF siecle) qu'il aurait convenu
de placer les romances sur le Cid, romances assez nombreuses
pour former un volume a part"'. (p. 156 note IV) "Le nombre
des romances sur le Cid empeche de les inserer dans ce volume:
en attendant la publication de la traduction que j'en ai
faite, je vais placer ici un chapitre d'une chronique fort rare sur
cet heros." Cette traduction n'a jamais paru.
Dans les Romances historiques d'Abel Hugo nous trouvons
la remarque suivante: "Par une combinaison assez heureuse,
la forme et le metre usites pour les romances aiderent ä l'imitation
exacte du style narratif de la bible : on avait adopte des stances de
quatre vers trochaiques." Gaston Paris, dans les Poemes
et Legendes du Moyen-äge, nous apprend comment A. Hugo
etait arrive ä cette conclusion: "A l'epoque d'Abel Hugo il etait
encore d'usage d'imprimer les romances en les divisant en qua-
trains : c'est pour cela qu'il a divise ses traductions en paragraphes,
dont chacun represente quatre vers." Ensuite G. Paris nous
montre comment V. Hugo s'est inspire de l'idee de son frere:
"V. Hugo a ete amene par lä ä faire des stroplies . II a
^) E el Rey salio de Burgos e llegö cerca de Bivar, e el Cid qui sole
hesar la mano, mas el Rey non gela quiso dar. E dixole sanudamente :
Ruydiez salid de mi tierra.
242 M. Rösler.
garde les vers de 7 syllabes ce qui prouve qu'il avait jete les
yeux sur quelques romances dans l'original et^.".
En outre V. Hugo s'est servi dans son Romancero de la
Romance: Bianca sois^ senora mia, dont Abel Hugo a insere une
traduction dans ses Romances historiques (p. XLVIII).
Pour le reste, V. Hugo s'est-il servi du manuscrit "des roman-
ces sur le Cid" de son frere, ou ce manuscrit n'a-t-il jamais existe ?
voilä ce que nous ne pouvons savoir.
H en existaient d'ailleurs d'autres traductions. Abel Hugo
nous dit lui-meme: "Les personnes qui seraient curieuses de
connaitre les romances du Cid, avant la publication du volume
qui les contiendra toutes, peuvent consulter les excellentes
imitations que le marquis de Paulmy en a inserees dans la
Bibliotheque Universelle des Romans (juillet 1783, tom, II)
et les imitations en vers de ces memes imitations que M. Creuze
de Lessert vient de publier".
"L'imitation" de la Bibliotheque Universelle s'eloigne assez
du texte espagnol, quelquefois un passage est mal compris, quel-
quefois on a choisi volontairement une autre redaction, on a
ajoute des reflexions, plusieurs romances sont reunies en une
seule, d'autres partagees en deux et les passages qui semblaient
trop naifs ou pas adaptes i ux ämes sensibles auxquelles l'ouvrage
s'adressait, sont expulses, quoique l'editeur nous dise qu'il traduit
les Romances de la collection d'E s c o b a r et qu'il insere seule-
ment celles qui manquent dans son original.
Une de ces romances en prose est bien curieuse. Chimene
y fait des reproches au roi sous les lambris du chäteau de Bivar.
Or il a 6te impossible de retrouver l'original de ce morceau. Chi-
mene ne se trouve jamais en presence du roi ä Bivar et en
l'absence du Cid — car c'est ä cette periode de la vie du Cid que la
romance semble se reporter — eile avait quitte elle-meme le chäteau.
Les romances contiennent une lettre que Chimene ecrivit au
monarque et non un entretien et c'est de Burgos qu'elle est
datee.^) Nous trouvons en outre deux romances qui nous racontent
que le Cid envoya Alvar Fafiez ä la cour et que celui-ci adressa
au roi des plaintes au nom du heros.^) Peut-etre le marquis
de Paulmy a-t-il fait de ces trois romances le morceau que
nous allons inserer ici.^) Les reproches qu'il contient pourraient
facilement se repartir en plusieurs chapitres, correspondants aux
titres de quelques-unes des romances de V. Hugo.
(UEntree du Roi.) Ingrat et cruel Alfonse, disait la Chimene du
Cid sous les lambris de son chäteau de Bivar, c'est ä moi de me plaindre
de ton injustice, car ce n'est que des coeurs de mon sexe que la plainte
fait 6couler le ressentiment.
^) En las solares de Burgos.
^) Desterrado estaha el Cid — Llegö Alvar Fahez ä Burgos.
<) cf. Bihl. Un. p. 135.
Sur les sources de la Legende des SUcles. 213
(Le Cid est le Cid.) Malheur k toi, Monarque, pour avoir offense
mon 6poux : tu n'as ose le faire que de paroles; mon öpoux ne parle
bien qu'avec son ^pee. Si tu n'avais ete qu'un gentilhomme, eile
n'aurait pas demeure muette dans son fourreau.
(Le Cidhonnete.) Tu le bannis, simple que tu es, un homme comme
le Cid est partout dans sa patrie; tu le laisses mordre par l'envie. Va,
mon Cid est couvert d'acier, l'envie se brisera les dents. Tu lui laisses
empörter son epee; tu ne la redemanderas pas jusqu'ä la premiere
bataille, on ne sent le bien qu'avec le remords de l'avoir perdu.
(Le Roi ingrat.) De quoi penses-tu, Monarque, qu'il ait ä se
repentir, s'il est vrai qu'il se repente de s'etre fait des ennemis dans toute
TEspagne pour avoir recherche l'amitie des rois.
(Le Roi couard et Le Roi soudard.) C'est pour vous suppleer tous
dans votre incapacite qu'il s'est rendu si redoutable et ce qu'il a pris
sert d'agrandissement ä vos etats, qui seraient encore, sans lui, born^s
dans les rochers des Asturies. Le brigand est celui qui profite du larcin.
(Le Cid fidele.) Souviens-toi de la maniere dont-il t'a servi, s'il
l'eüt fait comme tes Guerriers de cour par des louanges et des com-
plaisances ou des mensonges, il te serait encore eher et ses honorables
Services seraient recompenses. Mais tu l'as vu toujours plus prompt
ä te donner qu'ä recevoir et c'est une Charge terrible, pour les princes
ingrats, que des sujets bienfaiteurs.
(Le Roi jaloux et Le roi abject.) Allez, Alfonse, mon epoux ne
craint point l'exil, c'est un chätiment qui n'etait redoutable que pour
les oisifs de vos Palais, tous gens infiniment redoutes, non pas des
Maures de la frontiere, mais des vrais Gentilshommes qu'ils deshonorent,
avec l'insolente audace des daguets qui detournent les öpouses quand
les grands chefs combattent genereusement pour leur honneur et
pour leur amour. Malheur ä toi, Monarque, la faveur et la verite n'ont
habite qu'une fois ensemble. Tu marches environne de chiens qui
te caressent aujourd'hui et qui se jetteront sur toi au premier faux
pas pour te devorer, teile est l'image que doit regarder un roi quand il
a perdu les yeux de son äme, aveugle par des favoris.
Ainsi parlait la noble Chimene dans sa colere et eile ne cessa
de parier pour se baigner dans ses larmes."
V. Hugo pourrait facilement avoir ajoute les plaintes qui
ne sont pas conteaues dans ce morceau en se servant d'autres
romances, mais nous- ne decouvrons que tres peu d'emprunts
textuels et ces quelques emprunts peuvent assez souvent se
rapporter tout aussi bien k la romance espagnole qu'ä une tra-
duction ou imitation frangaise. Faisons suivre ce passage tire
de la Bibliotheqiie Universelle de la traduction de D. Hinard des
romances espagnoles que nous venons de mentionner comme
ayant rapport au meme sujet.
"Gomment dona Chimene ecrivit au roi don Ferdinand." 5)
Dans le manoir de Burgos attendant son Rodrigue, Chimene —
ecrivit de cette fagon au noble roi don Ferdinand:
"A vous mon seigneur le roi, le bon, le fortunö, le grand, le con-
qu^rant, le reconnaissant, le sage; votre servante Chimene, fille du
comte Logano, ä qui vous avez donn6 un mari comme pour vous moquer
d'elle, vous salue des murs de Burgos oü eile vit dans la tristesse. Dieu
mene ä heureuse fin vos bons projets! Pardonnez-moi, mon seigneur,
^) Damas Hinard Romancero Espagnol p. 41, d'apres la
romance En los solares de Rurgos A su Rodrigo aguardando (Romancero
del Cid por Escobar).
244 M. Rösler.
si je ne vous parle pas avec une confiance entiere : car ayant contre
vous un mauvais vouloir, je ne puis le dissimuler. Quelle loi de Dieu
vous enseigne que vous pouvez pour un si long temps, lorsque vous
livrez des combats, demarier deux epoux ? Quelle bonne raison approuve
que vous montriez ä un jeune gargon bien appris, bien docile et bien
timide ä etre un brave lion? et que de jour et de nuit vous le trainiez
enchaine sans le lächer pour moi, sinon une fois par hazard dans
l'annee" etc.
"Le Cid donne un message ä Alvar Faiiez"^)
"Le Cid etait exile de la cour et de ses possessions de Castille par
son roi fatigue d'etre vainqueur dans les guerres. Et fortune qu'il
est dans les armes, le sang des Mores, qu'il a vaincus sur les frontieres,
s'est k peine seche sur ses habits, et meme ses bannieres flottent encore
sur les creneaux des süperbes murailles humiliees de Valence — lors-
qu'il ordonne pour le roi un magnifique präsent II depeche
tout cela vers Burgos et ä Alvar Fanez, qui en est Charge, il dit de cette
maniere pour qu'il le dise au roi."
"Alvar Fanez rend le message du Cid."')
"Alvar Fanez arriva ä Burgos pour remettre au roi le butin de
captifs, de chevaux, de depouilles et de richesses. II entra lui baiser
la main apres qu'il en eut re§u la permission et s'agenouillant devant
lui, il commence ainsi son message.
"Puissant roi Alphonse que votre grandeur daigne agreer la bonne
volonte et l'offrande d'un gentilhomme exile. Don Rodrigue de Bivar,
ce fort rempart qui vous defend, exile par l'envie de sa maison et de
sa terre, m'ayant commis sa justification, demande que je vous parle
librement; et ainsi, pour ne me point tromper, je vais repeter ses paroles
memes.
II dit que vous ne fassiez cas de ce faible präsent que seulement
pour avoir ete achete aux Mores au prix d'un sang genereux; qu'avec
son epee, en deux ans, il vous a gagne plus de terres que ne vous en
laissa le roi Ferdinand, votre pere (qui soit en gloire!), que vous preniez
ce don en temoignage de cela, et que vous n'imputiez point ä l'orgueii
qu'il paie ses dettes ä son roi avec les depouilles des autres rois : car,
puisque vous, comme seigneur, lui avez enleve son avoir, il peut bien,
comme pauvre, payer avec le bien d'autrui. II dit que vous ayez
confiance en Dieu et en lui, pendant que sa main presse la Tizona et
que son talon frappe Babie§a; et qu'il vous plaise de placer ces drapeaux
dans Saint-Pierre. — Qu'il vous supplie de lui envoyer ses filles et sa
Chimene, agr^ables et doux objets pour son coeur triste et afflige, et
que si vous n'etes point touche de son abandon, vous le soyez au moins
de celui de son epouse, afin qu'elle se rejouisse de sa gloire acquise
pendant une si longue absence." A peine eut-il fini le message
qu'il Vit eclater l'envie des flatteurs jaloux et des vils complaisants.
Un comte, piquö de ce langage, se leva Alvar Fafiez enfonga
son bonnet, mit la main sur son epee et begayant de colere, fit au comte
cette reponse: ,, Que personne ne bouge ni ne parle! et que celui qui
voudra bouger comprenne bien que c'est le Cid present qui lui parle,
car en son absence c'est moi qui le suis! Et s'il vient ä entrer quelque
faiblesse dans mon pauvre courage, la grande fermete du Cid me soutient
de Valence jusqu'ici. Que nul calomniateur ne le vende, et que ses
flatteries ne le vendent pas, car je ne garantirais plus sa tete ni la
*) D. Hinard p. 141 d'apres la romance Destcrrado estaba
el Cid De la corte y de sie aldea (Romancero general).
') D. Hinard p. 143: Llegö Alvar Fanez a Burgos A llevar
al rey la empresa (Romancero del Cid).
Sur les sources de la Legende des Siecles. 245
mienne, au nom du Cid. Et vous, roi, qui approuvez et encouragez
ces flatteries, vous n'avez que des remparts de flatteries, et vous verrez
comment ils soutiennent le choc. Pardonnez ä la colere qui me fait
manquer de respect ä votre altesse."
On remarquera qu'il y a assez de differences et on ne pourrait
nullement trouver dans ces romances le sujet des huit poesies
de V. Hugo, dont le titre a ete mis en parenthese ci-dessus. Exa-
minons encore quelques details.
I. 'X'e ntree du Ro i."
Dans la premiere romance, le Cid recoit le roi Sancho ä
Bivar. Le nom de Sancho est probablement un changement
arbitraire, peut-etre ä cause des necessites du rhythme. G'est
le roi Alfonso qui figure, tout aussi bien dans l'entrevue men-
tionnee dans les ^^Antigiiedades" que dans celle qui est citee
dans la Bibliotheque Universelle\ et presque tous les details qui
se trouvent dans cette romance et dans les suivantes se rapportent
aux discordes entre Alfonso et le Cid.
La description du chäteau de Bivar et de la nature envi-
ronnante differe de celle qui est dans le commencement du Poema.
Elle semble l'invention du poete frangais, auquel les romances
ne fournissaient pas assez de details pittoresques.
IL "Souvenir de Ghimene."
V. Hugo nous donne une description de la noce du Cid.
Elle eut lieu du temps du roi Ferdinand, non du roi Sancho,
comme le poete nous le dit. Nous ne saurions indiquer la source,
car toutes les traductions frangaises suivent d'assez pres les
romances espagnoles oü est racontee la fete.
IIL et IV. "L e Roi j a 1 o u x" et "L e Roi i n g r a t."
Ces deux romances fönt probablement allusion ä la querelle
du Cid avec Bermudo, quoique suivant les sources cette querelle
alt eu lieu ä Burgos tandis que V. Hugo dit:
Quand tu me fais defier
Par ton clerc ä Salamanque,
A Jaen par ton greffier.
D'accord textuel nulle part.
V. "Le Roi defiant."
La romance peut se resumer en ces vers:
Qu'est ce donc qu'il premedite,
S'il n'est traitre, il en a l'air.
Dans sa montagne maudite,
Ce baron-lä n'est pas clair.
246 M. Rösler.
L'explication de ces vers est dans les accusations qu'Alfonso
adressa au Cid apres que celui-ci Tavait force de preter serment
dans la cathedrale de Burgos attestant son innoeence au meurtre
de son frere. Le Cid s'etait vu force de quitter la cour. Lf. Le
Romancero du Cid : Si atendeis que de los hrazos. — Bihl. Univ.
p. 130, D. Hinard p. 111.
VI. "L e R oi ab j e c t."
Cette romance est plus interessante au point de vue litt^raire que
les precedentes, car la deuxieme Strophe dans la poesie de V. Hugo:
Ton vieux pere, äme loyale,
Dit: quelque bohemien
A, dans la creche royale,
Mis son fils au lieu du mien.
ne se trouve pas dans la Bihl. Univ. Elle pourrait etre prise
du Cancionero de Romances: Doliente se siente el rey., ou de D a m a s
Hinard p. 48: "Les derniers moments du roi Ferdinand".
Seulement le bätard dont il s'agit ici n'etait point Sancho, mais
un fils qui n'a pas regne: „Celui qui etait bätard se trouve le
mieux partage, car il est archeveque de Tolede." Peut-etre
V. Hugo a-t-il tire le passage de son imagination, Les vers suivants:
Pour ne point passer ta taille,
Je vais me mettre ä genoux
se trouvent dans la Bihl. Univ. et dans les romances espagnoles
aussi bien que dans les autres traductions.
Le passage: Toi-meme tu reconnais
Que j'ai la peau toute noire
D'avoir porte le harnais
ne se trouve pas dans les romances sur le Cid, mais dans la romance:
Bianca sois sehora mia, dont nous avons parle auparavant et qui
pourrait etre emprunte aux Romances historiques d'Abel Hugo,
quoique la traduction de D. Hinard la contienne ögalement
(II, 281 L'epouse coupable.)
Le vers "on craint le son de mon cor" est peut-etre une remi-
niscence de la Chanson de Roland, mais le vieux clairon du Cid
semble etre emprunte ä la Bihl. Univ. oü il joue un grand role
cf. p. 87, 104, 148, 160, tandis qu'il manque dans les Romances
espagnoles. Tout-de-meme D. Hinard traduit aussi bien in-
correctement la seule romance espagnole qui fasse mention de
deux Instruments de musique:
AI arma, al arma sonahon
Los pifaros y atambores
par: Alarme! Alarme! sonnaient les clairons et les tambours.
(p. 36). Dans les autres romances on mentionne ga et lä le
tambour. V. Hugo ajoute, en outre du cor, une fanfare de mon-
tagne et des cymbales de Bivar.
Sur les soiirces de la LSgende des Südes. 247
VII. "L e roi f o u r b e".
Les vers: Ta foi royale est fragile,
Elle affirme jure et fuit,
Roi tu mets sur l'evangile
Une main pleine de nuit.
expriment l'idee fondamentale de ce morceau. II s'agit pro-
bablement du serment qu'Alfonso preta dans la cathedrale de
Burgos, que nous venons de mentionner ci-dessus et qui se trouve
dans une vingtaine de romances. Sancho preta serment ä son
pere et le rompit ensuite, mais ici le livre saint n'est pas mentionne.
VIII. "L e roi v o 1 e u r",
Roi, fallait-il que tu vinsses
Pour nous ecraser d'impots ?
Quant ä payer, roi bravache,
Jamais! et j'en fais serment.
La seule romance oü le Cid refuse de payer est celle, oü il dissuade
le roi de payer le tribut ä l'empereur. Cf. Bibl. Univ. p. 71,
Romances de Sepulveda : La silla del huen San Pedro, D. H i n a r d
p. 37.
Mais la Situation n'est point analogue, puisque V. Hugo
parle d'un impöt que le peuple doit payer au roi. Probablement
on chercherait en vain une autre source que l'inspiration du
poete francais.
IX. ''L e roi s o u d a r d."
Cette romance est une nouvelle preuve que V. Hugo a connu
la Bihliotheqiie Universelle. C'est ici que V. Hugo reproche au
monarque sa lächete:
Quand vous entrez en campagne,
On ferait honte a l'Espagne
De vous nommer Espagnol.
Or nous trouvons dans la Bihliotheqiie Universelle p. 89
"quoique, de tous les hommes, il (Don Sancho) füt le plus fort
par les membres, il se trouva le plus faible par le courage." Ce
passage manque dans les romances Espagnoles. V. Hugo continue
II faut une certitude
Prise dans le firmament.
L'expression "firmament" pourrait etre prise egalement dans la
Bibl. Univ., car le marquis de Paulmy traduit toujours par ce
mot l'espagnol cielo.
X. "L e R 0 i c 0 u a r d."
Dans le roi couard c'est encore d'Alfonso qu'il s'agit et
la substance du passage suivant se trouve aussi bien dans les
versions espagnoles que dans les francaises:
248 M. Rösler.
Roi, dans tes courses damnees
Avec tes soldats nouveaux,
Ne va pas aux Pyrenees,
Ne va pas ä R ncevaux.
cf. Bibl. Univ. p. 127, Romancero del Cid por Escobar:
Fdblando estdba en et claustro.
A la fin de la romance les noms de plusieurs heros sont enu-
meres; V. Hugo a probablement cite de memoire.
XI. ''L e roi i o q u e u r."
Les moqueries du roi ä l'adresse des noms Charles, Hercule,
Pelage, que le Cid lui a enumeres dans la romance precedente, ne
sont pas tires des romances. Un passage est digne de remarque:
C'est pourquoi je continue,
Te saluant du drapeau,
Et te parlant tete nue
Quand tu gardes ton chapeau.
Bibl. Univ. 133. "Que ceux qui vous flattent se couvrent en
votre presence, moi je ne le fais pas, je me couvre bien aussi."
D. H i n a r d p. 114. Ce que le Cid repondit au roi Alphonse.^)
— 'Qu'ils se couvrent et vous flattent, vos oisifs courtisans: Bien
que moi je n'en sois point, je puis me couvrir tout le premier."
Le sens est un peu different dans les trois versions, pourtant
il me semble que le texte de V. Hugo s'accorde plutöt avec la
Version de la Bibl. Univ. car il peut tres bien avoir lu negligem-
ment la derniere partie de la phrase.
Xn. "Le Roi mechant."
Le grand nombre de mefaits que V. Hugo reproche dans
cette romance et aussi dans ,,le roi soadard" au monarque ne
se trouvent point dans les romances espagnoles; dans la Bibl.
Univ. un seul passage y fait allusion:
Ne laisse dans les maisons
Que des os dans de la cendre
Sur des tas de femmes mortes
Des tas d'enfants eventres.
Bibl. Univ. p. 109 „Vous avez ete l'epouvantail de votre famille
et de vos sujets."
Vu riiabitude de V. Hugo de melanger plusieurs personnes,
les vers: Vous avez fouette des femmes
Dans Vieh et dans Alcala,
pourraient faire allusion aux Infants de Carrion, qui attacherent
les filles du Cid ä des arbres et les fouetterent dans une foret pres
^) Romancero del Cid : Tengovos de replicar.
Sur les sources de la Legende des Siecles. 249
de Tormes. Mais cet episode est bien abrege par le marquis de
Paulmy: "Ils emmenerent leurs epouses et avant quo d'arriver
ä leurs terres, ils les attacherent nues ä des arbres". En outre,
il semble peu probable que V. Hugo, connaissant ä fond ces
atrocites, n'en ait fait que d e u x vers. Les mefaits des comtes
auraient pu fournir au Cid le sujet d'une plainte grave contre
le roi.
Le manque complet de ces romances nous semble meme
fournir une indioation que le poete s'est servi exclusivement
de la Bibliotheque Universelle.
XIII et XIV. "L e Cid f i d e 1 e" et "L e Cid h o n n e t e".
Le Cid vante ses bonnes qualites et parle de la mechancete
des courtisans:
Je ne suis pas de ces traitres,
Je suis müre dans ma foi.
Je suis un homme probe
De Tantique probite
Loin de vos palais infames,
Pleins de gens aux vils discours.
Dans quelques passages V. Hugo se rapproche plus de la Bihl.
Univ. que des romances espagnoles ou de la traduction litterale.
XV. "LeRoiestleRo i".
Cette romance repete en partie les idees qui se trouvent dans
le roi defiant. Le seul passage remarquable est:
Vous consultez des sorcieres
Pour que je meure bientöt.
Je n'ai pu trouver un passage des romances qui reproduise cette
idee et on ne la retrouve non plus dans la Bihl. Univ. Mais dans
le compte rendu du Poema {France Lit. VI p. 188) il y a la phrase:
"Quand, par exemple, le lecteur voit se meler aux personnages
historiques du drame une magicienne ou un enchanteur, qui
essaient de le surprendre par des merveilles plus ou moins enfan-
tines." Je ne sais si ces mots auraient pu suffire pour faire naitre
cette image dans la phantaisie de V. Hugo, peut-etre n'en avait-il
pas meme besoin et a invente tout le passage.
XVI. "Le Cid est le Cid."
Cette romance est en partie un resume des precedentes.
Les vers de la fin:
Ainsi le Cid, qui harangue
Sans peur ni rebellion
250 M. Rösler.
Leche son maitre et sa langue
Est rede etant d'un Hon.
parlent du baise-main que le Cid et le roi, ä tour de röle, avaient
refuse. Mais cette indication ne nous permet aucune conclusion
sur la source, car eile se trouve ä la fois dans les poesies espagnoles
et les imitations frangaises.
Des deux autres poemes de la Legende des Siecles qui se
rapportent au Cid, Fun, B i v a r , appartient au Cycle heroique
chretien, l'autre, le Cid exile, ne forme partie d'aucun groupe.
B i V a r.
Ce poeme qui dans le manuscrit fut d'abord divise tn "Le
Cid sous le roi Sanche" et "Le Cid sous le roi Alphonse", fait
ressortir deux moments de la vie du heros: sa soumission envers
son pere et la grande consideration dont il jouissait parmi les
Maures. Les romances nous fönt voir l'amour filial du Cid quand
il venge l'honneur de son pere offense par le conte de Lozano
et la soumission qu'il a pour lui, lorsque le p:re exige que Rodrigue
s'incline devant la volonte du roi.
Plein d'egards pour son pere il est aussi dans ce passage:
{Cronica rimada traduite par D. H i n a rd p. XCI) "II fit une
incursion, le More .... L'appel parvint ä Rodrigue, lorsqu'en
sieste il etait endormi. II defendit que personne eveillät son
pere et que meme on Tessayät."
Mais nulle part nous trouvons, ce que V. Hugo nous raconte,
qu'il ait servi en valet et etrille les chevaux par respect pour son
pere, car un tel service de manant aurait paru degradant au
caractere altier des Espagnols. Sur la visite du "scheik Jabias
depuis roi de Tolede" on ne peut trouver d'indication nulle part.
Le Cid recevait souvent des embassades. La plus connue est
Celle qui est mentionnee dans la romance "jEw Zamora estä Ro-
drigo'"^) et dans la Bibliotheque Universelle p. 74, et celle du
Sultan de Perse: "Llegö la jarna del Cid", Bibliotheque Universelle
p. 156, et Cronica c. CCLXXI. Mais puisque tous les details
different, il est difficile de dire, si V. Hugo a librement invente
d'apres un "rudiment imperceptible", ou s'il a eu une source
inconnue, sans aucun rapport au Cid.
Le Cid exile.
Ainsi que le " Romancero du Cid" ce poeme a rapport au
temps oü le Cid etait banni de la cour, seulement V. Hugo donne
ici au roi son vrai nom Alfonso. Probablcment le heros se trouvait
alors ä Zaragosse, oü, d'apres la Cronica, il vecut de longues
annees, quoique le detail dans V. Hugo: "entre l'Ebre et le
Cil" ne seit pas tres precis. V. Hugo decrit d'abord la Situation
^) cf. Romancero general et Escobar.
Sur les sources de la Legende des SUcles. 251
ä la cour pendant Tabsence du Cid et cite une grande quantite
de noms inconnus. Ensuite il nous dit qu'Alfonso rappeile le
Cid parce que la maitresse du roi a ou "quelques mauvais presages"
ou bien parce que "le roi du peuple entend-il quelque rumeur ?"
Dans la Cronica c. CLXI on dit: "la Reyna {Qayda jija del Hey
de Sevilla) sii miiger e algunos cavalleros amigos del Cid escrivieronle
que veniesse ä servir al Rey etc." Dans les Romances
"Le erwiö un mensage
Que se veniese d Requena,
Para que con ü lo träte."
Cette romance ne se trouve pas dans la Bibliotheque Universelle.
La concordance entre V. Hugo et ces deux versions est tres faible.
Ni dans la Romance ni dans la Cronica nous ne trouvons le nom
du messager, tandis que V. Hugo l'appelle "le roi d'Acqs-en-
Adour, Santos le Roux", probablement un nom fictif. Apres
nous avoir decrit le paysage que Santos parcourt, V. Hugo nous
conduit dans Fecurie, oü le messager trouve le Cid ; sujet identique
ä celui de " Bivar". Les admonestations que Santos fait au Cid
pendant qu'il lui annonce son rappel, sont tires des romances
qui traitent la querelle entre Aifonso et le Cid et elles ressemblent
quelque peu ä celles du " Romancero" que nous venons d'examiner.
Pour resumer la question des sources des trois groupes de
poemes, il semble bien probable que V. Hugo a pris l'idee des
reproches faits au roi — soit Sancho, soit Aifonso — de la romance
en prose de la Bibliotheque Universelle., citee ci-dessus. Mais il
est impossible d'affirmer que V. Hugo n'ait eu recours qu'ä cette
source. II se peut bien que sachant un peu Tespagnol — il nous
le dit au moins lui-meme et G. Paris l'indique aussi^^) — il ait
lu deux ou trois romances dans Toriginal, peut-etre au temps
oü son frere s'occupait de sa traduction, qui coincide avec la
traduction de la romance mauresque dans les "Ödes et Ballades".
\\ se peut egalement qu'il ait lu quelque part une traduction
fran^aise, dont il garda un vague Souvenir. Mais certainement,
s'il jeta les yeux sur un des ouvrages qui rendent plus fidelement
le texte original, il ne pouvait se passer de la Bibliotheque Uni-
verselle., tandis que la Bibliotheque ä eile seule aurait bien pu
lui suffire.
M. RöSLER.
On s'est servi pour cette analyse des romances en vers de
Grenze de Lessert, Paris 1821, et de Renal, Paris 1843;
des romances en prose de Damas Hinard (Romancero Espagnol,
Paris 1844) et de la Bibliotheque Universelle des Romans. On a
consulte pour les romances espagnoies le Romancero general, le
Cancionero de Romances, le Romancero y Historia del muy valeroso
Don Rodrigo de Bivar, et Cid por Escobar, le Tesoro escondido de
Melge, les Romances de Sepulveda, la Rosa espaiiola de Timoneda, la
Rosa de romances de Wolf.
^") voir p. 3.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 17
Vom Infinitiv mit de und ä nach
commencer mid in verwandten Fällen.
I.
Zu den Aufstellungen, gegen die ich bei der Besprechung
von J. Haas, Neufranzösische Syntax^ Halle 1909 (vgl. Bd. 36
S. 158 dieser Zeitschr.) Einspruch erheben zu müssen glaubte,
gehörte auch die S. 313 gemachte Behauptung: ,,Im allgemeinen
sind die Präpositionen" — es handelt sich um ihre Verwendung
vor Infinitiven — ,, ziemlich fest, doch sind auch einige Schwan-
kungen vorhanden; die Bemühungen, eine Gesetzmäßigkeit im
Gebrauch von de und ä zu finden, sind gescheitert; nur soviel
läßt sich sagen, daß, wo de und ä eintreten können, die Ver-
bindung mit de enger^) ist als die mit ä." Ich behaupte dem-
gegenüber, daß sich das allerdings unbestreitbare Durcheinander,
das im Gebrauch der beiden genannten Präpositionen vor dem
Infinitiv noch im 17. Jahrh. geherrscht (vgl. Haase, Franz. Synt.
des 17. Jahrh., die Abschnitte ,, Infinitiv" und ,, Präpositionen"),
allmählich zu solcher Geregeltheit des Verfahrens abgeklärt hat,
daß es keinen Fall mehr gibt, in dem sich die Verwendung einer
bestimmten Präposition nicht in vollste Übereinstimmung mit
ihrer Grundbedeutung und ihren sonstigen Verwendungsweisen
bringen ließe, und stellte gleichzeitig die gelegenthche Erhärtung
dieser Behauptung in Aussicht. Selbstverständlich war dies
Versprechen nicht so gemeint, daß ich nun alle Ausdrücke und
^) Mit diesem etwas vage kHngenden Ausdruck scheint Verf.
sich auf eine S. 307 gegebene Darlegung zu beziehen, bei der er den
Unterschied der Sachlage in den beiden Sätzen Tai eu le plaisir de
le voir und Tai eu plaisir ä le voir dahin definiert, daß in ersterem
Falle der Satz das Resultat einer einfachen Analyse ist, während in
letzterem Satze eine Gliederung in zwei Gruppen stattfinde: fai eu
plaisir und d le voir, ,,das eine zweite, der ersteren gleichwertige Analyse
ist", worauf er verallgemeinernd fortfährt: ,,Es ist also da, wo nach
einem Substantiv der Infinitiv mit de oder mit ä stehen kann, zwischen
den beiden Ausdrücken der Unterschied der, daß mit de ein mit dem
Substantiv eine Apperzeptionsgruppe bildender Infinitiv eingeleitet
wird, dagegen wird mit ä ein von seinem regierenden Substantiv selb-
ständig apperzipierter Infinitiv eingeleitet."
Vom Infinitiv mit de und ä. 253
Wendungen, bei denen sich ein Infinitiv ebensowohl in Ver-
bindung mit d wie mit de findet, hier der Reihe nach analysierend
und erläuternd durchgehen würde — welche Fülle von Selbst-
verständlichem und allgemein Bekanntem müßte dabei in er-
müdender Wiederholung, in geradezu tötlich wirkendem Wieder-
käuen vorgebracht werden! — sondern nur so, daß ich den an-
gebotenen Nachweis für alle diejenigen Fälle zu erbringen mich
bereit erklärte, für die mir die Behauptung des Gegenteils zu
Gesicht gekommen oder — im Laufe weiterer Erörterung — das
Verlangen nach aufklärender Darlegung ausgesprochen werden
sollte.
Daß ich gerade das Verb commencer in seiner Verbindung
mit de und ä vor nachfolgendem Infinitiv zum Ausgangspunkte
der Untersuchung mache, hat seinen Grund in dem zufälligen
Umstände, daß für dieses, eine jeden Sinnesunterschied leugnende
Äußerung eines durch fleißige Sammelarbeit, sowie gediegene
Kenntnis der modernen Sprache wohlbekannten Grammatikers
vorhegt: Plattner ist es, der im 3. Heft des 2. Teils seiner .^Aus-
führlichen Grammatik der französischen Sprache'''' {„Das Verbum
in syntaktischer Hinsicht'''') S. 108 mit Bezug auf commencer de
und d mit Infinitiv, kategorisch erklärt: ,,Die Unterscheidungen,
die man versucht hat, sind nicht haltbar; in der Regel bestehen
für die Wahl lauthche (!) Gründe. Bientöt on commenga d'aper-
cevoir les arhres les plus proches. . . II commengait d s' apercevoir
que... (A. Dumas). Im ganzen ist d zu bevorzugen, da de un-
gewohnt erscheinen kann. Bismarck schrieb s. Zt. an Crispi:
Je commence de me remettre und eine französische Zeitung setzte
hinter dieses de ein sie!" — Also als Kennzeichnung der Un-
gewohntheit dieser Verbindung von commencer mit de und Infi-
nitiv faßt Plattner das sie auf! Da bekanntlich der Journahst
von allen Schriftstellern am schnellsten zu arbeiten gezwungen
und daher mehr denn andere der Gefahr ausgesetzt ist, sich im
Ausdruck in kleinen Dingen zu vergreifen, so ward er — gemäß
dem Satze, daß der im Glashause Sitzende nicht wohl daran tut,
mit Steinen zu werfen — sich kritische Bemerkungen hinsichtlich
der Korrektheit des Ausdrucks sicher nur in Fällen ganz plumper
oder doch ohne weiteres auffallender Verfehlungen erlauben, am
ehesten wohl noch da, wo er sich eine belustigende Wirkung von
solcher Beanstandung verspricht. Ich hätte also Plattner in
seiner Auffassung eines sie als Zeichens der ,, Ungewohntheit"
ohne weiteres zugestimmt, wenn es sich etwa um die Wendungen
wie *Je voudrais que vous me laissassiez ce livre.. oder um
*Ce matin je rencontr ai M. N.. . gehandelt hätte, die der fran-
zösische Zeitungsleser, durch ein ,,sic!" aufmerksam gemacht,
mit Schmunzeln als unfranzösische Ausdrucksweise eines Fran-
zösisch schreibenden Deutschen registriert hätte. Aber davon,
daß ein commencer de an und für sich auch nur annähernd so ver-
17*
254 Theodor Kalepky.
pönt wäre, wie jenes Imparfait du subjonctif oder Passe defini,
kann wohl keine Rede sein. Um jeden Zweifel zu beheben, nahm
ich mir vor, nachdem ich die hier beanstandete Behauptung
Plattners gelesen, bei meiner neufranzösischen Lektüre auf die
Sache Acht zu geben. Das nächste Buch, das mir in die Hände
fiel, war Claude Farrere, Les Civilises^ das nicht nur nach der
Zeit seines Erscheinens (1906 — zufällig in demselben Jahre, in
dem Plattners Büchlein erschienen ist), sondern ebensowohl nach
Inhalt, Behandlungs-, Darstellungs- und Ausdrucksweise als
durchaus modern bezeichnet werden muß. Ich fand in diesem,
319 Seiten umfassenden Buche, folgende 10 Beispiele mit de
(gegenüber nur 5 Fällen mit ä).
Le tigre (den die betreffenden Personen in seinem Käfig
beobachteten) commengait de rugir p. 65. — Torral commenQa
de sourire (beim Anblick eines Freundes) p. 153. — Les invites,
commencerent d'arriver d dix heures p. 192. — II Hau comme
un fievreux convalescent qui tout ä coup recommence d'en-
tendre ä ses tempes les hattements hrusques de la fievre mal eteinte
p. 203. — L'Anglais, haut gaülard, fort en couleur^ commenQa
d'assieger sa partenaire (ihr eifrig den Hof zu machen) p. 219.
— Le mois d'absence et d'exil avait ete loiird ä sa constance: le
doute et le nihilisme avaient recommence de le mordre p. 243.
— Tant mieux: puisque vous avez commenc e d'etre franche,
j'espere que vous le serez jusqu'au bout p. 261. — II fit apporter
du vin de Syracuse^ et commenga de hoire p. 268. — Quand il eut
souffert ainsi plus qu'il n'avait de forces, sa tete glissa entre ses
mains, et il s'endormit ou s'evanouit. Mais des qu'il se reveilla,
il r e CO mme n Q a desouffrir. II souffrit meme davantage,
parce que la pensee fonctionna de nouveau sous son cräne p. 278.''^)
— (Nach einem vergeblichen Besuch bei einem Freunde will er
zu einem anderen:) A pas lourds, Fierce recommenga d' aller p. 280.
Vielleicht ist es hiernach von Interesse auch die — trotz
Plattners Aufstellung hinsichtlich der Gewohntheit und Unge-
wohntheit des Verfahrens — nur halb so zahlreichen Fälle mit
ä kennen zu lernen : Es sind : Mais une victoria passa . . . Et il
murmura . . . : Voilä qu'on c o mme n c e ä sortir (nämlich nach
Beendigung der Siesta, während der heißen Mittagszeit) p. 9. —
Ils avaient dine presque silencieux; aucun des trois n'etait bavard.
Mais maintenant, le vin commengait ä delier leurs langues,
et Fierce contait son voyage p. 16. — Fierce (innerhalb einer be-
trunkenen Gesellschaft, in der ein Streit ausgebrojhen war)
mit la paix, quoiqu'il comme ngät lui-meme ä marcher
de travers, et ä voir deux Otake-San (seine japanische Begleiterin)
2) Ich habe hier, da es lehrreich schien, den vorhergehenden und
den nachfolgenden Satz mit angeführt, um ein sicheres Urteil über das
„Milieu", über den gesamten Zusammenhang zu ermöglichen, in dem
sich unsere Wendung findet.
Vom Infinitiv mit de und ä. 255
au lieu d'une p. 45. — {Elle riait. . . . <(...» dit- eile indifferente)
4fEst-ce vous, par hasard ?» — Elle recommengait ä r ir e
p. 258 (Also sie hatte gelacht, hatte dann wieder gleichgültig
gesprochen und „lachte nun schon wieder"). — (Beim nächt-
lichen Angriff auf ein noch nicht sichtbares feindliches Kriegs-
schiff mittels eines Torpedoboots:) Fierce cherche Vennemi — pour
le tuer; — etilcommenceäle hair. (Vor dem Kampf pflegt
der Offizier gegen den Feind nicht Haß zu empfinden; aber bei
dieser, die Nerven furchtbar anspannenden Torpedofahrt, kommt
ihm plötzHch das Verlangen zu töten, ,,und (schon) fängt der
Haß sich in ihm zu regen an") p. 305.
Das war die Ausbeute an Beispielen, die das erwähnte Schrift-
werk bot. Schon bei rascher Durchsicht derselben dürfte mancher
Leser den Unterschied des Sinnes, der Gedankenbildung in den
beiden Ausdrucksweisen erkannt haben, oder, wenn sich ihm
die beim Lesen empfangenen Eindrücke, Empfindungen noch
nicht zu klarer Erkenntnis verdichtet haben sollten, doch wenigstens
gegenüber der kategorischen Erklärung Plattners: Die Unter-
scheidungen, die man versucht hat, sind nicht haltbar" skeptisch
geworden sein. Auf alle Fälle scheint mir der Beweis erbracht,
daß von einem Veraltet- oder Ungewohntsein der c?e- Konstruktion
nicht die Rede sein kann. Auch dann nicht, wenn sich heraus-
stellen sollte, daß es ganze Romane gibt, in denen sich neben
einer mehr oder minder großen Zahl von Fällen mit d auch nicht
ein einziges Beispiel für den Infinitiv mit de findet. Ein solcher,
auf den ersten Blick befremdend wirkender und anscheinend
zugunsten von Plattners Meinung sprechender Sachverhalt liegt
z, B. vor in R. Bazin, Le hie qui live, sowie in P. Loti, Aziyade,
von denen der erstere 27, der letztere 13 Fälle mit d, aber keinen
einzigen mit de enthält. Das könnte allerdings den Gedanken
nahelegen, daß die zahlreichen Infinitive mit de (nach commencer)
in Claude Farrere's Les Civilises, eine SpeziaUtät dieses Autors,
oder, da sein nächstes Werk, Mlle Dax jeune fille auf 307 Seiten
neben 5 Fällen mit ä nur noch 2 mit de aufweist, gar eine stilistische
Sonderheit der Anfangsperiode dieses Schriftstellers sei, der,
ähnlich wie Loti, erst nach mehrjährigem Dienst in der Marine
zur Feder gegriffen.'^)
^) Eine solche „Anfängereigentümlichkeit" scheint mir in der
Tat in der auffallend häufigen Verwendung des „neutralen" Relativ-
pronomens (quoi) statt des sonst üblichen „zweigeschlechtigen" (lequel)
nach Präpositionen vorzuliegen (z. B. un colossal navire aupres de
quoi le «Bayard<> n'etait qu'un yacht p. 215). Im nächsten Roman
findet sich keine Spur mehr davon. Irgend ein guter Freund hat wohl
den jungen Autor auf diesen stilistischen ,, Schönheitsfehler" aufmerk-
sam gemacht. — In ähnlicher Weise wäre ich geneigt mir das völlige
Verschwinden der Vergleiche mit ,,tel ohne que''\ z. B. il sautillait
tel un chien qui fait le beau (s. Zeitschr. f. rom. Phil. XXXII 678 ff.) bei
L6on Frapie zu erklären, dessen Erstlingswerke davon fast überfließen.
256 Theodor Kalepky.
Eine solche Annahme wäre jedoch übereilt. Gewichtige
Gründe sprechen gegen sie. Einmal braucht man auch bei anderen
Schriftstellern als Claude Fanere keineswegs lange nach Ver-
bindungen von commencer mit de + Infinitiv zu suchen. Sie finden
sich, wenn man den Umstand berücksichtigt, daß es dafür aller-
hand konkurrierende Ausdrücke (z. B. se mettre ä) gibt — während
commencer ä in seiner Eigenart unersetzlich ist — noch reich Kch
genug, sogar in Akademiereden. So sagt R. Doumic in seiner
Antrittsrede vom 7. April 1910 mit Bezug auf seinen Vorgänger
Boissier: Jusque-lä, il n'avait giiere eu le temps, cet eleve applique,
de lever le nez de ses livres .... Des lors il commenga de se
meler ä la societe, au monde. Was aber das ausschließliche Vor-
kommen der d- Konstruktion in einzelnen Romanen betrifft,
so erklärt es sich bei genauerem Zusehen ohne weiteres aus dem
stilistischen Charakter derselben; und auch die Wandlung in
dem numerischen Verhältnis der Fälle bei Claude Farrere braucht
nicht auf eine Art Selbstkorrektur des Autors zurückzugehen,
wie es sich bezüglich des tatsächlich ungewöhnlichen und dann
mit einem Schlage verschwindenden quoi (statt lequel) als wahr-
scheinlich erwies — sondern sie findet in der Verschiedenheit
des Stoffes und der Grundstimmung der beiden Romane eine
ausreichende Erklärung. Ist es doch bezüglich des Passe defini
eine allgemein bekannte Tatsache, daß, während es in rein oder
vorwiegend erzählenden Werken vorherrschende Verbform ist,
es in solchen schildernden, beschaulichen, reflektierenden Cha-
rakters ganz merkhch, ja gelegentlich bis zu völHgem Verschwinden,
hinter das Imparfait zurücktritt. Vielleicht liegt darin auch in
unserem Falle ein Fingerzeig, in welcher Richtung der Unter-
schied zwischen commencer de und ä zu suchen ist. Gehen wir
nun noch einige der a-Fälle durch. Da finden wir in Bazin,
Le ble qui Uve zunächst Sätze wie : Le bucheron . . . considera les
taillis qui commenQaient ä brunir p. 10. — Au-dessus des branches,
les hauteurs du ciel etaient päles, et des etoiles commenQaient ä
poindre p. 25. — II y eut une heure fraiche oii les herbes commen-
cerent ä boire la rosee p. 202. — Bientöt les pluies commencdrent ä
tomber p. 290. Handelte es sich hier überall um Naturvorgänge
und deren naturgesetzliches Eintreten, so finden wir in den
folgenden Beispielen Wandlungen in menschlichen Wesen, phy-
sische wie psychische, aber nur Ergebnisse der organischen Ent-
wickelung, Wirkungen der Situationen und Erlebnisse, niemals
bewußte und willkürliche Entschheßungen oder auf solchen
beruhende Handlungen. So: Seize ans! C'est Vage oü vous
commencez ä etre des petits hommes! p. 54. — . , Vage oü les petits
gars . . . commencent ä avoir envie de faire peur aux grosses betes
(dadurch, daß sie auf sie losgehen, sie scheuchen usw.) p. 101. —
Les larmes . . . commenQaient ä monier du fond de ces coeurs violents
p. 152. — (Sie haßten) . . VEtat aussi, qui paye mal, et qu'on
Vom Injinüiv mit de und ä. 257
commengaü ä voiiloir remplacer par un autre Etat p. 177. — Je
commence ä penser qiie mon pere a iine conversation tout ä fait
importante avec monsieiir de M. p. 142.
Hiernach könnte man anzunehmen geneigt sein, daß com-
mencer mit ä -{- Infinitiv das Eintreten von Zuständen und Vor-
gängen ausdrücke, die sich als Produkte naturgemäßer Ent-
wickelung — im Gegensatz zu bewußtem Tun, absichtlichen
Maßnahmen — darstellten. So einfach jedoch liegt die Sache
nicht. Man begegnet vielmehr, auch in dem genannten Roman,
einer recht erheblichen Anzahl von Beispielen mit ä, in denen
unzweifelhaft von dem Beginnen eines Tuns die Rede ist, und
nicht bloß dem eines rein instinktiven, wie bei Tieren oder bei
ganz naiven, völlig unter der Herrschaft ihrer Triebe und Emp-
findungen stehenden Menschen (wie z. B. Les merles co mmen-
g ai ent d s'eloigner d'un coin de foret oii on parlait si haut p. 105.
— Oder in P. Loti, Aziyade: Toute une nichee de petits chiens
dernierement nes sur le seuil de ma parte, commencent ä
japer et ä r emuer la queue p. 234. — Ses larmes etaient moins
ameres . . . Elle co mmen q ait ä dire : «Quand tu seras
de retour. .», p. 261 und ähnl.) — sondern auch bei dem Beginne
eines völlig bewußten Tuns, absichtsvollen Verfahrens, auf Er-
wägungen beruhenden Handelns. So heißt es z. B. (bei Schil-
derung eines Morgenspaziergangs in der Türkei) in demselben
Roman: On etait comme penetre de bien-etre. Quelques Turcs
commenQaient ä circuler, vetus de rohes rouges . . p. 23
(Vgl. das früher zitierte Beispiel aus Farrere, Les Civüises, 9,
Voilä qu'on commence ä sortir — nach der Siesta). — ... tant de
tetes tomberent sous le couteau de la Revolution, que ceux qui con-
serverent la leur, comme ncerent ä reflechir p. 135. — Je la
regardais faire avec etonnement: eile m'avait prie de m'asseoir entre
eile et lui (sc. den Dolmetscher), et comme ngait ä lui parier
en langue turque, p. 25. — Je pense que j'ecris beaucoup trop. Tant
de pages! C'est dur ä lirel Mon bien-aime — so denkt sie —
a commence d hausser les epaules p. 88. — Oder aus Bazin,
Le ble qui leve : J'ai travaille pour les camarades, et ils commen-
cent ä me lächer p. 89. — Marie avait nie longtemps ses dettes.
Elle CO mmen Q ait ä les avouer, en venant queter le pere, chaque
semaine p. 93. — On labourait des jacheres ... on co mme n g ait
ä couper ... les premiers arpents de seigle vert p. 154. — Les trois
compagnons remonterent ensemble l'avenue. Ils ne c o mmen-
c^r ent ä parier entre eux que quand ils furent dej'ä hin du chäteau
p. 197. — (Von den Vorbereitungen zum Begräbnis des Schloß-
besitzers heißt es p. 346:) Le chäteau demeura pendant vingt-quatre
heures entierement dos, vide et muet. Puis on commenga ätrans-
former le Vestibüle en chapelle ardente (erleuchteten Katafalk). — II
fit du regard tout le tour de la colline ronde oü il allait recommencer
ä travaüler demain (laut Verabredung mit dem Besitzer) p. 385.
258 Theodor Kalepky.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß es angesichts der
Beispiele dieser dritten Gruppe ausgeschlossen ist, die Verwen«
düng von commencer ä auf den Beginn einer rein naturgesetz-
lichen, absichtslosen Entwicklungsreihe zu beschränken, wie es
nach den Beispielen der beiden ersten Gruppen zulässig erschien.
Das Moment des Bewußten oder Unbewußten, Beabsichtigten
oder Unbeabsichtigten, kann das entscheidende nicht sein. Wohl
aber haben sämtliche Beispiele der letzten Gruppe mit den der
beiden vorhergehenden das gemein, daß es sich immer um Vor-
gänge, Tätigkeiten handelte, die in einer bestimmten Situation,
wenn auch nicht als sicher eintretend vorauszusehen, so doch
wenigstens zu erwarten waren, in dem betreffenden Zusammen-
hange unbedingt in Frage kamen, sich als durch die Umstände
mehr oder minder gegeben darstellten. Daher drängt sich bei
der deutschen Wiedergabe der Fälle mit Present und Impar-
fait etc. ein „schon" ganz von selbst auf; bei denen aber, wo
commencer im Passe defini steht, läßt sich wenigstens ein ,,wie
zu erwarten stand, wie es nach der Lage der Dinge nötig war,
wie Sitte und Gewohnheit es mit sich brachten", erläuternd ein-
schieben. (Vgl. Ils ne recommencerent ä parier entre eiix que
quand ils furent dejä hin du chäteau — sie hatten viel auf dem
Herzen, brannten schon darauf, sich auszusprechen. Oder — im
Trauerhause — Piiis on commeuQa ä transjormer le vestihule en . . .
womit gesagt wird: ,,Dann kam die weitere, durch die Sitte vor-
geschriebene Maßnahme des Umwandeins . . .) Nur wo ein ein-
tretendes Tun oder Handeln als ganz außerhalb der Sphäre des
zu Erwartenden, des Vorauszusehenden, durch die Sachlage
Gegebenen bezeichnet werden soll, also namentlich bei Ein-
führung von völlig willkürlichen Handlungen, greift die
Sprache nach commencer zum Infinitiv mit de. Und das ist es
meines Erachtens auch, was jenem französischen Journalisten
beim Lesen des erwähnten Bismarckschen Satzes das „sie!" in
die Feder gegeben: Wer leidend ist, oder wen Aufregungen,
Bekümmernisse irgend welcher Art mitgenommen haben, für
den ist Besserung, Beruhigung etwas, worauf, womit er rechnen
darf, bei dessen Eintreten er unwillkürHch ausruft: „So nun
wird's ja schon — oder: endlich — besser" und das eben
besagt das französische: Je commence ä me remettre. Ein de me
remettre würde dem Satze die Färbung geben, als handle es sich
bei dem Mitgeteilten um ein willkürliches, unvorhergesehenes
Tun, wovon ja im vorhegenden Falle gar keine Rede sein kann,
wie es denn überhaupt recht selten sein wird, daß jemand an
sich selbst eine präsentische Aussage mit commencer de zu machen
hat.^) — Bemerkt sei übrigens noch, daß die hier dargelegte
*) Vielleicht in dem Bericht eines Erlebnisses, z. B. der Klage
über einen lästigen, zudringlichen Menschen: Je commence de siffler
une petite chanson, il siffle aussi. Je commence de chanter — il en fait
Vom Infinitiv mit de und ä. 259
Auffassung von commencer ä sich einigermaßen berührt mit der
vor langen Jahren schon von Ploetz gegebenen Formulierung,
wonach die Verbindung mit ä bei Handlungen gebraucht wird,
,,die einen Fortschritt, eine Vergrößerung erwarten lassen." An
den Anfang einer sich im natürlichen Verlauf der
Dinge einstellenden Tätigkeit wird sich ja unwillkürlich die
Erwartung einer Weiterführung, eines Fortschritts anschließen.
Es ist jedoch bei allen feineren Differenziierungen von der
Art der uns hier beschäftigenden zweierlei zu beachten. Einmal,
daß die große Zahl der sprachlich weniger Geschulten oder weniger
Feinfühligen oder weniger Sorgsamen durch Vernachlässigung
des bestehenden und von hause aus wohlberechtigten Unter-
schiedes, durch Verwechselung und Vertauschung der Ausdrucks-
formen leicht eine gewisse Verdunkelung und Abschleifung der
Verschiedenheit des Sinnes be\^^rkt, die dann zu völüger Unter-
schiedslosigkeit werden kann, aber nicht zu werden braucht.
Wo immer sich in Büchern Ausdrucksweisen finden, die zu dem
als Regel Nachgewiesenen in unvereinbarem Gegensatz stehen,
wird man die stilistischen Qualitäten des betreffenden Autors
zu prüfen haben und erst, wenn das Gesamturteil unbedingt
anerkennend ausfällt, in dem von ihm geübten Verfahren einen
Beweis dafür sehen dürfen, daß der Unterschied aufgehört hat
zu existieren. So lassen sich leicht Fälle des Infinitivs mit de
nach demander im Sinne von ,,die Erlaubnis zu einem Tun er-
bitten", oder nach prendre garde, wenn durch die Negation beim
Infinitiv der Zielpunkt des Achtgebens ausgedrückt \sird, bei-
bringen, ohne daß man darum schon das Vorhandensein einer
entschiedenen Tendenz zum Gebrauche der Präposition ä in
diesen Fällen wdrd in Abrede zu stellen brauchen. Das Vor-
kommen der unter Einfluß von se Souvenir de entstandenen
Konstruktion se rappeler de qu. eh. beweist nicht, daß die ,, Sprache"
d. h. die gesamte Gemeinschaft der sie Sprechenden, das
Gefühl für den eigentlichen Sinn von rappeler verloren hat (wie
sie es z. B. für den von souvenir getan) und daß nicht durch
plötzlich wach werdende Aufmerksamkeit, der sich bereits an-
bahnenden Sinnesverschleierung wieder ein Ende gemacht wird.
So könnte doch auch im Deutschen das sehr üblich gewordene
,,Am Donnerstag, den 23. Juni" oder ,,Da sieh mal einer
an" für den auf Genauigkeit und Richtigkeit des Ausdrucks
Bedachten niemals ein Hindernis zum Gebrauche des einzig
autant usw. — Einer ausdrücklichen Ablehnung scheint mir die Be-
merkung Plattners (a. a. O.) zu bedürfen, daß commencer de auch
hieße ,, anfänglich etwas tun" und dann ,,dem commencer par ziemlich
nahe stände." Das Letztere involviert bekanntlich immer eine Gegen-
überstellung von zwei oder gar mehreren Tätigkeiten, die als einander
ablösend, aufeinander folgend hingestellt werden. In commencer de
ist von einer solchen Gegenüberstellung keine Spur.
260 Theodor Kalepky.
korrekten ,,Am Donnerstag, dem..." (oder „Donnerstag,
den ...") bezw. ,,Da seh' mal einer an" werden.
Und noch eine andere Erwägung muß zur Vorsicht mahnen
und davon abhalten, selbst wenn sich gelegentlich Vernach-
lässigung des Unterschiedes zwischen der Infinitivkonstruktion
mit d und der mit de bei commencer nachweisen lassen sollte,
gleich von einem definitiven Schwinden desselben zu sprechen.
Ich habe mir schon früher {Zeitschr. f. rom. Phil. XXV, 339) in
einer kleinen, der Erörterung des Unterschieds zwischen Vor-
und Nachstellung des attributiven Adjektivs angefügten Be-
trachtung darauf hinzuweisen erlaubt, daß es sich bei sprach-
lichen Differenziierungen nicht um konträre Gegensätze (schwarz-
weiß), sondern um kontradiktorische (schwarz-nichtschwarz)
handelt, d. h. also, daß von zwei einander gegenüberstehenden
Formen oder Verfahrungsweisen immer nur die eine in ihrer
Bedeutung klar ausgeprägt, scharf um,grenzt ist, die andere hin-
gegen zur Wiedergabe aller nicht klipp und klar unter jene Vor-
stellungsweise, jenen Begriff fallenden, also auch aller indifferenten
Fälle bestimmt sein wird, aus dem einfachen Grunde, weil die
auszudrückenden Fälle sich zum großen Teil garnicht in konträr
gegenüberstehende Kategorien bringen lassen, weil vielmehr
immer eine Anzahl solcher übrig bleibt, die mit nahezu gleichem
Rechte, sowohl der einen wie der anderen zugewiesen werden
können. Das bedeutete für die dort erörterte Frage, daß nur die
Nachstellung des Adjektivs eine besondere Auffassung des
Sprechenden bewußt und deutlich markiere, nämhch ,, logische
(verstandesmäßige) Distinguierung" (vgl. Gröber, Grundriß /. rom.
Phil, r- 273), während Voranstellung in allen Fällen statt-
finde, in denen dem Sprechenden eine bestimmt distinguierende
Absicht nicht innewohnt, unter anderem auch bei ,, affektischer
Attribuierung". — Auf die Moduslehre angewandt, würde es
besagen, daß nur der Indikativ eine bestimmte Aussage über
das Reahtätsverhältnis in sich schlösse, nämhch im ausdrückhch
bejahenden Sinne, der Konjunktiv hingegen nicht nur da seine
Stelle fände, wo Reahtät nicht vorhanden ist, sondern auch da,
wo der Sprechende sie „ignoriert", wo er, von ihr absehend,
sich damit begnügt, die ihn beschäftigenden Vorstellungen
auszudrücken (z. B. Je suis charme qu'il ait obtenu cette place).
— Für die Frage nach dem Unterschiede zwischen Imparfait
und Passe defini ergäbe sich bei Anwendung des Prinzips des
kontradiktorischen Gegensatzes, daß lediglich das Passe defini
eine scharf ausgeprägte Bedeutung hätte, insofern, als es die
betreffenden Vergangenheitstatsachen in ihrer Totalität — in
ihrem vollen Verlaufe durch die Stadien des Anfangs, der Mitte,
des Endes hin — vorführte (d. h. den Hörer sie sich so zu ver-
gegenwärtigen anregte), während das Imparfait danach nicht
bloß bei schon längst bestehenden, schon im Verlauf gedachten.
Vom Injinüiv mit de und ä. 261
also nur partiell für die Erzählung in Betracht kommenden
Zuständen oder Vorgängen Verwendung zu finden hätte, sondern
gelegentlich auch bei neu eintretenden, solchen nämlich, bei denen
der Erzähler auf Markierung, Erregung jener Totalitätsvorstellung
keinen Wert legt, wo es ihm genügt, daß der Hörer sich — ge-
mäldeartig — eine Situation vorstellt, statt sich, wie beim Passe
defini — kinematographisch — den Hergang von Anfang bis zu
Ende zu vergegenwärtigen, z. B. also überall, wo er in schildernde,
malende Darstellung verfällt. — In dem uns beschäftigenden
Falle der Präpositionen ä und de vor dem von commencer ab-
hängigen Infinitiv nun, ließe sich unter Verwendung jenes Prinzips
etwa sagen, daß nur durch ä eine ausgeprägte Charakterisierung
der Sachlage gegeben wird, nämlich so, daß die durch den Infinitiv
ausgedrückte Tätigkeit bei Anwendung dieser Präposition als
eine im naturgesetzlichen Entwickelungsverlaufe zu erwartende
{l'enfant commence d marcher) oder nach der bereits bekannten
Gesamtlage der Dinge vorauszusehende, sich von selbst ergebende
{on commenga d transformier le Vestibüle en chapelle, Zurüstung
zur Leichenfeier) markiert wird, während sowohl da, wo eine
solche Charakterisierung den Umständen nach nicht am Platze
wäre, als auch da, wo sie vom Sprechenden nicht für nötig gehalten,
nicht beliebt wird, de seine Stelle findet.
Dieses Verfahren der Sprache scheint mir nun — und damit
komme ich auf die eingangs dieser Erörterung von mir beanstandete
Behauptung Haas' (daß die Bemühungei\, eine Gesetzmäßigkeit
im Gebrauche von de und ä zu finden, gescheitert seien) zurück —
in vollstem Einklang mit der Grundbedeutung, sowie der sonstigen
Gebrauchsweise unserer beiden Präpositionen zu stehen. Was ist
der Sinn der Präposition ä? In welches Verhältnis setzt sie das
durch das vorhergehende Wort Bezeichnete zu dem durch das
nachfolgende Benannten, seien es nun räumlich-körperliche (bezw.
als solche vorgestellte) Seiende oder Fälle von (zeitlichem)
Sein oder Geschehen ? Zweifellos doch in dasjenige örtlicher
Gemeinschaft, so nämUch, daß das eine als d a seiend gekenn-
zeichnet wird, wo sich das andere befindet. Die Frage könnte
höchstens die sein, ob durch ä nur die schon vorhandene, ein-
getretene oder auch die sich erst vollziehende, erst eintretende
Ortsgemeinschaft bezeichnet \wd; oder: ob es nur den Ruhe-
zustand oder auch die dazu führende, sie vorbereitende Bewegung
bezeichnet — oder, in der elementarsten Fassung: ob es nur
auf die Frage ,,wo ?" oder auch auf die ,, wohin ?" antwortet.
Müßte eine solche Zwdefachheit der Bedeutung zugestanden
werden, dann ergäbe sich eine kleine Erschwerung unserer Auf-
gabe insofern, als bei commencer ä noch z\^ischen diesen beiden
Möghchkeiten entschieden werden müßte. Ich gestehe, daß es
mir trotz allem, was ich in den Grammatiken und Wörterbüchern
über d als „Bezeichnung des Ortes und des Zieles" lese, mehr
262 Theodor Kalepky.
als fraglich erscheint, ob eine solche Zwiefachheit der Bedeutung
als vorhanden anzuerkennen ist. In feiner und treffender Weise
hat Meyer-Lübke in seiner Romanischen Syntax p. 468 gezeigt,
wie schon im späteren Latein, vor allem aber bei dessen Ent-
wicklung zum Romanischen hin, die Kategorie des ,, wohin" in
derjenigen des ,,wo" aufgegangen ist. ,,Man kann wohl nur
sagen," heißt es da, ,,in der römischen Psyche hätte sich bei
Angabe des Ortes, auf welchen eine Bewegung gerichtet war,
die Ankunft und die folgende Ruhe an dem Ort lebhafter darge-
stellt als die im Verbum selber ausgedrückte Bewegung."^) Noch
genauer wäre es vielleicht zu sagen: die römische (und romanische)
Psyche hätte den Begriff der Bewegung nur noch im Verbum
empfunden (bezw. ausgedrückt), in der Präposition hingegen
lediglich das (aus jener Bewegung resultierende) Lokalverhältnis.
Die Vorstellungen, die etre dans la maison und entrer dans la
maison beim Franzosen auslösen, entsprechen also nicht voll-
kommen den deutschen ,,im Hause sein" und ,,i n das Haus
eintreten"; es wäre etwa: „im Hause sein" und „*im Hause
eintreten". Dementsprechend etre ä l'eau und se jeter d l'eau:
„im Wasser sein" und „*sich im Wasser stürzen", d. h. sich so
stürzen, daß man schließlich im Wasser ist. Diese, wie mir
scheint, durch eine genaue Prüfung des Sachverhalts gebotene
Auffassung, wird auch keineswegs durch die bekannten „ellipti-
schen" Wendungen wie au voleur^ au feu widerlegt. Diese brauchen
eben gar nicht Bewegungen (,,zum Diebe h i n") auszudrücken,
sondern können sehr * wohl auch bloße Aufforderungen zum
Erscheinen „beim Diebe", „beim Feuer" sein. Die Er-
weiterung, Vervollständigung würde ja doch lauten: Qu'on coure
au voleur! Qu'on se precipite au feu! Und da läge dann die
Bewegung wieder ledighch im Verb ausgedrückt: „*Man eile
hin — beim Feuer." Das „man eile hin" wäre als entbehrlich
unausgesprochen gelassen.
So ergibt sich denn für commencer ä der Sinn „anfangen
bei, in einer Tätigkeit", was völlig logisch und angemessen
da ist, wo es sich um naturgemäße oder durch die Umstände
6) Kämen da nicht schon die bekannten Verben der Elementar-
grammatik „pono, loco, colloco etc." mit ihrem ,,in + Abi." in Betracht?
Aber freilich, man braucht ponere nur durch „niederlegen" (vgl. frz.
poser la plume), locare mit „unterbringen" zu übersetzen, dann schwmdet
sofort alles Anormale. — An den weiteren, sehr ansprechenden und
gründlichen Darlegungen des Verfassers hätte ich nur die eine Aus-
stellung zu machen — nicht, daß eine Erörterung der Präpositionen
strenggenommen ins Wörterbuch, in die Wortlehre gehört, da ich mich
ja (Bd. XXXV p. 15 dieser Zeitschr.) selbst gegen allzustarkes Be-
tonen der formal-systematischen Seite in der syntaktischen Forschung
ausgesprochen habe — sondern, daß Verf. diesen meiner Ansicht nach
treffenden Standpunkt nicht immer energisch genug wahrt, manch-
mal (z. B. §§ 437, 438, 505 etc.), wohl aus praktischen Gründen, doch
von ,, wohin" und ,,Ziel", ,, Zweck" spricht.
Vom Injinüw mit de und ä. 263
gegebene Tätigkeiten (bezw. Zustände) handelt. Bei jedem
kleinen Kinde stellen sich im Laufe der Entwickelung die
Tätigkeiten des Gehens, Spreciiens usw. ein. Da heißt es denn
durchaus treffend: „Jetzt fängt es beim Gehen an", d. h. in
der Tätigkeit des Gehens ist für das Kind das Anfangsstadium
eingetreten, „es ist Anfänger i m Gehen", il commence ä marcher.
Die Vorstellung wird sofort eine ganz andere, wenn von einem
Knaben, dem etwa wegen einer Fußverstauchung anbefohlen ist,
auf dem Sofa zu liegen, ausgerufen wird „Was fällt ihm denn
ein ? Was soll denn das heißen! Er fängt an zu gehen ?!" Daher
denn in diesem Falle // commence de marcher mit derselben Be-
rechtigung gesagt wird, wie vorher il commence ä marcher.
Was für ein Verhältnis wird nämhch durch de bezeichnet?
Gehen wir, wie vorher bei a, auch wieder auf die Grundbedeutung
zurück, so werden wir sagen müssen, daß de nur das (negative)
Seitenstück, Korrelat zu ä ist, und dieses zu seiner Voraussetzung
hat. Bezeichnet ä örtliche Gemeinschaft, so drückt de die Auf-
hebung, Lösung derselben aus, w^omit dann eben, impHzite, voraus-
gegangenes, früheres Vorhandensein einer solchen und damit auch
die Möghchkeit, unter Umständen sogar die Gewißheit ihrer so-
fortigen Wiederherstellung gegeben ist. Le livre de Charles ist das
Buch, das jetzt von Karl räumlich getrennt ist (oder doch so
vorgestellt ^vird), aber vorher b e i ihm war und jederzeit mit ihm
wie der vereinigt werden kann (und es sicher auch wird). Daß in
diesem Falle ä mit de konkurriert, in der Volkssprache sogar vor-
herrscht, beruht darauf, daß bei einem Besitztum die Vorstellung
der örtlichen Gemeinschaft, mit dem Besitzer ebenso berechtigt,
vielleicht sogar natürlicher, angemessener ist, als die der Los-
lösung (wenn auch nur momentaner) mit der Nebenidee der
Möghchkeit jederzeitiger Wiedervereinigung. — Un homme de
bien ist ein Mensch, der früher beim «biem war, mit der Neben-
vorstellung, daß er davon untilgbare Einwirkungen, Spuren mit-
gebracht hat. — Partir de Paris bedeutet eine Bewegung,
bei welcher Lösung einer vorhanden gewesenen örthchen Gemein-
schaft mit «Paris» stattfindet, also eigenthch „fortgehen, so
daß man nicht mehr «d Paris» ist". Wie bei d nach Verben der
Bewegung, muß auch bei de, in Verbindung mit einem solchen
Verb, betont werden, daß der Begriff der Bewegung ledighch durch
das Verbum ausgedrückt wird, daß also de nie das Kommen,
Sich entfernen von einem Punkte bezeichnet, sondern nur die
mit einer solchen Bewegung verbundene „Negierung", Tilgung,
Aufhebung der vorangegangenen Gemeinschaft, so daß es leicht
zu immer abstrakterer Bedeutung, schließlich zu derjenigen „in
bezug auf, hinsichthch" kommen konnte. — So findet es denn
überall da Verwendung, wo der Ausgangspunkt einer Handlung
bezeichnet werden soll, sei es — ähnhch wie bei homme de bien —
zur Charakterisierung der Art und Weise (daher bei maniere,
264 Theodor Kalepky.
fagon)^ sei es zur Angabe des Materials {parier d'aventures, cou-
ronner de fleurs) oder des Instruments [tirer d'un arc)^ oder des
Anlasses, der Ursache {mourir de faim^ pleurer de joie) usw. —
wobei überall durch de ein zuerst Genanntes zu einem weiterhin
Genannten in das Verhältnis einer dereinst vorhandenen, nun-
mehr aber — vorübergehend oder dauernd — gelösten Gemein-
schaft gesetzt wird.
Von all den eben berührten Ausstrahlungen der Grund-
bedeutung von rfe, den eigenartigen Verwendungen dieser Präpo-
sition, scheint mir nun für commencer am meisten diejenige in
Betracht zu kommen, die wir vorhin bei couronner de fleurs
konstatierten: die gedachte Gemeinschaft ist hier nach der Seite
des Materials hin bedeutsam geworden. ,, Bekränzen" kann ver-
knüpft sein mit verschiedenen Dingen: Blättern, Perlen, Blumen
usw. Couronner de fleurs besagt nun, daß der Ausübende das
früher mit Blumen verbunden gedachte Bekränzen gewählt hat,
dessen Herkunft nun sichtbar zutage tritt — wie beim homme
de hien.^) Danach hieße commencer d'arriver genau genommen:
„vom Ankommen das Material zum Anfangen entnehmen," nicht
(wie commencer ä arriver) ,,b e i m (erwarteten, in Frage stehen-
den, virtuell in der Vorstellung schw^ebenden) Ankommen einen
Anfang machen", sondern ,, anfangen vom Ankommen her"
(,,von ankommen"), dem Hörer eine Stoffquelle mitteilend, ihm
von einem Sein oder Tun sprechend, an das er noch gar nicht
gedacht hatte. So wird man denn sagen dürfen, daß in der
commencer d- Konstruktion der Schwerpunkt der Aussage mehr
oder minder fühlbar auf dem Begriff des Anfangens, bei der
Verbindung mit de dagegen auf der durch den Infinitiv aus
gedrückten Vorstellung liege.
11.
Nach der ausführlichen Erörterung des Falles mit commencer
ä und rfe, sowie aller dabei in Betracht kommender Faktoren,
werden sich nunmehr eine Reihe verwandter Fälle rasch abtun
lassen.
Auch continuer weist Infinitivanschluß sowohl mittels d als
mittels de auf. Continuer ä faire qu. eh. heißt ,,b e i m Tun von
etwas fortfahren"; das Tun selbst schwebt schon in der Vor-
stellung, der Nachdruck wird wieder auf continuer gelegt, so daß
dies die Bedeutung von ,, verharren, (mehr oder weniger hart-
näckig) verbleiben bei etwas" erhält. II a goute ä tout et s'est
degoüte de tout. II continue cependant ä vivre. Gl. Farrere, Les
Civilises 54 ( = Obgleich er alles gekostet und alles satt bekommen
^) Die Vorstellung beibehaltener, weiter dauernder Gemeinschaft
zwischen Tun und verwendetem Gegenstand führt zum Gebrauch
von d z. B. ecrire ä la plume, au crayon. — Genau so : un homme ä (la)
barbe noire — denn, ist der Bart beim Mann, dann ist auch der Mann
beim Bart. (Vgl. bei Strafe verbieten, d. h. so, daß Strafe dabei ist.)
Vom Infinitiv mit de und ä. 265
hat, verharrt er im, beim Leben). — Continuer d e faire
qu. eh. heißt wiederum: ,,von einem Tun das Material zum Fort-
fahren nehmen", der Nachdruck liegt auf diesem Tun, das zwar
schon einmal erwähnt und in der Vorstellung des Hörers vor-
handen sein muß, aber doch — inmitten anderer ebenfalls in
Betracht kommender Tätigkeiten — eine ge\^^sse Hervorhebung
zuläßt, wenn nicht geradezu erfordert. Ils descendirent de voitiire
Sans savoir pourquoi et marcherent au hasard en continuant de
chanter ib. 42. — Was das Zahlenverhältnis bei diesem Verbum
betrifft, so zeigt sich — im Gegensatz zu commeiicer, aber ebenfalls
wohl begreiflich — entschiedenes Überwiegen der rfe- Verbindung.
In Farreres Civilises finden sich neben 7 Fällen mit de nur 2
mit ä, in Mlle Dax jeune fille neben 7 mit de, gar nur 1 mit d,
in Bazin, Le hie qui leve steht 14 Fällen mit de nur ein einziger
mit ä gegenüber. Und doch scheint mir aus diesem numerischen
Verhältnis, in dem die d- Konstruktion eine anscheinend so kläg-
liche Rolle spielt, eine Befürchtung hinsichthch der Fortexistenz
der letzteren sich noch nicht zu ergeben. Findet sich doch in
Loti, Aziyade, das eine statthche Anzahl Fälle von commencer ä
(keinen mit de!) brachte, ebensowenig ein Beleg für continuer de
wie für continuer ä. Die Seltenheit des letzteren erklärt sich
eben hinreichend durch die relative Seltenheit der Umstände,
die zu seiner Verwendung Anlaß geben könnten, insbesondere
der Fälle, in denen (nach dem Prinzip vom kontradiktorischen
Gegensatze) sich die Vorstellung des ,, Verbleibens, Verharrens
bei etwas" so lebhaft aufdrängt, daß der Sprechende die charak-
teristischere Anknüpfung mit d wählt und wiederum nicht so
lebhaft, daß er gleich zu den konkurrierenden Verben persister,
perseverer greift.^) Wenn Plattner mit seiner Leugnung eines
Unterschiedes nur das meinte, daß die meisten sich der sprach-
lichen Kundgabe darbietenden Fälle sowohl die eine wie die
andere Ausdrucks weise ,, zuließen", dann könnte man ihm
bis zu einem gewissen Grade beistimmen. Gibt es eine solche
Zwitterhaftigkeit nicht auch oft genug für Impar'fait und Passe
defini, für Indiratif und Subjonctif, für Voran- und Nachstellung
der attributiven Adjektive ? Aber wie niemand für die genannten
Kategorien auf Grund solcher indifferenten Fälle die innere Be-
rechtigung zur Aufstellung eines Bedeutungsunterschiedes leugnen
wird — mag man über Einzelheiten der Formulierung auch noch
so verschiedener Meinung sein — ebensowenig wird der Umstand,
') Ähnlich dürfte für commencer de das Verbum se meUre ä eine
gewisse Konkurrenz bieten, oder — bei Vergangenheitsangaben — das
Passe defini, dem man ja für manche Verben, z. B. avoir, etre, savoir,
connaitre etc. geradezu inchoative Bedeutung zuschreibt. — Übrigens
scheint mir das numerische Verhältnis, das ich unlängst in L^on Frapie,
L' institutrice de province antraf, einigermaßen als normaler Ausdruck
der Sachlage gelten zu dürfen: commencer ä 4, de 1, continuer de 3, ä
1 Mal.
266 Theodor Kalepky.
daß sich häufig genug ein und derselbe Sachverhalt bei commencer
und continuer sowohl durch den Infinitiv mit ä wie durch den mit
de in einer das Denken zufriedenstellenden Weise zum Ausdruck
bringen läßt, als Beweis dafür in Anspruch genommen werden
können, daß der Sinn in beiden Fällen absolut der gleiche
sei. Vielleicht tritt die Tatsache, daß ein und derselbe Sach-
verhalt sich zwar manchmal in gleich befriedigender, aber niemals
genau gleichbedeutender Weise, durch zwei verschiedene Kon-
struktionen wiedergeben läßt, nirgends so deutlich zutage, wie
bei avoir honte, von dem Plattner {Schulgrammatik p. 228) ,,rein
praktisch" sagt, daß es sich ,,ohne Bedeutungsunterschied" sowohl
mit de wie mit d + Infinitiv finde. Es ist ohne weiteres klar,
daß hier ä faire qu. eh. temporal ist: ,,b ei einem Tun" und de
faire qu. eh. kausal: ,,v o n" einem Tun, wegen eines Tuns.
In ähnlicher Weise wäre ich — um hier noch ein paar andere
naheliegende Fälle mit ab zutun — geneigt, auch für die Verben
des Zwingens {forcer, obliger, contraindre etc.) mit folgendem
Infinitiv, den Unterschied zwischen der d- und der c?e- Konstruktion
dahin zu bestimmen, daß bei der ersteren der Nachdruck wieder
auf dem Begriff des ,, regierenden" Verbums, also auf der Idee
des Zwanges, bei der letzteren aber auf der erzwungenen Hand-
lung liegt. La garnison se defendait bien, pourtant on la forga
ä se rendre (,,Sie wollte sich nicht ergeben, aber man zwang
sie dazu"). Dagegen Menace par la cille, on la cerna et la forga
de se rendre (ohne daß sich eine ernstliche Schwierigkeit, ein
nachhaltiger Widerstand gezeigt hätte). Genau genommen (im
ersteren Falle): ,,Man übte Zwang aus beim (deutsch ,,zum")
Kapitulieren", (im zweiten): Man bewirkte, erreichte (selbstver-
ständlich nicht durch Bitten) die Übergabe der Stadt. Daß
sich die letztere Auffassung besonders häufig in passivischen
Sätzen findet — denn, wenn man den Nachdruck auf das Zwingen
legt, wird man naturgemäß auch die Person des Zwingenden in
den Vordergrund rücken, sie zum Subjekt des Handelns machen
(also aktiven Ausdruck wählen), statt sie durch eine adverbiale
Bestimmung (mittels par) erst nachträglich anzudeuten — scheint
zu der ,, Regel" geführt zu haben, daß im Passiv de ,,erforderUch"
sei. Plattner hat das Unzutreffende derselben erkannt. Er fügt
der Angabe: ^Jorcer nimmt passivisch gebraucht in der Regel
de zu sich, "sofort die Einschränkung hinzu ,,doch findet d sich
auch im letzteren Falle" und gibt zwei Beispiele, unter denen mir
das letzte von besonderer Anschaulichkeit erscheint: Et qui sait
si, forcee ä tromper le monde, la tete de ce petit etre ne peut pas
y prendre plaisir.^)
^) Wie sich forcer ä faire qu. eh. den Verben pousser, exhorter,
encourager, engager ä an die S-ite stellt, so hat forcer d e die Ausdrücke
sommer und presser qn. d e faire qu. eh. neben sich. Auch hier handelt
Vom Infinüw mit de und ä. 267
In ähnlicher Weise gibt bei finir der Infinitiv mit de die
„Stoff quelle" an, d. h. das Tun, womit ein Ende gemacht,
geendet wird; hingegen derjenige mit ä das Tun, b c i dem jemand
oder etwas endet, bezw. ,, nicht endet", wozu Plattner die beiden
hübschen Beispiele gibt: Je ne jinirais pas d voiis raconter . . und
(7a finira ä couter aussi eher qiie Vafjichage d'une lettre de general.
Und noch einleuchtender ist die Sache bei dem Verb reussir,
das ich hier anführen möchte, weil ich seine Infinitivkonstruktion
mit de noch in keiner Grammatik, auch nicht in der mehr alä
hundert Verba umfassenden fleißigen Liste Plattners erwähnt
gefunden habe. Ihr Sinn ist: mit einem Tun eine Wirkung,
einen Erfolg erzielen (wobei also de die Infinitivtätigkeit wiederum
als Herkunftsort, Stoff, Mittel, Werkzeug u. s. w. bezeichnet,
während sie bei Verwendung von ä die Stelle ist, bei der ein
erfolgreiches Schaffen, Mühen stattfindet). II a hien reussi de
leur acheter la «Comedie enfantine» ruft eine Mutter mit Bezug
auf ein ihren Kindern von einem Freunde gemachtes Geschenk
aus. ,,Da hat er was Schönes angerichtet, daß er ihnen die
Kinderkomödie gekauft hat" (L. Frapie, Les obsedes 125). —
J'ai hien reussi d'avoir bougonne apres Brunetiire id., La mater-
nelle 50. Die scheltende Bemerkung über B. ist gehört worden
und hat für die Sprechende nun allerhand unliebsame Folgen;
deutsch etwa: ,,0 weh, das bekommt mir nun übel, daß ich ..."
oder etwas burschikoser: ,,Na, da bin ich schön mit meiner Äuße^
rung über B. hineingefallen". Aber auch nicht-ironisch findet
sich die Wendung in populärer Ausdrucksweise: Vous auriez
mieux reussi d'etre entretenue par des etudiants ib. 48 ,,Beim Zu-
sammenleben mit Studenten hätten Sie es besser gehabt, etwas
Besseres erzielt" oder ,,es wäre für Sie etwas Besseres heraus-
gekommen (als bei der mühseligen und schlecht bezahlten Arbeit
in der Kleinkinderschule). Das mag Weiterführung alten Brauches
sein — Haase, Franz. Syntax des XVII. Jahrh. zitiert aus Boileau:
// semble que VArioste ait mieux reussi d e la faire faire par Joconde
— doch wäre solcher Brauch wie so viele andere jener Zeit (z. B.
apprendre, eher eher, reduire d e faire qu. eh usw.) sicher längst
geschwunden, wenn er nicht eben in vollster Übereinstimmung
mit dem das heutige Verfahren regelnden allgemeinen Prinzip
stände.
Zum Schluß sei noch die bekannte Ausdrucksweise c'est
ä qn. ä und de faire qu. eh. berührt, bei der der Sinnesunterschied
— praktisch wieder ziemlich irrelevant, daher von Plattner als
nicht vorhanden bezeichnet — etwas anderer Art ist, als in den
früher besprochenen Fällen. Die Verbindung von ä mit einem
es sich um Andeutung des Materials, des Stoffes: ,, einen auffordern,
bedrängen m i t etwas, inbezug auf etwas" (nicht ,,z u etwas" was
nach französischer Auffassung ein ,,bei" (ä) ergeben müßte).
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 18
268 Theodor Kalepky.
Infinitiv hat nämlich außer der üblichen Bedeutung lokaler
(temporaler) Gemeinschaft (,,b e i einem Tun") auch
noch die (auf lateinisches Gerundivum zurückgehende) der
Notwendigkeit eines Tuns. Lateinischem habeo epistolam
scrihendam entspricht frz. j'ai une lettre ä ecrire, lat. mihi est
scribendum: j'ai d icrire (oder c'est ä moi d ecrire) (vgl. Diez III,
236 f. und Meyer-Lübke § 328). So hegt denn nun eine eigen-
artige Zwiefachheit der Gebrauchsweise und des Sinnes von
Infinitiven mit d vor. Bezeichnet eile eine Person, dann heißt
eile est d ecrire ,,sie ist beim Schreiben", ist mit eile aber ein Brief
gemeint, dann bedeutet derselbe Satz, ,,er ist zu schreiben, muß
geschrieben werden." Das syntaktische Verhältnis ist natürlich
in beiden Fällen etwas verschieden: Im ersteren ist d die ge-
wöhnliche lokale (temporale) Präposition, die die Beziehung
des Seins zum Schreiben kennzeichnet, im zweiten bildet d mit
icrire zusammen eine Ausdruckseinheit mit dem Sinne: ,,Schreib-
notwendigkeit."^) Die letztere Verwendung liegt nun (wie bei
j'ai d ecrire^ je donne, je laisse d deviner u. ähnl.) auch in der
Wendung c'est d moi d jaire qii. eh. vor, deren genauer Sinn also
etwa durch lat. mihi jaciendum est, deutsch durch: ,,mir liegt die
Notwendigkeit des und des Tuns ob" (noch präziser: ,,sie liegt
mir ob — die Notwendigkeit, Pflicht des Tuns) wiederzugeben
wäre. Demgegenüber besagt ein c'est d moi d e faire qu. eh. ledig-
lich, daß das und das Tun mir zukommt, meine Sache,
meine Angelegenheit ist, ohne zugleich den Begriff der pflicht-
gemäßen Obliegenheit, der Notwendigkeit auszudrücken, gleich-
sam *mihi est facere. Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß
überall, wo das c'est d moi den Sinn hat ,,es ist die Reihe an
mir" — ein Fall, der von den meisten Grammatikern besonders
erwähnt, vielfach sogar als Sonderfall behandelt wird — nur
d faire qu. eh. in Frage kommt, da das ,, Anderreihesein" doch
immer den Begriff einer VerpfHchtung involviert, insofern jeder,
der sich zu gemeinsamem Spiele, Tun usw. mit anderen zu-
sammengesellt, damit eo ipso gewisse PfHchten übernimmt. —
Plattner will nun auch bei den in Rede stehenden Wendungen
eine Sinnesverschiedenheit nicht anerkennen. Er sagt 1. c. p. 126:
,,Das Unberechtigte einer Unterscheidung geht am besten aus
Beispielen hervor, die beide Präpositionen nebeneinander auf-
weisen: C'est d notre coeur d regier le rang de nos interets et d notre
raison de les conduire (Vauvenargues)". Mag auch wie in vielen
Fällen bei commencer, continuer, avoir honte etc. der Unterschied
') Etwas Ähnliches zeigt sich bei de, sofern diese Präposition
sowohl zwei Seiende, bezw. Geschehnisse zueinander in Beziehung
setzen als auch (beim sogenannten Teilungsartikel) nur zur Charak-
terisierung eines (oder mehrerer) Seiende (als zu einer größeren Einheit
gehörig) dienen kann. Vgl. Nous sortons de Veau und Nous buvons
de Veau.
Vom Injinüw mit de und d. 269
sachlich oder praktisch belanglos sein — sprachlich, sprach-
wissenschaftlich ist er unleugbar vorhanden und sollte darum
in gründlichen Lehrbüchern nicht völlig beiseite gesetzt werden.
Der genaue Sinn des zitierten Satzes wäre: „Die Abwägung
unserer Interessen ist eine Obliegenheit (Pflicht) unseres
Herzens, Sache unserer Vernunft ist es, sie zu fördern." Ähnlich
bedeutet der (als Antwort auf die Frage En quoi ma proposition
est-elle contraire ä la Constitution?) gesprochene Satz: C'est ä
vous de le chercher et non pas ä nous ä vous l'indiquer sprachlich
genau: ,,Das zu suchen ist Ihre Sache, wir haben nicht die
Verpflichtung es Ihnen anzugeben." Oder: C'est aux
electeurs ä savoir hien ne pas se laisser dominer par autre chose
gue par l'interet public. C'est ä eux de faire un grand programme
politique, clair et net). ,,Es ist Pflicht der Wähler dafür zu
sorgen (es dahin zu bringen), daß sie sich durch nichts anderes
als das öffentliche Interesse leiten lassen. Ihnen steht es
z u , ein bedeutsames, klares und unzweideutiges politisches
Programm aufzustellen." ^°) Natürlich kommt dieses ,, Ihnen
steht es zu" (ähnlich wie ,,Ihre Sache ist es) einem ,,Ihre Pflicht
ist es" ganz nahe, aber für die sprachwissenschaftliche
Betrachtung scheint mir der Unterschied immer noch erkennbar.
Schlachtensee bei Berlin. Theodor Kalepky.
^®) Gelegentlich wird auch noch ausdrückUch af faire eingeschaltet:
Cest affaire aux Naguet, aux Laguerre, aux Deroulede de former
ä Vecart un petit conseil de guerrc. Le reste — une joyeuse chambree
de soldats. M. Barres, Vappel au soldat 450 ,,Die übrigen sind untauglich
zu solchem Geschäft, kommen daher nicht in Betracht; nur Männern
wie N., L., D. steht es zu, nur deren Sache ist es . , .
18*
Wortgeschichtliches.
1. apoistume.
II Dict. gen. vi vede apostema "corrompu, dans sa
terminaison et son genre, sous Taction du suffixe fem. turne
(c 0 u t u m e , etc.)". Non se se altri abbia contradetto a questa
spiegazione o siasi altrimenti occupato della nostra forma; ma
io non potrei sottoscrivere alla spiegazione del Dict. gen. Quanto
al genere, bastava forse di rimandare a Meyer-Lübke, Rom.
Gramm. II 371, e, ad abundantiam, si puö soggiungere che anche
l'a iniziale poteva condurre al feminlie, vista la facilitä che un
l'a- venisse interpretato come la p-. Ma piü importa la disinenza
-ume, la cui genesi dovrebbe apparire chiara da quanto segue. Nei
dialetti dell'Italia meridionale (Napoli, Avellino) occorre, per
apostema, la forma posteoma (e pi-).^) L'uscita -eoma ricorda
reoma reuma, e anche *fleoma, *fleuma phlegma, che e
provato dal tar. fioma, 'la parte vischiosa o mucosa che hanno
neiresterno i molluschi e certi pesci', e anche dall'a. franc. fleugme
(Dict. gen. s. 'flegme'), che sarä in realtä fleume, dovendosi il g,
forse meramente grafico, alla forma piü dottrinale. E v. del
resto, Meyer-Lübke I § 403^. — E evidente che questi nomi
esotici di malattie, potevan facilmente assimilarsi V-ema di apo-
stema, del nome cioe d'un' altra malattia. Dove e da ricordare
che flegmone aveva un significato ben affine a apostema.
Se dunque Tit. merid. posteoma va con *fleoma, reoma, potremo
asserire che apostume va con *fliime e rhume.
3. Ancora opiniatre.
Alla dichiarazione da me tentata di opiniatre in questa Ztschr.
(XXX VII, 147), P. Barbier fils muove (Revue d. dial rom. II 170),
delle obbjezioni la cui portata mi sfugge. Non capisco cioe perche
opiniatre vada messo sulla stessa linea di acariätre, folätre, ecc. ;
quando quello ha a base un sostantivo, qucsto (di acariätre, visto
l'incerto etimo, nulla si puö affermare) un aggettivo. Non
^) L'i forse per dissimilazione dall'e tonico; cfr. il nap. liquera,
accanto a lo-, loquela.
Worigeschichüiches. 271
voglio negare la possibilitä della cosa, ma chi Tasserisce dovrebbe
pur cercar di spiegarcela ; poiche l'invocazione di opiniable nulla
vale, questa voce connettendosi direttamente col lat. o p i n a r i
(franc. opiner) e risententesi di opinion solo nella sua forma
esteriore.
3. avacilir.
L'etimo vulgato, difeso da ultimo dal Meyer-Lübke (Histo-
rische Gramm, der franz. Sprache I § 155), ci porterebbe a una
base germanica {waikjan). L'ostacolo che a questa sorge dal v,
il Meyer-Lübke tenta di smuoverlo mandando con avachir due
altri esempi, in cui si ripeterebbe il fenomeno, ma che a me pajon
soggetti a cauzione, e sono in ogni modo diversamente conformati.
Siccome, dato l'etimo germanico, Va- potrebbe difficilmente
rappresentare altro che non il latino ad,^) cosi il solo ragguaglio
possibile e quello di aguet ecc. — Da avachir sembrami non si
possa staccare il lomb. svacä avvihre, indebolire, (detto princi-
palmente dei mestieri e del prezzo delle merci), guastare, svesciare
(al figurato), e il piem. svache dissolversi, svanire, mancare.
Per i quali, come quindi per la voce francese, la luce ci viene forse
dal Mezzogiorno d'Italia. G'e qui, nell'Abruzzo, un verbo bacu-
larse -irse divenir debole, allentarsi di una parte di un congegno,
di una machina, (cfr. il nap. shacoliare tentennare ; detto soprattutto
dei denti), e un aggettivo participiale sbaciilaie sv- debole per
eccessive perdite corporali. Quest'ultima significazione e assai
preziosa e va posta in relazione con quella di 'svesciare' che ha
il lomb. svacä\ significazione che oggi e solo traslata, ma che
nulla impedisce fosse un giorno vera e propria, cosi come nel
lomb. cagä c'e il valore proprio e quello traslato di 'palesare tutto'.
Ora, la voce abruzzese si connette direttamente col nap. vacolare
evacuare, che ben rende o evacuare o vacuare. E alla
stessa base radicale riverranno pure la voce alto-italiana e la
francese^) : dove si moverebbe da un *v a c c a r e , in cui o k m
sia ridotto a kk come t u e ridotto a ^^ in *f u 1 1 i t -e b a t ; o, e
^) Si potrebbe certo pensare anche al germanico ab- (abweichen);
ma cosa avrebbe dato -bw- al francese? Dei resto in etä antico-alto-
tedesca, ab era aba.
^) L'a- francese e potrebbe essere direttamente da un prefisso
ad- (cfr. affaiblir, s'affaisser), o anche continuare o Ve- di *evacc-, assi-
milato allora all'a della successiva sillaba. Anche potremmo avere
la sostituzione di ad- a e-; nel quäl caso, come pure in quello della
diretta prefissione, saremmo ad *avvachir (cfr. avertir, ecc). Quanto
alla voce alto-italiana, e potrebbe essere *ex-vacc-, e potrebbe
continuare *v a c c - con s- successivamente prefisso. — Quanto all'
evoluzione semantica, aggiungerö qui in nota che del resto i concetti
di 'vuoto' e di 'molle' si toccano anche per altra via: si pensi, p. es.,
alla vescica sgonfiata paragonata colla vescica gonfia, o a un acino
da cui sia stato succhiato il contenuto.
272 Wilhelm Tavernier.
questa soluzione mi garba meglio, in cui sia da ravvisare un
*vacicare (da v a c a r e*), con -cicare in -ccare
come nei non pochi esempi analoghi messi insieme dal Nigra e
da altri (Arch. glott. it. XV 107—8, Miscellanea Ascoli 93,
Rendic. Ist. lomb., ann. 1906, pp. 584, 620; dove sarebbe da
avvertire che di straccare tocca veramente giä il Nigra nel passo
di cui qui sopra).
Milan 0. C. Salvioni.
*) V a 0 a r e si continua nel sardo gallur. svacä votare.
Zn Roland 3995: tere d'Ebire.
Die vielumstrittene tere d'Ebire (so liest Stengel mit Recht)
ist aus der Zeitgeschichte des Rolandsepos zu erklären. Wahr-
scheinlichkeit und Analogie von tere de France 1861 sprechen
zunächst dagegen, daß der Eigenname einen Fluß (so K. Hof-
mann; vgl. Stengels Namenverzeichnis) oder eine Stadt bezw.
ein Dorf bezeichnet (einige Deutungen dieser Art haben wir
S. 166 Anm. unserer ,Vorgeschichte' zusammengestellt); viel-
mehr ist ein Ländername zu suchen. Am nächsten liegt E p i -
r u s , und nichts anderes meint der Rolandsdichter. Er spricht
hier (wie noch öfter) durch die Blume; gedacht ist an
Bohemunds Kriegszug nach Epirus, 1107/08, gegen den griechi-
schen Kaiser. Der Kreuzzugsheld hat selbst im Jahre 1106
in Frankreich für sein Unternehmen geworben, vor allem auf
der Synode von Poitiers (näheres s. in unserem Beitrag zur
Festschrift für Vollmöller, ,Über einen Terminus...' S. 16),
Unser Ebire bestätigt also den im gleichen Beitrag aufgestellten
terminus ante quem: das Rolandsepos kann nicht nach 1108
(da Bohemund seinen Frieden mit dem griechischen Kaiser
gemacht hatte) und wird nicht vor 1106 gedichtet sein. —
Das provenzalische b in Ebire entspricht sonstigen Provin-
zialismen im Roland {Rosne usw.), über die wir noch handeln
werden; das e am Ende ist gelehrt, auch durch die Assonanz
aufgenötigt.
Oppenheim a. Rh. Wilhelm Tavernier.
Zeitschrift
für
tranzösisclie Sprack unJ litteratur
begründet von
Dr. G. Koerting und Dr. E. Koschwitz
Professor a. d. Universität z. Kiel weil. Professor a, d. üniTers. i. Königsberg i. Pr.
herausgegeben
von
Dr. D. Behrens,
Professor an der Universität zu Giessen.
Band XXXTII.
Referate und Rezensionen.
Chemnitz und Leipzig.
Verlag von Wilhelm Gronau.
INHALT.
Referate und Rezensionen. g^j^^
Ageorges, J. L'enclos de Gge. Sand. (VV. Haape) 56
Annales de la Sociale Jean-Jacques Rousseau (M. J. M i n c k -
w i t z) 41
Armaingaud, Dr. Montaigne pamphletaire (H. S c h o e n) . . 20
Bernhardt, F. W. Auswahl aus Alfred de Musset (W. Haape) 282
Blanchon, P. Lettres de George Sand ä Eugene Fromentin (W.
Haape) 56
Boewe, Heinrich et Delauney, Auguste. Manuel de lectures cou-
rantes. (Wolfgang Martini) 293
Boillot, F. Le patois de la commune de La Grand'Combe (D.
Behrens) 280
Bornecque, H. et Röttgers, B. La France d'aujourd'hui (August
S t u r m f e 1 s) 285
Bourciez, E. Elements de linguistique romane (C. S a 1 v i o n i) 239
Breimeier, H. Eigenheiten des französ. Ausdruckes und ihre
Übersetzung in das Deutsche (W. K ü c h 1 e r) .... 130
Buckeley, Joseph. Prüfungs-Aufgaben für das Lehramt der
neueren Sprachen in Bayern (August Sturmfels) 288
Le Chat volant de Verviers p. p. J. Feller (O. G r o j e a n) . . 104
Claretie, J. A Venise (W. Haape) 56
Closset, J. Table alphabetique des ouvrages litteraires wallons (O.
G r 0 j e a n) 98
Cretin, P. M. La France, Passe, Präsent, Avenir (August
Sturmfels) 285
Daire, Dictionnaire picard gaulois et frangois (D. Behrens) 280
Delauney, Auguste. Französische Aufsatzlehre (W o 1 f g a n g
Martini) 293
Doumic, R. George Sand (W. Haape) 56
Dupuy, Ernest. Alfred de Vigny. Ses amities, son röle litte-
raire. I Les amities (L u d w i g K a r l) 223
Faguet, E. Michel de Bourges (W. Haape) 56
George Sand (W. Haape) 56
Fetter, J. und Ullrich, K. la France et les Fran^ais (August
S t u r m f e I s) 289
Gaiffe, F. Le Drame en France au XVIIle siecle (W. Martini) 35
Ginisty, P. Le Baron Haussmann et George Sand (W. Haape) 56
Glaser, Kurt. Le sens pejoratif du suffix -ard en frangais (K. E 1 1 -
m a y e r) • 115
Golther, Wolfgang. Tristan und Isolde in den Dichtungen des Mittel-
alters und der neuen Zeit (E r n es t M u r e t) 167
Gourmont, J. de. George Sand (W. Haape) 56
Seite
Grasserie, Raoul de la. Des parlers des diff6rentes classes sociales
(K. M 0 rg en r 0 th) 117
Guiard, Amedee. Virgile et Victor Hugo (H. H e i s s) 227
Haberlands Unterrichtsbriefe für das Selbststudium lebender
Fremdsprachen. Französisch von H. Michaelis und P.
Passy. Kursus II. (August S t u r m f e 1 s) . . . . 289
Herrig, L. La France Litteraire (August Sturmfels) . 284
Hilka, Alfons. Das Leben und die Sentenzen des Philosophen Se-
cundus des Schweigsamen in der altfranzösischen Literatur
nebst kritischer Ausgabe der lateinischen Übersetzung
des Wilhelmus medicus, Abtes von Saint-Denis (F. R e c h -
nitz) 205
Hinstorff, C. A. Die Archives litt^raires de l'Europe und ihre
Stellung zur deutschen Literatur (H. H e i s s) 51
Järnström, Edw. Recueil de chansons pieuses du XIII« siecle I.
(J. Ach er) 13
Jullian, C. Histoire de la Gaule III (M. L. S t r a c k) 1
Kiene, Paul. Der unheilvolle Konflikt. Zur Reform des fran-
zösischen Sprachunterrichts (August Sturmfels) 286
Küchler, W. Französi.sche Romantik (H. S c h n e e g a n s) . . 45
Lanson, G. Manuel bibliographique de la litterature fran^aise
moderne II (W. K ü c h 1 e r) 18
Laumonier, Paul. La vie de P. Ronsard de Claude Binet (1586)
H. Vagan ay) 215
Ronsard poete lyrique (H. Va g a n a y) 215
Lecomte, Ch. Le parier dolois (D. B e h r e n s) 280
Lefranc, Abel. Maurice de Guerin (J. Haas) 95
Le Pileur, L. Les maladies de Venus dans l'oeuvre de Frangois
Villon (W. von Wurzbach) 214
Löseth, E. Notes de syntaxe frangaise (Theodor Kalepky) 264
Lovinesco, E. Jean- Jacques Weiss et son oeuvre litteraire (W.
Baldensperger) 96
Luxenburger, H. Die verbalen Praefixe der französ. Sprache (D.
Behrens) 126
Maugain, Gabriel. Documenti bibliografici e critici per la storia
della fortuna del Fenelon in Italia (P. T o 1 d o) 31
Meyer, Paul. Documents linguistiques du Midi de la France
recueillis et publies avec glossaires et cartes. (Emil
Levy) 258
Millardet, Georges. Recueil de textes des anciens dialectes landais
(E m i 1 L e V y) 260
Münch, W. Didaktik und Methodik des französ. Unterrichts.
3. Aufl. (A. S t u r m f e 1 sl 127
La Noble Legonp. p. A. de Stefano [E. S t eng e\) 207
Nyrop, Kr. Grammaire historique de la langue frangaise III
(K. E ttmay er) 110
Odain, Louise. Glossaire du patois de Blonay (D. Behrens) 280
Pf ister. Fr. Kleine Texte zum Alexanderroman (Alfons
Hilka) 203
Pfohl, Ernst. Neues Wörterbuch der französischen und deutschen
Sprache (C. T h. L i o n) 294
Pitollet, C. La querelle calderonienne de Johan Nicolas Bohl von
Faber et Jose-Joaquin de Mora (L. P. T h o m a s) . . . 39
Prou, Maurice. Manuel de paleographie latine et frangaise (Jean
Ach er) 230
Ravanat, Albert. Dictionnaire du patois des environs de Grenoble
(D. B ehr ens) 280
RochebM'e, S. George Sand, Lettres k Poncy (W\ H a a p e) . . 56
Seite
Rod, E. George Sand et le public d'aujourd'hui (W. H a a p e) 56
Rock, Hubert. Worte Montaignes. (Josef Frank) . . . . 218
Rossmann, Ph. und Schmidt, F. Lehrbuch der französ. Sprache auf
Grundlage der Anschauung (August S t u r ni f e 1 s) . 289
Rousselot, Vabhe. Principes de phonetique experimentale I. II
(A. Franz) 104
Sand, G. — Neuere Arbeiten über Georges Sand (W. H a a p e) 56
Sandfeld, Jensen, Kr. Bissetningerne i Moderne Fransk (A. S t e n-
hagen) 123
Schenk, A. Table comparee des observations de Callieres sur
la langue de la fin du XVIIe s. (M. J. M i n k w i t z) . . 124
Schiff, Mario. La fille d'AUiance de Montaigne Marie de Gournay
(J. Fr ank) 28
Schroeder, Leopold v. Die Wurzeln der Sage vom heiligen Gral
(E. Brügge r) 163
Seche, A. et Bertaut, J. La vie anecdotique et pittoresque des
grands ecrivains. George Sand (W. H a a p e) 56
Simon de Crepy. Deux anciens poemes inedits sur saint Simon
de Crepy \>. p. E. Walberg {J. Ach er] 9
Steward, H. F. and Tilley, A. The romantic movement in French
literature (W. K ü c h 1 e r) 50
Sturel, R. Jacques Amyot, traducteur des Vies Paralleles de
Plutarque (W. Martini) 19
Thiergen, O. Methodik des neuphilologischen Unterrichts (A.
Sturm f eis) 128
Thorn, A. Chr. Les verbes parasvnthetiques en Fran(^ais (Fj.
Richter) ' 109
Traube, Ludwig. Vorlesungen und Abhandlungen II: Einleitung
in die lateinische Philologie des Mittelalters, herausgegeben
von Paul Lehmann (JeanAcher) 228
Vossler, K. Die Kunst des ältesten Trobadors ( J. A c h e r) . . . 6
Wechssler, Eduard. Das Kulturproblem des Minnesangs (W a 1 -
ther K üchler) 176
MiSZELLE.
Steinweg, C. Einige merkwürdige Beispiele von Kompositions-
Übertragungen. Corneille, Racine, La Fontaine und Lio-
nardo da Vinci 295
Novitätenverzeichnisse 135. 310
Eeferate und Rezensionen.
•Iiilliiin, Camillc. Ilisioire de la Gaule. III la conquete
romaine et. les premieres invasions gennaniqiies . 607 S.
Paris, Hachotte et Cie., 1909.
Die Frühgeschichte eines Landes ist im allgemeinen mit
wenigen Strichen zu zeichnen. Wer das Werk Jullians in die
Hand nimmt, wird meinen, Gallien bilde die bekannte Ausnahme
der Regel. Ein Jahrtausend, von 600 v. Chr. bis 400 n. Chr.,
soll zur Darstellung gelangen. Drei große Bände liegen bis jetzt
vor mit zusammen fast 1700 Seiten,^) am Ende lesen wir erst
die Übergabe der alten Griechenstadt Massalia an Caesar im
September des Jahres 49 v. Chr.! Und dabei sind die Farben
späterer Zeiten nicht mehr als unbedingt nötig zur Kolorierung
der gezeichneten Bilder verwendet, ist das Material des provin-
zialen Galliens nur zur Aushilfe für das freie Gallien herangezogen.
Drei weitere Bände, also wohl ein alterum tantum sind an-
gekündigt,^) die für die Schilderung des römischen Galliens diese
gleichzeitigen Quellen erst ausschöpfen werden. Man sollte
meinen, wir schwelgten im Nachrichtenüberfluß.
Tatsächlich steht es um die Frühgeschichte Galliens nicht
anders als um die anderer Länder. Nur für das letzte Jahrzehnt
vor der Einverleibung in das römische Reich haben wir zusammen-
hängende Kunde, auch diese noch einseitig auf den Krieg orien-
tiert. Was vorher Frankreichs Völker erstritten und erlitten,
das ist vergessen bis auf wenige Einzelheiten. Und ihr Handel
und Wandel, ihr Leben und geistiges Streben ist noch schlechter
bekannt. Wohl gibt es ja von dem gallischen Volksstamm mehr
zusammenhängende größere Schilderungen als von allen andern
alten Völkern — Polybios, Caesar, Diodor, Strabon, Athenaeus,
Ammian vor andern sind zu nennen — aber das Fazit entspricht
1) Bd. I les invasions gauloises et la colonisation grecquc, 530 Seiten,
erschienen 1908; Bd. II la Gaule independante, 557 Seiten, erschienen
1908; Bd. III la conquete romaine et les premieres invasions germaniques ,
007 Seiten, erschienen 1909.
-) Bd. IV le gouvernement de Rome; Bd. V la civilisatinn gallo-
romaine; Bd. A''I Ic Bas Empire.
Ztsclir. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 1
2 Referate and Rezensionen. Max L. Strack.
den vielen Rechnungsposten nicht. Die genannten Autoren
Jiängen, Polybios und vielleicht Caesar ausgenommen, alle von
der Schilderung des Poseidonios ab, und liefern so mehr oder
minder ausführhch Kopien desselben Bildes. Und dieses Original,
an sich von packender Wirkung, hat noch dazu so manche Züge,
die wenige Worte des Nacherzählers fordern, für die wir gern
andere uns wichtigere gemalt sähen.
Bei diesem Tatbestand der literarischen Quellen, deren
Dürftigkeit für die Zeit vor 49 v. Chr. nur um ein weniges durch
Münzen, Inschriften und sonstige Funde gemildert wird, geht
man mit einigem Zweifel an die Julliansche Darstellung auf
1700 großen Seiten, auf denen noch dazu kleingedruckte An-
merkungen einen nicht unbeträchtlichen Raum einnehmen. Jahr-
hunderte lang schon arbeiten Berufene und Unberufene an dem-
selben Thema und öfters hat ihre Arbeit in dickleibigen Werken
ihren Niederschlag gefunden, was kann Jullians sechsbändige
histoire de la Gaule, wo können insonderheit die drei ersten Bände
viel neues bieten ? Ist sie nur ein ungeheures Sammelbecken
von Gutem und woniger Gutem ?
Die Enttäusclmng ist äußerst angenelim. Prof. Jullian ist
ein Gelehrter, der wie kaum einer der Lebenden das Thema
beherrscht. Seit mehr als zwei Dezennien hat er die Fragen
immer wieder durchdacht und durchgearbeitet. Die dritte Auflage
von Fustel de Goulanges histoire des institulions poliiiqiies de
Vancienne France 1891 stammt von ihm, ,,Gallia" {tableau som-
maire de la Gaule saus la doniination romaine) ließ er 1892 er-
scheinen, in der revue historique stehen seine Berichte über die
antiquites nationales igauloises et galloromaines) , ein eigenes Buch
ist dem Nationalhelden Vercingetorix gewidmet, und diese
Liste ist leicht zu erweitern. .So steht Jullian als Meister über
der Materie, und da ihm auch die Sprache willig gehorclit, so
ist es ein Vergnügen, ihm auf seinen Wanderungen zu folgen,
die häufig auch für den Fachmann zu ungeahnten und schönen
Ausblicken führen.
Freilich, Zeit muß der Leser haben, und auf seinen Schein,
eine Geschichte Galliens zu lesen, darf er nicht zu engherzig
bestehen. Ganze Kapitel wie etwa la guerre d'Hannihal (I, 440
bis 503), les Cimbres et Teutons (III, 39 — 92) geben für Gallien
nur wenig aus, und auf vielen Seiten steht nichts auf das Land
und seine Geschichte Bezügliches. Manch andere wieder —
reichlicli viele — sind ausgefüllt mit Betrachtungen über Dinge
und Zustände, von denen wir so gut wie nichts wissen, und alle
Läuschen der alten Autoren werden nacherzählt. Die mit Ketten
im Gefechte verbundenen Cimbern (S. 91) erscheinen ebenso wie
die Hundemassen des märchenhaften Königs Bituit, die mit den
Menschenleibern einer römisclien Armee niclit zu sättigen waren
(S. 17).
Jullian, CdDiillc JliUoire de la Caiüe. 3
Die Freiheit, zu sagen was beliebt, der so manches wissen-
schaftHche Buch in Frankreich jetzt sein embonpoint verdankt,
ist hier in vollen Zügen ausgekostet. Ist sie wie manchenorts
aucli ein Fehler Jullians ?
Man wird die Antwort von der Fiagc nach dem Leserkreis
abhängig machen, für den das Werk gedacht ist. Und dieser ist
nicht klar. Sind es dilettanti, denen die Liebe zum Vaterlande
die Ausdauer zw solcher Lektüre gibt ? Wir werden Frankreicli
beglückwünschen, das ein solches Werk nach manchem ähnlichen
^^orgänger aufzunehmen vermag. Aber wozu dann der ungeheufr
gelehrte Ballast aller Belegstellen, wozu die Seiten voll Literatur
von Dupleix memoires de Gaules 1639 und Althamer commentaria
Germaniae 1536 an bis auf die Einzeluntersuchungen des Jahres
1909 ? Selbst dilettantissimi werden die mit Lokalliteratur ge-
spickten Anmerkungen über diesen oder jenen Punkt im Terrain
nicht zu würdigen vermögen.
Und wieder, wenn das Buch auf die Fachgenossen im engeren
Sinn berechnet ist, dann fehlt bei aller Anmerkerei und aller
Breite die Auseinandersetzung mit entgegenstehenden Meinungen
und die Berücksichtigung ihrer Ergebnisse. Ich für meine Person
z. B. freue mich des Glaubens Jullians an Caesars Glaubwürdig-
keit und halte seine Abweisung der modernen Hyperkritik für
durchaus zutreffend, wie sie bei uns etwa Delbrück treibt, wie
sie gelegentlich auch bei Ferrero zum Durchbrucli kommt bei
seinem Streben, Neues zu sagen. Aber in einem Buche für
Fachgenossen können gegenteilige Meinungen so schwerwiegender
Art nicht in wenigen Zeilen abgetan werden. Die Frage nach
der Entstehung des bellum gallicmn ist nicht erledigt mit dem
Satze «son livre (Caesars) a ehe. improvise, je crois, au cours de
l'hwer de 52 — 51 a. Chr.» (S. 151). Das muß bewiesen werden,
wenn das Buch für die Fachgenossen geschrieben ist. So gut
wie der Zweck der Publikation der commentarn Caesaris und ihre
Stellung in der Literatur erörtert sein wollen. Und andrerseits,
dem Fachgenossen, auch dem geduldigsten, dürfte die Paraphrase
der Caesarischen Denkwürdigkeiten auf 388 Seiten (III, 175 — 563;
bei Teubner umfaßt das bellum galUcum 225 halb so große Seiten)
zu viel sein. Statt der Reden und Listen des Ambiorix, statt
der langen Beschreibung von Ciceros Belagerung hätte ich dann
doch lieber eine längere Erörterung über Ferreros bestechende
Hypothese gesehen, nach der Caesar nach dem zweiten Kriegs-
jahr die Römer mit der Erklärung Galliens zur Provinz düpierte.
Wie denn ein Eingehen auf diese neueste überraschende
Darstellung der Caesarischen Politik wohl am Platz gewesen
wäre.
Der dritte Band stellt dem Verfasser eine andere Auf-
gabe wie die vorhergehenden zwei und wie die nachfolgenden
drei. Es ist der einzige, in dem gallische politische Geschichte zu
1*
4: Referate und Rezensionen. Max L. Sirack.
erzählen und historische Personen zu scliildern waren. Vorher
wissen wir nur Einzelheiten, nachher gibt es keine gesonderte
galüsche Geschichte. Die Schlachten, die man auf Galliens
Boden schlug, gehören der Reichsgeschiciito an; für Jahrhunderte
ist nach 49 v. Clir. mit der Selbständigkeit aucli die selbständige
Geschichte 7ai Ende.
Ist Jullian der Aufgabe gerecht geworden? Nicht su gut
wie sonst. Vielleicht ist dieser Band für die Leser, die doch
wohl in den Gebildeten eines weiteren Kreises zu suclien sind,
iler amüsanteste. Aber Jullians Stärke ist die des Kulturhislori-
kers mehr als die des Historikers. Die Hauptfigur des ganzen
Bandes ist stark verzeichnet. Gaiiis Julius Caesar amoureux de
la victoire jusqu'ä la folie (S. 473), acec une folie de gloire (S. 282)
r/ui a hesoin des victoires itnpossibles et des gloires inconnues (S. 321),
der, mehr als Alexander und Napoleon, immerfort das Opfer
einer unerbittlichen Kraft, von dem Ehrgeiz zu herrschen, be-
jühmt zu sein in aller Welt, berühmter als alle Toten, geschüttelt
wurde ohne Maß und Rast (S. 168) — d e i' Caesar ist ein Fratz.
Und es freut nicht, 7.ur Unterstützung dieses Bildes die alte
Anekdote vom tränenvergießenden, vor Alexanders Statue
stöhnenden Caesar wieder zu lesen. Tyrannische Kraft der
Machtträume soll seinen Verstand umnebelt haben, und er kämpfte
gegen die Naturgewalten, um es dem Herkules gleich zu tun.
Natürlich, auch Jullian erkennt große Züge im Wesen Caesars:
starke Intelligenz, großes Organisationstalent und ungeheure
Arbeitskraft. Aber des Diktators Mensclienkenntnis ging nicht
über die Erfahrung des Arbeiters, der seine Werkzeuge kennt,
seine militärisclie Kapazität war nicht von der Originalität eines
Hannibal oder Napoleon. Kriege wie Kriegsbeschreibung, sie
sind korrekte Werke, die die Schule spüren lassen nicht das
Genie. Für Gallien war Caesar ein Ungeheuer — il na laisse,
de son passage en Gaule, aucun souvenir qui le fasse estimer —
und zur Niederlegung seiner Ausnahmegewalt im Jalu'e 50 v. Clu-.,
wie er es nach dem Gesetze gemußt hätte, fehlte ihm ck-r Mut
und die Ehrbarkeit (vertu).
Man braucht nicht auf Mommsens ,, ersten und doch auch
einzigen Imperator Caesar" eingescliworen zu sein, um Jullians
Cliarakteristik für ganz verfehlt zu Jialten. Die Tatsaelie allein,
die er selbst zu Anfang der zusammenhängenden Schilderung
anführt (S. 167), daß Caesar 43 Jahre alt wurde, ehe er sich über
den Durchschnittsmenschen erhob, hätte ihn vor dem Zerrbild
des ruhmtollen Caesar behüten sollen. Wenn außerordentliche
Taten das Genie bezeugen, so kündet Caesars KriegsfiUirung'
laut seine Größe. Ihm hat kein Gegner im Norden oder im
Süden, mit welcher Macht auch immer er sich ihm entgegenstellte
in Afrika oder Europa, auf die Dauer widerstanden. Aus jeder
Gefahr ging schließlich er als Sieger hervor und das nur durch
JulIüiN^ CnmiUc. Ilisinirc de l<i (ittulc 5
t'igene Strategie und Taktik. Und wenn man die Größe eines
Mannes aus der Herrschaft seiner Ideen, aus dem Fortleben
seines Einflusses messen soll, so gehört Caesar zu den ganz Großen.
Manches auch großen Mannes Gedäclitnis liat die Gescliiclite Ix'-
wahrt, das man tilgen könnte, t»hne sie unverständlich zu machen.
Wer Caesars Namen ei'adierl, z(>rbricht die Kontinuität des
weltgeschichtlichen Verständnisses. Napoleons Geschichte Caesars
ist kein Meisterstück im einzelnen, aber die Vorrede, die der
Kaiser in den Tuilcrien 1862 schrieb und die sich gegen die Hei'alv
siMzung des Genies richtet, liätte sein Tjiindsiiiann .Tullian wohl
in Überlegung zielten dürfen.
Es ist noch ein anderes Urteil, das Verwunderung erregt:
\" e r c i n g e t o rix ebenbürtig dem f I a n n i b a 1 !
(S. 535). Der gallische lläupthng, (h^r im eigenen Lande von
allen Galliern unl erstützt während einer Sommerkampagne dem
Caesar kräftigen Widerstand zu leisten wußte, um nach der
ersten schweren Niederlage die Sache des Vaterlandes verhiren
und sich gefangen zu geben, ebenbürtig dem Punier, der Italien
und Rom in der Zeit ihrer besten Wehrkraft siebzehn Jahre in
Angst und Schrecken bangen ließ und den Weltkrieg entfesselte
im Feindesland als Führer eines buntsclieckigen Söldnerheeres,
wo einer den andern nicht verstand, beargwöhnt und schlecht
unterstützt von der Heimat ? Man staunt, aber vielleicht er-
klären sich diese zwei falschen Urteile gegenseitig. Der retro-
spektive Patriotismus hat sie diktiert: Der ritterliche Held der
sterbenden Freiheit der geliebten Heimat und der fremde, beute-
gierige Imperator — die Versuchung war zu groß, und Jullian
ist ihm erlegen.
Um Manches — Großes und Kleines — ließe sich noch mit
dem Verfasser rechten;^) die Natur der Quellen bringt es mit
sich. Das Gesamturteil wird durch alle ab w^eichenden Meinungen
nicht beeinträchtigt werden, und das hat dahin zu lauten, daß
.Tullians Werk eine hervorragende Stellung in der überreichen
Literatur über Gallien einnimmt und auf lange einnehmen wird.
Wir freuen uns aufrichtig auf die angekündigten Fortsetzungen,
und fügen nur den mehr an den Verlag gerichteten Wunsch
liinzu, dem großen Werke noch größere Brauchbarkeit durch
^) Recht fraglich ist die erst ultramontane, dann nationale Rolle
der Druiden im großen Kampfe (S. 374), — Ariovists Prahlrede, mit
der Caesar in Rom schrecken und seine Politik verteidigen wollte,
darf nicht ernsthaft für politische Pläne des Germanenkönigs in An-
spruch genommen werden (S. 234), — die römischen Legionen sind
nicht wie Akrobaten auf das Schilddach der Germanen in der ^lül-
liauser Schlacht hinauf gesprungen (S. 238), — der Rhein ist zu
Tiberius Zeit links und rechts von Germanen bewohnt, i.st wirklich
Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze, wie Jullian (S. 240)
sagt, — die gemeinsame origo von Germanen und Kelten ist sehr
liestritten (S. 40 und Verweise). U. a. m.
6 Referate und Rezensionen. Jean Acher.
Hinzufügen von Karten zu geben, wie etwa sie Desjardins Geo-
graphie historique et administrative de la Gaule romaine in so
holiem Maße auszeichnet.
Gießen. Max L. Strack.
Vossler. Karl. Die Kunst des ältesten Trobadors (Estr.
dalla MisceUanea di studi in onore di Attilio Hortis).
Trieste, G. Caprin, 1910. (p. 419 ä 440. in 4'\)
Dans son beau livre sur Die göttliche Komödie, M. Vossler
a consacre quelques pages, necessairement un peu sommaires
mais pleines de finesse, aux troubadours, et ce premier essai
de remplacer les banalites d'usage par une critique digne de ce
nom nous a fait ardemment desirer que M. Vossler se decidät
ä publier un livre entier sur ce sujet maltraite entre tous. La
presente etudo nous annoncerait-elle la venue prochaine de ce
livre ? Je ne sais. Toujours est-il que M. Vossler s'y attaque
aux debuts de la poesie des troubadours, ä Tart de Guillaume VIL
Je ne dirai aucun bien de cette etude. Les qualites de
M. Vossler sont connues, et il serait peu utile de redire une fois
de plus ce que tout le monde repete ä propos de chaque ouvrage
nouveau du distingue critique. II me semble que je rendrai
plus dignement hommage au talcnt de M. Vossler en lui sou-
mettant, en toute franchise, les doutes et les objections qui me
sont venus lors de la lecture de sa plaquette.
Le but de cette brochure est de contribucr ä nous faire
mieux comprendre l'histoire des origines de cc que l'auteur croit
etre, ä tort, d'ailleurs, parce qu'il oublie la poesie latine du moyen
äge, ,,la plus ancienne des poesies lyriques modernes". Son
moyen est Tanalyse esthetique des poesies conservees du comte
de Poitiers, et sa conclusion, c'est que Guillaume VII hesite
enfre un art ancien et un art nouveau, ä savoir entre la poesie
po|)ulaire et la poesie courtoise.
C'est donc une conclusion purement historique tiree d'une
etude esthetique. On s'en rejouirait, si les analyses de M. Vossler
apportaient une confirmation ä la theorie qui fait deriver l'art
raffine des poetes courtois des naives ou grossieres chansons
au son desquelles les gars de campagne et les filles de ferme sont
sui)poses avoir fete le printemps anterieurement ä la seconde
moitie du XP siecle. II n'en est malheureusement ricn. Die
Kunst des ältesten Trobadors n'apporto pas le moindre argument
en faveur de cette these pour la raison bien simple qu'elle la
supposc etablie. Que Tart des troubadours procede de l'art du
peuple, c'est un fait pour M. Vossler. II racceptc pour certain.
et en fait la base de ses anah^ses, qui ont pour but, comme je
Tai dit tout ä l'heure, de contribuer ä nous eclairer sur les origines
de la poesie lyriquo provencale (Entstehungsgeschichte p. 419).
Vo>'sk/\ Karl. Die Knnsi des ülicsleii Trobadors. 7
Ccttc Petition de principe nc surprendra personne: outre
que c'est lä le procede ordinaire en histoire conjecturale, et pour
une fois M. Vossler s'cst fait historien conjecturist(\ il ne faut
pas perdre de vue que Tanalyse esthetique est un pietre moyen
d'investigation historiqne, car la valeur esthetique de la poesie
n'est pas d'ordre historique. ,,In Walirheit, avons-nous lu dans
un petit Mvre dont M. Vossler est seul ä avoir perdu le souvenir,
kann nur der Stoff zeitlich und räumlich bedingt sein, die Form
aber, welche das Wesen der Dichtung und der Sprache überhaupt
<>rst ausmacht, bleibt ewig die freie Schöpfung des Geistes".^)
N'exagerons pas la portee de cette meprise. Si la theorie
lies origines populaires de la lyrique courtoise est vraic, M. Vossler
n'aura pas contribue ä nous convaincre de sa justesse. Si par
contre ce sont les idees prönees par M. M. F. Novati, Wilh. Meyer
(de Spire), F. M. Warren et J.-B. Beck qui doivent triompher
un jour, il n'aura pas ä se reprocher d'en avoir rendu le succes
plus difficile. De toute fagon le mal n'est pas grand. La fausse
conclusion d'un livre importe peu si eile n'en est que la conclusion.
Mais Ic plus souvent il n'en est pas ainsi. Le danger des petitions
de principe n'est pas de tromper les lecteurs — l'auteur en est,
pour la plupart, la seule dupe, — mais de gäter le livre par le
fait que la conclusion ä demontrer, acceptee d'emblee pour
certaine, regne en maitresse souveraine dans l'ouvrage entier
et en commande toutes les propositions en qualite de premisse
necessaire.
L'etude de M. Vossler n'echappe pas completement ä cette
regle. Assurement, il y a, dans cette plaquette, des remarques fort
justes et tres fines. M. Vossler a beau vouloir ferrailler dans
l'histoire, il n'y arrive pas; son temperament se montre absolument
rebelle ä cet exercice. Mais on ne mime pas le geste d'autrui
Sans changer quelque peu ses fagons ä soi. Les premiers chapitres
de M. Vossler ne se ressentent pas encore outre mesure de ses
preoccupations d'historien conjecturiste : nous sommes au debut
de l'ouvrage, et le besoin de häter la conclusion n'est pas pressant.
Mais au für et ä mesure qu'on approche de la fin, sa critique
esthetique perd ses qualites habituelles de penetration et de
finesse. Elle devient tout ä fait insuffisante dans l'analyse de
la pieco Compaigno, tant ai agiitz. A propos du vers Non m'azauta.
rons gardatz ni gorcs ses peis, M. Vossler observe : gemeine Natiir-
moral. C'est vrai, mais nous en avions quelque pressentiment
en nous apercevant que M. Jeanroy avait du neghger de traduire
cette piece, dans son edition, pour ne pas mettre notre pudeur
ä une trop rüde epreuve. Senker Dieus, qiiez es del mon capdels
e reis, Qui anc premiers gardet con, com non esteis? L'invocation
ä la divinite, forme, nous revele-t-on, avec la grossierete de
1) Sprache als Schöpfung and EnUvicklung (Heidelberg 1905) p. 95.
8 Referate und Rezensionen. Jean Acher.
l'idee exprimee, un penible contraste. G'est encore vrai, mais
les miss et las mistress anglaises que nous avous eues pour cama-
rades d'etudes nous ont par trop souvent assure que cette piece
etait shocking, awjally shoch^ng pour que nous nous permissions
de concevoir le moindre doute ä cet egard. Le contraste entre
la grossierete cynique et le pieux pathos, qu'il soit intentionnel
ou non, est toujours le signe d'un art barbare, ajoute M. Vossler,
et avec cette phrase il est au bout de son latin. G'est tout ce
qu'il sait nous apprendre au sujet de cette piece. Mais ou cette
phrase n'est qu'une nouvelle manifestation de Thumcur que
M. Vossler eprouve ä la Iccture de notre chanson, et alors olle
n'ajoute rien aux revelations precedentes, ou bien eile constitue
un jugement esthetique, et dans ce cas eile serait assez singuliere.
Gar outre qu'au point de vue esthetique un contraste accidentel
differe un peu d'un contraste intentionnel, il convient de se
rendre compte que lä oü la grossierete devient cynique, l'intention
est necessairement presente. Est-il, au surplus, bien certain
que le procede qui agace M. \' ossler eüt souri ä un ostrogot ?
Voici deux couplets pleins de Witz des Zynikers et qui ne manquent
])as de Pathos des Predigers:
Meum est propositum in taberna mori;
Sit uinum appositum morientis ori,
Ut dicant, cum uenerint, angelorum chori:
,,Deus sit propicius huic potatori".
Magis quam ecclesiam diligo tabernam;
Ipsam nullo tempore spreui, neque spernam,
Donec sanctos angelos uenientes cernam
Gantantes pro ebriis requiem eternam.
Ges vers sont librcs, mais ils nc sont pas d'un rustre. 11s peuvent
offusquer un devot et provoquer l'indignation d'un adherent
de la Groix Bleue, mais ils ne denotent nullement la main d'un
sauvage naivement brutal de l'epoque des invasions.
Si les poesies licencieuses de Guilluume n'ont pas trouve
gräce devant M. Vossler, la chanson Pos de chantar oü le comte
prend conge du monde n'a guere ete jugee moins severement par lui.
Gette piece deplait a M. Vossler, et il nous en dit ses raisons. Gela
nous nmseigne sur ses goüts poetiques, et nous ne nous en plaignons
pas. Mais l'opinion de M. Vossjer lui est personnello; la plupnrt
des lecteurs d(; Guillaume de Poitiers, ä commencei' })ar Diez,
se sont trouves emus par cette chanson. M. Vossler le sait,
mais il n'en a eure. II a tort parce que la fonction de la critique
<'stlietique n'est pas de motiver, meme avec ingeniosite, des
predilections ou des aversions individuelles, mais bien d'etudier
les moyens gräce auxquels le poete a produit sur ses lecteurs
l'effet esthetique voulu par lui. M. Vossler me repondra sans
doute qu'il n'est pas facile d'expliquer ;i d'autres ce qu'on ne
Deux ancicns poeoies iiirdils siir saint Simon de Cr/'py. 9
coniprend pas soi-meme, et quo, n'entendant rii'n a notrc emotion,
il est cmbarrasse de nous on expliquor les causes. C'est
une opinion. Ce qui m'y inquiete, c'est que M. Vossler, qui
tient aux etiquettes, veut que la critique esthetique porte celle
de la science, et que je ne suis pas bien certain que les termino-
logistes, qui sont des gens pedants, consentent ä faire cet innocent
lidnneur ä uno critique impressioniste. Car des goüts et des
eouleurs on no dispute pas, et les raisons de nos preferences
personnelles n'ont pas la force convaincante necessaire pour
s'imposer ä autrui. Elles nous eclairent sur l'etat d'esprit du
critique plutot qu'elles ne contribuent ä nous faire mieux com-
prendro Toeuvre critiquec. Je sais fort bien que tout notre
savoir est plus ou moins subjectif, et que, quoi que nous fassions,
notre moi deteindra toujours sur notre science. Mais il ne faut
pas eriger en principe ce qui n'est qu'une infirmite de notre
entendement. Le goüt des hommes est variable, mais il n'en
est pas moins vrai que notre sens du beau repose sur un certain
nombre de notions communes ä tous. La critique esthetique
gagnerait ä faire abstraction de ce qui est particulier au critique
pour n'operer qu'avec le sens esthetique commun. A defaut
de raisons theoriques, le simple souci de requite lui commanderait
d'agir ainsi. Car les troubadours, je le dis sans mauvaise Intention,
ne composaient pas leurs chansons pour le deduit particuHer de
M. Vossler, mais pour le plaisir de tous les amis de leur art, et
il est peu equitable de tancer vertement le comte de Poitiers
parce qu'il manque un succes qui n'entrait pout-etre pas dans
ses previsions.
Paris. Jean Acher.
l>eiix ancienii* poemes inedits sur saiut Simon
de Crepy, publies avec une introduction, des notes
et deux glossaires par E. W a 1 b e r g. Lund, 1909.
(Extrait des Ann. de V Universite de Lund, nouv. serie,
section I, vol. 6.) 93 pages in 8*^.
Dans ce volume, imprime avec un rare soin, M. Walberg
public deux petits poemes sur s. Simon de Crepi: \^ D o u conte
S y mo n , en alexandrins accouples deux par deux, incomplet
de la fin ;" 2 ' L'h istoire du filz du conte de C r es p i
en vers de huit syllabes, extrait du Tombel de Chartrose.
L'introduction comprend, outre une etude, sobre mais precise,
sur le Saint et sa legende, des notices detaillees sur la tradition
manuscrite, la langue, la versification et la date des deux poemes.
Le seul reproche qu'on puisse faire ä M. Walberg, c'est d'avoir
mis un peu de pedanterie dans la composition de ces notices.
Je ne vois vraiment pas l'interet de citer, p. ex., ä propos de la
rime bien connue Pere (Petrum): pere (patrem), de nouveaux
iO Referate und Rezensionen. Jean. Acher.
exemples de ce traitement ni de repeter, ä l'occasion de la forme
femier, une explication banale de la forme moderne furnier, ni
d'appuyer par l'autorite de MM. Rydberg et Nyrop la forme, si
frequente ä la hasse epoque, du pron. pars. ton. masc. dat. /i, ni
d'observer au sujet du mot niisere: „inutile de dire que c'est
un mot savant." Oui, c'est parfaitement inutile, et c'est pourquoi
cette plirase, comme bien d'autres encore dans l'introduction de
M. Walberg, est de trop. Cette reserve faite, je n'ai qu'ä louer
Tauteur. Son etude, claire et precise, est tres bien conduite.
11 s'y est pourtant glisse quelques erreurs assez fächeuses. P. 18.
aisius {plus aigres qu'aisius 28) est le nom. non de l'adjectif aisif,
mais du substantif aisil, vinaigre. — P. 20 n. 4. afaire n'est
pas souvent masc. en vieux frangais (M. Walberg eprouve le
J3esoin d'en citer des exemples!), il Test toujours. — P. 22. i^oir,
poir du ms. doivent s'interpreter non comme les formes amuies
par le copiste de vle]oir, p{o]oir, mais comme coir, po'ir, formes
usuelles dans le Nord. — P. 22. La conservation parfaite de la
declinaison dans un texte qu'on attribue ä la Picardie n'autorise
pas ä le dater de la premiere moitie du XIIP sieclc ou ,,peut-
etre dejä de la fin du XIF- siecle", la persistance tardive de la
declinaison etant precisement caracteristique pour cette region.
L'etude de la versification est exempte de ces negligences,
mais on est surpris que M. Walberg n'ait pas eprouve le besoin
de nous renseigner sur la maniere dont se comporte ki cesure
dans le poeme Dou conte Symon, lequel est ecrit en alexandrins.
Un vers oü la coupe ne pourrait etre faite qu'en separant des
mots etroitement lies ensemble, comme p. ex. Ou eil soiit dont
li sains / ei>angile raconte 20 est-il isole ou frequent dans le poeme ?
II importerait d'ctre renseigne ä ce sujet.
Les deux textes sont edites avec soin. La tradition manu-
scrite du poeme en octosyllabes, qui date de la premiere moitie
du XIV*^ s., etant fort satisfaisante, M. Walberg n'a pas eu
beaucoup de peine ä en etablir le texte critique. II n'en a pas
ete de meme du poeme en alexandrins, dont le manuscrit uniquc,
du ä un copiste assez negligent, avait frequemment besoin d'etre
emende. M. Walberg s'est acquitte avec beaucoup de tact et
de goüt de cette täche delicate. Je n'ai que tres peu de remarques
ä presenter sur cette partie de son travail. V. 23. je maintiendrais
la legon manuscrite Que. C. dohles li erl, .son bien guerredonnes,
qui est aussi correctc que la le^on conjecturale de Tediteur:
Qu'a. C. dohles. — V. 84. Lisez: Que par. I. poi qu'il n'est de
puor (ms. paor) entouchiez, en entendant: ,,que pour un peu il
serait empoisonne par la puanteur.'' — V. 100. /. crapaut enchan-
cous, lisez: enchauQOUs. Sauf erreur, ce mot n'a encore ete Signale
dans aucun texte. Sa formation .et sa signification sont pourtant
transparentes: c'est un adjectif forme sur le subst. enchaus;
son sens ne peut etre que ,,agressif". — V. 104. desouz, lisez:
Delix anciens poemes inklits siir saiiit Simon de Crepy. 1 1
desoiir cf. v. 120. — V. 112. ejjue^ quo M. Walberg est si embarrasse
(rexpliquer, est le participc passe d'un verbe dont la forme nor-
male est, a rinl'initif, esfo'ir; onsait que la conjugaison de ce verbe,
comme celle de beaucoup de verbes en -ir, est fortement influencee
par Celle des verbes en -er (cf. Risop, Stiid. z. Gesch. der frz. Konjiig.
auf -iV, aux endroits indiques ä l'index h. v.)\ le verbe desfoer,
un doublet d(> desfdir, a exerce ici en particulier son influence.
Le sens du passage est: ,,j'ai eu grand tort de deterrer le cadavn;
de votre perc (cf. v. 97, 19); le sergcnt qui vous a dit tantot la
verite, ne vous a point conte une fable."
Le texte de chacun des deux poemes est suivi de notes
explicatives et d'un glossaire. Dans les ,, notes", il y a de nouveau
des remarques bien pedantes, comme p. ex. celles oü l'on nous
apprend que l'emploi d'awi'r morl = avoir tue ,,se retrouve
encore de nos jours aussi bien en Italien qu'en espagnol", que
l'omission du regime pronominal direct 3'' ps. devant un regime
pronominal indirect 3*^ ps. {li seul pour le li) est frequente en
vieux francais, qu'eAre, ailleurs oirre iter, est une forme modifiee
sous l'influence d'errer (pourquoi pas un substantif forme directe-
ment sur errer?)^ que fr. mod. miroir n'a pas le meme suffixe
que le v. fr. mireor etc. etc.
Les glossaires sont assez copieux, mais on ne saisit pas le
principe dont l'auteur s'est inspire pour les composer. Ce ne
sont ni des glossaires des mots rares ou difficiles ni des glossaires
complets. II serait vraiment temps que les editeurs des anciens
textes prissent Tliabitude de mettre un peu plus de discernement
dans Faccomplissement de cette partie de leur travail. Les
personnes qui lisent les textes vieux francais n'ont pas besoin
qu'on leur explique la signification des mots tels que ainc, ainz,
cwi ender, andeiis, aparant, apendre, apert, auciin, bon, chaloir etc.
Par contre, elles ne seraient pas fächees de connaitre l'etendue
du vocabulaire des poetes qu'ils lisent, et quand il s'agit de textes
aussi courts que les deux poemes publies par M. ^^'alberg, elles
pourraient meme, semble-t-il, demander ä l'editeur de relever tous
les vocables en indiquant tous les passages oü ils se rencontrent.
L'exemplo donne si heureusement par M. de Boer dans son edition
de Phüomena meriterait d'etre suivi.
Le livre se termine par une copieuse ,, Bibliographie". En
contemplant cette longue liste (trois pages de petit texte), un
lecteur non prevenu pourrait etre tente de croire que le mince
sujet de la legende de s. Simon de Crepi avait fait couler des
flots d'encre depuis le XVI F siecle jusqu'ä MM. Meyer-Lübke et
Nyrop. II n'en est evidemment rien, et la ,, Bibliographie" de
M. Walberg n'est qu'une liste des ouvrages consultes par lui ä
un titre quelconque. Aussi son utilite est-elle mediocre. D'autant
plus mediocre que M. Walberg cite les coUections comme le
Journal des Savants^ la Romania ou les Acta Sanctorum des
12 Fiejeralc und Rezensionen. Jean Acher.
Bollandistes sans indiquer le volume et la page auxquels il se
r«';fere. Le but de Tauteur, qui etait de nous montrer l'etendue
precise de ses lectures, sp troiive ainsi raanque.
Paris. Jean Acher.
Vorstehender Besprechung sei mir verstattet einige Be-
merkungen über die Reimkunst des Alexandriner-Textes hinzu-
zufügen: Über die Reime des ersten Textes bemerkt der Heraus-
geber nur, daß 42 der 161 (richtig 162) Reime weibhcli und 52
der männhchen Reime „leonimisch" seien, die anderen seien bis
auf wenige Ausnahmen ,, reich" und hebt hervor, daß plusieurs
exeniples der Bindung eines Reimwortes mit sich selbst begegneten.
Demgegenüber ist zu konstatieren, daß der Dichter sichtlich
bestrebt war homonyme oder derivative Reime zu verwenden.
Ich zähle im ganzen 91, welche so bezeichnet werden müssen.
iJavon sollen nach W. 55 a .1. cop und 203 diex voiis delivrera
dem Kopisten zur Last fallen. Weitere homonyme Reime sind
161 gens (Leute), 193 munde (Welt), 255 departirent: se d., 107,
197 grant: en g., 93 a gre: de §■. ; 25 avoir sb: inf., 121 ho(i)che
(Mund):(3s.c.v.&o«^er;,97co/?,^e(Erzäh]img): (Graf), 191 conte{?,h.):
(p. p.), 273 main (Hand): (Morgen), 53 mains (Hände): (weniger),
181 m.anoir (inf): (sbst.), 265 mis (blos): (keiner), 167 oie (pp.):
(sbst.), 199 poings (Fäuste): (Punkt), 321 ne point: a p., 33 roliers
(sbst.): (adj.), 37 saus (Sou): (sahos), l savoir {M): (sbst.), 91
sori (3s.): (sbst.); 65 aperte: ä perte, 35 apris: ä pris, 231 faut riens:
fauriens, 135 la tour: l'atour, 187 navres: n'avrez. unter den deri-
vativen Reimen reimt entweder Simplex: Kompositum: 225
malaise: nise, 307 mesaises: aises, 283 hatre: comb., 141 chief:
nieschief, 115 cole: escole: (3 s.), 211 desconfortez: conf., 17 conter:
}nesc., 165 confe: rac, 9 contee: rac, 95 raconis: c, 147 croive:
mesc, 41, 227, 237 faif: meif., m faiie: parj., ^03fist:forf.^ 235 jure:
parj., 157 lessier: esL, 201 lii>re: del., 47 demetre: m.. 195 munder:
esmonder, 77 oi'rir: descovrir, 79 overs: desco., 313 purtir: dep.
213 parLi: dep., 317 departie: p., 315 departirent: p., 185 esperdu:
p., 7 prandre: ap., 201 pris: apris, 119 seoir: ras. 125 seri>i: des.
101 torne: atorne, 49 tout: partout, 311 vint: conv., 137 aviegne:
veigne; 19 conte (sbst.): rac. (3 s.), 81 fiere (adj.): afiere (3 s. c),
67 dejois (Schutz): fois (Mal), 69 eforce (3 s.): force (sbst.), 123
eonfus: jus (2s.), 45 gieu: Mongieu, 207 delai (sbst.): lai (1 s.),
179 demandez (2 pl.): mandez (pp.)-. H" esmerveille (3 s.): meri^eiUe
(sbst.), 269 peüssent (v. peoir): repeuissent (v. paistre), 243, 271
semble (3 s.): ensemhle (adv.), 177 fort (sbst.): retort (3 s. c), 43,
131 (^ie (sbst.): renvie, 233: renvie; oder Kompositum mit Kern-
positum: 159 devant: avant, 5 enbracier: reb., 23 guerredoner:
adonner, 245 aprist: esprist, 3 maintenir: retenir, 75 convint:
avint, 135 desvoloir: hienvohir 135. Unter den von W. als leo-
JäntsIröiH, FaUv. ftcciicH de cliansDiis picuses du XIIP siede. 13
nimische oder reicho Reime au Ige faßten linden sich zweifellos
noch manche, die der Dichter als homonyme oder derivative Reime
aufgefaßt hat z. B.: 39 menu: (com)me nu, 51 estote: toute, 109,
293 merci: ci, 21 nioi: amoi. Beachtung verdient aucii, daß er
öfter:? nicht einfach li'onimisch (vom Vokal vorletzter Silbe aus),
sondern reich leonimisch (vomCons., der dem vorletzten Vokal vor-
aufgeht, an) reimt, 151 acoiisummes: son mes, 215 vestement: juste-
ment, 279 conscience : pacience. Interessant sind ferner Reime,
die ich als doppelt reiche bezeichnen möchte (bei Verschieden-
heit des Vokals vorletzter Silbe reimt der diesem voraufgehende
Konsonant): 13 Simons: semons, 71 moustier: niestiei\ 85 Vacoit:
le voit, 127 faussetes: assotes. Auch die grammatischen Reime
17_20, 49 bis 52, 77—80, 193—196, 201—204, 313—318 sind
beabsichtigt, und zu ihnen gesellen sich analoge Spielereien im
Innern der Verse.
Greifswald. E. Stengel.
Järiiüitröiii, Edw. Reaieil de chansons pieuses du XIIP
siede., tome I. (Annales Academiae Scientiarum Fen-
nicae. Ser. B. Tom. III. no. 1.) Helsinki [= Helsingfors]
1910. Suomalaisen Tiedeakatemian Toimituksia. 176
-1- IV pages in 8*^.
M. Järnström public ici la premiere partie d'un recueil de
chansons pieuses qu'il a entrepris de former sur le conseil de
M. Bedier. Les poesies reunies dans ce volume ne donnent pas
une idee bien avantageuse du talent des trouveres devots qui
les ont composees. Elles sont, sauf de tres rares exceptions,
d'une mediocrite desolante, et comme la plupart d'entre elles ont
dejä ete publiees ailleurs,^) on peut se demander si MM. Bedier
et Järnström n'ont pas presume un peu de l'interet de ce pitoyable
fatras en le jugeant digne d'une edition collective.
L'utilite de cette publication est d'autant plus restreinte
que la partie musicale en est completement bannie. Ce n'est
pas que M. Järnström juge la musique des trouveres depourvue
d'interet. Bien au contraire, il professe d'excellentes idees ä
son endroit, mais il s'excuse de ,,ne pas posseder les dispositions
et les connaissances necessaires" (p. 17) pour aborder Tetude
melodique des chansons publiees par lui. Je crains bien que
M. Järnström ne prejuge trop de son ignorance. Les trouveres
dont il edite les a^uvres etaient, pour la plupart, des imitateurs,
comme il l'a fort bien reconnu lui-meme. II s'agissait donc
d'identifier les melodies qu'ils avaient empruntees en les com-
soixante
et LX\
1) 11 n'v a que dix pieces inedites dans ce recueil, qui en compte
ite cinq. Ce sont les nos: XXV ä XXIX, LVI k LVllI, LXIV
14 Referate und Rezensionen. Jean Acher.
parant ä Celles qiii se lisent au-dessus du texte des chansons
dont la structure strophique a ete, eile aussi, imitee par nos
pieux rimeurs. Et ectte comparaison n'exigeait que des connais-
sances tres sommaires ; M. Järnström les aurait acqiiises facile-
ment en Tespace d'une demi heure. Les intervalles musicaux
sont, en effet, indiques, dans les Chansonniers francais et pro-
vengaux, par des ecartements en hauteur qui correspondent au
mouvement ascendant ou descendant de la melodie et qui sont
aisement mcsurablcs gräce aux lignes, munies de clefs, des portees
musicales. Rien n'est donc plus simple que de comparer le
contour de deux melodies. L'aide d'un musicien, qui n'a nullc-
ment besoin d'etre musicologue, suffirait au besoin pour apprecier
la valeur des variantes qu'on pourrait reucontrer dans l'orne-
mentation de certaines notes du modele, plus riebe ou plus pauvre
par rapport k celle des notes de la chanson imitee.
Cette remarque faite, il convicnt de rendre bommage ä la
maniere dont M. Järnström a congu sa publication. Apres
une courte introduction, qui contient une description des
manuscrits et une appreeiation sommaire des poesies publiecs
(une etude litteraire plus substantielle semblc etre reservee pour
le tome II), M. Jänström publie les textes en faisant preceder
cbaque piece d'une notice divisee en paragrapbes suivants:
Manuscrits, Editions, Versification et, s'il y a lieu, Classement
des mss., Origine [= dialecte dont se servait Tauleur], Auteur.
Des notes explicatives, qu'on soubaiterait, ä la verite, un peu
moins maigres, suivent le texte.
Le morceau de re^istance des noticos preliminaires constitue
l'etude de la versification. On regrette que dans cette etude
M. Järnström ne consacre pas la moindre remarque ä la oesure
des decasyllabes, qui sont pourtant assez nombreux dans le
recueil.2) Meme quand il rencontre, dans une piece en decasyl-
labes ä cesure reguliere sur le temps fort de la deuxiemc mesure
musicale, un vers aussi choquant que Qiiar niis ne s'i porroif
tant asservir XXI, 5, il passe sans y preter attention.
Le texte des chansons est etabli convenablement; un errata
de dimensions inusitees y apportc, au surplus, de menues ame-
liorations. Le glossaire est venu moins bien. Je ne parle ni d(i
quelques articles defectueux ni meme d'un penchant de M. Järn-
ström de se contenter par trop souvent de rendre le sens des
vieux vocables grosso m.odo^ par des ä peu pres, parfois
tout a fait insuffisants ; ce sont lä des defauts d'execution dont
il scrait injuste de s'offusquer outro mesure. Mais ce qu'on ne
peut laisser passer sans protestation, c'est l'amenagemcnt meme
du glossaire. On cherchcrait vainement le principe qui a guide
2) Deux i'ois seulement M. Järnström accorde, par exception,
son attention a la cesure, dans les notes sur les vers XXXVII, 9
et LIX, 29.
JänisiröiN. Edw. Recucil de cliansons pieimcf; du XIII' siede. 15
M. Järnströiu dans raccomplissomcnt de cctte partie de son
travail: c'est son bon plaisir seul qui seinble avoir decide que
tcl mot serait cnregistre au glossaire et que tel autre en
serait ecarte. IVI. Järnström pouvait evidcmmeiiL sc dispcnser
de munir sa publication, qui est un recueil I'actioo de pieees de
l)rovenancos diverses, d'un vocabulaire oomplet concu sur Je
modele de l'index de Philomena de M. de Boer, mais au lieu
de se borner ä donner la traduction plus ou moins fidele de
vocables choisis au petit bonlieur, il aurait pu imiter l'exemple
donne par M. Appel cn son edition de Balaam et Josaphat oA,
faire un glossaire qui contribuät reellement ä nous renseigner
sur les fagons de s'exprimor des poetes publies dans le recueil.
Je termine par quelques observations de detail.
P. 16. C'est moins dans les sermons, les litanies et les prieres
que dans la poesie religieuse latine qu'il faut chercher l'origine
des lieux communs que devcloppent les trouveres devots. — C'est
aussi a tort que M. Järnström a cru pouvoir s'attendre ä rencontrer
dans les chansons pieuses des ,,traits se rapportant ä la vie cour-
toise et aux moeurs feodales". La devotion n'a rien ä faire avec
la courtoisie ni avec l'organisation feodale de l'ancienne France.
Piece II. M. Järnström semble employer les termes syrma
et pedes dans un sens absolument oppose ä celui que Dante
attribuait ä ces vocables. — V. 15. La lecon de C est preferable
ä Celle adoptee dans le texte.
Pieco III. Dans les vers dont il s'agit il n'y a pas de coupe,
mais bien pause apres la cinquieme syllabe. — Un decasyllabe
ordinaire n'a rien de commun avec le vers forme par la reunion
de deux vers de cinq syllabcs, voy. Beck, Melodien der Trouba-
dours p. 183, sqq., un ouvrage dont la connaissance est indispensable
aux editeurs des poesies lyriques.
Piece XIX, 31. En abandonnant Ja legon de F, l'editeur
perd de vue que mes (magis) est älteste par Faccord des deux
mss., qu'il donne un sens satisfaisant et que le texte critique
obtenu par le melange confus des lecons des deux mss. est d'un
frangais bien contestable et passablement obscur.
Piece XXI, 4. En separant convenablement les lettres, on
obtient la lecon irreprochable Or ai mespris, mes eniend reservir,
garantie par l'accord des deux mss., que M. Järnström abandonne
pour proposer une legon conjecturale dont le moindre defaut
est de repeter la rime du vers 2.
Piece XXV, 9. La Vierge est appelee ici Mere sanz acointier
pareil. M. Järnström fait lä-dessus l'observation suivante:
,^pareil est neutre", sans dire comment il entend ce vers oü il
n'y a pas, semble-t-il, de place pour un neutre. J'entends par
pareil (acc. sg. masc.) le mari de Notre Dame, et je traduis:
Mere, sans avoir connu (textuellement: sans connaitre) charnelle-
ment le mari.
16 RefercUe und Rezensionen. Jean Acher.
Piece XXVI. Toute la remarque est ä biffer. 11 n'est pas
question d'engager quoi que ce soit en fief dans cette Strophe. On
y fait rhommage lige, ce qui est tres loin d'etre la meme chose.
— L'auteur de la piece n'y proteste nullement de son Intention
de ne pas prier devant l'image de la Vierge. La lijance qu'il
lui fait comporte, comme on le pense bien, ce ,,servise". — Con-
bateor du v. 26 sont evidemment des champions et non des Jon-
gleurs. Sur la coutume de faire raser le chef des champions avant
le combat voy. Ducange-Henschel, v^ campio t. II, p. 66, un
autre ouvrage que M. Jänström a le grand tort de bouder.
Piece XXVIII, 8. La correction de M. ^Vallensköld (p. III)
est ä rejeter. II faut lire Que mes ciiers muet de pesance. La
3^ pers. sg. pres. ind. de movoir a ete fautivement lue par le
copiste du ms. ou par l'editeur miies. Le sens du vers est: que
mon coeur se departit de sa tristesse, textucllement: qu'il s'en
eloigne, s'en separe.
Piece XXXII, 4 sq. II faut conserver l'excellent texte du
ms., en ponctuant: Ki s'onor ait^ en honor et en pris Serait moneis
el graut jor del jiiis. Moneis., que l'editeur n'a pas compris, est
la forme lorraine du part. pas. du verbe dont l'equivalent francais
est niener.
Piece XXXIV. A la liste des imitations de la melodie Quant
voi la glaie meure (Ray. 2107) il convient d'ajouter une chanson
latinc d'Adam de la Bassee publiee dans les Analecla hijmnica
XLVIII n« 313 p. 303.
Piece XXXV. La nute est ä biffer. Le sens du vers est:
et encore je ne faiblis point dans mon peclie, je continue d'y
demeurer.
Piece XLMI, 11. J'ai les plus grands doutes sur l'exactitude
de l'interpretation proposee dans la note sur ce vers. Je crains
que l'idee d'un ciel ,,ombreux, agreable par la fraicheur" ne
soit plus musulmane que chretienne, et je propose de voir, dans
le vers 11, une incise venant interrompre la suite des idees ex-
primees dans les vers 10 et 12 (,,De qui la douceur rassasie tout
le monde, cette douceur oü Ton prend d'autant plus grande
part qu'on s'humilie davantagc") et signifianl: gräce ä vous
l'enfer nous perd.
Piece XLIX, 28. La note est ä biffer. Mairier son grant
duel est une expression stereotype ä laquelle il n'y a rien ä
changer, voy. p. ex. Por ces. IL fix son grant dael inaine et maire
RCambr. 2634 (incompris par l'editeur au gloss. v*^ maire). L'idee
du moyen äge semble avoir ete qu'en epanchant sa douleur,
on la ramollissait comme de la cire [mairier est le mot technique
pour designer l'action de petrir la cire, action envisagee, bien
entendu, au point de vue de l'effet produit), qu'on l'epuisait
en quelque fiorte comme si l'on la macerait ou mortifiait.
Jäni.strön/^ Edw. liecueil de cJiaii'ioiis pieiises dn XI IF siede. 17
Piece L. L'etude que M. Järnström consacre a la versi-
fication do cetlc piece est ä rayer. Voici comment j'entends la
structure rythmique et strophique de cette chanson.'^)
7 - ^ + 6 - - - De la mere Jesucrisf, chansonette voil faire,
id. Qui par sai bontei conquif lou regne et lou dowaire
8- - Et lou siege de paraidix;
id. De son chant tous mc resbaudis.
6 - - + 6 ^ - An joie et an desduf dovons nous estre tuit,
id. Car bien nos puet aidier' et metre an son condut.
Les deux premiers vers sont formes cliacun par la reunion de
deiix vers courts, ä savoir 7-- et 6---. G'est une imitation
du vers latin medieval Chorus prömit uirginüm' iam gaüdid
millend, qui lui-memc n'est qu'une variete du vers dit des vagants:
Meum est propösitüm in taberna möri,^) variete oü la syllabe
anacrousique du deuxieme hemistiche {iam) occupe la place de
la pause separant les deux hemistiches du vers-type.^) Les vers
de huit syllabes n'appellent pas d'observation. Pour ce qui est
des alexandrins, je les rythme, ici comme ailleurs, en premier
mode 6 -^ - + 6 " -, bien que M. Beck propose de les lire, en
principe, en troisieme mode.^)
L'auteur de notre piece recherche la rime ä l'hemistiche sans
pourtant vouloir s'en faire une Obligation. Ce sont surtout les
alexandrins qui le tentent; aussi la licence qu'il se permet dans
les deux dernieres stropbes, oü ces vers riment chacun avec son
hemistiche et avec son hemistiche seulement, ne ehoque-t-elle
3) Je marque la place de la cesure par im point mis au-dessus de
ia ligne. J'indiqne la structure rythmique de chaque vers en notant,
ä gauche du texte, le nombre de syllabes et la cadence finale de chaque
membre, ce qui suffit, meme pour les personnes les moins familieres
avec la theorie de l'interpretation modale, ä reconnaitre le ryth e
du vers.
*) Les deux vers apparaissont en effet simultanement, voy.
W. Mever (de Spire), Gesammelte Abhandlungen z. mittellat. Rythmik
(1905) I p. 304 et p. 308.
^) Cette pause se reduit donc necessaii'ement, dans notre vers,
ä une cesure (coupe). — Avec la terminaison masculine, notre vers
se rencontre dans un motet de Wolffenbüttel (Stimming XXXI)
Quant froidure trait a fin' encontre la saison, ce qui correspond au latin
Agminä militie- celeslis ömniä, voy. Beck, Melod. der Troubadours,
p. 188. — D'autres exemples de ce vers, avec une explication singuliere,
dans Jeanroy, Origines de la poesie lyrique p. 352.
^) op. cit. p. 188. J'avoue ne pas comprendre comment M. Beck,
qui, d'accord avec les Leys d-amors, decompose tres exactement l'alexan-
drin en deux vers courts de six syllabes chacun, a pu s'aviser de le
comparer au vers de neuf syllabes. Pour moi, l'alexandrin frangais
est inseparable de l'alexandrin latin du moj^en äge, lequel, ayant
l'antepenultieme syllabe de chaque hemistiche obligatoirement accen-
tuee (les infractions, peu nombreuses, ä cette regle sont des licences),
ne peut etre rythme qu'en premier mode: expönens pr(>fer^fm' süb
Ml dum WiVis.
Ztsclir. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII^ 2
18 Heferate und Rezensionen. Walther Küchler.
pas outre mesure. — Le premior hemistiche de str. II, v. 2 est
trop court, mais la corroction proposee dubitativemcnt par
M. Järnström est peu heureuse. Je lirais: Bien lai dov\e\roit
avoir' chascuns en rememhrance. — Le premier vers de la str. III
est correct; c'est M. Järnström qui l'a defigure en se meprenant
sur la place de la coupe. II laut lire: Quant Dens voit ke sa
meire est' a genoiis por loii monde. — Au lieu de lire ravant-dernier
vers de la str. IV: Bien avez siaz rescous' ke venut au dezous et
de proposer, en note, la correction: ke venut sont dezous, qui
n'ameliore guere le texte, je lis, sans rien changer au manuscrit,
mais en en interpretant convenablement la graphie: k' Eve mit
au dezous.
Piece LI, 5. La note est ä biffer. Querele ne signifie pas
,,tort", mais designe le proces qui se plaidera au jugement dernier.
Le sens du vers est: augmentera les chances du ealut eternel.
— De meme la note du v. 8 est ä rayer.
Paris. Jean Acher.
l<aiiKOii, CriiKtave. Manuel bibliographique de la litterature
franQaise moderne 1500 — 1900, t. II dix-soptieme siede,
in 8'\ XIX + S. 239—529. Paris, Haclietto et Cio.
1910. 4 fr.
In dankenswerter Weise hat bald nach dem Erscheinen
des ersten Bandes Lanson den zweiten Band seines bibliographischen
Handbuches zur neueren französischen Literaturgeschichte folgen
lassen. Wie im ersten Bande, so ist auch hier Vollständigkeit
nicht erstrebt. Das Werk richtet sich nach des Verfassers Ab-
sicht in erster Linie an die Studenten und Lernenden. Aber
auch dem Forscher wird es eine willkommene und schätzens-
werte Basis für seine Arbeiten werden. Neuerscheinungen der
literarhistorischen Forschung und Kritik sind bis zum Jahre
1909 einschließlich berücksichtigt.
Die Benutzung wird mit Hilfe des Inhaltsverzeichnisses
auch dem Anfänger nicht allzuviel Schwierigkeiten bereiten;
immerhin wird eine gewisse Vertrautheit mit der Literatur des
Jahrhunderts vorausgesetzt.
Die Anordnung ist zu billigen. Nicht ganz verständlich
ist, warum in Kapitel VII Libertins und Jansenisten zusammen-
geworfen sind. Der Nichteingeweihte könnte zu der Annahme
verleitet werden, er habe es hier mit gleichen oder ähnlichen
Stimmungen zu tun; auch die Anschauungen des schon etwas
Fortgeschrittenen möchten leicht in Verwirrung geraten. Der
Gedanke etwa, daß der Jansenismus ganz besonders geeignet
gewesen ist, die Libertinagc des Jahrhunderts zu bekämpfen,
würde noch nicht die von Lanson getroffene Disposition rechl-
l'ertigen.
Siniel, Helle. Jaeqnes Amyn(, Iraducteiir des Vies Paralleles (^'c. 19
In erfreulichem Gegensatz zu elcin ersten Bande sind nur
sehr wenig Fehler im Druck deutscher Namen und Büchertitel
zu verzeichnen. No. 3418 heißt es Scliutz Gora statt Schullz-
Gora.
Ein allerdings nicht vollständiges \'erzeichnis cUt Errata
des ersten Bandes ist dem zweiten Bande beigegeben.
Gießen. Walther Küchler.
Htiirel. Rene. Jacques Amyol, tradiicleiir des Vies Paralleles
de Pliitarque. Avec quatre fac-similes. Paris, H. Cham-
pion, 1909. (Bibliotheque Litteraire de la Renaissance,
dirigee par P. de Nolhac et L. Dorez. Premiere serio,
tome huitieme). XVI, 646 S.
Diese aus Studien an der Pariser Universität hervorge-
gangene, G. Lanson zugeeignete Arbeit ist ein Muster philo-
logischer Akribie. Ein erster ,,bio-bibliographischer" Teil (1 — 148)
arbeitet sich durch den Wust von Anekdoten und falschen An-
gaben hindurch, der das Leben Amyots umsponnen hat, und
stellt unter Benutzung aller Hilfsmittel, der Ausgaben, kollatio-
nierten Exemplare und Handschriften Amyots mit möglichster
Genauigkeit alle Tatsachen und Daten fest, die für die einzelnen
Stadien seiner lebenslangen Arbeit an der Plutarchübersetzung
von Wert sind. Der zweite Teil (149 — 594) untersucht die Über-
setzung selbst nach Inhalt, Sprache und Stil, stellt die Ausgaben
und Hilfsmittel fest, deren sich Amyot bedient hat, vergleicht
sie mit den verschiedenen Redaktionen der Übersetzung seit den
ersten Manuskripten von 1542 — 46, studiert an den aufeinander
folgenden Ausgaben (1559, 1565, 1583 und der posthumen von
Morel 1619) immer unter Heranziehung der Vorlagen und Hand-
schriften die Fortschritte des Übersetzers und Stilisten und
liefert der selbständigen Nachprüfung ausreichendes Material
durch Anführung der zeitgenössischen griechischen Texte. Ver-
schiedene Anhänge, darunter ein Stammbaum der Ausgaben,
Fac-similes, Wörter- und Namenverzeichnisse erhöhen die Brauch-
barkeit des Buches. Die sprachUch-grammatischen Unter-
suchungen, die durch einen besonderen Index zusammengefaßt
werden, sind wertvoll, aber noch nicht als abschließend zu be-
trachten.
Die Ergebnisse sind sehr vielseitig, ^^'ir heben nur weniges
heraus. Die ersten Franz I. gewidmeten Manuskripte (1542 — 46),
die Verf. entdeckt hat, zeigen noch den Anfänger, der häufig
seinem Bestreben nach Klarheit die Genauigkeit opfert. Auf
einer vierjährigen Reise in Italien vergleicht Amyot die Hand-
schriften der Markusbibliothek in \^enedig und des Vatikans
und benutzt die so gewonnenen Varianten für seine erste Ausgabe
2*
20 Referate und Rezensionen. JI. Sehoeii.
(1559), die zugleich einen großen Reichtum neuer Erklärungen,
stilistischer Besserungen und das Studium aller zur Zeit zu er-
langenden Hilfsmittel aufweist. Mit unermüdlichem Fleiße
setzt Amyot in den folgenden Jahren seine Arbeit in demselben
Sinne fort, indem er alle neu erscheinenden Werke, auch die
deutscher Gelehrter, für die Ausgabe von 1565 berücksichtigt.
Einer neuen Durchsicht, bei der alle inzwischen erschienenen
Hilfsmittel benutzt wurden, unterzog er seine Arbeit 1580 — 83,
wo die dritte und, bei seinen Lebzeiten, letzte Ausgabe erschien.
Den großen Wert der Plutarchübersetzung Amyots, die, wie
das Buch von Zangroniz über Montaigne (1906) bewiesen hat,
auf einen der berühmtesten Zeitgenossen großen Einfluß übte,
findet St. in der trotz aller gelehrten Mittel populären Anpassung
des antiken Geistes an die moderne französische, aus der Re-
naissance aufsteigende Kultur. Seine sorgfältig gefeilte Spraciie
entwickelt sich immer mehr zum reinen klassischen Französich.
So hat er durch Inhalt und Form seines Lebenswerkes das große
Zeitalter der französischen Literatur lieraufführen helfen.
Dresden. Wolfgang Martini.
I>r. Ai'maing^aud. Montaigne pamplüctaire, Venigme da
Contr'un, XVI, 341 p. Paris, Hachctte, 1910. Fr. 3,50.
Un Probleme fort interessant passionne depuis quatre ans
les critiques qui s'occupent de la litterature frangaise du seizieme
siecle. Apres avoir publie plusieurs travaux importants sur
Montaigne, un medccin bordelais, le docteur Armaingaud, a
entrepris de prouver que Touvrage intitule «Discoiirs de la Servi-
tude volontaire>> ou «Le Contr'un>>, attribue jusqu'ä present a
La Boetie, est en realite, du moins dans ses parties essentielles,
Toeuvre de l'auteur des Essais, qui en aurait fait un pamphlet
contre Henri III.
Le savant admirateur de Montaigne a tout d'abord soumis
sa these au public dans deux articles de la Revue politique et
pariementaire (mars et mai 1906). II en a ensuite defendu vigou-
reusement les differents points contre ses nombreux contra-
dicteurs. II vient de reunir tous ses arguments dans un volume
fort bien ecrit et tres bien compose, suivi de nombreux docu-
ments et du texte du Contr'un, d'apres l'edition de 1577.
II soutient sa these avec tant de conviction et d'enthousiasjne
qu'il a seduit de prime abord non seulement la plupart des lecteurs
non inities, mais aussi des critiques avertis et experimentes.
Tels M. Henri M o n o d , dans un article recent de la Revue
de Paris}) intitule «Montaigne apris la Saint-Barthelemy», M.
1) 1. Mars 1910.
Dr. Armaingaud Moiildigne p(i/nj)lilel(iir(\ l'eiiigmc iluConlr'un. 21
L e () n S ö c h e , le savant directeur de la Revue de la Renaissance,
M. Edmund Huguet, professeur ä l'Universite de Caen,
M. P a u I S l ;i p f e r , dont on connait les beaux ouvrages sur
Montaigne et les Essais, M. EdmeChampion, dont Vlntro-
duction ä Vetiide des Essais a jete une lumiere nouvelle sur la
Psychologie de Montaigne, M. E. C o u r b e t , l'auteur de la
derniere edition achevee des Essais, et, tout recemment, M.
Henri Labroue, dans la Revolution frangaise (14. Sept.
1910).-) Et, comme il etait naturel dans un debat qui touche
ä l'histoire de la Saint-Barthelemy, les theologiens so melerent
aux debats: mon cousin, M. N a t h a n a e 1 W e i s s , le savant
bibliothecaire de la Sociele de l'histoire du protestantisme franfais,
accueillait avec Sympathie l'hypothese nouvelle et se rejouissait
de voir le röle joue par Montaigne dans la lutte ardentc entre
les huguenots persecutes et la tyrannie detestee.'^)
En face de ces partisans convaincus de M. Armaingaud se
sont leves des adversaires non moins ardents. Citons parmi eux:
M. Paul B 0 n n e f o n , auteur de livres sur La Boetie et sur
Montaigne, qui attaqua la nouvelle hypothese dans la revue oü
eile fut emise pour la premiere fois ;*) M. Pierre V i 11 e y ,
qui preparait un iraportant ouvrage sur les sources de Montaigne,
dans la Revue d'Hisioire litteraire de la France ;''') M. F. S t r o w s k i ,
qui travaillait ä l'edition municipale des Essais,^) M. R e i n -
li o 1 d D e z e i m e r i s , dans une seance de FAcademie des
Sciences et Belles-Lettres de Bordeaux, M. H e n r i B a r c k -
hausen, dans la Revue historique de Rordeaux,"') M. J o s e p h
B a r r e r e , dans une etude sur La Boetie et Machiavel,*^) M.
D e 1 a r u e 11 e , dans la Revue d'histoire litteraire,^) et surtout
le savant professeur de l'Universite de Clermont, M. Henri
Hauser, dans la Revue historique (nov.-dec. 1910) et dans la
Revue Critique (7 juillet et 10 novembre 1910).
En presenco de cette polemique ardente, essayons d'indiquer,
aussi impartialement que possible, quelle est la these de M. Ar-
maingaud dans son livre recent et quels sont les arguments de
ses adversaires.
-) De meme, parmi les savants allemands, M. Elkan, dans
une lettre particuliere encore inedite et fort interessante ä M. Ar-
maingaud.
3) Bulletin de la Societe de VHisioire du Protestantisme jrancais,
mars-avril, 1910, p. 187—189.
*) Revue politique et parlementaire , janvier, 1907.
5) Oct.-Nov. 1906.
6) Sur rohjectif reel du Discours de la Servitude volontaire, Bor-
deaux, 1907.
'^) mars-avril 1907.
^) Etienne de La Boetie contre Nicolas Machicwcl, Bordeaux
1908.
9) Janvier-mars 1910.
22 Heferate und Rezensionen. H. Sehoen.
Le point de depart de la demonstration de M. Armaingaud
est le fait quo, d'apres lui, le tyran attaque dans le Contr'un
est posterieur ä la mort de La Boetie.
Le roi que cet ecrivain a pu connaitro est un prince beau
et vigoureux, adroit et agile, d'une stature imposante et habile
a tous les sports de son temps. Henri II est proclame loi alors
que La Boetie avait dix-sept ans. 11 succombe dans un tournoi
peu avant la mort de l'ecrivain. 11 est repute comme ecuyer
dans le monde entier; il est l'amant de Diane de Poitiers et il a
eu de son epouse legitime une dizaine de fils et de filles. Le
tyran du Contr'un., faible et chetif, sans courage comme sans
energie, «le plus lasche et femelin de la nation», incapable de
resister ou de lutter, «ä grand peine accoustume au sable des
tournois et empesche de servir ä la moindro femmelette>>, ne peut
donc etre Henri II.
M. Armaingaud ne voit pas davantage auquel des i)rede-
cesseurs de ce monarque pourrait s'appliquer le celebre portrait
du tyran dans le pamphlet (p. 3).
II est, par contre, un \'alois ä la physionomie duquel s'a-
dapte en tous points, selon lui, le portrait que nous etudions:
c'est Henri III, d'abord duc d'Anjou, roi de Pologne au moment
ou paralt le premier fragment du Contr'un (1574), roi de France
dopuis plus de deux ans au moment oü Ton en public le texte
integral (1577). M. Armaingaud est donc arrive ä la conclusion
que ce portrait du tyran, qui, d'apres lui, de peut etre q u'u n
portrait i n d i v i d u e 1 , «est celui, non du \'alois qui
regnait quand La Boetie aurait pu le composer, mais du Valois
(jiii allait regner, ou qui regnait en France, au moment oü le
Contr'un a ete public, c'est-ä-dire en l8(74 et en 1^77» (p. 5 — 6).
Car ce prince etait tout le contraire de son vaillant pere. Tous
les historiens dignes de foi le decrivent comme un jeune homme
de sante delicate, affaibli quant au physique et plus faible encore
<|iiant au moral, epuise par la luxure et par des vices trop precoces.
Autant Henri 1 1 etait inl'atigable et amateur de jeux et d'exercices
en plein air, autant son fils etait craintif et lache. II passait
pour l'homme le moins courageux et le plus effemine (\\\ pays
de France.
Non seulement le portrait du Contr'un ressemblf» donc ä
I'original historique, mais, dit M. Armaingaud, ce sont precisement
les traits les plus inattendus chez le despote type, qui corres-
pondent le mieux a la realite. L'ocuvre n'est donc pas «un
traite theoriqu(> contre la tyrannie en general: c'est un pamphlet
politique» (p. -iO). Beaucoup de faits importants qu'elle fletrit
sont posterieui's ä la mort de La Boetie, etant survenus dans
les cinq annees qui ont precede la publication integrale de la
celebre satire (1577).
I)r. Aniiaiii<^ait(J. Montaigne paniphlclaire, l'eiiignie duCoiilr'iiit. 23
Des lors, il faut cesscr d'attribuer lo Discours de la Serviliide
voloniaire a La Boetie, qui est mort plusieurs annees avanl
que Henri 111 ait ete proclame roi de France (p. 90). El
M. Armaingaud se voit ainsi amene ä en chcrcher l'auteur
parmi los ennemis naturels d'Henri III, dans les cercles pro-
tostants et parmi les philosophes, plus enclins pcut-ctre que
(l'autres citoyons ä se faire les apötres de la toleranre et de
riiumanite.
Une l'ois lanee dans eette voie, notre auteur devait inime-
diatement songer ä Montaigne (1533 — 1592), dont la mere etait
protestante, ami lui-meme des huguenots, et qui fut precisement
eontomporain d'Henri III, ayant atteint un äge beaucoup plus
avance que La Boetie.
Cependant, une objection tres forte se presentait ici ä notre
historien.
Montaigne lui-meme nous donne le Contr'un comme un
discours redige par un jeune homme de dix-huit ou meme, selon
une correction posterieure, de seize ans, en l'honneur de la liberte
opprimee par la tyrannie. D'apres lui, ce pamphlet litteraire
aurait ete trouve au milieu des notes que La Boetie, sui' son
lit de mort, legua a son fidele ami.^*^)
Si cette affirmation devait etre prise ä la lettre, il faudrait
renoncer ä voir en Montaigne l'auteur de la satire.
Mais il suffit d'y regarder de pres, pour constater qu'elle est
sujette ä caution. Montaigne s'est bäte de faire paraitre les
ecrits laisses par son ami. Or, le fameux Discours ne s'y trouve
pas. Comment expliquer cette Omission ? Pourquoi Montaigne
eüt-il differe la publication de l'oeuvre qui a ete consideree comme
Touvrage capital de son ami et qui correspondait si bien ä ses
propres sentiments ?
Et, quelques annees plus tard, dans les Essais, lorsquo
Montaigne redige le beau cbapitre sur VAmitie, qu'il nous donne
tout d'abord comme une occasion de faire connaitre le pampblet
de son ami, on se demande pourquoi il renonce ä nous donner
la Satire promise. S'il ne tient pas sa promesse, c'est donc qu'il
en est empeche , qu'il n'a pas trouve l'ouvrage en question pai-mi
les papiers de La Boetie.
De toute facon, un doute surgitdans notre esprit relativeniont
ä l'affirmation de Montaigne.
M. Armaingaud suppose donc que ce que dit Montaigne n'est
qu'une ruse de guerre.^^) Si, comme nous le faisait pressentir
l'etude bistorique du Contr'un et du milieu qui l'a certainement
inspire, l'auteur des Essais est aussi celui des parties les plus
importantes du Discours, on comprend qu'il ait eprouve le besoin
1**) V. Armaingaud, p. 42 scj.
11) |). 71—74.'
24 Referate und Rezensionen. H. Schoen.
de se mettre k couvert sous Tautorite de son ami. Celui-ci, en
effet, n'avait plus rien ä craindre de personne, ayant echappe
par ]a mort aux poursuites du tyran abhorre.
Des lors, il est permis, selon M. Armaingaud, de supposer
qu'il y avait, en effet, parmi les papiers de La Boetie, une note,
une esquisse ou une breve dissertation contre la tyrannie, et c'est
cette courte ebauche que l'auteur des Essais aurait remaniee,
developpee, illustree d'allusions historiques aux evenements de
snn temps.
Dans cette liypothese, on comprend les analogies d'idees
et meme de style entre les Essais et le Contr'un. Retire dans
son habitation du Perigord, Montaigne lance l'anatheme contre
le tyran. Mais, conformement ä son caractere, il le fait pru-
demment, sans se decouvrir. II veut bien rendre Service ä ses
amis huguenots, mais ä la condition de ne pas s'exposer au
feu de Tennemi.
En cela, il ne fait, du reste, que suivre la methode qui lui
avait reussi precedemment. De meme qu'il s'etait efface derriere
les noms veneres d'un Plutarque et d'un Seneque pour lancer
dans le public les jugements les plus hardis, de meme il se sert
du nom respecte de La Boetie pour venir en aide ä ses amis
persecutes.
Teile est, brievement resumee, la theso interessante et
nouvelle du docteur Armaingaud.
Si habilement presentee qu'elle soit, Targumentation serree
du savant medecin n'a pas reussi a faire diparaitre tous les
doutes.
M. B-o n n e f o n , dont Tattaque fut la premiere en date,
ne peut admettre que le tyran du pamphlet soit Henri III, et
veut que le Contr'un soit tout entier et La Boetie.
M. S t r o w s k y accorde ä M. Armaingaud que le tyran
du Contr'un pourrait etre un tyran determine, mais il pretend
que ce tyran est Charles IX et ne peut aucunement etre
Henri III de Valois.
M. D e z 0 i m e r i s veut y voir le portrait du roi
Charles VI.
M. V i 1 1 e y reconnait que, si le Discours de La Boetie a
subi des remaniements importants, c'est Montaigne qui doit
etre designe comme l'auteur ou tout au moins le complice de ces
interpolations, mais il nie ces remaniements.
M. B a r c k h a u s e n cherche ä etablir que les contem-
porains de la publication du Contr'un n'y ont jamais reconnu
les allusions ä Henri 111 et ä sa politique; et son eleve, M. J o -
seph Barrere, s'efforce de demontrer que l'auteur du Dis-
cours de la Servitude a a^ouIu ecrire la contre-partie du Prince
de Machiavel.
Dr. .[rnuiiiiiiuud. Montaigne pnmphletairi', ('ciiigine (hiCont.r'uu. 25
A tous ces critiqucs, M. Arinaingaud a vaillamment repondu,
d'abord dans des articles de revues ou dans des brochurcs isolees,
puis dans son livre recent.
Mais, le mieux arme de ses adversaires est, sans eontredit,
^I. le prol'eHseur Henri Häuser qiii, dans la Revue critiqiie,^-)
reprond ses arguments un ä un et le poursuit jusque dans ses
derniers retranchements.
M. Hauser montre que les fragments du Contr'an, anterieurs
ä la publication du texte definitif en 1577, doivent etre pris
1 1) u t d'abord en consideration. Or, ils ont paru des les
Premiers mois de 1574, dans l'edition fran^aise complete en deux
dialogues, et dans la seconde edition latine — complete eile
aussi — du Reveüle-matin des Frangais.
A cette epoque, c'est Charles IX et non Henri III qui regnait
sur la France. Et, comme la plupart des passages oü M. Armain-
gaud croit demeler un tyran reel sont dejä dans le texte de 1774,
ils ne peuvent se rapporter, d'apres M. Hauser, ä Henri III.
«Pas une seule fois, dit le savant critique, ni dans les pieces limi-
naires du Receille-matin, ni dans les 159 pages du premier dialogue,
ni dans les 192 du second, p a s une fois 1 e «tyran» n'e s t
identifie avec le roi de Pologne, couramment
appele le «frere du tyran». Partout, sans aucune excep-
tio n , ces mots : «le tyran», designent Charles IX,
e t 1 u i s e u I. Et c'est contre Charles «que les auteurs provo-
quent le poignard des Brutus». Ils detestent tout autant, je
l'accorde, son frere Henri. Mais ce frere est loin; les Polonais
Tont conduit, lui et ses serviteurs, «captifs sous les lois de leur
patrie»; ils veilleront ä ce que «jamais plus ces bestes farouches
ne retournent pour mordre» les Frangais. La bete qu'il-faut
abattre, c'est l'homme que, par un anagramme transparent,
Eusebe Philadelphe appelle le «Chasseur deloyal», Charles de
Valois, ou, comme il dit, en un energique raccourci, Charles
le Tyran.»^'"')
De plus, M. Hauser pretend, apres M. Delaruelle,^^) que les
principales phrases du Contr'un contre la tyrannie sont in-
spirees par des textes antiques. La oü M. Armaingaud croit
voir Henri III, il n'y a que Neron; lä oü l'on croit reconnaitre
Madame du Guast, il faut hre Poppee.^^)
II resulte donc pour M. Hauser que, lorsque les huguenots
firent pour la premiere fois usage des fragments du Contr'un
dans les premiers mois de 1574, ils ne pouvaient songer ä les
appliquer et ne les ont appliques en effet qu'ä Charles IX. Quel-
que haine qu'ils aient eprouvee ä cette epoque pour le roi de
12) p. 1—10, No. 27. lOlO.
13) p. 4-5.
1*) p. 6 sq.
15) p. 8.
26 Referate und Rezensionen. //. Schoen.
Polognc, c'est bien le roi de France, «le chasseui' deloyal», qui est
pour eiix le tyran.
Quoique transforme par l'usage qu'ils en fönten un pamphlet
politique et revolutionnaire, Ic Discours de la Boetie reste pour
M. Hauser l'oeuvre d'un rhetoricien, une Imitation de textes
antiques.
A ces arguments si serres M. Armaingaud repond dans la
Revue critique du 13 — 20 octobre 1910 que, meme en 1574, le
tyran designe par le Conir'un est, non le roi de France, malade
et presque mourant, mais bien Henri de Valois, alors roi de Po-
lognc, qui allait nionter sur le trone de France. ^^) II montre
combien peu les details de la description du «hommeau» concordent
avec ce que nous savons de Neron par Tacite^^) et par Suetone,^^)
et combien la mention de la P 1 e i a d e et celle de la F r a n -
ciade de Ronsard (publiee en 1572) ressemblent ä des inter-
polations qu'on ne peut attribuer ä La Boetie. ^^)
Et M. Hauser, qui pretend terminer la lutte, replique, le
10 novembre, toujours dans la Revue critique, que dans le texte
du Reveille-matin, le tyran malmene est 89 fois Charles IX.
On ne comprend donc pas comment l'auteur de ces dialogues
qui contiennent les premiers Fragments connus du Contr'un,
aurait pu utiliser et ins er er un texte qui, tout-ä-coup,
aurait introduit dans le corps de son ouvrage un autre tyran
que celui qu'il attaque. C'est lä, peut-etre, l'argument le plus
fort en faveur de la these de M. Hauser. Cependant, la psychologie
d'un homme qui utilise et remanie des textes au seizieme siecle
est, pour lo critique moderne, une chose si delicate et si
mysterieuse que Ton ne saurait voir dans cet argument une
preuve absolument decisive.
On voit que l'interessant tournoi, dont nous n'avons pu
indiquer que les phases principales, est loin d'etre entierement
termine. Bien des polemiques surgiront encore autour du nouveau
Probleme avant qu'une Solution definitive inteivienne — si tant
est qu'elle s'impose jamais.
En attendant la lumiere plus complete qui doit jaillir de la
discussion, que doit penser, a c t u e 1 1 e m e n t , le critique
objectif et impartial de Tetat present de la question.
II est bien difficile de prendre parti des aujourd'hui d'une
fa§on absolument definitive. Personnellement, j'ai tout d'abord
ete tres frappe des arguments de M. Ai'maingaud; mais une
etude plus approfondie du Conir'un m'a montre que sa Solution
1«) p. 263—265.
1') Annales XVI, 15.
^^] N e r o , 51.
i^i p. 272—274. Cf. H. Monod, Mmünignc nprcs la Sainl-
Barthelemy, Revue de Paris, 1 mars 1910.
/);•. Annain^awL Montaigne patnphlHaire^ l'enigmc (UiConlr'iin. 27
nc resolvaiL pas toutos les difficultes suulevees par lo celebre
discours.
Ce qui l'ait la l'orco de M. Armaingaud, ce sont les divergences
de vues de ses adversaires. La force de ses contradicleurs reside
dans le fait qu'ils oublient leurs propres divisions pour inonter
ä l'assaut de sa thes(\
Ce qui parait certain, c'est quo le probleme des (jrigines
du Contr'un est plus complique qu'on ne l'a cru jusqu'ici. II
semble bien que sa redaction trahisso au moins deux mains
differentes. L'oeuvre contient de la rhetorique et meme des
puerilites qui n'auraient pas echappe ä Montaigne, du moins
(laus un ouvrage oi'iginal qu'il aurait lance dans l'arene sous son
propre nom. D'autre part, il y a des pages qu'un garcon de
seize ou dix-huit ans n'a guere pu ecrire.
La part de La Boetie ou d'un autre ecrivain anterieur ä la
redaction definitive pourrait etre plus considerable que ne le
pense le docteur Armaingaud, celle de l'auteur des Essais doit
etre plus importante qu'on ne l'a cru jusqu'ici.
Tous deux auraient eu unc part importante dans la redaction
de l'oeuvre. Cela ne les diminuerait ni l'un ni l'autre; car, comme
le dit fort bien M. Henri Monod, une teile collaboration et une
teile amitie «elevent ceux qu'elles possedent . . . Ces deux belles
ämes se sont en quelque sorte amalgamees. Ou encore, ce sont
des vases communiquants: on ne les imagine pas ä des niveaux
differents>>.20)
Arrivera-t-on jamais ä faire le partage exact de ce qui appar-
tient ä chacun des auteurs presumes du Contr'un? Cela n'est
pas certain. Les questions de remaniements et d'interpolations
sont parmi les plus delicates qui existent, surtout quand il s'agit
d'artistes aussi habiles que Montaigne.
Quoi qu'il en soit, ]\L Armaingaud a le tres grand merite
d'avoir attire I'attention sur les origines mysterieuses du Contr'un.
sui' les difficultes qu'il souleve, sur la maniere dont travaille
Montaigne, sur sa facon de juger la Saint-Barthelemy et, en
general, sur l'une des periodes les plus dramatiques et les plus
captivantes de l'histoire politique, religieuse, sociale et litteraire
de la France.
Paris. H. Schoen.
P. S. L'auteur de ces lignes manquerait ä tous ses devoir
s'il omettait de remercier M. Armaingaud de l'extreme obligeance
avec laquelle il a bien voulu mettre ä sa disposition tous les
documents qui pouvaient lui etre utiles. — Dans une lettre
recente, l'aimable docteur nous annonce qu'il va repondre ä la
-") Voir rarticle cife. p. 12.5. dans la Revue de Paris, XVIL 5.
du ler mars 1910.
28 Referate und Rezensionen. Josef Frank.
seconde critique de M. Hauser dans Tun des prochains numeros
de la Revue critique. II montrera comment, «dans les premiers
mois qui precedent la publication du Contr'uti, Charles IX etant
tres malade, sa mort etait prevue commc prochaine . . . On
redoutait, nous ecrit-il, le retour en France, pour lui succeder,
de son frere Henri, roi de Pologne, et alors on a introduit dans
le Reveille-j\fatin deux morceaux capitaux qui occupent, Tun
les dernieres, l'autre les premieres pages du volume et ont tres
vraisemblablement ete composes les derniers et revelent les
preoccupations dominantes des auteurs du pamphlet au moment
de la publication.» H. Seh.
NcliilT, Mario. La Fille d'Alliance de Montaigne Marie de
Gonrnay. Essai suivi de ,,L'egalite des liommes et des
femmes" et du ,.Grief des Dames" . Avec des variantes,
des notes, des appendices et un portrait. Paris. Librairie
Honore Champion, Editevu-. 1910.
Marie de Gournay, die ,,fille d'alliance" Montaignes,
verstand es durch ihren hervorragenden Anteil an der Herausgabe
seiner Essais und durch eine schwunghafte Selbstreklame
ihren Namen durch ein unlösliches Band mit dem Michel
Montaignes zu verbinden und sich so einen Teil seiner Unsterb-
lichkeit zu sichern. Es ist also zweifellos eine verdienstliche
Arbeit, ihre Persönlichkeit, besonders aber ihren Anteil an der
PubUkation der Essais genauer zu untersuchen und zu fixieren.
M. Schiff hat dies, so weit wir urteilen können, mit redlichem
Flei(3e.und vielem Geschick getan.
Es seien hier die allerwdchtigsten Ergebnisse in aller Kürze
mitgeteilt. Als Marie de Gournay die 1580 zum ersten Male
erschienenen Essais kennen lernte, war sie kaum 19 Jahre
alt. Sie war von dem Inhalte derselben so entzückt, daß sie
nach ihrem eigenen Geständnisse darüber ganz aus Rand und
Band kam. {,fin estoit prest ä me donner de Vhellehore.") Um ihrem
nunmehrigen Ideal, dem Autor, persönhch näher zu treten (sie hatte
ihn nämlich bisher noch nicht kennen gelernt), wollte sie mit
ihm brieflich verkehren. Da hörte sie, er sei soeben gestorben.
Bald darauf aber erfuhr sie in Paris, daß diese Todesnachricht
sich nicht bestätige und nun überschüttete sie ihn mit so viel
überschwänghchem Lobe, daß er sie aus Dankbarkeit besuchte und
ihr seinen väterlichen Freundschaftsbund anbot, den sie selbst-
verständlich mit größter Begeisterung und Schwärmerei annahm.
Bei einem bald darauf erfolgten Besuche Montaignes in Gournay-
sur-Arronde, dem Wohnsitze Maries, wurde diese Freundschaft
befestigt. Zweifellos hat nun Marie d. G. Montaigne bei seinen
unaufhörlichen Verbesserungs- und Ergänzungsarbeiten an den
Essais kräftig unterstützt, was sie um so besser konnte, als es
Sc/iiff, Mario. Ld Flllc d' AHiancc de Monlaiguc Marif dcdournaij. 29
(las höchste Ziel ilircs Eiirgvizes bildete, sich in das Derdcen und
Fühlen ihi'es Meisters wahlverwandt zu vertiefen und zu einer
-Vi't Inkarnation seines Geistes zu werden. Sie verwuchs aufs
innigste mit seinen Interessen, wobei sie allerdings nicht zu kurz
kam. In diesem Sinne wirkte auch der von ihr 1594 veröffentlichte
.,Proumenoir de M. de Montaigne par sa fille d'alliance"'. Ihre
Korrespondenz mit Montaigne ist leider verloren gegangen. Den
am 13. September 1592 eingetretenen Tod Montaignes erfuhr
Marie de G. erst am 25. April 1593. 15 Monate, nachdem Mon-
taigne gestorben war, erhielt sie die von seiner Mutter gesammelten
und von P. de Brach durchsiebten Papiere. Sie wurde so ge-
wissermaßen die literarische Testamentsvollstreckerin ihres ,,/?ere
d'alliance" und gab nun eine neue, sehr erweiterte Auflage der
Essais heraus. Sie unterzog sicii der von ihr übernommenen
Pflicht mit aller nur möglichen Hingabe. Es ist diese Ausgabe der
Gournay 1595 erschienen und gilt bis heute als die ^.Viilgata"
der Essais. Wenn man auch mehrere von ihr bei der Redaktion
vorgenommene Textveränderungen heute als Unzukömmlich-
keiten und Willkür rügen müßte, so verfuhr sie dabei doch bona
fide und nicht ohne gebührende Pietät. Von Bedeutung ist folgender
Umstand: In der von Marie de G. 1595 veröffentlichten Ausgabe
der ,, Essais" findet sich das erstemal (am Ende des 17. Kap.
des 2. Buches) die Lobrede des Verfassers auf seine ,, fille
d'alliance", die sich dann in der von Marie de G. 1635 (dem
Kardinal von Richelieu gewidmeten) publizierten Ausgabe in
verkürzter und modifizierter Form wiederfindet. Woher kommt
nun, so fragt Schiff, die Unstimmigkeit dieser beiden Lobreden ?
Daß diese Lobrede ganz und gar eine Fälschung der Marie
de G. gewesen sei, ist nicht anzunehmen, da Montaignes An-
erkennung für seine Freundin über allen Zweifel erhaben ist. Dafür
spricht auch folgender Umstand: Das ,,exemplaire de Bordeaux"
(darunter versteht man bekanntlich das von Montaigne selbst
mit reichlichen Zusätzen versehene, noch heute erhaltene Exem-
plar der Es-^aw- Ausgabe von 1588) enthält nämlich am Ende
des 17. Kap. des 2. Buches ein von dem Paläographen Cagnieul
als von Montaignes eigener Hand herrührendes Kreuzeszeichen,
das deutlich auf einen hier einzusclialtenden Zusatz verweist.
S t r o w s k y erwähnt dieses auf einen Einschub hinweisende
Zeichen ebenfalls und bemerkt dazu, auch der fleckige Rand
lasse vermuten, daß er mit einem Nachtrage beklebt war, der
aber im Laufe der Zeit abgefallen ist. Das von der Gournay
als Vorlage für ihre Edition von 1595 benützte Exemplar der
Ausgabe von 1588 (das aber mit d e m ,,e x e m p l a i r e
de Bordeaux" nicht identisch i s t) ist nicht mehr vor-
handen. Es kann also nur als sicher gelten, daß Montaigne an der
in Rede stehenden Stelle eine Interpolation angebracht habe; ob
diese aber die Lobrede auf Marie de G. gewesen sei, ist mindestens
;50 Referalc und Hezensionen. Josef Frank.
nicht ausgemaclit. Es gibt nachzudenken, daß diese Lobrede
in der 1635er Ausgabe gegen den Wortlaut in der 1595er Aus-
gabe stark restringiert erscheint. Strowsky will gefunden haben,
daß die ängstliche Befangenheit, mit der Marie de G. diese an-
gebliche Lobrede Montaignes wiedergibt, ihr sclilechtes Gewissen
verrate, was aber Schiff nicht herausfühlen will.
Sehr aufgefallen ist es mir, daß wedei' Schiff noch Strowsky
ein Illustrationsfaktum herangezogen haben, welches Marie de G.'s
Unverfrorenheit und Gewissenslosigkeit in literarischen Dingen
besonders grell beleuchtet und ganz danach angetan ist. ihi' die
unverschämtesten und frechsten Fälschungen zuzumuten. Ich
meine nämlich das Attentat, das sie auf die Dichtungen Ronsards
versuchte, dessen Gelingen nur durch ihre Entlarvung von
Seiten Colletets vereitelt wurde. Ich entnehme dies folgendem
(bei Schiff S. 34 A. 2 zitierten) Berichte Colletets: ,,.4 ce propos
il fallt qiie je dise que je n'ay jamais approiwe le bizarre dessein
de Marie le Jars de Gournay, qui avoit entrepris de corriger les
plus nobles poesies de Ronsard, pour les adoucir, disoit-elle, et
les accommoder ä notre style. Et de faict, eile eul la hardiesse de
mettre les mains sur celles-cy et de les publier mesmes avee quelques
autres oeuvres, precedees d'un avertissernent par lequel eile donnoit
advis au lecteur, quelle avoit heureusement trouve nri eocemplaire
de tous les ceuvres de Ronsard, revues et corrigees par l'autear
et de sa main propre; ce qui estoit absolument faux, comnie eile
nie Vadvoua elle-mesme, en nie donnant cet eschantillon d'oeuvres
corrigees. Aussi luy dis-je des lors tant qu'il resteroit un Colletet au
nionde, on scauroit par luy l'erreur et la vanite de cette siipposition ."
Ich kann hier aus Raumrücksichten diese Frage nicht weiter
verfolgen! Wer sich dafür interessiert, findet das einschlägige
Material bei Schiff (1. c.) weiter ausgeführt, wo er auch nach-
lesen kann, daß Marie de G. die eherne Stirne hatte, ihre Lügen
in einer Widmung an Ludwig XIII. zu wiederholen.
Auch was wir sonst von ihr hören, khngt nicht sehr erbaulich,
obgleich Justus Lipsius in einem Anfalle von exzessiver Galanterie
sich zu dem Komplimente versteigt, daß er in der Bewunderung ihrer
geistigen Überlegenheit es bedauere, als Mann und nicht als Weib
auf die Welt gekommen zu sein. An eine persönliche Begegnung
.Maries mit Justus Lipsius in Belgien will Schiff (im Gegensatz
zu Bonnefon) nicht glauben, da sie bei ihrer Selbstgefälligkeit
und Ruhmredigkeit ein solches Ereignis gewiß nicht unerwähnt
gelassen hätte. Im allgemeinen w^urde sie als Schriftstellerin
nicht sehr ernst genommen und viel verlacht, obzwar sie in alle
y.eitbewegenden Fragen mit ihrer Feder eingriff und als alte
.lungf(H' sogar pädagogische Direktiven geben wollte. In keinem
Falle vergaß sie aber ihre Solbstberäuclierung. Jedenfalls
hatte sie auch böse Feinde: Balzac bedauert in einem Briefe
an Chapelain, daß Marie, trotzdem sie ihm dies vor kurzem in
Mdugain, (jübricl. hocnnieitli hiblio'^rafici cl rrilici elc. 31
Aussicht gestellt habe, noch iiinuor nicht gestorben sei, und einige
ihrer Gegner haben sie, da sie eifrig alchimistische Studien he-
ti'ieb, sogar als Hexe ausgeschrieen. Unter ihren zahlreichen
hintiM'iassenen Werken finden sicli auch viele kleine Gedichte
an ihre Katzen. Die äußerliche schriftstellerische Eigenart
Montaignes hat sie ihm auch gut abgeguckt, besonders die Derb-
heit, mit der er alle Natürlichkeiten beim wahren Namen nennt;
ihr fehlt aber außer anderen hervorragenden Begabungen ihres Vor-
bilds die schon infolge ihrer maßlosen Eitelkeit unmöghch gemachte
Unbefangenheit der Selbstbeobachtung und Selbsterkenntnis.
Sehr interessant ist, daß Mari(> auch als feministische Frauen-
rechtlerin auf den Kampfplatz tritt. Sie hatte sich in dieser
Eigenschaft schon in ihrer ersten großen Vorrede zu den
E.ssais (die in den Ausgaben von 1598, 1600, 1602 und 1604
auf zehn Zeilen zusammengeschrumpfte) betätigt. Am kräftigsten
aber macht sie sich in dieser Richtung geltend in der ,,Egalite
des Hommes et des Femmes" (1622) und in dem ,,Grief des Dames"
(1626); beide Schriften sind bei Schiff nebst manchem anderen
beachtenswerten Anhange abgedruckt und werden gewiß ihre
Leser finden. Ich schließe diese Besprechung des sehr dankens-
werten Schiffsclien Buches mit seinen \A'orten: ,, Marie deGournay
a donne trois preuves de hon sens qiii siiffiraient ä lui assiirer la
Sympathie d'iin lecteur attentif et inparfial: eile a ete devouee ä
la memoire de Montaigne; eile ä admire Ronsard; eile a eu son
avis siir toiiles sortes de questions et, en depit de sa jiipe, eile a sii
le dire liautemenl."
\\ i 0 n - H i e t z i n y. Josef Frank.
^laiigam, lil-abriel. Documenti hibliograjici e critici per la
storia della fortuna del Fenelon in Italia. Paris, Cham-
pion, 1910. pp. XXI. 229.
'E, come il titolo l'indica, uno studio assolutamente biblio-
grafico, che deve esser costato parecchia fatica all' egregio suo
autore ed un pochino anche ai trentatre bibhotecari che l'aiu-
tarono in tale compilazione. Non e possibile, a chi scrive, a
meno di rifare la via percorsa dal M., raddoppiando magari il
numero delle lettere circolari alle biblioteche, l'asserire che qui
sia riunita tutta la fortuna italiana del degno arcivescovo di
Cambrai. Non trovo, per esempio, II mentore cristiano tradotto
dal Fenelon (Telemaco) ecc, Modena, tipi dell' Immacolata Con-
cezione, 1872, opera di un corto Fiuti, ne l'altra traduzione stam-
pata in Germania, ma di penna, credo, italiana: Ermanni
S i n c e r i , Fata Telemachi latine versa cum explicationibus
germanicis etc. Stuttgardiae, Erhard, 1758. So che alla Palatina
esiste una versione del Telemaco in italiano publicata a Parigi
32 Refcralt' und Rezoisioneii. Pietro Toldo.
e che reca la segnatura 22. 4. 2. 1, ma non lio indieazioni piü
esatte, ne potrei dichiarare se, come pare probabile, il M. Tabbia
ricordata. Trattasi, ad ogni modo, di piccolissime dimenticanze
delle quali occorre appena di tenere parola.
II M., con retto senso critico, ha bene impostato e diviso
il proprio Ubro, evitando cosi di smarrirsi nell' ampia e intricata
foresta delle citazioni. Dopo una sobria e utile prefazione —
l'opera tutta e scritta in italiano e dimostra sicura conoscenza della
lingua nostra — , in cui si discorre della fortuna delle opere del
Fenelon nella Penisola, constatando come la massima rinomanza
dello scrittore francese abbia, piü particolarmente, abbracciato
un periodo che va dal 1785 al 1845 e dopo aver indagato acuta-
mente le ragioni di tale rinomanza, TA. esamina il diffondersi
in edizioni o in versioni delle singole opere, le imitazioni che
se ne fecero e i giudizi che se ne recarono. Alcune volle codesta
suddivisione e ancora piü minuta, come nel capitolo III, che
si riferisce al Telemaco:
«Parte prima della bibliografia. — Traduzioni in prosa italiana.
Elementi delle edizioni in prosa ritrovate.
Parte seconda della bibliografia. — Traduzioni poetiche.
Parte terza della bibliografia. — Edizioni in lingua francese
stampate in Italia.
Elementi delle edizioni 81 — 105.
Parte quarta della bibliografia. — Edizioni in duc lingue. ■ —
Edizioni poliglotte.
1*^ Edizioni in francese ed italiano.
2^ Ediziono in inglese ed italiano.
3*^ Edizione in inglese e francese.
4^ Edizione in tedesco ed italiano.
5'^ Edizioni poliglotte.
Elementi delle edizioni in due lingue.»
Ne tale metodo parmi inopportuno, perche risparmia molte
fatiche al ricercatore, come pure al ricercatore provvedono le
lavole bibliografiche o gli indici e taluni cenni biografici intorno
agli autori di cui si notano e riferiscono le traduzioni, lo riduzioni,
le imitazioni e i giudizi. Qualche appunto puö tuttavia muoversi
al diligente raccoglitore. Apro a caso il libro e trovo l'elenco
delle traduzioni poetiche del Telemaco, con questo somplice
N. B. ,,Quanto alle traduzioni poetiche, sono generalmente cosi
libere che ogni ricerca sul testo adottato come modello riesce
vana" e del testo seguito c'importa sino ad un certo punto;
quello che si vuol sapere piuttosto gli e per esempio, se il Telemaco
in ottava rima di Flaminio Scarselli, professore di eloquenza
nella Universitä di Bologna sia.scritto con garbo, se modifica e
in cosa modifica il testo francese e sc aggiunge, come pare proba-
bile e come il M. accenna, qualcosa di suo; infine se adatta al
Maugaiii, (inhiicl. DocKii/rn/i l>i.hUi)'f^riifici d vi'iUci eic 33
proprio paesc e al tempo in cui vivc I'opej'a dclJo seritlort^ straniero.
II M. riferisce un giudizio delle Novelle della Hepubblica letteraria.
Avremmo perferito intendere il suo e cosi ci sarebbe piaciuto di
conoscere cosa sia certo ,,Telemaco in verso sciolto, illustrato
da moltissime annotazioni geografiehe, mitologiche (^ storiche"
dovuto alla penna di Francesco Herman (e clii e questi Herman
di cui invano cerco notizia nelle note biografiche; ilaliano o
tedesco almeno di origine ?), come il (;onte Girolamo Polcastro
rechi in rima le avventure del figlio di Ulisse e cosa valga la
vita e l'analisi dell' opera del Fenelon fatta dall' avvocato Pietro
Balducci. Capita talvolta — ed ebbi occasione d'osservarlo in
altre ricerche — cbe codesti traduttori altro non facciano che
copiarsi e capita pure che certe versioni rivedute e corrette
possano interessarci come indice dei tempi e degli autori. Figu-
rarsi con quali criteri e con quali intenti doveva purgarsi il pur-
gatissimo Telemaco! Cosa sono divenuti gli amori di Calipso e
di Eucaride ? E poiche quest' opera piii dell'altro c'interessa,
osserviamo subito come il cap. IV del M. liunisca un mazzo di
Giudizi diversi intorno ad essa, che spiegano realmente la ragione
della sua lortuna. Prende le messe dall' Andres, il quäle, meglio
deir Arteaga c perche come questo straniero, seppe divulgare
nella Penisola la conoscenza degli scrittori d'Oltr' Alpe e giu-
dicarli con quell' acume di cui spesso i gesuiti diedcro prova:
,,La lode di dare buoni romanzi morali era riservata agli scrittori
moderni; ed il primo che Tabbia meritata e statu nel suo Tele-
maco il Fenelon, al cui sublime talento fortunatamente e riuscito
di fare d'un romanzo un Hbro classico di soda dottrina e di bella
letteratura/' E un giudizio non meno benevolo aveva giä espresso
in certa sua lettera il Muratori: ,,'E un romanzo fatto per inspi-
rare la virtü." Non tutti tuttavia furono di tale parere; gli
amori cosi detti inverecondi delle protagoniste parvero insidie
alle anime innocenti; altri considerarono il libro utile esercizio
per lo studio della mitologia, altri — e fra questi Cesare Cantü —
attribui ad esso persino meriti divinatori. II Fenelon avrebbe
intuito cive 1' 89 e cercato di consigliare al duca di Borgogna una
specie di governo costituzionale, idea questa che, cosi espressa,
non passö nemmeno per la mente dell' autore della Henriade.
Con piü retto criterio, il Falchi gli assegna un posto vicino al
vescovo di Meaux senza negargli tuttavia relazioni d'idee cogli
enciclopedisti ; il Fenelon segue la tesi teocratica, non ammette
autoritä in terra superiore a quella dei sovrani ma vuole che
la ragione li guidi, ne appare troppo persuaso della giustizia e
della bontä dell' ereditarietä. Ad ogni modo non sembra possa
.attribuirsi a lui un ideale superiore a quelli del dispotismo
illuminato.
Spiacquero, ad altri critici itaHani, i troppi elementi didattici
che invadono codesto poema in prosa, e l'avrebbero preferito in
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 3
34 Referale und Rezensionen. Pieiro Tokio.
versi — ed in versi per rappunto lo traducono — come se il
Fenelon avesse scelta la prosa per puro Capriccio e come se il
divenir poeta fosse dipeso soltanto dal suo volere. Romanzi
imitati dal Telemaco non pare ve ne sieno, almeno stando al M.;
rammcnto perö di aver letto, molti anni or sono, certo scrittarello
nostro in due volumi di avventure armene e turche che ricordava,
non foss' altro nel titolo, Topera dell' arcivescovo francese. Eccolo:.
«Ermanno alla posteritä ossia il Telemaco italiano», Firenze,
stamperia Luchi, senza data e senza nome di autore.
II trattato dell' Education des filles ebbe, esso pure, influsso
notevole sul pcnsiero italiano. Gino Capponi, nei suoi Pensieri
suir educazione, imputa ad esso il difetto di sensi aristocratici :
,,J1 Fenelon . . . cercava di provvedere alla virtü delle duchesse
francesi", mentre oggi ,,niuno si porrebbe a scriver libri pe' gen-
tiluomini (come il Locke) o pei^ le duchesse: si scrive per l'uomo:
e l'educazione ch' era per lo innanzi un privilegio di pochi,
dci prediletti della fortuna, si riconobbe alla line . . . come un
diritto, un bisogno, un vincolo dell' umanitä. ,,Altri, col Siciliani,
si ribella alla subordinazione d'un sistema pedagogico al misti-
cismo ed altri inneggia alla proclamazione dei diritti intellettuali
della donna che il libro dell' Arcivescovo propugna. La signora
Paci aggiunge che lo scrittore francese" molto prima del Rousseau,
ha voluto che si consultasse la natura, che non s'imponesse ai
fanciulli una disciplina forzata che ne ammortisce le attivitä,
dimenticando esser quelle dottrine ormai di vecchia data, pro-
clamate in Italia dal Vegio e dal Feitrense ed in Francia dal
Rabelais, dal Montaigne e da cento altri.
Notizie interessanti il M. roccoglie intorno alle relazioni
fra il Fenelon e la Chiesa ed al processo da questa intentatogli
per le sue Dissertazioni sulle massime dei santi, che parvero
quietiste e quel ch'ero peggio, pei censori romani d'Innocenzo XII,
iiioliniste e fra coloro che in Italia discorsero del vivo dibattito
c dell'esemplare ubbidienza dell' insigne prelato, vuol ricordarsi
con il M. il Manzoni, il quäle nelle Osservazieni sulla morale
cattolica, esce in queste parole: ,,La sua (del Fenelon) pronta
e costante sommissione alla condanna delle sue proposizioni,
l'altre sue opere, e tutta la sua vita sono una prova della sin-
ccritä con cui non cessö mai di protestare che non intendeva,
ne di proporre, ne d'accettare cosa alcuna che deviasse meno-
mamente dalla fede della Chiesa", giudizio un po' sbrigativo
sul quäle c' e parecchio da ridirc, sebbene non possa credersi
che il pio arcivescovo seguisse le dottrine di Molinos e il mi-
sticismo della Guyon. Queste e molte altre cose insegna il libro
del M. che perü mai discute e raramente sintetizza le opinioni
le quali corsero in Italia intorno allo scrittore da lui studiato,
ed in questo non possiamo dargli ragione, tanto piü sapendo
ch'egli era in grado di farlo ottimamente.
C.aijje, F. I.c Dra/nc cii Frainr <iu XV IW siele. 35
Oltrc all' oleneo doli' opere drainmatiche tratte dal Tolomaco,
Ic quali interessano, in modo particolare, la storia del melodramma
italiano e che presenta poche lacune, il lottorc troverä nello
studio del M. l'indico dellc lettere del Fenelon ritrovate e pub-
bUcate in ItaUa e in appendice, documento inedito e notevolc,
una epistola lalina autografa, diretta dal prelato francese al
eardinale Enrico Noris e conservata nella ricca c bene ordinata
biblioteca coniunale di Verona. Queste epistola si riferisce
al processo teste citato (1697) e come osserva giustamente il M.
costituisce una nuova prova dell' abilitä colla quäle l'arcivescovo
sostenne la contesa ed anche della vivacita con cui rispondeva
alle contumclie degli avversari.
PlETRO TOLDÜ,
4iiaitYe* F". Le Drame en France au XVI IT' siede. Ouvrage
orne de 16 planches hors texte, en phototypie. Paris,
Armand CoHn, 1910. 600 S. 8'^ Broche 10 fr.
Dieses umfangreiche Werk löst eine beschränktere Aufgabe,
als es nach dem Titel zunächst den Anschein hat: es untersucht
das „Drame" A'on seiner Begründung in Frankreich durch Diderots
,,Fils Natiirel" im Jahre 1757 bis zu seinem vorläufigen Ende
oder seiner Umformung im Jahre 1791, in dem die Assemblee
Nationale am 13. Januar das ^.decret solennel et peremptoire"
von der Freiheit der Theater erließ. Der Ausdruck ,, Drame"
ist im Deutschen kaum wiederzugeben, da er in Frankreich eine
bestimmte historische Bedeutung angenommen hat. Wir pflegen
unter dem viel weiteren Begriff ,, Drama" sämtliche nicht musi-
kalischen Theaterstücke zusammenzufassen, eine Bedeutung,
die das französische Wort gelegentlich auch hat. Man könnte
den engeren französischen Begriff, wie er in obigem Titel ge-
braucht ist, höchstens durcli die Bezeichnungen ,, Schauspiel",
..bürgerliches Trauerspiel" und ,, Rührstück" übersetzen, die
im Deutschen eine ähnliche Bedeutung haben. Es handelt sich
um diejenige populäre dramatische Gattung, die sich in Frank-
reich im Anschluß an Diderots ^,Fils Naturel" 1757 zuerst im
Gegensatz zur klassischen ,,Tragedie" und ,,Comedie" hohen
Stils herausbildete und im 19. Jahrhundert als ,,drame roman-
tiqiie" fortgesetzt wurde.
Der Verf. hat seine Aufgabe für das Drittel des 18. Jahr-
hunderts, das für ihn in Betracht kam. vollständig gelöst. Er
hat Hunderte von gedruckten und ungedruckten, aufgeführten
und nicht aufgeführten Dramen gelesen, die meist schon kurz
nach ihrer Entstehung in die verdiente Vergessenheit versunken
sind, und sucht daraus ein objektives Bild der ganzen Gattung
und ihrer Entwicklung in jener Zeit zu entwerfen. Das sehr
wertvolle Verzeichnis aller zitierten Dramen (557 — 577) aus
36 Referate und Rezensionen. Wolfgang Martini.
jenen 34 Jahren, das auch die ,^comedies serieiises" und die ,,operas-
comiqiies laniioyants" mit umfaßt und außer dem Verweis auf
die Seitenzahlen für jedes Werk Gattung, Aktzahl, sprachliche
Form, Autor, erste Aufführung und Druck, in strittigen Fällen
sogar die verschiedenen Hypothesen angibt, führt 340 Titel auf.
Auch das sehr genaue Autorenregister, das überall zugleich auf
den Dramenindex verweist, ist dankenswert und erleichtert
neben dem ausführhchen Inhaltsverzeichnis die Benutzung des
grundlegenden Buches. Eine einleitende „Notice bibliographique"
(5—13) liefert eine kritische Auswahl aus den benutzten Werken,
die durchgängig das Wertvolle vom Unwichtigen somlert, auch
die deutschen einschlägigen Arbeiten eingehend berücksichtigt,
was in französischen Büchern immerhin selten ist, und die von
gründlicher Sachkenntnis und sicherer Beherrschung des Stoffes
Zeugnis ablegt. Eine Anzahl guter Lichtdrucke von Theater-
szenen aus Werken des 18. Jahrhunderts schmückt das vornehm
ausgestattete Buch.
Deir Verfasser behandelt in vier Hauptteilen den Ursprung,
die Entwicklung, den Stoff und die Form der Gattung, indem
er, um ein allgemein zutreffendes Bild zu zeichnen, mehr auf
die Durchschnittsware, als auf die aus der Masse durch größeren
literarischen Wert hervorragenden Theaterstücke Gewicht legt.
Es sei mir gestattet, einige der wichtigsten Ergebnisse heraus-
zuheben.
Das ,, Drama" geht aus der großen sozialen Umwälzung,
die sich im Frankreich des 18. Jahrhunderts vollzieht, hervor
und stellt sich als die theatrahsche Verwirklichung des bürger-
lichen Ideals jener Zeit dar. Seine Entstehung wurde durch
den Verfall der klassischen Gattungen der Tragödie und Komödie
iiolien Stils und durch den Einfluß der auswärtigen Literaturen
begünstigt. Es hat weniger ästhetisclie als moralische Ziele und
vernachlässigt deshalb auch, mit geringen Ausnahmen (Sedaine),
(lio Wahrheit der psychologischen und sozialen Zeichnung bis
zur Lächerlichkeit. Kühne Neuerungen gegenüber den veralteten
klassischen Konventionen wagt es mehr theoretisch als praktisch.
Aus dem Zwiespalt zwischen den Regeln, die es z. T. doch befolgt,
und einer mißverstandenen Romantik des Inhalts ergibt sich eine
Zwittergeburt, die von der Unfähigkeit zeugt, einen neuen Stil
zu schaffen. Der einzige künstlerische Fortschritt zeigt sich in
der szenischen Darstellung; das Lesedrama verschwindet mehr
und mehr. Mit der fortschreitenden Demokratisierung des sozi-
alen Milieus geht eine Anpassung an immer tiefere Volksschichten
und damit ein Verfall der Gattung Hand in Hand: vom bürger-
lichen Schauspiel in Versen bei de la Chaussee zu dem in Prosa
bei Diderot und Sedaine bis zum Volksschauspiel in niederster
Prosa bei Mercier und Pixerecoürt. Beim Beginn der Revolution
sinkt es vollends und geht im wesentlichen im ,,Melodrame"
(Utifj(% F. Lc Drainc rn Fniiicc an XVI IT siede. 37
unter. Seine Wirkung auf verwandte Gattungen ist am geringsten
bei der Tragödie, am größten beim Lustspiel, in das sich eine
Neigung zur Behandlung ernster moralischer und sozialer Probleme
lünüberrottet. Aus dem historischen Drame ist das liisLorischo
Lustspiel, aus dem ^, Drainc ä arkttes" des 18. Jahrhunderts die
Operette des 19. hervorgegangen. Im Ausland hat das ,, Drame"
am meisten auf Deutschland gewirkt, ist aber als Rührstück
zu einer europäischen Gattung geworden. Der Einfluß auf die
beiden wichtigsten französischen Gattungen des 19. Jahrliunderts,
das romantische Drama und das Lustspiel, ist gering, da iiier
als vermittelndes ZwischengUed hauptsäcldich das Melodramo
in Betracht zu ziehen ist, das wiederum mindestens ebensovielo
Elemente der Tragödie als des Drame in sich vereinigt.
Die Methode des Buches ist wesenthch deskriptiv. Ruliige
Sachlichkeit und vorurteilslose Kritik führen überall die Feder.
Besonders wertvoll ist der wiederholte Hinweis darauf, daß soziale
Wandlungen den Ursprung und die Entwicklung der neuen
Gattung bedingt haben. Auch die auf denselben Weg weisenden
Neuerungen, durch die Voltaire dem alternden Klassizismus
neue Lebensfrische verleihen möchte, werden in das richtige
Licht gerückt (25 ff.). Man könnte wünschen, daß diesem höheren
Gesichtspunkte eine allgemeinere Deutung gegeben worden wäre.
Dadurch wäre z. B. auch der innere Zusammenhang mit i\ev
späteren Romantik deutlicher herausgetreten. Es scheint mir
zweifelhaft, ob die sozialen Umwälzungen als primäre Ursaclien
anzusehen sind. Eine Wandlung der ganzen Volkspsyche ging
in jener Zeit vor sich. Die verfallende aristokratisch-rationa-
listische Kultur machte einem neuen, demokratischen, vom
Gefühl beherrschten Geiste Platz, der sich auf allen Gebieten
des Kulturlebens gleichmäßig durchsetzte. Er begann in der
Literatur, das Wort im weitesten Sinne gefaßt. Eine seiner
vielen Schöpfungen ist hier das Drame. Dann erfaßte er das
Staatsleben. Die große sozial-politische Revolution, die alle
Gemüter ins öffentliche Leben riß, ließ für literarische Bestre-
bungen keinen Raum. Deshalb bricht hier die literarische Tra-
dition plötzlich ab, nicht aber wegen der Erklärung der Freiheit
der Theater durch die Nationalversammlung am 13. Januar
1791 (241 ff.); dieses Dekret ist bloß als ein nebensächliches
Symptom in der Gesamtent^^dcklung zu betrachten; sein größter
Wert liegt darin, daß es zugleich das Recht auf das geistige Eigen-
tum garantiert. Das Drame hatte schon vor diesem Datum
keine Lebenskraft mehr. Aber als der große Sturm der Revo-
lution vorüber ist, setzt auch die literarische Entwicklung wieder
ein; mit zeitgemäßen Wandlungen natürlich, doch im großen
ganzen mit denselben Tendenzen: der ,,Exotisme" und die Ver-
herrlichung des Mittelalters geht wieder vorauf, der Schrei nach
Natur und Wahrheit ertönt von neuem, die Nachahmung Shake-
38 Referate und RezensioiwjK Wolfgcuig Martini.
speares und der deutschen Klassiker setzt sich fort, und das
,.,Drameromantique" entsteht. Daß hier kein „wesentlicher Unter-
schied" besteht, wie Gaiffe beweisen möchte (47 ff., 438 ff., 553),
sondern daß die Reform des 19. Jahrhunderts einfach eine ver-
stärkte und zeitgemäß modifizierte Fortsetzung der des 18. ist,
scheint mir zweifellos. Diese erste Reform war natürlich drama-
tisch noch nicht so radikal, den Klassikern noch nicht so unbe-
dingt feindlich, Shakespeare noch nicht so unbedingt freundlich
gesinnt (obwohl z. B. Mercier theoretisch den Romantikern an
Schärfe nicht nachstellt), sie war ferner, weil v o r der Revolution,
mehr sozial gerichtet: aber all das sind nur Grade, keine Wesens-
unterschiede. Gaiffe sieht sich daher auch häufig veranlaßt,
das \^'ort ,;ro}7iantique" anzuwenden, ja, er entdeckt genug-
romantische Züge im 18. Jahrhundert (vgl. 322 ff., 400, 410,
421, 436 etc.). Die Bestrebungen beider Zeiten decken sicli
(eilweise so, daß man oft, was G. über das 18. Jahrhundert sagt,
ebensogut auf die Reform des 19. anwenden könnte (z. B. 311).
Die Gründe für den ,,Exotisme'\ für die so plötzlich ein-
tretende Achtung vor den bis dahin als barbarisch verachteten
auswärtigen Literaturen, ergeben sich, wie ich hier nicht weiter
ausführen kann, in beiden Perioden (ebenfalls aus der völker-
psychologischen Wandlung. Sie werden bei G. nicht ausreichend
erörtert. Bei Anpassungen ausländischer Werke an den fran-
zösischen Zeitgeschmack wäre statt der Fülle von unbekannten
Titeln gelegentlich eine genauere Angabe der charakteristischen
Ai't der Veränderungen zu wünschen gewesen, wenigstens wenn
es sich um Werke von durchschlagendem Erfolg handelt. Solche
sind für den Zeitgeschmack immer bezeichnend. Ich will nur ein
Beispiel nennen. Von den „Amants genereux" (G. hat die Sehrei-
bung ,,amans" etc. durcligängig modernisiert) des Rocbon de
Chabannes, die am 13. Oktober 1774 einen entscheidenden Erfolg
errangen und zwölfmal mit vielem Beifall gegeben wurden,
wird nur gesagt, daß alles spezifisch Germanische der Vorlage
„Minna von Barnhelm" darin unterdrückt worden sei, und daß
der Verfasser von der Kritik gerade wegen der von ihm ange-
brachten Veränderungen gelobt wurde (62 f., 189, 430 f., 551).
Das gil)t kein richtiges Bild. Die Veränderungen, die dem Stücke
den Ei'folg sicherten, sind derartig, daß aus dem feinen, liefen
deutschen Lustspiele hohen Stils eine mit oberflächlichsten
Witzeleien gespickte lächerliche Posse wird, in der sich die wenigen
beibehaltenen Originalszenen unorganisch genug ausnehmen.
Eini; Hauptperson ist der Onkel comte de Bruxhal geworden,
dei' bekannte polternde Alte der früheren Komödie, der durch
seine ahnenstolze Großmäuligkeil und seine unersättliche Ge-
fräßigkeit die Kosten der Lächerlichkeit bestreiten muß.
Abgesehen von solchen, bei der Fülle des Materials nicht zu
vei'ineidenden Mäng(dn zeichmm sich gerade die liäufigen Be-
Pifollct, ('(iniillc l.it (/iicrcllc cahleronieniie ^-c. 39
merkungen über Lossing durch größte Sachliclikoit aus. Das
ist bemerkenswert, weil Lessing sonst in Frankreich wegen seiner
überscharfen, wenn auch historisch wohl begründeten Angriffe
auf die französischen Klassiker noch heute wenig beliebt ist.
Der Einfluß Diderots auf seine Theorien wird trotz der verstän-
digen Bemerkungen über bei(hM- Verhältnis (61) doch noch etwas
überschätzt, da niclit nur ..Miss Sara Sampsou" dem ,,Füs
Naturer vorausgeht, sondern auch Lessings Theorien, wie S. 444 f.
und 464 zugegeben wird, über die Diderots hinausweisen, über-
haupt ist der Einfluß des Drame auf die europäische Gattung
des Rührstücks nicht so groß, wie es nach (1. scheinen könnte,
da diese, wie schon ,,.Miss Sara Sanijtsoii". m<>hr auf englische
Anregungen zurückzuführen ist.
Daß die psychologische Unzulänglichkeit des Drame großen-
teils bewußt und gewollt sei (340), ist doch wohl eine zu kühne
Annahme. Sie erklärt sich natürlich genug aus der Unfähigkeit
der meisten Autoren und liat ihre Parallelen in jeder auf das
niedere Volk und seine primitive Psychologie bereclineten Kunst.
Im ganzen fällt das vom Drame entworfene Bild recht düster
aus; vielleicht doshalb um einige Schatten zu dunkel, weil der
Verf. den erwähnten Grundsatz befolgt, hauptsächlich das Mittel-
gut zu berücksichtigen. Über die Berechtigung dieses Prinzips
ließe sich streiten. Jede Blüteperiode der Kunst würde als minder-
wertig erscheinen, wenn man nur die der Zahl nach stets über-
\Aiegenden Durchschnittsleistungen in Betracht zöge. Wie
viel mehr eine Zeit des Verfalls. In Wirklichkeit hat G. seinen
Grundsatz mit Reclit nicht allzu streng durchgeführt.
Dresden. Wolfgang Martini.
Pitollet, Camille. La quereUe calderonienve de Johaii Aikohis
Bohl von Faber et Jose-Joaquin de Mora, reconstitiiee
d' apres les documents originaux. Paris, Felix Alcan,
1909. 8«, LV + 272 p.
Ce livre qui interesse, ä plus d'un point de vuc riiistoire
de la litterature et du goüt francais, debute, apres une intro-
duction tres touffue, par une etude biographique sur les doux
protagonistes de la querelle calderonienne. M. Pitollet, qui
a retrouve ä Hambourg la correspondance inedite de Bohl von
Faber, presente ensuite un resume tres complet des polemiques
elles-memes.
L'auteur bien connu de la Floresla de Rimas antiguas castel-
lanas et du Teatro espahol anterior ä Lope de Vega, Johan Nikolas
Bohl von Faber, ne a Hambourg en 1770, fixe ä Cadix des 1785,
commergant distingue, puis consul des villes hanseatiques, s'etait
fait bientöt le defenseur enthousiaste de la litterature ancienno
40 Referate und Rezensionen. Lucien-Paul Thomas.
et autochtone de l'Espagne, de ces osuvres, pleines d'audace
et de fougue, et si peu en rapport avec les tendances alors domi-
nantes. II ne remporta guere qu'un demi triomphe, si meme
Facademie en vint ä raccueillir dans ses rangs comme membre
honoraire.
Ce fut toul particulierement Calderön qui lui servit de
bouclier dans ses longues polemiques contre les partisans des
litteratures classiques, et surtout, de celle de la France, dont
l'influence sur la peninsule etait alors preponderante.
Le principal adversaire du critique allomand fut un Espagnol,
don Jose Joaquin de Mora, dont la vie, moins connue, parait
egalement moins digne d'attention. Les idees de Schlegel
sur le theätre, incompletement et maladroitement presentees
aux lecteurs du Merciirio Gaditano, provoquerent, en 1814,
la premiere riposte de Mora qui s'eleve contre la mode
de desacrediter les "'regles eternelles du goüt" et de "secouer
le joug des precepts". II represente ces tendances comme favo-
rables aux mediocrites et voit un grave danger dans Fabandon
des etudes classiques, si violemment battues en breche par l'ecole
'■'romanesca". Celle-ci so targue d'avoir ,,amalgame la nature
et l'art qui sont pourtant ses pires ennemis, alors que c'est le
genre antique et classique qui a su realiser cette fusion. Mora
remarque enfin que Schlegel admire precisement, en Calderön,
le lyrisme exalte et le manierisme que tous les Espagnols vitu-
perent. Mora et ses amis defendront cette maniere de voir, en
de longues dissertations qui me semblent le plus souvent deplo-
rablement creuses, si meme on y trouve, de temps en temps,
quelqu' Observation ingenieuse et originale.
Les nombreux articles et pamphlets de Bohl von Faber,
parfois A^raiment interessants, sont egalement de valeur tres
inegale. Sa pretention de ranger les classiques parmi les
„materiaistes" et de reserver le titre de ,,spiritualistes"
pour les romantiques; l'insuffisance de ses arguments contre
les pretendues regles eternelles du goüt; le cöte factice de son
enthousiasme pour Calderön; son singulier appel au patriotisme
espagnol, ses allusions personnelles et politiques, nous le fönt
apparaitre comme un polemiste plus habile et plus decide que
profond. Pourtant, Bohl n'etait pas un homme sans valeur,
lui qui ecrivait avec une aisance et un brio remarquables en sa
langue adoptive, et savait faire de söveres le(:ons aux Espagnols
qui pechaient contre la purete de leur parier natal. Son essai
intitule Del gusto en la poesia, qui tend ä separer lo chnnaine
poetique de celui de la raison, est loin d'etrc banal.
L'article de Mora, public par M. Pitollet, aux pages 101 — 103
de son etude, presente une defense interessante des regles; selon
Mora, elles ont ete tirees de la nature olle-mcme, dont on s'ecarte
Aiiiiales de la Socielc Ji' an- Jacques; fioiisseaii. 41
t'atalement quaiid on Ics csquivc. Je signalerai encore, sur les
notions de "goüt classique" et de "goüt frangais", les reflexions
de D^ Francisca, l'emme de Bohl, et Celles d'Alcalä Galiano,
reproduites respectivement aux pages 144 et 149 — 151.
La conclusion de M. Pitollet s'attaelie ä preciser le rang qui
revient ä la defense calderoniennc dans l'evolution de la critique
litteraire en la peninsule, et cherche, par un curieux resume
de ses titres de gloire, a rehabiliter la culture espagnole au XVIIP
siecle.
J'aurais prefcre voir la querelle presentee sous une forme
plus synthetique, plus degagee des nombreux extraits qui l'en-
combrent de discussiuns souvent oiseuses et de fastidieuses
redites. Je ne chercherai donc pas ä signaler des lacunes dans
ee livre si consciencieux, dont la documentation, tres etendue,
me parait phitAt excessive.
Lucien-Paul Thomas.
Aiiualc$$ de la ^ocicte Jeau-Jacquex Kou»!iMeau.
t. Viöme. 1909. Geneve. [A. Julien. 8«. 344 S.
Auch der fünfte Band der „Annales de la Societe Jean- Jacques
Rousseau," (die seit 1905 in nicht ganz regelmäßigen Intervallen
erscheinen) ist äußerst reichhaltig. Er erweist von neuem wie
lehenskräftig sicli die Societe J e a n - J a c q u e s Rous-
seau bewährt.
Die ersten 117 Seiten des neuesten, genau in der früheren
geschmackvollen Weise ausgestatteten Bandes sind der kom-
plizierten Vorarbeit zur Herstellung einer kritischen Textaus-
gabe der Nouvelle Heloise^) gewidmet. Der Verfasser dieses
äußerst sorgsamen Artikels (Daniel Mornet) verbindet mit dieser
ausführlichen Publikation den Appel an hilfsbereite Unter-
stützung aller Sachverständigen: Notre etude n'a nullement
la pretention d'etre complete. Preliniinaire ä une edition critique
et historique de la Nouvelle Heloise qui ne saurait etre achevee
avant plusieurs annees, eile pourra heneficier de toutes les corrections
et additions que la bienveillance des lecteurs et des bibliothecaires
voudra hien faire paruenir d l'auteur."
An Material zur Herstellung einer kritischen Ausgabe ist
nach den vorliegenden Angaben bereits überreiche Fülle vor-
handen. Der künftige, gut orientierte Herausgeber hat einen
sehr schweren Stand, vor allem, wenn er pietätvoll gegen Rous-
seau's Andenken verfahren ^^■ill. Der Briefwechsel Rousseau's
mit seinem Buchhändler Rey legt bereits hinreichend Zeugnis
1) Die Societe J.-J. Rousseau hat sich bekannthch in Art. 3b
ihrer Statuten die Aufgabe gestellt de publier une edition critique de
ses Oeuvres. l(Cf. Annales I, 1905, p. I.)
42 Referate und Rezensioiioi. M. J. Minckwitz.
aJ), von den Widersprüchen, die den Verfasser selbst bei
der wiederholten Veröffenthchung der Nouvelle Heldise be-
wegten. Rousseau's wechselnden Ansichten gegenüber fallen
die eigentlichen Errata und ,,coniresens'' gar nicht so schwer
ins Gewicht. Aber er selbst korrigiert sich, bessert nicht
bloß aus richtiger Erkenntnis falsche frühere Angaben, sondern
bietet auch Anmerkungen, die er später wieder aus nicht immer
ersichthchen Motiven gestrichen wünscht. Dazu treten die Be-
schränkungen der Zensur, die trotz Malherbes Wohlwollen
unter dem zwingenden Einflüsse höherer Mächte erfolgen mußten.
Psychologisch ist der Einblick in Mornet's Werkstatt außer-
ordentlich gewinnbringend: Rousseau's selbstquälerische Be-
anlagung erfährt neue Beleuchtung. Sprachhch ist dieser Ein-
blick ebenfalls lehrreich. S. 20 ff. führt Mornet Beispiele von
Rousseau's Orthographie und Syntax an, die ein zähes, eigen-
sinniges Festhalten am älteren Sprachfonds bekunden. Wichtig
ist (p,. 30) der Ausspruch: qnand il compose, Jean-Jacques est
im auditif et non iin visuel.
Mögen die sorgsamen Beschreibungen und Angaben übei-
die editio princeps, die späteren Ausgaben, die Manuscripte
allgemeine Aufmerksamkeit erregen und noch rechtzeitig zur
Beisteuer an etwaigem Material und wichtigen Angaben auf-
muntern!
Jean Morel (p. 119 — 198) ])ietet Quellenforschungen zum
Disconrs de Vlnegalüe. Auch diese Aufgabe ist heikel. Rousseau
selbst mit seinen krankhaften widerspruchsvollen Angaben in
Briefen und den Confessions liat di(^ Forschung oft in die Irre
geführt. In dem ersten Abschnitte seiner Studie: Diderot et le
Disconrs de l'Inegalite hat sich Morel erfolgreich gemüht, die
Hypothese von der ,,collahoration precise" Diderot's endgültig-
zu entkräften; Rousseau's durcli die Angriffe auf den ,, Emile"
genährter Verfolgungswahn hat auch in dieser Frage viel Unheil
gestiftet. Sciiwieriger zu widerlegen war eine zweite Hypothese:
Influence generale de Diderot. Morel's Standpunkt : Une influence
siihie ä la fois par les deiix ecrivains est soiwent plus probable fördert
auf alle Fälle nicht den Ruhm Rousseau's als durchweg
selbständiger und origineller Denker zu gelten. Es ist ganz gut
möglich, daß Rousseau direkt und nicht bloß durcli das Medium
Diderot an Shaftesbury's Quelle geschöpft hat, sogar sehr wahr-
scheinlich, daß Diderot den Freund zur Lektüre von Grotius,
l'ufendorf und Locke angeleitet hat. Wertvolle Fingerzeige
bietet Morel mit der gelegentlich eingestreuten Behauptung:
C'est qu'il (Rousseau) subit, plus (ju'il ne le dii, Vinjluence des
moralisles chretiens und mit der eigentlich selbstverständhch
klingenden Erklärung: le Discours de l'Inegalite est, en partie,
une oeiwre d'esprit encyclopedique. Im zweiten Abschnitt wird
der EinfluB (' o n d i 1 1 a c's auf Rousseau geprüft. Dieser
Annale.s de la Socielc Jcan-Jacqui's Honsseau. 43
Einfluß, der durch direkto Lektüre Montaigne's ergänzt wird,
ist von fruchtbringender Wirkung. Cf. p. 150: Sans Condillac^
Rousseau n'auraü pu elaborer soii Idee de l'homme de la Jiature,
plus proche de l' anthropoide que de l'honinie Als
selbständiger Denker löst sich Rousseau dagegen von Condillac's
und Locke's Spui'cn stellenweise im Essai sur Vorigine des langues.
— Feine Fäden des inneren Zusammenhanges mit Ideen von
Grotius, Pufendoi'f, Locke, Hobbes, Sidney werden im dritten
Kapitel erörtert. Im Schlußsatz wird die Information scienli-
fique da Discours analysiert. Hierher gehört ein früherer treffender
Ausspruch Morel's: Ces idees scienfifiques devaient etre plus precises
diez Diderot que chez Rousseau. Der letztere schöpft fleißig
bei Buffon, forscht an den verschiedensten Orten nach Auskunft
über die Naturvölker, so bei Montaigne, le P. Dutertre, in der
Histoire generale des voyages, bei Coreal (?), wahrscheinlich in
der Relation du voyage de La Condamine, aber so anerkennens-
wert sein Streben nach wissenschaftlicher Begründung ist, da
seinem Geist in der ersten Jugendentwickelung jede heilsame
Disziplin gefehlt hat, wird der Vorwurf Grimm's {Corr. 1 1 f. p. 56ff.)
nicht entkräftet: Le citoyen de Geneve vanle beaucoup le bonheur
de l'homme sauvage. Qu'en sait-il? II se plaint avec raison de
nos voyagenrs qui n'ont pas su Vobsen^er : cest donc de son imagination
qu'il tire les idees qu'il a de cet etat. Mais il faut se defier de son
imagination autant que des relations des voyageurs, surtout quand
on est un peu entiche d'un Systeme; car alors cette sorciere men-
songere vous peint tout suivant vos idees; eile vous cache les malheurs
de la vie sauvage., et transjorme ses moindres avantages en autant
de delices.
Mit dem Artikel ^^Roniantique" überschreitet Alexis Francois
die engeren Grenzen der Rousseauforschung. Dieses wichtige
Thema kann nicht oft genug und nicht vielseitig genug in An-
griff genommen werden, denn es bietet immer neue Verwickelungen
und Probleme. Francois entwickelt seinerseits beachtenswerte
neue Gesichtspunkte. Rousseau verharrt im Bi'ennpunkt seiner
Untersuchung, da in seiner Feder ,,romantique' eine wichtige
Phase seiner Begriffsentwickelung angetreten hat. Immerhin
bleibt ,, wortgeschichtlich'' Vieles noch unaufgeklärt, obwohl
viel wesentliches Material beigebracht ist. Es hat neuerdings
den Anschein, als ob etwas einseitig und allzuschnell auf eng-
lisches Ursprungsgebiet abgelenkt würde. Die bisher zugänghchen
Zitate aus der französischen Literatur, so das früheste aus den
Lettres d'un Frangais ä Londres von Abbe Leblanc, 1745, Letour-
neur^) und Girardin scheinen allerdings diesen Weg zu weisen.
-} FranQois hat sich seiner eigenen Angabe zufolge die charak-
teristischen Stellen ans Letourneur's Vorrede zu seiner Shakespeare-
Übersetzung abschreiben lassen (cl. S. p. 212). Dieselben Zitate finden
sich bereits, bequem banrlürh in M. G. Cushing's fleißiger Studie über
44 Referale und Rezensionen. M. J. MinckwUz.
Immerhin ist aber ,,rofnantic" düch echt romanischen Ursprungs
und dem ,,romanesque" mit dem, wie Frangois ganz plastisch
nachweist, stark in Konkurrenz tritt, einigermaßen stamm- und
sinnverwandt. Die beiden Suffixe geben zu denken, ^^'enn in
der älteren französischen Literatur noch eingehender nach-
gegraben wird, stößt man vielleicht auf Funde, die der enghschen
Einwirkung günstig den Boden vorbereiten und veranlassen,
daß man nicht mehr von ^,mot noiiveau" sprechen darf, sondern
höchstens von einer bedeutsamen Erscheinung der Semasiologie.
Der erwachende Sinn für Naturscliönheit. insbesondere in ihrer
wilden Ursprünglichkeit hat jedenfalls in allen Ländern die
Geburt, oder Neugeburt des malerischen Ausdruckes mächtig
unterstützt. Auch in Frankreich hat sich diese modern sensitive
Naturempfänghchkeit jedenfalls ohne direkt fremdländischen
Anstoß entwickelt. Die schüchtern schwankenden Tastversuche
der älteren französischen Übersetzer von Pope, Thomson und
Whately, die über ,,romanesqiie'' und ,,pittoresque" nicht hinaus-
können, hebt Frangois mit Recht hervor. Mit Dank wird man
auch seinen glücklichen Einfall begrüßen, Fenelon's behutsames
,,/e ne sais quoi" heranzuziehen. Trotzdem bleiben Lücken auf
französischem Literaturgebiet: der Kampf zwischen romanesque
und romantique zieht sich in die Länge, wie früh er begonnen
hat, wissen wir nicht, wann er endete auch nicht. Denn die
Periode der .^^romantiques franQais" setzt neu ein auf rein literari-
schem Gebiet und wird — wie Francois richtig betont — noch
durch deutschen Strom nachhaltig befruchtet.^) Das ,, romantique'
der Garten-, überhaupt der Naturschilderung und das spätere
,, romantique' der Dichtergruppe fließen nicht unmittelbar in-
einander über.
Jeder Lcsej' wird aber Frangois dankbar sein, daß seine
ausgedehnten Orientierungserfolge immer neue Fragen anregen.
Meisterhaft kennzeichnet er bereits die beiden Hauptquellen der
großen romantischen Vorströmung, die Europa durchdringt: la
source anglaise et la source helvetique (wobei der Hinweis auf
Rousseau's griffe du genie und Vempreinte plus moUe de Gessner
nicht fehlt).
Pierre L; e 'V o u r u e u r (New York 1908, p. 184—185) inil der
Schlußangabe: Cited also hy Michiels, Lacroix, Jusserand, Louns-
hurg. — Etwas naiv erscheint allerdings ihre zuversichtUche Rand-
bemerkung: A noteworthy thing in this discours is Le Taurneura defi-
iiition oj romantique, a term which he uses and e.rplains for ihe jirst ( !)
liine in ihe history of literature. (p. 184.)
•') Nous n'avons pas de raison de suivre plus loin ruinantique
dans son histoire. Cette hisloire en effet entre desormais dans une nouvelle
phase. Le mot va etre emprunte par le frangais une seconde fois, non
plus ä r Angleterre, mais ä l Allemagne, pour caracteriser non plus
V Impression produite par la nature sauvage, mais un genre litteraire,
une grande ecole d'arl.
Kiichlcr, Wallhcr. Französiyrl/c Hnniaiitik. 45
Roussoau's Werko erfahren durcli A. M. de Bonac: Une
Lettre inedite de Jean-Jacques Rousseau (237 — 240) und Pierre-
Maurice Masson: Rousseau d la Grande Chartreuse (Epitre inedite)
p. 247 — 258 einige Bereiclierung. Für biographische Einzel-
lieiten bietet Philippe Gudet (241 — 245) mit dem Abdrucke einiger
Brieffragmente des Fräulein de Marval aus den Jahren 1764
und 1765 interessante Auskunft. Masson liefert außerdem noch
einen wertvollen Beitrag (p. 259 — 271) Contribution ä V Etüde
de la Prose metrique dans la Nouvelle Heldise.
Für den Urheber des Titelbildes: /. /. Rousseau et la vue
du Pavillon qu'il habitoit ä Ermenon ville (d'apres le dessin de
G. F. Mayer ) gewährt ein Brief des bekannten Verfassers der*
Iconographie de J. J. Rousseau, des Grafen Girardin erwünschte
Auskunft.
Sehr reich ist auch die nach Ländern geordnete Bibliographie
für die Jahre 1907 und 1908 ausgefallen. Sie umfaßt 45 Seiten.
Unter den kurzen kritischen Anzeigen deutscher Veröffentlichun-
gen heben wir diejenige von W. Küchler, Französische Romantik,
Heidelberg 1908, durch A. F(ran5ois) hervor (p. 282—283). Es
liandelt sich um die anerkennende Besprechung von Kap. I:
Rousseau, Saint- Pierre, Madame de Stael.
Die Chronique verzeichnet verschiedene Todesfälle. Für
Albert Jansen hat E. Ritter einen sympathischen Nachruf in der
Generalversammlung vom 17. Juni 1909 gehalten. Der Abdruck
dieser Gedächtnisworte findet sich S. 326 — 329. Die durch
seinen Tod entstandene Lücke im Comite: die Vertretung der
,,rousseauistes de langue allemande" hat Prof. Dr. H. Morf (Berlin)
bereitwillig angenommen.
München. M. J. Minckwitz.
14üeiBlei% Waltlier. Französische Romantik. Heidelberg
1908. Carl Winters Universitätsbuchhandlung.
Obiges Büchlein ist zwar schon vor zwei Jahren erschienen.
Durch die Kritik von Olaf H o m e n im Literaturblatt für
germanische und romanische Philologie 1910 Nr. 3/4 Spalte 106 ff.
sowie durch die Entgegnung von W a 1 1 h e r K ü c hier in
dieser Zeitschrift Bd. XXXVI Heft 1 und 3 p. 116 ff. ist es aber
wieder aktuell geworden, so daß eine Besprechung wohl noch
Berechtigung haben dürfte. Und zwar um so mehr als die oben
erwähnte Kritik und Küchlers Antikritik einige hochwichtige
Fragen über Literaturbehandlung überhaupt sowie im besondern
über Auffassung des 19. Jhdts. im Vergleich zum 18. und über
den Gegensatz zwischen der ersten und zweiten Hälfte des
19. Jlidts. aufgeworfen haben. Geht die Romantik auf Rousseau
.46 Jipjeratr und Rezensionen . Heinrich Schneegans.
zurück? Hörl die Romantik mit den 50er Jahren des 19. Jlidts.
auf? Homen verneint diese Fragen. Küchler bejaht sie.
Der Zufall wollte, daß ich gerade mit den Vorbereitungen zu
Seminarübungen über J. J. Rousseau in diesem S.-S. beschäftigt
war, als die Kritik von Homen erschien. Sie reizte mich dazu,
die Rousseau betreffende Frage in den Mittelpunkt der Übungen
zu rücken. Wir stellten uns die Aufgabe, zu untersuchen, was
uns in Rousseau's Werken berechtigen könnte, ihn als Schöpfer
der romantischen Bewegung anzusehen. Freilich mußten wir uns
zur Lösung dieser Frage zuerst eine klare \^:)rstellung machen
von dem, was Rousseau von seinem Jahrhundert trenn t.
Und so kamen wir denn gerade dazu, die Punkte zu erörtern,
die Homen und Küchler in gegensätzlicher Weise besprochen
haben. Es ist ganz klar, daß verschiedene Fäden Rousseau
mit seinem Jahrhundert verbinden, aber wenn man den Ursprung
einer neuen Bewegung, wie die Romantik, untersucht, so ist
d a s nicht das Interessante. Verschiedene Seminarmitglieder
begingen in ihren Arbeiten den Fehler, daß sie bei einer Charak-
teristik der hervorstechenden Merkmale des 18. Jhdts. vor
Rousseau unter anderm auch die ,,sensiblerie" hervorhoben. Bei
solchen Aufgaben muß man aber, auf die trennenden,
nicht auf die verbindenden Momente achten. So stimme ich
denn Küchler vollständig zu, wenn er p. 121 sagt: ,, Unsere
heutige, so eifrig auf die Quellen und Einflüsse zurückgreifende
Betrachtungsweise läuft leicht Gefahr, das Originelle zu ver-
wischen, das Eigenkräftige in seiner Bedeutung zu unterschätzen,
die Eigenwerte einer Zeit, die sie aus sich selber hervorgebracht
hat und die in ihrer momentanen Besonderheit mit ihr ver-
schwinden, zu übersehen oder mißzuachten . . . Wir studieren
die Zeiten, ihre Persönlichkeiten und Werke nicht mehr genügend
um ihrer selbst willen etc." Wo sollte man die Geschichte der
Romantik anfangen, wenn man nicht Rousseau als Ausgangs-
punkt annähme ? Es würde alles ins Vage zerfließen. Ganz
mit Recht meint Küchler, daß, wenn man etwa Fenelon als
Vorläufer der Romantik ansähe, man ebensogut Fran^ois de Sales,
den Verfasser der Nachfolge Ciiristi, ja jeden Gottesmann, der
Abkehr von der Welt gepredigt hat, als solchen ansehen könnte.
Und bringt denn nicht Rousseau ganz hervorragende neue
Momente in die Literatur, ja in das Leben seiner Zeit ? Mit
ihm befreit sich das Individuum von den Fesseln der Gesell-
schaft, die im 18. Jhdt. sonst unter der höflichen Glätte des
guten Tones alles Selbständige zu nivelHeren verstand. Und
da dieser Befreier ein Mann aus dem Volke ist, der in den niedrig-
sten Stellungen gelebt hat und um sein tägliches Brot hat kämpfen
müssen, so bringt er in das bis dahin aristokratische Zeitalter
einen demokratischen Zug hinein, der sich aufbäumt gegen die
alles beherrschende feine Form und Convention der societe mon-
Kiic/Ucr, W'allhvr. Fraiizösi^cke ItDiiumtil». 47
daine. Und da dieser Demokrat aus einer dei- landschaftlich
schönsten Gegenden stammt, da er als \'agabund in der freien
Natur von Ort zu Ort gewandert ist, so erweckt er zu neuem
Leben das Naturgefühl, das in der parfümierten Luft der Salons
erstickt war. Und da dieser Wanderer zugleich ein abenteuer-
licher Mensch ist, dei" schon in der frühesten Jugend das Wunder-
barste und Seltsamste erlebt hat, da er sich schon als Kind an
der Lektüre der Romane den Kopf A^erwirrt Itat, so bringt er die
Phantasie mit allen ilu'on träumeiischen und exaltierten Vor-
stellungen, die unter der Herrschaft der Vernunft und des Ver-
standes eingeschlummert war, wiederum zu Ehren. Und mit
dieser Phantasie zugleich auch das Gefühl. Denn dieser Aben-
teurer ist zugleich auch ein gefiihlvoller, schwärmerischer,
sentimentaler Mensch, der im grellsten Gegensatze steht zu
trockenen Naturen wie Fontenelle und \'oltaire. Und diese
Empfindsamkeit rührt vor allem die Frauen und führt zu einer
Vorherrschaft des weiblichen Elements in Literatur und Gesell-
schaft, wie sie früher noch nie in gleicher Stärke vorgekommen
war. So führt denn dieser eine Mensch geradezu eine Revolution
im ganzen Geistesleben seiner Zeit herbei. Und ein unglaub-
licher Stolz bemächtigt sich seiner, als er dessen gewahr wivA.
Er, der lange Zeit zu den Niedrigsten im Volke gehört hat, der
als Diener, Schreiber, Musiker mühsam sein Brot verdient hat,
der das Leben der Landstraße kennt, der oft genug unter freiem
Himmel hat schlafen müssen, er, der Kleine, Verachtete, Un-
bekannte ist plötzlich durch eine einzige Schrift der bedeutendste
Schriftsteller Frankreichs geworden. Er ist mehr als ein Diderot,
mehr als ein d'Alembert. Getrost kann er sich neben Voltaire
stellen. Alles vergöttert ihn. Alles hängt an seinen Lippen.
Wahrhaftig, das genügte, um den unerträglichsten Hochmut bei
ihm aufkommen zu lassen. Dieser Größenwahn zieht aber die
Empfindlichkeit nach sich. Wer ihn niclit ganz anerkennt, ist
sein Feind. Und die Empfindlichkeit führt zum Argwohn und
dank der krankhaft erregten Phantasie, dank dem Übermaß
des Ichgefühls zum Verfolgungswahn, der nur eine Etappe zum
Spleen, zum Weltschmerz bedeutet.
Wenn man sich Rousseau's Wesen und \^'irken so vergegen-
wärtigt, müßte man mit Blindheit geschlagen sein, sollte man
in ihm nicht den Vater der Romantik erblicken. Die Elemente,
die wir bei Chateaubriand, Lamartine, V. Hugo finden, sie sind
in niice hier alle schon in Rousseau enthalten. Seine Persönlich-
keit ist der Ausgangspunkt. Gewiß, in dem einen oder andern
Punkt hat er schon Vorläufer. Das wird kein Mensch bestreiten.
Aber das ist nicht das Wesentliche. Wenn man die Geschichte
einer bestimmten Epoche schreibt, kann man doch nicht jedes-
mal bis auf Adam und Eva zurückgehen. Das scheint aber
Olaf Homen zu verlangen. Und ganz mit Recht hat ihn Küchler
48 Referate und Rezensionen.. Heinrich Schneegans.
in seiner vortrefflichen Antikritik ad absurdum geführt. Ebenso
scharf wie er den Ausgangspunkt erfaßt hat, vermag er auch
an der richtigen Stelle die Grenzen abzustecken. Ich will nicht
in extenso darauf zurückkommen. Man lese nur, was Küchler
von dem Unterschied zwischen Taine und der früheren Zeit sagt.
Das ist alles so schlagend, der Nagel ist so geschickt auf den
Kopf getroffen, daß man nur seine Freude daran haben kann.
Wenn Olaf Homen von einer Romantik spricht (p. 109), die
dem Geiste des Positivismus ihr Opfer darbringt, so zeigt er
eben, daß er keine klare Vorstellung von der Romantik hat.
,,Es gibt keine positivistische Romantik, ebenso wie es keinen
Romantisnie Bourgeois gibt," sagt p. 123 Küchler treffend.
Und nun zu seinem Büchlein selbst. Eine Geschichte der
Romantik ist es nicht und will es nicht sein. Es sind aneinander
gereihte, durch den Faden der Romantik miteinander ver-
bundene, geschickt entworfene farbenreiche Bilder der bedeutend-
sten Schriftsteller der betreffenden Zeit. Küchler versteht es
auch vorzüglich, in die romantische Stimmung zu versetzen; er
hat im reichsten Maße, was Lasserre abgeht, er hat Sinn für
Romantik. Man lese nur, wie er p. 21 ff. z. B. den Inhalt des
Rene angibt. Liebe zum Gegenstand ist die erste Vorbedingung
zu der treffenden Schilderung einer Periode.
Ich hätte an Küchler's Büchlein nur einige wenige Aus-
stellungen zu machen. Zunächst was die Gliederung des Stoffes
betrifft. Warum wird Mme de Stael kein ganzes Kapitel ge-
widmet, wie es für Chateaubriand der Fall ist ? An drei ver-
schiedenen Stellen ist von ihr die Rede. Dadurch kommt sie
als Persönhchkeit nicht genügend zur Geltung. Ihr Wirken und
ihr Einfluß wird verzettelt. Sie erscheint nicht als einer der
,, Pfeiler der Romantik", wie Morf sie nennt, der sie sogar für
,, moderner, entschiedener, umfassender" ansieht als Chateau-
briand (p. 301 der romanischen Literatur in der Kultur der
Gegenwart). Das ist um so auffallender, als Küchler Victor
Cousin ein ganzes Kapitel widmet. Achtzehn Seiten für ihn,
fünf für Mme de Stael im Ganzen. Das ist entschieden ein Miß-
verhältnis. Die Bedeutung Cousins wird auch dadurch sehr
überschätzt. Er ist nach meiner Ansicht kein führender Geist
in der Geschichte der Romantik. Er tut nur auf dem Gebiete
der Philosophie, was Chateaubriand und Mme de Stael auf dem
Gebiete der Poesie tun. Dadurch zeigt er aber gerade, daß
seine Rolle sekundär ist. An die Spitze des Reahsmus kann man
einen Philosophen als führenden Geist stellen, Auguste Comte,
aber V. Cousin hat lange nicht seine Bedeutung. Mit Recht hat
ihm Morf 1. c. nur 14 Zeilen eingeräumt. Es ist nicht richtig,
wenn Küchler p. 50 sagt: ,,Ehe noch ein einziger der großen
romantischen Dichter aufgetreten war, forderte so Cousin theore,
tisch, was ihr ganzes, künstlerisches Wesen war, ein fühlendes
Knchh'i\ Walther. Französische h'on/ai/li/r. 49
ja ein reizbares Herz und besonders eine maclitvolle Einbildungs-
kraft/' Das hatten schon Rousseau, schon Chateaubriand getan;
auch sie waren Dichter, wenn sie auch in Prosa schrieben.
Auch an dem Kapitel über V. Hugo hätte ich etwas aus-
zusetzen. Warum seiner ,, Poesie" nur fünf Seiton und seinem
Theater neun einräumen ? Ist das Tlieater bei ihm wichtiger
als die Lyrik ? Und ist es gut als Charakteristikuiri V. Hugo 's
gerade das Gedicht ,,la pente de la reverie" auszuwählen p. 66 ff.,
ein Gedicht, das ihn eher Lamartine nahe bringt ? Die unbe-
stimmte, vage Träumerei ist Hugo nicht eigentümlich. Er sieht
in sehr scharfen Umrissen und hat besondern Sinn für helle,
grelle Farben. Aber vom ,, geschichtlichen Kolorit, vom Sugge-
stiven und Silhouettenhaften der Personen, Orte, Taten und
Ereignisse der Vergangenheit" spricht Küchler nur beim Theater
p. 75. Das ist entschieden ein Manko.
Endlich das Schlußkapitel, die Abrechnung mit Pierre
Lasserre. Inhaltlich stimme ich Küchler durchaus zu. .Aber
fällt dieses Kapitel, diese Kritik nicht aus dem Rahmen der
ganzen Darstellung heraus ? Als selbständige Rezension wäre sie
ja ganz vorzüglich. Aber nicht als Schlußkapitel zu einer Dar-
stellung der Romantik. Sie bringt einen polemischen Zug hinein,
der das hübsche Büchlein statt in einem feierhclien Finale in
einem schrillen Diskant auskhngen läßt.
Am Schluß noch eine tatsächhche Berichtigung. V. hätte
sich vorsichtiger ausdrücken müssen, als er sagte p. 20: ,, Chateau-
briand geht in die amerikanische Wildnis hinüber und schreibt
Rene." Bekanntlich hat Chateaubriand die wahre Wildnis nicht
gekannt, sondern von Amerika nur einige Städte des Ostens
(cf. J. Bedier, Chateaubriand en Ameriqiie in seinen Etudes
critiques 1903).
Aber diese wenigen Bemerkungen sollen den Wert von
Küchlers Büchlein nicht schmälern. Sie sollen nur ein Beweis
sein, mit welchem Interesse ich es gelesen habe. Aus dem, w^as
ich Eingangs ausgeführt habe, geht übrigens schon zur Genüge
hervor, wie sehr ich im wesentlichen sonst mit ihm überein-
stimme. Nein, wir haben es hier nicht, wie Olaf Homen recht
wenig freundlich sagt, mit einer Arbeit von ,,feuilletonistischem
Gepräge"' zu tun, nach deren Lektüre ,, trotz der stilistischen
Schminke ein ziemlich blasser Eindruck bleibt", sondern mit
einer von wirklichem literarischem Verständnis und sehr an-
erkennenswerter künstlerischer Darstellungsgabe zeugenden ernsten
Arbeit zu tun, aus der Olaf Homen selbst noch manches lernen
könnte.
Bonn. Heinrich Schnee gans.
Ztschr. f. frz. Spr. ii. Litt. XXXVII'
50* Heferate und /lezensionen. Walther Küchler-
Stewart, H. F. and Tilley, .4i*tliiir. The romantic
movement in French literature, traced hy a series of texts
selected and edited. Cambridge, at the Universitv Press
1910, in 80, XI + 242 S. Price 4 sh. net.
Die Verfasser des vorliegenden Buches sind von der Absicht
ausgegangen, die Sache der heute gerade in Frankreich so heftig
angefeindeten Romantik von ihren Schriftstellern selbst ver-
treten, die Geschichte der romantischen Bewegung in Frankreich
von den Romantikern selbst erzählen zu lassen. Zu diesem
Zwecke liaben sie aus den Werken der Romantiker folgende,
durch erklärende Bemerkungen und kurze biographische Mit-
teilungen vermehrte Textauswahl getroffen: Einige Kapitel aus
Frau von Staels Buch ,,De VAllemagne", Lamartines ,,Preface
des Meditations'' und dem Aufsatz ,^Des Desiinees de la poesie'\
ein Stück aus Sainte-Beuves ,,Tableau de la litteratnre jrangaise
au XV P siede", sowie Absätze aus seinen Artikeln über Alfred
de Musset und Victor Hugo, ein Fragment aus dem in der ersten
Nummer der Zeitschrift ,,La muse frangaise" veröffentlichten
Artikel Alexander Guirauds über ,,Nos doctrines" . Weiterhin
drei Vorreden Victor Hugos zu seinen Oden und Balladen (1824,
1826, 1828) und Teile der Vorrede von Emile Deschamps zu
seinen ,,Etudes frangaises et etrangeres" (1828). Sodann Victor
Hugos unvermeidliche Vorrede zu Cromwell, die Alfred de Vignys
zu seiner Bearbeitung des Othello und einen Abschnitt aus Theo-
phile Gautiers .^Histoire du Romantisme". Endlich ein Drittel
von Victor Hugos Artikel über W'alter Scotts ^^Quentin Dun>ard'\
einige Seiten aus Vignys ,, Journal d'un poete", Mussets ,, Premiere
lettre de Dupuis et Cotonet" und als Epilog den Anfang von Sainte-
Beuves Essay über Theodore de Banville. In den verschiedenen
mitgeteilten Stücken sollen zum Ausdruck kommen der Einfluß
Rüusseaus und Chateaubriands, der Einfluß der ausländischen
Literaturen, der Kampf der Romantiker gegen den Pseudo-
klassizismus, ihre Bestrebungen auf dem Gebiet des Dramas
und des historischen Romans, schließlich der Verfall der
Romantik.
Aus dei' mitgeteilten Inhaltsangabe geht hervor, daß die
Dichtungen dei' Romantiker bei dieser Auswahl gänzlich unbe-
rücksichtigt geblieben sind. In ohne Zweifel gewollter Ein-
seitigkeit unterrichtet das Buch lediglich über die literarischen
Theorien der Romantik, gibt es ein Bild von den Absichten und
Tendenzen, wie sie im Kampfe gegen die Gegner oder zur Recht-
fertigung und Erklärung der eigenen Werke von den Verfassern
geäußert wurden. Diese Beschränkung hätte im Titel des Werkes
zum Ausdruck kommen müssen. Der Titel hätte ankündigen
müssen, daß es sich in dieser Veröffentlichung um romantische
Theorie und Kritik handelt und um weiter nichts.
flinstorff, C. A. Dir A/diives litleraires de rEurope ^r. 51
Im übrigen entbehrt diese IVeiwillige Einseitigkeit der Aus-
\vahl durchaus nicht der Berechtigung. Es ist sehr zu wünschen,
daß auch der Unterricht in weitgehendstem Maße diese Seite
der literarischen Erzeugnisse berücksichtigt. Das Studium der
Kritiken, Vorreden, Briefe, Memoiren etc. muß als notwendige
Ergänzung zu den aus der sorgfältigen, analytischen Betrachtung
der Dichtwerke selbst gewonnenen Kenntnissen und Erkennt-
nissen hinzutreten. Eins darf nicht ohne das andere bleiben.
Und so bedarf denn die Zusammenstellung, die Stewart und
Tilley vorgenommen haben, noch der Ergänzung durch Texte
aus den Dichtungen selbst; wenn nicht in Form eines zweiten
Büchleins, so doch im Unterricht und im Selbststudium.
Gießen. Walther Küchler.
Hinstorfi*, C. A. Dit Ardiwes lüteraires de l' Europe und
ihre Stellung zur deutschen Literatur. Programmbeii. d.
Elisabethenschule zu Frankfurt a. M. 1907. S». 63 S.
Auf Gärtners Studie über das Journal Etranger (Heidelb.
Diss. 1905) und den Aufsatz von P. Hazard über den Spectateur
du iXord {Revue d'hist. litt. 1906) hat Hinstorf f eine Untersuchung
der Archives liiteraires folgen lassen. Die Archives, wahrscheinUch
eine Gründung der deutschen Buchhändler Cotta und Henrichs,
an der auch bekannte Vermittler deutschen Geistes wie Degerando
und Vanderbourg teilnahmen, begannen im ersten Jahrzehnt
des XIX. Jahrhunderts ihr kurzes Dasein. Ihr erstes Monatsheft
erschien im Januar 1804. Im April 1808 mußten sie bereits
ihr Erscheinen einstellen, nachdem ihnen eine ^>rfügung des
Polizei -Präfekten vorschreiben wollte, sich nur auf Artikel über
französische Literatur zu beschränken. Die Gründe für diesen
Erlaß sind wohl in der Wühlarbeit des brotneidisch gewordenen
Mercure de France zu suchen, dann vor allem in politischen Er-
wägungen, in der Mißliebigkeit des Chefredakteurs Suard, der
als Royalist anrüchig war.
Der Titel der Archives deutet schon an, daß ihren Heraus-
gebern ähnliche kosmopolitische Ideale vorschwebten wie früheren
Gründungen derselben Art: durch regen Austausch der gegen-
seitigen Arbeiten eine Völkerverbrüderung auf dem Gebiet der
Kunst, Literatur und Wissenschaft anzubahnen. Und es ist
kein bloßer Zufall, daß das von Degerando verfaßte Programm,
das die erste Nummer einleitet («des Communications litt, et philos.
entre les nations de VEurope»), im Gedankengang auffallend an
das Programm erinnert, das seinerzeit — genau ein halbes Jahr-
hundert vorher — Grimm für das Journal Etranger geschrieben
hatte. Hier wie dort in derselben phrasenhaften Einkleidung
derselbe unklare Optimismus, der sich von solchem internatio-
4*
52 Referate und Rezensionen. Jlaniis Heiss.
nalem Verkehr Gott weiß was alles für Segnungen verspricht,
dasselbe oberflächliche Lob fremder Nationen, derselbe Appell
an die Franzosen, endlich ihre intellektuelle Isolierung auf-
zugeben und sich auch für die Eigenart ihrer Nachbarn zu
interessieren.
Nur die Situation, die die Archives vorfanden, war nicht
mehr ganz dieselbe wie 1754. Sie war auf der einen Seite günstiger.
Seit d^r Modebegeisterung für alles ausländische, wie sie in den
50er und 60er Jahren um sich gegriffen hatte, war das Eis ge-
brochen, besonders Dank der eifrigen Vermittlertätigkeit von
Männern wie Huber, Junker etc. Auf der anderen Seite un-
günstiger: Denn dieser erste Versuch war nach schnell ver-
gessenen Scheinerfolgen gründlich mißglückt und zudem war
der Augenblick zu seiner Wiederholung recht schlecht gewählt.
Von oben herab wehte kühlste Luft. Napoleon machte kein
Hehl aus seiner Abneigung gegen die deutschen "Ideologen".
Die kosmopolitische Schwärmerei der vorrevolutionären Tage
war beim PubUkum schon verflogen. Der kriegerische Geist,
der Expansionsdrang und das Selbstbewußtsein der Nation
waren neu und stärker denn je erwacht. Und gegen das lebhafte
Interesse, das die Siegesnachrichten von der «Grande armee»
erregten, konnte die deutsche Literatur, wie sie die Archives
feilboten, so wenig als die französische ankämpfen.
Daß die Archives unter so schwierigen Verhältni.ssen nicht
viel für die Verbreitung deutscher Literatur tun konnten, ist
klar. Wie viel sie getan haben, das wollte Hinstorff untersuchen.
Aber leider muß man seiner Arbeit denselben Vorwurf machen
wie der Dissertation Gärtners. Sie bleibt zu sehr im beschreiben-
den stecken. Von ganz seltenen schüchternen Anläufen abge-
sehen vermeidet sie es durchaus, kritisch Stellung zu nehmen,
während uns doch gerade mit einer kritischen Auseinandersetzung
gedient gewesen wäre, mit einer eingehenden Beurteilung der
Art, wie die Archives ihre Vermittlerrolle auffaßten, wie sie ihre
Auswahl trafen und wie sie übersetzten. Was Hinstorff gibt,
ist nur eine fleißige Inhaltsangabe, aus der der Leser di(> Scldüsse
sich erst selber ziehen muß.
Man gewinnt aus dieser Inhaltsangabe vor allem den Ein-
druck, daß sich in dem Verhältnis Frankreichs zur deutschen
Literatur seit der Mitte des vorhergehenden Jahrhunderts so
gut wie gar nichts geändert hat. Man iiat seitdem nichts gelernt
und nichts vergessen. In Frankreich herrscht immer noch der
gleiche nationale Eigendünkel, der dem Lob fremder Literatur
(und was sind das für vage, allgemein gehaltene Lobsprüche!)
einen unangenehmen Beigeschmack gönnerhafter Herablassung
gibt und der jede ausländische. Kritik an der eigenen Literatur
entrüstet als Majestätsverbrechen empfindet. Einige Ausfälle
gegen die französische Literatur, die sicli Bouterweck erlaubt
Hinstorf f, C. .1. Die Archivos litteraires de ]' Europe ^'c- 53
hatte, lehnen die Archives mit der stolzen Bemerkung ab: «Quant
aiix heresies attentoires ä l'honneur de notre litterature . . . nous
pejisons (jii'elles ne pourront scandaliser que les petits.» Und bei
den Übersetzern herrscht noch immer die gleiche Angst den
Franzosen zu mißfallen, das gleiche Bemühen, die fremden
Autoren erst anzuschminken und aufzufrisieren, ehe man sie
vorstellt. Vanderbourg z. B. überträgt stark verstümmelt
Schillers Abhandlung über das Erhabene, entschuldigt sich aber
noch eigens in einer Einleitung, daß er vielleicht nicht energisch
genug verstümmelt habe, daß noch manches stehen geblieben
sei, was in Frankreich chokieren könne. Wenn man bei Hinstorff
solche Zitate liest, drängen sich einem Analoga in Hülle und
Fülle aus der früheren Zeit auf.') Vor allem ajjer erinnert man
sich mit Vergnügen an die treffende Bemerkimg Nicolais: «Das
Journal Etranger ist ... ein großer Saal in einer Schule, wo-
rinnen die Gelehrten aller Nationen auftreten, die Franzosen
liingegen sitzen und dieselben examinieren, inwieweit sie ihnen
ähnlich geworden sind.» Und man findet, daß sie auch für die
Archives noch den Nagel auf den Kopf trifft.
Die Übersetzer sind aber nicht bloß zaghaft. Sie stellen es
auch immer noch möglichst dumm an, den Franzosen die deutsche
Literatur zu vermitteln. Obwohl der Mitai'beiterstab der
Arch. sich wohl mit dem des Journal Etr. messen kann, sind die
Kostproben hier genau so ungeschickt ausgesucht wie dort.
Der große Vorteil, daß die deutsche Literatur vor und nach dem
Tode Schillers einen ganz anderen Reichtum bot als in der Mitte
des XVIII. Jahrhunderts, ist durchaus nicht ausgenützt. Noch
immer werden die guten interessanten Autoren über sehr obskuren
vernachlässigt, für die die Übersetzer, wie es scheint, zu allen
Zeiten eine besondere Vorliebe gehabt haben (und noch heute
haben). Man wird ganz ärgerlich, wenn man Namen liest wie
Bronner, J. G. Jacobi, C. Pichler, Frau Harmes, Fr. W. von Ram-
dohr, mit denen die Franzosen wahrhaftig nichts anfangen konnten,
die sie nur in ihren hochmütigen Anschauungen über deutsche
Literatur bestärken mußten.
Am besten sind noch die deutschen Gelehrten berücksichtigt,
deutsche Wissenschaft und Philosophie, überhaupt die Schrift-
stellerei mit philosophischer Färbung. Vom Göttinger Heyne,
von anderen Philologen und Historikern werden Übersetzungen
gebracht, der Phrenologe Gall scheint starke Neugier zu erregen,
auch von Lavater ist die Rede. Lichtenberg kommt zum Wort,
ebenso Schiller als Aesthetiker und Herder, dieser z. B. mit
einem Auszug aus den Ideen zur Philosophie der Geschichte der
Menschheit. Der Elsässer Schweighäuser veröffentlicht einen
Aufsatz: aSur l'etat actuel de la philosophie en Allemagne'>, der
1) vero'l. meine Arlieit über iNIicliael Huber. Rom. Forsch. Bd. XXV.
5-1: Referale und Rezensionen. Hanns Heiss.
über Kant, Ficlite, Schelling und F. H. Jacobi orientiert. Kant
ist auch durch Übersetzungen vertreten und außerdem widmet
ilim Ch. de Villers einen Nachruf, der bei aller Kritik sympathisch
gehalten ist.
Aber sonst ? Unsere dramatische Produktion wird nur
in Einzelrezensionen berührt, in denen gelegentlich auch mit
Kotzebue abgerechnet wird. Von unserer Erzählungskunst
soll außer Ramdohr und zwei anonymen Verfassern ein einziges
Märchen des Musaeus Begriff geben. Unsere Lyrik und Didaktik
paradiert mit ein paar Stücken von Claudius und dem Grafen
Fr. von Stolberg. Das ist alles. Und unsere Großen? Relativ
gut kommt Klopstock weg mit einem Fragment aus dem Messias,
drei Oden und ein paar sehr lobenden Artikeln. Für Lessing*
findet sich nur einmal im Vorbeigehen ein Hinweis auf Laokoon,
den 1802 Vanderbourg übersetzt hatte. Für Schiller findet
sich ein aus dem Deutschen übertragener Nekrolog, der ganz
kluge Bemerkungen enthält und einige verstreute Rezensionen
seines Theaters. Übertragen sind von ihm nur drei ästhetische
Abhandlungen (mit welcher Vorsicht, das ist schon gesagt
worden). Von Goethe ist auch nicht eine Zeile übertragen.
Nur seines Theaters wird im kritischen Teil mehrmals an-
erkennend gedacht.
Die Sinnlosigkeit dieser Art von Vermittlung wird am
augenfälligsten, wenn man nachsieht, wie Wieland vertreten ist,
aus dessen Werken zwölfmal übersetzt wird, der also in den
Archives den breitesten Raum einnimmt. Man höre: L Inhalts-
angabe der schon übersetzten Grazien und Vergleich mit einem
[justspiel von Sainte-Foix. ■ — 2. Übersetzung von «Hann und
Gulperche» (in Versen oder in Prosa ?). ■ — 3. Wielands Übersetzung
der 1. Satire von Horaz mit seiner Einleitung und seinen An-
merkungen. - — 4. Übersetzung des Aufsatzes: »Die pythagoreischen
Frauen.» — 5. Übersetzung des Aufsatzes: «Über die ältesten
Zeitverkürzungsspiele,» den Wieland einfach aus den «Melanges
lires d'une gründe bibliotheque» und der «Acudeniie des Jeux»
kompiliert hatte (vgl. Ausgabe der Werke. Berlin, Hempel.
i^d. XXXV p. 98). — 6. Prosaübersetzung von «Das Sommer-
märchen», worin der Übersetzer selbst sein französisches Publi-
kum (hirauf aufmerksam macht, das Wielands Gedicht die treue
Nachahmung einer französischen Erzählung in der «Bibliotheque
des Romans» sei. — 7. Übersetzung des Aufsatzes: «Über den
Charakter des Maecenas.» — 8. Eingehende Inhaltsangabe eines
Gediclites unter dem Titel: «Le Proces de VAmour» (Hinstorff
spriclit vom «Liebesprozeß». Icli kenne kein so betiteltes Gedicht
Wielands. Es wird sich wohl um den «Verklagten Amor» handeln).
— 9. Hypothese de Wieland sur l'art poetique d'Horace. — 10.
Übersetzung aus den Briefen an einen jungen Dichter. — IL
Des jugements humains. — 12. Junon et Livie. Übersetzung
Ilinslorjj, C. A. Die Arclm'cs liltcraires de l' Eiirope df-c. 55
eines Stückes aus Wielands Übersetzung der Göttorgespräche
Lucians. — Armer Wieland! Ai'me deutsche Literatur! Das soll
in Frankreich ein Bild geben von dem bunten Werk eines der
besten deutschen Dichter von damals: Inhaltsangaben, ein paar
Aufsätze, die wirklich keine internationale Aufmerksamkeit be-
anspruclion dürfen und von denen einer, der unbedeutendste,
noch dazu auf französische Quellen zurückgeht, und — als Gipfel
des Unsinns — Übersetzungen von Übersetzungen, als ob die
Franzosen ilire «Bibliotheque des Romans» nicht selber lesen und
die Alten nicht selber übersetzen könnten! Mir scheint, der
Ausschnitt aus der deutschen Literatur, den die Archives
bieten, ist noch klaglicher als der im Journal Etranger
servierte. Von einem Fortschritt in der Vermittlung kann
keine Rede sein.
Vielleicht liegt ein solcher B'ortschritt in der Art, \v i e
übersetzt wurde. Ich kann das leider nicht sagen, da mir die
Archives momentan nicht zugänglich sind und da die eine Probe,
die Hinstorff abdruckt (\^ersübersetzung eines Gedichts von
Claudius), natürlich keine genügende Grundlage für ein Urteil
gibt. Es ist sehr schade, daß Hinstorff diesen Teil seiner Auf-
gabe ganz übersieht und gar keine Kritik versucht. Es wäre
interessant gewesen zu erfahren, wie man in den Archiv, ver-
dolmetschte, vor allem, ob man noch so frei und häufig liederlich
übertrug wie im XVIII. Jahrhundert oder ob man dem Beispiel
von Villers folgend sich größerer Treue befleißigte. Das wäre
jedenfalls wichtiger gewesen als die Höhe des Abonnementspreises
und der Honorare, die uns Hinstorff gewissenhaft mitteilt. Denn
wie will man die Aufnahme, die eine Literatur im Ausland findet,
die Meinungen der Franzosen über die unsere beurteilen, wenn
man sich nicht klar macht, wie sie in der fremden Sprache aus-
sieht, inwieweit ihr Geist und ihr Geschmack bewahrt oder dem
fremden Geist und Geschmack assimiliert sind ? Alle Unter-
suchungen über Hterarische Vermittlung müßten m. E. an diesem
Hauptpunkt einsetzen.
Trotz der gerügten Mängel ist Hinstorffs Programm will-
kommen zu heißen wie jede Arbeit, die zu unserer besseren Kennt-
nis der Beziehungen zwischen deutscher und französisclier Literatur
beiträgt. Auf diesem Gebiet ist noch so viel zu erforschen.
Süpfles Buch ist heute in manchem überholt und veraltet, aber
noch immer niclit ersetzt. Das Buch von Rössel war von jeher
unzureichend. Man kann deshalb nur wünschen, daß sich die
Zahl der Einzeluntersuchungen rasch vermehre, besonders die
der Monographien über die Zeitschriften, die im XVIII. Jahrh.
im gegenseitigen hterarischen Austausch eine so große Rolle
spielten. Hier klafft überhaupt noch eine bedauerliche Lücke.
Wieviel Funde, Winke und Aufklärungen nicht bloß für den
literarischen Kosmopolitismus, sondern auch für die Geschichte
56 Referate und Rezensionen. W. Haupe.
der national-französischen Literatur wären allein schon aus dem
Mercure de France zu holen, mit dem sich noch niemand näher
beschäftigt hat!
B o n ]i. Hanns Heiss.
]K^eiiei*e Arbeiten über Oeorg^e ^and:
1. R e n e D 0 u 111 i c , George Sand. Avec quatrc portraits et iiu
facsimile d'autographe. Paris, Librairie academique, Perrin et
Cie., 1909. 3 fr. 50.
2. Emile Faguet, George Sand in I^a Revue vom 1. Sep-
tember 1909.
3. A 1 p h 0 n s e Seche et Jules B e r t a u t , La vie anec-
dotique et pittoresque des grands ccrivains. George Sand. Paris,
Louis Michaud.
4. Jean de G o u r m o n t , George Sand. Mercure de France
vom 16. September 1909.
5. Edouard Rod, George Sand et le publie d'aujoard'hui.
Figaro vom 20. Januar 1909.
6. S. R 0 c h e b 1 a V e , George Sand Lettres ä Poncy. Revue des
deux mondes vom 1. und 15. August 1909.
7. Pierre Blanchon, Lettres de George Sand a Eugene
Fromentin. Revue de Paris vom 15. September und 1. Oktober
1909.
8. Jose p h A g e o r g e s , L'enclos de Gge. Sand. Paris, Grasset,
1910.
9. Jules Claretie, A Venise. Le Temps 16. April 1909.
10. Paul G i n i s t y . Le Baron Haussmann et George Sand.
Journal des Debats 31. März 1909.
11. Emile Faguet, Michel de Bourges. Revue des deux
mondes 1. November 1909.
I.
,,0/? ne lit plus George Sand, nous dil-on' sagt C a r o in
seiner gedankenreichen Studie über George Sand, und Edouard
Rod, der jüngst verstorbene namhafte Schriftsteller, bestätigt
in dem oben angeführten Aufsatz, daß die Lesewelt gegen die
berühmte Dichterin gleichgültig geworden ist.^) Er erklärt dies
damit, daß G. Sand zwar eine große Erzählungsgabc besitze,
aber weder durch ein eigentliches persönliches Gepräge noch
durch neue große Gedanken sich auszeichne und nur durch die
wirksame Verkörperung der passion romantique eine besondere
Bedeutung erlangt habe. Die Zeit der Romantik, die übrigens
literarisch eine üble Epoche gewesen, sei längst vorüber. (Aber
Cyrano von Rergerac ist doch ganz romantisch!)
*) Bei uns in Deutschland werden nach meinen Erhebungen bei
öffentlichen und Privatbibliotheken' George Sands Schriften sehr wenig
mehr verlangt.
Neuere Arbeiten über George Sand. 57
Ich kann Rod's Ansicht nicht l)eipfUchfen. Es l'olilt George
Sand weder an neuen bedeutenden Gedanken, noch an einer
starken persönliclien Eigenart; ihre Werke hätten sonst auch
nicht wohl solche Stürme der Begeisterung und der Entrüstung
entfesseln können. Es gibt kaum eine große Angelegenheit der
Menschheit, über welche sie nicht nachgedacht hätte, und man
erstaunt zuweilen, bei ihr Geibinkon zu begegnen, die uns ganz
modern anmuten. WVnn sie wenig mehr gelesen wird, so ist
dies, wie ich glaube, in einem allgemeinen Gesetz begründet, in
(h'ni Wechsel des Geistes und Geschmacks der Zeit. Namentlich
die erzählende Prosadichtung ist diesem Wechsel unterworfen,
mehr als die in strenge Formen gegossenen poetischen Werke.
Nur die allergrößten Erzähler überdauern den Wechsel der Zeiten.
Wie viele Leute lesen heute noch Chateaubriand oder bei uns
Jean Paul ? George Sand's Idealismus wurde durch den Realis-
mus und Naturalismus verdrängt. Die heutige unruhevolle Zeit
kann die ,,Longueurs" und ,,Digressions'", die George Sand selbst
an sich tadelt, die langen, liäufig eintönigen Reden und Be-
trachtungen am allerwenigsten ertragen. Aber es ist nicht aus-
geschlossen, daß, wie Doumic hofft, die Welt, übersättigt vom
Naturahsmus, einmal zu George Sand zurückkehrt. Allerdings
wird ein Teil ihrer Werke als unrettbar veraltet ausgeschieden
werden, aber es winl genug des Schönen und Wertvollen übrig
bleiben.
Mit der Person und dem Leben unserer Dichterin hat
man sich bis auf die neueste Zeit stets sehr viel beschäftigt.
Die Romane, die sie gelebt hat, haben ein nachlialtigeres
Interesse erregt als die von ihr geschriebenen. Die Wissen-
schaft, auch die deutsche, hat freilich nie aufgehört, ihren
Werken Aufmerksamkeit zuzuwenden, wofür eine Reihe ge-
diegener Einzelschriften Zeugnis ablegt.
Rene Doumic, einer der jüngsten Akademiker, hat es nun
versucht, für ein größeres gebildetes Publikum ein zusammen-
fassendes Bild der Persönlichkeit und schriftstellerischen Tätig-
keit George Sands zu bieten, um dadurch die Teilnahme für sie
neu zu erwecken. Sein Buch enthält die zehn mit außerordent-
lichem Beifall aufgenommenen Vorträge, die er auf Einladung
der Societe des Conferences vom 27. Januar 1909 an gehalten hat
und die zuerst in der Revue hebdomadaire von 1909 No. 6 — 15
erschienen sind.
Seine Aufgabe war nicht leicht. Man könnte beinahe von
einem Embarras de richesse sprechen. G. Sand hat bekanntlich
unglaublich viel geschrieben. Man hat von ihr gesagt, sie habe
ein Schreibzeug an der Stelle des Herzens. Es mochten innere
oder äußere Stürme toben: sie schrieb; teure Liebesbande mochten
mit wildem Weh zerreißen, neue sich knüpfen: sie schrieb; Kriege
und Revolutionen mochten die Welt erschüttern und Frankreichs
58 Referate und Rezensionen. W Haape.
Boden röten: sie schrieb. Über hundert Bände Romane, Novellen,
Theaterstücke, Aufsätze verschiedener Art hat sie geschrieben,
wozu noch zehn (in anderer Ausgabe vier) Bände Selbstbiographie,
sechs oder mehr Bände Korrespondenz und zahllose ungedruckto
Briefe kommen. Und nun sagt uns Josef Ageorges in dem oben
angeführten Buch: George Sand n'est pas encore morte. Elle
publie toiijours! Das klingt unheimlich; man denkt an die greise
Hussitin Wanda in der Comtesse de Riidolstadt, die immer wieder-
kehrt, wenn man glaubt, sie habe Ruhe gefunden. Ageorges
deutet an, daß in einem Schloß bei Nohant noch reiche unge-
hobene Schätze von Briefen verborgen liegen.
Noch weit mehr aber als G. Sand selbst geschrieben hat,
ist über sie geschrieben worden. Über das venetianische Aben-
teuer allein ist eine Literatur erwachsen, die eine ganze Bibliothek
füllen würde. Wehe dem, der diese Bihliothek ganz durchlesen
müßte!
G. Sand hat aber nicht bloß geschrieben, sie hat auch ge-
handelt, erlebt, in die Bewegungen der Zeit persönlich ein-
gegriffen.
Doumic war mit Erfolg bestrebt, das überreiche Material zu
sichten und nur das Wesentlichste seinen Zuhörern und Lesern
in klarer Übersicht vorzutragen. Er erklärt von vornherein,
(laß er keine abgeschlossene wissenschaftliche Studie, sondern
nur eine Reihe von Betrachtimgen über Gge. Sands Leben, ihren
geistigen Entwickelungsgang, ihre Werke, ihre zeitgeschichtlichf
Bedeutung darbieten wolle. Durch Mitteilung einiger unge-
druckten Briefe Gge. Sands — l'inedit est la manie du jour, wie
er sagt — gibt er manche wertvolle Aufschlüsse. Gourmont's
Vorwurf, daß Doumic nichts Neues biete, ist unberechtigt. Von
hesonderem Interesse ist es, das Urteil eines Mannes, der in der
vordersten Reihe der literarischen Kritik steht, über G. Sands
f>igenartige Persönlichkeit zu vernehmen.
Doumic's Darstellung ist, dem Charakter des miindlichen
Vortrags vor einem gemischten Publikum entsprechend, nicht
im strengen Lehrton gehalten, sondern mehr im Stil einer geist-
reichen Plauderei, die aucli den Humor und die Satire nicht
verschmäht, ohne daß deshalb der ernste Grundton fehlte. Dei-
tniindliclie Vortrag liebt es, Licht und Schatten scharf zu betonen,
bei Gelegenheit einen Effekt mitzunehmen und sicii auch zu-
weilen in der Form etwas gehen zu lassen.
Emile Faguet (im obigen Aufsatz) tadelt es, daß
Doumic dem biographischen Teile einen zu breiten Raum ge-
währe; dadurch erscheine Gge. Sand als eine ,, sentimentale
Grisette". Allerdings hat Doumic die J ebensgeschichte G. Sands
stärker berücksichtigt als z. B. Caro; doch hat er die Analyse
und Beurteilung ihrer Werke keineswegs außer acht gelassen.
Zudem ist das Leben der Dichterin in seinen einzelnen Phasen
X euere Arbeiten über George Sand. 59
so innig mit ilircm schrii'lstollerisclien Wirkon verbunden, es ist
zugleich ein so anziehendes psychologisches Problem und ein so
fesselndes Kulturbild, und es ist auch schon so vielfach zum
Gegenstand der Besprechung gemacht worden, daß Doumic
näher auf dies Leben eingehen m u ß t e. Seinem ganz richtigen
\'orsatz: .yJ'Hudierai la biographie dans la mesiire du eile est
indispensable pour la complete intelligence des cpuvres" ist er damit
nicht untreu geworden. Vielleicht hätte er das Charakterbild
von G. Sand noch mehr vortiefen können.
II.
Als Hauptquelle gibt Düumic an das Work v(.in Wladimir
Karenine (Frau Komarow geb. Stassow),'-^) ein Werk von be-
wundernswürdigem Fleiß, großer Genauigkeit und umfassender
Literaturkenntnis. Leider reicht es nur bis zur Reise Gge. Sands
nach Majorca (1838).
Eine besondere Würdigung erheischt G. Sands ^Jdstoire de
ma vie" . Sie ist geschrieben von 1847 — ^1855 und reicht bis zum
Jahr 1847. Das W^erk wird vielfach abfällig beurteilt. Julian
Schmidt, doi' heute noch öfters angefülu't wird, so aucli von
Karenine, hat es als eine reine Geldspekulation bezeichnet.^)
Allerdings wollte G. Sand Geld mit demselben vordienen, es ist
aber deshalb nicht wertlos. Es ist ungleich vmd lückenhaft.
Die drei ersten Bände (in der zehnbändigen Ausgabe von 1856)
geben die Geschichte der Vorfahren von Gge. Sand; erst am
Ende des dritten Bandes tritt sie selbst auf den Schauplatz.
Ihre Jugend wird sehr ausführlich, ihr späteres Leben zum Teil
sehr flüchtig erzählt. Die chronologischen Angaben sind nicht
immer zuverlässig. Gleichwohl ist das Buch eine wertvolle L^r-
kunde für die Erkenntnis des Geistes und W'esens der Verfasserin.
Es enthält Meisterstücke der Charakterisierungskunst und macht
im gan'^en aucli den Eindruck der Wahrheitsliebe.
Nicht ohne bewußte Absicht hat G. Sand die Geschichte
ihrer Eltern und Voreltern und ihrer eigenen Jugend so aus-
führlich geschildert. Sie wollte offenbar manche ihrer eigenen
Charakterzüge und Handlungen auf \^ererbung und auf die eigen-
tümhchen Vorhältnisse zurückführen, aus denen sie hervor-
gegangen ist. Mit Recht haben auch die Biographen Gge. Sands
die Vorgeschichte ihrer Heldin mehr oder weniger eingehend
berücksichtigt. Den Büchern von Seche und Bertaut und von
Karenine ist sogar eine Stammtafel beigegeben, durch welche
bewiesen werden soll, daß Gge. Sand nicht nur mit Ludwig XVI.,
2) Wladimir Karenine George Sand, sa vie et ses oeuvres. Paris,
Ollendorf. 2 Bde., 448 und 458 S.
3) J. Schmidt, Geschichte der franz. Literatur seit der Revolution
1789. Leipzig 1858. IL S. 509.
60 Referate und Rezensionen. W. Haape.
Ludwig XVIII. und Karl X. von Frankreich, sondern auch —
qiii mieux est, wie Seche sagt ■ — mit unserem Kaiser Wilhelm II.
verwandt ist! Diese sog. Verwandtschaft wird auf ganz ,, natür-
lichem" Wege vermittelt durch den Marschall Moritz von Sachsen,
den natürlichen^ Urgroßvater Gge. Sands. Der Marschall war
der Sohn Friedrich Augusts I. von Sachsen, Königs von Polen,
und der Maria Aurora von Königsmark. Friedrich August I.
stammte von der Kurfürstin Magdalene Sibylle von Sachsen,
geb. Prinzessin von Baireuth, und indirekt von Johann Georg,
Kurfürsten von Brandenburg. Die Genealogie ist an sich nicht
zu beanstanden;"*) es ist eine Spielerei, die immerhin wieder zeigt,
daß Kaiser Wilhelm bei den Franzosen etwas gilt.
In der Revue hebdomadaire, sowie in dem Buch von Seche
und Bertaut ist auch eine Anzahl Bildnisse der Ahnen Gge. Sands
nach Gemälden und Statuen veröffentlicht. Es ist in manch-
facher Beziehung nicht ohne Reiz, diese Ahnengalerie zu durcli-
wandern.
Den Reigen eröffnet Moritz von Sachsen, nach dem Bild
ein energischer offener Kopf mit einem liebenswürdigen sinnenden
Zug. Bekanntlich hat sich der berühmte Marschall nicht nur
mit Siegen über feindliche Heere und über Frauenherzen, sondern
auch mit sozialen und humanitären Plänen beschäftigt und
großes Interesse für die Schauspielkunst gehabt. Seine Geliebte,
George Sands Urgroßmutter, war die Schauspielerin Marie
Rinteau, genannt de ^^errieres. Ihre Tochter war Marie Aurore
de Saxe, Gge. Sands Großmutter, die in zweiter Ehe mit Dupin
de Francueil verheii'atet war. Dupins ansprechende Gesichts-
züge zeigen einige Ähnlichkeit mit seiner Enkelin Gge. Sand,
während das Bild seiner Gattin Marie Aurore lebhaft an deren
Vater, den Marschall von Sachsen, erinnert, mit welchem Gge.
Sand gar keine Ähnlichkeit hat. Dupin war ein Universalgenie,
ausgezeichnet als Musiker, Komponist. Maler. Dichter, Architekt,
Schreiner, Dreher usw. ,,/e ne sais pas ce quil n'etait pas."
Er konnte sogar prachtvoll sticken! Sein Sohn, Maurice Dupin,
Gge. Sands Vater, war literarisch und künstlerisch begabt, dabei
gemütvoll; die Briefe, die er von seinen Feldzügen aus an seine
Mutter schickte, sind trefflich geschrieben, voll Empfindung und
Humor und haben zum Teil geschichtlichen Wert. Über seine
Abenteuer mit deutschen Stiftsdamen und dergl. berichtet er
der Mutter gewissenhaft. Wenig erfi-eulich für diese war es,
daß er schon als ganz junger Mensch, der Tradition seines Hauses
getreu — auch sein \'ater war dieser Tradition gefolgt — , Vater
eines natürlichen Sohnes wurde, der Hippolyt Chätiron hieß und
als Bruder von Gge. Sand einen wiclitigen Platz in ihrem Leben
"*) Vgl. das Genealogische Handbuch von Ottokar Lorenz, bearbeitet
von Ernst Devrient. Stuttgart und Berlin 1908. Taf. 38, 45.
Neuere Arbeiten über George Sand. 61
einnalnii. M'iv äuL'ere Ähnlichkeit George Sands mit iliioin Vater-
Maurice Dupin, von welcher sie in ihrer Lebensgeschichte
spricht, ist in der Tat auffallend; auch in ihrer geistigen und
gemütlichen Veranlagung bestanden viele gemeinsame Züge.
Maurice Dupins Gattin, Sophie Delaborde, die Mutter George
Sands, von der kein Bildnis gegeben ist, war die Tochter eines
Pariser Vogelhändlers; sie war eine geschickte Putzmacherin,
eine Zeitlang Statistin an einem kleinen Theater und folgte dann
einem alten General in den Krieg. Sie hatte eine Tochter ,,de
provenance indecise'\ Sophie Dupin - Delaborde war hübsch,
von lebliaflem Charakter, nicht ohne Geschmack und Mutter-
witz, aber ungebildet, derb und launenhaft. Mit ihrem Gatten
lebte sie sehr glücklich. Nach seinem Tode soll sie zu ihren
früheren lockeren Sitten zurückgekehrt sein. George Sand be-
streitet dies entschieden, und sie selbst hat feierlich versichert,
daß sie in ihrer Witwenschaft vorwurfsfrei gelebt und das An-
denken ihres Gatten in Ehren gehalten Iiabe. Ob Doumics
Äußerung: ,,£//e etait tout-ä-fait galante" nicht zu hart ist, muß
hiernach dahingestellt bleiben; Tatsachen sind dafür nicht an-
geführt worden.
Auch Gge. Sands Gatte Casimir war ein natürlicher Sohn
des Obersten Dudevant. ,,Est-ce qiie toiis les enjants ne sont
pas naturels?'' fragt Doumic mit Pailleron in ,,Le Monde oii
l'oji s'ennuie".
Von der ganzen oben geschilderten etwas leichtfertigen
Gesellscliaft hebt sich George Sands Großmutter, Marie Aurore
Dupin, ,,/a femme infiniment respectable" , durch ilir feines Be-
nehmen und ihre strenge Sittlichkeit scharf ab.
Zwischen ihre vornehme Großmutter und ihre plebejisch
derbe Mutter war die junge Aurora nach dem frühen Tod ihres
Vaters mitten hineingestellt. Beide Frauen kämpften um das
Herz des Kindes und um seine Erziehung. Aurora schloß sich
viel inniger an die Mutter an als an die strenge, förmliche Groß-
mutter. Die leidenschaftliche wilde Boheme-Natur der Mutter
war ihr wahlverwandt. Erst in reiferem Alter lernte sie ihre
Großmutter schätzen. Der Widerstreit ZN\ischen den beiden
Frauen konnte natürlich der Erziehung und namentlich der
Charakter- und Gemütsbildung des Kindes nicht förderlich sein.
Es war auch, wie es sich zeigte, kein Glück für das erregbare,
schwärmerische junge Mädchen, daß man es dem Kloster zur
Erziehung übergab, um es den sich entgegenwirkenden häus-
lichen Einflüssen zu entziehen.
In George Sands Natur lagen große Widersprüche. Sie
war im Kloster la plus triste et la plus enjouee. Zuerst einer der
wildesten unter den ,.diables'\ verfiel sie mit einem Male in
eine ekstatische religiöse Schwärmerei. Sie schildert sich selbst
62 Referate und Rezensionen. W. Haape.
als träge, und doch, wer liat lleiBiger gearbeitet als sie ? Sie
bezeichnet sich als eine passive, wenig energische Natur, aber
wie leidenschaftlich konnte ihr Herz aufflammen, zu welchen
gewagten Entschlüssen ist sie fähig! Sie sehnt sich nach Freiheit,
nach Ungebundenheit, und doch wdll sie geleitet, beeinflußt
sein. Von Jugend auf liebt sie es, sich in phantastischen Träu-
mereien zu verlieren, und dabei kann sie doch wieder in Ange-
legenheiten des praktischen Lebens recht viel gesunden Menschen-
verstand entwickeln. Sie sagt selbst: La natiire hnmaine (vielleicht
insbesondere la nature des femmes) nest qu'iin tissu d'inconse-
qiiences et je ne crois point du tout ä ceux qui pretendent d'etre
trouves d'accord avec le moi de Ja veüle.
Man könnte beinahe glauben, diese Wandelbarkeit habe sich
auch auf ihr Äußeres erstreckt. Häufig denkt man sich George
Sand als eine verführerische Schönheit; die Berichte lauten aber
sehr verschieden. Sie selbst sagt, sie habe als Kind versprochen,
sehr schön zu werden, promesse que je n'ai pas tenue. Ma pauvre
mere, qui estimait la beaute avanl tout., m'en faisait souvent de
na'ifs reproches. Sie fügt bei, sie habe frülizeitig das air bete
gehabt, das ihr während ihres ganzen Lebens geblieben sei. Ihr
späterer Gatte Dudevant sagte, als er um sie anhielt: J'ai ete
frappe ä la premiere vue de votre air bon et raisonnable. Je ne
vous ai trouvee ni helle ni jolie. Auch Pietro Pagello, ihr vene-
tianischer Freund, bewundert zwar ihre merkwürdigen Augen
(gli occhi stupendi), fügt aber bei, ihre Lippen seien dick und
häßlich. Heinrich Heine dagegen ist von ihrer Schönheit seiir
entzückt und preist diese wiederholt; er findet aber auch den
Mund nicht anziehend. Bemerkenswert ist die genaue Be-
schreibung, welche die englische Dichterin Elizabeth Barret
Browning, eine eifrige Verehrerin Gge. Sands, auf Grund einer
Begegnung vom 12. Februar 1852 von ihr gibt: Sie ist ziemlich
stark gebaut, nicht groß, Augen und Stirn edel, die Nase von
etw'as jüdischem Schnitt; das Kinn fällt ein wenig ab, der Mund
ist nicht angenehm, obwohl ausdrucksvoll und blitzartig durch
die vorstehenden weißen Zähne zu einem Lächeln erhellt. Das
Gesicht hat nichts Liebliches, verrät aber große moi'alische und
geistige Fähigkeiten; nur kann es niemals schön gewesen sein.^)
Dem Vortrag Doumics sind in der Revue hebdomodaire
zahlreiche Bildnisse von George Sand beigegeben (der Buchaus-
gabe nur vier), ebenso dem Buch von Seche und Bertaut. Auch
diqse Bilder sind unter sich erstaunlich verschieden. Die Bild-
nisse von Charpentier und Calamatta (welcher der Dichterin
nahestand) stimmen unter sich und mit den obigen Angaben am
meisten überein. Die Zeichnung von Calamatta gibt auch jenen
^) S. den Aufsatz von M. J. Minckwitz in den Grenzboten 1902,
No. 46.
Neuere Arbeiten über George Sand. 63
träumerisch schläfrigen Zug, den G. Sand als air bete öfters
erwähnt.
Auf die Gegensätze in George Sands Natur und auf ihre
mangelhafte Erziehung weisen so manche Miüklänge hin, die
uns an ihren Werken und in ihrem Leben auffallen. Es beleidigt
unser Gefühl, wenn sie, die sonst soviel Herzensgute besitzt, in
der histoire de nia vie ihre Eltern und Verwandten vielfach
tadelt und bloßstellt. Es verletzt uns, wenn sie die letzten Worte,
die ihre Großmutter auf dem Sterbebett zu ihr gesprochen:
,,Tu perds ia meilleure amie," in ,, Indiana" der sterbenden Mutter
Raymons in den Mund legt. Es verletzt uns, wenn sie Balzac
ermuntert, über ihren Freund Liszt und die einst von ihr ver-
götterte Comtesse d'Agoult einen Roman zu schreiben: ,Jes
Galeriens ou les amoiirs forces."^) Sie konnte offenbar nicht
dem Drange widerstehen, alles, was sie erlebte und erfuhr, lite-
rarisch zu gestalten und zu verwerten.
In ihren Werken wie in ihren Briefen ist sie keineswegs
zimperlich; sie spricht von geschlechtlichen Dingen mit großer
Offenheit") und scheut sich auch nicht, reclit unsaubere Anek-
doten zum Besten zu geben (z. B. jenes Gesciiichtchen aus Venedig
in bist. d. m. vie V. 3). Dagegen haßt sie die Zote, die Freude
am Gemeinen. Beyle (Stendhal), den sie auf der Reise nach Italien
trifft, ist ihr zuwider, comme Je fond de son esprit trahii le goüt
de l'obscenite. Ihren Freund Balzac, der ihr einiges aus seinen
contes drolatiques vorliest, schilt sie einen gros indecent und
wirft ihn beinahe zur Tür hinaus, worauf er ihr von der Treppe
aus zuruft: Vous n'etes qu'iine bete.
III.
Über George Sands sittliches Verhalten und ihre Ansichten
iiber Sittlichkeitsfragen hat man sehr hart geurteilt. Man spricht
von der Frau, die sich so vielen hingegeben, die bald durch ihre
glühende verzehrende Sinnlichkeit, bald durch ihre Treulosigkeit
ihre Liebhaber zugrunde richtete. Stärkere Ausdrücke als Faguets
,,Grisette" wurden über sie gebraucht. Rien de plus large que
l'amoiir tel que l'auteur d\Jndiana" le comprenait, tel qu'il l'intro-
duisait dans ses romans et aussi, helas! dans sa vie, sagt Bire.
Das ungünstige Urteil über ihr Privatleben hat auch die Meinung
des großen Publikums über ihre Schriften beeinflußt. Ich bin
mehr als einmal selbst bei gebildeten Leuten folgendem Gedanken-
gangbegegnet: George Sand war unsittlich, ergo sind ihre Schriften
^) Karenine, Gge. Sand II, S. 451. Balzac schrieb an Mme.
Hauska: Gardöz bien ce secret-läl Man sieht, wie derartige literarische
Geheimnisse bewalirt werden.
') So auch in dem von Doumic ( S. 52) mitgeteilten Briefe an
ihren Nachbar Duplomb, in den Briefen an Boucoiran (s. z. B. Kare-
nine II, S. 79).
64 Referate und Rezensionen. 11'. Ilaape.
unsittlich, ergo lese ich sie nicht (^vobei ich es dahingestellt lasse,
ob diese Schlußfolgerung auch dann gezogen worden wäre, wenn
es sich um einen Modeschriftsteller handeln würde). Auch Kare-
nine, die George Sand verehrt und bewundert, kann an ihren
., zahlreichen Liebeshändeln" nicht ohne Tadel und schmerz-
liches Bedauern, Doumic nicht ohne bitteren Spott vorüber-
gehen. A. und L. Seche erwähnen allerlei skandalöse Ge-
schichtchen, die über sie umliefen. Auch Karenine glaubt,
daß ihr anstößiges Privatleben viele zu der Annahme verleite,
daß sie in ihren Schriften die ünsittlichkeit predige. Wenn
Julian Schmidt einst gesagt hat, daß bei George Sand die Leiden-
schaft zum Laster werde, daß bei ihren Heldinnen sich sinnliches
Verlangen mit Ohnmacht des Gemüts paarte, daß ihrer idealen
Sehnsucht eine entzündete Sinnlichkeit zugrunde liege; wenn
man ihr vorwirft, daß sie das Heiligste in den Staub gezogen,
die Bande der Familie zerrissen, der ausgelassensten Prostitution
die Perlen der Tugend um den schamlosen Busen gelegt habe,^)
so richten sich diese Vorwürfe auch gegen die Persönlichkeit
und den Charakter der Schriftstellerin.
Wie man auch sonst über Gge. Sand urteilen mag:
Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe wird man ihr im all-
gemeinen nicht absprechen können. Sie hat sich oft nur
zu offen ausgesprochen und den Schein allzu wenig gemieden.
Elle avait un grand besoin de sineerite (Doumic). Musset schreibt
ihr einmal (nach dem Bruch): Je ne m'ahiise sur uucnn de tes
defoiifs; tu ne mens pas, voilä pourquoi je t'aime.
In dem Bilde des jungen Mädchens, das uns in der histoire
de ma vie entgegentritt, verrät sich kein sinnlicher Zug, wohl
aber überschäumende Jugendlust abwechselnd mit schwer-
mütiger Träumerei, das Bedürfnis eines Ideals, seien es Kloster-
frauen oder Mitschülerinnen, oder seien es höhere Wesen, die
ihre Phantasie geschaffen (Corambe); zuletzt nimmt religiöse
Schwärmerei ihr ganzes Denken und Fühlen gefangen. Wir
dürfen wohl ihrer Versicherung glauben, daß auch nach ihrem
Austritt aus dem Kloster alles, was sich auf Liebe und Ehe be-
zieht, lettre close für sie war. ,^Aucune de ces fibres n'avait encore
vibre en moi" . Mit Casimir Dudevant hatte sie wie mit einem
Kameraden verkehrt; als solchen sah sie ihn auch an, als sie
mit ihm in die Ehe trat. Erst nach längerem Zusammenleben
trat der Gegensatz zwischen ihrer idealistischen und seiner prak-
tisch materiellen Natur zutage. Doumic hält es nach Andeutungen
in einem unveröffentlichten Briefe Gge. Sands für möglich,
daß ihr Gatte sie gleich anfangs durcli zu h(>fliges Verlangen
verletzte.
**) Vgl. Dr. Ferdinand Haas, Französische Stoßseufzer und deutsche
Reflexionen. Mainz 1871.
Neuere Arbeiten über George Sand. 65
George Sand selbst nennt sicli iine personne auslere et serieuse
au fond de l'äme (bist. d. m. v. 1X2). Das ,,Austere" und der Kampf
zwiscben Austeritc und Genußsucbt spielen ja aueb in ibren
Werken eine große Rolle (vergl. ,,Lelia" — einerseits Leba und
TrtHimor, anderseits Pulcberia, Stenio, Magnus — ; ^,Mauprat'' —
Edmee und Bernard — ; .ßecretaire intime'' — Quintiba und
St. Julien — ferner besonders Consuelo, eine Gestalt von
idealer Reinbeit, Yseult und die Marquise, anderseits Pierre
Iluguenin und der Coryntbien in Le conipagnoii da tour de France
u. s. f.). Balzae, der mit George Sand befreundet war und dem
es nicbt an Menscbenkenntnis feblte, sagt von ibr: Elle est
garQon, eile est artiste, eile est grande, genereuse, devouee, chaste,
eile a les traits d'un komme, eile n'est pas femme. . . . La femme
attire, eile repousse (au Mme Hanska v. 2. März 1838).
Alexandre Dumas Sobn sagt: C'est une curieuse excessive,
trompee, degue dans ses incessantes recherches, mais non une pas-
sionnee, und A. Secbe fügt bei: .4 defaut de sensualite, il y avait
en eile un besoin d'affection qui ne pouvait rester sans emploi.^)
Aucb Jules Sandeau, der sie ja genau kannte, sagt in dem Bilde,
das er in „Marianne" von ibr entv.irft: Son intimite elait d'un
facile acces, mois sa fiere chastete et son instinctive noblesse melaient
au laisser aller de toute sa personne des airs de vierge et de duchesse
qui contrastaient d'une fuQon etrange avec son mepris des convenances.
L'expression des yeux brülante, maladive accusait des lutfes infe-
rieures, terribles, incessantes, inavouees.
Man denkt bei dieser Scbilderung an Leba. Etwas Krank-
baftes lag offenbar in George Sands Natur; dafür sprecben jene
Überreizung der Pbantasie, an der sie scbon in früber Jugend
litt, und die sieb bis zu förmlicben Halluzinationen steigerte,
der jäbe Wecbsel der Stimmungen, ibre Neigung zum Selbst-
mord. Ob jene Congestion cerebrale espece d'apoplexie, von der
sie aus dem Jabre 1831 bericbtet, ibre Krankbeit in Venedig,
ibre beständigen Kopfscbmerzen damit zusammenbingen, ent-
ziebt sieb der Beurteilung. Aucb ibre Lebensweise, welcbe die
Nacbt zum Tag macbte, war nicbt normal. Übrigens lag etwas
Krankbaftes in jener ganzen Zeit der Romantik.
Daß G. Sand der weiblicbe Stolz nicbt mangelte, daß ibr
unter Umständen aucb die airs de duchesse zu Gebote standen,
und daß sie ibre Umgebung in Respekt zu balten wußte, wird
aucb von anderen Zeugen bestätigt.
Aber nun steben wir ^^ieder vor einem scbwer zu lösenden
Widersprucb. Wie reimt sieb zu jener fierte das Leben, das
G. Sand fübrte ? War sie ja docb nacb allgemeiner Annabme,
der aucb Doumic buldigt, die Geliebte von J. Sandeau, Merimee,
Alfred de Musset, Pietro Pagello, Micbel von Bourges, Cbopin-
^) Seche et Bertaut G. S., S. G8.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 5
66 Referate und Rezensionen. W. Haape.
Tn (lor Tat ein stattliches Häuflein. Und im Hintergrund stehen
noch der Gatte und Vater Casimir und der brave Aurelien de
Seze. Von Mallefille, der auch unter ihren Liebhabern angeführt
wird, will icli absehen. Doumic und Seche nennen ihn nicht,
und die Angaben bei Karenine genügen nicht zur Begründung
eines Urteils.
Ohne für die Tugend der Frau Dudevant eine Lanze brechen
und ohne anderseits mit Doumic den längst im Grab ruhenden
Urgroßvater Moritz von Sachsen für die Sünden seiner Urenkelin
verantwortlich machen zu wollen, halte ich es für eine Forderung
der Gerechtigkeit und Genauigkeit, zu prüfen, was über alle
diese Beziehungen e r wiesen ist. Ein Blick auf die Psycho-
logie dieser Verhältnisse rechtfertigt sich auch dadurch, daß
sie einen wichtigen Teil der Geschichte George Sands bilden.
IT.
liirem Landsmann Jules Sandeau trat Gge. Sand im
Jalire 1831 in Paris nälier. Sandeau war damals 20, Gge. Sand
27 Jahre alt und seit 9 Jahren verheiratet. Sie hatte sich ihr
Verhältnis als eine association litteraire gedacht; Sandeau sollte
sie in die Literatur einführen. George Sand war nach Paris ge-
kommen, glücklich, vom Zwang des Zusammenlebens mit einem
ungeliebten Gatten befreit zu sein. Das Boheme-Blut wallte
mächtig in ihr auf; fröhlich und ungebunden schweifte sie durch
die Weltstadt am Arme des kleinen Sandeau, umgeben von
einem Kreise jugendlicher Landsleute, ,, Artisten". Die burschi-
kose Wirtschaft in ihrem Studentenheim gefällt ihr ■ — eine
Zeitlang, sie schildert sie drastisch in einem Brief an Emile
Regnault (mitgeteilt von Doumic): Celle petite chamhre siir le
gnai, ou je vois Jules en redingole d'arlisle crasseuse et deguenillee,
sa crcwate sous son derriere et sa chemise debraillee, etale snr trois
chaises, tapant du pied ou cassant la pincette dans la chaleur de
la discussion, le Gaulois^^) dans im coin, tramant une grande con-
spiralioii., el vous sur une table. Wirklich sehr anmutig!
Der kleine Sandeau faßte ihre Association in weiterem Sinne
auf, und er war nicht blöde. G. Sand schreibt (an Regnault):
,.,Pendant trois mois je lui ai resiste." Diese Studentenliebe
Gge. Sands endigte mit einem ungeheuren Katzenjammer. Es
war eine starke Verirrung.
Weniger klar als dieses Verhältnis sind die ßezieliungen
George Sands zu P r o s p e r M e r i m e e , von welchen Doumic
sagt: elles furent courtes et mauvaises. Sie hatte Merimee im
Juli 1833 nach dem Bruch mit Sandeau kennen gelernt. Sie
fühlte sich damals tief unglücklich; sie war irre geworden an
ilu-em religiösen Glauben, an der Menschheit und an sich selbst;
^^) Alphonse Fleury.
Neuere Arbeilen über George Sand. 67
das Leben hatte ilif niic Enttäuscliunoen gebracht. Merimee
mit seinem starken klai-en Geiste und seiner überlec,'enen Ruhe
erschien ihr wie ein Retter und Befreier. Sie sah sicli getäuscht.
Statt Neigung und Trost liatte er niii' ätzenden Spott für
sie. So wurde die Verbindung gelöst, beinahe noch che sie
geknüpft worden war. Sie schrieb an Sie Beuve: Si P. Merimee
m'avait coniprise, il meüt peut-etre aimee et s'il m'eüt aiiyiee, il
meut soiimise, et si j'avais pii me soumettre ä iin homme^ je serais
saiivee, car iine liberte me ronge et me tue. Mais il ne me coiinut
pas assez et au Heu de lui eii doiiner le temps je me decourageai
tout de suite^ et je rejetai la seule condition qui put l'attirer ä moi."
Sie erklärt Ste Beuve, daß sie keine Verschwiegenheit über ihre
Mitteilung von ihm verlange. „Pourquoi aurais-je honte d'etre
ridicule, si je nai pas ele eoupable?"
Der ganze ziemlich lange Brief an Ste Beuve ist etwas orakel-
haft dunkel und zweideutig. Daß sie die einzige Bedingung,
unter den sie Merimee hätte an sich fesseln können, verwarf,
kann sehr wohl zu ihren Gunsten ausgelegt werden. Jeden-
falls war sie Merimee in blindem Vertrauen zu weit entgegen-
gekommen und die tiefe Beschämung über ihren Irrtum ist ver-
ständlich. ,, Apres cette änerie je suis plus consternee que jamais."ii)
Auf die häßlichen Anekdoten über ihr Verhältnis zu Merimee,
die Seche mit allem Vorbehalt erwähnt, ist kein Wert zu legen.
Man weiß, wie solcher Klatsch entsteht.
Über das Verhältnis zu M u s s e t , das bald nach jener
Episode begann, hat man bekanntlich sehr verschieden geurteilt.
Maxime Du Camp sagt, es habe 1 e d i g 1 i c li auf Sinnenreiz
beruht. ^2) Das ist gewiß nicht richtig. Neben der Anziehung
der Sinne bestand doch ein geistiges Band, daß sich zwischen
zwei verwandten dichterischen Ingenien, zwei Größen der Literatur
geschlungen hatte. Als eine Art Association litter aire hatten sie
es sich offenbar auch gedacht, und es fehlte nicht jene leichte
odeur d'encre, die nach dem Wort eines französischen Schrift-
stellers die Liebe entre gens de lettre begleitet. Auch die gemein-
same innige Liebe zur Musik bildete einen Berührungspunkt
zwischen beiden. ^^) Vielleicht waren sie geistig in mancher
Beziehung einander sogar allzu ähnlich, und Musset hatte vielleicht
in diesem Sinne recht, wenn er sagte: C'est un inceste que nous
commettions.
") Karenine, G. S. I, S. 397.
^^) La destinee a rarement reuni deux etres plus disparates et
plus disseinblables. Ils n^avaient entre eux aucun point de rapport . . .
seules les sensations ont pu les rapprocher. Souvenirs htteraires
II, S. 348.
^^) Dafür, daß Musset die Musik nicht bloß par dandysme liebte,
wie Doumic als mögüch vmterstellt, sondern daß sie ihm Herzens-
sache war, darf ich mich auf meinen Aufsatz über A. Musset in Bd. 34
Heft No. I und 3 d. Ztschr. S. 78 berufen.
5*
68 Referate und Rezensionen. W. Ilnupe.
Beide waren iclealistiscli ül^erspannte Naturen, keins von
beiden zur Ruhe und Abklärung gelangt, beide suchten ein Ideal,
dem sie ihre Liebe weihen könnten. Nous cherehons le ciel dans
une creature semhlable ä nous. Quand tombe le volle divin et que la
creature se montre, chetive et itnparfaite, derriere ces nuages d'encens,
derriere cette aureole d'amour, nous sonimes effrayes de notre illusion.,
so schrieb G. Sand in Lelia, und sie läßt daselbst Pulcheria über
das Verhältnis zwischen Mann und Weib sogar sagen: Ces etres
si semblahles et si dissemblables sont jaits de teile sorie qu'il y a
loujonrs entre eux de la haine meme dans l'amour qu'ils ont l'un
pour l'autre.^^) Und in ,,£'Z/e et lui' sagt Therese (Gge. Sand)
von Laurent (Musset): Cet enfant voudrait avoir pour maitresse
quelque cJiose comme la Venus deMilo animee du souffle de ma
paironne Sie Therese. (Man vergleiche damit Musset, conj. d'un
enfant du siecle: Vouloir chercher dans la vie reelle des amours
eternels et absolus c'est la meme chose que de chercher sur la place
publique des femmes aussi belles que la Venus.)
Die Charaktere waren allerdings sehr verschieden, in
George Sands Natur lag von Jugend auf trotz ihrer sonstigen
Wandelbarkeit ein Bedürfnis nach Tätigkeit und regelmäßiger
Arbeit. Mit der Zeit entwickelt sich bei ihr der häusliche, sinnige
Zug immer mehr, der zuletzt bei der bonne dame de Nohant so an-
sprechend hervortritt. Musset dagegen liebte die Freiheit und Un-
regelmäßigkeit; er arbeitete nur, wenn ihn die Laune anwandelte.
Unverkennbar ist es ja, daß die sinnliche Seite eine be-
deutende Rolle bei dem Verhältnis spielte; das gilt besonders
von Musset. Bezeichnend ist schon jenes liochpoetische, von
Leidenschaft durchzitterte Gedicht über die Episode der Noun
in ,, Indiana", das Musset bei Beginn ihrer Bekanntschaft an
Gge. Sand schickte. ^^) Musset war damals 23, Gge. Sand 29 Jahre
alt. Sie mag sich in der Tat anfangs in die Rolle einer mütter-
lichen Freundin geträumt haben. Der verwöhnte Lebemann fand
in ihr nicht den Reiz, den er erwartet hatte; er fand kein tem-
peramentvolles, feuriges Weib, sondern eine fleißige, geordnete
Frau: er nennt sie im Unmut l'ennui petrifie, une prüde, une
bete, une religieuse, une reveuse. Wie sie in einem Brief an
Musset schreibt, hat er ihr vorgeworfen, de n'avoir su donner
les plaisirs de l'amour.^^) Sie schreibt auch an ihn: Sa?is ta
jeanesse et la faiblesse que tes larnies m'oni causee un inatin, nous
serions restes frere et soeur.
^*) Nietzsche hat bekanutlicli einen ähnlirluMi Gedanken uu.s-
gesprochen. Auch an ,, Jenseits von Gut und Böse'' werden wir erinnert,
wenn es in Lelia heißt: Le bien et le mal, ce sunt des distinctions que
nous acous creees. Dieu ne les connait pas.
^^) Corresp. S. 4.
^"j Laurent zu Tiiörese in Elle et Lui: Je Cai reproche d'ainier
Irop chastement et d'etre plus faite pour le couvent que pour Vamour.
Ä'euerc A rhrilcn über George Sand. 69
George Sand liattc keine Spur von Koketlerie; sie konnte
sich nie entschliel.^en, viel auf ilir Äußeres zu halten, während
Musset großen Wert auf Eleganz legte. George Sand erscheint
in der Tat als der männliche, Musset als der weibliche Charakter.
Dies zeigt sicii auch darin, daß Gge. Sand ernste Unterhaltungen
über Fragen allgemeiner Art, über politische, soziale, gemein-
nützige Angelegenheiten liebt, während Musset für Dinge, die
außerhalb seiner Einzelsphäre liegen, wenig Interesse hat. Gge.
Sand hatte auch eine Alinung gehabt, daß sie nicht zueinander
passen würden.
So kam es, daß sie sich gegenseitig bald anzogen, bald al)-
stießen. Die Liebe wächst bei ihnen, sobald sie voneinandtn^
getrennt sind und die Entfernung die Gegenstände mit einem
verklärenden Schimmer umgibt. Sobald sie wieder beisammen
sind, beginnt der alte Kampf aufs neue.^^)
Musset hat einmal an George Sand, die er ,,7W« saiiite fiancec'
nennt, geschrieben, aus ihrem Liebesbundc würden reine Lilien
hervorsprießen. Lilien sind nicht daraus erblüht, wohl aber
Rosen, leider auch recht viele Klatsch rosen.
Am meisten literarischen Staub hat bekanntlich der Dritte
im Bunde, Pietro Pagello, aufgewirbelt. Karenine nennt
diesen Dreibund etrange, idealement sublime. Aber bekannt-
lich ist vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt. Wenn
Musset die Hände der beiden in einanderlegt, mit den Worten:
Voiis voiis aimez et vous maimez pourtant, wenn er über die Liebe
Pagellos zu George Sand Tränen vergießt, wenn G. Sand sagt,
sie habe Pagello geliebt wie einen Vater (er war 3 Jahre Jünger
als sie!) und Musset sei ihrer beider Kind gewesen, so ist es für
uns Angehörige einer nüchterneren Zeit schwer, ernst zu bleiben.
Doumic versteht es sehr gut, das Lächerliche dieser Überspannt-
heiten hervorzuheben.
G. Sand schreibt von Pagellos reiner, zärtlicher Liebe, er
bekränze sie mit Sternen wie eine jungfräuliche Seele und sie
lasse ihn auf diesem Glauben. Je me laisse regenerer par cette
ajfection doiice et tendre. Poiir la premiere fois j'aime sans passion.
Sie nennt ihn einmal im ange de vertu. Ein späterer Brief läßt
aber durchblicken, daß er ihr doch melu' war als ein Vater (Corr.
S. 163).
^'^) Über die Darstellung des Verhältnisses in G. Sands Roman
„Elle et lui'' vgl. die fleißige Untersuchung in K. Wolter, Aljred
de Musset im Urteil George Sands. Berlin, Weidmann, 1907. Zu den
Übereinstimmungen des Romans mit der Korrespondenz möge noch
beigefügt werden die Stelle in Elle et ^z/?' (Brief Laurents an Mite Jacques)
S. 10: ,,7e vous jure de ne pos boire de Champagne sans me le reprocher
amerement." Vgl. Brief Mussets an Pagello (Corr. S. 123): Je vous
promets que jamais je ne boirai plus de cette maudite boisson sans me
faire les plus grands reproches.
70 Referate und Rezensionen. W. Haape.
Die obwHltenden Umstände dienen einigermaßen zur Er-
klärung dieses seltsamen Treibens. G. Sand erkrankte alsbald
nach ihrer Ankunft in Venedig und litt später noch wiederholt
an neuralgischen Kopfschmerzen, welche ärztliche Behandlung
nötig machten. Während sie selbst noch leidend war, kam bei
A. de Musset jene furchtbare Krankheit zum Ausbruch, die mit
Tobsuchtsanfällen verbunden war und sein Leben gefährdete.
(Es war angeblich Delirium tremens, euphemistisch typhöses
Fieber genannt. )^^) Trotz ihrer körperlichen Schwäche pflegte
George Sand den Kranken in aufopfernder Weise. Es wird von
allen Biographen, auch von Paul Musset, anerkannt, daß nur
ihre hingebende Pflege und die sorgsame Behandlung durch den
Arzt Pagello ihm das Leben retteten. ^^) Dazu kamen die seeli-
schen Erschütterungen durch den Riß in ihrem Verhältnis zu
Musset.
Bei Doumic erscheint übrigens Dr. Pagello in zu ungünstigem
Licht, wenn er sagt: Elle l'aimait., parce qii'il etait stupide. G. Sand
hatte auf den Brief, in dem sie ihm mit poetisch begeisterten
Worten sagte, daß sie ihn liebe, geschrieben: ,,Au stupide Pagello",
weil dieser gefragt hatte, wem der Brief zuzustellen sei. Tn
Wirklichkeit war Pagello kein unbedeutender Mensch. Er war
ein tüchtiger Arzt, nicht ungebildet, auch dichterisch veranlagt;
er verfaßte z. B. jene Gondellieder in venetianisclier Mundart,
die in No. 2 der Lettres d'un voyageur veröffentlicht sind. Auch
gab er ihr mannigfache Auskunft über venetianische Volkssitten
und Verhältnisse und war ihr bei der Abfassung der ersten Lettres
d'un voyageur behilflich. Auch hier spielte also etwas Curiosite
litteraire mit! Die Angabe Doumics, daß man ihn von Paris,
wollin er George Sand begleitet hatte, Hals über Kopf fortge-
schickt habe — il fut pousse dehors — , weil er lästig wurde, ist
nicht wörtlich zu nehmen. Er blieb noch einige Zeit in Paris
und beschäftigte sich dort mit chirurgischen Studien; er wurde
nachmals einer der ersten Chirurgen Italiens und war viele
Jahre Oberarzt am Spital zu Belluno, wo er hochbetagt starb.
Ich habe keine Veranlassung, auf den immer noch fort-
glimmenden Streit zwischen Sandisten und Mussetisten näher
einzugehen. Gewiß ist die Geschichte mit Pagello kein Ruhmes-
blatt für G. Sand; in ihren histoire de ma vie schweigt sie sich
wohlweislich darüber aus. Anderseits ist nicht zu verkennen,
(laß manche der gegen sie erhobenen Beschuldigungen grundlos
sind. So erzählt z. B. Bire in seiner neuen Musset- Ausgabe mit
Entrüstung, sie habe anfangs März 1834 wieder die Tlieater
^*) Karenine II, S. 67.
") Musset selbst sclu-eibt: Je le verrai tongtemps, man George,
ce visage päll par les veitles, qui ä'est penclic dix-huit nuits .^ur man
chcvet! Je te verrai tongtemps dan.-: cctie chaiulve junestc aü taut de
lannes ont coule ( Corr. S. 25).
Neuerp Arbeiten über George Sand. 71
besuclit, ol)o|(>ioli Miissets Krankheit in jener Zeit ilu'en Höhe-
punkt erreicht liabe. Musset war aber damals längst außer
Gefahr; schon unterm 13. Februar konnte George Sand an Buloz
schreiben: Alfred est sauve.-*^)
Auch Doumics Behauptung (S. IGi), der Aufenlhalt in
Venedig habe eine völlige Umwandhmg A. de Mussets zur Folge
gehabt, bedarf der Berichtigung. Doumic sagt: Qiiand iL Hau
parii pour Venise^ il elait le plus eharmanl des poetes et le plus
jeune, fantaisiste et espiegle. Quand il rei)int, il etait le poete le
plus douloureux. Aber Musset war schon als junger Mensch
pessimistischen Stimmungen unterworfen und hatte frühzeitig
Zerstreuung in berauschenden Getränken gesucht. Schon im
Jahre 1831 hatte er in den voeux steriles gesagt:
// n'existe qu'un etre
Sur qui nion jugement puisse au inoins faire foi,
Un seul! . . . je le mcprise. Et cet etre c'est moi.
Auch Rolla, La coupe et les levres und so manches andere
der früheren Gedichte verraten düstere Schwermut, die ja bei
Musset mit übermütiger tieiterkeit abwechselte. Juste Olivier,
der ihn im Jahre 1830 sah, erhielt von ihm den Eindruck d'nne
belle jleur cueillie et fanee avant le soir. Seine erste größere Arbeit,
die Übersetzung der Confession of an English opium eater, ist
bezeichnend für seine Sinnesrichtung.
Auch später haben ja wieder heitere und traurige Stimmungen
J)ei ihm gewechselt. Ende 1834 schrieb er das sonnige Gedicht
,,Une bonne fortune'% 1835 ,,Lrt quenouille de Barberine", ,,Le
chandelier" u. a. Allerdings wäre es wohl ein Irrtum zu glauben,
daß die Seelenstimmung eines Dichters sich immer im Gedichte
spiegle. Der Dichter vermag es wohl, sich durch seine Kunst
vorübergehend aus einer trüben Stimmung tierauszureißen.
Musset hat aber auch durch sein Leben bewiesen, daß die Lebens-
und Liebeslust nicht in ihm zerstört war.
Über George Sand hat er sich lustig gemacht in der heiteren
Plauderei ,,Le capriee'\ wo er von einem Artikel von Mme Sand
über die Orang-Utangs spricht, in dem Scherzgedicht Le songe
du Reviewer (aus dem Jahre 1836 oder 1837):
George Sand est abbesse
Dans un pays lointain;
und im „Merk blan&\^^)
Doumic nennt die Reise nach Venedig le eoup de folie roman-
tique. Er erklärt sie aus dem Wesen des Romantismus. Nach
seiner Definition besteht dieser in einer Verquickung des Lebens
20) Der Brief ist abgedruckt bei Doiuiiic S. 141.
21) Die auf G. Sand l^ezügUche Stelle in der histoire d'un tnerle
hlanc ist nicht ganz so harmlos wie Bire meint: Aucun effort ne coütait
ä son esprit, aucun (nur de force a sn pudeur. Cetait le type de la meriette
lettree etc.
72 Referate und Rezensionen. TT. Haape.
und der Literatur. Der Romantiker stellt einerseits seine Freuden
und Leiden öffentlich zur Schau — er wandelt sie in Bücher um — ^
so schreibt Gge. Sand nach ihrer Trennung von Musset einen
wehmütigen Brief an den verlorenen Geliebten und — an die
Abonnenten der Revue des deux niondes (in den lettres d'un
voyageur). Anderseits durchwirkt der Romantiker sein Leben
mit den Ideen der Literatur und gestaltet seine Handlungen nach
der neuesten literarischen Mode. Emile Faguet billigt diese
Theorie mit einer scheinheiligen \'erbeugung vor Doumic, zeigt
aber deutlich, daß er sie im Ernste nicht billigt. In der Tat
kann man sie als eine erschöpfende Bestimmung des Begriffs
der Romantik gewiß nicht gelten lassen: sie trifft das Wesen
der Sache nicht, sondern einen begleitenden Umstand, der ni:ht
unbedingt da sein m u ß. Turgeniew, der feine Beobachter, hat
von den ihm befreundeten französischen Schriftstellern Zola,
Flaubert, Maupassant etc. gesagt: Ils sentent (oder ih puent)
la litteralare. Das waren meist keine Romantiker!
Richtig aber ist, daß nach den Anschauungen der Romantiker
die Liebe eine ganz ausnahmsweise Stellung einnimmt. Sie ist
göttlichen Ursprungs und steht über allen menschlichen Ein-
richtungen. Es ist bemerkenswert, daß diese Idee auch in unserer
deutschen Romantik wunderbare Blüten getrieben hat. Die
Gattin von A. \Y. v. Schlegel, Karoline, die man als die Muse
der deutschen Romantik gepriesen hat, hat eine ähnliche Stufen-
leiter der Empfindungen durchgemaclit wie George Sand. Nach-
dem ihre erste Ehe durch den Tod. die zweite (mit A. W. v. Schlegel)
durch frei\\illige Scheidung gelöst, ein schwärmerisches Liebes-
verhältnis in die Brüche gegangen, ein kurzer Sinnenrausch ver-
flogen war, fand sie das ersehnte Glück an der Seite ihres dritten
Gatten (Schelhng).
T.
Die durchlebten Stürme hatten G. Sand in ihrem tiefsten
Innern erregt, wenn sie auch ihre Ai'beitskraft und Arbeitslust
nicht lähmen konnten. Sie überhäufte sich selbst mit den heftig-
sten Vorwürfen und fluchte den Menschen und den Büchern,
die ., durch ihre Sophismen sie der Leidenschaft und dem Genuß
in die ,\i'me getrieben hätten" (Brief an Ste Beuve vom 4. April
1835). In der 6. lettre d'un voyageur (vom 18. April 1835) sagt
sie: J'ai mal vecu, j'ai mal use des hiens qui me sont echus; j'ai
jieglige les oeuvres de charite, j'ai passe mes jours dans la mollesse,
dans l'ennui, dans les larmes vaines, dans les folles amours. Dieser
Brief ist an E verard gerichtet. So nannte George Sand den
Advokaten Michel von B o u r g e s , zu dem sie längere Zeit
in Beziehung stand.
In der histoire de ma vie entwirft sie von ihm folgende ver-
lockende Schilderung: Er war, als sie ihn kennen lernte, 38 Jahre
alt, sah aber aus wie ein Sechziger. Er trug zu Hause und in
Neuere ArJx'iien über Ceorge Sand. 73
der Stadt einen dicken groben ÜJ)errock und plumpe flolzschuhe.
Er war klein, häßlicli, hager, kurzsichtig, kahlköpfig; es fror ihn
immer und er trug deshalb drei Halstücher übereinander ge-
knüpft. Er war leidend; Brust, Magen und Leber waren ange-
griffen. Die armselige Gestalt war gekrönt von einem mächtigen
Schädel (ü semblait avoir cleux cränes solides l'iin ä Vautre). Unter
der Brille blickte ein Paar gutmiitiger Augen hervor. Faguet,
in dem oben angefülu'ten Aufsatz, ergänzt diese Beschreibung
durch eine Aufzeichnung seines Vaters, der Michel persönlicli
kannte und ihn als laid et eommuii schildert, zugleich aber seinen
Geist, seine vielseitige Bildung und seine hinreißende Beredsam-
keit rühmt. Als Sohn eines alten Republikaners schwärmte
Michel für die Ideale der Republik, für die Befreiung der Unter-
drückten und für die Verbesserung der Lage der Unbemittelten.
Im Grunde hatte er gemäßigte Anschauungen, aber im Feuer
der Rede verstieg er sich manchmal dazu, den Umsturz alles
Bestehenden zu predigen.
Zu George Sand trat er noch dadurch in nähere Beziehungen,
daß er sie in ihrem Scheidungsprozeß vertrat.
Auf den empfänghchen, wißbegierigen, nacli Neuem und
Originellem verlangenden Geist G. Sands machte diese eigen-
artige Persönlichkeit einen starken Eindruck. Der Mann war so
ganz anders, wie die, welche sie bisher kennen gelernt hatte.
Sie bewundert seinen Republikanismus, seine Menschenliebe, die
Fülle seiner Gedanken, seine zündende Beredsamkeit. Ander-
seits reizt er sie zum^ Widerspruch, wenn er der ganzen modernen
Kultur, insbesondere der Kunst, den Krieg erklärt. Er erscheint
ihr wie eine antike Größe, wie eine Verkörperung altrömischer
Tugend, und doch findet sie so manches an ihm, w^as ihr seltsam
und lächerlieh erscheint. Er ist ihr eine Art Wundertier, sie
neckt sich mit ihm wie ein mutwilliges Kind — sie sagt ja selbst,
daß sie nie aufgehört habe, ein Kind zu sein — , so in dem an-
geführten Brief an Everard, der eine Mischung von Scherz und
tiefsinnigem Ernst enthält. Ich kann es wenigstens nur scherz-
haft auffassen, wenn sie ihn König und Majestät tituliert, wenn
sie zu ihm sagt: iSzVe, le foiilard doiit voiis coiis coiffez en giiise
de toiipet est la coiironne des Aqiiitaines, Fleiiry, le Gaulois, est
votre capitaine des gardes, Planet votre fou. (Doumic sagt von der
Erwähnung der Krone: Teiles sont les illiisions de Vamoiir!)
Sie nennt ihn : Citoyen austere, Marius, Herciile., Sicamhre^ Vandale,
dann wieder Frere^ Confesseur de Dieu et de la verite.^ aber auch
Ennenii des dieiix; „Charlatan que tu es." Sie sagt, er habe ihr
versprochen, sie guillotinieren zu lassen, sobald die Republik
proklamiert sei. Michel schreibt ihr einmal: A present tu ie
reprends toi-meme dans wie vie d'aiisterite que j'approiwe. . . .
En verite je ne connais de toi que le son de ta voix qui est sourd
et qui ne nie rap pelle pas la flute melodieuse d'iine femme.
74 Referate und Rezensionen. TT. Ilaape.
George Sand selbst sagt von ihren Bezieliungen zu Michel:
La pnrete de nolre ajjection me les rendail plus precieuses encore.
II m'etait assez indifferent quo Von put se ineprendre sur la nature
de nos relations. Nos amis la connaissaient et leur presence con-
tinuelle la sanclifiait encore plus.
Wenn wir der allgemeinen Meinung i'olgen. wonacli ein
Verhältnis erotischer Art bestand, mfissen wir lüernach wohl
oder übel annehmen, daß G. Sand bewußt die Unwahrheit gesagt
hat. Es sprechen aber gegen jene Annahme manche psycho-
logische Momente. Einmal die Ausführlichkeit und Unbefangen-
heit, mit der sie in ihrer Lebensgeschichte von Michel de Bourges
und ihren Beziehungen zu ihm spricht und dabei auch die lächer-
lichen Seiten S6;iner Persönlichkeit erwähnt. Über Sandeau und
Musset ist sie schnell hinweggegangen, Pagello erwähnt sie gar
nicht! Ferner die ganze zwanglose, kameradschaftliche Art ihres
Verkehrs. Denen, die sie leidenschaftlich liebte, hat sie keine
Scherznamen gegeben, wie ihren Ereunden Michel, Neraufl (,,/e
Malgache"), Floury (,,/e Gaulois") u. a.
Man beruft sich auf die ,,lettres de femme" , Briefe, die George
Sand an Michel geschrieben haben soll. Doumic (wie auch
Faguet und Seche) gibt Auszüge aus diesen Briefen und sagt
von diesen, sie seien die glühendsten Liebesbriefe, die George
Sand geschrieben, und hätten ,,/e ne sais quelle magnifique impu-
deur". Über diesen lettres de femme schwebt oin gewisses mysti-
sches Halbdunkel. Sie wurden in den Jahren 1890 — 91 in der
Revue illustree von einem Ungenannten veröffentlicht, waren
angeblich in der Bretagne gefunden, vom Jahre 1832 datiert
und von einer unbekannten Dame an einen ,, Marcel' gerichtet.
Über ihre Herkunft und Bedeutung entspann sich ein Streit.
Manche wollten in ihnen eine gelungene Parodie des romantischen
Briefstils der 30cr Jahre erblicken, andere, worunter Karenine.
sind zur Ansicht gelangt, daß es die Briefe Gge. Sands an Michel
de Bourges vom Jahre 1837 sind.
Es fragt sich nun: sind diese mysteriösen Briefe der be-
stimmten Erklärung George Sands gegenüber ein vollwertiges
Beweismittel ? So weit man nach den Mitteilungen darüber
und den vorliegenden Auszügen urteilen kann — die Briefe selbst
waren mir nicht zugänglich — , möchte ich die Frage nicht be-
jahen. Woher kommen diese Briefe, die zuerst vom Jahre 1832
und dann vom Jahre 1837 sein sollen? Wenn sie wirklich von
G. Sand geschrieben sind, ist es erwiesen, daß sie wirklich an
Michel de Bourges geschickt wurden ? Könnten es nicht
luftige Gebilde der stets geschäftigen Phantasie Gge. Sands sein,
die sie in langen Arbeitsnächten schuf, ähnlich wie die von
Karenine erwähnten Unterhaltungen mit dem Doktor Piffoel:
Briefe an einen idealisierten Everard ? Gerade die Überschweng-
lichkoit der Briefe marlit mir sie verdächtig. Es ist schwer zu
Neuere Arbeiten über George Sand. 75
glauben, daß sie sieh liir einen Mann, den sie selbst als Karikatur
schildert, der in seinem Äußeren sogar etwas unsauber war,
sinnlich berauscht habe. Wenn sie sagt, sie wolle dem Geliebten
entgegengehen, wie die Braut im Hohenlied Salomos, sie werde
in seinen eisernen Armen (der Mann war ein Schwächling!) auf-
hüpfen vor Freude, wenn sie ihn mit Jupiter vergleicht, dessen
Schönheit sich dem gewöhnlichen Menschen nicht offenbare,
kann man da im Ernste an Michel mit den drei Halstüchern
denken ? Der Ton der Hriefe erinnei't ein wenig an jene scherz-
liaften Briefe, die sie an Fleury und andere Bekannte schrieb.
(,,Homme aux pattes immenses, a la barbe effrayante, homme
des Premiers siecles, des siecles de fer" u. dgl.)
Die objektive Wahrheit über derartige intime \'erhältnisse
zu ermitteln, ist natürlich schwierig. Goethes Verhältnis zu
Frau von Stein, über das so viel geschrieben wurde, wird ja
auch in neueren \'eröffentlichungen anders beurteilt als früher.
VI.
l)oumic nennt George Sands Beziehungen zu C li o p i n
Uli eas de maternite amoureiise. Als G. Sand den genialen Künstler
kennen lernte — im Jahre 1837 — , war Chopin 27 Jahre, G. Sand
33 Jahre alt. Er war zart und kränklich und der Pflege be-
dürftig. George Sand, die ihn als Künstler vergötterte, fühlte
fiH' ihn, wie sie sagt, iine tendre amitie. .Sie hatte immer das
Bedürfnis, für andere zu leben, anderen zu dienen und ihnen
wohlzutun. In der Krankenpflege, die sie schon unter ihrem
Lehrer Deschartres gelernt und geübt hatte, leistete sie Hervor-
ragendes. Garde-malade, teile jui ma mission pendant une notable
portion de ma vie.
Als der kranke Mann sich ihrem Schutze anvertraute, über-
kam sie une sorte d'effroi en presenee d'un devoir nouveau ä
contraeter. „Je n'etais pas ülusionnee par une passion." Aber
sie begrüßt die Schwere ihrer Aufgabe als ,,une c/iance de plua
pour l'austerite vers laquelle je me sentais attiree avec une sorte
d' enthousiasme religieux.'' „Chopin m'accordait, et je peux dire,
m'honorait d'un genre d'amitie qui jaisait exception dans sa vie.
II ne me jaisait jamais redescendre dans son estime."
Doumic veröffentlicht ein Bruchstück aus einem Brief, den
G. Sand im Mai 1847 an Grzymala, einen vertrauten Freund
und Landsmann Chopins, schrieb. Sie sagt darin: ,,// y a sept
ans que je vis comme une vierge avec lui (die Zeitangaben sind
bei George Sand häufig nicht ganz genau). Je suis que hien
des gens niaccusent les uns de l'avoir tue par la violence de mes
sens, les autres de l'avoir desespere par mes incartades ete.
Doumic, der an ein intimes Verhältnis glaubt, weist auf
Gge. Sands Roman Lucrezia Floriani hin, der allerdings in mancher
76 Referate und Rezensionen. W. Haape.
Beziehung an George Sand und Chopin erinnert. G. Sand stellt
indessen jede Analogie, wenigstens in wesentlichen Dingen, in
Abrede. L'histoire du prince Karol etait si peu la nöire! Elle
en etait tont Vinverse. II ny avait entre nous ni les memes enivre-
ments ni les memes soujfrances. Notre histoire n'avait rien d'un
rom,an. Nous ne nous sommes donc jamais adresse un reproche
mutuel, sinon une seule fois qui fut, helas, la premiere et la deniiere.
Une affection si elevee devait se briser et non s'user dans des com-
hats indignes d'elle.
Dieser entschiedenen Erklärung gegenüber wird man dem
Roman Lucrezia Floriani nicht allzuviel Gewicht beilegen dürfen.
Auch hier stehen wir vor der Frage: Ist anzunehmen, daß G. Sand
die Unwahrheit gesagt hat ? Ich trage Bedenken, die Frage zu
bejahen. Auch hier spricht zugunsten ihrer Aussage der psycho-
logische Grund, daß sie sich über ihren Verkehr mit Chopin so
eingehend öffentlich geäußert, außerdem spricht dafür die lange
Dauer ihrer Beziehungen. Derartige Verbindungen währen meist
nicht so lange, wenn den sinnlichen Wünschen stattgegeben wird.
Es mögen ja auch hier noch andere, mir nicht bekannte
Beweise vorhanden sein, die zu einem anderen Schlüsse be-
rechtigen. Auf unverbürgte Anekdoten ist kein Wert zu legen.
VII.
Doumic führt uns das Leben Gge. Sands in klaren Umrissen
vor: ihre verträumte Jugend, ihre Lehrjahre, sodann ihr Heraus-
treten aus der Einsamkeit, ihre Teilnahme an den humanitären
und politischen Bewegungen der Zeit, ihren Verkehr mit mar-
kanten Persönlichkeiten von Ste. Beuve, Balzac, Liszt, der
Schauspielei'in Dorval bis zu Lamennais, Peter Leroux, Barbes.
Dabei kommt Doumics humoristisch-satirische Ader nicht selten
zum Durchbruch. Satirisch beleuchtet ^^^rd die Stellung der
Dichterin zu den Saint- Simonisten, deren mystische Ideen einigen
Einfluß auf sie hatten. Der Saint- Simonismus war äimlicli wie
eine Kirche gegliedert. Das Haupt war der Vater Enfantin, dem
Bazard zur Seite stand. Nun suchten sie auch eine ^lutter.
Zu dieser hohen Stellung wurde die gefeierte Dichterin erkoren.
George Sand war vernünftig genug, die Ehre abzulehnen, doch
blieb sie in Beziehung zur Saint-Simonistischen Gesellschaft und
wohnte einer ihrer Versammlungen bei. Zum Dank erhielt sie
auf Neujahr 1836 eine wunderbare Sammlung von Etrennes,
deren Auswahl dem Geschmack der Saint-Simonisten nicht
gerade viel Ehre macht. (Es waren 59 Gegenstände, darunter
eine Kleiderschachtel, ein Paar Stiefel, ein Paar Herrcnbeinkleider,
ein Thermometer, mehrere W^esten, ein Korsett usw.)
An der Revolution von .1848, die sie mit Jubel begrüßte,
nahm sie leidiaften Anteil. Sie veröffentlicht zwei ..Briefe an
das Volk", redigiert eine Zeitung „La cause du pcuple", schreibt
Neuere Arbeiten, über Geor<^e Sand. 77
ein Theaterstück ,,Le roi atlend'". Sie verfaßt im Dienst der
provisorischen Regierung — des Ministeriums des Innern —
melirere der Bulletins de la Republique (herausgegeben im Auf-
trag von Lodru-Rollin). Aber auf den Enthusiasmus folgt sehr
bald eine herbe Enttäuschung. Die blutigen Stra Benkämpfe,
die Verwilderung der Massen erfüllen sie mit Trauer und Ent-
setzen. Entmutigt zieht sie sich vom politischen Schauplatz
zurück in die friedliche Welt der Poesie und der Träume.
Das Stilleben zu Nohant erlitt eine schmerzliche Störung
durch die Ereignisse von 1870 (Doumic und Seche erwähnen
diese Episode nicht). Der Ausbruch des Kriegs, die Siege der
deutschen Heere, ihre Folgen für Frankreich — all dies mußte
die lebhaft fühlende Frau tief erregen. Daß sie ihren Empfin-
dungen und Gedanken schriftlichen Ausdruck gab, ist selbst-
verständlich. Sie schrieb das Journal d'un voyageur pendant
la guerre, welches in der Revue des deux niondes vom 1. und
15. März und 1. April 1871 erschien und ebensoviel Aufsehen als
Ärgernis erregte. Sie wendet sich in diesen merkwürdigen Schrift-
stücken weniger gegen den äußeren Feind als gegen die Macht-
haber in Frankreich, die nach der Vernichtung der französischen
Feldheere den Krieg bis zum äußersten verkünden, aber durch
verkehrte Maßnahmen und Mangel an Ordnung den Erfolg von
vornherein in Frage stellen und es zudem unterlassen, allgemeine
Wahlen auszuschreiben und die Nation über ihr Geschick ent-
scheiden zu lassen. Die Stimmung des Landvolks ist, wie sie
sagt, der Fortsetzung des Krieges abhold. Über die Deutschen
äußert sie sich, wenn auch mit Groll, so docli maßvoll und mit
anerkennenswertem Gerechtigkeitsgefühl. Sie hofft, daß die herbe
Erfahrung, die Frankreich macht, ihrem Vaterlande nützlich
sein werde, und tröstet sich mit dem Gedanken: Nous resterons
le peuple initiateur qui recoit une lefon et ne la subit pas . . .
Nous reconnaitrons qu'il y a chez ce peuple (dem deutschen \"olk)
un stoicisme devolonte qui nous manque, une persistance de caraetere,
une patienee, un savoir etendu ä tout, wie vertu etrange jusque
dans le mal qu'il croit devoir conimettre. Si nous gardons contre
lui un ressentiment anier, notre raison lui rendra justice ä un point
de vue plus eleve .... C'est une nation differente de nous, mais
eclairee comme nous pur la civilisation et notre egale devant Dieu.
Allerdings glaubt sie dem Gerede, daß die deutschen Offiziere
nicht nur Uhren stehlen, sondern auch Kleider und Stiefel für
ihre Frauen und Bräute.
Einige Zeit vorher hatte Gge. Sand eine weniger leiden-
schaftslose Kundgebung an die Deutschen erlassen in Form
eiens offenen Briefes an eine Freundin, der in einer großen Zeitung
erschienen sein soll. Ich entnehme dies der oben erwähnten
Schrift von Ferdinand Haas {,, Französische Stoßseufzer und deutsche
Reflexionen, AntKVOvt an George Sand ■ — ■ Aurore Dudevant — "),
78 Referate und Rezensionen. IT. Haape.
die auf jene Erklärung Bezug nimmt. Darnach hätte Gge. Sand
ihre Entrüstung darüber ausgedrückt, da(.> die Deutschen den
Ki'ieg nach Sedan nocli fortsetzten, von der ungeheuerUchen
Gefühlsverirrung einer großen, zivilisierten, protestantischen,
philosophischen Nation gesprochen und gegen den Raub zweier
französischer Provinzen Einsprache erhoben. Näheres konnte
ich über die bezügliche Schrift von Gge. Sand nicht ermitteln.
Bemerkenswert ist es, daß einer der Luftballons, die in
Paris während der Belagerung aufgelassen wurden, um die Ver-
bindung mit der provisorischen Regierung in Tours herzustellen,
den Namen George Sand trug. So ist ihr Name auch mit der
Geschichte der Luftschiffalirt verknüpft.
Es ist um so mehr bedauerlich, daß die Dichterin am Abend
ihres Lebens Veranlassung hatte, mit Bitterkeit an Deutschland
zu denken, als sie von Jugend auf lebhafte Sympathien für das
deutsche Volk, die deutsche Literatur und Kunst hatte und
diese Sympathie auch in ihren Schriften bekannte. Da ihre
geistigen Beziehungen zu Deutschland weder von Doumic, noch
von einem anderen der mir bekannten Biographen näher beachtet
worden sind, darf ich sie vielleicht im nachstehenden kurz berühren.
VIII.
George Sand verstand ebenso wenig Deutscli als Alfred
de Musset. Nous ne scwous mcüheiireusement poiir noiis pas lui
iraiire mot aUemand., sagt sie im avertissement zur Nuit de Noel
im Theätre de Nohant. Aber der deutsche philosophierende
Geist übte unverkennbar eine starke Anziehungskraft auf sie
aus. Bezeichnend für ihre Sinnesart ist es, daß sie vor allem
Ij e i b n i z verehrt. Schon in ihrer Jugend ist er ihr der größte
aller Philosoplien, und in ihrem späteren Leben nimmt sie stets
gerne zurTheodicee ihre Zuflucht, wenn Zweifel und innere Kämpfe
sie heimsuchten. C'etait ma derniere ancre de salut que Leibniz;
je ne l'ai jamais ouvert sans trouver la regle saine de Vesprü humain.
Am Scliluß ihrer histoire de ma vie nennt sie unter ihren Führern
und Leitsternen L e i b n i z , L e s s i n g , Herder und wieder
L e i b n i z.^^)
Mit L a V a t e r beschäftigte si(> sich eingehend und mit
großem Genuß. (Siehe 7"''"^ Lettre d'iin voyayeur — ä F. Liszt.)
Bis zu dem tiefsinnigen Mystiker und Schuhmacher Jakob
B ö h m e reicht die erstaunliche Kenntnis der wißbegierigen
22) Leibniz Essais de theodicee, im Jahre 1710 erschienen, waren
in Frankreich sehr angesehen und wurden noch gegen Ende des letzten
Jahrhunderts auf den Lyzeen gelesen. S. Süpfle, Gesch. des d. Kultur-
einfl. I, 1. 101.
Lessing mag ihr bekannt geworden sein durch die Abhandlung
über die Erziehung des MenschengesclUechts, übersetzt in der Schrift
Lettres sur la rellgion et la poUüque par E. Rodrigues, suivies de l'Fdu-
cation du genre humain, traduit de l'Allemand de Lessing 1829, später
Neuere Arbcilcii iihrr George Saud. 79
IVaii; in (\Qi\,Cofnlessc de JladolsUidt" ist er das Orakel des sonder-
h.iicii Schwärmers Gottlieb. Überhaupt enthält dieser Roman
\i('l(> Beziehungen auf deutsche Verhältnisse und Persönlichkeiten.
Geschichtliche Gestalten wie Friedrich der Große und seine
'raiVliunde, seine Schwester Amelie, der Abenteurer Trenk,
Ailain Weishaupl, der Stifter des Illuminatenordens, Baron
Ivnigge und andere Illuminaten spielen eine mehr oder weniger
große Rolle.
fn der 4ten Lettre d'nn baehelier es miisique (ä Pictet) schildert
LiszL das Leben und Treiben im Kreise von G. Sand in Nohant
im Sommer 1837. Am Abend las man die philosophisch mystischen
AV'erke von Ballanche, deutsclie Philosoplien, Shakespeare,
\'i(tLoi' Hugo und Schiller, ganz besonders aber E. Th. A.
11 off m a n n.
Hoffmann wird in ihivn Schriften sehr oft erwähnt. Seine
Ej'zähhmgen vprsetzen sie in ein Gebiet berauschender Poesie.^^)
In dem Brief an Herbert (Didier) — der 10. Lettre d'iiii voya^enr —
widmet sie Hoffmann einen förmlichen Panegyricus und im
Journal de Pijfo'el eine ausführliche geistvolle Betrachtung, die
genau übereinstimmt mit der Kritik, welche G. Brandes später
in seinem Buch über die romantische Schule in Frankreich (Kap. 5
fremde Einflüsse) über den deutschen Erzähler abgegeben hat.
Sie rühmt besonders die Erzählung: ^.Meister Martin der Küfer
und seine Gesellen' und gibt damit einen Beweis ihres guten
Geschmacks, weiter die Geschichte vom Nußknacker und Mäuse-
könig (7/ n'u a rien de plus vrai au monde que cette folle et poetique
histoire).
Literargeschichtlich bemerkenswert ist eine Stelle über
Hoffmann und dessen Einfluß auf die junge Welt in der Novelle
,,Cora" . Les adorables poesies d'LIoffmann rufen in dem Städtchen,
in dem die Geschichte spielt, eine förmUche Revolution hervor,
die ergötzlich geschildert wird.
Ohne Frage haben Hoffmanns phantastisclte Dichtungen
auf George Sand eingewirkt. Im Vorwort zum Secretaire intime
deutet sie dies selbst an. Die Traumvision des Magnus in Lelia
XXIII erinnert an Hoffmanns ,, goldenen Topf." In der ,, Gräfin
von Rudolstadt'", ,,Spiridion" und sonst begegnet man Hoff-
manns Spuren. Eine seiner seltsamsten Geschichten ,, Meister
Floh" hat sie für ihr Tlieater in Nohant bearbeitet; dabei ver-
stand sie es geschickt, den poetischen Kern herauszuschälen
Tinter dem Titel U Education de Vhumanite. Paris 1841. Süpfle II,
1. 25.
Herders Hauptwerk, Ideen zur Philososphie der Geschichte der
Menschheit, wurde von E. Guinet 1826 — 1827 herausgegeben (2 Bände,
Paris und Straßburg). Süpfle II, 1, S. 173.
Lavaters physiognomische Fragmente erschienen 1781 — 1786
als Essais sur la physiognomie destines ä faire connaitre Vhomme.
2^) Avertissement zur Nuit de Noel im Theätre de Nohant.
80 Referate und Rezensionen. W. Haape.
und den Zauberspuk zu beschneiden und iluer kleinen Biilim-
anzupassen.
Vielleicht hat George Sand durch Henri de Latouche, einen
ihrer ersten literarischen Beratei", Hoffmann kennen gelernt.
De Latouche hat den gefeierten deutschen Erzähler zuerst —
im Jahre 1823 — durch eine Bearbeitung des ,, Fräulein von
Sciidery" in Frankreich eingeführt, wobei er allerdings den
Namen des Verfassers verschwieg.-^}
Altmeister Goethe, der in Frankreicli — namentlicli
zur Zeit der Romantik — so große Verehrung fand, muüte auf
den empfänglichen Sinn der Dichterin einen starken Eindjuck
machen. Sie sieht in ihm die Verkörperung des denkenden und
dichtenden Deutschlands. Nach verschiedenen Äußerungen in
ihren Werken liaben besonders P'aust und Wilhelm Meistei-
auf sie gewirkt. In manchen ihrer Reflexionen und Betrachtungen
ist Goethe'scher Einfluß nicht zu verkennen. Lelia ist eine Art
weiblicher Faust, und von Les sept cordes de la lyre sagt Doumic
nicht, ohne Grund, daß sie ein Abklatsch von Faust seien. In
.,.,Teverino' nimmt Leonce den Wilhelm Meister mit auf die
^y\'ursC — den Reisewagen, in dem die Gesellschaft ihre
abenteuerliche Fahrt antritt - — , und Sabina tröstet sich avec
cet adorable conte. Gestalten aus Goethes Roman schweben
ihr vor. Die Heldin der Novelle ,, Metella", Lady Mowbray,
ist begeistert von Goethe; der junge Genfer Olivier, der Goethe
gesehen hat, muß ihr vom vieiix Faust erzählen; ihr Verehrer
Buondelmonte soll eigens nach Weimar reisen, um ihr die Maße
von Goethes Schädel zu bringen. Goethe ist der Lieblings-
dichter Andre's im gleichnamigen Roman, und Genevieve, Andres
Geliebte, ist eine rührende Gestalt svie Gretchen.
Es ist J)ekannt, daß Heinrich II e i n e mit George Sand
befreundet war und zeitweise in regem Verkehi' mit ihr stand.
Sie nennt ihn mou ami, auch cousin und führt mit ihm angeregte
Gespräche über Philosophie, Literatur und Kunst. ^^)
George Sand erwähnt auch die rührenden Drames ä senti-
ment von K o t z c b u e , welche eine Zeit lang in Frankreich
sehr beliebt waren (insbesondere ,, Menschenhaß und Reue").
Eine gewisse Vorliebe für deutsches Wesen, la sensibilite, la
honte naive, la confiance der Deutschen tritt manclimal hervor.
In Andre rühmt sie sogar die Poesie der deutschen Kneipe. Ihren
Höhepunkt erreicht jene Vorliebe in der Begeisterung für deutsche
Musik, besonders Beethoven, Mozart, Schubert, Haydn (dem
sie ja auch in ,,Consue]o" ein Denkmal gesetzt hat).
^*) Breuillac Hoffinanii eii France. Revue dlii^toirc liUeraire,
13me annee No. 3 S. 427.
25j Vergl. Lettres d'uii voijageur VI (ä Everard) S. 162. Betz,
Heine in Frankreich, S. 137. G. Karpeles, Heine, und Laube bei George
Sand. Gegenwart 1885. S. 231.
Neuere Ai heilen über George Sand. 81
IX.
Mit dem Urteil, das Doumic über die einzelnen Werke George
Sands fällt, kann man in wesentlichen Punkten einverstanden
sein. Das Lob, das er der ^Jndiana" in rein künstlerischer Be-
ziehung zollt, hätte ich noch etwas wärmer gewünscht, wenigstens
was den ersten Teil des Romans anlangt. Ich finde, daß die
dichterische Kraft Gge. Sands sich nirgends glänzender zeigt als
hier. In hinreißender wahrhaft dramatischer Steigerung schreitet
die Handlung fort bis zum Höhepunkt, der Katastrophe mit
Noun. Die Charaktere und Situationen sind meisterhaft ge-
zeichnet. Von da an fäjlt der Roman bis zum Schlüsse stark
ab. Es ist ja überhaupt ein Fehler der Dichterin, daß der im
Anfang prachtvoll einherflutende Strom ihrer Poesie häufig im
weiteren Verlaufe ins Stocken kommt und sich bald in nebel-
haften Phantasien, bald in weitschweifigen Erörterungen verliert.
Es wdrkt geradezu komisch, wenn Ralph und Indiana mit der
größten Seelenruhe in langen Reden darüber beraten, wo und
wie sie gemeinsam in den Tod gehen wollen — ^,C'est iine affaire
de quelque itnportarce," meint Ralph bedächtig — , wenn sie
dann die weite Seereise nach der Insel Bourbon machen, wo eine
besonders angenehme Gelegenheit zur Ausführung ihres Vor-
habens geboten ist, und wenn sie schließlich, an Ort und Stelle
angekommen, sich eines Besseren besinnen und es vorziehen,
miteinander zu leben anstatt zusammen zu sterben. ^^)
George Sand hat es in Abrede gestellt,^^) daß ihre Erstlings-
romane Indiana, Valentine, Jacques gegen die Ehe gerichtet seien.
Indiana, die Heldin, leidet ja allerdings durch ihre eigene Torheit
und Verblendung, Valentinens ehebrecherisches Glück verfällt
dem Verhängnis. Aber in beiden Romanen ist doch die Ehe
als ein Zwang dargestellt, gegen den sich die ,, unterdrückte",
,, gedemütigte" Frau auflehnt. George Sand ist eine der ersten,
die den Typus der ,, unverstandenen Frau" — nicht selten gleich-
bedeutend mit der ,, unverständigen Frau" — in die Öffentlich-
keit einführen, jenen Typus, der seither in der internationalen
Literatur sein Wesen treibt.
Noch entschiedener feindselig gegen die Ehe ist „Jacques".
Hier bekämpft der Ehegatte Jacques selbst die Ehe als une des
plus barbares institutions. Die Liebe dagegen ist göttüchen Ur-
sprungs. Im Widerstreit zwischen beiden hat die Liebe recht.
Jacques zieht die Schlußfolgerung aus diesen Ansichten, indem
er in rücksichtsvollster Weise ganz im Stillen aus der Welt geht,
um das Glück der Liebenden nicht zu stören. Doumic behandelt
diesen Mustergatten mit köstHcher Ironie; er ist ihm der ,, reine
Tor"' (le pur niais) von Richard Wagner.
^^) So wenigstens in der zweiten Bearbeitung.
2'^) Besonders im Brief an Nisard, 12me lettre d'un voyageux.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVIP. 6
82 Referate und Rezensionen. W. Haape.
In ,,Lelia" findet Doumic das „Leitmotiv" der Hoffnungs-
losigkeit, des Weltschmerzes, der Verzweiflung. Man könnte ihr
allerdings die Verse Fausts als Motto geben:
Was kann das Leben mir gewähren ?
Entbehren sollst du, sollst entbehren.
Aber Lelia ist überhaupt ganz George Sand in ihrem damali-
gen Zustand; die verschiedensten Züge ihres Wesens sind wie
entfaltet in diesem Roman, und man könnte das religiöse
Motiv, das Liebesmotiv, das Freiheitsmotiv, das philosophische,
das soziale Motiv, selbst das ,,Mutter"motiv (in der Liebe der
älteren Frau zu dem Enfant Stenio) herausfinden. Lelia wurde
denn auch stets als besonders charakteristisch für die Dichterin
angesehen.
Das religiöse Motiv tritt hier besonders hervor, das heiße
Sehnen und Suchen nach Gott. Gott wird ja bei G. Sand außer-
ordentlich viel genannt, aber ihr Verhältnis zur Gottheit ist
namentlich in Leha merkwürdig naiv und kindhch. Bald sieht
sie in Gott ein allgütiges Wesen, bald macht sie ihn verant-
wortlich für alles Böse, jeden Fehler, jede Willensschwäche und
zankt ihn aus wie einen Schulknaben, wie jener Bauer seinen
Schutzpatron auszankt, weil er ihm den Spelz nicht geraten ließ.
Warum kann keine reine Liebe unter den Menschen bestehen ?
Ist die Geslleschaft schuld? Nein, Gott ist schuld. Sie zürnt
ihm giiHl se tienne lä-bas ou lä-haut, je ne sais oü, assis dans sa
gloire et dans sa sardite, au-dessizs de tous les efforts de ma pcnsee.
Sie sagt ihm ins Gesicht: Voiis ne me suffisez pas, Dien, vous
le savtz hien. Um was soll ich Gott bitten ? Daß er mein Ge-
schick ändert ? Er würde mich auslachen (il se rirait de moij.
Ein anderes Mal sagt sie ihm: Wenn du soviel Ungerechtigkeit
zulassest, will ich lieber glauben, daß du nicht existierst. Ralpli
sagt zu Indiana: Wenn es ein Verbrechen war, daß ich fluch-
beladener Mensch mein Auge zu dir erhob, so ist Gott allein schuld.
Das Verhältnis der älteren Frau zum jüngeren Manne spielt
im Leben George Sands (man denke an Sandeau, Musset, Chopin,
Liszt, Poncy und andere ihrer Freunde), wie in üiren Werken
eine große Rolle. Lelia spielt mit dem jungen Stenio, ebenso
kost im Secretaire intime die Fürstin mütterlich mit dem Jüng-
ling St. Juüen, was der arme Junge mißversteht. In Frangois
le champi wandelt sich die kindliche Liebe des Knaben zu der
Frau, die ihm eine Mutter war, in leidenschaftUche Liebe u. s. f.
Ich kann nicht umhin, das Gefühl Doumics zu teilen, den die
Wiederholung dieses Motivs peinhch berührt. Geradezu wider-
lich und wie eine Entweihung des heiligen Namens Mutter wirkt
es, wenn Metella zu dem JüngUng, dem sie sich hingibt, sagt:
Nenne mich Mutter! Das ist, wie mir scheint, einer jener Miß-
klänge, jener krankhaften Züge, von denen oben die Rede war.
Neuere Ärbeiteit über George Sand. 83
Doiimic bringt Lölia — Stenio in einen inneren Zusammen-
liang mit George Sand — A. de Musset, obgleich Lelia vor dem
Abenteuer von Venedig geschrieben wurde. Die Beziehung auf
Musset drängt sich in der Tat auf; sie tritt schon äußerlich hervor,
wenn Stenio folgendermaßen geschildert wird: // ai>aU quelque-
chose de hautain et de preoccupe. Ses yeiix depoiirvus de cils
iiavaient plus cette lenteur voilee .... Son regard vous arrivait
droit au nsage brusque, fixe et presque arrogant. Man vergleiche
dies mit der Schilderung, welche Pauline Garcia von Musset
gegeben hat: Soti regard etait tres arrogant^ repoussant meme,
surtout quand il regardait les femmes; il avait les paupieres rouges
Sans cils et navait pas de sourcils. Jene Beschreibung von Stenio
findet sich nicht erst in der späteren Bearbeitung von Lelia,
sondern schon in der Ausgabe von 1833. Auffallend ist es auch,
daß Stenio ,,enfant du siecle" genannt wird (Kap. I) in der Be-
deutung ,,Weltkind ". Darauf hat wohl Musset mit seinem Roman
Confession d'un enfant du siecle (hier in der Bedeutung: Kind
des Jahrhunderts) angespielt. Es ist nicht zu bezweifeln, daß
der ^Jnno ebrioso'% jenes geniale wein- und liebestrunkene Zecher-
lied, das in Lelia vorkommt, von Musset verfaßt ist, wie ja auch
Verse von Musset dem dritten Teil des Romans als Motto voran-
gestellt sind. Musset selbst hat sich in Stenio erkannt; dies
zeigt ein merkwürdiger Brief an George Sand aus dem Jahre
1835 (Corr. S. 173), in dem er sagt: Toii Stenio . . c'est moi,
tu rn'as pressenti. Une main invisible m'amenait ä toi etc. In
der zweiten Ausgabe der ,, Lelia" sind die Beziehungen auf
Musset sehr deutlich, besonders in dem Kapitel: Lelia au
rocher. Lelia sagt: je pleure une illusion et non pas un komme;
sie beklagt den Dichter, den sie geliebt, und wendet sich dann
in Gedanken zornerfüllt gegen den Stenio, aus dem die Aus-
schweifung ein Zerrbild gemacht hat. Et toi, spectre! leve ton
bras chancelant! Bois par defi ä la sante de Lelia! raillet'or-
gueilleuse ins ensee , qui tneprise tes lei>res charmantes et
la cheifelure varfumee d'un si beau jeune komme. Eine deut-
liche Antwort auf die Nuit de decembre {Ak! faible femme,
orgueilleuse insensee etc.) Ernest SeilHere hat hierauf
aufmerksam gemacht.
Trotz seiner Schwächen, Mängel und Seltsamkeiten macht
der Roman durch seine hochpoetischen Natur- und Stimmungs-
schilderungen, den kraftvollen Ausdruck der Gefühle, den hohen
Flug der Gedanken im ganzen doch den Eindruck eines be-
deutenden Dichterwerkes, den ja auch z. B. Sainte-Beuve emp-
fand. Leider ist der Roman durch die Umarbeitung sehr ver-
dorben.
Die Urteile über die Werke von Gge. Sand gehen teilweise
sehr auseinander. Der persönliche Geschmack spielt dabei eine
Rolle. Leone Leoni, von Doumic getadelt, wird von Faguet
6*
84 Referate und Rezensionen. W. Haape.
ein Meisterwerk genannt. Icli muß gestehen, daß ich diesen
Roman entschieden für veraltet, die Charaktere und die Handlung
für unnatürlich und übertrieben halte. Dem Lobe, welclics
Doumic dem Roman Mauprat, dieser Verherrlichung der treuen
Liebe und der Ehe, erteilt, kann man beipflichten. In dieser
Erzählung ist ein großer Zug, sie erinnert an Walter Scott, Edmec
an Diana Vernon (in Roh Roy), eine Lieblingsgestalt von Gge.
Sand; nur finde ich die Grausamkeit, mit der Edmee den armen
Bernard quält, ,,um ihn zu erziehen", übertrieben und weder
,,noble" noch ,,delicieuse" . — ,, Andre", ein Gedenkblatt, das die
Dichterin, in Venedig vom Heimweh ergriffen, ihrer Heimat
widmet, hat mich besonders angesprochen durch die liebevolle
Schilderung des Lebens und Treibens in der Kleinstadt La Chätre
und ihrer ländlichen Umgebung. Das erste Erwachen der Liebe
in der Brust des weltfremden versonnenen jungen Edelmanns,
sein dreister und derber, aber gutherziger, immer fröldicher,
plebejischer Freund Joseph, dessen landwirtschaftliche Unter-
redungen mit dem alten Landjunker, der Besuch der Arbeiterinnen
auf dem Herrenschloß, dies alles ist lebendig und reizvoll ge-
schildert. Doumic findet den Roman mittelmäßig, Karenine
dagegen findet ihn ausgezeichnet; ich schließe mich der Russin
an. Dagegen kann icli es nicht billigen, wenn sie die kleine
Erzählung „Cora" für wertlos erklärt; die Geschichte ist so
hübsch und humorvoll erzählt, daß man sie mit Genuß liest;
auch der ernste Akademiker Caro ist entzückt von ihr. Auch
Matlea und die anderen venetianischen Novellen sind immer
noch lesenswert; nur darf man nicht zu viele nacheinander
genießen. Der phantastische Teverino, der ganz hübsche Ein-
zelheiten enthält, wird durch die peinlich langen, zum Teil sehr
ausgeklügelten Erörterungen über Freundschaft, Liebe usw.
verdorben. Doumic erwähnt diese kleineren Erzählungen nicht.
Le Secretaire intime, geschrieben 1833, hätte genannt werden
dürfen als Gegenstück zu Lelia.
Über die Handwerker-Romane, die einen Teil der sozial-
politischen Tendenz- Romane der zweiten Schaffensperiode von
George Sand bilden, Compagnon da toiir de France, Meunier
d'AngibauU, Peche de Mr. Antoine — urteilt Doumic meines
Eraohtens zu ungünstig: Ce sont lä de maiivais romans. Ich
möchte wenigstens den Compagnon du iour de France ausnehmen,
wenn er auch hinsiclitlich der Komposition mangelhaft ist. Der
erste Band dieser Erzählung entrollt ein lebensvolles Bild der
alten Gesellenvereinigungen, ihrer Sitten, Gebräuche, Bestrebun-
gen und Kämpfe; auch die Charakterzeichnung fesselt. Im
zweiten Band ermattet die Erzählung; breite Erörterungen über
politische, soziale und humanitäre Fragen treten in den Vorder-
grund. Bemerkenswert ist es, wie die Anschauungen, der Gesichts-
und Gedankenkreis der Verfasserin sich verändern. Die religiösen
Neuere Arbeiten über George Sand. 85
und mctaphysisclu^n Spekulationen trclon zurück; selbst di(^
romantische Ansicht von der absolut göttliclien, alleinselig-
machenden Liebe wird berichtigt: ,,L!amoiir, sagt sie, qiii elend
tegoisme ä deiix etres fondus en im. seiU, ne siiffit point pour le
legitimer. II est beaii et divin comme moyen, comme secours et
comme egide; iL est petit et malheureux comme hiit et comme uni-
que fin."
,.La comtesse de Ihidoistadt,'' deren zwei Bände bekanntlicii
eine Fortsetzung der dreibändigen Consiielo bilden, hätte wohl
auch eine bessere Note verdient. Doumic sagt darüber: Nos
grands-parents avaient un pouvoir de s'ennuyer qiii fait honte a
notre frivolite. Aber der erste Teil, der am Hofe Friedrichs d. G.
spielt, ist geistvoll und spannend geschrieben, wenn auch die
geschichtliche Wahrheit nicht immer strenge beachtet wird. Im
zweiten Teil mit seinem Illuminatenschloß, seinen feierlichen
Reden und den endlosen Prüfungen, denen die arme Consuelo
unterworfen wird, drängt sicli allerdings die Vergleichung mit
der ,,Zaiiberflöte" unwillkürlich auf.
Den eigentlichen Dorfgeschichten zollt Doumic mit Recht
]i ochste Anerkennung. La mare au diable, das Teufelsmoor,
Francois le Champi., Franz der Findling, La petite fadette, der
kleine Kobold, Les maitres sonneurs (die Meister Dudelsacks-
pfeifer — nicht Glöckner, wie es manchmal übersetzt
wird — ) werden mit Recht zu den schönsten Perlen der fran-
zösischen erzählenden Dichtkunst gerechnet. Einen besonderen
Reiz erhalten diese Geschichten noch durch die Mundart der
Landschaft Berry, die in den Gesprächen, allerdings in verfeinerter
Form, verwendet ist. Eine Probe dieser Mundart ist auch bei
Doumic wiedergegeben in einem bisher nicht veröffentlichten
Brief G. Sands an Adolphe Duplomb, der an urwüchsiger Derb-
lieit nichts zu wünschen übrig läßt (S. 185).
In der ,,il/are au diable" tritt wieder der echt Sandschc
Zug der mütterlichen Überlegenlieit der Frau über den Mann
hervor. Die 16jährige Marie ,, bemuttert'"' den 28jährigen Germain.
Was die Werke der letzten Periode anlangt, so kann ich
Doumics Vorliebe für den Marquis de Villemer nicht teilen.
Der Roman verläuft ganz hübsch bis etwa zur Mitte; von da an
häufen sich die Unwahrschcinlichkeiten und inneren Unwahr-
heiten, und der Schluß ist geradezu an den Haaren herbeigezogen.
Denkwürdig ist La tour de Percemont als die letzte Arbeit
von George Sand, die in der Revue des deux mondes erschien.
Im Jahre 1833 hatte die Revue Lelia veröffentlicht; am 1. Januar
1876 — wenige Monate vor dem Tode G. Sands — fand ihr
letzter Roman in der Revue seinen Abscliluß. 43 Jahre mit
einigen Unterbrechungen hatte ihre Verbindung mit der Revue
gedauert. La tour de Percemont überrascht durch eine wahrhaft
jugendliche Frische. Die Handlung ist spannend, die Charaktere
86 Referate und Rezensionen. W. Haape.
sind mit leicliter, sicherer Hand gezeichnet, namentlich der alte
Anwalt Chantebel, der alles ins Geleise bringt. George Sand
ze,igt bei diesem Anlaß, daß sie auch juristisches Talent besitzt.
Besondere Erwähnung verdienen nocii die, wie es scheint, wenig
bekannten Contes ctiine Grancfmere. Es befinden sich darunter
reizende Erzählungen (z. B. le chene parlant, Ce qiie disent les
fleurs, Le chäteau de Pictordii), in denen sich George Sands Talent
zum Fabulieren, die Liebe, mit der sie die Natur umfaßt und
zu beseelen weiß, ihre Kunst, sich in die Seele des Kindes zu
versenken, in einer für Alte wie für Junge erfreulichen Weise
offenbaren. Manches Seltsame muß man freilich mit in den Kauf
nehmen. So spielt z. B. die Seelenwanderung, die für G. Sand
immer einen großen Reiz hatte, eine gewisse Rolle. Man muß
lächeln, wenn Monsieur Lechien sehr ernsthaft erzählt, was er in
einem früheren Dasein als Hund erlebt habe, oder wenn Mr.
William berichtet, wie er und seine Mutter als weiße Elefanten
auf der Halbinsel Malacca gelebt und welche erhabenen Gefühle
da ihre Brust geschwellt hätten.
Am Schlüsse seines Buches faßt Doumic unter dem Titel
Le genie de l'ecrivain die hervorragenden Züge der schriftstelleri-
schen Persönlichkeit George Sands nochmals kurz zusammen.
Er vergleicht sie mit den Sängern der Vorzeit, die der lauschenden
Menge wunderbare Mären von Lust und Leid der Menschen
verkünden. Sie verherrlicht die e\\-igen Gegenstände aller Poesie,
die Liebe, die Natur, die hohen Gefühle der Begeisterung und
des Mitleids. Ihre Sprache ist das unfehlbare Werkzeug ihres
Erfolgs; sie ist nicht immer begrifflich scharf bestimmt, aber
blühend, reich und melodisch; Worte und Bilder von köstlicher
Frische stellen sich ungesucht in Fülle ein. Elle deroule avec
quelque lenteui\ niais sans embarras cetle aniple periode qui est
la vraie phrase franQaise.
Wer unbefangen und vorurteilslos sich mit den Werken
Gge. Sands beschäftigt, wird trotz aller Bedenken, die er im
einzelnen haben mag, sich nicht dem Zauber ihrer Poesie ent-
ziehen können, und wenn wir ihr Leben bis zum Schluß ver-
folgen, werden wir bekennen: die „gute Frau von Nohant" war
eine bedeutende, eine außerordentUche Frau.
Einige kleine Versehen in Doumics Buch seien in folgendem
berichtigt :
Zu S. 6: Der volle Name George Sands lautete nach dem
Eintrag ins Taufbuch Amandine Lucie Aurore Dupin (nicht Liicile).
Zu S. 10: Nicht la petite fille de Maurice de Saxe war während
der Revolution im Couvent des Anglaises eingesperrt, sondern
la fille, die Großmutter von George Sand, Marie Aurore Dupin.
Neuere Arbeiten über George Sand. 87
Zu S. 185: Die Verhandlung vor dem Gericht von La Ghätre
fand nicht am 10. und 11. März, sondern am 10. und 11. Mai
1836 statt.
Zu S. 190: Liszt spielte die Orgel nicht in Lausanne, sondern
in Freiburg i. Schw.
Zu der oben angeführten Literatur über George Sand, die
ja teilweise schon in dem vorstehenden Bericht besprochen
wurde, gestatte ich mir noch folgendes zu bemerken:
Zu 3.
Das Buch von S e c li e und B e r t a u t enthält, wie sein
Titel besagt, Anekdoten, Mitteilungen über einzelne \^orgänge
aus dem Leben G. Sands. Sie sind meist gut gewählt, wenn
ihre geschichtliche Treue auch nicht immer über allen Zweifel
erhaben ist.
Ein anerkennenswerter Vorzug des Buches ist es, daß sehr
viele Aussprüche von Gge. Sand, Stellen aus ihren Werken und
aus ihren Briefen, im Wortlaut angeführt werden. Man gewinnt
dadurch ein lebendiges Bild von ihrer Persönlichkeit. Bezeich-
nend ist z. B. der letzte Ausspruch, der von ihr mitgeteilt wird:
„II y a des heures, ou je me sens herbe., oiseaii, äme d'arbre, nuage,
eau coiirante^ horizon. coiileiir, forme et sensations changeantes,
mobiles, infinies."
Zu 6.
Samuel Rocheblave, einer der feinsten Kenner des
Lebens und der Werke von G. Sand, bespricht die sehr bemerkens-
werten Briefe, welche die Dichterin anCharlesPoncy, den
Maurer und Volksdichter von Toulon, gerichtet hat. George
Sand war von jeher für das Volk, die arbeitenden Klassen, be-
geistert und wurde besonders durch Pierre Leroux für
soziale Ideen gewonnen. Vom Volk erwartete sie alles Heil für
die erschlaffte Gesellschaft, namentlich auch eine neue jugend-
kräftige Literatur. In Charles Poncy, der im Jahre 1842 eine
Sammlung Gedichte „Marines'' erscheinen ließ, glaubte sie den
ersehnten Dichter von Gottes Gnaden zu finden. Sie ist von
seinen Gedichten entzückt und schreibt ihm, ohne ihn zu kennen,
mit der. ihr eigenen Überschwenglichkeit: 3Ion enjant (wieder
der Standpunkt der Mütterlichkeit der 38jährigen Frau gegen-
über dem 20jährigen Dichterjüngling), voiis etes im grand poete,
le plus inspire et le mieux doue parmi tous les poetes proletaires.
Vous pouvez etre le plus grand poete de la France etc. Dieser
Brief bildete den Anfang einer Reihe von 226 Briefen, die Gge.
Sand im Laufe der Zeit an Poncy schrieb und von denen bis jetzt
39 in der Korrespondenz von G. Sand veröffentlicht sind. Er
war zugleich der Beginn einer innigen Freundschaft zwischen
88 Referate und Rezensionen. W. IJaape.
der berühmten Frau und dem schlichten Arbeiter, einer Freund-
schaft, die bis zum Tode Gge. Sands dauerte. Poncy war ein
Mann von reinem, redlichem Charakter. Für Gge. Sand, in deren
Natur ja eine Neigung zum Lehren und Erziehen unverkennbar
ist, war es eine Freude, den strebsamen und empfänglichen jungen
Mann auf seinem Wege zu leiten. Es mißfällt ihr, daß er, der
junge Gatte einer reizenden Frau, eine Juana rEspagnolo besingt.
Si voiis voiilez Hre iin vrai poete, soyez un saint. Er soll seine
Frau lieben, nicht alle Frauen! Aimez-la, et voiis verrez qii'on
aime toiijours plus quand on n'aime qu'une seule femme. Das
klingt anders als die früheren Liebestheorien.
Im Vertrauen auf seine Verschwiegenheit spricht sie sich
über Dinge und Personen rückhaltlos aus. Beranger nennt sie
grand poete et komme de hien^ meint aber, seine Bescheidenheit
sei ,,un peu jouee"; er habe kein Entrainement „pou?- rien. ni
pour personne'\ Von Victor Hugo sagt sie, er habe den Fehler,
unpassende Bilder zu wählen. Großes mit Kleinem zu vergleichen.
Ce sublime et absurde Victor Hugo, conipose de magnijique et de
mesquin, de grandiose et de ridicule, komme de genie que la louange
a perdu et qui s'en va droit ä l'höpital des fous, monte sur un
Pegase debride qui a pris le vertigo ... Je l'ai beaucoup admire
et sa folie me fait grand' peine (Brief vom 7. Mai 1843, 2 Monate
nach den ^^Burgraves").
In einem Brief von 12 Seiten zollt sie Poncys neuen Gedichten,
veröff enthebt 1844 unter dem Titel Le ckantier, enthusiastisches
Lob. Sie versichert ihn, daß sie auch zum Volk gehöre par
le sang autant que par le coeur, erzählt ihm von ihrem Großvater,
dem Vogelhändler, und ihrer Mutter, der Statistin; von der
letzteren sagt sie: Depuis le jour oü eile a aime mon pere eile a
ete exemplaire par sa conduite. Der Flug ihrer Phantasie reißt
sie zu Saint- Simonistischen Ideen von Wiederkehr nach dem
Tode hin. Jedes Dasein ist die Belohnung oder Strafe für ein
früheres. Soyez sür que vous avez dejä vecu de tout temps sur
la terre, et que votre genie poetique est la recompense de quelque
belle action, de quelque devouement dont vous ne vous souvenez pas!
In einem Briefe von 14 Seiten vom 26. Januar 1844 ermahnt sie
ihn zur Bescheidenheit. Le genie ne grandit qu'ä la condition
d'etre modeste. Sie warnt ihn vor der Nachahmung und tadelt
es, daß er ein Exemplar seiner Gedichte an A. de M u s s e t
senden will. // yneprise profondement les ouvriers poetes. II
crackera sur votre volume. II est devenu talon rouge et conservateur,
marquis et juste milieu. Aussi n'a-t-il plus le feu sacre qui lui
inspirait autrefois des chants sublimes. II est mort.
Zum Besuche seiner Gönner und Freunde in Paris im Jahre
1845 sendet sie ihm ein 100 Fr.-Billet als Beitrag zum Reisegeld
und schreibt dazu: Voyez donc Paris, puisque vous l'avez tant
reve. Je crains pour vous une grande deception. Moi je kais
Xcuere Arheiten über George Sand. 89
Celle ville de boiie el de vices. Mais cnjiii cest la rapitale du monde
poiir les arts el poiir l'esprit. Poncy war in der Tat von Paris
sehr bald übersättigt. Um so befriedigender war für beide Teile
sein mehrtägiger Aufenthalt in Noliant. George Sand gebraucht
von da an in ihren Briefen das vertrauliche Du. Sie sucht Poncy
auch für die politische Entwickelung, die der Republik entgegen-
treibt, zu erwärmen. Am 3. März 1848 erliält er von ihr unter
der Aufsciirift Aa ciloyen Charles Poncy einen jauchzenden Brief:
Vive la Repnhlique! on est fou, an est ivre, on est heureiix de
s'etre endormi dans le fange et de se reveüler clans les cieux.
Über die fieberhafte journalistische Tätigkeit, welche G. Sand
während der Revolution entfaltete, werden nähere Aufschlüsse
gegeben. Auch Poncy nimmt am politischen Leben teil; er
stellt seine Kandidatur für die Nationalversammlung auf, fällt
aber durch. Nach den Straßenkämpfen und Mordtaten vom
Juni zieht sich G. Sand nach Nohant zurück. ,J'ai honte
anjourd'hiii d'etre Frangaise" sclireibt sie an Frau Marliani.
In einem Brief an Poncy vom 1. August 1848 entwirft sie
eine Art von sozialpolitisclicm Glaubensbekenntnis. Sehr ver-
nünftig und nüelitern setzt sie sich mit dem radikalen Kommu-
nismus auseinander. Nur jene Güter, die dem allgemeinen Ge-
brauch dienen, die Straßen, Eisenbahnen etc. sollen Eigentum
der Allgemeinheit werden, im übrigen soll das Privateigentum
fortbestehen. — George Sand bleibt in \^erbindung mit politischen
Persönlichkeiten, insbesondere mit Barbes und Mazzini. Letzterem
läßt sie durch Poncy einen Brief übermitteln. Sie korrespondiert
auch mit dem Prinzen Jeröme Napoleon. Nach dem Staats-
streich vom 2. Dezember 1851 ist sie mit Erfolg, selbst durch
persönliche Fürsprache bei dem Prinzen Louis Napoleon, bemüht,
ihre Freunde der Verbannung oder dem Gefängnis zu entziehen.
Den nachmahgen Kaiser Napoleon lernen wir bei diesem Anlaß
als Gemütsmenschen kennen, der bei dem Lesen einer Bittschrift
von George Sand Tränen vergießt.
Poncy dichtete weiter, vermochte aber niclits Bedeutendes
mehr hervorzubringen. Als G. Sand sich dem Theater zuwandte
und mit mehreren Stücken Erfolg hatte, wollte er es auch mit
der Bühne versuchen. Er bearbeitete, vermutlich auf G. Sands
Rat, Goethes Geschwister, konnte das Stück aber nicht zur
Aufführung bringen. Fünf Bände Contes et Noiivelles waren un-
bedeutend. Zum Glück war er nicht bloß Dichter, sondern auch
ein tüchtiger Geschäftsmann. Er wurde Bauunternehmer, Sekre-
tär der Mairie und der Handelskammer von Toulon und erwarb
sich ein hübsches Vermögen und eine angesehene Stellung in der
Stadt. Leider wurde sein Glück durch häusliches Mißgeschick
getrübt; er mußte seiner ganzen Familie ins Grab sehen. Er
starb am 30. Januar 1891, 15 Jahre nach seiner berühmten
90 Referate und Rezensionen, W. JJaape.
Freundin. Ihre schöne Freundschaft hatte 34 Jahre unverbrüch-
lich fortgedauert; die Erinnerung an sie verklärte sein Alter.
Eine der anmutigsten kleineren Erzählungen von George
Sand, Marianne, trägt die Widmung: ,,A mon ami Poncy."
Rocheblave hebt hervor, wie G. Sand stets bestrebt war,
das Gute, das Göttliche und Unvergängliche im Menschen auf-
zusuchen, ohne nach Rang, Stand und Wissen zu fragen. Elle
eut de la sorte des amities qni au vulgaire paraissent etranges,
inexpliquSes. Les expliquera facilement au contraire quiconque
aura penitre cette nahire d'exception, ä la jois male et feminine,
qui a ioujoars dierche ce qui ne passe pas dans ceux qui passen!.
Zu 7.
Eugene Fr omentin, geb. 1820 in La Rochelle, hatte
sich als ausgezeichneter Maler der Wunderwelt des Orients einen
Namen gemacht. Im Jahre 1857 trat er als Schriftsteller hervor
mit einem Buch Un ete dans le Sahara. Ein Exemplar sandte er
an George Sand. Das Buch erregte ihre Bewunderung. Sie
sprach ihm dies mit der ihr eigenen Wärme aus und ermunterte
ihn zu weiterem Fortschreiten auf der so glückhch von ihm
betretenen schriftstellerischen Laufbahn. Es entspann sich ein
Briefwechsel, der bis zum Mai 1866 dauerte und 31 Briefe von
George Sand, 30 von E. Fromentin umfaßt. Die Briefe von
G. Sand waren bisher nicht veröffentlicht mit Ausnahme von vier,
die in dem Werke von Gonse über Fromentin (Paris bei Quantin
1881) abgedruckt sind. Blanchon hat nun die Briefe von G. Sand
mit Erläuterungen in der Revue de Paris veröffentlicht; sie
bilden einen schätzbaren Beitrag für die Kenntnis des Wesens
und der Denkweise der Dichterin.
George Sand lernte in Fromentin einen ebenso begabten
als bescheidenen und charaktervollen Mann kennen, und es ist
nicht zu verwundern, daß ihre Bekanntschaft zur Freundschaft
führte. Sehr bald wich das förmliche Monsieur in den Briefen
dem Mon eher ami und mon eher enfant. George Sand liatte
wieder ein Kind gefunden, das sie bemuttern konnte.
Das zweite Buch, das der junge Schriftsteller vcröffenlhchte.
,,une annee dans le Saher ' war nach G. Sands Urteil noch bessiM-
geraten als das erste. Über beide Bücher schrieb sie anork('unend(;
Artikel in die „Presse."' Im Jahre 1862 gab Fromentin einen
Roman ,, Dominique" heraus. George Sand hielt einige Änderungen
an demselben für geboten und besprach sich darüber eingehend mit
dem Verfasser, der zu diesem Zweck nach Noliant kam. Fromentin
konnte sich niclit entschließen, die angeregten Änderungen
vorzunehmen. Die Briefe enthalten noch interessante Be-
merkungen über Gge. Sands Roman Mademoiselle la Quiniinie,
der für Gge. Sand, wie sie sagt, einen Bruch mit lieben Erinne-
rungen bedeutet, über den Marquis de Villemer, der als Theater-
Neuere Arbeiten über George Sand. 91
stück bei der Aufführung' im Odeon am 1. März 1864 viel Beifall
fand. Der letzte Brief ist vom 9. Mai 1866, wenigstens sind von
da an keine Briefe, außer ein paar Billetten, erhalten. Ihre Be-
ziehungen blieben aber immer die freundschaftlichsten. George
Sand schrieb über ihn an Jules Claretie: // jouit, d'uiie consi-
deration meritee^ sa vie 6tant, comme soii esprit un. modele de deli-
catesse, de gout, de pcrsherance et de distinction .... Heureux
ceiix qui peuvent vivre dans l'inlimite de cet hotnme exquis ä toiis
igards. G. Sand starb am 8. Juni 1876, 72 Jahre alt. Zwei
Monate später, am 19. August 1876, folgte ihr Fromcntin im
Tode; er war 56 Jahre alt geworden.
8. A g e 0 r g e s L'enclos de George Sand.
Eine Reihe von Aufsätzen ist hier zu einem anziehenden
Büchlein vereinigt. Es sind meist Schilderungen von Örtlich-
keiten und Personen, die zu George Sand in näherer oder ent-
fernterer Beziehung stehen, insbesondere anheimelnde Bilder
aus dem Berry, ihrer geliebten ländlichen Heimat, die (h^r Ver-
fasser, selbst Berrichon, sehr genau kennt. Eine reizende Be-
sclireibung des Gartens von George Sand in Nohant von Marguerite
Ageorges d'Escola leitet die Sammlung ein. ,,C/« jardin original
et IUI peil litteraire", vor allem aber ein rechtschaffener Bauern-
garten mit Gemüse und Obst und herrlichen Rosen.
Der zweite Aufsatz ,,£//?e amitie de Joiirnalistes'' ist ein
Lebensbild des aus dem Berry stammenden Henri de Latouchc
und seines Landsmanns und Freundes Honore de Lourdoueix.
Henri de Latouche, eigentlich Hyacinthe Joseph Alexandre
Thabaud, war geboren 1785, trat in den Staatsdienst, widmete
sich aber bald ganz der Schriftstellerei und wurde Direktor
des „Figaro", damals eines kleinen Blattes. Er erwarb sich ein
Verdienst durch Herausgabe der Werke von Andre Chenier.
Die Bearbeitung des Fräulein von Scudery von E. Th. A. Hoff-
n\ann brachte ihn in den Verdacht des Plagiats.
Latouche führte Gge. Sand in die Literatur und Journalistik
ein; sie schrieb unter seiner Leitung Artikel in den Figaro die
Spalte zu 7 fr. Ageorge veröffentlicht einen bisher unbekannten
Brief von George Sand an de Latouche vom 21. September 1831.
In humoristisch burschikosem Ton dankt sie ihm für seine Be-
lehrungen und Ratsclüäge. Si je ne viens pas ä bout d'ecrire,
i'ai une ressoiirce de me faire cuisiniere. J'ai dans l'idee que
cäait lä ma vocation et que je Vai manquee. Me prendrez-vous
ä votre Service? Der Schluß des Briefes ist echt ,, Sandisch'" :
Adieu, mon bon Latouche; du diable, si je vous appelle Monsieur.
.Fe vous aime trop pour cela. Dites-moi que vous n'dtes pas souffrant
et que vous m'aimez: Je crois que l'usage est de dire „un peu".
Mais je ne suis pas modeste. Je voudrais que vous niaimassiez
beaucoup. Votre devoue camarade Aur. Dud.
92 Referate und Rezensionen. W. Haape.
De Latouclie war bei den Frauen beliebt trotz seiner hypo-
chondrischen Grillen. Pauline de Flaugergues widmete ihm
eine rührende selbstlose Neigung bis zum Tode. Der Verfasser
bemerkt dazu: Le XIXieme siede qiii fiit cn France im siecle de
morcde trop libre . . . fnl cependant un siecle de bonte. Les femmes
y fureni plus genereuses qu'en aucun autre temps. Comme les
vieux meubles Louis- Philippe, les amours romantiques soni passes
ä l'etat rococo. L'automobilisme les a tues.
Honore de Lourdoueix w^ar ebenfalls Journalist, zuerst
Mitarbeiter, dann Eigentümer der Gazette de France. Er wurde
in angesehene Staatsstellungen berufen als Directeur des beaux-
arts, Sciences et lettres, später als Direktor der Zensur. Er war
streng konservativ, Latouche liberal, was ihrer Freundschaft
keinen Eintrag tat.
Der dritte Aufsatz George Sand paijsan ist eine hübsche
Studie über das Verhältnis Gge. Sands zum Landleben und zum
Landvolk ihrer Heimat. Manche Züge ihres Charakters werden
aus der Umgebung erklärt, in der sie aufwuchs. A la placidite
des choses qui V entouraient eile emprunta un peu de placidite,
d leur rusticite un peu de rusticite. Sie liebt die Natur, sie reitet
und fährt durch die stille Landschaft, sie wirft sich mit ihren
Kleidern in den Bach, sie macht die weitesten Fußwanderungen,
dabei geht sie langsam vor sich hin „bete comme un cJwu" (Flaubort).
Sie liebt die Arbeit, das häusliche Leben. „C'etait un temperament
assez froid, presque tres-calme, avec des crises violentes de passion.
Ainsi en esi-il du paysan berrichon.
Sie hat den Berrichon in seinen Sitten und seinem Leben
belauscht und ihn ihren Dorfgeschichten getreu geschildert.
Sie hat ihm auch seine Sprache abgelauscht und sie, dem Be-
dürfnis des Lesers angepaßt, wiedergegeben.^^)
Es mögen hier noch einige von Ageorges angeführte Verse
in dieser etwas verfeinerten Bauernsprache Platz finden, die von
manclien George Sand zugeschrieben werden.
Lettre d'un frere a son frere soldat.
Mon frere, sais-tu gu'j'm'marie
A la fille au maitre Grapin?
Tu sais qu'a n'est guere jolie,
Mais son pere a d'si bon bien !
28) Ageorges (M-\vähnt die Arbeit von Dr. iM. Born, George Sands
Sprache in dem Roman Les maitres sonneurs in den Berliner Bei-
trägen etc. (Berhn, Ehering, 1901). Wenn er sagt: c'est plutöt un
lexique etahli ä Vaide des travaux dejä exlstants, so ist dies nicht genau.
Born behandelt in seiner fleißigen Schrift auch die syntaktischen
Eigentümlichkeiten dieser Sprache sehr eingehend (S. 52 — 98). Vgl.
auch Caro, Syntaktische Eigentümlichkeilen der f ranzösischen Bauern-
sprache. Berliner Dissertation 1891.
Neuere Arbeil cn über George Sand. 93
J'ai bien carciile mann affaire,
Ces gens-lä deiwent rin du tout.
I'aim'rais mieux Vbien qu'la droliere^
Mais pour l'avoir faut prend'el toutl
Ein Aufsatz Une partie de campagne au theätre berichtet über
eine sehr beifällig aufgenommene Aufführung des Bauerndramas
Claudie von George Sand.
Weitere Aufsätze ,,Pessimisme et litterature" ,,Les tendances
sociales", liüerature et maitres d'ecole'% freimütige Äußerungen
eines konservativen Mannes über die literarischen und politischen
Strömungen in Frankreich, haben keinen unmittelbaren Bezug
auf George Sand und können deshalb hier unbesprochen bleiben.
9» Jules Claretie: ä Venise.
D' Alfred de Musset ä l'Empereur Guillaume.
Jules Claretie weilt in Venedig und denkt angesichts der im
Hafen liegenden deutschen Panzerschiffe an Kaiser Wilhelm und
angesichts des Hotel Danieli an A. de Musset und G. Sand.
Seine Gedanken führen ihn von Venedig nach Nohant und er-
innern ihn an eine Geschichte, die sich einmal — wann, wird nicht
gesagt — dort zutrug. George Sand hatte einen sehr begabten
jungen Mann als Erzieher ihres Sohnes vorübergehend in ihr
Haus und, wie üblich, in ihr mütterliches Herz aufgenommen.
Der Jüngling war eine aufgeregte, leidenschaftliche, verbitterte
Natur und schien dadurch auf Maurice einen ungünstigen Ein-
fluß zu üben. Es kam zu einer Auseinandersetzung mit ihm und
zur Entlassung des Lehrers. In seiner Erregung schrieb dieser
an einen Freund einen Brief voll von jugendlichem Trotz, Eigen-
dünkel und Menschenhaß. Gge. Sand verlangte und erhielt Ein-
sicht in den Brief: ,,/e vous ai traite en fils, je voudrais lireT''
Sie war vom Inhalt des Briefs so schmerzlich verwundet, daß sie
das Bedürfnis fühlte, sich gegen die beiden jungen Leute aus-
zusprechen. Sie tat dies, indem sie dem Brief einen Zusatz von
zehn Seiten beifügte und ihn so an den Adressaten abschickte.
In bewegten Worten beschv,ört sie die Jünglinge, ihren Egoismus
zu bekämpfen und sich zur Menschenliebe durchzuringen. Ne
haissez personne, n'ecrasez personne, cor apres vingt ans de souffrance
il se trou^era que vous avez ecrase votre propre cceur. 0 mes enfants,
ecrivez avec votre sang, non avec votre bile! Die guten Lehren
haben, wie es scheint, gefruchtet; die beiden jungen Leute, deren
Name nicht genannt wird, sind nach Versicherung J. Clareties
ernste Männer geworden und haben in der Literatur und im
Leben Tüchtiges geleistet.
Jules Claretie veröffenthcht bei diesem Anlaß noch einen
originellen Brief G. Sands vom 24. März 1869 an einen Zeichner
A. Lorentz, der sie gebeten hatte, selbst oder durch ihre reichen
94 Referate und Rezensionen. IF. Haape.
Freunde ihn zu ,, retten''. Sie erklärt in einem sehr aurführlichen
Schreiben dem Gesuchsteller, den sie duzt, was bei ihr nicht
gerade ungewöhnlich ist, aber doch auf eine ältere Bekanntschaft
hinweist, sie sei nicht imstande, seine Bitte zu erfüllen. Sie habe
nur zwei oder drei reiche Freunde, die schon über Gebühr in
Anspruch genommen seien. Sie selbst habe keine Mittel zur
Verfügung; sie erhalte jeden Tag etwa 20 Briefe, von denen
19 Unterstützung oder Dienste von ihr verlangen. Sie könne
unmöglich alle befriedigen. Tu ne te doiites pas des liorreurs
de la celehrite. II est possible que je sois devenue marhre, que mon.
cceur se soit atrophie ou que je n'aie Jamals rien valu. Je ne me
connais plus moi-nieme ... Je te dis cela pour que tu saches que
dans mon silence et mes empechements il n'y a rien qui doive te
blesser et qui veuillc faffliger, toi. Voilä. G. Sand.
lO. P. G i n i s t y Le baron Haußmann et George Sand.
Den Memoiren des Barons Haußmann, des Seine-Präfekten
unter Napoleon III., der einen Teil von Paris niederriß und
neu erbaute, entnimmt P. Ginisty einen Bericht über eine Be-
gegnung des Genannten mit G. Sand. Die letztere hatte be-
kanntlich im Jahr 1835 eine Klage auf Separation de corps
gegen ihren Gatten eingereicht. Dudevant erschien nicht zur
Verhandlung und das Gericht erließ darauf ein Erkenntnis,
welches der Klage stattgab, die Trennung aussprach und die
Kinder der Mutter zuwies. Auf die Einsprache des Ehemanns
wurde vor dem Zivilgericht von La Chätre nochmals am 10. und
11. Mai 1836 verhandelt und das erste Urteil bestätigt. Nun
appellierte Dudevant an den Gerichtshof von Bourges und die
Sache kam am 25. und 26. Juli 1836 zur Verhandlung. Eine
Entscheidung wurde nicht gefällt, weil die Stimmen des Gerichts-
hofs geteilt waren und sich keine Mehrheit ergab. Die \cv-
liandlung wurde auf 1. August 1836 vertagt. Inzwischen kam
es zu einem Vergleich. Dudevant zog die Appellation zurück
gegen eine jährhche Rente, die ihm George Sand zu zahlen ver-
sprach. Wenige Monate darauf entführte Dudevant seine Tochter
Solange und brachte sie auf sein Gut Guillery bei Nerac, von
wo aus er sie nach Spanien zu verbringen gedachte. Vermutlich
hoffte er noch weitere materielle Vorteile zu erpressen. George
Sand hatte von seinem Vorgehen Kenntnis erhalten; wenige
Tage darauf erschien sie wie eine gereizte Löwin bei dem Unter-
präfekten von Nerac, Haußmann, in Begleitung eines Pariser
Avoue und versehen mit einer vollstreckbaren Verfügung und
einem Schreiben des Ministers des Innern. Haußmann stellte
sich ihr sofort zur Verfügung, setzte die Gendarmerie in Be-
wegung und holte mit George Sand die kleine Solange in Guillery
ab, Dudevant leistete keinen Widerstand. Mutter und Kind
fanden bis zum folgenden Tag Aufnalime in der Untcrpräfektur.
Lefranc, Abel. Maurice de Guerin. 95
George Sand überströmte von Dankbarkeit und ließ sich von
HauBmann versprechen, daß er sie in Paris besuchen würde.
Er sprach auch bei der ersten Gelegenheit bei ihr vor, wurde
aber nicht empfangen. Am folgenden Tag erhielt er einige Zeilen
von G. Sand: Je suis visible comme les etoiles de minuit ä qiiatre
/teures du matin. Herr Haußmann antwortete darauf ziemlich
witzig, eine Zusammenkunft werde unter diesen Umständen
schwerig sein. Er sei kein Stern, sondern gleiche der Sonne
<larin, daß er am Abend zu Bett gehe und am Morgen wieder
aufstehe. Die Korrespondenz scheint mir in dieser Form
nicht ganz glaubwürdig zu sein.
W. Haape.
l--ef ranc, Abel. Maurice de Guerin. D'apres des documents
inkiits. Ouvrage orne d'un portrait et de cinq gravures.
(Les Lettres et les idees depuis la Renaissance.) Paris,
Champion, 1910. II und 321 ss. 5 frs.
Die schöne Biographie, die uns Lefranc von dem feinsinnigen
Dichter Maurice de Guerin gibt, ergänzt die Kenntnis, die man
bisher von ihm hatte, nach mehr als einer Richtung; leider läßt
sie noch mit Absicht einiges im Dunklen, das die Bewunderer
Guerins, zu denen ich mich zähle, noch gerne genauer gekannt
hätten. Denn das Leben — das intime Leben — eines Dichters,
dessen Briefe und Tagebuch einen wesentlichen Bestandteil
seines bagage litteraire bilden, zu kennen, wird man immer die
Notwendigkeit fühlen; und wenn dieses Gefühl nicht ganz be-
friedigt vvird, so bleibt immer eine gewisse Unbehaglichkeit, die
die Lektüre der schönen Darstellungen landschaftlicher Bilder
oder der zarten Naturstimmungen der verschiedenen Jahreszeiten
nicht ganz bannen kann. Ich spreche dai'um den Wunsch aus,
daß der Schleier, der über einigen Ereignissen dieses unglücklichen
Künstlerlebens noch gehalten ^^^rd, möglichst bald gelüftet werde,
und unterstütze weiterhin lebhaft das Verlangen des Verfassers der
vorliegenden Biographie Guerins nach einer vollständigen Ausgabe
der Werke von Maurice de Guerin und seiner Schwester Eugenie.
Lefrancs Buch gibt in vier Kapiteln eine eingehende Dar-
stellung des Lebensgangs und der Entwicklung Guerins, w^obei
er wesentHch darauf ausgeht, die von den bisherigen Darstellungen
weniger berücksichtigten Beziehungen eingehender darzustellen,
und die weniger genau oder unrichtig gegebenen Darstellungen
einzelner Episoden dieses kurzen Lebens (außer den oben an-
gedeuteten) aufzuhellen. Die geistige und künstlerische Ent-
wicklung und die Geschichte der Werke im Zusammenhang mit
dem Leben Guerins wird sorgfältig berücksichtigt.
Im Verlauf der Darstellung sind eine Reihe von zum Teil
unveröffentlichten Dokumenten, die sich auf Guerin beziehen
96 Rejenile und Rezensionen. TT'. BctUJens[. erger.
oder von ilim selbst sind, zum Abdruck gebracht. Außerdem
enthält der Anhang noch nicht pubhzierte Briefe und eine
Anzahl von ebenfalls meist noch nicht herausgegebenen Werken
von Maurice de Guerin, sowie einige auf ihn bezügliche Gedichte
seiner Schwester Eugenie; die beiden ersten Teile dieses Anhangs
sind zwei der Erstlingsartikel Guerins, die seit ihrer ersten Ver-
öffentlichung nicht wieder gedruckt worden w^aren.
Dem Buch fehlt ein Index; es ist das sehr schade, weil es
die Brauclibarkeit des Buchs, das nach einer ersten Lektüre
durchaus nicht wertlos geworden ist, wesentlich erhöhen würde;
wenigstens ein Index der Eigennamen sollte gegeben sein; ein
Sachindex könnte wohl entbehrt werden.
Tübingen. J. Haas.
I>ovlne?*c«, Eugcme. Jean-Jacques Weiss et son ceuvre
liUeraire avec une preface de E. F a g u e t. Paris 1909.
X, 169 S. 8f>.
Einen scheinbar so offenen, so rückhaltlos sich gebenden und
doch wieder so widerspruchsvollen, komplexen Geist, wie J. J. Weiss
es gewesen ist, zu entziffern, war kein gewöhnliches Unter-
nehmen. Der Verfasser hat sich seiner Aufgabe nicht bloß mit
sichtlichem Interesse hingegeben, sondern auch mit innerer,
liebevoller Anteilnahme an dem Gegenstand, als ob er mit dem
schon vor 20 Jahren verstorbenen Schriftsteller in engerem
Freundschaftsverhältnis gestanden hätte. Er gibt uns zuerst
ein in lebendigen Farben gemaltes und durch manche glücklichen
und wirksamen Zitate aus den Weiss'schen Werken ausgestattetes
Lebensbild des Mannes. Wir erfahren hier, daß er aus einer
Rassen- und Religionsmischung (sein Vater war ein protestanti-
scher Elsässer und seine Mutter eine kathoüsche Baskierin)
hervorging. Wir hören von seiner wanderfrohen Jugend durch
ganz Frankreich, von seinen Studien, seinen ersten literarischen
Erfolgen (darunter seine knappe, aber sehr gehaltvolle, viel-
gepriesene Doktordissertation über Goethes ,, Hermann und
Dorothea"), seiner Neigung zur militärischen Laufbahn, seiner
Dozentenwirksamkeit auf dem Gebiete der schönen Literatur
und der Geschichte in verschiedenen Provinzstädten, bis
er, in der Hauptstadt ansässig geworden, seinen Übergang
in die Journalistentätigkeit vollzog. Dann beginnen seine
pohtischen Irr- und Kreuzwege, da er, zuerst ein offener
Gegner des Napoleonischen Regimes, zur Aussölmung mit
demselben und zur Übernahme hoher Staatsämter gerade den
Moment auswählte, als der Sturz des Kaiserreichs vor der Türe
stand, dann einige Zeit wieder die Republik bekämpfte, um sich
nachher von Gambetta als Ministerialdirektor berufen zu lassen
Lovinesco, Eugene. Jean-Jacques Weiss et son ceuvre liltiraire. 97
bis er zuletzt wegen allen diesen \\'andlungen überall Mißtrauen
erweckte und sich ins Privatleben zurückzog. An die biographische
Skizze schheßen sich eingehende und lichtvolle Untersuchungen
über die Geistesart, die Moral (dies Kapitel ist fälschUciier Weise
mit V statt IV bezeichnet), den Idealismus von J. J. Weiss, über
seine Bevorzugung der ,, mittleren'"' bürgerlichen Lebensweise,
über den sentimentalen und phantasiereichen Zug in seinem
Wesen, über seine Literatm^, Ivritik, Geschichte und historisches
Drama betreffenden Ideen. Allen diesen Darlegungen sind reich-
liche Belegstellen aus den Weiss 'sehen Schriften und überhaupt
aus der ganzen Literatur des 19. Jahrh. beigegeben, welche den
Wert und das Interesse der Studie erhöhen. Wenn es dabei
manchmal zu unliebsamen Wiederholungen kommt, die der Ver-
fasser selbst mit den oft eingestreuten Sätzen: comme nous Vavons
dit, nous üvons d'ailleurs dejä remarque, nous savons que
kenntlich macht, so liegt das an der Gruppierung des Stoffes.
Schon die obige Kapitelaufzählung zeigt, daß Dinge auseinander
gehalten und gesondert besprochen werden, die in der Wirklich-
keit ineinander greifen und sich gegenseitig bedingen. Z. B.
wäre manches von dem, was man unter der Rubrik ,,Ideahsmus"
zu lesen bekommt, ebensogut auch in dem Kapitel über die
Moral am Platze. Andererseits steht Kap. VII zu weit ab von
der Erörterung über den Idealismus, denn das dort behandelte
sentimentale Wesen ist eine Form des demselben Subjekt eigenen
Mitleids und eine Hauptwurzel seines Idealismus. Vielleicht
hätte die ganze Studie an Geschlossenheit gewonnen durch eine
Anlage, die nicht sowohl den Geist des Mannes in seine ver-
schiedenen Bestandteile zu zerlegen, als vielmehr sein gesamtes
geistiges Wesen der Reihe nach in den verschiedenen Lebens-
gebieten zu erfassen suchte, so daß uns etwa nacheinander der
Mensch, der Bürger, der MoraUst, der Schriftsteller, der Kritiker
usw. vorgeführt worden wären. Doch so oder so, der Gegen-
stand, den Herr Lovinesco behandelt hat, ist so farbenreich,
die geistige Individuahtät von J. J. Weiss bietet so merkwürdige
Kontraste, daß der Leser diesem Lebensbilde mit größter Span-
nung folgt. Selten dürften so ausgesprochene Gegensätze sich in
einer Seele harmonisch zusammengefunden haben: ordnungs-
hebend, kleinbürgerlichen Verhältnissen zugetan, verzehrt sich
Weiss in aufregender jom'naUstischer Tätigkeit im Lärm der
Millionenstadt; er bleibt Junggeselle sein Leben lang und schwärmt
für trautes Familienleben, für die Poesie des Herdes; er hat
einen ausgesprochenen Hang zu morahschen Betrachtungen,
preist Sittlichkeit und Ehrbarkeit, und läßt sich durch seine
Phantasie zu gewagten und zweideutigen Behauptungen hin-
reißen, er ist ein Mann von großer Urteilskraft von feiner Unter-
scheidungsgabe und kann sich selbst nicht führen im öffenthchen
Leben; er ist gleich begeistert für Lessing und Boileau, für Goethe
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVIP. 7
98 Referate und Rezensionen. Oscar Grojean.
und Moliere; seine Arbeiten befassen sich mit Hermann und
Dorothea, mit Epictets Lehre, mit dem römischen Strafverfahren,
mit dem sozialen Einfluß Molieres usw. Wie er in seiner zarten
Jugend mit dem Regiment, dem sein Vater angehörte, durch
das ganze Land hindurchstreiftc, so bleibt er bis zu seinem
Lebensabend ein Landstreicher. Etwas Unberechenbares lebt
in ihm. Seine Arbeiten sind fragmentarisch. Die allgemeinen
Gedanken können bei ihm nicht ausreifen. Er ist voller Einfälle,
voll packender Apercus, man möchte ihn als Impressionisten
kennzeichnen.
Zur Erklärung der Antinomien in der Persönlichkeit
von .1. .1. Weiss hat der Verfasser mit Recht die Verschie-
denheit der Abstammung seiner Eltern herangezogen. Das
dürfte aber noch insbesondere dahin ergänzt werden, daß er
schon durch seinen elsässischen Vater eine doppelte Seele
in sich trug. So wäre auf eine weitere ethnologische Einwirkung
zweiten Grades zu rekurrieren, um die aus so heterogenen Elementen
zusammengesetzte Persönlichkeit und insbesondere das, was der
Verfasser "l'esprit m o y e n de J. J. Weiss" nennt, zu erklären.
Weiss war der ausgeprägte Typus des Elsässers vor dem Jahre
1870, der in der Gesinnung ganz französisch geworden, starken
politischen Patriotismus hegte und dabei doch gewisse Gemüts-
seiten und Geistesanlagen germanischer Art festhielt, ein Typus,
den er einmal selbst in. trefflicher Weise so charakterisierte:
«Elsaß ist ein deutscher Dichter, der französischer Soldat ge-
worden ist. Wir andere, Kinder jener Provinz, wir lesen lieber
An die Freude als die Oden des pindarischen Lebrun, und der
Verfasser vom Werther wird unserem Herzen immer näher stehen
als der von Zadig.» Es bewährt sich auch in diesem Falle, daß
man durch biographische Studien Land und Leute richtiger
einschätzen lernt, als mit Hilfe allgemeiner, von der politischen
Geschichte, der Rassentheorie und der Geographie abstrahierten
Maßstäbe.
W. BaLDENSPERCtER.
C'losset, «f osepla. Table alphahkique des ouvragcs liUeraires
wallons, suivie d'iine Table generale par noms d'aiiteiirs
( Theätre, poesie, prose, travaux divers) publice sous les
auspices de r«Association des auteurs dramatiqucs et
Chansonniers wallons». Liege, Imprimerie «La Meuse»,
1910, 8^ 253 p.
A l'Exposition universelle et internationale de Bruxelles,
une place speciale avait ete reservee ä la Litterature wallonne, dans
la section des Lettres. On y exposait en meme temps que les
portraits de quelques hommes de lettres, un certain nombre
Closset, Joseph. Table alphabeliqiU ^'c. 99
d'ceuvres wallonncs. C'cst ä l'uccasion de cctte exposition quo
M. Joseph Gösset, tresorier de TAssociation des auteurs drama-
tiques et Chansonniers wallons, secretaire de la Federation
wallonne, a compile la bibliograpliie dont j'ai transcrit le titre.
Cette bibliographie se compose de deux parties: a) une table
alphabetique des ouvrages; b) une table generale par noms
d 'auteurs.
La premiere partie compte quatre subdivisions:
1^) les Ouvrages dramatiques (pages 5 a 72),
2'^) les Ouvrages en prose (pages 73 ä 74),
3^) les Recueils d'ceuvres poetiques (pages 75 k 82),
4P) les Travaux divers (pages 83 ä 88).
Sous cette derniere rubrique,rauteur a classe tous les ouvrages
qui ne rentraient pas dans une des trois categories precedentes;
ä cote des almanachs poetiques on y trouve l'enumeration des
travaux de philologie et d'histoire publies par la Societe de
litterature wallonne.
La Table alphabetique consiste surtout en une liste d'ouvrages
dramatiques: tandis qu'il ne releve que 34 titres d'ceuvres en
prose, et 190 de recueils en vers, M. C. enumere 1961 ouvrages
dramatiques. Ces titres ne laissent pas que d'etre interessants
ä parcourir. On y verra qu' Amour figure dans 35 titres de
comedies ou de drames, voire de vaudevilles; Cabaret dans 7,
de meme que Diäle; efant dans 10, comme Heritedje et Vin-
djince; Farce dans 12; Mariedje dans 15; Rabroiihe dans 18;
Truc dans 20; je laisse aux esprits philosophiques le soin de tirer
de ces chiffres d'ingenieuses conclusions.
Aussi bien, trouve-t-on de tout dans ces titres: les belles-
meres, le "peket", les coqs, les pigeons, les "crapaudes", inspirent
egalement l'ecrivain wallon, de la meme maniere que le soldat,
^i^Togne, le "galant" et la servante. Des chefs d'oeuvre de
Moliere s'y discernent (Le medecin malgre lui a ete imite par
trois auteurs differents) et il n'est pas jusqu'aux ecrivains fran-
cais les plus recents qui n'aient suscite des imitateurs: Riyete
traduit BlancheUe de M. Brieux, et Cyrano di Berdjirowe rappello
le heros fameux de M. Edmond Rostand.
Plus d'une fois, des auteurs differents se sont rencontres
dans le choix d'un titre. G'est le cas pour les Deüs neveüs et
les Deüs sorodjes, L' amour et l'ärdjint, Destineye et Djalos'reye;
Qwand on aime\ Li peket et ^ou qui l'peket fait je. II y a deux
Bastäd. deux Colebeü, deux Fördjeü^ deux Djoweüs d'coniMeye,
deux Parmiou (ce qui est peu) et trois Somnambules (ce qui
est beaucoup). Un meme proverbe (Tot gou qui r'lül n'est nin
d'l'or) ou un meme "spot" (Treüs tchets pon' soris) a servi
ä plusieurs auteurs, pour qui la sagesse des nations n'a pas de
secrets. Trois pieces se prenomment Bertine., quatre Louise^
trois Nanete, quatre Ninie et deux Ugene: c'est une belle famille!
7*
100 Referate und Rezensionen, Oscar Grojean.
M. C. a classe les oeuvres dans un ordre strictement alpha-
betique, en tenant compte de l'adjectif. Lorsque le titre est
double, il renvoie au second titre. Chaque fois qu'il la connait,
il indique entre parentheses la date d'edition de l'ouvrage. Si
celui-ci est une traduction, mention en est faite.
Ge serait parfait, si la table ne pretait assez souvent
le flanc ä la critique.
En ce qui concerne le classement, les principes appliques
par M. G. ne me semblent pas bien rigoureux.
Si vous classez sous la lettre A, A l'craquerie, A l'since,
il faut traiter de la meme maniere: A Beyerloo, A l'blanke since,
A Ghivrimont, A concours, A Gonseye, A redjimint, A l'ocäsion,
A l'pompe, A l'porsüte, A l'sälle, Au cabaret, Au cler di lune,
Au Gongo, Aux chonq clotiers. II faut classer A bon tchet,
bon rat et A cliaskeune si lot comme A chaque marihä, s'clä;
A cäse comme Ä t'fait; Chez Baptisse comme Chez l'commissaire ;
E l'couleye, e fond Pirette, e Tsalle, En villegiature comme e
manedje; Nos djones maries, Nos marcatchous, Nos paysans,
Nos tchanteüs, Nosse gärde-champete, comme Nos p'tits bordjeus;
/ fät de songue comme / faut qui säurte; Mes baceles. Mi belle-
mere, Mi wezene, Mes saies, Mds tchansons comme Mes pus
bais moumints; Po n'heritedje comme Po n'cuisiniere ; Po l'djoü
de noye comme Po l'djoü de tiredje; Quene kumeleye comme
Que Disdü; Si feye comme Nosse feye; So male vöye comme
So l'fagne; Queques cöps d'penne comme Queques boquets: etc.
Gertains renvois manquent, par exemple : Deüs soürs (Gillai'd),
Grisou (Volont), Mal' etindou (Quintin), Once di Bonheur (Etienne),
Trompi (Lahaye). Page 61, mentionner Sous scelles de Hespel;
p. 17 biffer la seconde mention de Come i fät s'i prindc.
Dans la Table alphabetique, "trad. X, traduc. X, trad. de X"
signifie que X est l'auteur. Dans la Table generale, "trad. X"
(cf. p. 99) veut dire que X est le traducteur. La clarte exigerait
que ces formules fussent differenciees.
Pendant que nous en sommes aux traductions, ajoutons
page 26 que Eterr'mint d' Credit est traduit de Hespel; le Med' ein
maugre lu (p. 43) de Moliere; Biec di Fier (p. 69) de Henri Simon;
la piece de Louis Bodart (p. 65) a ete traduite en montois par
Maurice Garez et Fernand Dessart sous lo titre EI trouvajje du
champdte.
Dans sa transcription des titres, M. G. ne s'astreint pas a
reproduire Torthographe des auteurs. II use generalement de
graphies plausibles, mais non pas immuables; il eciüt par exemple,
dans un meme titre: Francoes (p. 21) et Francwes (p. 107),
Sorodjes (p. 22) et Soroches (p. 244). Ge qui est plus grave, c'est
qu'il ne respecte pas les varietes dialectales et qu'il trahit une
fächeuse tendance ä tout ramener au type liegeois: il öcrit, page 57,
bidons pour bid^ons (tournaisien), et l'oeuvre que Jos, Dufrane
Closset, Joseph» Table alphabetique SfC. 101
intitulait: Les Tois swhaiis devient ädeux reprises, sous sa plume:
Les treüs sohaits (p. 65 et p. 110).
J'en viens, ä present, ä la Table generale. Celle-ci groupo
497 noms d'auteurs. Cliaque fois qu'il l'a pu, M. Clossct a men-
tionne la dato de naissance, et, le cas echeant, celle de deces.
A defaut de ce renseignement, il a indique la localite oü l'auteur
reside. En dessous du nom figurent, dans un ordre plus ou
moins alphabetique, les titres des ceuvres.
A la suite des titres d'ouvrages dramatiques, M. G. Signale
oü, quand et par quelle troupe ou societe la piece a ete representee
pour la premiere fois.
La Table ne donne pas de description bibliographique des
Oeuvres imprimees. Elle a ete congue dans un but pratique et
na pas de visees scientifiques.
Elle est surtout informee de la production dramatique,
particulierement de la liegeoise. Mais quant au reste, eile offre
d'inexplicables lacunes. C'est ainsi, pour prendre un exemple,
que ]VI. Maurice Wilmotte n'est mentionne qu'en raison de sa
collaboration avec MM. Tilkin et Vrindts: les nombreux ecrits
qu'il a consacres au wallen et ä son histoire litteraire sont passes
sous silence. On lit avec stupeur qu'il a transporte ses penates
ä Dison. M. C. eüt complete ou rectifie sans peine ses
renseignements en ouvrant la Bibliographie academique belge^)
et, de meme, il eüt, je crois, tire profit de la fr^quentation des
bibliographes, de Theux, Weber, Doyen, etc.
J'ai examine les 60 premieres pages de la Table qui enumerent
188 auteurs (Adolphy-Duysens).
Voici quelques observations : A 1 c i d e - P r y o r: les editions
Separees des Boutades et des Chansons ne sont pas mentionnees. —
Alexandre (A n t o i n e - J o s e p h) , ajouter Virgile ä
Manche (1855). — Bailleux (Frangois), ajouter Disjinse
(1842), Mareie (1889). — B a r i 1 1 e (F r a n g o i s), ne le 19 no-
vembre 1821, ajouter: Sov'nir des fiesses di Lige (1861). — Baron
(Henri), ajouter: Hoväte et Pastedji (1895), On mät d'Cocagne
ä St. Phoyin (1899); Coiihenire et chervante a ete ecrit en colla-
boration avec M. Henri Aerts. — B a r t h o 1 o m e z (C h a r 1 e s),
n6 le 24 janvier 1868, ajouter: Jacques et Colas a l'fiesse (1885),
On peil po raii n'fäve (1891), On marüdje di pörgulaine (1892),
Qwand Vbonheiir vout (1892). — Baurin (Augustin), n6 ä
Gouylez-Pieton, le 30 juillet 1868. — Bauwens (Frangois),
Spitche, Matche et Hasse, supprimer: coli. J. Willem. — B e r t h a -
1 o r , ä la traduction de Lermusiaux ajouter celle de Tilkin. —
^) Academie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de
Belgique. — Notices biographiques et bibhographiques concernant
les nembres, les correspondants et les associes. 1907 — 1909. 5me
Edition, p. 652.
102 Referate und Rezensionen. Oscar Grojean.
B 0 d a r t (Louis) a traduit Li galant da Fijine et Li novel an
de J. Willem; sa piece Li Trovaye do Champete a ete traduite en
montois par Maurice Carez et Fernand Dessart. — B o 1 a n d
(Louis) a pour pseudonyme: Albin Souldo. — Boncher
(E 1 0 i), ajouter: In mört qiii vike (1901), Poii in betche (1902),
Justine Maclotte (1902). — Bosquetia, ajouter: CEuvres
clioisies^ 2e edition, 1898; corriger: Pierrot vet co, Les tois swhaits.
— Bovy (T h e 0 p h i 1 e), ajouter: Li cusin, Plaisir des vis
(1890). — B r a h y (C h a r 1 e s), ajouter: Li comptäbe et Vbanqui
(1889). — B r u n e h a u 1 1. Les ouvrages de Pierre Brunehault
(Pseudonyme) sont classes ä Leroy (Auguste), mais alors pourquoi
classer ä Bosquetia les oeuvros de Joseph Dufrane ? — B u r y
(D i e u d 0 n n e), ajouter: Bahioles et Respleüs (1893); Que
Tricbal a ete ecrit avec la collaboration de Jean Bury. — B u r y
(Je'an), ajouter: Novais crätnignons (1887), Ine amoür inte
deüs ewes, Li Banste d'oüs, Botresse et niessedji (1891), Djote po
djote (1890), Les deüs droles (1891), Les deüs fiyous (1892),
Deüs Flaminds d'cins des laids draps (1893), On manedje d'or-
phulins (1887), Nos bons vis (1894), Li r'viniche d'on riväl (1892),
On sot manedje (1894); en collaboration avec Deforeit: Ine rivintche
di crapautes et Po marier Zabelle; avec D. Bury: Que tricbal. —
Bury (T 0 u s s a i n t), ajouter: Chaque si toür (1905), Cusin
Eugene., Li crapaute d'on piote (1890), Tchin et tchet. — B u r y.
Les trois Bury ont public: P) avec Emile Jeanne: Po je rire
(1894), 2°) avec Emile Jeanne et Leon Pirsoul: Po tchanter, rire
et je rire (1894). — Carez (Maurice), ajouter trois monologues :
El pou imbitieux, El petit pichon, C'est l'Jeudi saint. — C e r k o
(Nestor Serckx), ne ä Jodoigne, le 14 avril 1865, ajouter: Andje
et demon (1899). — C h a u v e h e i d (Gilbert), ne ä Stavelot,
I(i 6 fevrier 1878. — C o 1 1 a r d (Victor), Li tindriye ä Vamou-
rette a ete traduit en wallon liegeois par Henri Baron. — Colli-
gnon (Constant), ajouter: El potche da Noye. — C o 1 s o n
(Julien), Chansons patoises (1862). — Cornet (Louis),
ajouter: Neür et blanc. — Cornet (V i c t o r), Berwete et Mant-
chete (1892) a ete ecrit en collaboration avec F. Massart. — D e -
cleve (Jules), ajouter: Le wallon montois (1904); sa Biblio-
graphie qui remonte ä 1895 compte 110 numeros. — Deforeit
(Giemen t), ajouter: Enne plainte au r'ceveü (1902). — Defo-
reit (Eugene): Questionnere wcdlon des d' Jones jiyes (1903). —
Defrecheux (Josep h), ajouter: Details anecdotiques sur
Nicolas Dejrecheux (1891), en collaboration avec Charles Defre-
cheux; Les Prenoms liegeois (1890) en collaboration avec Leopold
Chaumont; Recueil de comparaisons populaires wallonnes (1886). —
D e h i n (Joseph), ajouter: Li Baraque a l'bencye martchandeye
(1846), On d'meye jranc s'i v' platt (1847). — D c h o u s s e (C o n -
s t a n t), ajouter: Li Tchässeye (1904). — D e 1 a r g o (G u i 1 -
1 a u m e), ajouter: Chansons et poesies wallonnes (1870). —
Closset^ Joseph. Table alphahetiqiie Sfc. 103
D e 1 c li 0 f (A n d r e), ajouter: Pauline Closoii (1882). — D e o m
(Clement), ajouter: On cöp d'maisse (1890). — Deprez
(J 0 s e p h), ajouter: Les deüs hons wezins (1879). — Derache
(Charles), ajouter: Prumis cöps d'ele (1900). — Derycke
(E d m o n d), ne ä Watcrloo, le 19 octobre 1877. — Dcspret
(Emmanuel), secretaire communal ü Monstreux, ajouter:
.Les maisses sont soürtis (1897). — Dovigne (Auguste),
ajouter: Les deüs Camerluches (1894), en collaboration avec
Arthur Pottier; traduction liegeoiso par Jean d'Archambeau. —
D o u f f e t (Jean), ajouter: Pierdoii (1903), Quhie sise (1901),
Rapayon (1904).
Sous la rubrique '"Travaux divers" M. Closset cite des al-
manachs et recueils de melanges. Je m'etonne de n'y pas trouver
la liste des journaux wallons, des annuaires et des periodiques,
entre autres rexcellente rovue Wallonia. Mais, dans la partie
de la Table generale ä laquelle j'ai borne mon examen, manquent
beaucoup de noms d'ecrivains qui devraient s'y rencontrer, si
cette table pretendait former un inventaire complet.
Je pourrais aligner soixante-dix noms et plus; pour ne pas
allonger outre mesure ce compte-rendu, je citerai seulement:
Thomas- Joseph Angenot, S. Baron, J.-F. de Bassompierre,
Guill. Bastin, Bernard Bellefontaine (Bebe), Leon Bernus, Arthur
ßoccart, Henri Bonhomme, G. Borckmans, Nicolas Bosret,
Aug. Cader, Felix et Leopold Chaumont, Maurice Coupez, Ad.
Delmee, Henri Delmotte, Astere Denis (A. Delflüte), Louis Dufrane,
Duvivier de Streel.
Enfin, n'eüt-il pas fallu mentionner les Pseudonymes qui
dissimulent les auteurs dont on donne certaines oeuvres ? Boiirleii
est le Pseudonyme d'Ad. Wattiez; Biscowitche, celui de Clem.
Deforeit; Bocai^ celui de L.-J. Jacob; Gilles Contribiilion, celui
de Lohest. Antoine Bouhon a pour pseudonyme Lak-mouse;
Theophile Bovy, Gille Peto'ie, L'homme äs hiettes, Sizet; Maurice
Carez signe Jules Lermusiaux] Ch. Dausias Roial; Emmanuel
Despret, Manu du Cou-r'iiaud.
En resume, et pour conclure, il s'en faut que Tceuvre de
M. J. Closset soit exempte de lacunes ou de defauts. Plus pratique
que scientifique, eile est particulierement satisfaisante en ce
qui regarde l'art dramatique liegeois, mais olle laisse ä desirer
pour ce qui concerne les genres autres que le theätre et les ecri-
vains de dialectes autres que le liegeois. Teile quelle, eile
n'en constitue pas moins une utile contribution ä la bibliographie
de la production litteraire wallonne, si abondante, si dispersee
et si difficile ä inventorier.
B r u X e 1 1 e s. Oscar Grojean.
104 Referate und Rezensionen. Oscar Grojean.
liC Cliat volant de Verviers, satire en dialecte ver-
vietois de 1641. Textes, introduction et notes, par Jules
Feiler. Verviers, P. Feguenne, 1910, 8», 39 p. (Extr.
du Bulletin de la Societe vervietoise d' archeologie et
d'histoire, t. XI).
A la fin de l'annee 1641, une curieuse experience reunissait
les bourgeois de Verviers sur la place du Marche. L'un d'eux'
avait eu l'idee de «faire voler un chat»! En notre temps d'aerosta-
tion, voire d'aviation, il n'y a la rien qui nous surprenne et nous
concevons sans peine qu'ä l'aide d'un gaz plus leger que l'air,
on songe ä soustraire un corps ä l'action de la pesanteur, mais
il n'en allait pas de meme il y a trois siecles, et l'experience ver-
vietoise suscita la plus grande curiosite. Les plus grandes de-
sillusions egalement, car eile subit un echec lamentable: lance du
haut d'un clocher, le pauvre chat, ä qui on avait attache deux
vessies sur le dos, vint s'abattre piteusement sur le sol. Le Wallon,
ne malin, s'en gaussa, et l'aventure finit par un eclat de rire;
eile est restee proverbiale au pays de Verviers.
L'equipee du Chat volant ne laissa pas d'exciter la verve
d'un poete du crü et l'on vit paraitre une pasquille de 130 vers,
qui tournait en derision la fameuse experience et raillait les
personnalites qui y avaient ete melees. L'auteur, dont on ignore
le nom, etait de Stembert, pres de Verviers. En ecrivant son
oeu\Te, il vengeait ses concitoyens que les Vervietois ne s'etaient
pas fait faute de blasonner cruellement, un jour que les Stam-
bertains s'etaient avises d'enterrer vivante une taupe, pour la
punir de ses rnefaits . . .
De cette satire, qui constitue la plus ancienne oeuvre connue
en dialecte vervietois, on ne possedait qu'une edition defectueuse
publiee en 1880 par Jules Matthieu, bibhothecaire de la ville
de Verviers. M. Jules Feller a eu la bonne fortune de decou\Tir
une copie plus archaiquc que celle dont Matthieu s'etait servi
et de ces deux copies manuscrites, qui remontent ä des traditions
assez incertaines et en partie orales, il a tire, ä force de sagacite,
un texte parfaitement lisible, correct et satisfaisant ä tous egards.
Litterairement, notre satire est mediocre mais, en revanche,
eile est importante au point de vue dialectologique: M. Feller
l'a enrichie de notes et d'une precieuse introduction oü tous les
problemes qu'elle souleve sont savamment elucides.
B r u X e 1 1 e s. Oscar Gro jean.i
Ii'abb^ Roii6iselot. Principes de Phonetique Experimentale.
Paris, Leipzig, Welter. I. IL
Rousselot gilt als Begründer der experimentellen Phonetik.
Das ist die Wissenschaft, die die Ergebnisse und die Methoden
L'ahhe Rousselot. Principes de Phonkiqiie Expkrimentale. 105
der exakten Wissenschaften auf die Phonetik anwenden will.
Sein erstes größeres Werk darüber erschien 1891 und trug den
Titel: Les modificnlions phonetiqiies du Langage etudiees dans le
patois d'une fajnille de Cellefrouin (These). Den Lesern dieser
Zeitschrift hat Dietrich Behrens einen Literaturbericht über
R.s Vorläufer und eine Beschreibung des Rüstzeuges gegeben,
der Apparate, die R. für phonetische Untersuchungen verwendete.^)
Jn demselben Heft sprach E. Koschwitz über die Hoffnungen,
die die französisch -pro venzalische Philologie auf die Experimental-
phonetik setzte. — Die Methoden der graphischen Darstellung
der Artikulationsbewegungen und der Schwingungen des Luft-
stroms, die verschiedenen Maßmethoden der akustischen Ein-
drücke haben sich wesentlich vervollkommnet. Auch an Gegnern
hat es nicht gefehlt, und zwar kamen sie, wie das bei Grenz-
wissenschaften gewöhnlich ist, aus den Lagern der beiden an-
grenzenden Disziplinen. Die Einwände waren theoretischer und
praktischer Art. Die Naturwissenschaftler bezweifelten die
Exaktheit einer mit allzu einfachen Mitteln arbeitenden Expe-
rimentiermethode, und betonten die möglichen Fehlerquellen,
die Linguisten dagegen erkannten zwar theoretisch den Wert
solcher Experimente meist an, hatten aber Bedenken, schwierig
zu behandelnde, kostspielige Apparate zu benutzen.
Das vorliegende W'erk bildet einen Abschnitt in diesem
Kampfe und ein Teil der Entwicklung der \A'issenschaft spiegelt
sich darin \^•ieder. 1897 erschien der erste Halbband. 1898
wurde für R. ein Laboratorium im College de France eingerichtet.
Mit den immerhin bescheidenen, aber doch bedeutend vermehrten
Mitteln, die dies ihm bot, konnte R. seine Untersuchungen in
größerem Maße fortsetzen. 1902 war der erste Band vollständig,
er glaubte sein Lebenswerk fast beendet; aber erst 1908 erschien
der zweite Band (S. 639—1222).
Diese Entstehungsgeschichte erklärt die Ungleichheiten in
den verschiedenen Teilen, es erkläi^t, daß sich im zweiten Band
andere Apparate und Resultate finden als im ersten.
Aber es bedingt vielleicht den Wert dieses Buches mit, daß
wir seine Entwicklung verfolgen können, daß es uns wie ein
wachsendes Individuum erscheint. Wir begleiten den Verfasser
bei seinen Experimenten, wir erleben mit ihm die Umstände,
unter denen die Aufnahmen gemacht werden, die wissenschaft-
lichen Resultate werden nicht ganz von den Affekten losgelöst,
die die einzelnen Finderschritte begleitet haben: er gibt das
subjektive Bild der Resultate, an deren objektive W'ahrheit er
glaubt: vielleicht ist das kein Lob eines solchen Buches, vielleicht
ist es die Bedingung der Wahrheit.
1) Jahrg. 1892.
106 Referate und Rezensionen. Arthur Franz.
Das Werk soll zum Studium der lebenden Mundarten nach
der experimentellen Methode anleiten und die wichtigsten Ergeb-
nisse dieser Methode zusammenstellen.
Der erste Halbband hat eine doppelte Aufgabe. Er soll die
physikalischen und medizinischen Grundlagen der Phonetik auf
Grund der bisherigen wissenschaftUchen, häufig auf experimen-
tellem Wege gefundenen Resultate übersichtlich darstellen, und
die Apparate beschreiben, die bisher (1897) zu speziell phone-
tischen Experimenten mit der graphischen Methode angewandt
worden sind. Die erste Aufgabe ist mehr pädagogischer Art. Sie wird
in folgenden Kapiteln meisterhaft gelöst: I. Elements acoustiques
de la parole. II. Moyens naturels d' Observation et d'experinientation
(Ohr). IV. Analyse physique de la parole (timbre). V. Organes
de la parole. Das dritte Kapitel: Moyens artificiels d'experinien-
tation ist der Kern des Werks. Die älteren Apparate können
als bekannt vorausgesetzt werden. Ich erwähne nur einige neue,
die zum Teil im zweiten Band eine veränderte und verbesserte
Form bekommen haben.
a) Der künstliche Gaumen dient der direkten Aufzeich-
nung der Berührungsstellen der Zunge an dem harten Gaumen. Eine
praktische Herstellungsart dieses einfachsten Apparates mittels
Ouranine, einer schnelltrocknenden Flüssigkeit, wird S. 1211
angegeben; übrigens ersetzt man ihn jetzt häufig wieder durch
die Fäi'bung des Gaumens selbst.
b) Die Registrier- und Schreibapparate weichen nur
wenig von denen der These (s. o.) ab. Neu sind vor allem die zahl-
reichen praktischen Erfahrungen des gew^andten Experimentators,
die bei den einzelnen Experimenten, die später folgen, stets
mit angegeben werden. Neu ist die Betonung des Unterschieds
von widerstandsfähigen [rigide) und elastischen Membranen an den
Schreib- und Aufnahmetrommeln, und ihres Größenunterschiedes,
je nachdem man die Vibrationen des Luftstroms oder die Quantität
der Luftmenge und der artikulatorischen Bewegungen messen
will. Beides vereinigt für manche Fälle die ^^oreille inscriptive'\
ein dem Ohr nachgeahmter Aufschreibeapparat. S. 572, 576,
580 finden sich die Abbildungen von Apparaten, die es ermög-
lichen sollen den timbre nasal zu isolieren. Zu diesem Zweck
werden die Luftströme von beiden Nasenlöchern einem ^.^inscrip-
teur de la parole ä membrane" zugeführt (Fig. 363), oder der
Luftstrom aus der Nase wird zu dem aus dem Munde ausströmen-
den summiert und zugleich allein aufgezeichnet (Fig. 367), oder
schließlich Mund- und Nasenluftstrom werden beide isoliert und
andrerseits auch summiert aufgeschrieben. S. 743 wird eine
Stimmgabel mit Gleitgewichten. abgebildet, wie solche dann bei
den Untersuchungen über den Eigenton der Vokale, wie sie der
Linguist braucht, eine so große Rolle spielen. Eine wesentliche
L'abbe Rousselot. Principes de Phoneliqiie Expirimentale. 107
Hilfe dabei war für R. das „Tonometer von König", das jede
einzelne ScliNvingungszahl darzustellen gestattet.
S. 760 werden 10 Resonatoren abgebildet, im Anscliluf.>
daran der ,,Reson)iateur universeV\ beschrieben, der Töne von
40 bis 6000 Doppelschwingungcn verstärkt.
S. 817 wird der neue Registrierapparat, wie er aucli im.
Handel zu haben ist,-) abgebildet. Er ist mit Federantrieb und
Schnelligkeitsregulator versehen. Die Geschwindigkeit läßt sich
leicht verstellen. Der Zylinder ist dicker als es früher üblich
war: 63 cm Umfang, 25 cm Länge. Der Schlitten, auf dem die
Schreibapparate und die Schreibstimmgabel befestigt sind, steht
auf derselben Unterlage wie der Zyhnder und wird durcli das
gleiche Uhrwerk angetrieben. Er ist verschieden schnell (7 mm
bis 160 mm bei einer Umdrehung des Zylinders) beweglicli, und
man kann ])is 40 Alexandriner ohne Unterbrechung aufnehmen.
c) Die übrigen Verbesserungen an den Apparaten sind
im Anhang zusammengestellt:
Der Sclireibhebel ist aus Rohr, am Ende mit einem Scharnier
versehen und mit der Membran durch eine kleine Platte mit
Stiel oder durch einen zum Kreis gebogenen Kupferdraht ver-
bunden. Um größere Ausschläge zu geben, wird er einfach
auf die Membran aufgeklebt. Es folgen verschiedene Arten der
Schreibfeder. Dann werden der ,,Ijiscripfeur ä plaque", ein Phono-
graphenreproduktor mit Hebel und einige andere Schreibapparate
beschrieben. Von den Registrierapparaten wird außer dem er-
wähnten einer mit Gewichten (Weiß) angegeben. Es folgen der
Explorateiir de la langue von Atkinson und einige andere nicht
von R. beeinflußte, anderweits veröffentlichte Apparate. —
Das sind einige der wichtigsten Apparate, mit denen die
„Analyse physiologiqiie de la parole" ausgeführt worden ist.
Dieser bei weitem umfangreichste Teil des Werkes gliedert
sich in folgende Kapitel: Elements simples de la parole; Elements
groupes de la parole; Qiialites des Clements de la parole. Ein
Schlußteil be'nandelt die Anwendungen der experimentellen
Phonetik.
-) Da das Buch seiner Natur nacli auch praktischen Zwecken
dient, und vor allem methodische Anregung zu eignen Experimenten
geben will, ist es vielleicht nicht unnütz, eine ungefähre Vorstellung
von dem Kostenpunkte zu haben. M. JMontalbetti, (4 rue le Goff,
Paris Ve) hat die Lieferung der im Pariser Laboratorium gebrauchten
Apparate übernommen, z. T. konstruiert er sie auch. Er sendet auf
Verlangen eine gedruckte Preisliste. Icli greife einiges heraus. Der
beschriebene ,,Enregistreur" kostet 1200 frs., in primitiverer Ausführung
für die Reise 600 frs. ; ,,Tambou?-" mit auswechselbarer harter Membrane
50 frs., Tambour verschiedener Größe mit Gummimembrane 20 — 30 frs.,
Gummibirnen (Ampoules exploratrices), 6 von verschiedener Form,
10 frs., Aluminiummundstück 4.50 frs.; Godiva für den Abdruck des
Gaumens 4 fr., Ouraninr (s. o.) Flasche 8 fr., Resonnateur universel
175 fr. etc.
108 Referate und Rezensionen. Arthur Franz.
Über die reichen Ergebnisse dieser Untersuchungen kann
nicht auf einigen Seiten berichtet werden. Besonders die vielen
Hunderte von Abbildungen der Kurven muß man selbst sehen.
Der Wert liegt ja auch vor allem in den für jeden Fall sinnreich
angewandten Untersuchungsmethoden. Die Gummibirne kann an
verschiedenen Stellen angesetzt werden, sie kann Artikulations-
bewegungen und Vibrationen gleichzeitig registrieren helfen,
Atem-, Zungen- und Kehlkopfbewegungen können gleichzeitig
aufgeschrieben werden, und aus ihrem zeithchen Verhältnisse
Schlüsse auf die Natur der Laute gemacht werden. Beliebige
andere Zusammenstellungen zur Erforschung gleichzeitiger Vor-
gänge sind möglich; es ist die Kunst des Experimentators, die
richtigen auszuwählen. Und diese Kunst versteht R. wie kaum
einer, und er versteht sie anderen ^zu lehren. —
Natürlich kann man in einem solchen Buch auch Mängel
entdecken, wenn man sucht. Poirot {Neuphilologische Mitt. 1909
S. 120 ff.) stellt einige Kleinigkeiten aus. Störend sind die
ziemlich zahlreichen |Drackfehler, besonders in den Legenden.^)
Mancher würde wohl auch gern mehr Literaturangaben
über die neuere Forschung sehen, oder eine regelmäßige Bezeich-
nung der Bedeutung der Kurven, oder einen Index über die
Abbildungen. — Doch das sind alles Nebensachen im Vergleich
zu dem Haupteinwand, den man gegen die Methode der Schreib-
liebelbefestigung, gegen die Fehlerquellen, die aus den Eigen-
bewegungen der Membran entspringen, erhoben hat. Seemann*)
beschreibt neue Aufnahmen der menschlichen Stimme mit Hilfe
der Frankschen Spiegelkapseln mit optischer Registrierung und
Luftübertragung, die an Kurvenhöhe selbst die stark vergrößerten
Phonogrammkurven Hermanns und Scriptures übertreffen; das
dabei verwandte Kymographium für photographische Registrie-
rung ist das von Frank-'') angegebene. Weiß^) teilt Versuche
über die Seifenlamelle als schallregistrierende Membran mit.
Vielleicht ist es gut, auf diese Versuche und auf ihre Weiter-
entN\'icklung, sowie auf die dort angegebene Literatur bei der
Beurteilung experimentalphonetischer Methoden ein Auge zu
haben. —
Wenn so auch die Wissenschaft — hoffentlich — voll-
kommenere Methoden zur Sprachaufzeichnung findet, so ist es
doch fraglich, ob die aus den Bedürfnissen des Linguisten her-
vorgegangenen Apparate und Untersuchungsmethoden des Abbe
3) z. B. S. 335 zu Fig. 117 lies Fig. 116., 337 Fig. 120 1. (page
86), 339 Fig. 124 statt p. 316 1. p. 136.; S. 340 Fig. 125 Legende:
l'-a-f-a etc. 2. Bd. S. 746 Z. 25: e statt e, Z. 26: 3648 statt 4648,
S. 747 Z. 1: 1 statt e, S. 755 Z. 17: 6 statt e. S. 777 Z. 11: I statt 6 etc.
4) Zschr. f. biolog. Technik und Methodik. Bd. 1. Juli 1908.
5) ebenda S. 103 ff.
« ebenda S. 49.
Thorn, A. Chr. Les Verbes parasynthetiques eii Frangais. 109
Rousselot praktisch leicht zu ersetzen sein werden. Steht doch
Rousselot in der Mitte zwischen dem rein deskriptiven Verhalten
des Physiologen und den Anwendungsbedürfnissen nicht nur
der Sprachwissenschaft, sondern auch der Sprachtherapie.
Gießen. Arthur Franz,
Tliorn, A. Clir. Les Verbes parasynthetiques en Frangais.
Lunds Universitets Arsskrift. N. F. Afd. 1. Bd. 6. N. 2.
1909. 33 S.
Die vorliegende kleine Schrift ist eine Ergänzung der 1907
erschienenen Etüde sur les verbes denominatifs en frangais.
In derselben zuverlässigen, sauberen Manier wie dieser erste
ist auch der neue Beitrag zur Geschichte des französischen Ver-
bums gearbeitet; wir bekommen das ganze Wortmaterial vor-
geführt, gesondert nach der -er- und -i>-Konjugation, nach der
transitiven oder intransitiven Funktion, nach der Bildung mit
Substantiv oder Adjektiv, sogar zahlenmäßig geordnet, so daß
v^ir uns von der Häufigkeit der besprochenen Erscheinung selbst
überzeugen können. Danach ist rund ein Drittel aller Nominal-
komposita parasynthetisch gebildet. Verf. scheidet sorgsam die
,,Parasynthetica" von den zusammengesetzten Verben; so ist z. B.
engager ein Parasyntheticon, da es aus en + gage (als Stamm)
-f- Verbalendung gebildet wurde; desengager aber ein zusammen-
gesetztes Verb aus des + engager. Die unter die Bezeichnung
„Parasynthetica" fallenden Bildungen sind also Ableitungen aus
Adverbialen; ihr Stamm besteht aus „Präfix und Nomen". Der
Ausdruck ,, Präfix" ist aber in allgemeinerem Sinne zu verstehen:
es handelt sich um Präpositionen, die auch präfigiert zu werden
pflegen. Tatsächlich liefern ad de ex in die große Masse der
Zusammensetzungen; daneben werden dann noch re- sur- er-
wähnt. Hier kann man dem Verf. wohl eine Einwendung nicht
ersparen: sur kann zwar neben en- a- etc. gestellt, es kann als
neufranzösisches Material zur Bildung neuer Parasynthetica
herangezogen werden, da es in der Bildung adverbialer Aus-
drücke eine Rolle spielt. Dasselbe gilt aber nicht von re-, das
ein so geringes selbständiges Leben führte und seit Jahrhunderten
ausschließlich Präfix ist. Wenn also debarquer kein Parasyn-
theticon ist, sondern ein zu parasynthetischem embarquer ge-
formtes Kompositum mit de-., so sind rebuter, recauser etc. eben-
falls gar keine Parasynthetica. Es müßten unter den Bildungen mit
re- diejenigen herausgestellt werden, die nachweisbar mit selbstän-
digem re im Altfranzösischen existierten. Überhaupt findet sich, daß
Verf. an seiner ersten Erklärung der Parasynthetica als Adverbial-
bildungen in der Folge nicht festhält, da er sonst primäre
eigentliche Parasynthetica von sekundären, ana-
110 Referate und Rezensionen. Karl Ettmayer.
logisch gebildeten scheiden müßte. So sind sämtliche
Verben mit des- gar keine primären Parasynthetica — da ihnen
keine Adverbialen zugrunde liegen — ■ sondern nur die mit de,
z. B. debiitir, deriver. Die mit dem Präfix des gebildeten sind
entweder Umformungen alter Parasynthetica, wie debarqiier neben
it. sharcare, wo also altes e(x)- vorliegt, das später auf west-
romanischem Gebiete mit de zu des verschmolz (vgl. Z. R. Ph.
XXXII 645 ff.); oder Proportionsbildungen, wie detacher (vgl.
Meyer-Lübke, Germanisch-romanische Wortbeziehungon, Unters,
und Quellen zur germ.-rom. Phil., J. v. Kelle dargebracht,
I, 42 ff., 1908) und alle nicht auf kl. lateinische Stämme rück-
führbaren Bildungen: demenager, depaqueter, depecer, depayser,
desoxyder usw.
Wie man sieht, wäre die Schichtung der Bildungen noch
genauer darzustellen. Nicht anders verhält es sich bei den Para-
synthetica mit a und en. Jedoch ist hier die Zahl der primären
Bildung natürlich unendhch überwiegend; indessen wären auch
hier die Proportionsbildungen, wie attacher (vgl. Meyer-Lübke
a. a. 0.) und die den Sinn des Simplex nicht verändernden
Analogiebildungen, wie enjuponner = jiiponner (vgl. S. 10),
prinzipiell zu scheiden gewesen.
Wien. Elise Richter.
[X'ypop. Kl*. Grammaire historiqiie de la langiie frangaise.
T. in. Quatrieme Partie. Formation des mots. Copen-
hague, Gyldendalske Boghandel. Nordisk Forlag. 1908.
Zwei Dinge hat Ref. zunächst aufzuklären: daß er den
3. Band der Nyrop'schen Grammatik gewissermaßen als ein
selbständiges Werk behandelt, und daß er so spät die Leser
dieser Zeitschrift hierfür in Anspruch nimmt. Als ihm vor gut
1^/2 Jahren der ehrenvolle Antrag gestellt worden war, dieses
Werk eines Mannes zu besprechen, dessen mannigfache Verdienste
um die Romanistik zu bekannt sind, als daß ein Wort darüber
zu verlieren wäre, hatte er sich sofort an die Arbeit gemacht,
die reichen Materialien, die N. hier zum erstenmal zusammen-
gestellt hat, neuerdings und selbständig durchzuarbeiten. Wie
es das große Stoffgebiet der frz. Wortbildung begreiflich macht,
wuchsen ihm die Tatsachen bald über den Kopf, — andere Ge-
danken, andere Werke kamen dazwischen und verschoben Nyrops
Grundidee, soweit Ref. dieselbe erfaßt zu haben glaubt, auf ein
neues Fundament. Die Rezension wuchs über das Maß des Mög-
lichen hinaus und wurde zu einer kleinen, selbständigen Broschüre,
die eine ganz andere Richtung nahm, als Ref. selbst früher ge-
meint hatte. Daß aber alles dies sich so zugetragen hatte, ist in
erster Linie Schuld von Nyrop selbst, der mit dem dritten Bande
Xyrop, Kr. Grammair e historique de la langiie frangatse. 111
seiner frz. Grammatik eine Wendung gemacht hat, die zu den
beiden früheren Bänden, der Laut- und Formenlehre, in schärf-
stem Gegensatze steht. Seine Wortbildungslehre ist nämlich
kaum mehr historisch, sondern fast rein ,, semantisch" gedacht;
N. gab uns in ihr, um mich kurz auszudrücken, keine Stamm-
bildungslehre, die etwa mit der deutschen Kluge's zu vergleichen
wäre und den ganzen frz. Wortschatz umfassen müßte, so daß
die frz. Formenlehre zu einem Teile dieses Werkes werden müßte, —
sein Problem ist in erster Linie und fast ausschließlich der frz.
Neologismus. ,,Le vocahiilaire iraditionnel d'une langiie s'enrichit
incessammcnt." Damit beginnt er sein Werk und dieser Gedanke
beherrscht das ganze Buch. Er hat damit sich selbst und unserer
Zeit vielleicht mehr gedient als seiner Grammatik. Wir wdssen
ja, wie nachhaltig gerade N. das geniale Büchlein Darmeste-
te r s über das Leben der Wörter auf sich wirken ließ, nachdem
schon vor ihm B r u n o t in seiner Histoire de la langiie frangaise,
nach ihm B o u r c i e z in seinen Elements de lingiiistique romane
die Versuche gewagt hatten, in rein eklektischem Wege die
frz. Lautgeschichte mit der in sich unhistorischen Semantik zu
kombinieren. Ref. kommt nicht deshalb auf diese Tatsachen
zu sprechen, weil er selbst bestrebt ist, Lautgeschichte und
Bedeutungslehre, Geschichte und Deskription auseinanderzu-
reißen, sondern weil er meint, daß die reinliche Scheidung dieser
Prinzipien notwendig ist, wenn man dem Buche N.'s gerecht
werden will.
Der Gedankengang desselben ist kurz folgender. Eine Neu-
bildung von Wörtern kommt (in seltenen Fällen) durch sog.
,,Urschöpfung" meist durch konventionelle Bildung {creation conv.)
zustande, — d. i. durch Wortzusammensetzung, durch suffixale
und präfixale Ableitung, durch Scheinableitung, durch Ableitung
in Form der Rückbildung {derivation regressive) und durch Ab-
kürzung. Diese Kategorien werden nun im einzelnen besprochen:
die Onomatopoesien, die Suffixe, Präfixe usw. bis zu den Wort-
zusammensetzungen. Das letzte Drittel des Bandes besteht ge-
wissermaßen aus drei ergänzenden Exkursen: VL Buch For-
mation des particules, d. i. der Adverbien und verwandten Wort-
klassen. Vn. Buch Derivation impropre. VI IL Buch For-
mation du genre, also jene Suffixe, die von vielen Seiten der
eigentlichen Formenlehre Heber zugerechnet werden als der
Suffixlehre schlechthin. Den breitesten Raum nehmen natür-
hch die Suffixe und Präfixe ein, und hier zeigt sich am klarsten,
was ich die ,, semantische" Auffassung genannt hatte. Für
Nyrop hat ein Suffix eine selbständige, in sich geschlossene
Existenz. Es ist keine sinnlose Lautfolge, die in gewissen Wort-
klassen an den Wortausgängen besonders häufig wiederkehrt, —
es ist ihm beinahe ein eigenes Wort, das sich von andern nur
durch die notwendig enklitische Stellung hinter gewissen Stamm-
112 Referate und Rezensionen. Karl Ettmayer.
Wörtern unterscheidet. Wie sonst bei Wörtern sucht N. bei den
Suffixen Bedeutung und Bedeutungswandel festzustellen, die
Suffixe ,, leben" ihm oder sind „tot" usw. In konsequenter
Durchführung dieser Auffassung kommt N. dazu, die historischen
Stoff anordnungen fast ganz außer acht zu lassen. Während er
früher von den lat. Lauten, der lat. Konjugation etc. zu den
entsprechenden frz. Entwicklungsstufen gelangte, geht er im
3. Bande von den neufrz. Suffixformen aus, nicht von den lateini-
schen, auf die er nur insoweit eingeht, als er sie als Etymologien
den neufrz. Formen erklärend beifügt.
Darf man in allen Fällen von der Etymologie eines Suffixes
sprechen ? N. nimmt dies als Semantiker ohne weiteres an,
denn ihm ist ja ein Suffix ein Ganzes. Ref. möchte dem zwar
nicht in allen, aber doch in den allermeisten Fällen widersprechen.
Die Entstehungsgeschichte der lat.-rom. Suffixe zeigt uns ja
deutlich durch die weitgehende Agglutination vorgeschlagener
lautstarker Vokale und Silben, daß gerade die Suffixe durchaus
nicht als quasi- Worte gefühlt wurden, und viel weniger semantische
Einheiten, viel eher tatsächlich ,, sinnlose Lautfolgen" häufiger
Wortausgänge sind, die per analogiam von einem Worte auf
ein anderes übertragen wurden. In diesen weitaus häufigeren
Fällen trägt aber nicht das Suffix eine Bedeutung, sondern nur
das ganze Wort besitzt eine solche; nicht dem Suffixe darf man
eine einheithche Etymologie zulegen, sondern wieder nur den
einzelnen Wörtern, welche als Suffixträger auftreten. Daneben
ist allerdings festzustellen, daß nicht bloß genetisch die Suffixe
vielfach wirklich selbständige enklitische Wörter, also Suffixe
im semantischen Sinne Nyrops, gewesen sind, sondern daß auch
den frz. Suffixen ein solcher höherer Charakter manchmal zu-
kommt: so bei den Zahlwörtern auf -ieme, bei den Adverbien
auf -mente, wo mitunter mehrere Stammwörter bloß mit einem
Suffixe versehen werden können resp. konnten, bei ,,Namen"-
bildungen, im Infinitiv, beim Partizip, bei manchen Diminutiven,
bei Aktors- und Aktionswörtern etc., aber meist nur zu bestimmten
Zeiten, in bestimmbarem Umfange, nicht im allgemeinen.
An einem praktischen Beispiele sei dargetan, daß Ref. mit
dieser Unterscheidung sich nicht etwa damit vergnügt, Haar-
spaltereien zu betreiben, sondern eine wichtige prinzipielle Tat-
sache damit zu treffen meint. Das neufrz. Suffix -ain behandelt
N. von §§ 160 — 165. Er führt im wesenthchen aus: -ain geht
auf -anus zurück (humain, vilain, hautaiii, lointain etc.), -anus
trat an die Stelle von -aneiis in forain, soiidain etc., an Stelle
von -inus in poulain. -ain findet Verwendung in Ableitungen
von Adjektiven und Adverbien (aubain, prochain), von Sub-
stantiven (chätelain, hostelain, toiiloiisainj, in gelehrten Wörtern
(iirhain, napolitain). Es dient zur Personenbezeichnung (chäte-
lain, avignonain), zur Bildung von Numeralkollektiven in
Ayrop, Kr. Gramnutirc liislorique de la langue fran^aise. 113
quatrain, douzaine etc. Anologisch ist -ain eingetreten füi^ älteres
-in (acerin, hauLin), für -enc (lorrenc). -ain geht weiter zurück
auf lat. -amen (airain, marrain), ist analogisch in nourrain für
nutrimen usw. Das wäi'e semantisch. Betrachten wir nun den
gleichen Stoff, indem wir A-on der erwähnten semantischen Vor-
aussetzung des Suffixes -ain als gegebener Einheit absehen.
Es gab Latsächlicli ein uraltes Suffix -no, das schon früh
im Latein durch Agglutination betonter Vokale zu vielen, be-
liebten Wortausgängen führte, wie u. a. in humanus, Romaniis,
fontana etc. Wir haben ein ganz anderes Suffix -io, das durch
Suffixhäufung u. a. zu Wortausgängen bei Kollektivnamen auf
-auia, bei Adjektiven auf -aneiis auf verscldedenen Wegen führte.
Da auch -anus vornehmlich bei Adjektiven gesprochen wurde
und Adjektiva auf -ajius und -aneus sich manchmal begrifflich
nahe standen, wurden beide Wortausgänge (wie z. B. das Italie-
nische beweist) schon im Latein verwechselt: etwa ein homo
*foranus nach h. Romanus etc., woraus frz. forain, weiteres
souverain, soiidain etc. Speziell von siibiumus — soudain wurde
ein neuer Wortausgang -(})tänus übertragen auf lointain, soiitain
u. a., wobei die AhnUchkeit von solitariiis und *solitanus zu
beachten ist. So wurde der Wwtausgang -aneus schon in vorfrz.
Zeit in Nordgallien offenbar sehr eingeschränkt, zumal afrz.
grifain fem. grifaigne (auf das schon G. Cohn, Sufjixwandel p. 161
aufmerksam gemacht hatte) und afrz. hargaing neben bargaigne
dringend prov. Entlehnung verdächtig sind. Sind also diese
Adj. auf *-anus wahrscheinlich recht alt, so ist andrerseits offen-
bar rel. jung prochain, da es nicht zu der in der Provence fort-
lebenden Grundform *propitanus (neben propinquus) stimmen will,
obwohl es offenbar nach lointain gebildet wurde; Ganz anders
sind die Einwohnerbezeichnungen prov. Städte, wie avignonain,
toulousain zu verstehen, die nur scheinbar nach dem Muster
von Romanus, Italianus (spätlat. auch Italicianus) gebildet sind.
Faktisch sind es orthographische Substitutionen für dasselbe
germ. -enc, das auch in lorrain, vielleicht auch in aubin, älter
aubain vorliegt. Wenn wir uns nun diesem Wortausgange zu-
wenden wollen, so werden wir bemerken, daß das Frz. zweierlei
lauthche Reflexe für dasselbe kennt: neben -ain auch -ä {cham-
bellan, ferrant, tisserant, flamand N. § 174), welches (7 meist (wie
auch in alemand, Normandie) mit dem Wortausgang in grand
zusammengeworfen wurde. Eine genaue Analyse, inwieweit die
afrz. Formen paisenc, gardenc (N. § 304 f.) neben ital. paesano
(nach pagano etc.), guardiano etymologisch selbständig stehen
oder bloß orthographische Varianten nicht erbwörtlicher
Formen darstellen, würde diese etwas verwickelten Verhältnisse
klären.
In ein ganz anderes Gebiet führen uns sodann quatrain,
dizain, dizaine etc., von denen im Afrz. trentaine, quarantaine,
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 8
lli Referale und Rezensionen. Karl Ettmayer.
centaine, auch quinzaine und douzaine früher belegt sind als die
meisten Kollektivzahlen unter zehn. Daß sie mit den prov..
oberital., span. Distributivsuffix -eni resp. -hia zusammenhängen,
ist klar; weist doch auch A. Thomas {Essais p. 64) darauf liin,
daß heute noch solche Ausdrücke im Süden beliebter sind. Ob
sie aber im Afrz. geradezu als Lehnworte aus dem rom. Süden
aufzufassen sind oder auch in Nordfrankreich als erbwörtlich zu
betrachten sind, läßt sich ohne genaue Sachforschung nicht
feststellen. Jedenfalls kann sich hier ein *deceni resp. decena
für deni erst eingelebt haben, nachdem mercedem. zu merci ge-
worden war.
Wieder eine Welt für sich ist parrain niarraine (N. § 263),
die wohl mit den Deklinationsformen noch harhani (vgl. Meyer-
Lübke, Einf.'^ p. 168) zusammenhängen, wenn nämUch parrin
(das selbst wohl zunächst dem nach privignus gebildeten *pa-
trignus. it. patrigne, lomb. padren nachklingt) in vorliterarischer
Zeit früher gebildet worden war als parrain (wozu etwa mhd.
Steuer zu vergleichen wäre). *Palranus müßte unter unmittel-
barem Einflüsse von spätlat. *barbanum den Suffixwechsel
erduldet haben (wobei allerdings der prov. Wortschatz
Schwierigkeiten bereitet). In historischem Zusammenhange
könnte damit stehen rum. fin (vgl. Puscariu Etym. Wtb.)
unter ital. ziano altven. ^etrana und das weitverbreitete
puttana. Hingegen wüßte ich nicht, ob ein morphologischer
Anhaltspunkt anzunehmen wäre, um mit diesen Formen parrin,
parrain, auch afrz. poulin, poulain oder poiitrain zu vergleiclien.
So könnte man die Worte auf -ain für lat. amen, 7men, ümeti
einzeln analysieren, so könnte die ganze Suffixlehre durchgegangen
werden. Fast immer würde uns ein Vergleich zu denselben
Resultaten führen: der Semantiker stellt jeden durch Analogie
übertragbaren und übertragenen Wortausgang als eine selb-
ständige, fast wortartige Einheit hin, die aber bei näherem Zu-
sehen in hundert Einzelheiten zerfällt, welche unter sich keinen
anderen historischen Zusammenhang besitzen, als eben die
schließhch übereinstimmenden Wortausgänge.
Es wäre andrerseits töricht, wollte man deshalb, weil der
Historiker Nyrop zum Semantiker geworden ist, vor dem großen
Verdienste seiner Wortbildung die Augen verschließen. In vielen
Fällen ist ja seine semantische Auffassung die bestdenkbare
und gerade durch seine lebendige Erfassung des Stoffes wird sein
Werk das Verständnis und das Interesse für die frz. Wortbildung
wesentlich fördern. Wer die früheren Bände seiner Grammatik
kennt, weiß ja von vornherein, wo die Lichtseiten im Schaffen
Nyi^ops liegen: in der klaren Diktion, in der einheitlichen, einfachen,
ja geradezu klassischen Gruppierung des Stoffes. Es kehren
freilich auch dieselben kleinen Schatten wieder, die wir schon
früher beobachteten, so wenn er diesmal § 130 behauptet, nur
Glaser, Kurt. Le sens pejoralif du. suffixe -ard eit frnn^ais. 115
lat. Suffixe mil betonlem Vokal hätten im Romanischen fort-
existicren können, was entschieden unrichtig ist {-niiis in Sar-
dinien und Raetien, jruUivendolo in ItaUen!). Doch kann jeder
Kundige solche Korrekturen leicht selbst vornehmen.
Karl Ettmayer.
iwlascr. Ii.iu*t. Le sens pe/oratif du suffixe -ard en frangais.
[Aus: Roman. Forschungen XXVII 13 (1910).]
Der Aufschwung, den die etymologischen Untersuchungen
im letzten Jahrzehnt genommen haben, ist auch der rom. Wort-
bildungslehre, die bisher etwas abseits vom Wege lag, einiger-
maßen zugute gekommen. Und es ist zu wünschen, daß sich das
Interesse der Gelehrten ihr noch mehr zuwenden möge, als dies
bisher geschehen ist. In diesem Sinne ist es zu begrüßen, daß
G. eines der schwierigsten und schicksalsreichsten unter den
afrz. Suffixen zum Gegenstande einer kurzen Monographie
gemacht hat.
Freilich ist Referent mit dem ,, semantischen'" Standpunkte,
den G. in seiner Arbeit durchführt, durchaus nicht einverstanden.
Wie lehrreich und interessant hätte er seine Arbeit gestalten
können, wenn er, — statt den pejorativen Sinn als etwas fast
primär Gegebenes hinzunehmen, — als Historiker vor-
gegangen wäre, und gerade die rom. Anfänge des Suffixes unter
die Lupe genommen hätte. Statt die Stellen über das Suffix
-ard bei Meyer-Lübke und Nyrop abzuschreiben, und — auf
gut Glück, — dem einen Recht, dem andern Unrecht zu geben,
hätte er es so leicht gehabt, eine ergiebige Quelle wichtiger, neuer
Erkenntnisse uns zu erschheßen. Hätte er nur einmal Kluges
Stammbildungslehre § 32 oder ausführhcher Wilmanns, Deutsche
Grammatik II, p. 39 ff. aufgeschlagen, so hätte er gesehen, daß
unser Suffix dem Germanisten ebensoviele Rätsel aufgibt wüe
dem Romanisten. Zu verschiedenen Zeiten wurden bei den
Germanen Pejorative aus Personennamen abgeleitet: vgl. mhd.
biterolf, nWuu% trunkenholt, später Dummerjan, Faselhans etc.
Gerade die im Deutschen nicht früh belegten Pejorative auf
-hart werden aber als rein germanische Wortbildungen ange-
zweifelt und ist die Möglichkeit einer Nachbildung nach den
afrz. Namen auf -ard erwägenswert. Damit hätte G. gleich
den p. 976 zitierten Bildungen wie fessart, jambarz eine viel größere
Wichtigkeit beizumessen gehabt: sind die Romanen selbständig
zu solchen Übernamen gelangt, oder haben wir Übersetzungen
und Nachbildungen altfränkischer Worte vor uns ? Ein ernst-
liches Bestreben, diese Frage nach Möghchkeit zu beantworten,
liätte wohl weiter zu einem Versuch einer Geschichte des
8*
116 Referate und Rezensionen. Karl Etimayer.
Suffixes geführt, von der wenigstens einige Punkte, die Ref.
gerade gegenwärtig sind, hier skizziert sein mögen. Der ur-
sprünglich adjektivische Grundzug der germ. /^a^^Namen muß
bei den erobernden Stämmen in Frankreich noch vollauf lebendig
gewesen sein. Diese Namen scheinen geradezu jenen auf -ing^ -ung
in mancher Hinsicht gleichwertig gewesen zu sein, denn heute noch
werden namentUch im ehemals burgundischen Gebiete Familien-
( Sippen-) und Einwohnernamen auf -ard gebildet. Doch steht
ßurgund hier nicht allein; — auch Ostfrankreich, besonders
die Wallonen, kennen denselben Brauch. Weiter sind Ref.
aus der Normandie, dem Poitou und dann wieder besonders
häufig aus dem Piemont Fälle bekannt (vgl. etwa auch Atlas
hnguistique Blatt III). Mit dieser ältesten Schichte von -ard-
Namen hängen wohl auch Farbenbezeichnungen wie haiart dann
rougeart (p. 939) unmittelbar zusammen, ebenso gelangen wir
von hier aus am besten zur Bezeichnung junger Tiere bichart,
piart, canard (p. 934). In anderer Richtung entspricht wieder
dem dtsch. söldling afrz. soudard und hier hätte sich nun für G.
die Frage ergeben: haftete diesen aus Personeneigenschaften
gebildeten Adjektiv-Namen ein pejorativer Sinn schon ursprüng-
lich an, oder war das (wie auch Ref. meint) zunächst nicht der
Fall, — weiter dann: ist das angesetzte hypothetische Zwischen-
glied des Augmentativs wirklich notwendig oder auch nur w^ahr-
scheinlich ? Gerade außerordentlich früh auftretende Adjektiv-
Namen wie gaillard, bastard haben nichts vergrößerndes an sich,
— sind aber trotzdem gewiß pejorativ. Das Wort gaillard, das
bei den Katalanen unseren Reinecke bedeutet, hätte G. viel-
leicht weiter auf das große Lebensglück des Wortes renard
in Frankreich gelenkt und ihm etwa denselben Gedanken
suggeriert, der Ref. schon vor vielen Jahren von anderer Seite
nahe gelegt worden ist, daß nämlich die reinen Adjektiva auf
-ard der afrz. Zeit (also nicht die Adjektiv-Namen!) wie coart^
faussart, lordart etc. vielleicht unter direktem Einflüsse eben
von renard stehen. Kurzum, allerhand historische Probleme
interessantester Art sind mit -ard verknüpft und vielleicht wird
G. ein anderes Mal uns das vorläufig noch nicht Gebotene nach-
holen. Jedenfalls hat er mit großem Fleiße ein reichliches, wenn
auch nicht vollständiges Material gesammelt, das er gewissenhaft
belegt, — von dem er die etymologisch nicht zugehörigen Fälle
ausscheidet (ich vermisse hier nach Schuchardt Romanisches und
Baskisches p. 49, unser Billard), während er den Rest säuberUch
in Klassen zusammenstellt, deren Nutzen einem Historiker
allerdings nicht klar wird. Möge uns. wie gesagt, die Zukunft
weiter führen.
Karl Ettmayer.
Raoul de laGrasserie. Des Parier s des differentes Classes sociales. 1 ! 7
Kaoul de la Gra&iscrie. Des Paiiers des differentes
Classes sociales. Paul Geuthnor, Librairo-Editeur, Paris,
1909. Prix : 6 iranes.
Durch ein dunkle sprachphilosopliische Vorhallo führt
uns der Verfasser zu seinen sozinjos^isrhen Retrachtungen über
die Sprache. Wir lesen:
C'est cju'ä cöle du langage psychologique o u d e p u r e
p e n s e e , il cn exisie deux aulres : le langage emotionnel du
sentiment ei du vouloir, et le langage que nous appellerons social,
qui depend, de la Situation relative. Le langage de la pensee est
tout objectif. il reste le meme pour tous, il cherehe d designer le
plus exactoiient les ohjets ou les idees, il n'emprunte rien ä Vesprit
de celui qui en fait usage, c'e st le l a n g a g e pur et s im p l e.
Le langage du sentiment est autre, nous en avons ecrit une m.ono-
graphie speciale-^ c'est celui qui s'efforce, avec ou saus l'ohjet, d'ex-
primer les impressions^ la reaction de la personnalite, c'e st l e
p r i s m e h u m a i n. ä t r a v e r s l e q u el l a v i s i o ii,
d e l'o h j e i p a s s e a v a n t de p ar v e n i r ä n o t r e
r et i n e . c'est la cjue sont situes l'interjection, le vocatif, l'impe-
ratif, le subfonctif, toutes ces categories qui relient si etroitement
l'objectif au subjectif. Le langage sociologique est tout differeiit;
il a j 0 Ute s a q u alit e cl c eil e de p s y c h o lo g i q u e
que p 0 s s e d a i e nt les den x a n tr e s.
Es Nvird jedoch bald licht und wir können deutlich drei
Felder sprachlicher Tätigkeit unterscheiden : L'Anaglose (glose
superieurej, La Meso glose (glose moyenne) und 1 a C a t ;i -
glose. Letztere mit den drei Unterabteilungen : cecoglose ou parier
familier^ demoglose ou parier populaire und cleptoglose ou cryptoglose
ou langue verte^ parier des malfaiteurs. Also L Anaglose = parier
des classes superieures. 2. mesoglose = parier gener al ou parier
de la classe moyenne (Kennzeichen: fortune mobiliere s. p. 6),
3. cataglose = parier inferieur, parier du Proletariat des villes^
des campagnes et du Proletariat attache ä la personne.
Streng logisch ist schon diese Gruppierung nicht, weil in
allen Ständen sich eine besondere familiäre Sprechweise aus-
gebildet hat, man zum Beispiel im Englischen auch von einem
High- Life- Slang zu sprechen berechtigt ist. (Ecoglose ou parier
familier unter Cataglose gebracht, ergibt eine Kreuzung der
Teilungsglieder. Formalen Anforderungen muß immerhin nach
Möghchkeit entsprochen werden, selbst dann, wenn sie, wie hier
bei Betrachtung eines komplizierten, in steter Entwicklung und
im lebhaften Austausch seiner Elemente befindlichen psycho-
physischen Organismus, nicht vollkommen zu erfüllen sind.
Logical division falls in classifications with undefined boundaries
(A. Bain Logic p. 198.) Diese in der Natur des Gegenstandes
liegenden Schwierigkeiten vermehrt nun R. de la Grasserio
118 Referate und Rezensionen. K. Morgenroth.
weiter durcli die Masse seiner Unter- und Nebeneinteilungen^
ein oft springendes Fortschreiten und die Vermischung ver-
schiedener Einteilungsprinzipien, ^^^e sie uns beispielsweise
in der Subsumierung der s. g. alethoglose (langage scientifiquej,
der calliglose (parier litteraire oii mondain) und der cosmo-glose
(ane sorte de lingua franca entre phisieiirs nations) unter par-
ana-glose (les parle rs speciaux d' ordre plus eleve)
entgegentritt. Trotz ihres künstlichen Ursprungs können wir p. 17
und 18 Sprachen wie Volapük und Esperanto nicht mit dem Ver-
lüsser, s. S. 106 — 199, als aristokratische anerkennen, sie der
Sprache der Wissenschaft und der Literatur koordinieren. Wie kann
man sie auch unter die Klasse 'parlers speciaux d'ordre plus eleve'
bringen, wenn sie einerseits nur abstrakt sein, andrerseits nur
dem allgemeinen Verkehr zwischen den Völkern dienen sollen.
'La langue internationale est ou doit etre depourvue de ces idiotismes-
gui forment encore wie autre manijesiation du sensible et eile ne
renferme que des manieres de converser propres
ä tous les h 0 m m e s.' Letzterer Anforderung dürfte nur
ein D e n k m e c h a n i s m u s genügen, wie er nach Michelet
und Settembrini {letteratura italiana IL LVIIL L'Italia dopo il
Concilio. I. Gesuiti p. 216) in der jesuitischen Erziehung erstrebt
wird. Doch dies nur nebenbei. Herausheben müssen wir \c>t
allem die Einteilungsfehler des Systems, weil sie es dem Belehrung
Suchenden unmöglich machen, einen immerhin anziehenden
und vielumfassenden Stoff zu überschauen. Störend wirkt
schon am Anfang die Mischung einer soziologischen mit einer
pldlologischen Einteilung, (Anaglose, Mesoglose, Cataglose und
J)oublets, Synonymes, Procedes ne creant pas de douhlets) der sich
mit den Morphosen (morphoses) eine psychologische zugesellt.
Damit zerfällt trotz einer großen Geschickhchkeit im Syste-
matisieren mit nougeprägten Kunstausdrücken das Ganze in
v'mG Menge lose verbundener ])hilülogischer, philosophischer,
psychologischer und soziologischer Betrachtungen, die manch-
mal mit bunten Steinchen verziert sind und worin allerlei aus
dex). Naturwissenscliaften herbeigeholte Analogien die wissen-
schaftlichen Erklärungen vertreten müssen. \Mr begnügen uns
deshalb damit, einige das System, den Stil und die Zuverlässig-
keit des Verfassers beleuchtende Stellen hier anzuführen und
bemerken dazu, daß seine linguistischen und sprachpsycho-
Idgischen Studien, darunter aucii ein Essai d'une semantique
integrale 2 vol. p. 1 — 658, in 50, seine Studien über amerikanische
Sprachen in 13 und seine 'Etudes de rythmique comparee in elf
Werken niedergelegt sind. 'Mönstruo de la naturaleza' nannte
einst Cervantes den fruchtbaren Lopez de Vega, den 'fenix de
los ingeniös' für das spanische Volk. — P. 26. De l'orthoglosc
A insi que nous l'avous etabli daiis Vintroduction, la glose ou parier
de classe, en ce qui concerne les mots, nnite premiere du discours,
Raoul de la Grasserie. Des Parlers des difjerentes Classes sociales. 1 1 9
les modifie semantiqiiement suivant. les classes priacipaleiHeiit,
puls suivant les professions, et meine les provinces. Dans le premier
cas il y a iin phenomene d'o rthoglose, dans le second un
de paraglose, dans le troisieme d'idio glo s e . Le premier mirite
vis-ä-vis du second le nom d'orthoglose, dans ce sens qu'il s'a p p l i -
q u e d t 0 u s ohjets et constitue u n parier c o ni -
p let ., tandis que le second ne s'applique que quand il s'agit d'un
certain ordre d'idees, d'une specialiie, et n'empec/ie pas le parier
ordinaire d'orthoglose, d'oü le nom de paraglose. Les mots qui
constituent l'orthoglose sont des mots d'a r got qui
ne portent pas toujours, il est vrai, cette appellation, mais qui pour-
raient et devraient meme le faire, car il ij a l'argot du langage eleve,
ramme il y a celui du bas langage.
Es wird demnach zuerst nach Gesellschaftsklassen eingeteilt
(aristocratie, bourgeoisie, peuple), dann in jeder nach den verschie-
denen Beschäftigungen und den Provinzen. Ferner soll aber
auch jede Klassensprache mit dem Argot zusammenfallen, weil
es ja ein High- Life- Slang gibt: Les mots qui constituent l'ortho-
glose sont des mots d'argot.
Von dieser Einteilung, der sogenannten glose absolue, scheidet
sich die glose relative. Von hier heißt es: Elle constitue le langage
de classe ä classe, ou plus exactement d'inferieur ä superieur, de
superieur ä inferieur, comme il y a encore des hierarchies autres
que Celle de classe ä classe. Plus generalement, c'est le parier re-
verentiel, auquel nous donnerons le nom de seboglose.
Daraus ergibt sich die Einteilung p. 20:
Glose ä Vinlerieur cVune classe glose ä Vexterieur ou seboglose ou
ou endoglose. reverentiel ou exoglose.
\^. seboglose directe
seboglose de jemine ä hoinme.
seboglose d^enfants ä parents.
seboglose d'' komme ä puissances
magiques
seboglose d^homme ä divinile.
seboglose de classe ä classe.
2^ seboglose contraire.
3^ seboglose laterale.
Die Vermittlung zwisclien den verschiedenen Sprechweisen
muß die Mkaglose übernehmen. Von ihr heißt es: Entre les
diverse couches horizontales d'une langue, lesquelles ne sont
pas Separees les unes des autres par des divisions elo.nches, il se
jait des infiltrations; ce qui etait au-dessus descend, ce qui etait
au-dessous monte. Ce double phenomene constitue la metaglose.
A la longue tous les mots d'anaglose jinissent par devenir des mots
de mesoglose par ce procede. p. 89. Die Einteilungsordnung ist:
Orthoglose. I. Anaglose, II Mesoglose, III. Cataglose, IV. Metaglose.
Was berechtigte dazu letztere, von der gesagt wird : 'Nous nommons
120 Referate und Rezensionen. K. Morgenroth.
metaglose le p a s s a g e de Vii n des p a r l e r s d Va iiir e
et Vinfluence e x e r e e e de l'n n s ii r l'a u t r e' einom
'parier' gleichzusetzen ?
Diese erste Einteilung {Chapitre I) Nvird noch mit einem
Anhängsel versehen, mit der glose interjectwe. P. 95: En d'autres
termes le langage du sentiment est distinct de celiii de la pensee
et se condense dans iine interjection. Als ob nicht jedes Wort
Begriffs- und Gefühlswert besitze. Dann gibt es wieder: inter-
jection d'anaglose, de mesoglose, de cataglose Stößt ein Glied
der höheren Stände einen unanständigen Fluch aus, so erklärt
R. de la Grasserie dies durch Endosmose (p. 27.) Wenig klare
Definitionen sind: p. 98. Nous avons defini au commencement
de ce livre la paraglose. Tandis que l'orthoglose est le parier qui
s'emploie d'une maniere continue, p o u r tous le s o b / e t s ^
envers toutes personnes et dans toutes les occasions de la vie, est,
en un mot, un parier general, restreint seulement en ce qu'il n'est
pas ä l'iisage de toutes personnes et de toutes classes, la p ar a gl o s e
est celui qui, lui aussi, n'est ä l'usage que d'une classe, mais qui
V ar i e s u i v a nt les ohjets d o nt o n s'o c c u p e.
En un mot, ce sont les parlers speciaux, au Heu du parier general
de la classe. Wie Orthoglose, wird auch Paraglose in paranaglose,
paramesoglose und paracataglose geschieden.
Paroecoglose. L'argot des polytechniciens. p. 127. // est
certain que les jeunes gens qui le parlent ne sont pas fäches de se
savoir incompris de ceux qui ne sont pas du melier et de leur petit
cenacle. D'ailleurs, tous les argots ont plus ou moins le meme
efjet. II en est ainsi, meme q u an d il n e r e s i d e pas
d a n s l e l <i n. g a g e , m a i s d a n s le s u j e t de l a c o n -
V e r s (t t i o ii. Les gens du monde qui forment un petit cercle ou uae
coterie entre eux ont Vhabitude de parier de c e u x {?) et de ce
(juils ronnaissent devant les etrangers emharrasses de n'y rien
comprcndre, et cela avec un malin plaisir. — Des l an gu e s f a i -
santfonctionsde cataglose et de paracataglose.
P. 129. Toutes les gloses ne forment au fand que la meme langue,
quoigue les parlers qui les composent soient fort differents, et il en
est ainsi meme du degre le plus inferieur, de la cryptoglose. —
Seulement, il y a parfois des langues veritables qui ne sont nuUement
de simples parlers et qui peuvent appartenir ä une famille lin-
guistique tout ä fait etrangere, ces langues ne sont pas des gloses,
mais fönt pourtant fonctions de gloses. Nous verrons, au chapitre
suU'ant, qu'il en est de meme dans le parier provincial ou geoglose.
Les divers p a t o i s n e forment q uu n e s e u le et
meme l a n g u e , tn a i s parfois aussi des langues
tout ä fait distinctes, co mme en France, le
b r e t 0 n , l e b a s q u e et le f l a m a n d fönt f o n c t i o n
d e p a t 0 i .v.
BaoiiJ de laGrasserie. Des Parlers des differenles Classes sociales. 121
P. 130: // s'agit d'uii parier qui n'esl ä riisage que des gens
d'une profession envers ceiix de la meni.e, mais q ii i s'a p p l i q u e
e n s II i f e ä f o ii s oh j et s.
A n a glo s e wird S. 26 definiert: C'est celle qui est en iisage
dans V aristocratie de rintelligence, laqiielle, suivant les siecles,
se confond avec l' aristocratie orddnaire ou s'en detacfie. S. 143
heißt es von der Landesspraclie: En un mot, ce n'est plus le dialecte;
mais par son moi/en de formalion et son triumphe, il y a lä un
dialecte superieur, c'est de la geo-anaglose. A naglose
(erhält so einen ganz anderen Sinn. Dann wird schlicßlicli erklärt
(p. 146): L'anaglose est donc double ici: celle de selection par laquelle
on a eleve un des nombreux dialecles ä l'etat de langue commune;
celle de r e s t aur ati o n par laquelle on a repris le patois, qui
est une degener escence, pour rejormer le dialecte primitif. Auf soIcJie
Weise wird die Sprache zu einer Unmasse von glottischen Atomen
pulverisiert.
S. 44. L'äme est propre ä Vhoninie, tandis que Vesprit s'applique
ü fout ce qui n'est pas materiel.
S. 68. L'emprunt aux patois est hien de l'a naglose, car
on n'y releve pas ce qu'ils peiwent avoir d£ has, c'est un procede
qui ressemhle au procede a r c h a i q u e et replonge l'homme
en pleine nature, mais en nature idyllique.
S. 66. 1^ l'archaisme. Pour rajeunir la langue, il la reconduit,
pour ainsi dire d Venfance\ c'est la fontaine de Jouvence, eile a
aussi peu d'application pour les langages que pour les hommes.
D'ailleurs, dans un etat mental plus complique les moyens primitifs
ne peuvent suffire. De la l'insucces relatij.
U n g c n a u i g k e i t e n .
S. 58 werden parcelle und incise als dem Englischen entlehnt
aufgeführt, acrimonieux von äcre anstatt von acrimonie ab-
geleitet. Dann heißt es: Ampleur ne se dit pas d'une etoffe und:
on ecrase physiqnement, mais ce qui est ecrasant l'est moralement.
S. dagegen im Dictionnaire gener al: Manteau, uetement ample;
l'ampleur d'un vetement, d'une robe: un poids ecrasant.
S. 59. La. louange signifiait le merite, c'etait ohjectif, le
sens est devenu suhjectif. Gilt nur für lat. laus (abundans bellicis
laudibus, gloriam laudum adamare), nicht von louange, das von
louer abgeleitet wurde.
S. 58. Le jnirage, c'est l'action de la contemplation p ur e -
m ent ideale, meme trompeuse. Dagegen Diel. gen. Illusion
d'optique, rejraction etc.
S. 50. Trihord emprunl fait ä Vanglais. Dict. gen. : mot
d'origine scandinave.
S. 71. Aussi. pendant plus de deux cents ans, ne
parla-t-on, d la cour du roi d'Angleterre, que le franco-normand,
l'anglo-saxon y restait totalement inconnu. Vgl. damit 0. Emerson
122 Referate und Rezensionen. K. Morgenroth.
Histonj of the English Language p. 59 und Freeman, Norman
Conquest, IV. Appendix EE: There is dislinct evidence that in
the days of Henry II, men of high rank und Norman birth could
freely speak or understand English, though of course this does
not exclude their speaking French also. —
S. 47. Le melange des deux langues est du parfois ä wie
(lutre cause cju'ä Vemprunt, il est souvent le resultat de l'h y b r i -
d i t e. La langue du vainqueur et celle du vaincu, par exemple,
se sont f 0 n d u e s e n s e mb le , c'est ce qui a eu Heu en anglais,
en persan, en pehlevi, en hindoustani, en osmanli. L'effet est
identique, la langue surajoutee exprime le s i d e e s s u p e-
ri eures. Vgl. 0. Emerson Hist. of the E. L. p. 164 ,,But it
ivould be difficult to class all the French worcls in this way, since
ivords applicable to all states and conditions of life were introduced
almost as freely." S. auch Behrens, Beiträge zur Geschichte der
französischen Sprache in England und das ganze 10. Kapitel
von Emerson's Hist. The French Element. In der Arbeit des
Klassifizierens und Wortprägens schreitet M. Raoul de la Grasserie
weiter von den einzelnen Wörtern zu den festassoziierten Wort-
gruppen (locutions) mit den Unterabteilungen locutions d'anaglose,
locutions d'cecoglose und locutions de cataglose, dann zu ganzen
Sätzen (Holophrase. Proverbes d'anaglose, de mesoglose und de
cataglose) und schließlich zur Li'tteratur (Holalies, Polylalie,
liythmique). Daran anschließend behandelt er noch die Sprache
unter dem Gesichtspunkt der Grammatik {Phonetique, Mor-
phologie, Syntaxe, Stylistique), Kap. IX die schön erwähnte
Seboglose, langage de classe relatif und Kap. X Gloses ä l'etat dyna-
mique et ä l'etat compare. Wie ein tierischer Organismus endet
(las Ganze mit einem Anhängsel (Appendice: mimisme, lalisme,
graphisme, point de vue statique et point de vue dynamique). Auf
diese Kapitel (IV — X) brauchen wir nicht weiter einzugehen,
weil Grundteilung, Stil und wissenschafthche Behandlung die
gleichen bleiben. Doch, um nicht einseitig nur Mängel hervor-
zuheben, bemerken wir, daß das charakterisierte Werk ebenso
wie der Essai d'une semantique integrale stellenweise, — z. B.
S. 147 und in einigen Bemerkungen über Polarität des Geistigen
und Materiellen, wozu man die Begründung bei E. Mach, 'die
Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen
zum Psychischen' suchen mag — auf dem Sprachpsychologen
wichtige Unterschiede hinweist, daß aber der Ausdruck sehr
häufig den Gedanken nicht vollständig deckt, viele Weitschweifig-
keiten und die Fülle der Gesichte den Leser zu keiner aufrichtigen
Freude au der Arbeit kommen lassen. Schätzenswert bleibt
bei allem das reiche, vom Verfasser mit großem Fleiß gesammelte
Sprachmaterial.
Augsburg. K. Morgenroth.
Jensen^ Kr. Sandfeld. Biscetningerne i Moderne Fransk. 123
Jenfiien, ür. i^andleld. BisseUüngeme i Moderne Fransk
en haandhog for studerende og leerere. Gyldcndalske
Bogltaii(1ol ... Nordisk Forlag, Kobenhavn og Kristiania
1909.
Mit dem größten Vergnügen liest man dieses Buch, in dem
sich der Verf. als einen scharfen Beobachter sprachhcher Er-
scheinungen bewährt. Von ihm gelten keineswegs die Worte
Gonan Doyle's: You see, but you don't ohserve. Im Gegenteil
bespricht er scharfsinnig was ein jeder manchmal gesehen hat
ohne es zu beobachten und zwar auf eine nicht ermüdende Weise.
Das Buch hat einen Umfang, der vielleicht ein wenig hätte be-
schränkt werden können, wenn nicht der Verf. durch eine Fülle
von Belegstellen bisweilen des Guten zu viel gegeben hätte. Der
Verf. beschäftigt sich bis auf einige einzelne Fälle nur mit ganz
modernem Französisch und geht in seinen Untersuchungen
nicht über das Jahr 1870 zurück. Dieses Verfahren gibt dem
Buch einen besonderen \^'ert. Gewisse herkömmliche gramma-
tische Regeln und Bedeutungsdifferenzen, die in eine frühere
Sprachperiode paßten und trotzdem von einer modernen Gram-
matik nach der andern mitgeschleppt worden sind, hat der Verf.
demgemäß ausgemerzt und auf das Gebiet der Märchen ver-
wiesen, z. B. den vermeinthchen Unterschied zwischen esL-il
malade? und est-ce qu'il est malade? So ist auch der famose
Satz: ü y a iine edition de ce livre^ laquelle se vend, welcher seit
Menschengedenken in allen ^Grammatiken figuriert, in seine rechte
Beleuchtung gesetzt worden. Das Buch hat drei große Abschnitte,
denen die Art der Nebensätze zu Grunde liegt, und zwar sub-
stantivische, nous avons appris qu'il est parti (= son departj,
adjektivische, un enfant qui est sain (^ un enfant sainj dort
tranqiiillement und adverbiale, j'etais parti avant qu'il arrivdt
(=^ avant son arrivee).
Von dem reichen Material will ich nur ein paar Kleinigkeiten
hervorheben, die etwa anders aufgefaßt werden könnten.
S. 5 wird darauf hingewiesen, daß que nur einmal in Sätzen
wie: Je ne demande pas niieux que ga durc gesetzt wird. Hierher
dürfte auch gehören ein Satz wie: Aussi vrai qu'il faitjour (Acad.).
S. 39 Je ne comprends pas comment tu epouses une fenime qui a
deux enfants. In diesen Beispielen komme comment einem que-
Satz sehr nahe, sagt der Verf. Zur Stütze seiner Ansicht hätte
er hinzufügen können, daß sich hier bisweilen sogar der Kon-
junktiv einstellt.
S. 58 sagt der Verf., daß Sätze wie un komme pour lequel
viel seltener als un komme pour qui seien. Ich glaube, daß dieser
Sprachgebrauch ganz individuell ist und daß er in manchen
Fällen von Rythmus und Meidung von Hiat und dergl. he-
124 Referate und Rezensionen. M. J. Minckwitz.
stimmt wird. So scheint z. B. Jules Veriio eine gewisse Vorliebe
für lequel zu hegen.
S. 66 Die beiden Sätze Un soir oü il etait venu faire une
visite^ il dit und Elle jura de venir le siirprendre une apres-midi
oü eile n'irait pas lä-bas ensuite scheinen mir keineswegs analog
zu sein. In jenem ist oü auf das Gebiet des que eingedrungen;
in diesem kommt m. E. ein neues Zeitmoment hinzu. Vielleicht
liätte Daudet auch une apres-midi.^ quand eile n'irait pas lä-bas
ensuite schreiben können. Sonst gehören die Beobachtungen
des Verf. über das Relativpronomen zu dem interessantsten Teil
des Buches. Der letzte Abschnitt, der den Adverbialsätzen
gewidmet ist, gewinnt dem Leser ein besonderes Interesse durch
die Sorgfalt des Verf. ab, den modernen Sprachgebrauch von dem
älteren sowie den literarischen Stil von der gebildeten Umgangs-
sprache scharf zu unterscheiden. Dadurch hat er den Wert
seines Buches sehr erhöht. Die Behauptung dürfte nicht zu
kühn sein, daß das Buch eine Fundgrube für denjenigen sein
wird, der sich auf dem betreffenden Gebiete der modernen fran-
zösischen Syntax orientieren will. Man kann dem Buch eine
recht weite Verbreitung wünschen. Einige Druckfehler habe
ich bemerkt, die in einer neuen Auflage leicht zu beseitigen sind.
Norrköping. Alfred Stenhagen.
^idienk. Albert. Table Compar^^s Observations de Calli^res
sur la langue de la fin du ^VIF Siecle. Kiel, Robert
Cordes. 1909, XXIV, 168 S. S^.
Francois de Callieres (1645 — 1717) ist neuerdings wiederholt
als wichtiger Zeuge für den Sprachgebrauch des ausgehenden
17. .Jahrhunderts in den Vordergrund des Interesses getreten.
Insbesondere bildete er zweimal das Thema für philologische
Festgaben: 1896 durch Geyer in den Melanges de philologie
romane dedies ä Carl Wahlund (Mäcon) und 1904 durch Mario
Roques' Musterbeitrag zu den: Melanges de philologie offerts
ä M. Ferdinand Brunot}) {Notes sur Fr. de Callieres et ses oeuvres
grammaticales, 29 p.)
A. Schenk hat dasselbe Thema mit vorliegender Studie
noch eingehender in Angriff genommen und mit dankenswertem
Erfolge spezialisiert. Er verheißt uns überdies eine weitere
Studie über Vater und Sohn: Jacques de Callieres und Frangois
de Callieres. Aus diesem Grunde beschränkt er sicli für die
') Bereits 1897 hatte ich Veranlassung De Callieres in meiner
Züricher Dissertation: Beiträge zur Geschichte der französischen Gram-
matik (diese Ztschrft. XIX, p. 153 — 154) zu zitieren, freilich nur im
Fluge, da er als Nachahmer B o u h o u r s für mein Thema nicht
ausführlicli in Betracht kam.
Schenk^ Alherl. Table Comparee des Observaiions ^"C. 125
Leser der ^,Table'' vorläufig aul' die ganz uaeiitbclulichen
biographischen Angaben. Immerliin läßt sich innerhalb der-
selben eine Lücke konstatieren, die aus Unkenntnis der verdienst-
vollen Arbeit von Alexis Fran^ois:-) La Grammaire du Piirism^-
et l'Academie FranQuise au XV IIP Siech (Paris 1905) entstanden
zu sein scheint. Francois zitiert de Callieres in einer Form, die
Aufmerksamkeit heischt. Einmal im 2. Kapitel seiner Studie:
U Execution du Programme (p: 80), wo er ,, Urteile" von Zeit-
genossen über de Callieres anführt: trop flatte par Goujet
au gre de l'abbe Desfontaines, mais dont l'Annee liUeraire cite
avec eloge le petit mais excellent ouvrage intitule Des Mots
ä la mode (Aiinee liUeraire^ 1754, Vll, p. 225), tandis que le traite:
Du bon et du mauvais usage du meme auteur est estime par
d'Alembert un livre : v r a i m e n t a c a d e m i q u e (Eloge
de Fr. de Callieres, Histoire des membres de l'Academie, III, p. 385.)^)
Ein zweites Mal kommt Frangois im 5. Kapitel des gleichen
Werkes: Les Auteurs commentes auf de Callieres zu sprechen,
als er seine Fluges de quelques poetes frangois lus ä l'Academie
le jour de la receptioii de La Motte (1710) erwälmt (p. 172 — 173).
Ihr Abdruck erfolgte 1711 im Recueil de plusieurs piects d'elo-
quence. . . . Paris, Coignard, pp. 327 — 338. ,,De Callieres divise
ces poetes en trois „pleiades". Dans la premiere, il ränge Cor-
neille, Racine, Moliere, La Fontaine, Voiture, Sarrasin, Chapelle;
dans la seconde, Despreaux, Pavillon, Pellisson, Benserade
Quinault, Segrais, le duc de Nevcrs; dans la troisieme, un certain
nombre de femmes auteurs."
Augenscheinlich müßte sein 1710 in der Akademie be-
kundeter literarischer Geschmack bei der Beurteilung seiner
sprachlichen Gesamt leistungen einigermaßen in die Wag-
schale fallen. Deshalb erlaube ich mir, auf diese von Schenk
nicht ausdrückhch erwähnte Schrift noch rechtzeitig aufmerk-
sam zu machen.*) Zu den unechten, sowie den opuscules aca-
demiques, saus grande iiriportance (v. Roques, /. c. p. 4) darf sie
nicht gezählt werden.
Die sorgsam angelegte ,, Table" verdankt ihre Entstehung
einer ausdrücklichen Anregung Roques' (s. p. XXIII). Ver-
dienstlich ist der Gedanke an jeden Artikel ,,une ou plusieurs
citations comparatives dans les auteurs qui ont ecrit vers la
fin du XMF siecle" anzureihen. Diesen Angaben wird ein eifriger
2) Frangois wird von Schenk nirgends zitiert.
^) D'Al e m b e r t ' s Eloge de Fr. de Callieres wird von Schenk
natürUch öfters erwähnt.
■*) Emile Gassier in seiner ungenauen Notiz [Les cinq-cents
Immorteis, p. 258) erwähnt einzig mit Titelnennung seine: Histoire
poetique de la guerre declaree entre les anciens et les modernes, 1688.
(vol. in-12.)
126 Referate und Rezensionen. D. Behrens.
Leser noch viele andere Vergleiche anzuknüpfen willens sein.
Insbesondere wird Bouhours stärker in Betracht kommen, erst-
lich mit seinen Entretiens d'Ariste et d'Eugme (3te Auflage,
Paris 1671), zweitens mit seinen Doutes siir la langiie frangoises,
proposez ä Messieurs de VAcademie frangoise (A La Haye, 1674)
und endlich auch mit der Suite des Remarques nouvelles
sur la langue frangoise (Paris, 1675).
Mit Recht schließt sich Schenk der Ansicht Geyers an, daß
die Aufstellung von Categorien etwas mißliches habe. Aber
bei der alphabetischen Einordnung wären doch vielleicht die
Aussprache-Angaben besser abgesondert geblieben und mehr
vom modern-phonetischen Gesichtspunkt aus zur Besprechung
gelangt. Tliurot's emsige Arbeit ist in dieser Beziehung längst
überholt und nicht bloß durch Heranziehen neuen Materials
zu ergänzen.
Da sich Schenk die Mühe genommen hat. Jaumin, Les Corn-
plitnents de la langue Frangoise (Lyon 1624) heranzuziehen, mit
der Motivierung ,,parce qu'il recommande l'emploi d'une foule
d'expressions qua, en 1693, Callieres declare inadmissibles dans
la bouche d'un honnete homme", würde es sich empfehlen, auch
Marguerite Büffet, Nouvelles observations sur la langue frangoise
(Paris, 1668) etwas genauer zu kontrollieren als ich es 1897 für
notwendig erachtet habe. Unsere Sprachforschung zieht mit
recht immer engere Kreise, um Positives zu Tage zu fördern.
Briefe jener Zeiträume verdienen ebenfalls noch nähere Berück-
sichtigung. Insbesondere bilden die Briefe Madame de Sevignes
in ihrer ungekünstelten Frische eine Fundgrube, die nocli in vieler
Beziehung der richtigen sprachUchen Ausnützung harrt.
Sclienk's verdienstvolle Forschung eröffnet ungeahnte Aus-
blicke auf weites Torrain, das noch völlig brach Hegt.
München. M. J. Minckwitz.
lilixenburgcr, Hans. Die verbalen Präfixe der französischen
Sprache. I. R-Präfix im Französischen und Deutschen. Straß-
burg i. E. Eduard van Hauten (C. F. Schmidts Universitäts-
Buchhandlung). 1910. 110 S. 8«. Preis 3,50 Mk.
S. 21: ,,ln re verläßt das tätige Individuum noch nicht das Meer
des Empfindens und der Sympathie, in dem es geboren wurde (s. pro),
um sich in seinem eigenen MiUeu ans zu sondern, es tritt noch nicht
auf den festen Boden eigenen Wollens, eigener Zwecke, sondern es ist
noch tätig bewegt in der sympathischen Fhit, sein Wollen ist nur die
im Rhythmus des Wellengangs wieder zerfließende Welle, seine Akti-
vität nur die sympathische Wechselwirkung zur Passivität im rhyth-
mischen Kraftausgleiche des ewig tätigen Lebens. Re also überhaupt
Buchstabe und Sinnbild des Lebensrhythmus, und die re-Verben
kennzeichnen sich überhaupt als passive Verben, als Erkenntnis und
Anerkennung der sympathischen Lebensbestimmung."
Müiich, Wilhelm. Didaklik u. Methodik des franz. Unterrichts. 127
Ö. 35: „Während wir in i-e eine spiegelglatte Wasserfläche sehen,
in deren Masse alles Individuelle als Gleiches unter Gleichem lebte,
sehen wir bei pro die alles Leben bedeutende Wasserfläche sich furchen,
die Wasserinasse setzt sich in Bewegung in großen Wellenzügen, Höhen
und Tiefen bilden sich, und aus den Wellen können wir bestimmte
Formenbilder bilden."
Die Ausstattung des Schriftcliens ist gut, der Preis desselben in
Anbetracht der darin enthaltenen Fülle unbeabsichtigter Komik nicht
zu hoch.
I). Behrens.
^lüncli^ If^ilhelm. Didaktik und Methodik des französischen
Unterrichts. — .'3. verbesserte und ergänzte Auflage.
München 1910. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung.
192 S. Lex. 8*^. — Preis geh. 4 Mk., in Leinwand geb.
5 Mk. [= Handbucli der Erziehungs- und Unterrichts-
lehre f. höhere Schulen, herausgeg. von A. Bau-
meister. III. Bd., 2. Abteiig., 1. Hälfte].
Was E. Uhlemann vor sieben .Jahren in dieser Zeitschr.
Band XXVI, S. 79 über die 2. Auflage dieses trefflichen Werkes
geurteilt, gilt auch von der jetzt vorliegenden dritten. Weit
davon entfernt, über die einzelnen, zum Teil noch strittigen und
viel erörterten Fragen der Methodik des neusprachlichen Unter-
richts abschließend oder einseitig urteilen zu wollen, betätigt
Münch, nun schon seit Jahren dem praktischen Betrieb und
Kampf in unserem Fache entrückt, überall in wahrhaft edler
und vornehmer Form den Wunsch, nach allen Seiten billig zu
sein, eine weitherzige Entscheidung zu treffen und an vielen
Punkten verschiedene Wege und Mittel als zulässig anzuerkennen.
Mit Recht betont er auf Grund reiclier und vielseitiger Erfahrung
gegenüber denen, die, für Neues unempfänglich und auf den
Paragraphen ihres Programms ein für allemal fest beharrend,
ihn auf frühere abweichende Äußerungen festlegen wollen:
,,Die fruchtbarsten Geister sind es nicht, die sicli ihrer steinernen
Festigkeit rühmen können".
Der Text ist diesmal nicht einer so tiefgreifenden Umge-
staltung unterworfen worden, wie es bei der zweiten gegenüber der
ersten Auflage der Fall war. Der Abschnitt über die amtliche
Organisation des Unterrichts in den verschiedenen Staaten
(III C) ist auf Grund der jetzt geltenden Bestimmungen neu
ausgearbeitet. Um die Verw-endbarkeit dieser 3. neben der
2. Auflage zu erleichtern, sind die neuen Betrachtungen in be-
sonders bezeichneten Zusätzen angefügt. Als die interessantesten
dieser Zusätze sind wohl die folgenden zu vermerken: S. 21 über
die Versöhnung der zwei Methoden und die Rechtfertigung der
vermittelnden Stellung, S. 39 über phonetische Texte, Rezitatoren
und Grammophon, S. 55 über Sprechübungen, S. 77 über die
128 Referate und Rezensionen. Augast Sturmjels.
Stellung der Grammatik und Leygues' tolerances in unserer
Schule, S. 92 über das Hinübersetzen, S. 93 über den Aufsatz,
S. 114 ff. über die Überproduktion neusprachlicher Schulausgaben,
die Zerfahrenheit in der Auswahl der Lektüre, die Tätigkeit des
Kanonausschusses, die Wahl philosophischer und technischer
Lektüre, die Frage ob Chrestomathie oder Einzelschriftsteller,
S. 146 Synonymik, S. 151 Stiüstik, S. 156 Literaturgeschichte,
S. 160 Behandlung der ReaUen, S. 181 die Einrichtung des neu-
pldlologischen Studiums und die Frage der Trennung von Fran-
zösisch und Englisch, die letzthin am eingehendsten auf der
Generalversammlung des Bayerischen Neuphilologentages be-
handelt worden ist.
Münch orientiert überall über die verschiedenen Fragen
und die Auffassung der Hauptvertreter der verschiedenen Lager.
Da er selbst nun schon seit zehn Jahren der praktischen Betätigung
entrückt ist, so läßt er häufig die neueren methodischen Schriften
von 0. T h i e r g e n (Methodik des neuphilologischen Unter-
richts, 2. Aufl. 1910), E. Hausknecht (in Rethwischs Jahres-
berichten über das höhere Schulwesen, Weidmann, Beriin und
in Heins ,, Deutsche Schulerziehung") und G. S t e i n ra ü 1 1 e r
(in Breymanns ,, Neusprachliche Reformliteratur", Bändchen IIL
1905 und IV. 1909) zu Wort kommen.
Die Neubearbeitung der Literaturangaben S. 182 ff. weist
gegenüber der zweiten Auflage eine größere Beschränkung auf,
jedoch nicht zum Nachteil des Buches: viele Stichproben haben
mir ergeben, daß die wertvollen Bücher und Aufsätze verzeichnet
sind.
Münchs Buch wird auch in dieser neuesten Gestalt allseitige
Belehrung und Anregung bieten und deshalb zum eisernen Be-
stand jeder neusprachlichen Hand- und Schulbibliothek gerechnet
werden müssen.
D a r m s t a d t. August Sturmfels.
Tlaiergeii, Oscar. Methodik des neuphilologischen Unter-
jichls. 2. Auflage mit 4 Abbildungen im Texte. 1910.
Leipzig, B. G. Teubner. 159 S. 8^^.
Im Gegensatz zu Münchs weitherziger Ausführung der Be-
stimmungen der neuen Lehrpläne in der eben besprochenen
,, Didaktik und Methodik" muß auch die vorhegende neue Auflage
von Thiergens Methodik als das bezeichnet werden, w^as Uhlemann
in dieser Ztschr. Band XXVI, S. 81 von der ersten gesagt, nämlich
als ,, einseitige Interpretation dieser Lehrpläne im Sinne der
Reformer". Es soll jedoch damit keineswegs ein Tadel aus-
gesprochen sein; will der Verfasser ja doch nicht mehr und nicht
weniger geben als eine praktische Methodik, die Quin-
Thiergen, Oscar. Methodik des neiiphilolog. Unterrichts. 129
tessenz der Erfahrungen seiner langen und reichen Tätigkeit
,,in allen Schulgattungen, außer Oberrealschulen". Das Buch
trägt durchaus ein konkretes, subjektives, individuelles Gepräge.
Sein wertvollster Bestandteil ist Abschnitt IV, den Uhlemann
schon so eingehend gewürdigt, daß ich mich hier auf Einzel-
heiten beschränken kann.
Die Anordnung des Buches ist in dieser Auflage im ganzen
dieselbe geblieben. Das Kapitel über Auslandsreisen ist mit
Hecht gekürzt, das über die Transkription und Phonetik er-
weitert. Die neuen preußischen Ausführungsbestimmungen über
den höheren Mädchenschulunterricht sind S. 92 ff. berücksichtigt.
Abschnitt V, ein Vortrag von Cossack über Börner-Thiergens
Lehrbuch des Englischen, ist vollständig weggefallen, vielleicht
unter dem Einfluß der Kritik der ersten Auflage. Ob jedoch
die berechtigte Kritik überall beachtet worden, wie der Verfasser
im Vorwort behauptet, will mir zweifelhaft erscheinen. Die
Wortfamilien S. 54 ff. geben immer noch eine Fülle von überaus
seltenen und für den Schüler ganz wertlosen Wörtern. Ist
Thiergen immer noch der Ansicht, daß die sachliche Belehrung
im Anschluß an die Lektüre so weit gehen kann und soll, wie
er S. 109 bei Besprechung des Wechsels in Dickens' Christmas
Carol bemerkt ? Der Optimismus, wie er S. 122 unten nach
Darlegung der Behandlung des Gedichts von Coppee ,,r?zw ou
l'autre" zum Ausdruck kommt, würde vielleicht geringer sein,
wenn der Verfasser an Oberrealschulen in Städten mit allen
Schulgattungen gewirkt hätte. Die übrigens durchaus dank-
baren Beispiele von Skizzen der Entwicklung der zwei Sprachen
S. 123 ff. sind in Einzelheiten noch unklar oder falsch: warum
ist nicht der einfache logische Grund dafür angegeben, daß der
Stamm der casus obliqui {pedem^ pontem, florem. = pied, pont,
fleur etc.) die Grundlage der französischen Wörter geworden ist ?
Die Stellen S. 138 oben "in the 13th Century the descendants of
the Anglo-Saxons knew so little of the langiiage of their forefathers
that they were scarcely able to read their ancient writers" und dann
S. 138 Mitte "English had remained victorious" stehen im Wider-
spruch, da man nach der ersten Stelle annehmen muß, das Angel-
sächsische sei in allen Kreisen der Bevölkerung erloschen ge-
wesen, was doch gar nicht der Fall war, da ja sonst der in der
zweiten Stelle konstatierte endgültige Sieg der germanischen
Sprache unerklärlich wäre.
Diese Kleinigkeiten sollen natürhch nicht im geringsten
unser Gesamturteil abschwächen, in dem wir das Buch als die
beachtenswerteste Didaktik der Reformer, als ein sehr anregendes
und gedankenreiches Werk bezeichnen.
D a r m s t a d t. August Sturmfels.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVIP
130 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
Breliueier« IfcJnricll. Eigenheiten dts französischen. Ausdrucks
und ihre Übersetzung ins Deutsche. (XVII. Heft der Neu-
sprachlichen Abhandlungen aus den Gebieten der Phraseologie,
Realien, Stilistik und Synonymik, herausgeg. von Dr. Cle-
mens K 1 ö p p e r - Rostock). Dresden und Leipzig 1910.
C. A. Kochs Verlagsbuchhandlung (H. Ehlers) in S", VI + 72 S.
L60 Mk.
Das vorliegende Heft enthält zwar eine Reihe von Angaben und
Beispielen, die geeignet sind, dem Schüler bei der Übersetzung aus
dem Französischen ins Deutsche einige Hilfe angedeihen zu lassen
und in gewissem Sinne die Arbeit zu erleichtern, aber im allgemeinen
ist die Auffassung des Verfassers von sprachlichem Leben so wenig
wissenschaftlich vertieft, ist überhaupt sein Sprachgefühl so eng und
unfrei, daß ich mir von der Benutzung des Büchleins weder für Lehrer
noch Schüler großen Nutzen verspreche.
Der Hauptirrtum des Verfassers besteht darin, daß er glaubt,
man könne aus dem Zusammenhang gerissene Wörter und Wortgruppen
mit Hilfe von mehr oder weniger willkürlichen Regeln und Hinweisen
auf einen (oft zu Unrecht angenommenen) abweichenden Sprach-
gebrauch richtig und einwandfrei aus einer Sprache in eine andere
übersetzen.
Die stilistische Fixierung jeder Gedankenmitteilung oder Gefühls-
äußerung erfolgt zwar auf dem Grunde gewisser normaler Regeln und
Gesetze des sprachlichen Ausdrucks, ist aber im einzelnen von einer
Reihe von Faktoren abhängig, die nur aus der augenblicklichen Ver-
fassung des redenden oder schreibenden Individuums abzuleiten
sind. Diese Faktoren können sich in beliebigem Grade an das
Normale anpassen oder sich von ihm entfernen.
Um aus einer Sprache in eine andere zu übersetzen, muß zunächst ein-
mal der Sinn der zu übersetzenden Stelle genau geprüft werden. Es muß
genau festgestellt werden, wie sich diese Stelle in den Zusammenhang
der Rede einfügt, was etwa die besondere Absicht des Redenden oder
Schreibenden mit dem so und nicht anders formulierten Ausdruck
gewesen ist, aus welcher Stimmung heraus, in welcher Gefühlslage,
unter welchen äußeren und inneren Bedingungen die Worte geflossen
sind, von wem zu wem die Rede geht und was dergleichen Erwägungen
mehr sind. Erst wenn der ganze Habitus der zu übersetzenden Stelle
erkannt ist, dann kann die Übersetzung beginnen; die Übersetzung,
deren Ziel es ist, mit Hilfe anderssprachlicher Symbole Inhalt und
Form des fremden Idioms wiederzugeben. Da wird sich dann ganz
von selbst zeigen, in welchem Umfange man etwa Wortstellung, Wort-
und Satzverbindung, Verbalfunktion, Präpositionsgebrauch etc. der
einen Sprache in der anderen Sprache beibehalten kann oder ändern
muß. Diese Überlegungen und Übungen sind sekundärer Art. Die
Ausdrucksformen, zu denen sie führen, stellen sich ganz von selbst
ein, da sie ja aus dem eigenen, längst vertrauten Sprachgebrauche
stammen. Das erste Erfordernis also ist den stilistischen Charakter
der zu übertragenden Phrase festzustellen und sich klar zu machen,
was man zu übersetzen hat, das W i e wird sich dann schon finden.
Es ist die Aufgabe des Sprachlehrers, diese intellektuellen Opera-
tionen, soweit er sie durchführen kann, den Schüler vornehmen zu
lassen, ihn zu lehren den fremdsprachlichen Ausdruck um seiner selbst
willen, in seiner eigenen Verfassung zu begreifen und ihn nachher
erst an die Übersetzung der als Einheit erkannten und gefühlten Wort-
gruppe herantreten zu lassen.
Der Verfasser des vorliegenden Heftes spricht zwar gelegentlich
von der Notwendigkeit des Übersetzens aus dem Zusammenhang heraus,
Breimeier ^ Heinrich. Eigenheiten des franz. Ausdrucks etc. 131
er will auch nicht immer die von ihm gegebenen Beispiele als die allein
möglichen hinstellen, aber dennoch ist die ganze Anlage seiner Schrift,
die Tendenz seiner Sprachauffassung und demgemäß die Art seines
Sprachunterrichtes weit von dem Gedanken entfernt, dem diese Be-
sprechung zur Anerkennung verhelfen möchte.
Da die Schrift an anderer Stelle eine wesentlich günstigere Beur-
teilung erfahren hat, so seien aus der großen Menge der zu bean-
standenden Beispiele einige besonders bezeichnende Fälle heraus-
gehoben.
Gleich im ersten Kapitel über die Wortfolge behauptet der Ver-
fasser, man dürfe manchmal beim Übersetzen die französische Wort-
folge nicht nachahmen und führt nun eine Reihe von Beispielen an,
welche die Notwendigkeit der Veränderung der Wortstellung erweisen
sollen. In keinem einzigen der von ihm angeführten Fälle kann von
irgend einem Zwange die Rede sein. So soll der Satz /e Vaccueillerai
nvec joie nach des Verfassers Vorschrift übersetzt werden durch ,,mit
Freuden werde ich ihn aufnehmen." Unter gewissen Umständen wird
A'ielleicht diese Übersetzung zu empfehlen sein, aber ,,ich werde ihn
mit Freuden (oder sehr gern) aufnehmen" ist in der Regel ebenso gut.
genau und richtig. // arrü'ci trop tard pour sauver son ami soll werden
,,zu spät kam er an, um seinen Freund zu retten"; il Vavait dit, la i'oi.v
elevee mit erhobener Stimme hatte er es gesagt; nul ne connaissait la
destination de ce corps die Bestimmung dieses Korps wußte niemand.
Warum sollte man, um nur das letzte Beispiel zu besprechen, im
Deutschen den Satz nicht beginnen dürfen mit ,, Niemand kannte . ."
Besonders dann, wenn etwa der Autor gerade den Nachdruck auf die
Tatsache legen wollte, daß eben niemand wußte, wohin das Korps
marschieren sollte. II avait renforce sa cavalerie übersetzt der Ver-
fasser durch ,, Seine Kavallerie hatte er verstärkt" und will damit
seinen Schülern die Abweichung der französischen Wortstellung von
der deutschen beweisen.
Im Kapitel über das Substantiv heißt es u. anderem : Der durch das
Substantiv ausgedrückte Begriff ist näher zu bestimmen: La tentation
die Versuchung zum Bösen. Für Luthers Sprachgefühl genügte be-
kanntlich ,,und führe uns nicht in Versuchung" und Flauberts Novelle
La Tentation de Saint Antoine wird man sicher nicht wiedergeben durch
,,Die Versuchung des hlg. Antonius zum Bösen". Der Verfasser doziert :
Ein franz. Subst. mit Adj. ist durch ein neutrales substantiviertes
Adj. oder Partizip wiederzugeben: la force creatrice das Schöpferische
(p. 19). Jeder Unvoreingenommene wird ohne Zweifel übersetzen
.,die Schöpferkraft". De grandes choses, Großes. So gewiß in manchen
Fällen, z. B. Der Herr hat Großes an uns getan, aber daneben auch
,,der große Dinge tut". Das franz. Subst. bleibt oft unübersetzt,
z. B. Au milieu des applaudissements de la foule unter dem Beifalls-
geschrei der Menge. Ich kann mir Fälle denken, wo ich nur übersetzen
würde ,, inmitten des Beifallsgeschreis", etwa wenn ich fortfahre ,, blieb
der Gefeierte unbeweglich". // composa un livre ä Vusage des ecoliers
übersetzt Breimeier durch ,,er verfaßte ein Buch für die Schüler",
indem er ohne Grund das Subst. usage ,, unübersetzt" läßt. In Wirk-
lichkeit übersetzt er es natürlich mit, wenn er es auch nicht durch das
entsprechende deutsche Substantiv ausdrückt. ,,Für die Schüler" ist
ihm doch die dem Sinne entsprechende Übersetzung von ,,d Vusage des
ecoliers". Ein Grund das Substantiv im. Deutschen zu unterdrücken,
ist selbstverständlich nicht vorhanden. ,,Für den Schulgebrauch"
oder ,,zum Gebrauch für Schüler" würde besser sein als nur ,,für die
Schüler".
Eine Erklärung wie „U espritun^. lecceur" geben oft an, nach welcher
Seite hin eine Person besonders in Betracht kommt: Vesprit du peupk
132 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
das Volk, dans Vesprit de nos compatriotes bei unseren Landsleuten,
kann wohl nicht gröber und vager zugleich gefaßt sein.
Bei der Lehre vom Adjektiv heißt es u. and.: Das attributive
Adj. wird substantiviertes Adj. Ce fait louable das Löbliche dieser Tat.
Würde man jemals sagen: Das Löbliche dieser Tat trug dem braven
Manne eine hohe Belohnung ein ? Cette question indecise das Unbestimmte
(lieser Frage. Würde ein Lehrer einem Schüler antworten: Auf das
Unbestimmte dieser Frage kann ich dir keine Auskunft geben ? — Das
Adjektiv wird übersetzt durch ein Adverb (p. 22): Deux regnes successifs
nacheinander. So braucht man doch nicht zu übersetzen, weil man
i^twa en plein cceur durch ,, mitten ins Herz" übersetzt.
Sehr pedantisch ist das Kapitel über die Konjunktionen abgefaßt.
Während das Verhältnis der einzelnen Sätze und Satzteile untereinander
im Französischen häufig nicht durch eine Konjunktion angegeben ist,
sei im Deutschen die Neigung Bindewörter zu gebrauchen gewöhnlicher.
Diese vermeintliche Eigenart des Deutschen zeigt Verf. am kläglichsten an
folgendem Beispiel: Malgre le vent qui soujjle et la jroid qui mord, Mari-
anne s'accoude un instant ä la. jenetre. Cela lui refraichit la tete. Elle
est si lasse: depuis le matin eile n'a pas quitte louvrage, et la couture
e'est si dur: Trotz des wehenden Windes und der beißenden Kälte
lehnt sich Marianne einen Augenblick ans Fenster, u n d das kühlt
ihr den Kopf; denn sie ist müde und hat seit dem Morgen die Arbeit
nicht aus der Hand gelegt, trotzdem das Nähen so sauer ist. Diese
Übersetzung zerstört unerbittlich den stilistischen Charakter der Vor-
lage. Gerade das Fehlen der Konjunktionen läßt die einzelnen Momente
der Situation so schön und stimmungsvoll hervortreten. Das ist im
Deutschen ebensogut möglich wie im Französischen . . . Das kühlt
ihr den Kopf. Sie ist so müde. Seit dem frühen Morgen hat sie die
Arbeit nicht aus der Hand gelegt und das Nähen, es ist so sauer.
Neben manchen richtigen Bemerkungen finden sich auch in dem
Kapitel über das Verbuni eine Reihe von verfehlten Vorschriften.
Es wird gewiß häufig ein präpositionaler Infinitiv des Französischen
im Deutschen durch eine substantivische Wendung auszudrücken sein,
z. B. avant de partir vor der Abreise. Aber deswegen ist es doch nicht
nötig den Satz: Quoi qu'on puisse dire en effet pour justifier le deve-
loppement que Napoleon... zu verdeutschen, wie Breimeier es tut:
Was man auch wirklich zur Rechtfertigung der Entwicklung sagen
mag, die Napolen. . . Die Übersetzung von // doit se soumettre durch
Unterwerfung ist Pflicht, ist abstrakt und linkisch; die der Wendung
qui a persiste jusquaubout ä se fier ä lui durch ,,der bis zuletzt im Ver-
trauen auf ihn ausgeharrt hat" jedenfalls mißverständlich. Im Fran-
zösischen heißt es, daß einer einem anderen unbedingtes Vertrauen
bewahrt hat, im Deutschen tritt ohne Not das Ausharren in den Vorder-
i^rund, man denkt an ein wirkliches Warten oder Ausdauern in einer
bedrängten Situation etwa. Davon ist im französischen Text keine
Rede. Eine i'alsche Anwendung des Wortes ,, kenntlich" liegt vor in
der Übersetzung von un endroit qu'oji va lui faire connaitre durch: ein
Ort, den man ihm kenntlich machen will. Ein franz. Particip wird
durch ein Adjektiv wiedergegeben. Beispiel: madame est sortie die
gnädige Frau ist aus. Wenn ein Dienstbote so spricht, der es nicht
besser weiß, mag es angehen. Ein Schüler, der aus dem Französischen
möglichst gut ins Deutsche übersetzt, darf eine solche nachlässige
Redensart nicht gebrauchen.
Es verrät eine recht oberflächliche Auffassung von syntaktischem
Satzgefüge, wenn der Verfasser lehrt (p. 47): ,,Nach il ya (il est) drückt
der Infinitiv mit ä eine Notwendigkeit oder Möglichkeit aus. Cette
fois il li'y avait plus ä se meprendre dieses Mal konnte man sich nicht
mehr täuschen." Wie sollte der Infinitiv das vermögen? Sollte die-
Breimeier, Heinridi. Eigenheiten des franz. Ausdrucks etc. 133
jMöglichkeit oder Notwendigkeit nicht vielmehr in dem il y a odei'
il est liegen? Ein gleicher Mangel an elementarstem syntaktischen
Sinn liegt zugrunde, wenn Breimeier als Beispiel für die Übersetzung
des Infinitivs mit de angibt: // feignit de ne pas comprendre er tat, als
ob er es nicht verstände. Nicht der Infinitiv mit de wird so übersetzt,
sondern der Begriff des Sich-Verstellens. Da die Übersetzung einmal
angefangen wurde mit ,,er tat", so blieb nichts anderes übrig als fort-
zufahren .,als ob".
Nebensätze werden durch ein Adjektiv oder Particip übersetzt
(p. 70): Le succes que nous pouvons esperer der zu erhoffende Erfolg.
Wer spricht oder schreibt so? Der Erfolg, den wir erhoffen dürfen,
ist wolil eine bessere und getreuere Übersetzung. La question qui s'agiie
die schwebende Frage. Den Satz ,,la question qui s'agite en ce moinent"
würde ich ohne weiteres übersetzen: ,,die Frage, um die es sich m
diesem Augenblick handelt", und nicht ,,die in diesem Augenblick
schwebende Frage". Qui connait le monde weltkundig. In sehr vielen
Fällen werde ich den mit Nachdruck gesprochenen Relativsatz ,,dei-
die Welt kennt", dem einfachen Adjektiv ,, weltkundig" ganz sicher
vorziehen. Un etat qui doit durer übersetzt Breimeier sehr dürftig
durch ,,ein dauerhafter Staat". Man spricht wohl von einem dauer-
haften Stiefel oder einem dauerhaften Regenschirm, aber auch von
einem dauerhaften Staat? Abgesehen davon, daß die verschiedenen
Möglichkeiten, die doit je nach dem Zusammenhang der Übersetzung
gewährt, ganz unberücksichtigt bleiben.
,,Das Relativpronomen steht oft statt einer deutschen Konjunktion"
(p. 72) La inort qui u'epargne personne, est la veritable egalite. Da der
Tod niemand verschont, so erscheint er als die Verkörperung der
Gleichheit. Sehr exakt und umständlich und doch nicht gut. Welcher
Nachdruck liegt nicht in den Worten La mort qui n'epargne personne,
der Tod, der keinen verschont. Jedes Wort ist an seinem Platze, wirkt
an seiner Stelle, und die Umschreibung durch die Kausalkonjunktion
beraubt den Satz seiner ganzen, feierlichen Schwere.
Relativsätze werden koordiniert: II partit pour VÄinerique, oü il
mourut peu apres. Er reiste nach Amerika u n d starb dort bald nach-
her. Ganz unnötig, die relativische Anknüpfung aufzuheben; wo
er bald darauf starb, ist gerade so gut, wenn nicht besser und unge-
zwungener. Koordiniert der Verfasser hier, so ordnet er bei anderer
Gelegenheit, ebenfalls ohne zwingenden Grund, unter. S. 65 gibt er
als Beispiel: Dans ces provinces aussi, la reforme avait penetre, et ä
Vabri de leur liherte d'etats . . . eile avait fait de sensibles progres, mit der
Übersetzung: Auch in diese Länder war die Reformation eingedrungen,
wo sie . . . Fortschritte machte. Es ist natürlich möglich, so zu schreiben,
walirscheinlich_ ist sogar der französische Text die von einem Franzose)^
herrührende Übersetzung des deutschen, so daß die Subordination
in dem einen Beispiel, die Koordination im anderen dem Verfasser
der vorliegenden Schrift nicht zur Last fallen. Er fehlt nur, indem
er aus diesen Beispielen verallgemeinernde Schlüsse zieht und sagt,
so muß es gemacht werden, oder hier kann man etwas lernen für die
Erkenntnis von Abweichungen des deutschen vom französischen
Sprachgebrauche.
Für die Übersetzung des nunmehr als letzten anzuführenden
Beispiels wird er aber wohl selbst verantwortlich zu machen sein.
Les patrons de la fabrique oü il travaillait etaient de braves gens, qui
comprenaient quHl faut que le iravail nourrisse son maitre. In der Über-
setzung: Seine Fabrikherrn waren brave Leute und sahen ein, daß
die Arbeit ihren Herrn ernähren müsse. Hier ist die vorgenommene
Koordination statt der Relativkonstruktion ganz unstatthaft. Der
Relativsatz gibt nämlich gewissermaßen die Erklärung, warum die
134 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
Fabrikherrn brave Leute waren (ihre Bearbeitung zeigte sich nämlich auch
darin, daß sie der Ansicht waren, die Arbeit müsse ihren Herrn ernähren).
Indem Breimeier durch ,,und" koordiniert, sagt er, daß die Fabrikherren
brave Leute waren und außerdem noch einsahen, daß . . . Die Ab-
weichung vom Französischen ist hier also vom Übel. Will man schon
einmal nach Finessen in der Übersetzung suchen, so könnte man sich
eher fragen, ob man im Deutschen wohl sagen dürfe, die Arbeit ernährt
ihren Herrn. Man sagt wohl, Untreue schlägt ihren eigenen Herrn,
aber z. B.: Jedes Handwerk nährt seinen Mann, und so müßte man
wohl auch hier statt Herrn Mann schreiben.
Gießen. . Walther Küchler.
Novitätenverzeichnis.
(Abg'eschlossen am 1. Fohniar 1911.)
1. Bibliographie und Handschriftenkiinde.
Aude, Ä.-F. Bibliographie critique et raisonnee des Ana frangais et
etrangers. Paris, H. Daragon, 1910. 122 S. 8*^.
Calaloguc general des livres imprimes de la Bibliotheque nationale.
Auteurs. T. 42: Dript-Duchemin de Villiers. Paris, Impr. nationale,
1910. In-8, col. 1 ä 1262. [Ministere de Finstruction publique et
des beaux-arts.]
Catalogue general des livres imprimes de la Bibliotheque nationale.
Actes royaux, par M. Albert Isnard. T. ler.- Depuis l'origine jusqu'ä
Henri IV. Paris, Impr. nationale. 1910. In-8 ä 2 col., I ä LVIII,
col. LIX ä CCXXII, col. 1 ä 852. [Ministere de Instruction publi-
que et des beaux-arts.]
Catalogue general de la librairie frangaise. Continuation de l'ouvrage
d'Otto Lorenz. (Periode de 1840 ä 1885: 11 vol.) T. 21 (periode
de 1906 ä 1909). Redige par D. Jordell. ler fasc. : A. Chamard.
Paris, D. Jordell, 8, rue de Louvois, 1910. In-8 ä 2 col., 240 p.
Catalogue des manuscrits de la collection Mancel; par B. N. Sauvage.
Paris, PIon-Nourrit et Cie. Caen, libr. L. Jouan. 1910. In-8, 316 p.
[Extrait du «Catalogue general des manuscrits des bibliotheques
publiques de France». T. 44, publie par le ministere de Finstruction
publique et des beaux-arts.]
Prevost. Inventaire sommaire des documents manuscrits contenus
dans la collection Chatre de Cange, au departement des imprimes
de la Bibliotheque nationale. Paris, H. Champion, 1910. In-8, 240 p.
Ricci, Seymour de. Inventaire sommaire des manuscrits du Musee
Plantin, ä Anvers [In: Rev. des Bibliotheques. Juillet-sept. 1910].
S. Enzyklopädie, Sammelwerke, Oelehrteng^eschichte.
Bulletin de la Soc. de litterature wallonne. T. 52, 2me partie (Philologie).
Liege, H. Vaillant-Carmanne, 1910.
Bulletin du Dictionnaire general de laLangue wallonne. 5e annee (1910).
Nr. 2: Sommaire: Les machines parlantes et la dialectologie, par
Antoine Gregoire. — Le Musee de la parole, par Ferdinand Brunei.
— Les Patois, par .Jean Frollo. — Archives dialectales: 16. Le
Beurre et le Fromage [dialecte de Thimister (pays de Herve)], par
le Dr. S. Randaxhe. — 17. Le Matelassier (dialecte de Namur),
par Paul Marechal. — Notes d'Etymologie et de Semantique: 32.
w. tofer ou tot-fer, par Alphonse Bayot et Jean Haust. — 33. w.
cirion, claus d'cirion, par Jules Feller. — • 34. w. öjermale; 35. vv.
djama; 36. \v. crämignon; 37. w. vinäve, par Jean Haust. — 38.
Le Suffixe -aricius en wallon, par Jules Feller. — Communications
regues (7^ liste).
136 Novilätenverzeichnis.
Bulletin du Dictionnaire general de la Langue walloniie. 5e annee (1910).
Nr. 3 — 4: Sommaire: Notes d^ Etymologie et de Semantique. 38. Le
Suffixe -aricius en wallon [Jules Feller), suite et fin. — Enquetes
ä faire. — Vocabulaire-Questionnaire (7^ cahier): Ginquieme liste
AB-; Troisieme liste AB-; Deuxieme liste AD- AE-. — Liste des
Correspondants qui ont repondu au 3e et au 6e Questionnaire. —
Livres et Revues (Jean Haust). — Chronique.
Revue des Etudes Rabelaisiennes . VIII, 2e et 3e fascicules [Sommaire.
Charles Charmois, peintre du roi Megiste, par Henri Clouzot. P. 113.
— Les noueries d'aiguillette en Poitou, par Henri Gelin. P. 122.
— Rabelaesiana, par Lazare Sainean. P. 134. ■ — La Grande salle
de Navarre, par G. Pinet (avec trois gravures). P. 173. — Les
cagots au XVIe siecle, par Lazare Sainean. P. 180. — Un lecteur
de Rabelais entre 1540 et 1549. P. 188. — Le chapitre XXXIII
du manuscrit du Ve livre, par Lazare Sainean. P. 191. — Le «trou
de sainct Patrice», par J. Plattard. P. 200. — Le College de Mon-
taigu et les cuistres, par Alphonse Roersch. P. 204. — La Sibylle
de Panzoult, par Henry Grimaud (avec une gravure). P. 208. —
Notes pour le commentaire, par P. Dorveaux et E. Galtier. P. 209.
Comptes-Rendus. P. 220: Henri Hauser. Etudes sur la Reforme
franQaise (J. B.). — P. 222: V.-L. Bourrilly. Le Journal d'un
bourgeois de Paris sous le regne de Frangois fer (1515 — 1536)
( J. Plattard). — P. 225: Henri Clouzot. Philibert de l'Orme ( J. B.).
— P. 226: Aurelio Stopoloni. Francesco Rabelais (J. B.). — P. 228:
Paul Lanmonier. La Vie de P. Ronsard, de Claude Binet (1586);
Ronsard poete lyrique. Etüde historique et litteraire (J. Plattard).
— P. 232: Matiiieu Auge-Chiquet. La vie, les idees et l'oeuvre de
Jean-Antoine de Baif ; les Amours de Jean-Antoine de Baif (Amours
de Meline) (V.-L. Bourrilly). — P. 234: Armand Lebault. La table
et le repas ä travers les siecles (A. L.). — P. 236: Beatrix Rava.
L'art de Rabelais (A. L.). — P. 237: Jean Plattard. L'oeuvre de
Rabelais (sources, invention et composition) (J. B.). — Chronique.
P. 244 — 256. — Fac-similes: Vue de l'ancien College de Navarre lors
de la demolition en 1876. P. 174. — Vue du bätiment de la theo-
logie sur la rue Clopin. P. 175. — L'escalier conduisant ä la biblio-
theque. P. 176. — La grotte de la Sibylle de Panzoult (d'apres
une Photographie). P. 208].
Breymann, H. von H. Schneegans [In: Zs. f. frz. u. engl. Unterriciit
IX, 6. S. 529—540].
Nutt, A. — E. Clodd. In Memoriam: Alfred Nutt [In: Folk-Lore
XXI, ,3].
Picard, Emile. Biographie. Bibliographie analytique des ecrits p.
E. Lebon. Paris, Gauthier-Villars [Savants du jour].
Tobler, Adolf. In memoriam. Von A. Wallensköld [In: Neuphilo-
logische Mitteilungen. 1910 Nr. 3/4].
3. Sprachgeschichte. Grammatik, liCxikographie.
Novicow, J. Le frangais langue international de l'Europe. Paris.
B. Grasset. 2 fr.
Adolphi, P. Doppelsuffixbildung und Suffixwechsel im Englischen
mit besonderer Rücksicht auf das lateinisch-romanische Element,
Diss. Marburg. 43 S. 8«.
Gärtner, Th. Französische Redensarten in unserem Deutsch [In:
Wiss. Beihefte z. Zeitschr. des A. deutschen Sprachvereins. 5. Reihe.
Heft 32. S. 44—46].
Novüälenverzeichnis. 137
Herthum, P. Die germanischen Elemente im altfranzösischen Rolands-
liede [In: Wissenschaf tl. Festschr. des K. Realgymnas. zu Leer 1910].
Kaesebier, K. Französische Fremdwörter in der deutschen, deutsche
Fremdwörter in der französischen Sprache. Progr. Cöthen 1909.
30 S. 8».
Körting, G. Taschenwörterbuch der deutsclien Sprache. Teil I:
Etymologisches Lehr- und Fremdwörterbuch. Berlin-Schöneberg.
Langenscheidtsche Verlagsbuchhandlung (Prof. G. Langenscheidt).
Maydorn, B. Über den Wechsel des Geschleclits bei der Eindeutschung
fremder Wörter [In: Wiss. Beihefte z. Zeitschr. des A. deutschen
Sprachvereins. 5. Reihe. Heft 32. S. 55—59].
ühlenheck, C. C. Contribution ä une phonetique comparative des
dialectes basques. Traduit, avec revision de l'auteur, par Georges
Lacombe. Paris, H. Champion, 1910. In-8, 99 p.
Diehl, E. Vulgärlateinische Ins(;hriften. Bonn, A. Marcus & E. Weber,
191(». 176 S. 8". Pr. 4.50 :\Ik.
Vnrro. — M. Terenti Varronis de lingua latina quae supersunt Recen-
suerunt G. Goetz et Fr. Schoell. Accedunt Grammaticorum Varronis
libroruni fragmenta. Leipzig, Teubner. LIV, 352 S. 8".
Vinceni, C. Le Peril de la langue frangaise. Dictionnaire raisonnö
des principales locutions et prononciations vicieuses et des princi-
paux neologismes. Paris, J. de Gigord, 1910. In-18 Jesus oblong,
LVI-198 p.
Bruiiol, F. Histoire de la langue frangaise des origiaes ä 1900. III 2
Paris, A. Colin. 320 S. 8«. 7 fr. 50.
Goedicke, W. Über den anglonormannischen Schweifreimpsalter.
Dissert. Halle 1910.
Hartmann, St. La langue de Richepin. Progr. Kornenburg 1910.
26 S. 8«.
Müller, R. Über die Sprache Corneilles. Progr. Stuttgart. 34 S. 4".
Schultz-Gora, O. Altprovenzalisches Elementarbuch. 2. verb. Aufl.
Heidelberg 1911. C. Winter. X, 189 S. 8*^.
Aawik, J. L'insuffisance de la derivation francaise [In: Neuphilol.
Mitteilungen 1910, Nr. 3/4].
Anna, de, Lu., II verbo francese e la sua teoria dal XII al XIX secolo:
studio critico, storico, filologico. Vol. III (La coniugazione morta).
Roma-Milano, soc. ed. Dante Alighieri, di Albrighi, Segati e C.
1911. XXXIV, 576 S. L. 12.
Bebernitz, Neubildungen und Neuerscheinungen der französischen
Sprache II [In: Zs. f. franz. und engl. Unterricht IX, 5. 6].
Brovarone, Äng. Remarques de phonetique frangaise. Casale, tip.
giä fratelli Torelli, 1910. 23 S. 16».
Eltinayer, K. v. Vorträge zur Charakteristik des Altfranzösischen.
Freiburg i. Ue. 1910. L^ommissionsverlag O. Gschwend. 132 S. 8**.
Flain, C. Lautlehre des französischen Textes in Codex Vindobonensis.
Hallenser Dissert.
Haberl, B. Zur Kenntnis des Gallischen [In: Zs. f. celt. Philol. VIII, 1]
(1. Der Wandel von e zu i, bezw. a in den französischen Ortsnamen
gallischen Ursprungs. 2. Die gallischen Ortsnamen mit lern- und
brig- in der ersten Silbe. 3. Die Ortsnamen frz. Nimes und Blismes.
4. Der franz. Ortsname Arras < gall. Atrebates. 5. Der Name des
Flusses Erlaj. 6. Der Wandel von gall. u zu e, i. 7. Der Wandel
von 0 vor / zu e. 8. Die Betonung im Gallischen).
138 Novüälenverzeichnis.
Luxenburger, Hans. Die verbalen Präfixe der französischen Sprache.
I. R-Präfix im Französischen und Deutschen. 111 S. gr. 8*^.
Straßburg, E. van Hauten, 1910. 3.50 Mk.
Neumann, C. Der Formenbau des Nomens und Verbums in den
Dramen Adams de laHale: ,,Ligieus de Robin et de Marion" und
,,Li jus Adan" mit Berücksichtigung seiner Canchons" und einem
Wortindex der Dramen." Diss. Kiel 1910. VI, 163 S. 8^.
Schönenberger, Fr. Beiträge zur Geschichte der altfranz. Nomina mit
wechselndem Akzent und wechselnder Silbenzahl in dem Zeitraum
von 1200 bis 1500. Diss. Heidelberg. 69 S. 8».
Spitzer, L. Die Wortbildung als stilistisches Mittel exemplifiziert an
Rabelais. Nebst einem Anhang über die Wortbildung bei Balzac
in seinen ,,Contes drolatiques". Halle, M. Niemeyer, 1910 [Bei-
heft zur Zeitschr. f. rom. Phil. 29]. Abonnementspreis Mk. 4.—,
Einzelpreis Mk. 5. — .
Wiumann, Art. Die Flexion in den altfranzösischen Miracles de Nostre
Dame. Heidelberger Diss. 82 S. %^.
Baist quitte [In: Rom. Forsch. XXIX, 320].
— proanee [In: Rom. Forsch. XXIX, 320].
— Almosen [In: Zeitschr. f. deutsche Wortforschung XII, 4. S. 299 f.].
Dangibeaud, C. Sur l'orthographe du mot xainctes. La Rochelle,
impr. Texier. 1910. In-8, 22 p. [Extrait du «Bulletin de la Societe
des archives historiques de la Saintonge et de l'Aunis-) d'aoüt 1910].
Barbier fils, P. Certaines formes latines des gloses iatines-anglo-
saxonnes [In: Rev. de dialectol. romane II, 181^ — 197].
Barbier fils, P. Ghronique etymologique des langues romanes [In:
Rev. de dial. rom. II, 491 ff.].
Vryklund, D. Vergleichende Studien über deutsche Ausdrücke mit
der Bedeutung Musikinstrument. Uppsala 1910. Almquist & Wik-
sels Boktryckeri-A.-B. 38 S. 8^.
Haust, J. Etvmologies wallonnes [In: Rev. de dial. romane II, 375 ])is
381].
Jeanjaquet, J. Etymologie. Suisse rom. cetour, ,,cellier" [In: Bull.
du Gloss. des pat. de la Suisse Romande IX, 1 — 2].
McLaughlin, W. A. Old French acoillir [In: Mod. Lang. Notes.
XXV, 8. S. 242 ff.].
Meyer-Lübke, W. Romanisches Etymologisches Wörterbuch. Heidel-
berg, C. Winter (Erscheint in etwa 11 Lieferungen von je 5 Bogen
zum Subskriptionspreis von 2 Mk. für die Lieferung).
Onions, C. Talbut. Bozzimacu, esbat [In: Mod. Lang. Review V, 4.
S. 500 f.].
Vhlirz, K. Forestis [In: Zeitschr. f. deutsche Wortforschung XII, 4.
S. 300].
Weekley, E. Englisch 'ca(u)lk\ French "caljaler [In: The Mod. Lang.
Review V, 4. S. 498—500].
Wiener, L. Byzantinisches [In: Zs. f. rom. Phil. XXXIV, 6. S. 651 bis
674 (Fortsetzung folgt)]. (I. Ital. rigattiere und pizzic.ario. Span.
sacar etc. Franz. houcher, ital. beccajo etc.)
Löseth, E. Notes de syntaxe frangaise. (Videnskabs-Selskabets
Skrifter. II. Hist.-Filos. Klasse. 1910, Nr. 4.) Christiania. En
Commission chez Jacob Dybwad 1910. 18 S. 8" (Behandelt:
Pronoms personncls. Pronoms interrogatifs. Constructions relatives
familieres. Pronoms ind^finis. Tant. Noms de nombre. Futur
dit de conjecture. Subjonctif. Infinitif. Participes. Negations).
Lommatzsch, E. System der Gebärden, dargestellt auf Grund der
mittelalterlichen Literatiu' Frankreichs (Vorrede. Kapitel I).
Novitätenverzeichnis. 139
Berliner Dissertation 1910. (Die ganze Arbeit wird binnen Jahres-
frist in Buchform erscheinen.)
Rubin, D. Beiträge zur Geschichte der Anrede im Altfranzösischen
gegen Ausgang des Mittelalters (ca. 1350 — 1500). Heidelberger
Dissert. 130 S. 8"\
Schaefer, C. Der substantivierte Infinitiv im Französischen [In: Rom.
Forsch. XXIX, S. 155—221] (Auch Kieler Dissertation 1910).
Zappulla, Mary. De l'influence de la sintaxe italienne snr la sintaxe
frangaise. Palermo, tip. fratelli Vena, 1910. 23 S. 8".
Lowes, J. L. Simple aiid coy. A note on tourteenth cenLury poetic
diction [In: Anglia XXXIII, 4. S. 440—451].
Angot, A. et F. Gaugain. Dictionnaire historique, topographique et
biographique de la Mavenne. T. 4 (supplöment). Laval, V^ A. Gou-
pil. 1910. In-8 ä 2 col, 952 p.
Beszard, L. ßtude sur l'origine des noms de lieux habites du Maine.
These pour le Doctorat es Lettres present^e ä la Fac. des Lettres
de l'Universite de Nancy. Paris, H. Champion, 1910. XXXIX,
373 S. 8" (Mit einer Karte).
Bresson. Remarques toponymiques [In: La Province de Maine.
Avril 1910] (Vgl. ib juin 1910 Beszard).
Desormaux, ./. Onomastique savoisienne. I. Sur les noms du Cheran
et du Fier. II. Sur les prenoms et patronymiques en on [In:
Revue Savoisienne, 1910, 3e fasc.].
Uamy, E.-T. Quelques nouvelles additions au Dictionnaire topo-
graphique de l'arrondissement de Boulogne [In: Bull, de la soc.
ac. de l'arrond. de Boulogne-sur-Mer, t. VIII (1908—1909). P. 267
bis 270].
Lejeune, J., E. Jacquemotle et E. Monseur. Glossaire toponymique
(avec carte) de la commune de Beaufays [In: Bull, de la Soc. de
litter. wallonne 52. S. 195—242].
Mader, F. Sur quelques noms de localites des Alpes-Maritimes [In:
Annal. de la soc. des lettres, sc. et arts des Alpes-Maritimes, t. XXI,
[p. 43-62].
Prou, M. Manuel de paleographie latine et fran^aise. 3e edition.
Entierement refondue. Accompagnee d'un Album de 24 planches.
Paris, A. Picard et fils. 1910. 509 S. 8".
Nicholson, G. G. A practical introduction to French Phonetics. For
the Use of English-speaking students and teachers. London, Mac-
l millan and Co. 8". 3s. 6d. .. ^^ | i i f
Blondheim, D. S. Contribution ä la Lexicographie frangaise d'apres
des sources rabbiniques (Extrait de la Romania, t. XXXIX).
Dissertation submitted to the board of University studies of the
Johns Hopkins LTniversity in conformity withe the requirements
for the degree of Doctor of Philosophy. June, 1910. Paris, H. Cham-
pion, 1910. 55 S. 8*>.
Lacombe, A. et P. Rouede. Nuovo Dizionario francese-italiano
e italiano-francese contenente tutti i vocaboli della lingua usuale
come pure i vocaboli nuovo formazione, i termini scientifici, tecnici
e commerciali, colla pronunzia figurata di tutte le parole. Parte
italiana-francese. Paris, Garnier freres. 1911. In-18 Jesus ä
2 col., VIII-659 p.
Lacombe, A. et P. Rouede. Nouveau Dictionnaire frangais-italien et
italien-frangais contenant tout le vocabulaire de la langue usuelle
140 Novitätenverzeiclinis.
et dolinant, ainsi que les mots nouveaux, im grand nombre de
termes scientifiques, techniques et commerciaux, la prononciation
figuree de toiis les mots. Partie frangaise-italienne. Paris, Garnier
freres. 1911. In-18 Jesus ä 2 col., VIII-772 p.
Levy, E. Provenzal. Suppl.-Wrtrb. 25. Heft. Leipzig, Reisland. 4 Mk.
Marre, A. Petit Vocabulaire des mots de la langue frangaise d'impor-
tation hispano-portugaise. Chalon-sur-Saöne, impr. E. Bertrand,
1910. In-8, 68 p. [Extrait de la «Revue linguistique et de philologie
comparee>>].
Vocabulaire technique de l'editeur, elabore et publie i)ar le Gerde de
la librairie de Paris. Paris, Cercle de la Librairie, de l'imprimerie,
de la papeterie, du commerce, de la musique, des estampes, etc.,
117, boulevard Saint-Germain, 1910. In-8 ä 2 col., VII-130 p.
[Congres international des editeurs].
4. Metrik, Stilistik, Poetik. Rhetorik.
C(ledat), L. Versification frangaise [In: Rev. de Phil, frang. XXIV, 3.
S. 238—240] (Bemerkungen über Henry Bataille's Le songe d'un
soir cCamour).
Houchart, V. Le rythme dans la versification francaise. Aix en
Provence, Pourcel, 1910.
Savarii, C.-M. Les limites de la poesie libre. Le rythme et le metre
Selon la linguistique [In: Mercure de France. 1er nov. 1910. S. 54
bis 67].
Bieser, A. Die Metapher bei Jean de Mairet verglichen mit ihrer
Verwendung bei A. Hardy und P. Corneille. Tübinger Dissert. 1910.
Reum, A. Guide-lexique de composition francaise. Petit dictionnaire
de style ä l'usage des AUemands publie avec le concours de M.
Louis Chambille. 1911. J. .T. Weber, Leipzig. VIII, 696 S. Gr. 8».
Mk. 7.50.
Schütte, Ernst. Jean-Jaques Rousseau. Seine Persönlichkeit und sein
Stil. XVI, 210 S. 8". Leipzig, Xenien-Verlag, 1910. 3,50 Mk.
Strohmeier, F. Stil der franz. Sprache. Berlin, Weidmann. 7 Mk.
Habel, E. Die Exempla honestae vitae des Johannes de Garlandia,
eine lateinische Poetik des 13. Jahrhunderts [In: Rom. Forsch.
XXIX, 131—154].
Hörner, R. Die Erstlingsdramen des jüngeren Dumas La Dame aux
Camelias und Diane de Lys. Ein Beitrag zur Technik des Romans
und des Dramas. Diss. Tübingen 1910.
Reiss, W. Die Theorie des Tragischen im 17. Jahrhundert in Deutsch-
land und Frankreich. Diss. Bern 1910. 95 S. 8».
5. Moderne Dialekte und Volkskunde.
Baudon, H. Le patois des environs de Rethel. IV, 39 S. 8*^. Rethel,
Huet-Thierard 1907.
Boillot, F. Le patois de la commune de la Grand'Combe (Doubs).
Ouvrage illustre de 63 gravures et de 2 cartes. Paris, H. Champion.
1910. L, 394 S. 8«.
Cotinet, L. Recueil de mots nouveaux [In: Bulletin de la Soc. de
litterat. wallonne 52. S. 251—252].
Demeur, L. les Patois wallons [In: Moniteur des Instituteurs pri-
maires. 23 et 30 juin 1910].
Desormaux, J. Bibliographie dialectologique [In: Rev. savois. 1910.
i S. 263—269] (Betrifft direkt oder indirekt auf die Mundarten
Savoyens sich beziehende Neuerscheinungen).
Novitätenverzeichnis. 141
Feller, J . Notes d'etymologio et de semantique. 38. Le sul'fixe -aricius
en wallon (suite et t'in) [In: Bull, du Dict. gön6r. de la Langue
wallonne 5e annee 1910. Nos 3—4. S. 77—121].
Franck, J. Recueil de mots nouveaux de Dison [In: Bulletin de la
Soc. de litterat. wallonne 52. S. 246—250].
Frankhauser, F. Das Patois von Val d'Illiez (üntenvallis) [In: Rev.
de dialectol. rom. II, 198—344].
Gaiichat, L. La trilogie de la vie (avec planche). Articles-specimens
du glossaire romand. I. Naissance et bapteme [In: Bull, du Gloss.
des pat. de la Suisse Romande IX, 1 — 2].
Guerinol, A. Notes sur le parier de Messon (fin) [In: Rev. de pliilol.
Iranc-. et de litt^r. XXIV, 3. S. 161—174].
Hrkal, Ed. Grammaire historique du patois de Demuin (suite) [In:
Rev. de pliilol. l'rang. et de litterat. XXIV, 3. S. 175—204].
Huss, R. Vergleichende Lautlehre der rumänischen Dialekte und des
Gascognisch-Pyrenäischen [In: Archiv des Vereins für sieben-
bürgische Landeskunde N. F. 37, 1].
Lurquin, A. Glossaire de Fosse-lez-Namur ; edite p. J. Feller [Bulletin
de la Soc. de litter. wallonne t. 52. S. 105—170].
Minders, G.-A. Glossaire de Dour et de Sirault (Hainaut). Extraits,
edites p. J. Haust [In: Bulletin de la Soc. de litter. wall. 52. S. 171
bis 178].
Odin, Louise. Glossaire du patois de Blonay. Preface de Ernest
Muret. Public avec l'appui de la Commission du Glossaire des
patois de la Suisse romande. Lausanne, Georges Bridel & Cie.
Editeurs. 1910. XII, 714 S. S^ [Memoires et documents publies
par la Societe d'histoire de la Suisse romande].
Peschot, Vocabulaire des mots du langage rustique usite dans le Perche
et specialement ä Saint-Victor de Buthon [In: Bulletin de la Soc.
percheronne d'hist. et d'archeol., t. VIII (1909) S. 103—134,
170—174].
Ravanat, A. Dictionnaire du patois des environs de Grenol)le. Gre-
noble, Jules Rev. 1911. 200 S. 4». 20 frcs.
Remy, Vabbe S. Le patois lorrain [In: Le Pays lorrain et le pays
messin. 20 octobre 1910].
Urtel, H. Lorraine. Compte-rendu retrospectif jusqu'en 1908 [In:
Rev. de dialect. rom. II, 437—455].
Velden, Fr. von den. Das Patois der Westschweiz als Zeuge völker-
geschichtlicher Vorgänge [Sonderabdruck aus der Politisch-anthro-
pologischen Revue. IX. Jahrgang. Heft 9 und 10].
Praviel, A. et J . R. de Brousse. Les Poetes languedociens de Toulouse.
Toulouse, Edouard Privat, 14, rue des Arts. 1910. In-8, 7. p.
[Extrait du volume «Documents sur Toulouse et sa region», 1910].
Biri, Th. Aus der Provenze. Verlag Deutsche Bücherei, Otto Koobs,
Berlin W. 57 [Deutsche Bücherei 112/113]. 1 Mk.
Armana prouvengau, per lou bei an de Dieu 1911. Adouba e publica
de la man di Felibre. Porto joio, soulas e passo-tems en tout lou
pople döu Miejour. An cinquanto-seten döu Felibrige. Avignoun,
J. Roumanille. Paris, Fontemoing, 1911. Petit in-8, 100 p. et
annonces.
Baroncelli- Javon. Blad de Luno. Recuei de pouesio prouvengalo
revist e aumenta. Enie la traducioun en frances, un retra de l'autour
e la musico de tres pego. Preface per Frederi Mistral. Ble de
lune. Recueil de poesies provengales. Revu et augmente. Avec
la traduction frangaise en regard, un portrait de l'auteur et la
musique de trois pieces. Preface par Fr^deric Mistral. Paris,
142 Novitäienverzeichnis.
A. Lemerre. Avignon, chez Mnie RoumaniUe, 19, nie Saint- Agricol.
1910. In-18 Jesus, 214 p.
Bessou, J. Countes de rouncle Janet; Rodez, E. Carrere. In-16,
240 p. 1 fr.
Le chai volant de Verciers. Satire en dialecte vervietois de 1641. Textes,
introduction et notes p. J. Feller. 39 S. 8"^ [Aus: Bulletin de la
societe vervietoise d'Archeologie et d'Histoire XI. (1910)].
Desormaux, J . Melanges savoisiens. VII. Discours de deux Savoyards
(1604) (fin) [In: Rev. de phil. franQ. et de litterat. XXIV, 3. S. 210
bis 225].
Gander, S. Le duve lävre e la pedze. Anecdote en patois de Van-
gondry (Vaud) [In: Bull, du Gloss. des pat. de la Suisse Romande
IX, \-2l
Jeanjaquet, J. Le tabeou, conte populaire en patois d'Orsieres (Valais)
[In: Bull, du Gloss. des pat. de la Suisse Romande IX, 1 — 2].
Mistral, F. CEuvres de Frederic Mistral. Nerte. Texte et traduction.
Paris, A. Lemerre, 1910. Petit in-12, 335 p. avec portrait. 0 fr.
[Petite Bibliotheque litteraire (auteurs contemporains)].
Rossat, A. Vieilles chansons de France recueillies dans le Jura bernois
(ancien Eveche de Bäle) [In: Schweizer Arcli. i. Volkskunde XIV, 2.
S. 132—160].
Beauquier, C. Traditions populaires de Franche-Comte. La Cuisine.
BesauQon, impr. Dodivers, 1911. In-8, 91 p.
Boillot, F. Faune et flore franc-comtoises [In: Bull, de dialectol.
rom. II, 105 — -122]. (Ausführl. Anzeige von Ch. Beauquier La
Faune et la Flore de la Franche-Comte).
Caülard, B. Moeurs, usages, habitudes, coutumes et fetes publiques
de la ville de Narbonne [In: Bulletin de la Commission archeol.
de Narbonne. XI, 131—179].
Chastonay. Otto de. Les legendes de Vercorin [In: Schweiz. Arch. f.
Volkskunde XIV, 1. S. 1—18].
Ifärd af Segerslad, K. Saint Coisne [In: Rev. de dialectol. rom. II,
273 f.].
6. liiteratiirgeschichte.
a) Gesamtdarstellungen.
Bolle, J. Die Sage von der erweckten Scheintoten [In: Zs. des Vereins
für Volkskunde XX, 4. S. 353—381].
Cohen, G. L'Evolution de la mise en scene dans le theätre frangais.
Lille, impr. Lefebvre-Ducrocq. 1910. In-8, 19 p. et planches.
Des Granges, Ch.-M. Histoire de la litterature frangaise. XVI, 927 S.
kl. 8». Paris 1910. Freiburg i. B., .1. Bielefeld. 4 Mk.
Fehse, W. Das Totentanzproblem [In: Zs. f. deutsche Philol. XLII, 3.
S. 261—286].
Fischer, O. Die mittelalterlichen Zehnjungfrauenspiele [In: Arch. f.
n. Spr. CXXV, S. 9—27].
Gendarme de Bevotte, G. La legende de Don Juan. 2 vol. Paris,
Hachette. 7 fr.
Kaeujjer, J. Tierfabeln im Volksmunde [In: Rheinische Geschichts-
blätter 7].
Lanson, G. La Methode de l'Histoire litteraire [In: La Revue du mois.
10 oct. 1910].
Lieder, F. W. C. The Don Carlos Theme in Literature [In: The Journal
of English and Germanic Philologie IX, 4].
Rosset, V. et H.-E. Jenny. Histoire de la litterature suisse. 2 vol.
in-16. Paris, Fischbacher. 7 fr.
Novitäterwerzeichnis. Ii3
Sie/nplitigcr, E. Die Belruchliing der Weltliteratur diircli die Antike
[In: Germ.-rom. Monatsschrift II, 10].
Aiinond, Abbe C. Le Theätre ä Verdun ä la fin du moyen äge. Bar-
le-Diic, impr. Contant-Laguerre, 1910. In-8, 17 p. [Extrait du
t. 7, 4e Serie (1909), des «M^moires de la Societe des lettres, sciences
et arts de Bar-le-Duc»].
Baist. Der dankbare Löwe [In: Rom. Forsch. XXIX, 317 — ^319].
— Dinasdaron [In: Rom. Forsch. XXIX, 319 1.].
Bediel, J. Reponse ä M. Pio Rajna [In: Annales de Midi Oct. 1910.
S. 538 — 552] (Betrifft P. Rajna's Besprechung von Bödiers Les
legendes epiques I in: Sludl medievali III, B. 331 — 391].
Blount, Ä. Arthurian onomasticon [In: Studies in English and com-
parative literatures presented to Agnes Invin. dean of Radcliffe
College. Boston 1910. Ginn].
Biockstedt. Gust. Von mittelhochdeutschen Volksepen französischen
Ursprungs. 1. Tl. III, 162 S. Lex. 8». Kiel, R. Cordes, 1910.
8 Mk.
Curdy, A. E. Arthurian Lilerature II [In: The Romanic Review I, 3].
Engel, G. Die Einflü.sse der Arthurromane auf die Chansons de geste.
Diss. Halle 1910. 97 S. 8 .
Guesnon, A. Publica tions recentes sur les trouveres et les troubadours.
Comptes rendus. Paris, H. Champion, 1910. In-8, 8 p. [Extrait
du «Moyen äge». 2e serie. T. 14. Mars-avril 1910].
Lecureux, L. Une legende iconographique. La legende d'Avenieres
Contribution ä l'etude des procedes de formation des legendes
[In: Moyen Age t. XXIII, p. 245—252].
Male, E. Les Rois Mages et le drame liturgique [In: Gazette des
Beaux-Arts 1910. Octobre].
Maniiius, M. Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters.
1. Tl. München, C. H. Beck. 15 Mk.
Matzke, J. E. The lebend of the eaten lieart [In: Mod. Lang. Notes.
January 1911].
Montier, E. Le Pav de Palinod ä Ronen [In: Revue de la Renaissance.
Juillet-sept. 1910. S. 125—134].
yeuberi. Fr. Die volkstümlichen Anschauungen über Physiognomik
in Frankreich bis zum Ausgang des Mittelalters. Münchener
Dissertation. Erlangen 1910. XI, 118 S. 8».
Oüding, Fr. Das altfranzösische Kreuzlied. Diss. Rostock. 119 S. 8*.
Schroeder, L. von. Die Wurzeln der Sage vom heiligen Gral. Wien
1910. In Kommission bei Alfred Holder [Sitzungsberichte der
Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien. Phil. -bist. Klasse
166. Bd. 2. Abhandl.]. 2,30 Mk.
Slevenson, W. M. Der Einfluß des Gautier d'Arras auf die altfran-
zösische Kunstepik, insbesondere auf den Abenteuerroman. Göttin-
ger Dissert. 1910.
Sellentian, V . Handel und Verkehr in der altfranzösischen Literatur.
Dissert. Göttingen 1910. XIV, 144 S. 8" [Aus: Rom. Forsch.
XXXI, 1].
Wechssler, E. Der heilige Gral [Aus: Die Religion in Geschichte und
Gegenwart. Tübingen, J. C. B. Mohr. Sp. 1618—1623].
Weydig, O. Beiträge zur Geschichte des Mirakelspiels in Frankreich.
Das Nikolausmirakel. Jenenser Dissertation. Erfurt 1910.
Zimmermann, K. L. Die Beurteilung des Deutschen in der französischen
Literatur des Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung der
Chanson de geste [In: Rom. Forsch. XXIX, S. 222—316].
Backers, H. Boileaus Einfluß in Deutschland bis auf Lessing. Greifs-
walder Dissert. 1910.
144 Novitäten Verzeichnis.
Baldensperger, F. Joseph de Maistre et Alfred de Vignv [In: Mercure
de France 16 nov. 1910. S. 256—268].
Bled, V. du. Les comediens et la societe polie [In: Rev. des deux
mondes 15 nov. 1910. S. 377—411].
Bornhausen, K. Das religiöse Problem während der französischen
Vorrevolution bei Bayle, Voltaire, Rousseau [In: Histor. Zeitschr.
105. Bd. 3. Heft. S. 496—514].
Boyer, A. La Litterature et les Arts contemporains. Consultations
de MM. Jules Lemaitre, Georges Clemenceau, Mme Juliette Adam,
MM. Maurice Barres, de Bouhelier, Doumic, Emile Fahre, de Vogüe,
Maurice Donnay, Maurice Le Blond, Capus, Löon Hennique, Faguet,
Georges Lecomte, Brieux, Descaves, Verhaeren, J. H. Rosny,
Anatole France, etc. Paris, A. Mericant. In-16, 224 p. 3 fr. 50.
Bonnejon, P. Maxime du Camp et les Saint-Simoniens [In: Rev.
d'Hist. litt, de la Fr. XVII, 4].
Ckarasson, H. Les origines de la sentimentalite moderne. I. D'Heli-
senne de Crenne ä Jean de Tinan (ä suivre) [In: Mercure de France
16 nov. 1910. S. 193—216].
— Les Origines de la Sentimentalite moderne. II. Un bätard du
romantisme: Jean de Tinan [In: Mercure de France, ler Dec. 1910].
Cherhuliez, V. Le roman frangais. IX. Les egotistes: Rene, Adolphe,
Obermann [In: Revue des deux mondes 15 oct. 1910 . S. 807 — 835].
Chichemano)), J. fitude critique sur les Femmes poetes en France
au XIXe siecle. Diss. Bern 1910. 177 S. 8».
Coulon, M. Temoignages. Paris, Mercure de France. 1 vol. in-18.
3 fr. 50. (Handelt von Jean Moreas, Anatole France und Remy
de Gourmont.)
Dide, A. J.-J. Rousseau, le protestantisme et la revolution Irangaise.
Paris, E. Flammarion. 3 fr. 50.
Dupont-Chatelain, Marguerite. Les Encyclopedistes et les Femmes.
Diderot. D'Alembert. Grimm. Helvetius. D'Holbach. Rousseau.
Voltaire. Ouvrage orne de 2 planches gravees. Paris, H. Daragon,
1911. In-8, 175 p. 6. fr. [Bibliotheque du vieux Paris].
Friedrich, H. Die literarischen Theorien der Goncourt. Diss. Heidel-
berg. 75 S. S*'.
Gaubert, E. Figures franraises. Critique et Documents. (A. de Riva-
rol; Eugene Fromentin; Frangois Coppee; Emmanuel Signoret;
Charles Guerin; Maurice Barres.) Paris, Nouvelle Libr. nationale,
85, rue de Rennes, 1910. In-16, X-241 p. 3 fr. 50.
Glaser, P. E. Le Mouvement littöraire (Petite Chronique des lettres),
1909. Preface de M. Marcel Prevost. Paris, P. Ollendorff, 1910.
In-18 Jesus, X-433 p.
Gleichen- Russwurm, A. v. Das galante Europa. Geselligkeit der
großen Welt. 1600—1789. XIX, 492 S. 8». Stuttgart, J. Hoff-
mann, 1911. 8,50 Mk.
Gourmont, J . de. Muses d'aujourd'hui. Essai de physiologie poetique.
Comtesse de Noailles. Gerard d'Houville. Lucie Delarue-Mardrus.
Marie Dauguet. Renee Vivien. Elsa Koeberle. Helene Picard.
Jane Catulle-Mendes. Cecile Sauvage. Jeanne Perdriel-Vaissiere.
Laurent Evrard. Paris, «Mercure de France», 26, rue de Conde,
1910. In-18 Jesus, 266 p. avec portraits et autographes. 3 fr. 50.
Guy, H. L'^cole des rh^toriqueurs. Paris, H. Champion. 390 S. 8".
Frcs 10. [Histoire de la poesie frangaise au XVIe siecle I.]
Herold, A.-F. Les anciennes adoptations frangaises de Romeo et
Juliette [In: Mercure de France ler janv. 1911].
Joret, C. D'Ansse de Villoison- et THellenisme en France pendant
le dernier tiers du XVIIIe siecle. Avec 1 portrait d'apres J. Bailly
et le fac-simile d'une lettre ä Wieland. Paris, H. Champion, 1910.
Novitätenverzeichnis. 145
In-8, XII-539 p. [Bibliotheque de l'Ecole des hautes etudes.
Sciences historiques et philologiques. 182e fascicule].
Jung, F. J . Anacreon et les poetes de la Pleiade. Progr. Graz 1910.
17 S. gr.-80.
Kellen, T. Das galante Theater in Frankreich im 18. Jh. [In: Bühne
und Welt 12, 18].
Labarthe, G. Le Th^ätre pendant les jours du Siege et de la Commune.
Juillet 1870 ä juin 1871. Paris, Fischbacher. 143 S. 16». 2 fr. 50.
Lanson, G. Manuel bibliographique de la litterature frangaise moderne
1500—1900. III. dix-huitieme siecle. Paris, Hachette. 5 fr.
Lee, S. The French Renaissance in England. An account of the
literary rclations of England and France in the 16th Century.
Oxford, Clarendon Press (London, Henry Frowde). Geb. Sh. 10. 6 d.
Lunel, E. Le Theätre et la Revolution. Histoire anecdotique des
spectacles, de leurs comediens et de leur public par rapport ä la
Revolution frangaise. Ouvrage orne d'une planche hors texte.
Paris, H. Daragon, 1910. In-8, 167 p. 6 fr. [Bibliotheque du Vieux
Paris].
Martinon, Ph. Note complementaire sur Mavnard et Urfe [In: Rev.
d'Hist. litter. de la France XVII, 4].
Maugain, G. L'Italie dans quelques publications de jesuites Irangais.
Paris, H. Champion, 1910. 62 S. 8^ [Bibliotheque de l'Institut
frangais de Florence (Universite de Grenoble). Deuxieme Serie.
Collection d'Opuscules de Critique et d'Histoire].
Michaut, G. Pages de critique et d'histoire litteraire (XIXe siecle).
Paris, Fontemoing et Cie., 1910. In-18 Jesus. 313 p. 3 fr. 50.
Pilon, E. Portraits tendres et pathetiques. Paris, Ed. du Mercure
de France. 1 vol. in-18. 3 fr. 50.
Robert, P.-Ä. L'administration de la ,,Comedie" d'Aix (1756 — 1788)
[In: Annales de Provence VII, Nos 4 — 5].
Rössel, V. et H.-E. Jenny. Histoire de la litterature suisse. I. XV,
360 S. 160. Paris, Fischbacher. 3 fr. 50.
Rössel, V. Le «Mal romantique» [In: Rev. d'Hist. litter. de la France
XVII, 4].
Seche, Leon. La Jeunesse doree sous Louis - Philippe: Altred de
Musset. De Musard ä la Reine Pomare — La Presidente. Cinquante
lettres d'Alfred Tattet ä Guttinguer et ä Arvers (Documents inedits).
Portraits inedits de Tattet, Musset, Guttinguer, Arvers, la Reine
Pomare, la Presidente. Paris, Editions du Mercure de France.
7 fr. 50.
Singer, S. Mittelalter und Renaissance. Die Wiedergeburt des Epos
und die Entstehung des neueren Epos. Zwei akademi.sche Vor-
träge. Tübingen, .1. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1910. 1,80 Mk.
[Sprache und Dichtung. Forschungen zur Linguistik und Literatur-
wissenschaft, hrsgb. von H. Maync und S. Singer. Heft 2].
Sorel, A. E. Essais de psychologie dramatique; par Albert Emile
Sorel, Henry Becque, Paul Hervieu, Emile Fahre, Georges de Porto-
Riche, Maurice Donnay, Jules Lemaitre, Henri Lavedan, FranQois
de Curel, Brieux. Paris, E. Sansot et Cie., 1911. In-18 Jesus,
242 p.
Stewart, H. F. and A. Tilley. The romantic movement in French
literature. Cambridge: at the University Press 1910. XI, 242 S. 8<>.
Thomas, L. En marge de la litterature. Recueil d'anecdotes par
X. L. C. B. Paris, L. Vanier. 2 fr.
Tornezy, A. La Legende des philosophes. Voltaire, Rousseau, Diderot
peints par eux-memes. Paris, Perrin et Cie., 1911. In-8, 464 p.
Vezinet, F. Le XVIIle siecle juge par lui-meme. Paris, Belin freres.
1910. 167 p. in-18. 1 fr. 50.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII^ 10
146 Novitäten Verzeichnis.
Villani. M. La questione degli antichi nel preromanticismo. Firenze,
tip. G. Piccini, 1910. 4». p. 76.
Visan, T. de. Le Romantisme allemand et Je Symbolisme frangais
[In: Mercure de France 16 decembre 1910].
Wells, B. W. Modern French literature. 520 S. 8^. London, Pitman.
b) Einzelne Autoren.
Aneau, Barlhelemy, a Study in Humanism by J . L. Gerig [In: The
Romanic Review 1, 3].
— Aneau, B. p. J. Gerig [In: Revue de la Renaissance. Oct.-dec. 1910].
Balzac. Studien. I. von A. Bettelheim [In: Deutsche Rundschau.
Oktober 1910. S. 70—83] (Aus: Balzac: Eine Biographie von
A. Bettelheim, die im Verlag der Gebrüder Paetel (Berlin) erscheint).
— Balzac inconnu [In: Documents d'histoire. Mars 1910 (n" 1)].
— Autour de la correspondance de Balzac [In: Documents d'histoire.
Mars 1910 (n" 1)].
Baudelaire et M. Emile F'aguet p. M. Andre Gide [In: La Nouvelle
Revue Francaise l^i" novembre 1910].
— Le Baudelaire des professeurs [In: La Depeche, 11 sept. 1910]
(Vgl. E. Faguet in La Revue, ler sept. 1910).
Bayle s. oben p. 144 Bornhausen.
Beaumarchais. — Bettelheim, Ant. Beaumarchais. Eine Biographie.
2. neubearb. Aull. XV, 530 S. m. 1 Bildnis. 8". München. C. H.
Beck, 1911. 10 Mk.
Bodin. — F. von Bezold. Jean Bodin als Okkultist und seine Demo-
manie [In: Histor. Zeitschr. 105. Bd. 1. Heft. S. 1—64].
Boileau s. oben p. 143 Backers.
Bossuet s. Bourdaloue.
— H. Souty. Un "Bossuetiste" Manceau. Charles Riobe. Preface
de Mgr. Delmont. — Une Conference sur Bossuet au Maus, en 1851.
Bossuet, ses Elevations sur les Mysteres. Charles Riobe. En Marge
d'un Mariage. Paris, Honore Champion. 77 S. 8^. Pr. 2 fr.
— G. Hardy. Un episode de la ieunesse de Bossuet [In: Feuilles
d'Histoire 1910. No. 10].
— E. Longuemare. Bossuet et la Societe frangaise. Sous le regne
de Louis XIV. Paris, Bloud & Cie. 3 fr. 50.
Bourdaloue. — Problemes et questions sur Bossuet et Bourdaloue
[In: Documents d'histoire Mars 1910 (n^ 1)].
Calvin, J., and Calvinisme p. .7. M. Sloan [In: Fortnightlv Review.
August 1910. 8. 290—301].
Chateaubriand and Milton. By W. Wright Roberts [In: The Mod. Lang.
Review. V, 4].
— A. Aulard. Les illusions grecques de Chateaubriand [In: La Revue,
ler octobre 1910].
Constant, B. ä Colmar p. A. M. E. Ingold [In: Feuilles d'liist. du
XVIle au XXe siecle. Juin 1910].
Desportes. — L. E. Kastner. Suckling and Desportes [In: The Mod.
Lang. Review. V, 4. S. 497 f.).
Diderot. — R. Bitterling. Johann Friedrich Schink, ein Schüler
Diderots und Lessings als Dichter und Kritiker. Diss. Würz-
burg 1910. VI, 82 S. 8».
— S. oben p. 145 Tornezy.
Dumas, A. et Bonaparte [In: Feuilles d'hist. du XVI le au XXe siecle.
Mai 1910].
Fenelon et ses amis; par Albert Delplanque. Paris, J. Gabalda et Cie.,
1910. In-18 Jesus, 338 p.
— Fenelon terroriste [In: Feuilles d'hist. du XVIIe au XXe siecle.
Avril 1910].
Novitätenverzeichnis. 147
- — Fenelon en 1709 p. J. Durieux [In: Feuilles d'histoire du XVIIe
au XXe siecle. Aoüt 1910].
— Fenelon p. E. Faguet [In: La Revue, ler et 15 juillel 1910].
— Ce que Fenelon dirait au XXe siecle sur l'education des Filles
p. L. B. Daguirre. Paris, Gabriel Beauchesne et, Cie. 3 fr. 50.
Girardin, Mme de. — L. Seche. Sur la mort de Mme de Girardin [In:
Annales Romantiques VII, fasc. 7, juillet-octobre 1910. S. 292 f.].
Guerin, M. de p. A. Counson [Aus: Revue de l'Instruction publique
en Belgique 1910].
Guesdon. — C. Ballu. Curiosites poetiques du XVI« siecle [In: Rev.
de la Renaissance. Oct.-dec. 1910].
Guttinguer. — L. Seche. Le chalet de Guttinguer. Virginie Gueudry
[In: Annales Romantiques VII, iasc. 7, juillet-octobre 1910. S. 241
bis 254] (Aus des Verfassers Buch ,,.Teunesse doree sous Louis-
Philippe").
Hugo, Victor par Jules Bertaut. 45 portraits et documents. Paris,
Louis-Michaud. In-16, 192 p. 2 fr. 25. [La Vie anecdotique et
pittoresqup des grands ecrivains.]
— La Bible dans Victor Hugo; par Mgr. Theodore Delmoni. Lyon,
impr. Vitte, 18, rue de la Quarantaine, 1910. In-8, 48 p. [Extrait
de r<<Universite catholique»].
• — Monument de Victor Hugo, Medaillons de Charles Hugo, Frangois-
Victor Hugo, Paul Meurice, Auguste Vacquerie. Ceremonie d'inaugu-
ration, 20 juin 1910. Paris, P. Ollendorff, 1910. Grand in-8,
35 p. et grav.
— La Fonction du poete. Etüde sur Victor Hugo; par Amedee Guiard.
Paris, Bloud et Cie., 1910. In-16, VIII-316 p.
La Fayette, Madame de; par C. Lecigne. Paris, P. Lethielleux, 1910.
In-16, 115 p. [Femmes de France, n" 1].
Legrand, Marc Antoine. Sein Leben und seine Werke von C. Segitz.
Diss. Erlangen 1910. VIII, 109 S. 8«.
Lamartine. — Projet de bibliographie lamartinienne frangais-italienne
p. C. Monnet, preface de Charles Thuriet. Turin, S. Lattes et Cie.
1 vol. in-8f>.
Lamennais et les femmes p. M. P. Harispe [In: La Nouvelle Revue.
15 nov. 1910].
— Fr. Calleri. Les idees religieuses de Manzoni et de Lamennais.
Torino, tip. G. B. Pasavia e C, 1910. 47 S. 8*>.
Leconte de Lisle. — Lacaussade et Leconte de Lisle [In: la Depeche,
8 decembre 1910].
Mainard. S. oben p. 145 Marlinon.
Maistre, J. de. — S. oben p. 144 Baldensperger.
Mallarme, St. p. de Gourmont [In: Le Temps, 12 oct. 1910].
Marot. — R. Fromage Clement Marot. Identification d'Anne (de
Beauregard) [In: Soc. de l'hist. du Protestantisme frang. Bulletin.
Mars-avril 1910. S. 122—129].
• — R. Fromage. Clement Marot. Son premier emprisonnement.
Identification d'Isabeau [In: Soc. de l'hist. du Protestantisme
frang. Bulletin. Janvier-fevr. 1910. S. 52—70].
Maupassant. — L. Gistucci. Le pessimisme de Maupassant. 40 S. 8".
Publications de l'Office social, Lyon. Pr. 0,75.
Merimee, Prosper. Le caractere et l'ceuvre litteraire p. J. Polikoweky.
Diss. Bern 184 S. 8».
Moliere von K. Frenzel [In: Sonntagsbeilage zur Vossischen Zeitung
1910. 29. 30].
— B. Matthews Moliere: His Life and Works. 398 S. 8". London,
Longmans.
10*
148 Novitätenverzeichnis.
— Moliere contre la Science p. J . L. Charpentier [In: Revue du Mois,
10 sept. 1910].
— IFecÄssZer, ^rfuard: Moliere als Philosoph. 86 S. Lex. 8". Marburg,
A. Ebel. 1910. ^Mk. 2.— .
Montaigne apres la Saint-Barthelemy p. N.W(eiss) [In: Soc. de l'hist.
du Protestantisme Iran?. Bulletin. Mars-avril 1910. S. 187—189}
(Im Anschluß an Dr. A. Armaingauds Veröffentlichungen p. 20).
— Armaingaud. Reponse ä M. Henri Hauser [In: Revue Critique
13—20 oct. 1910. S. 261—274].
Montesquieu et l'esclavage. fitude sur les origines de l'opinion anties-
clavagiste en France au XVIIIe siecle p. R. P. Jameson. Paris,
Hachette et Cie. 7 fr. 50.
Montpensier, Mademoiselle de, par C. Lecigne. Paris, P. Lethielleux.
1910. In-16, 120 p. [Femmes de France, n» 2].
Moreau, Hegesippe p. O. Williams [In: Fortnightly Review August
1910. S. 281—289].
— M. de Noisay UEspvit de Jean Moreas [In: Mercure de Frances
ler janvier 1911].
Musset. — M. Dumoulin. Le pere d'Alfred de Musset [In: Le Corre-
spondent. 10 sept. 1910].
— M. Dumoulin. Les ancetres d'Alfred de Musset. D'apres des
documents inedits. Paris, Emile Paul. 3 fr. 50.
— A. Ziegler. Alfred de Mussets Äußerungen über die französische
Literatur seiner Zeit. Diss. Heidelberg 1909. 110 S. S».
— L. Seche. Trois amis d'Alfred de Musset, lettres d'Alfred Tattet
ä Felix Arvers et ä Ulric Guttinguer [In: Le Gaulois. 13 nov. 1910].
— Sur quatre lettres inedites d'Alfred de Musset, p. L. Seche [In:
Le Gaulois. 7 dec. 1910].
— Le Centenaire d'Alfred de Musset. Conference faite pai- M. Leon
Seche, au theätre de la Renaissance, ä Nantes, le 9 dec. 1910 [In:
Annales Romantiques. VII (1910). S. 321 ff.].
Nadaud, G., sa via et ses ceuvres p. A. Varloy. Paris, Daragon. 3 fr. 50.
Pascal inedit; par Ernest Jovy. III. Les Contemporains de Pascal et
leurs sentiments religieux, d'apres les memoires inedits du P. Beurrier,
son dernier confesseur. Vitry-le-Frang.ois, chez l'auteur, 41, rue
Pavee. 1910. In-8, 355 p.
— H. Bremond. Le secret de Port. Royal [In: Le Correspondant
10 sept. 1910].
— Pascal. Sa vie religieuse et son apologie du christianisme; par
H. Petitot. Paris, G. Beauchesne et Cie. 1911. I_n-8, 431 p.
— A. Gazier. Les derniers jours de Blaise Pascal, fitude historique
et critique. Paris, H. Champion. 1 fr. 50.
Prarond. — A. Ledieu. A la memoire de M. Ernest Prarond (1821 bis
1909). Abbeville, imprimerie Lafosse, 1 vol. in-8<^.
Puisieux, Mme de. — M. Pellisson. Une femme moraliste au XVIII^
siecle: Mme Puisieux [In: Revue pedagogique 15 sept. 1910].
Rabelais. — P.-P. Plan. Une reimpression ignoree du Pantagruel
de Dresde [In: Mercure de France ler Dec. 1910].
— H. Schneegans. Der heutige Stand der Rabelaisforschung 1 [In:
Germ.-roman. Monatsheft II, 10].
Racine. — Masson-Forestier. Autour d'un Racine ignore. Preface
[In: La Grand Revue 25 sept. 1910].
— E. Faguei. La däcouverte de Racine [In: Rev. des deux niondes.
15 d(^c. 1910].
— Masson-Forestier. Autour d'un Racine ignore, d'apres des docu-
ments de Familie. Avec le portrait de Racine ä 36 ans, ä la veille
de Phedre, portrait dit de la Champmesle, public pour la premiere
Novitätenverzeichnis. 149
fois et de nombreuses illuslrations, fac-similes de lettres de Racine,
etc. Paris, Editions du Mercure de France. 7 fr. 50.
Rambervillers, A. de. — ■ E. Duvernoy, R. Harmand. Un auteur lorrain:
Alphonse de R. (1552 — 1633). Essai d'hist. litter. provinciale
[In: Rev. d'Hist. litt, de la Fr. XVII, 4].
Ramond. — Un grand precurseur des romantiques, Ramond (1755 bis
1827; par Jacques Reboul. Nice, edition de la «Revue des lettres
et des arts». 1910. In-8, XVl-127 p. 4 fr.
Renan. — Les dechets d'une gloire: Renan, p. G. Fonsegrive [In: La
Revue hebdomadaire. 10 sepl. 1910] (In Veranlassung von H.
Parigoi Renan, FEgoisine intellectuel ...).
Rimbaud, A. Rhetoricien. Reponse ä M. Paterne Berrichon p. G.
Izamberd [In: Mercure de France 16 decembre 1910].
Ritter, Charles. Ses amis et ses maitres. Choix de Lettres. 1859 — 1905.
— Sainte-Beuve, Ernest Renan, H. Gaine, Victor Cherbuliez,
Paul Bourget, D. Strauss, George Eliot, William James. — • Lau-
sanne, Paiyot & Cie. 1911. VII, 304 S. Mit Portrait.
Roland, Mme. — A. Chuquet. Buzot et Mme Roland [In: Feuilles
d'hist. du XVIIe au XXe siecle. Mai 1910].
Ronsard. P. de. Von C. Rauer. [In: Germ.-rom. Monatsheft. Dez.
1910].
— ■ C. Gabillol. La tombe de Ronsard [In: Revue de Paris,
ler octobre 1910].
— Tableau chronologique des oeuvres de Ronsard, suivi de poesies
non recueillies et d'une table alphabetique; par Paul Laumonier.
2e edition, remaniee et tres augmentee. ■ Paris, Hachette et Cie.
1911. In-8, XI-143 p.
Rousseau s. oben p. 144 Rornhausen, p. 144 Dide, p. 145 Tornezy.
- — Rousseau, J ean- J acques . Genevois; par Gaspard Vallette. Geneve,
A. Jullien, edit. 1911. In-8, XXX-461 p. 7 fr. 50.
— La Constitution oorse de J. J. Rousseau (these); par Ange Moretti.
Paris, L. Larose et L. Tenin. 1910. In-8, 191 p.
— Jean- Jacques Rousseau aviateur p. P.-P. Plan [In: Mercure de
France 16 oct. 1910].
Sabatier Mme_ — X. Seche. La presidente [In: Mercure de France
16 nov. 1910. S. 218—233].
Saint-Gelais, Mellin de (1490? == 1518). Etüde sur sa vie et sur ses
ceuvres p. H.-J. Molinier. Paris, A. Picard & fils 1910. frcs. 7.50.
Saint-Gelais, Octovien de. — H. J. Molinier. Essai biographique et
litteraire sur Octovien de Saint-Gelais. Eveque d'Angouleme
(1648—1502). Paris, A. Picard & Fils. 1910. Frcs. 4.
Sainte-Reuve et le prince Napoleon p. J . Troubat [In : La Revue. 15 acut
1910].
Sainte-Marthe, Ch. de. (1512 — 1555) by Caroline Ruutz-Rees. New
York, The Columbia üniversity Press 1910. XIV, 664 S.
Sales, Fr. de. — Vie de Saint FranQois de Sales p. M. Hamon. Nouvelle
edition abregee, entierement revisee p. M. Gonthier et M. Letourneau.
Paris, Victor Lecoffre. 3 fr. 50.
Sand, George; par C. Lecigne. Paris, P. Lethielleux, 1910. In-16,
121 p. [Femmes de France, n" 3].
Scarron. — J. Frank. Scarroniana (Fortsetzung) [In: Arch. f. n. Spr.
CXXV, 128—153].
Stael, Mme de, et la princesse Koutouzov [In: Feuilles d'histoire.
Aoüt 1910].
Stendhal Reyle p. L. Spach [In: Feuilles d'hist. du XVIIe au XXe
siecle. Juillet 1910].
1 50 N ovilätcnverzeichnis .
Tillier, Cl. — M. Cornicelius. Claude Tillier. " Halle a. S. Max Nie-
meyer, 1910. VII, 517 S. 8«.
Tinan. — S. oben p. 144 Charasson.
Tincin, Madame de. — Une vie de femme au XVI Ile siecle. Madame
de Tencin (1682 — 1749); par Pierre Maurice Masson. 3e edition,
augmentee et corrigee. Paris, Hachette et Cie., 1910. In-16, 345 p.
3 fr. 50. [Bibliotheque variee.]
Tourreil, Jacques de, traducteur de Demosthene (1656 — 1714). These. .
par Georges Duhan. Paris, H. Champion 1910. 274 S. 8*^.
Urfe. S. oben p. 145 Martinon.
Vigny, A de. — S. oben p. 144 Baldensperger.
— Vigny, A. de p. J .-N . Nickels. Esch-sur-l'Alzette, Impr. J. Origer.
— E. Esteve. Gessner et Alfred de Vigny [In: Rev. d'Hist. litt, de
la Fr. XVII, 4].
— Vigny, A. de, ein Urteil seiner Zeitgenossen, von E. Kaufmann.
Diss. Heidelberg. 148 S. 8».
Villiers de Vlsle-Adam sous la Commune p. H. Bernes [In: Mercure
de France ler nov. 1910. S. 182—185].
Villon, Frangois; par Gaston Paris. 2e edition. Paris, Hachette et Cie.,
1910. In-16, 191p . avec grav. 2 fr. [Les Grands Ecrivains francais].
Voltaire s. oben p. 144 Bornhausen, p. 145 Tornezy.
— Voltaire p. F. Brünettere. Troisieme partie: Cirey, Versailles,
Berlin (1734—1754) [In: Rev. d. deux mondes ler dec. 1910].
— Labat, L. Le Drame de la rue des Filatiers (1761). Jean Golas.
Son proces, sa memoire defendue par Voltaire et par la soeur Anne
Julie (de la Visitation). Etüde inedite sur documents authenti-
ques; par Leopold Labat. Toulouse, E. Privat. Paris, A. Picard,
1910. In-8, 110 p.
Weiss, J.-J. Conferencier. Chroniqueur de theätre. Journaliste.
Portraitiste. Ecrivain epistolaire; par Georges B. Stirbey. Paris,
Calmann-Levy, 1910. In-4, 114 p. et portrait.
Z,ola von M. Harden [In: Maximilian Harden Köpfe. 3. Auflage.
Berlin, E. Reiss, 1910. S. 383—412].
7. Anss:aben, iErläntertmgssclirifteii, Cbersetzang^eii.
Calmette, J . et E.-G. Hurtebise. Correspondance de la ville de Per-
pignan (ä suivre) [In: Rev. d. 1. rom. Juillet-octobre 1910].
Bartsch, K. Chrestomathie de l'ancien frangais (Vllle — XVe siecles).
Accompagnee d'une grammaire et d'un glossaire. Dixieme edition,
entierement revue et corrigee par Leo Wiese. Leipzig. F. C. W.
Vogel, 1910. Preis brosch. 14 Mk., geb. 15,50 Mk.
Chrestomathie du moyen äge. Extraits publies avec des traductions,
des notes, une introduction grammaticale et des notices litteraires;
par G. Paris et E. Langlois. 7^ edition, revue. Paris, Hachette
et Cie., 1910. Petit in 16, XCIII-370 p. 3 fr. [Classiques francais].
Crescini, V. Canzone francese d'un trovatore provenzale. Padova
1910. 80 [Aus: Atti der Acad. von Padua Bd. XXVI, S. 63—103].
Mondän, S. La Grande Charte de Saint-Gaudens (Haute-Garonne).
Texte gascon du XI le siecle avec traduction et notes. Paris,
Paul Geuthner.
Poetes (les) de la Mort. Anthologie des poesies de la mort du XVe
siecle ä nos jours. Morceaux choisis, avec preface et notes; par
Leon Larmand. Illustre de 9 grav. Paris, Louis-Michaud, 1910.
In-16, VIII-150 p. 1 fr.
Poetes (les) de la Bipaille. Anthologie de poesies de la table du XVe
siecle ä nos jours. Morceaux choisis, avec preface et notes, par
Novitätenverzeichiiis. 151
Leon Larmand. Illustre de 8 grav. Paris, Louis-Michaud, 1910.
In-16, VI-154 p. 1. fr.
Poetes (les) humoristes. .Vnthologie de poemes humoristiques du
XIII« siecle ä nos jours. Choix, preiace et notes, par Georges Nor-
mandy. Illustre de 9 grav. anciennes et modernes. Paris, Louis-
Michaud, 1910. In-1(5, IX-149 p. 1 fr.
Adam de la Haie. — S. oben p. 138 Neumann und p. 142 Härd af Seger-
slad Saint Coisne.
Aliscans. — S. A. Bacon. The source of Wolfram's Willehaim. Vlll,
172 S. in. 1 Taf. 1910. 6 Mk. [In: Sprache und Dichtung. Forsch.
zur Linguistik und Literaturwissenschaft. Hrsgb. von H. Maync
u. S. Singer. Tübingen, J. C. B. Mohr].
Alre perillos, hrsgb. von W. von Zingerle (In Vorbei'eitung).
Aucassin et Nicolette and other Mediceval Romances and Legends.
Translated from the French bv Eugene Mason (Evervman's Library).
12». 256 S. London, Dent.
Austorc de Segret. — ■ C. Fahre. Le sirventes d' Austorr de Segret I
[In: Annales du Midi. Oct. 1910].
Black Prince. — Life of the Black Prince by the Herald o) iSir John
Chandos ed. from the manuscript in Worcester College with lin-
guistique and historical notes bv Mildred K. Pope and Eleanore
C. Lodge. Oxford at the Clarendon Press 1910. LXII, 256 S. 4,^.
La Changun de Guillelme. Französisches Volksepos des 11. Jahr-
hunderts. Kritisch herausgegeben von Hermann Suchier, 1911.
8. IX, LXXVI, 195 S. Max Niemeyer, Halle a. S. 5 Mk.
La Chastelaine de Vergi. Poeme du Xllle siecle edite p. G. Raynaud.
Paris, H. Champion, 1910. VIII, 31 S. 8 [Les classiques frangais
du Moyen Age].
Crestien. — • S. oben p. 143 Baist.
Daniel, Arnaitt. — R. Lavaud. Les poesies d'Arnaud Daniel [In:
Annales du Midi Octobre 1910].
Deschamps, E. — J. L. Lowes. Chaucer and the Miroir de Mariage
[In: Modern Philologie VIII, 2].
Disciplina Clericalis. — W . Söderhjelm. Bemerkungen ziu' Disciplina
Glericalis und ihren französischen Bearbeitungen [In: Neuphilol.
Mitteilungen 1910, No. 3/4].
Ecbasis captivi. Die Flucht eines Gefangenen. Das älteste Tierepos
des Mittelalters. Im Versmaß der Urschrift ül)ers. v. Emil Greßler.
XII, 89 S. 8*>. Dresden, E. Pierson, 1910. 2 Mk.
L'enjant sage (Das Gespräch des Kaisers Hadrian mit dem klugen
Kinde Epitus). Die erhaltenen Versionen hrsgb. und nach Quellen
und Textgeschichte untersucht von W. Suchier. Dresden. Gesell-
schaft f. rom. Literatur. Halle, M. Niemeyer. XIII, 612 S. 8".
Epitre farcie pour le jour de Saint- Jean [In: Rev. du Traditionnisme.
Juin 1910. S. 93-^95].
Eulalia. — H. Moretus. Les saintc^ Eulalies [In: Revues des Questions
Historiques. Janvier 1911].
Flores oc Blantzejlor. Facsimile de l'edition imprimee par Godfred
Ghenen, Copenhague. 1509. In-12». 1910. Paris, J. Gamber.
Gautier d' Ar ras. S. oben p. 143 Stevenson.
Girard d'Amiens. — E. Krüger. Das Verhältnis der Handschriften
von Girards d'Amiens Roman Cheval de tust. Greifswalder Disser-
tation 1910.
Guy von Warwick. — P. Mau. Gydo und Thyrus. Ein deutscher
Ausläufer des altfranzös.-mittelengl. Freundschaftsromans 'Guy von
Warwick'. Diss. Jena. 69 S. 8«.
152 Novitätenverzeichnis.
Höllenfahrt und Auferstehung. — ■■ A. Graj. Die beiden engeren Fassungen
der altfranzösischen Dichtung in achtsilbigen Reimpaaren über
Christi „Höllenfahrt und Auferstehung". Greifswalder Diss. 1910.
Jardin de Plaisance, Le, et Fleur de Rethorique. Reproduction en
facsimile de l'edition publiee p. Antoine Verard vers 1501. Paris,
Firmin - Didot et lit. Soc. des anc. textes frang.
Jojroi de Watreford. — G. L. Hamilton. The sources of the Secret
des Secrets of Jofroi de Watreford [In: The Romanic Review I, 3].
Johannes de Garlandia. S. oben p. 140 E. Habet.
Huon de Bordeaux. — M. Kinney. Possible traces of Huon de Bor-
deaux in Bngiish Ballad Form [In: The Romanic Review I, 3].
Lancelot. — The Vulgate Version of the Arthurian Romances ed. from
Manuscripts in the British Museum by H. Oskar Sommer. Vol. III
Le livre de Lancelot del Lac. Part I. Washington, The Carnegie
Institution of Washington, 1910.
Leodegar. — M. Fischer. Wie zeigt sich im Vokalismus des altfrz.
Leodegarliedes der Einfluß des provenzalischen Kopisten? Progr.
Iglau. 1909. 9 S. 8".
Miracles de Nostre Dame. S. oben p. 138 Wittmann.
Nicolausmirakel. — S. oben p. 143 Weydig.
Passion. — G. Bertoni. i^ Correzioni al testo della ,,Passione" [In:
Rev. d.i. rom. Nov.-dec. 1910. S. 513-^514].
Psalter. — W. Goedicke über den anglonormannischen Schweifreim-
psalter. Diss. Halle 1910.
Ogier. — ' B. Cerf. The Franco-Italian Chevalerie Ogier [In: Modern
Philologie VIII, 2].
Benard. — D. Corbier. Le Roman du Renard, renonvele des Trouveres.
Paris. Messein. 2 fr. 50.
Bicaut Bonomel. — G. Bertoni. II serventese di Ricaut Bonomel
[In: Zs. f. rom. Phil. XXXIV, 6],
Bnland. ■ — S. oben p. 137 Herthuni.
— H. Bourgeois. Eine baskische Rolandsage [In: Zs. d. Ver. f. Volks-
kunde XX, 2. S. 213 f.].
— Vgl. E. Hojjmann-Krayer. Cysatiana. Volkskundliches aus dem
Kanton Luzern um die Wende des 16. Jahrhunderts p. 238: Die
Bolandhörner [In: Schweizer. Arch. f. Volkskunde XIV, 3. S. 198
bis 245].
— Das Lied von Roland und Kaiser Karl. Deutsch von Werner
Schwartzkopj . Groß-Lichterfelde 1910.
Bosenroman. — E. Langlois Les Manuscrits du roman de la Rose.
Description et classement. Paris, H. Champion. 548 S. 8*^. 12 fr.
[Trav. et Mem. Univ. Lille. Nou velle serie I Droit, Lettres, volume 7].
— E. Stange. Manesse-Codex und Rosenroman [In: Anzeiger für
Schweiz. Altertumskunde N. F. XI, 4].
Sainte Elisabeth. — Vie de sainte Elisabeth de Hongrie (Ms.: Biblio-
theque royale de Belgique ä Bruxelles 10, 295 — '304) [In: Zs. f.
rom. Phil. XXXIV. 6. S. 708-^733].
Saint Franchois. — A. Liedlojj. Über die Vie Saint Franchois [In:
Rom. Forsch. XXIX, 72-^130].
Saint- Bichard. — Vie de Saint-Richard, eveque de Chichester [In:
Revue des langues rom. juillet-octobre 1910. S. 245 — 396].
Siege d'Orange. — Baym. Weeks. Concerning some lines of the Siöge
d'Orange [In: The Romanic Review I, 3].
Sponsus s. oben p. 142 O. Fischer.
Stephansepistel. — Wahlgren, E. G. Quelques remarques sur la forme
creinent dans l'Epitre de Saint-Etienne [In: Rev. de phil. frang.
et de litter. XXIV, 3. S. 205-^209].
Novitälenverzeichnis. 153
Tristan. — G. Sckoepperle. The island (oinput in Tristan [In: Studies
in English and comparative literatures. . . presented to Agnes
Irwin, dean ol' Radrlitfe College. Boston 1910. Ginn].
— ./. Kelemina. Untersuclmngen zur Tristansage. Leipzig, E. Ave-
narius. 3 Mk. [Teutonia. Hgb. von W. Uhl 16].
Cahen, A. Morceaux choisis des auteurs l'ranyais (XVl«", XVI fe,
XVIIIe et XIXe siecles) publies conformement aux programmes
de l'enseignement secondaire, avec, des notices, des notes et un
choix de textes anterieurs au XVle siede; par Albert Gaben. Pre-
mier cycle. Nouvelle Edition, entierement ret'ondue. Paris, Hachette
et Cie., 1910. In-16, XXVIII-847 p. Cartonne, 4 ir.
Contes et Faceties galantes du XVIIle siöcle. Introduction et notices;
par Ad. Van Bever. Paris, L. Michaud, 1910. In-16, 287 p. avec
32 illustrations d'apres les documents de l'epoque et couverture
de Geo Dorival. 3 fr. 50 [Les Moeurs legeres au XVlIIe siecle.
ler Serie].
Du Lis, C. Recueil d'inscriplions et poesies en l'honneur de la pucelle
d'Orleans. Precede d'une introduction par P. Le Verdier. Rouen,
imprimerie Gy. 1910. Petit in-8 carre, XXXII-132 p. avec grav.
et 1 plan che.
Leonard. — Idylles et poenies cliampetres, choisis et precedes d'une
introduction p. Emile Henriot. Paris, Sansot. 1 vol. in-12. 2 fr.
Jeunes (les) Poetes comtois. Textes choisis, accompagnes de notices
biographiques et bibliographiques, Marcel Andre, Andree Bonvalot,
Laetitia Bonvalot, Henry Cariage, Edmond Chapoy, Alexandre
Ghevassus, Edouard Goeurdevey, Maurice Collin, Rene Favre,
Alphonse Gaillard, Marc Liovet, Maurice Merillot, Leon Monnier,
Ernest Pennel, Reconquista, Leon Roy, Gaston Strarbach. Besan-
gen, impr. Jacques, 1910. In-16, 124 p. [Collection de la Jeune
Gomte].
d'Aubigne. — H. Monod. Quelques pages d'Agrippa d'Aubigne [In:
Soc. de l'hist. du Protestantisme franc. Bulletin. Mai-juin 1910.
S. 210—223] (Vgl. ib. Mars-avril 1910^. S. 182).
Balzac, Honore. Aus dem Grabe zurück. Erlebnisse e. französ. Ober-
sten des 1. Kaiserreichs. Nach dem Franz. bearb. v. Susanna
Rehtwisch. 80 S. 1910 [In: Von Buch zu Buch, von Blatt zu
Blatt. Eine Hausbücherei, enth. Erzählgn., Lebensbilder, Dichtgn.
u. belehr. Bücher älterer u. neuerer Schriftsteller. Hrsg. v. Thdr.
Rehtwisch. kl. 8». Leipzig, Turm-Verlag. 77. Jedes Bdchn. 30 Pf.].
— Tante Lisbeth. Übersetzung von Arth. Schurig. 466 S. 8".
Leipzig, Insel-Verlag, 1910. 4,60 Mk.
— Pensees, Sujets, Fragments; Edition originale avec une preface
et des notes de Jacques Crepet. Portrait grave ä l'eau-forte par
G. Noyon. Paris, A. Blaizot, 1910. Grand in-8, XXXIX-172 p.
— H. Clouard. Balzac, pages sociales et politiques. Paris, Nouvelle
librairie nationale. 3 fr. 50.
— Le Pere Goriot. Paris, A. Lemerre, 6 fr.
Baudelaire, Ch. Pages de Garnet p. p. M. Feli Gautier [In: Mercure
de France 16 dec. 1910].
Beaumarchais. — M. Rouff. ün opera politique de Beaumarchais
(suite et fin) [In: La Revolution francaise XXX, 4. S. 333—358].
Bossuet. Sermons choisis. Traite de la concupiscence. Notices,
annotations, par Henri Clouard. 14 grav. Paris, Larousse. Petit
in-8, 199 p. 1 fr.
— Oraisons funebres. Notices, annotations, par Henri Clouard.
14 grav. dont 2 hors texte. Paris, Larousse. Petit in-8, 212 p. 1 fr.
1 54 Novitätenverzeichnis.
Bourdaloue. — Une trente-septieme lettre de B. [In: Documents
d'hist. Mars 1910 (n«. 1)].
Chapelain. — A. L. Bernhard. Die Parodie „Chapelain decoiffe'.
XII, 46 S. [Münchener Beiträge zur rom. ii. engl. Phil. Hrsg. v.
H. IBreymann u. J. Schick].
Chateaubriand. Viaggio in Italia (1803 — ^1804), aggiuntevi pagine dai
Martiri e dalle Memorie d'oltretomba. Traduzione, prefazione e
note di Giovanni Rabbizzani. Lanciano, R. Carabba, 1910. 144 S.
16*^. L. 1 [L'Italia negli scrittori stranieri, n*^ 1].
Chateaubriand, Coriespondance de, publiee avec introduction, indication
des Sources, Notes et Tables doubles par L. Thomas. Paris, H.
Champion. (Sous presse et en souscription. L'edition paraitre a
raison de deux volumes par an. Elle formera environ 5 volumes
in-8 raisin de 400 pages chacun ä 10 fr.) Aus dem von der Ver-
lagshandlung versandten Prospekt sei hier der folgende Passus
mitgeteilt und zur Beachtung empfohlen: Un Supplement reunira
les lettres encore inconnues de l'editeur et qui seront venues grossir
le recueil pendant l'impression de la correspondance. Et ä ce
propos nous faisons ici un dernier appel tout special aux collection-
neurs d'autographes. Nous serons tres reconnaissant pour toute
communication qui pourra nous etre faite ä propos de lettres inedites
ou dejä imprimees dans des publications ignorees. Chateaubriand
appartient au patrimoine de la France; nous esperons que les
amateurs et lettres auront ä coeur de nous aider dans notre täche
difficile. II sera fait mention de leurs genereuses Communications.
— E. Dick. La traduction du «Paradis perdu» de Chateaubriand
[In: Rev. d'Hist. litt, de la Fr. XVII, 4].
— Pages choisies. La Correspondance. Les premiers Essais. Les
Chefs-d'CEuvre. Les Ecrits de la Restauration. Les dernieres
Oeuvres. Les "Memoires d'Outre-Tombe". Avec une introduction,
des notices et des notes p. Victor Giraud. Paris, Hachette et Cie.
3 fr. 50.
Chenier. A. (Euvres completes p. p. P. Dimoff. II. Poemes. Hymnes.
Theätre. Paris, Ch. Delagrave. 3 fr. 50.
Coppee, Fr. L'honneur est sauf (drame inedit) [In : Revue de Paris
ler juin 1910].
Cormenin. — Lettre inedite de Maxime du Camp [In: Annales Ro-
mantiques VII, fasc. 7, juillet-octobre 1910. S. 277 ff.].
Cyrano Bergerac, Savinien de. L'autre monde ou Les etats et empires
de la lune. Nach der Pariser und der Münchener Hdschr., sowie
nach dem Drucke von 1659 zum ersten Male kritisch hsg. von
L. Jordan. Dresden. Gesellsch. f. roman. Literatur. Halle,
Niemeyer. 246 S. Gr. 8».
Delille. — L. Maigron. Un manuscrit inedit de Remard sur Delille.
Remarques sur les «notes» des «Georgiques» [In: Rev. d'Hist. litt,
de la Fr. XVII, 4].
Dumas jils. — S. oben p. 140 Hörner.
Du Noyer, Mme, — Memoires et Lettres galantes de Mme Du Noyer
(1663 — 1720). Avant-propos et notes par Arnelle. 25 illustrations
d'apres les documents de l'epoque. Paris, L. Michaud, 1910.
In-16, 288 p.
Flaubert, Gust. Der Roman e. jungen Mannes. (L'Education senti-
mentale.) Mit e. Vorrede von Hugo v. Hofmannsthal. Deutsch
V. Alfr. Gold u. Alphonse Neumann. 2. Aufl. VII, 555 S. 8^
Berlin, B. Cassirer, 1910. 5 Mk.
— (Euvres completes de Gustave Flaubert. Madame Bovary. Mceurs
de province. Paris, L. Conrad, 1910. In-8, XXVI-631 p. avec
Portrait et fac-simile d'autographes. 2 fr.
Novitätenverzeichnis. 1 55
Flaubert, Gast. (Euvres completes. Correspondance. Ire serie
(1830—1850). Paris, L. Conrad, 1910. In-8, XLI-475 p. avec
Portrait. 8 fr.
— La premiere ,,Ediication sentimentale" [In: Rev. de Paris 15 nov.
ler et 15 decembre 1910. 1 janv. 1911].
— Flaubert, des pages inedites de [In: La Revue ler octobie 1910].
Gautier, Th. — Zwei Gedichte von Theophile Gautier. Ins Deutsche
übertragen von Johannes Schürmann [In: München. Allgemeine
Zeitung. 3. Sept. 1910] (I. Die Turmuhr. II. Diamant des Herzens).
Heredia, J.-M. de. — R. Thauzies. Etüde sur les sources de J.-AI.
de Heredia [In: Rev. d. 1. rom. Nov.-dec. 1910. S. 461—512].
Heroet. — F. Gohin. Une poesie inedite d'Antoine Heroet: «Description
d'une femme de bien» [In: Rev. d'Hist. litter. de la France XVII, 4].
Hugo, V. Les Chätini'i-nts; par Victor Hugo. Paris, Impr. nationale.
P. Ollendorff, 1910. Grand in-8. 545 p. avec portraits et tac-similes
[CEuvres completes. Poesie. IV].
Lamennais. — P. Dudon. Lettres inedites de Lamennais ä Ventura
(suite) [In: ßtudes des Peres de la Compagnie de Jesus. 20 avril.
5 juin 1910].
Le Sage, Alain Rene: Der hinkende Teufel. In der Übersetzg. von
G. Fink, ntu hrsg. u. eingeleitet v. Otto F'ake. Einband, Titel-
zeichnungen u. 21 Initialen v. Emil Preetorius. VIII, 314 S. m.
Abbildgn. 8». München, G. Müller, 1910. 9 Mk.
— Histoire de Gil Blas de Santillane; Avec une notice biographique,
un vocabulaire et des explications grammaticales. Varsovie.
Karbasnikov. E. Wende et Cie. In-16, IX-128 p. avec grav.
60 kopeks [Editions illustrees Neygroud et Delacroix].
Mairel, J. de., s. oben p. 140 Rieser.
Maupassant, G. de. (Euvres completes de Guy de Maupassant. Theätre.
Une repetition. Histoire du vieux temps. Musotte. La Paix du
menage. Paris, L. Conrad, 1910. In-8, 267 p. 5 fr.
Merimee. — ■ Lettres de Merimee ä Estebanez Calderon [In: Rev. bleue
19 nov. 1910].
Mery. — ■ Lettre inedite ä Pitre-Chevalier [In: Annales Romantiques
VII, fasc. 7, juillet-octobre 1910. S. 276].
Moliere. — L. Tönse. CoUey Ciller's Comedy ,,The Refusal, or the
Ladies Philosophy" in ihrem Verhältnis zu Molieres ,,Les Femmes
Savantes". Diss. Kiel 1910. 76 S. S».
Montaigne. — J. de la Rouxiere. Les editions des ,, Essais de Mon-
taigne" [In: Rev. de la Renaissance. Oct.-dec. 1910].
Montesquieu. CEuvres. T. ler; Lettres persanes; t. 2: Grandeur et
Decadence des Romains. L'Esprit des lois. Paris, J. Gillequin
et Cie. 2 vol. in-16. T. ler, 254 p.; t. 2, 207 p. [Tous les chefs-
d'ceuvre de la litterature frangaise].
Musset, Ä. de. Lettres inedites p. p. J. Monval [In: le Correspondant.
10 mars 1910].
— Eugene Philippe. Du Musset inedit [In: Annales Romantiques VII,
fasc. 7, juillet-octobre 1910. S. 284—287] (Aus: Journal de Geneve).
— (Euvres complementaires. Reunies et annotees p. M. Allen.
Paris. Editions du Mercure de France. 3 fr. 50.
Prevost, Abbe. Die Geschichte der Manon Lescaut und des Chevalier
des Grieux. 2. Aufl. der von Jul. Zeitler besorgten Übertragg.
Die [4 Voll]Bilder zeichnete Frz. V. Bayros.) 289 S. kl. 8*^. Leipzig,
Insel-Verlag, 1911. 4,50 Mk.
Rabelais. CEuvres T. ler : Gargantua. Paris, <<la Renaissance du livre»,
libr. J. Gillequin et Cie. In-16, 252 p. [Tous les chefs-d'oeuvre
de la litterature frangaise].
156 Novitätenverzeichnis.
Rabelais. Lettres ecrites d'Italie par Frangois Rabelais (Decembre 1535
bis Fevrier 1536). Nouvelle edition critique, avec une introduction,
des notes et un appendice p. V.-L. Bourrilly. Paris, H. Champion,
1910 [Publication de la Soc. des fitudes Rabeiaisiennes].
— Rabelais pour la jeunesse. Texte adapte p. Marie Butts. lUustra-
tions en noir et en couleurs de Fernand Fan. 3 vol. Paris, Librairie
Larousse. 7 fr. 50.
Racine. — ,,Dix sonnets attribues ä Racine, publies par l'abbe Joseph
Bonnet, d'apres un manuscrit inconnu de la bibliotheque imperiale
publique de Saint-Petersbourg" [In: Le Correspondant. 10 sept.
1910] (Vgl. auch Claretie im Temps, 30 sept. 1910).
Richepin s. oben p. 137 Hartmann.
Ronsard. — E. Faral. Sur deux manuscrits du Livre II de la «Fran-
ciade» [In: Rev. d'Hist. litt, de la Fr. XVII, 4].
Rostand, E. CEuvres illustrees. Fase, ler ä 13. Gyrano de Bergerac,
comedie heroique en cinq actes et en vers. Fase. 14. Gyrano de
Bergerac (fin). Les Romanesques (commencement). lUustrations
en couleurs et en noir, dans le texte et hors texte, de MM. Frangois
Flameng, Albert Besnard, Aug. F. Gorguet et Paul-Albert Laurens.
Paris, P. Lafitte et Cie. 14 fasc. in-4, p. 1 ä 268 et 1 ä 12. Ghaque
fasc, 60 Cent.
Rousseau, J.-3. s. oben p. 140 Schütte.
— Lettres inedites ä Mmes Boy de la Tour et Delessert comprenant
les lettres sur la botanique p. p. Ph. Godet et M. Boy de la Tour.
Paris, Plon-Nourroit et Gie. 20 fr.
— Quelques lettres de J.-J. Rousseau (1766 — 1769) p. p. Th. Dufour,
Directeur honoraire des Archives et de la Bibliotheque de Geneve.
Geneve, Imprimerie Albert Kündig, 1910.
— La Nouvelle Heloise et son influence sur Goethe p. E. Vermeil
[In: Revue de l'enseignement des langues Vivantes. XXVII].
Sales, Frz. v. Philothea od. Anleitung zu e. gottsei. Leben. Aus dem
Franz. übers, u. m. e. Anh. der notwend. Gebete versehen von
D. J. Becker. 4. neuverb. Aufl. 672 S. 13,2X7 cm. Sarlouis,
F. Stein Nachf., 1910. 1,20 Mk.
Senancour, Lettres au Directoire p. p. ./. Merlant [In: Rev. d'Hist.
litter. de la Fr. XVII, 4].
Taine, H. Les Origines de la France contemporaine. Index general
des 11 vol. Paris, Hachette et Gie., 1910. In-16, 140 p. 1 fr.
— Die Darstellung des Individuums in den ,, Origines de la France
contemporaine". Ein Beitrag zur Technik der historischen Kunst
von Karl Fritzsche. Leipzig 1910. R. Voigtländers Verlag [Bei-
träge zur Kultur- und Universalgeschichte, hrsgb. von K. Lam-
precht, XIII].
— W. Hentschel. H. Taines Erkenntnistheorie in ,,De l'InteUigence"
(Darstellung und Beurteilung). Diss. Erlangen 1910. 60 S. 8».
Tinayre. — Seydel. Die Hauptwerke von Marcelle Tinayre [In: Zs. f.
frz. u. engl. Unterricht. IX, 4 u. 6].
Vrje, Honore d' — L'Astree de Messire Honore d'Urfe. Nouvelle
edition. Specimen. Premiere partie. Livres I, II et III. Et se
donne cliez Huguez Vaganay 3, Rue Aguste Gomte, Lyon. 120 S.
8^ [En Souscription].
Villon, Fr. (Euvres p. p. Un ancien archiviste. XVI, 124 p. in-8*.
Paris, H. Champion. 2 fr.
Voltaire. Lettres philosophiques p. p. H. Labroue. Paris, Delagrave.
3 fr. 50.
— Lettres inedites, de Voltaire ä GoUini et ä Marin [In: Rev. d'Hist.
litt^r. de la France XVII, 4].
Novitätenverzeichnis. 157
Voltaire. Merope. Trauerspiel. In deutscher Nachdichtg. v. Rieh.
Rieß. -Mit dem Bilde Voltaires u. e. Vorbemerkg. des Übersetzers.
VIII, 53 S. 1910. 60 Pf. [Bibliothek der Gesamtlit. des In- u.
Auslandes 2186].
— Une lettre inedite de V. p. p. C. Latreille [In: Rev. d'Hist. litt,
de la Fr. XVII, 3. S. 616].
— Lettres inedites de V. [In: La Revue. 1«" novembre 1910].
8. Oeschichte imd Theorie des Unterriclits.
Blocher, E. Über Schädigungen der Schüler durch Fremdsprachen-
unfug [In: Pädag. Archiv LH, 10].
Boiwier, B. La lecture analytique [In : Die neueren Sprachen, XVIII, 6].
Eidam. Zur Frage der Trennung von Französisch und Englisch beim
Studium und bei der Prüfung der Neuphilologen [In: Zs. f. franz.
und engl. Unterricht, IX, 5].
Flury, Th. Soll an den oberen Klassen der Mittelschule der Unterricht
in der fremden Literatur systematisch oder im Anschluß an die
Lektüre erteilt werden [In: Die neueren Sprachen. Oktober 1910].
Herlet, B. ■ Über die Verwendung eines neusprachlichen Wortvorrats
im neusprachlichen Elementarunterricht [In: Die neueren Sprachen
XVIII, 4].
Jeanroy, A. Les etudes meridionales ä la Sorbonne de 1830 — 1905
[Aus: Revue Bleue. Febr. 1910].
KöUenberger, B. Sprachgeschichtliche Fragen im französischen Unter-
richt an lateinlosen Schulen. Progr. Oberrealschule Heidelberg.
34 S... 4".
Kuniz. Ästhetik und Schule: der ästhetische Wert der französischen
Sprache für den Unterricht [In: Zeitschr. für lateinlose höhere
Schulen XXII, 1].
Münch, W. Lebende Sprachen und lebendiger Sprachunterricht
[In: Die neueren Sprachen XVIII, 4].
Schiedermair , R. Über die Ausbildung der bayerischen Neuphilologen
im pädagogischen Seminar [In: Pädagog. Archiv LH, 9].
Schmidt. Freuden und Leiden einer assistante allemande [In: Zs. f.
frz. u. engl. Unterricht IX, 6].
Terrin, Ch. La methode objective et la Sorbonne [In: Mercure de
France ler janv. 1911].
». liChrmittel fiir den französischen Unterricht.
a) Grammatiken, Übungsbücher etc.
Auge, C. Deuxieme livre de grammaire. Regles. Exceptions. Re-
marques. Syntaxe. Exemples. Questionnaires. 600 exercices.
200 dictees ou poesies. Analyse grammaticale. Analyse logique.
Synonymes. Antonymes. Homonymes. Derivation. Periphrases.
Proverbes, etc. Narrations. Redactions d'apres l'image. Lettres.
Livre de l'eleve. Illustre de 170 grav. Paris, Larousse. In-12,
p. 80 Cent.
— Troisieme livre de grammaire. Derivation. Parties du discours.
Analyse. Syntaxe. Redactions. Litterature frangaise. 1500 exer-
cices.' 220 grav. Livre du maitre. Paris, Larousse. In-12, 886 p.
4 fr.
Baconnet, G. et C. Grillet. Grammaire frangaise pour toutes les classes.
Lyon, E. Vitte. Paris, libr. de la meme maison. In-18 Jesus, 357 p.
Beck, Christoph. Französische Orig. -Texte zu den Stilübungen nebst
Hinweisen auf die französische Stillehre und Synonymik. IV, 111 S.
8^. Nürnberg, F. Korn, 1910. 2,50 Mk.
1 58 Novitätenverzeichnis.
Beck, Christoph. Französische Stillehre nebst Svnonvmik für höhere
Lehranstalten. VI, 114 S. S». Nürnberg, F. Korn, 1910. 1,50 Mk.
Böddeker, Ä., H. Bornecque, R. Erzgraeber. Französische Schulgram-
matik. (Böddeker-Bornecque-Erzgraeber: Französisches Unter-
richtswerk. 143 S. 8^. Leipzig, G. Frey tag, 1910. Geb. 2 Mk.;
m. e. Anh. f. Lateinanstalten. 149 S. Geb. 2 Mk.
Übungsbuch für höhere Mädchenschulen. (Böddeker-Bor-
necque-Erzgraeber: Französisches Unterrichtswerk.) 1. Tl.: Kl. IV.
108 S. m. Abbildgn. 8". Leipzig, G. Freytag, 1911. Geb. 1,50 Mk.
, . — Übungsbuch für höhere Mädchenscliulen und Studien-
anstalten. (Böddeker-Bornecque-Erzgraeber: Französisches Unter-
richtswerk.) II. Tl.: Kl. III der höheren Mädchenschulen (bezw.
Illb der Studienanstalt). 99 S. m. Abbildgn. 8«. Leipzig, G. Frey-
tag, 1911. Geb. 1,50 Mk.
Boerner, Otto. Lehrbuch der französischen Sprache. Mit besonderer
Berücksicht. der Übgn. im mündl. u. schriftl. freien Gebrauch der
Sprache. Unter Mitarbeit von St. v. Napolski und M. v. Napolski.
Vereinfachte Bearbeitg. der Ausg. B f. Mädchenschulen. 8*^. Leipzig,
B. G. Teubner. V. Tl. (Syntax). Mit 1 Hölzelschen Vollbild:
,, Paris", 8 Ansichten v. Paris, 1 (färb.) Plane v. Paris, 1 (färb.)
Karte v. Frankreich u. 1 französ. Münztafel. Hierzu als Beiheft
in Tasche: Abrege d'histoire de la litterature frangaise. 2., fast
unveränd. Doppelaufl. VIII, 272 u. 42 S. 1910. Geb. in Leinw.
u. geh. 3,20 Mk.
Boerner, O. — R. Dinkler. Lehr- und Lesebuch der französischen
Sprache. Mit besond. Bercksicht. der Übungen im mündl. und
schriftl. freien Gebrauch der Sprache. Ausg. f. preuß. Mittelschulen,
imter Mitarbeit v. Bürgersch.-Dir. Dr. Herm. Heller neu hrsg. IL Tl.
1. Aufl. der Neubearbeitg. (Boerners französ. Unterrichtswerk.)
Mit 4 Taf., 1 färb. Münztaf. u. 9 Bildern im Text. IV, 200 S. 8«.
Leipzig, B. G. Teubner, 1910. 2.-. Mk.
Bouilloi, V. Le Frangais par les textes. Lecture expliquee. Gram-
maire. Orthographe. Vocabulaire. Composition frangaise. Coure
moyen, certificat d'etudes. Paris, Hachette et Cie. 1910. In-16,
IV-412 p. avec grav. Cartonne, 1 fr. 50.
Briet, A. L. Französische Sprachlehre. Mäcon, impr. Protat freres.
1910. In-8 oblong non pagine [Moderne sprach-lehr-Mebhode].
Buckelerj, Jos. Die Absolutorialaufgaben f. die französische bezw.
englische Sprache, gegeben an den Oberrealschulen Bayerns.
Als Übungsstoff f. d. 9. Klasse dieser Anstalten zusammengestelU.
33 S. 8». Nürnberg, G. Koch, 1910. —.50 Mk.
Cours d'analyse grammatfcale et logique et Exercices d'analyse et de
Synthese grammaticales; par Une reunion de professeurs. Livre
du maitre. Tours, Mame et fils. Paris, Ve C. Poussielgue; chez
les principaux libr. In-12, XII-204 p. [CoUection d'ouvrages
classiques rediges en cours gradues, conformement aux programmes
officiels].
Coindre, A. Cours pratique de la langue frangaise, grammaire et
composition. Cours elementaire, Etüde des mots et de la phrase,
Exercices d'invention, Exercices de langage. Redactions sur
questions. Redactions, sur Images. Petites compositions, Textes
pour lectures, dictees, recitations, explications, redactions. Livre
du maitre. Paris, G. Beauchesne et Cie. 1910. In-18 Jesus, 378 p.
avec grav. [CoUection A. Coindre].
Crouzet, P., G. Berthet, M. Galliot. Methode frangaise et Exercices
illustres. 6e et 5e (gargons). Ire, 2e, 3e annees (filles). Enseigne-
ment primaire superieur. ler volume. 30 illustrations de Ber-
nard Naudin, 24 tableaux du musee du Luxembourg. Paris,
Nonläletwerzeichnis. 159
H. Didier, 1910. In-Ki, XVI-;n8 p. 2 fr. flO [Cours simplo et
complet de langue fran(^'aise].
Dessaint, L. et C. Jainarl. La Langue Iran^'aiso. Le .\Iot. La Pro-
position. La Phrase. Le Paragraphe. La Compositioa. Notions
grammaticales, Etymologie, Orthographe d'usage et de regles,
Vocabulaire, Analyse et Synthese de propositions et de phrases,
Elociition et Composition fran(,'aise. Cours rnoyen et snp<5rieiir.
Paris, A. Lesot. In-16, IV-31 p. aver fig.
Dodeman, E. L'Enseignement du fran(?ais par la inetliode directe.
Premiers exercices ecrits: Vocabulaire et Orthographe. Phrases ä
composer. Premiers Elements de grammaire. Livre de l'eleve.
Paris, Aleide Picard. 1910. In-12, 112 p. 60 cent. [CoHection
Edouard Petit. Cours preparatoire].
Dubray, G. L'Allemand a son frangais. que le Frangais ne connait
pas. Liste de termes d'apparence frangaise, et qui ne sont pas
trangais. 2. ed. 15 S. 8". Vienne, 1910. Wien, Gerold &: Co.
— .50 Mk.
Egli. Konjugations-Tabelle. — Tableau de conjugaison. Vergrößerte
Wiedergabe aus Egli, Bildersaal f. den Sprachenunterricht, Heft 2.
1 Bl. in Rot- u. Schwarzdr. 74x100 cm. Zürich, Art. Institut
Orell Füssli. 1910. —.60 Mk.
Fetter, J. und K. Ullrich. La France et les Fran^ais. I^ehrgang der
französischen Sprache für Mädchenlyzeen und verwandte Lehr-
anstalten. 2. Teil. 4., umgearbeitete Auflage. Mit 10 Abbildungen
und einer farbigen Karte von Frankreich. Wien 1910. A. Pichlers
Witwe & Sohn. Preis geb. 2 K.
Gertach, Rud. Verzeichnis der französischen unregelmäßigen Verben,
vollständig conjugiert. Ein Lern- und Nachschlagheft f. Kaufleute,
Beamte, Schüler u. jeden anderen Interessenten (!). 2. Aufl. 32 S.
kl. 8». Apolda, Selbstverlag, 1910. (Nur direkt.) —.50 Mk.
Gouin, F. Langage objectif. Les Series domestiques et champetres.
Publication du cours de langue etrangere donne en 1885 ä l'Ecole
normale des instituteurs de la Seine sous les auspices du ministre de
rinstfuction publique. Texte francais. Fascicule l^r. Paris,
Fischbacher, 1910. In-16, X-147 p. 2 fr. 50. [L'Art d'enseigner et
d'etudier les langues.]
Kehr, Jos. u. Gisb. van Moll. Lehrgang der französischen Sprache für
Knaben- und Mädchen-Mittelschulen. 1. Tl. Elementarbuch der
französ. Sprache. XII, 221 S. 8^'. Bielefeld, Velhagen & Klasing,
1910. 2.— Mk.
Larousse, P. Exercices d'orthographe et de syntaxe appliques numeros
par numeros ä la grammaire complete et ä la grammaire supe-
rieure. Livre du maitre. Paris, Larousse. In-12, 300 p. 2 fi'.
[Methode lexicologique Larousse].
Letz, K. u. L. Limacher. Französisches Übungsbuch. Zeichnungen
(im Text u. auf 1 färb. Taf.) v. H. Moser. XII, 244 S. 8'\ Straß-
burg, F. Bull, 1910. 2.^ Mk.
Maquet, C. et L. Fiat. Cours de langue frangaise. Grammaire et
Exercices. Redige conformement aux programmes du 31 mai
1902, aux dernieres instructions ministerielles et ä l'arrete ministeriel
du 25 juillet 1910 relatif ä la nouvelle nomenclature grammaticale.
Premier degre complementaire. Gargons. Classe de 8^. Jeunes
filles. 3e annee primaire. Paris, Hachette et Cie. 1911. In-16,
144 p. avec illustrations. Cartonne, 1 fr. 25.
Maquet, C. et L. Flot. Cours de langue frangaise. Grammaire. Redige
conformement aux programmes du 31 mai 1902 et aux dernieres
instuctions ministerielles. Troisieme degre. Gargons. Classes
160 Novitätenverzeichnis.
de 66, 5P et 4e. Jeunes filles. 3e et 4e annees secondaires. Paris,
Hachette et Cie. 1910. In-16, 239 p. Cartonne, 1 fr. 50.
Methode Alvincy. Enseignement direct et rationnel des langues.
Direkter und rationeller Sprachunterricht. Deutsch-Französisch —
Frangais-Allemand. La vie intellectuelle et morale. Das geist.
u. sittl. Leben. VIII, 184 S. kl. S». Leipzig, O. Holtzes Nachf.
1910. 2.40 Mk.
Meyer, F. Grammatisches Wörterbuch der Iranzösischen Sprache.
IV, 334 S. .kl. 8«. Hannover, C. Meyer, 1910. geb. 2.50 Mk.
Müller, Aug. Übungsbuch zum Obersetzen aus dem Deutschen in
das Französische. 141 S. 8». Leipzig, G. Freytag, 1910. 1.80 Mk.
Neyroud, C. et iV. Delacroix. Cours de langue frangaise par la methode
directe, dispose conformement aux nouveaux programmes du
ministere de l'instruction publique et du ministere des finances.
2e partie. Varsovie, Karbasnikov, E. Wende et Cie. In-8 187 p.
avec grav.
Notions usuelles d^eiymologie, suivies d'exercices pratiques ä i'usage
des classes de l'enseignement secondaire et des cours complementaire
et superieur de Fenseignement primaire; par Une reunion de prol'es-
seurs. Tours. A. Marne et fils, et chez les principaux libr. In-16,
112 p. [Collection d'ouvrages classiques rediges en cours gradues.
conformement aux programmes olficiels].
Otto, Emilio, y Gustavo Kordgien. Gramätica sucinta de la lengua
francesa acompanada de numerosos ejercicos de traducciön y lectura
para el uso de los principiantes. (Mt§todo Gaspey-Otto-Sauer.)
5. ed., enteramente rehecha por Lic.-Prof. F. Tanty. VI, 185 S.
mit 1 färb. Karte und 1 färb. Plan. 8"^'. Heidelberg, .1. Groos,
1910. geb. 2.— Mk.
Riha, Ernst. Französisches Lehr- u. Lesebucli f. Mittelschulen. Mit
96 Abbildungen und 1 färb. Münztab. Einteilige Ausg. 2., von
.1. Ellinger umgearb. Aufl. 182 S. 8«. Leipzig, G. Frevlag, 1910.
1.80 Mk.
Roßmann, Ph. u. F. Schmidt. Lehrbuch der französischen Sprache aut
Grundlage der Anschauung. Ausg. C. Für höhere Mädchenschulen.
III. Bd.: Klasse 4—1. X, 299 S. m. Abbildgn. 8». Bielefeld,
Velhagen k Klasing, 1910. 2.80 Mk.
Sieblist. Lehrbuch der französischen Sprache 1. die deutschen Post-
und Telegraphenbeamten. Zum Selbstunterricht in der französ.
Umgangs-, Schrift- u. Amtssprache, sowie namentlich zur Vor-
bereitung auf die Assistenten- und Sekrelärprüfungen der Reichs-
Post- und Telegraphenverwaltung. In 2 Teilen nebst einem Fremd-
wörterbuch und einem Postlesebuch. I. einführ. Tl. 3., verb.
Aufl. XIV, 285 S. Nebst Schlüssel. 50 S. 8". Leipzig, B. G.
Teubner, 1910. 3.— Mk.
Sokoil, Eduard u. Ludw. Wyplel. Lehrbucli der französischen Sprach;^
f. Realschulen und verwandte Lehranstalten. V. Tl. Französische
Sprachlehre. Ausg. A.: Ungekürzte Fassg. 3. — 7. Scluilj. XI,
356 S. gr. 8". Wien, F. Deuticke, 1910. 4.— Mk.
— dasselbe. V. Tl. Französische Sprachlehre. Ausg. B: Gekürzte
Fassg. IX, 206 S. gr. 8«. Ebd 1910. 3.— Mk.
— dasselbe. Ausg. f. Realgvmnasien, bearb. von Dr. Rieh. Weinert.
2. Tl. IV, 151 S. gr. 8»."^ Ebd. 1910. 2.— Mk.
Tajel zur Einübung der französ. Konjugation. Von R. .Tahnke.
60,5x85 cm. Farbdr. Mit Text auf der Rückseite. Leipzig,
B. G. Teubner, 1910. Auf Leinw. m. Stäben 3,20 Mk.
Voelkel, T. Französisches etymologisches Lesebuch, nach Wort-
familien geordnet f. den Gebrauch der oberen Klassen höherer
Lehranstalten sowie zum Selbstunterricht. 1. Heft. Die Familien
Novitätenverzeichnis. 161
der unrogolmäß. Vei'beii. 2. uiivoränd. Aiisg-. 88 S. 8". Hannover,
C. Meyer, 1911. 1.25 Mk.
Vogel, Chr. Manuel de conjugaison des verbes irreguliers l'rangais.
5. ed., revue et augnientee. 72 S. 8*^. Leipzig, G. A. Gloeckner,
1910. 1.— Mk.
Werner, A. Gymnastiquo du voeabulaire Irangais (Französiscli-
deutsches Wörterverzeicluiis). Ililfshiich zum Gebrauch für die
oberen Klassen der Mittelschulen. Wien, 1911. F. Tempsky.
Preis geb. Mk. 2.60 = K. 3.20.
Wolter, Eug. Französisch in Laut u. SchrifL Ein Lehrbuch 1'. höhere
Schulen. \. Tl. Mit 1 MünztaT. Nebst Wörterverzeichnis. XVI,
II, 288 u. t)S S. S". Berlin, Weidmann, 1910. 3.40 Mk.
b) Literaturgeschichte, Realien, Schulausgaben, Lesebücher.
Prrcis d'hisloire liUeraire. Litterature Irancaise suivie d'un apergu des
litteratures etrangeres anciennes et modernes; par Une reunion
de professeurs. Tours, A. Marne et fils. Paris. Ve G. Poussielgue,
et chez les principanx libi-. 1911. In-16, VIII-431 p. [Collection
d'ouvrages classitiues rödiges en coiirs gradues, conformement aux
programmes oificiels].
Roustan, M. La litterature francaise pai' la dissertation. III: Le dix-
neuvieme siede. Pairs, P. Delapkine. 5 l'r. (Un vol. in-12, conte-
nant 1235 sujets accompagnes de plans de developpements, de
conseils, et d'indications de lectures recommandees).
Lescar. Ch. La divisinn et l'organisation du territoire l'rancais. Bei'lin,
Weidmann. 1910. X. 230 S. 8». Mk. 4.—.
Äuteurs jrancais. Wörterbuch. 8^*. Trier, J. Liiitz. XVIII Wershoven:
Conteurs modernes. 45 S. 1910. 20 PL
Bornecque, Henri et Josejine Weissei. Le l'rancais parle. Recueil de
morceaux recapitulant, d'une maniere systematique, le vocabulaire
usuel. 84 8. m. 33 Abbildgn. 8». Vienne 1911. Wien, F. Tempsky.
— Leipzig, G. Freytag, 1911. Geb. 1,20 Mk.
Collection Te.ubner. Publice ä l'usage de Fenseignement secondaire
par F. Doerr, H. P. Junker, M. Walter. 8<\ Leipzig, B. G. Teubner.
3. Moliere: Les temmes savantes. Comedie. Publice et annotee en
collaboration avee H. P. Junker par Henri Bornecque. Texte et
notes. IV. 78 u. II, 72 S. m. Bildnis. 1910. 1 Mk.; geb. u. geh.
1,30 Mk. 4. Flaubert, Gust. Un coeur simple. Publie et annote en
collaboration avec Mme. Meyer-Harder par J. Anglade. Texte et
notes. Avec 3 gravures et 1 carte. IV, 41 u. II, 28 S. 1910. 80 PL
— dasselbe. Publice par F. Doerr, L. Petry. 8". Ebd. 5. Cirot, G.
Le midi de la France. I. Le midi et le sud-ouest. Morceaux choisis
et annotes en collaboration avec L. Petry. Texte et notes. Avec
8 gravures et 1 carte. VI, 72 u. II, 36 S. 1910. 1 Mk.; geb. u. geh.
1,30 Mk. 6. Dasselbe. IL La Provence et la Corse. Texte et notes.
Avec 8 gravures et 1 carte. VI, 75 u. II, 36 S. 1910. 1 Mk.; geb.
u. geh. 1,30 Mk. 7. Cointot, H. L'annee terrible. Morceaux
choisis et annotes en collaboration avec A. Sturmfels. Texte, et
notes. Avec 4 gravures et 1 carte. IV, 118 u. IV, 52 S. 1910.
1,30 Mk.; geb. u. geh. 1,60 Mk.
Cury, Camille. Le petit Frangais. Livre de lecture et de conversation
.sous la forme dialoguee, ä l'usage des ecoles secondaires d'AlIemagne,
des ecoles normales d'instituteurs et d'institutrices, des ecoles
superieures de jeunes filles et des candidats ä l'examen des „Mittel-
schulen". 145 S. 8". Leipzig, G. Freytag. — Wien, F. Tempsky,
1911. Geb. 2 Mk.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII-. 1]
162 Nocitätenoerzeichnis.
Dieslerweg'?~ neusprachliche Reformausgaben, lirsg. v. Prof. Dr. Max
Frdr. Mann. 8». Frankfurt a. M., M. Diesterweg. 20. Robert-
Dumas, A., u. Ch. Robert Dumas. Petites Frangaises. Scenes de la
vie familiere. VII, 64 S. 1910. Geb. 85 Pf.
Jugendbücher, fremdsprachliche, illustrierte. Hrsg. v. Fr. Wittmann,
G. Schmidt, kl. 8*». Heidelberg, Carl Winter. Geb. jeder Bd. 1 Mk.
6. Recits du moyen age. Hrsg. v. G. Schmidt, illustr. v. Fr. Hein.
IV, 77 S. m. 6 Farbdr. 1910.
La Fontaine. Fahles. Edition revue et corrigee, enricliie de notes
nouvelles; par M. D. S., dans iaquelle on aper^oit d'un coup d'oeil
la moralite de la fable, ä l'usage de la jeunesse. Tours, A. Marne
et fils. In-18, 340 p.
Meyrac, A. Les Romans de nos aieux. La Clianson de Roland. La
Chanson d'Antioche. La Bataille de Hastings. Les Aventures de
Girart de Roussillon. Le Roman de Tristan et Yseult, etc. Paris,
Aleide Picard, 1910. Grand in-8, 284 p. avec grav. 3 fr. 20 [Collec-
tion Aleide Picard. Bibliotheque d'education litteraire].
Morceaux choisis des auteurs frangais du moyen äge ä nos jours (842
bis 1900), prepares en vue de la lecture expliquee; par Ch. M. des
Oranges. Paris, A. Hatier, 1910. In-12, XII-1411 p.
Hötigers, B. Recueil de poesies franyaises du 19me siecle, precede
d'un choix de fahles de Lafontaine. Für den Schulgebrauch hrsg.
309 S. m. 19 Abbildgn. 8". Leipzig, G. Frevtag. — W^ien, F. Tempsky
1910. 2,50 Mk.
S'andeau, Jules. Mademoiselle de La Seigliere. Lustspiel. Für den
Schulgebrauch hrsg. v. O. F. Schmidl. 9 u. 132 S. 8". Leipzig,
G. Freytag. — Wien, F. Tempskv, 1910. Geb. 1,60 Mk. ; Wörter-
buch. 40 S. 1910.
Schindler, C. Choix de poesies franyaises. 44 S. 8*^*. Bei-ne, A. Francke,
1911. 70 Pf.
Schrijtsteller, englische und französische, der neueren Zeit. Für Schule
und Haus hrsg. v. J. Klapperich. (Ausg. A. Einleitung u. Anmerkgn.
in deutscher, Ausg. B in engl. od. französ. Sprache.) 8". Berbii,
C. Flemming. 15. Bdchn. Lebrun, A. Quinze jours a Paris. Ed.
ä l'usage des ecoles, annotee par Prof. Dr. Ph. Rossmann. Avec
lOillustr. et 1 plan de Paris. (Ausg. B.) VII, 82 S. 1910. Geb. 1,40.
Referate und Rezensionen.
IScIiroedei*, l<eopold v. Die Wurzeln der Sage vom
heiligen Gral (Sitzungsberichte der K. Akad. der Wiss.
in Wien, Bd. 166). Wien 1910. 98 S.
Abhandlungen über die Gralsage und die Gralromane schießen
in jüngster Zeit wie Pilze aus dem Boden. Leider sind die auf
diesem Gebiete erreichten Fortschritte nicht ganz im richtigen
"Verhältnis zu der aufgewendeten Arbeit. Über Hypothesen
soheint man nicht hinauszukommen; und man muß schon zu-
frieden sein, wenn die Hypothesen nur plausibel genannt werden
können. Vertreter ganz verschiedener wissenschafthcher Fächer
wagen sich an die Gralprobleme heran. Ich habe vor einem
Jahre den Lesern dieser Zeitschrift die Abhandlung eines Semi-
tologen, nämlich L. E. Iselin, Der morgenländische Ursprung der
Grallegende^ angezeigt (Bd. 36^ p. 74 ff.). Die jetzt zu besprechende
Abhandlung hat zum Verfasser einen bekannten Sanskritisten
und vergleichenden Mythologen. Iselin fand die ,, Wurzeln" der
Gralsage in der semitischen Literatur, v. Schroeder in der alt-
indischen. Aber es gibt noch einen anderen wesentlichen Unter-
schied zwischen den Standpunkten der beiden Gelehrten. Nacli
Iselin wäre die Gralsage erst im Mittelalter von der semitischen
in die westeuropäischen Literaturen übergegangen, wobei man
jedenfalls an den Kontakt der westeuropäischen Arier und der
Semiten in Syrien (während der Kreuzzüge), in Spanien und
Unter-Italien zu denken hätte. Ich erklärte diese Hypothese
für gänzlich unannehmbar, da die entwicklungsgeschichtlich
ältesten Quellen der Gralsage (die aber IseUn nicht zu kennen
schien) nicht die geringste Ähnlichkeit mit den von Iselin ange-
führten semitischen Sagen aufweisen, v. Schroeder aber nimmt
nicht eine Wanderung einer indischen Sage nach dem Occident
an, trotzdem ja bekannthch viele indischen Erzählungen durch
Wanderung zu uns gelangt sind. Er läßt die Gralsage keltisch
sein; aber er glaubt, daß sie alt-arischen Ursprungs sei, und
führt uns nun nach Indien, um uns daselbst eine ältere Form
dieser alt-arischen Sage oder ihrer Bestandteile zu zeigen. Gerade
wie ein keltisches Wort durch ein alt-indisches Äquivalent, das
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII». 12
164 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
sich von der Urform noch nicht so sehr entfernt hat, aufgeklärt
werden kann, so ist es natürlich sehr wohl denkbar, daß eine
keltische Sage oder ein keltischer Mythus, deren früheste Über-
lieferung in das 12. Jahrhundert fällt, durch ein alt-indisches
Äquivalent, dessen Überlieferung zwei Jahrtausende älter sein
mag, aufgeklärt wird. Prinzipiell läßt sich also gegen v. Schroeders
Methode nichts einwenden. Dagegen sind seine Folgerungen doch
nichts weniger als zwingend. In dem Gral als einem Gefäß
mit speisegebender Kraft will er Sonne oder Mond wiedererkennen,
welche die Arier als wunderbare Gefäße, mit köstlichem Inhalt
oder Gaben spendend, aufgefaßt haben sollen. Die Sonne, sagt
V. Schroeder, werde sowohl im Rigveda als in dem Ritual des
Pravargya-Opfers als ein himmUscher Milchtopf oder Kochtopf
oder Breitopf gedacht. Ich bin nicht kompetent, um seine
Argumentationen zu beurteilen; doch habe ich den Eindruck,
daß die Erklärungen etwas gezwungen sind, daß die heran-
gezogenen Stellen oft nicht eindeutig sind, und daß die Möglich-
keit der rein zufälligen Übereinstimmung nicht in Betracht
gezogen wird. So erwähnt v. Schroeder (p. 16) z. B. eine Sage
im Mahabharata, nach welcher Yudhishthira ,,vom Sonnengotte
Vivasvant einen kupfernen Kochtopf zum Geschenk erhält, der
sich auf Wunsch immer wieder von selber füllt". ,, Dieser kupferne
Kochtopf aber ist offenbar ein Abbild der Sonne resp. ur-
sprünglich die Sonne selbst." Offenbar ? ,,Die Wunderdinge,
über welche Sonnen- und Mondgötter verfügen, pflegen ja i n
der Regel diese Himmelslichter selber zu sein." Daß ein
Sonnengott einem Menschen zum Lohn für seine Gebete einen
nützlichen Topf schenkt, der nicht gerade die Sonne selbst ist,
scheint mir denn doch mindestens ebensogut möghch. Wunder-
bare Gefäße kennt der Volksglaube, das Märchen, die Sage
überall. Müssen sie denn wirkhch alle göttlichen Ursprungs
sein, Sonne oder Mond sein oder symbolisieren ? Der Zauber-
glaube entstand unter den Menschen ohne Rücksicht auf die
leuchtenden Himmelskörper; und es ist bezeichnend, daß das
genannte Zeugnis das einzige ist, welches v. Schroeder anführen
kann zum Beweise dafür, daß die Sonne von den Indern als ein
von sich aus Speise gebendes Gefäß aufgefaßt wurde. So viel
auch im Rigveda von der Sonne die Rede ist: dieser Zug fehlt.
Die Überlieferung des Mahabharata dagegen ist wohl nicht sehr
viel älter als die der Gralsage; und daß der kupferne Kochtopf
die Sonne repräsentiert, ist eine bloße Vermutung. Das Motiv
von der speisegebenden Kraft war übrigens so verbreitet (vgl.
z. B. das Märchen vom Tischlein-deck-dich mit seinen zahllosen
Varianten), daß es sich sehr leicht an jedes wunderbare Gefäß
anhängen konnte. Wenn aber die Sonne sonst nirgends als
Wunschgefäß vorkommt, so wurde sie wenigstens, so sagt Verf.,
als Wunschkuh gedacht. Von einer Wunschkuh soll nicht nur
Schroeder^ Leopold v. 165
im Mahabharata, sondern auch im Atharva-veda die Rede sein.
,,Im Grunde ist die Wunschkuh wohl wesentlich dasselbe wie
der wunderbare Kessel des Sonnengottes. Nur ein anderes Bild
der Sonne, als gabenspendendes Wunderding gedacht. Die
Sonne wird ja nicht nur als ein Gefäß, sondern auch — um von
andern Bildern hier zu schweigen — als ein Tier, ein Rind, ein
Roß, ein Vogel gefaßt" (p. 20). Das letztere ist richtig. P. Ehren-
reich zählt z. B. in seinem Buch ,,Z)je allgemeine Mythologie und
ihre ethnologische Grundlage" (Leipzig 1910) über 30 Dinge auf,
mit denen die Sonne verglichen wird resp. die ihre Symbole
sind, und setzt noch ein etc. hinzu. Aber daß die zahlreichen
Dinge, mit denen die Sonne schon verglichen wurde, nun stets
die Sonne bedeuten sollen, ist offenbar ein Trugschluß. Im
Rig-veda heißt es von dem Gott Indra: ,,Er durchbohrte den
Gandharven in den bodenlosen Lufträumen .... Aus den Bergen
schoß er heraus, hielt fest den garen Brei — Indra (schoß) den
gut aufgelegten Pfeil." Mir erscheint dies unverständhch. Doch
nach V. Schroeder ist die Situation ,,in der Hauptsache vollkommen
deutlich": Indra durchbohrt den Gandharven, den Hüter des
,, garen Breies", d. h. der Sonne, aus den Wolkenbergen schießend
(p. 21). Nehmen wir nun an, der gare Brei sei wirklich die Sonne,
so müssen wir es denn doch entschieden ablehnen, daß ,,der
süße Brei" des nach ihm betitelten Grimm'schen Märchens auch
ohne weiteres mit der Sonne identifiziert wird (p. 27 — 28).
V. Schroeder gehört noch zu jener alten Schule von Gelehrten
(Kuhn, Max Müller, z. T. auch Grimm etc.), welche alle Märchen
für erstarrte Himmelsmythen halten, und also glauben, daß alle
Märchen ursprünglich vom Himmel abgelesen wurden. Wer das
Grimm'sche Märchen nicht in der Erinnerung hat, denke an
Goethe's Ballade ,,Der Zauberlehrling", welche ganz dieselbe
Geschichte ist, nur mit dem Unterschied, daß dort ein Koch-
topf immerfort Brei produziert, hier ein Besen immerfort Wasser
herbeiträgt. Kann sich wirklich Verf. nicht vorstellen, daß man
so ein Geschichtchen, ohne an die Sonne zu denken, erfinden
konnte ? v. Schroeder zieht nicht nur indische Sagen und
Dichtungen zum Vergleiche heran, sondern namentlich auch
germanische, so z. B. die eddische Lokasenna. Hier heißt es
von dem Gelage, das Ägir den Äsen gab: ,, Statt des Feuers
diente helles Gold zur Beleuchtung; das Bier trug sich selber
auf." Unzählige Male wird in Märchen, Sage und Dichtung vom
Gold, das ja durch seine Farbe und seinen Glanz an die Sonne
erinnert, in übertreibender Weise gesagt, daß es wie ein Licht,
ein irdisches oder himmhsches, leuchte, daß Gemächer davon
beleuchtet werden und dg), (dasselbe gilt auch von Edelsteinen).
Aber nach v. Schroeder ,,läßt uns das helle Gold, das die Be-
leuchtung besorgt, an die Sonne oder den Mond denken" (p. 56);
d. h. es soll Sonne oder Mond sein oder symbolisieren. Es stört
12*
166 Referate und Rezensionen. F. Brugger.
ihn nicht, daß Agir nicht ein Himmelsgott, sondern ein Meeres-
gott ist und von seiner unterseeischen Wohnung gerade die
beiden Himmelslichter ausgeschlossen sind. Noch mehr! Auch
„das sich selbst auftragende Bier deutet in dieselbe Richtung,
da die großen HimmelsHchter freischwebend sich darbieten".
Das Bier sei ein berauschendes Getränk, entspreche also dem
indischen Soma, und das Soma ist nach v. Schroeder der Mond
resp. der im Mond als einem Gefäß enthaltene Göttertrank.
Das selbst bedienende Bier erinnere aber auch an den Gral,
welcher in ein Paar Versionen der Gralromane automatisch durch
die Luft schwebt und in einer Version automatisch bei Tisch
Speise spendet. Es muß aber bemerkt werden, daß in diesen
Versionen der Gral bereits Christi Blut enthält, infolgedessen
natürlich göttliche Kräfte besitzt. Wie vieles Göttliche ist nicht
automatiscii! Aber auch die Märchen kennen eine Menge von
Zaubergegenständen, die sich kraft ihres Zaubers automatisch
bewegen.^) Muß man denn immer gleich an die durch die Luft
wandelnden großen Himmelslichter denken, die zudem nach den
ältesten mythischen Vorstellungen sich nicht einmal frei be-
wegten, sondern geführt oder gejagt wurden ? Daß der Gral,
wenn er Christi Blut enthielt, nicht aus Eisen oder Sandstein
bestand, ist begreiflich; er bestand natürlich aus dem kostbarsten
Metall, Gold, oder aus Edelsteinen. Deswegen braucht er aber
noch nicht der Sonne oder dem Mond zu entsprechen!
Diese Beispiele mögen genügen, um von der Art der Argu-
mentation V. Schroeders eine Vorstellung zu geben. Wenn man
schUeßUch, trotzdem die Hypothese auf sehr schwachen Füßen
steht, als möglich zugeben will, daß der Gral ursprünglich Sonne
oder Mond bedeutete, so sind dafür die übrigen Hypothesen
V. Schroeders (z. B. die Erklärung der Graldecke und des Fischer-
königs) so neblig, daß man sie nicht ernst nehmen darf. Einzig
die Ansicht, daß die Fruchtbarmachung des verwüsteten, d. h.
ausgetrockneten Gralreiches durch den Gralhelden auf einen
Regenzauber zurückgeht, dürfte sicher das Richtige treffen;
aber diese Ansicht ist keineswegs neu; und wenn auch das alt-
indische Soma-Opfer ein Regenzauber war, so muß bemerkt
werden, daß Regenzauber allüberall auf der Erde vorkommt
und nicht dem arischen Volke eigentümlich ist. Es ist auch
bemerkenswert, daß v. Schroeder die Züge, welche in der Gral-
sage vereinigt sind, nicht etwa als in einer alt-indischen Sage
vereinigt nachweisen konnte, sondern mühsam aus den ver-
schiedensten alt-indischen Denkmälern, alt-germanischen Denk-
mälern, Volksmärchen und Volksliedern zusammentragen mußte.
^) z. B. der Knüppel-aiis-dem Sack in Grimm's Tischlein-deck-
dich, der allerdings nach Verfassers Ansicht (p. 68) dem Donnerkeil
des Indra und dem Hammer des Thor entsprechen soll; das Tischlein-
deck-dich sei der Mond, und der Esel die Sonne.
Golther, Wolfgang. 167
Von der Überlieferung der Gralsage scheint v. Schroeder
ebenso wie Iselin nur aus zweiter Hand Kenntnis zu haben;
er hielt sich an die Analysen Birch-Hirschfelds, Heinzeis und
Wechsslers. Es ist deshalb vermessen von ihm, Heinzeis An-
sicht (übrigens die ziemUch allgemeine Ansicht), daß Perceval
ursprünglich der Gralsage ferngestanden habe, zu widersprechen.
Die Vergleichung der Perceval-Gralromane mit dem englischen
Sir Perecyvelle und andern altfranzösischen Romanen, die Verf.
natürhch unbekannt sind, beweist zur Evidenz, daß die Gral-
abenteuer in den Percevalromanen eine Interpolation sind. Auch
meint Verf. die unter den Gelehrten vom Fach allgemein herr-
schende und geradezu selbstverständliche Ansicht, daß die
Schwanrittersage in Wolframs und Gerberts Percevalroman, also
in der gemeinsamen Quelle, Guiots Percevalroman, nur ein un-
ursprünghches Anhängsel ist, einfach als unbegründet hinstellen
und annullieren zu können. Er wollte eben sowohl das sog.
Dümmhngsmotiv^) wie auch das Motiv, daß das Gralreich ein
Reich der seligen Abgeschiedenen sei, für die Vergleichung mit
indischen Sonnenmythen nutzbar machen (die Ähnlichkeit wäre
übrigens dennoch schwach genug). In der wissenschaftlichen
Literatur über die Gralsage ist Verf. ebenfalls nicht hinreichend
bewandert. Er kennt zwar sogar die 1910 erschienenen Rektorats-
reden Baists und Golthers; aber gänzlich unbekannt sind ihm
z. B. die Schriften J. L. Westons {The legend of Sir Perceval
1906 und 1909) und die in dieser Zeitschrift Bd. 36 besprochene
Schrift Nitzes (1909). Dieselben hätten für ihn besonderes
Interesse gehabt, da jene beiden Gelehrten die Gralsage von
alten, eventuell alt-arischen, Mysterien ableiten wollen, und
jedenfalls auch Verf. bei seiner Hypothese von den alt-arischen
Wurzeln der Gralsage am ehesten an keltische Überlieferung
denken muß (vgl. p. 64).
E. Brugger.
CrOltlier, Wolf gang. Tristan und Isolde in den Dichtungen
des Mittelalters und der neuen Zeit. Leipzig, Hirzel, 1907;
in 8°, 465 pages.
Et quorum pars magna fui: cet hemistiche virgilien,
M. Golther eüt pu ä bon droit le donner pour epigraphe aux
pages qui servent d'introduction ä son livre et dans lesquelles
il a retrace l'effort de tout un siecle d'erudition pour mettre
au jour les anciens romans relatifs aux amours de Tristan et
d'Iseut, en etabUr la succession chronologique et la genealogie,
en determiner les sources et les Clements constitutifs. On se
rappelle ses brillants debuts (Die Sage von Tristan und Isolde).,
2) „Reinheit, Keuschheit, ja JungfräuHchkeit" sind aber dem
Gralhelden erst in den späteren christianisierten Versionen und infolge
der asketischen Tendenz der Verfasser eigen.
168 Referate und Rezensionen. Ernesi Muret.
en 1887, et cette succession d'articies, dont quelques-uns ont
paru ici meme, oü il rendait compte de ses propres recherches
et de Celles d'autrui. Presentement, c'est l'histoire poetique
tout entiere de Tristan et d'Iseut, depuis les temps les plus loin-
tains oü nous puissions remonter jusqu'aux premieres annees
du vingtieme siecle, que M. G. a entrepris de derouler sous nos
yeux, dans un ouvrage qui est l'aboutissement et le couronne-
ment des etudes poursuivies par lui-meme et par ses emules
depuis un quart de siecle.
En l'ecrivant, il parait avoir songe moins aux specialistes
qu'ä ce public lettre qui, faute de temps et de competence, ne-
glige ou ignore les travaux des philologues de profession, mais
qui s'enchante ä la musique de Wagner et lit avec delice les
helles versions modernes d'un Hermann Kurz, d'un Wilhelm
Herz ou d'un Joseph Bedier. A parier sans detour, je crains
fort que ce public ne trouve le livre bien long et, par endroits,
bien sec. En revanche, les philologues, meme ceux qui se sont
specialement occupes du sujet, s'instruisent a le lire. On y peut
louer mainte page excellente, et particulierement le dernier
chapitre, oü l'auteur a ete comme souleve au-dessus de lui-meme
par son enthousiasme pour Richard Wagner.
Le plan suivi par M. G. et les proportions attribuees par
lui aux differentes parties ne satisfont qu'imparfaitement aux
exigences d'une composition bien ordonnee. Considerez le cha-
pitre VIII, Die Tristandichtungen der neueren Zeit. Tandis
que les section 4 et 5 s'intitulent Englische et Französische Tristan-
dichtungen., rien n'avertit le lecteur que les sections 1, 2 et 3,
Tristanepen in Strophen., Erneuerungen von Gottfrieds Tristan
in Reimpaaren et Tristandramen., traitent exclusivement de
poemes allemands. Au paragraphe 6 et dernier de ces Tristan-
dichtungen der neueren Zeit., qui s'aviserait d'aller chercher, sous
la rubrique Tristanbilder., non seulement les oeuvres d'art ins-
pirees de la poesie et de la musique modernes, mais encore les
ivoires et les tapisseries du moyen äge et du XVP siecle ? La
place accordee dans ce chapitre VIII aux traducteurs de Gott-
fried me semble d'ailleurs un peu disproportionnee, je ne dis
pas ä leur merite, mais ä leur importance. Au vieux roman
allemand en prose, qui n'est qu'une replique du poeme d'Eilhart,
et ä la mediocre tragedie de Hans Sachs, qui depend si etroitement
de ce roman, quelle complaisance ou quel caprice a valu les
honneurs d'un chapitre ä part (le VIP), si la saga islandaise,
le Tristramskwsedhi, les chansons du Danemark et des iles Feroe
ont trouve leur place naturelle et legitime au chapitre IV (Das
Gedicht des Thomas) et si le precedent (Die Rearbeitungen des alten
Tristanromanes ) englobe tout ä la fois Beroul, Eilhart d'Oberg,
Ulrich de Türheim, Henri de Freiberg et le grand roman frangais
en prose avec ses versions italiennes ? Enfin, convefiait-il bien
Golther, Wolfgang. 169
de releguer les mentions galloises ä la suite du chapitre VI (Die
Tristannovellen und Tristanlais), dans un appendice dont la
place semblo avoir ete marquee par lo hasard plutöt que par
un choix raisonne ?
Le parti pris evident de traiter ces mentions galloises, con-
trairement au sentiment general, comme nulles et non avenues,
explique sans I'excuser un tel desordre, qui n'est point un effet
de l'art. Je ne puis m'empecher de remarquer ä ce propos que
M. G. ne tient pas assez de compte des opinions adverses, qu'il
neglige parfois des objections considerables et que, lance sur une
piste, bonne ou mauvaise, il la suit avec l'ardeur d'un bon cheval
auquel on a mis des oeilleres. Dans ses analyses et ses appre-
ciations je pourrais, gä et lä, relever quelques inexactitudes; mais
ce ne sont que des vetilles qui ne valent pas la peine qu'on s'y
arrete. En depit des defauts que j'y ai notes, Fouvrage est tres
riebe d'informations, tres solide et tres interessant. Quoique
cette louange soit devenue banale, je n'irais pas jusqu'a dire,
comme on Ta fait, que ce soit un «beau livre»; mais, ä coup sür,
c'est un bon livre, dont il faut savoir beaucoup de gre ä l'auteur.
«M. Golther, qui possede une si copieuse Information en ce
qui concerne FAllemagne, la France et l'Angleterre, ne fait pour
ritalie que repeter les notions les plus banales.» Ainsi s'expri-
mait, le 29 mars 1910, M. Rodolphe Renier, parlant dans le Fan-
fulla della Domenica du Tristano novissimo^ le drame d'Ettore
Moschino, represente ä Venise le 20 fevrier de la meme annee.
Le renouveau d'interet et d'affection qui s'est attache en ces
derniers temps ä la legende de Tristan a suscite et suscitera
encore, esperons-le, plus d'une ceuvre digne d'estime et d'ad-
miration. On me permettra de signaler ici deux poemes qui
ne sont parvenus ni Tun ni l'autre ä la connaissance de M. G.
et qui ont pour auteurs deux poetes de la Suisse frangaise, pre-
maturement enleves ä notre affection et au culte fervent des
bonnes lettres.
Dans le beau poeme lyrique intitule Tristan sur les eaux,
que mon ami Henri Warnery m'a fait Thonneur de me dedier
et qu'on peut lire dans son recueil posthume, Aux vents de la
vie (Lausanne 1904), le heros empörte au gre des vagues dans
sa freie nacelle, «le pelerin des ondes solitaires »,
Cherche ä calmer son coeur sur la harpe bretonne.
En vain il interroge sur la destinee humaine la mer, les vents, les
etoiles, tandis qu'ä son insu le flot le conduit vers «l'ile verte
aux philtres guerisseurs », vers la blonde Iseut, « la princesse
d'amour ». Dans les Pensees d'automne d'Henri Jacottet (Paris,
1904), un millier de vers redisent les principaux episodes du
roman depuis le philtre jusqu'a la mort. Le poete en a tres
librement use avec les donnees traditionnelles. Comme tant
170 Referate und Rezensionen. Ernest Muret.
d'amants modernes, Tristan et Tseult, durant leur sejour dans
la foret du Morois, sentent les regrets et l'ennui s'insinuer dans
leurs Coeurs toujours epris. S'ils finissent par se separer, la raison
en est plus claire, sinon plus satisfaisante, que dans les anciens
romans: c'est que, pour de tels amants,
Mieux vaut l'adieu sans fin et sa peine cruelle
Qu'un lent döclin d'amour plus amer que la mort,
Personne, ä l'heure qu'il est, ne met plus en doute que les
grands romans du moyen äge sur Tristan et Iseut ne derivent
tous d'un poeme unique, compose en France ou en Angleterre,
au plus tard vers le milieu du XII® siecle. Mais Ton peut
disputer, Ton disputera sans doute encore longtemps sur la date
plus precise, Tetendue, le caractere, les sources proches ou loin-
taines, le degre d'originalite et d'unite de ce roman primitif.
On peut se demander si tous les recits qui nous sont parvenus
y etaient contenus ou n'en sont que des developpements, comme
il plait ä M. G. de le croire, ou si la tradition orale n'aurait pas
fourni quelques traits, quelques episodes, ä Thomas, ä Beroul
et ä son continuateur anonyme, ä quelques- uns des lais et meme,
quoique cela soit peu probable, au roman en prose. Dans un
memoire paru dernierement dans les Romanische Forschungen^),
M. Rudolf Zenker nous a entr'ouvert du cöte de l'Orient des
perspectives en partie nouvelles, en comparant avec plus de
soin et d'attention qu'on ne Tavait fait avant lui nos romans
de Tristan et le poeme persan de Wis et Rämin, qui date du XI*^
siecle. De ressemblances qui ne sont pas toujours evidentes
et qui peuvent etre quelquefois fortuites, on voudrait cependant
qu'il n'eüt pas tire, concernant le rapport des plus anciennes ver-
sions de la legende de Tristan, mainte conclusion incompatible
avec les donnees plus precises et plus süres qui resultent des
travaux anterieurs. On lui accordera difficilement qu'ä plusieurs
reprises le tres original Thomas nous ait mieux conserve les
donnees primitives que Tensemble concordant des autres ver-
sions. M, G. encourt la meme objection, quand il revcndique
pour VUr-Tristan l'episode du chien Petiten!, quine se trouve que
dans la Version de Thomas, et qu'il en exclut celui de la folie, qui
manque ä cette version.
En desaccord sur ces deux points avec M. Bedier, M. G.
se separe egalement de son devancier, en accueillant l'episode du
jugement de Dieu, dont il nous est parvenu deux recits fort diffe-
rents, dans la version de Thomas et la seconde partie du fragment
de Beroul. Gontrairement ä l'opinion qu'il a lui-meme contribue
ä accrediter, M. G. ne croit plus aujourd'hui que l'incoherence
et les contradictions flagrantes qu'on remarque dans ce fragment
^) Die Tristansage und das persische Epos von Wis und Rämin
(Romanische Forschungen, XXIX, pp. 321-369).
Golther, Wolf gang. 171
doivent nous empecher d'y reconnaitre Tocuvre d'un seul poete,
ni de faire usagc de la soconde aussi bien quo de la premiere
partie pour retrouver le fil perdu du recit primitif. Mais il mecon-
nait ici une distinction essentielle. Quand meme les deux parties
seraient d'un seul et meme auteur (ce qui peut, ä la rigueur,
se soutenir), elles ne sont pas d'un seul jet. II saute aux yeux
que la seconde a du etre ajoutee apres coup au poeme commence
sur un autre plan, ou interpolee dans l'ocuvre terminee, en partant
de donnees et en puisant ä des sources fort differentes de celles
de la premiere. Si les traits communs ä cette seconde partie
et ä la Version de Thomas provenaient du roman primitif, comment
se ferait-il qu'ils eussent ete effaces dans toutes les autres versions ?
Parmi les temoignages ä l'aide desquels on peut tenter de
reconstituer ce roman primitif, M. G. admet, comme M. Bedier,
les allusions contenues dans la Folie du manuscrit de Berne.
A mes yeux, il n'est pas douteux que le poeme de Berne ne soit
derive du roman de Beroul. Dans l'introduction que j'ai mise
ä ce roman, j'ai montre que les rares divergences s'expliquent
Sans qu'il y ait besoin de recourir ä l'hypothese d'un autre modele.
M. G. prefere neanmoins supposer l'existence d'un poeme un
peu different, quoique fort voisin, de celui de Beroul; et M. Bedier
s'est rallie ä ce point de vue dans sa nouvelle edition des deux
poemes de la Folie Tristan. Mais ni Tun ni l'autre n'ont allegue
de preuves en faveur de leur opinion, de laquelle il resulterait,
au surplus, qu'ils ont eu tort de traiter Beroul et le poete du manus-
crit de Berne comme deux temoins independants Tun de l'autre.
Moins nous supposerons d'intermediaires perdus entre
l'archetype et les romans conserves, plus nous serons persuades,
avec M.M. G. et Bedier, que cet archetype etait en frangais,
non en anglais, comme Gaston Paris inclinait ä le croire. Gar
l'etroite ressemblance entre les vers d'Eilhart et ceux de Beroul
nous defend d'admettre que ces deux poemes derivent separement
d'un troisieme ecrit dans une autre langue que le fran§ais. Or,
precisement, entre le roman primitif et ceux de Beroul et d'Eilhart,
M. Bedier suppose un poeme intermediaire, dans lequel aurait
ete introduite la malencontreuse donnee d'une duree limitee
des effets du hoivre amoureux. Mais, comme il n'y a, de son
propre aveu, aucun autre trait qui paraisse etre une innovation
commune ä ces deux versions, je m'accorde avec M. Golther^)
pour repousser cette inutile hypothese. Ainsi la duree limitee
du philtre serait une donnee fournie par la source commune
et rejetee independamment, pour des raisons faciles ä comprendre,
par Thomas et par le roman en prose. Gela nous gäte un peu
ce primitif roman de Tristan dont M. G. et M. Bedier nous van-
tent ä l'envi l'heureuse invention. Mais on verra que, par ailleurs
-) Et avec Miss G. Schoepperle, The love potion in Tristan and
Isolt (Romania, XXXIX, pp. 277-296).
172 Referate und Rezensionen. Ernest Miiret.
encore, la critique a prise sur leurs essais de reconstitution et
qu'il faut en rabattre de leurs louanges trop enthousiastes.
Ne serait-ce pas bien plutöt entre Eilhart et le roman en
prose qu'entre Eilhart et Beroul que nous pourrions decouvrir
une ressemblance assez frappante, assez singuliere, pour qu'il
y eüt lieu de supposer un intermediaire commun entre eux et
le poeme original? Encore aujourd'hui, comme au temps dejä
lointain oü j'etudiais les sources du poeme allemand, le role pre-
ponderant attribue dans ces deux versions ä Audret me parait
avoir ete l'innovation caracteristique et fort heureuse d'un roman-
cier (peut-etre La Chevre ?), dont l'oeuvre aurait ete traduite
en allemand par Eilhart et plus tard mise en prose frangaise^).
Si, dans le roman primitif, Audret figurait, du commencement
ä la fin, comme Tennemi acharne de Tristan, pourquoi Beroul lui
eüt-il prefere le trio des barons anonymes et Thomas successive-
ment Meriadoc et Cariado ? Le role insignifiant joue par Audret,
aux cötes de Godoine, Denoalen et Guenelon, dans la seconde
partie du fragment parisien, ne fait que mieux ressortir son ab-
sence de la premiere et n'a aucune proportion avec la place emi-
nente qu'il tient chez Eilhart et dans le roman en prose.
II est fort invraisemblable que, sans motif grave, des rema-
nieurs se soient appliques ä gäter, comme ä plaisir, les donnees
de leur modele et, notamment, qu'ils aient ä plusieurs reprises
congedie des personnages importants ou meme secondaires,
pour les remplacer, comme des acteurs fatigues, par des doublures.
C'est donc ä tort, selon moi, que M. Bedier hesite ä attribuer au
poeme original le role de Gymele-Camille et que M. G. veut l'y
remplacer par Brangien; ä tort, pareillement, que M. G. refuse
d'admettre Genes, Thote de Tristan, comme son messager aupres
dTseut et lui prefere Gorvenal. Qu'est-ce qui lui prouve
qu'entre les nombreuses variantes du « conte . . . mult divers »,
la Version critiquee par Thomas füt precisement celle de l'arche-
type ? Supposez d'ailleurs que, dans le roman primitif, l'höte de
Tristan s'appelät, comme dans le manuscrit 103, du nom de Genes
ou de quelque nom trisyllabe commen^ant par la lettre G*),
et qu'ä partir de sa premiere mention ce nom füt constamment
abrege dans certaines copies. A l'obscur messager l'ecuyer
Gorvenal n'aurait-il pu etre inconsciemment substitue par un
lecteur ou un scribe distraits, si ce n'est par Thomas lui-meme ?
Ainsi le roman primitif me semble avoir ete moins bien
compose, moins logique et moins coherent que ne le suppose
M. Golther, d'accord sur ce point avec M. Bedier. Je crois que
^) Cf. Romania, XXVII, p. 616, d'oü il resulte que le nom de
La Chevre (ou Robert de Reims) a pour moi une tout autre valeur
que Celle des x et des y du tableau g^näalogique dressö par M. Bedier
ä la p. 309 du t. II de son Edition de Thomas.
*) Cf. le Gaviol d'Ulrich de Türheim.
GoUher, Wolfgang. 173
la premiere partic du fragment de Beroul, dont tant de vers se
retrouvent dans rallomand d'Eilhart, nous cn offre une replique
assez fidele. II y a une manifeste exageration ä pretendre, comme
M. Golther, qu'on n'y decouvre aucun «trou», aucune trace de
soudure entre des recits auparavant isoles. Lui-meme reconnait
ce qu'il y a d'invraisemblable dans quelques-unes des Situation»
qui resultent du second sejour en Irlande. La Separation de
Tristan et d'Iseut exiles, mais si heureux dans la foret de Morrois,
nous parait inexplicable, et la duree limitee du philtre n'est qu'un
gauche expedient imagine pour attenuer la contradiction entre
cet episode et le reste du poeme. Le motif de l'epee placee entre
les deux amants endormis n'est pas moins obscur et fait surgir
dans l'esprit du lecteur un obsedant pourquoi. De ces obser-
vations il ressort que les emouvantes peripeties des amours de
Tristan et d'Iseut ne sauraient avoir ete inventees de toutes
pieces par notre plus ancien romancier, qu'il a subi et non cree
les donnees dont il a tire un si beau parti.
Ce romancier, dont la veritable physionomie nous echappe
et dont il est malaise d'apprecier la reelle originalite, se serait-il
de lui-meme avise de donner le meme nom a Vamie et ä la femme
de Tristan ? M. Bedier, aussi bien que M. Golther, lui fait grand
honneur d'une si heureuse invention. Mais la communaute du
nom n'est pas le seul trait de ressemblance entre les deux Iseut.
Toutes deux habitent un pays qui s'appolle la Cornouailles,
toutes deux y tiennent un rang souverain ou quasi-souverain.
Bien plus, une partie des evenements qui se deroulent en Bretagne
et des personnages qui y jouent un röle apparaissent comme
la repetition d'aventures anterieures de Tristan et de quelques-
uns des personnages meles ä ces aventures. En degä comme
au delä de la Manche, n'est-il pas le liberateur du pays, cheri du
prince et du peuple pour ses beaux exploits ? De meme qu'il
a gagne la main d'Iseut pour son oncle Marc, il aide son beau-
frere Kaherdin dans une entreprise amoureuse. II est en butte,
ici ä la fleche empoisonnee d'un nain, lä aux embüches d'un autre
nain et au fer empoisonne du Morhout, comme en Irlande au
venin brülant du dragon. Si ces concordances ne sont pas for-
tuites, est-ce que le personnage d'Iseut aux blanches mains ne
serait pas un double de celui d'Iseut la blonde^) ?
Ces concordances, ces repetitions, au moins apparentes,
s'expliqueraient de la facon la plus satisfaisante, en supposant
que la legende de Tristan, teile que nous la connaissons par les
romans du XI F siecle, resulte de la combinaison d'une version
insulaire et d'une version bretonne, dont chacune offrirait le
developpement original d'un petit nombre de donnees anterieures.
^) Cf. Deutschbein, Studien zur Sagengeschichte Englands (Cöthen,
1906), pp. 173-4.
174 Referate und Rezensionen. Ernest Muret.
L'liypothese provisoirement admise, on voit se degager de la
comparaison des deux groupes de recits les lineaments d'un
etat plus archaique de la legende et s'accuser encore davantage
les ressemblances tant de fois signalees entre Tamant d'Iseut
et le Siegfried des Nibelungen. L'un et l'autre de ces tueurs de
dragons sont en meme temps des brautjahrer^). L'epee Symbole
et gardienne de chastete n'est-elle pas un trait caracteristique
des braut fahrten., dans lequel nous verrions, sous Vami de la reine,
reparaitre le Tristan paranymphe? Entre le brautfahrer et la
femme qu'il a conquise pour un roi qui est (ou qui deviendra)
son proche parent, il y a dans la «version insulaire», comme dans
les Nibelungen, une liaison d'amour: avant d'appartenir au mari,
la vierge a ete possedee par le brautfahrer; et de cette donnee
commune resultent, des deux parts, les consequences les plus
tragiques. Dans la «version bretonne» nous retrouvons la Kriem-
hild des Nibelungen, femme legitime du brautfahrer et soeur du
prince dont il seconde vaillamment les amours ; Tristan, comme
Siegfried, perit par la faute d'une des deux femmes dont il est
aime, et celle qu'il a conquise, mais non epousee, le suit dans la
mort. Dans ce nom meme dTseut, tant discute et toujours
inexplique, y aurait-il peut-etre un echo de ceux de Kriemhild
et de Brünhild ?
Mais, plus encore que le tragique conflit chante par l'epopee
germanique, le denouement des amours de Tristan et dTseut
rappelle l'histoire de Paris et d'CEnone, dont le Grec Parthenius
de Nicee nous a seul conserve la memoire. Or, ä moins de supposer
un intermediaire byzantin, par quelle autre voie plus proche,
sinon par des chants et des contes repandus dans les lies Bri-
tanniques, ce recit qu'on cherche en vain dans les textes latins
serait-il parvenu jusqu'ä nos romanciers du XIP siecle ? Nulle
part, dans l'Europe occidentale, au moyen äge, ne se sont offertes
des conditions aussi favorables ä sa divulgation que dans les
pays memes oü sc deroulent la plupart des aventures des celebres
amants. Nulle part, sauf dans ITtalie meridionale, la connaissance
du grec ne s'est perpetuee aussi tard que dans la Grande Bre-
tagne et en Irlande. Aucune de nos langues vulgaires n'a ete
aussi prompte que l'irlandaise ä accueillir les grands Souvenirs de
l'antiquite, transmis par la litterature latine. Les depouilles
dont «cette süperbe cite romaine » et «cette Grece menteresse »
ont enrichi les romans de Tristan ne sont pas toutes des trophees
frangais. On se rappelle comment le nain espion perit, suivant
Beroul, pour avoir trahi le secret des oreilles de cheval du roi
Marc. Qui d'autre qu'un narrateur gallois, breton ou irlandais,
s'adressant ä un public de langue celtique, aurait songe ä affubler
le roi Marc des ridicules oreilles de Midas, s'il n'est pas niable que
^) Cf. Deutschbein, p. 174.
Goliher, Wolfgang. 175
ce trait ne supposo, de part et d'autre, la connaissance du mot
celtique marc ou march au sens de «cheval»?
Dans CO recit de Beroul, s'il manquait sans doute au roman
primitif, il semble que nous tenions un indice precieux de
l'existence d'une tradition orale, d'oü pourraient etre derives
d'autres episodes, et notamment ceux qui sont propres ä la version
de Thomas. Du memo coup, nous voici ramenes ä la question tant
debattue de la part qu'il convient d'attribuer aux nations celtiques
dans la formation de la legende de Tristan et de tout le cycle
breton. M. G. nous concede aujourd'hui que les Bretons in-
sulaires sont fondes ä reclamer pour eux le Tristan guerrier et
chasseur, le vainqueur epique du Morhout dTrlande'^); mais
il persiste ä soutenir que le personnage dTseut et tout le roman
d'amour ont du etre inventes par un poete fran§ais. II y a trop
longtemps que j'ai perdu la foi du charbonnier pour croire ä ce
miracle d'une prolem sine matre creatam. Par delä le «roman
primitif», nous avons surpris quelques-unes des influences qui
ont contribue ä la formation de la legende, entrevu quelques-
unes des phases d'un lent developpement progressif, qui ne
saurait etre tout entier resserre dans le court laps de temps ecoule
entre la conquete de l'Angleterre par les Normands et l'apparition
des Premiers romans frangais sur Tristan. Si, jusque dans ces
romans du XIP siecle, on a pu retrouver des traits de moeurs
celtiques, si parfois s'y revele un tour d'imagination different
de I'esprit frangais, s'il est vrai que Tristan soit un Gelte insulaire
et que toutes ses aventures de guerre et d'amour aient leur theätre
en pays celtique, meme l'hypothese d'un poeme anglais traduit
en francais ne rendrait pas (ce fut toujours l'opinion de Gaston
Paris) un compte satisfaisant de ces elements etrangers ä la litte-
rature et ä la societe frangaises.
II faut donc, de toute necessite, que les Geltes aient dejä
possede et qu'ils aient transmis aux conteurs et aux Jongleurs
francais un ensemble de traditions et de recits, de lais et de contes
en prose, embrassant la vie et la mort de Tristan et d'Iseut, un
roman, si je puis ainsi dire, ä l'etat diffus, dont le souffle createur
du genie devait un jour tirer Tun des plus bcaux poemes de l'hu-
manite. Dans ces lais, dans ces contes oraux, qu'est-ce qui nous
empeche meme de supposer que dejä s'affirmät, par la simple
repetition et la Variation d'un motif predominant, l'amour vain-
queur de tous les obstacles et de toutes les contraintes, l'amour
plus fort que la vie et que la mort, le triomphe de l'amour sur
toutes les choses divines et humaines ? Quand il serait ineon-
testablement prouve que le mariage, chez les Gallois, füt «le plus
') Rapprochant le Morhout des Fomori de la litterature irlandaise,
M. G. nous renvoie ä un article de M. Deutschbein que je n'ai pu con-
sulter. II oublie que j'avais dejä fait ce rapprochement au tome XVII
de la Romania, p. 606, en rendant compte de son memoire de 1887.
176 Referate und Rezensionen. Wallher Küchler.
soluble de tous les liens»^), est-ce qu'aujourd'hui, malgre l'adou-
cissement des moeurs et toutes les facilites offertes au divorce,
i'adultere et ses tragiques consequences ne sont pas demeures
Tun des themes preferes de nos romanciers ?
Les plus heiles oeuvres de l'art et de la litterature, comme
les plus beaux arbres de nos forets, plongent au loin leurs racines
dans le sol nourricier. Issues du lent travail de plusieurs gene-
rations, c'est ä la collaboration inconsciente du temps et du
genie, de la collectivite et de l'individu, qu'elles doivent en partie
leur force, Icur beaute, leur profonde humanite. La creation poe-
tique consiste moins ä «inventer» des donnees et des personnages
nouveaux qu'ä les animer d'une vie plus intense et plus durable
que la vie reelle, de la vie immortelle de l'art. Est-ce que les tra-
gedies grecques, les contes de Boccace, les drames de Shakespeare,
les fables de La Fontaine, le Faust de Goethe sont le fruit de
l'invention individuelle ? Est-ce que Wagner a « invente » les
Nibelungen, le Parsifal, le Tristan? Non seulement donc (pour
conclure en des termes empruntes ä M. Bedier cette discussion
oü il s'est trouve sans cesse implique avec M. Golther), non
seulement il ne «repugne» nullement» ä tout ce que nous savons
des contes de Bretagne et de leur transmission de supposer que
les Geltes aient possede jamais», sinon «un grand roman d'amour
sur Tristan», au moins Febauche de ce roman. Mais «il est con-
forme au contraire ä tout ce que nous savons» de la genese de
quelques-unes des plus grandes oeuvres de Tesprit humain «de
croire » qu'ils ont fourni la matiere principale de ce merveilleux
poeme d'amour qui a recu du genie fran^ais la forme durable
sous laquelle il enchantait le moyen äge et nous enchante encore
aujourd'hui.
Ernest Muret.
Weelissler, ESdnard. Das Kulturproblem des Minnesangs.
Studien zur Vorgeschichte der Renaissance. In zwei
Bänden. Band I Minnesang und Christentum. 8*^ XII
-f 502 Seiten. Halle a. S. Verlag von Max Niemeyer.
1909.
Der ästhetische Wert, d. h. die künstlerische Wahrheit der
Dichtung der Troubadours kann nur dann richtig erkannt werden,
wenn man sich über die kulturellen Grundbedingungen, die
dieser Dichtung zu ihrer Entstehung und Ausbreitung verhelfen
haben, und über das Wesen und die Schöpferkraft wenigstens
der hervorragendsten Dichter einigermaßen klar geworden ist.
8) Voycz, au tome XXX de la Rei>ue Celtique, pp. 270 ss., les
objections de M. J. Loth contre .cette opinion de M. Bedier, qui a
trouve depuis lors un nouveau champion dans Miss Schoepperle (Ro-
mania, XXXIX, p. 295, n. 1).
Weckssler, Eduard. 177
Wenn es auch nicht die letzte Absicht Wechsslers war, eine
ästhetische Würdigung der Dichtung des Minnesangs zu geben,
so ist es doch sein Bestreben, diese Würdigung zu erraöghchen
durch die kulturgeschichtliche Basis, die aufzubauen er unter-
nimmt. Indem er zeigt, welche Anregungen die Welt und die
Zeit, in der sie atmeten, den Sängern für ihr seelisches Erleben
boten, was sie ihnen an geistiger Nahrung gaben, verhilft er uns
ohne weiteres zu bestimmten Maßstäben für die Erkenntnis
der ästhetischen Werte dieser merkwürdigen Dichtung.^) Neben
diesem breit angelegten Versuche in das ,, Kulturproblem des
Minnesangs" einzudringen, kommt nun leider das Bemühen
um die Erfassung der einzelnen Persönlichkeiten zu kurz, so daß
wir von dieser Seite, aus dem analytischen Studium der Hinter-
lassenschaft der verschiedenen Dichter, so gut wie keine Förde-
rung unserer Auffassung von der ästhetischen Eigenart des
Minnesangs erfahren.
Gewiß war es Wechsslers gutes Recht, sich mehr in die Durch-
arbeitung der bis zu einem gewissen Grade auf alle Dichter gleich
wirkenden, kulturellen Bedingungen zu vertiefen, aber seine
Ai'beit würde bedeutend gewonnen und vielleicht zu noch schärferen
Ergebnissen geführt haben, wenn er die bedeutsamsten Dichter-
gestalten um ihrer selbst willen studiert, wenn er ihre individuelle
Eigenart in Beziehung gesetzt hätte zu den Formeln, die er aus
der umfassenden Betrachtung der gesamten Masse der Über-
lieferung gewann.
Sicherlich ist die Idee dauernder als die PersönUchkeit,
aber die PersönHchkeiten als die Träger der Idee, als die uner-
müdlichen Arbeiter an der Idee, sie können nicht scharf genug
erfaßt und herausgearbeitet werden, besonders dann, wenn es
gilt, ent^^dcklungsgeschichtlich die von ihnen geschaffenen Formen
der Idee zur Anschauung zu bringen.
1) Zu Unrecht fragt Savj-Lopez in seiner ausführhchen und lehr-
reichen Besprechung des Wechsslerschen Buches (Zeitschr. f. rom.
Phil. t. 34 p. 480 ff.) einmal mißbilligend, ob man es in der Fragestellung
Wechsslers mit einem kulturgeschichtlichen oder mit einem ästhetischen
Problem zu tun habe. Es kann solchen Einwänden gegenüber nicht oft
genug betont werden, daß für die letzte Beurteilung von Kunstwerken
diese beiden Probleme ohne weiteres in eines zusammenfließen müssen.
Vgl. auch H. Morf, der in seiner Geschichte der romanischen Literaturen
nachdrücklich darauf hinweist, daß das literarische Denkmal für den
Kritiker ein ästhetisches und ein geschichtliches Problem sei und fordert,
daß der Kritiker auch ,,die gegenwärtigen oder vergangenen Verhält-
nisse und die geschichtlichen Abhängigkeiten studieren solle, aus
deren Mitte der Künstler und sein Werk sich erheben. ,, Historische
Forschung und ästhetische Würdigung sollen sich in der Weise har-
monisch verbinden, daß diese sich auf der breiten Basis jener erhebt"
(Die Kultur der Gegenwart, Teil I Abt. XI, 1 p. 350). — Einen Anfang,
die kulturellen Grundlagen der Troubadourpoesie festzustellen, unter-
nimmt Kinkel im Archiv f. d. Studium der neueren Sprachen t. 122 p.
333 ff.
178 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
Wie eng die ästhetische Erkenntnis mit unserem Verständnis
der Dichterpersönlichkeit und ihrem individuellen Fühlen und
Können einerseits, sowie ihrer Abhängigkeit von den gegebenen
Kulturverhältnissen andererseits zusammenhängt, erweist aufs
Deutüchste die einzige Frage nach der dem Minnesänge zugrunde
liegenden Realität. Könnten wir diese Frage restlos beant-
worten, so hätten wir damit das entscheidendste Kriterium für
das Verständnis dieser Poesie gewonnen.
Auch Wechssler wird immer wieder zu dieser Frage hingeführt,
aber es scheint doch, als schlage er ihre grundsätzliche Bedeutung
nicht hoch genug an. Wohl fragt er, entsprang der Frauenkult
der Minnesänger ihrer persönlichen Überzeugung, oder sollte
er nur der Eitelkeit verwöhnter Frauen dienen ? War er Liebe
oder Schmeichelei ? Aber wenn er dann hinzufügt, das könnte
man nicht wissen, und man brauche diese Frage auch gar nicht
zu stellen, da man sonst auf die aussichtslose Frage nach dem
biographischen Gehalt hingetrieben würde, so geht er an dem
Problem vorbei. Mag seine Lösung auch noch so schwer sein,
mag sie vielleicht auch nie ganz gefunden werden, bei Seite schieben
darf man es nicht. Denn für die letzte Beurteilung eines Gedichtes,
auch als eines rein künstlerischen Erzeugnisses, ist die Kenntnis
der vvirklichen, ihm zugrunde liegenden Inspiration unerläßlich.
Klingt mir aus den ekstatischen Tönen des Liedes nur die Stimme
des höfischen Schmeichlers heraus, darf ich in den Liebesbeteue-
rungen nur die raffinierten Formen von Lob und Preis des um
materiellen Lohn dienenden Sängers sehen, so ist das so auf-
gefaßte Lied nach kulturhistorischem, psychologischem und
ästhetischem Gesichtspunkte ganz anders zu beurteilen als das
aus Leidenschaft und Wahrheit geborene Liebeslied.
Wenn Wechssler einmal der Überzeugung Ausdruck gibt,
daß die besten Dichter in der Mehrzahl ihrer Lieder Selbsterlebtes
niedergelegt hätten, und daß aus den persönHchen Erlebnissen
einzelner, dienender Frauensänger zuerst eine Art höfischer
ReUgion entstanden sei (p. 312); wenn er ferner sagt, gelebt haben
ihren Frauenkult nur ganz wenige, die unleugbare, poetische
Unwahrheit so vieler Lieder ist nur die Folge davon, daß die
Vielzuvielen sich dieser sublimierten Erlebnisse bemächtigen
wollten und als Nachahmer aus dem Frauenkult ein Gewerbe
machten (p. 464), so betont er selbst nachdrückhch genug die
Bedeutung des persönlichen Elements für den inneren Gehalt
und die ästhetische Bedeutung des Minnesangs. Die Tatsache,
daß er diesem Elemente in seiner Darstellung nicht die gebührende
Rücksicht schenkt, hängt letzten Endes wohl mit seiner gesamten
Auffassung vom Wesen des Minnesangs und der von ihr bedingten
Anlage seiner Arbeit zusammen.
Weckssler, Eduard. 179
Ein erster origineller Zug in Wechsslers Auffassung vom
Minnesänge ist die entschiedene Trennung, die er zwischen Ritter-
geist und Frauenkult vornimmt. Es ist ein bis heute fast all-
gemein geltender Grundsatz, daß der Kultus der Frau das \\erk
der aus der primitiven Roheit des feudalen Adels nunmehr zu
feinerem Empfinden sich entwickelnden Ritterschaft gewesen
wäre. Am Ende des 11. Jahrhunderts, so stellt etwa Wilhelm
Hertz den Vorgang dar, rückte die gewaltige Revolution einer
neuen Zeit alles Bestehende aus den Fugen, durchbebte ein ver-
jüngender Pulsschlag die abendländische Welt, wurden die
Gemüter von den Schauern göttlicher Begeisterung gehoben.
Ebenso mächtig vNie nach der rehgiösen, war der Umschlag
nach der we-Itlichen Seite. An Stelle des alten Reckentums
trat das Rittertum, das nicht mehr in der ungefügen, sondern
in der geiügen Kraft, in geselliger Bildung und feinen Sitten,
in der selbstverleugnenden Unterordnung unter religiöse und
ethische Grundsätze das Ideal des guten Helden sah. Begegnete
man bisher dem sozial untergeordneten Weibe höchstens mit
Rücksicht und Schonung, so erleben wir nunmehr die freiwillige
Beugung der Kraft unter die Anmut.^)
Ähnlich führt auch Rostori aus, daß der von der Kirche
mit religiösen Stimmungen durchsetzte Rittergeist die Ritter
zu Soldaten des Glaubens und der Gerechtigkeit, zu Verteidigern
der Schwachen und Unterdrückten gemacht und auch den Kultus
der Frau geschaffen habe. Innerhalb der feudalen Familie,
als Gattin, war die Frau unterdrückt. Liebe in der Ehe gab es
nicht; so habe denn der ritterliche Sinn außerhalb der Ehe, im
Gegensatz zu ihr, der Frau seine Sympathie, sein Mitleid und
schließlich seine Liebe zugewendet.^) Ebenso spricht Fauriel
von dem ,,enthousiasme respectueux", der sich während des
11. Jahrhunderts im Rittertum ausgebildet habe, das Prinzip
selbstlosen Handelns geworden sei und nur außerhalb der Ehe
eine moralische Kraft werden konnte.*) Auch für Vossler sind
die Ritter die Ersten gewesen, die ,,sich des schönen Geschlechts
annahmen und die Emanzipation der Frau sozusagen ins Rollen
brachten." ,,In Südfrankreich trat der ritterliche Individuahs-
mus mit seinem Evangelium von Kraft und Ehre aus der Tiefe
der Instinkte klarer liervor ins Bewußtsein. Dort zuerst hatte
sich, teils aus fleischlichem Wohlgefallen und Schönheitssinn,
teils aus Großmut und Hochherzigkeit die männhche Kraft
des schwächeren Geschlechts angenommen."^)
-) Über den ritterlichen Frauendienst (Aus Dichtung und Sage, Vor-
träge und Aufsätze von Wilhelm Hertz, her. v. K. Vollmöller, 1907) p. 6 ff.
^) Histoire de la litterature provengale, trad. par A. Martel (1894)
p. 41 f.
^) Histoire de la poesie provengale (Paris 1846) t. I p. 498.
'•') Die göttliche Komödie 1, 2 p. 486.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVIP. 13
180 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
Gegen diese traditionelle Auffassung wendet sich Wechssler.
Es ist einer der leitenden Gedanken seines Buches, daß die frauen-
haft-künstlerische Kultur der südfranzösischen Frauenhöfe in
Widerstreit gegen die männlich-kriegerische der Ritterschaft
gestanden habe und daß die sogenannte Emanzipation der Frau
keineswegs von der Ritterschaft ins Werk gesetzt worden sei.
Zu Beginn wären cortezia und Frauendienst den Rittern fremd
gewesen, erst allmählich hätten sie den Frauendienst zu ihrer
vornehmsten Pflicht erhoben (p. 215 f.), aber immer sei die höfische
Frauenverehrung ein fremdes Reis auf dem Stamme ritterhcher
Lebensart gebheben. In welcher Weise und in welchem Umfange
das feudale Element an der Ausbildung der Frauenverehrung
teilgenommen habe, diese Frage wird vv^ohl der in Aussicht ge-
stellte zweite Band des Näheren ausführen.
Wenn es nicht die Ritterschaft gewesen ist, die cortezia und
Frauenkult geschaffen hat, wer war es denn ? Niemand anders
als die Frau selbst, antwortet Wechssler. Zweifellos darf man
sich die Frau nicht als ein gänzhch passives Wesen vorstellen,
das sich eben noch geduldig als eine untergeordnete Magd be-
handeln ließ und nun ebenso geduldig als erhabene Herrin feiern
läßt. Sie hatte sicher ihren vollen Anteil an der Ausbildung
des neuen höfischen Sinnes. Sicher bildete sich wesenthch
unter ihrem Einfluß jene Gesamtheit mondäner Eigenschaften,
die man unter dem Namen Courtoisie zusammenfaßt.^) Sehr
richtig bemerkt Vossler: ,,Von der anderen Seite gesehen, es
war den Künsten des Weibes gelungen, den Mann bei seinem
Ehrgeiz und seiner Eitelkeit zu fassen und seinem kriegerischen
Wesen die Gesetze des Anstandes zu diktieren. Als vornehme
Dame stellte nun das Weib, dem die mittelalterhche Kirche den
Mund geschlossen hatte, den Geboten dieser Kirche seine eigenen
Gebote gegenüber".'^)
Also, die Frau hat mitgeschaffen. Aber doch wohl kaum
so ausschheßhch, so stark und so bewußten Geistes, wie Wechssler
anzunehmen geneigt ist. Seiner Ansicht nach sind einige hoch-
gestellte Frauen wirkliche Kulturschöpferinnen geworden. Diese
hätten ihre neue Daseinsauffassung mit Bewußtsein der kirch-
lichen und der ritterlichen Weltanschauung entgegengesetzt.
Eine unerhörte, kaum glaubliche Kulturtat schreibt eine solche
Auffassung den fürstlichen Frauen zu. Zu welch hoher innerer
Selbständigkeit müßten sie fortgeschritten sein, ein wie helles
Bewußtsein von ihrer tatsächhchen Lage und einen wie klaren
Blick für die Möglichkeiten und Mittel einer Besserung müßten
sie besessen haben, um gleichzeitig gegen die Kirche und gegen
Geist und Gewohnheit ihrer Kaste in bewußter Opposition sich
^) cf. Jeanroy: La Poesie provengale au moyen-äge. Rev. des
deux Mondes, 1 fevrier 1903 (p. 671).
') A. a. O. p. 487.
Weclissler, Eduard. 181
erheben zu können! Unmöglich war die Frau damals zu so
kühner und folgenschwerer Tat innerlich reif genug.
Den Einfluß der Frau auf das Kulturleben ihrer Zeit hält
Wechssler doshalb in Südfrankreich für erwiesen, weil dort die
Töchter der Vornehmen erbberechtigt und thronfolgefähig waren.
Daher hätten sie im 11. und 12. Jahrhundert eine große politische
Rolle spielen können. Die Gräfin Adelheid von Carcassone,
die Vizgräfin Ermengard von Beziers, Ermengard von Narbonne
seien im 12. Jahrhundert eine Art selbständiger Herrscherinnen
gewesen, denen von ihren Untertanen eine gesteigerte Hoch-
achtung entgegengebracht worden sei. Auch Eleonore von
Poitiers wird von ihm in diesem Zusammenhang erwähnt. Der
Hofstaat dieser Fürstinnen sei nicht mehr aus kriegstüchtigen,
trunkfesten Männern gebildet worden, sondern habe sich aus
einem Kreis gebildeter Frauen und Mädchen, aus gewandten
Ministerialen und Hofbeamten zusammengesetzt. Gerade diese
Frauenhöfe seien Heimstätten feiner Geselligkeit, feiner Sitte
und Bildung gewesen, und sie hätten es sein können, da die vor-
nehmen Frauen ihren männlichen Standesgenossen an gelehrter
Bildung weit überlegen gewesen seien. Diese Bildung aber sei
in jener Zeit nicht mehr ausschließlich durch Kirche und Kloster
vermittelt worden. Lehrer und Berater sei jetzt der höfische
Sänger geworden. Neben den Kaplan sei jetzt der Troubadour
getreten. Das Ziel der Bildung sei die Vorbereitung auf die
höfische Welt gewesen, die Frauen suchten nicht nur Belehrung,
sondern auch Unterhaltung; sie bildeten Geist und Geschmack.
Auf diese Weise sind die Frauen Kulturschöpferinnen ge-
worden, haben sie ein Zeitalter spezifisch w^eibhcher Gesittung
heraufgeführt, das nun auch eine frauenhafte Poesie gehabt
habe. Ihre weibliche Anmut, verbündet mit hohem Rang und
geistiger Würde habe die Kultur der Epoche beherrscht.
Diese hohe Auffassung von der Rolle der Fürstin und Frau
in jener Zeit vermag ich nicht zu teilen. Von einem Beherrschen
ihrer Epoche, sowie von der Herbeiführung eines Zeitalters
spezifisch weiblicher Gesittung kann keine Rede sein. Die Zeit
ist männlich geblieben, blieb von den Anschauungen der Männer
beherrscht. Die Minnedichtung ist doch nicht das einzige Er-
zeugnis des Jahrhunderts. Unendlich viel andere Kräfte und
Mächte regen sich da. Von dem gesamten öffentlichen, wirt-
schaftlichen, politischen, wissenschaftlichen Leben bleibt die
Frau weiterhin gänzlich ausgeschlossen. Nirgendwo ist von
ihrem Einfluß eine Spur zu entdecken, nur in einer höchst ex-
klusiven Gattung der Dichtung, im höfischen Minnelied und
unter seiner Wirkung im höfischen Roman wird sie als Ideal
gefeiert. Nur im Ausdruck der dichtenden Liebesverehrung,
in der Sprache der Galanterie wird sie auf ein hohes Piedestal
gestellt. In der Wirklichkeit, im tatsächlichen Liebesleben,
13*
182 Referate und Rezensionen. Walther Kückler.
im sozialen Gefüge des Tages ist ihr sicher nur selten eine gleich
erhabene Stellung zuerkannt worden.
Es ist sehr fraglich und müßte jedenfalls noch erst doku-
mentarisch bewiesen werden, ob die vermeintliche politische
Macht jener namentlich angeführten Fürstinnen ihnen wirklich
die Möglichkeit zu kulturschöpferischer Tätigkeit geben konnte.
Sie übten ihre politische Macht doch nur nominell aus, tatsächlich
w'aren es Männer, die für sie regierten, nur mit Männerkraft
und Mitteln der Männergcwalt konnten sie sich im Kampf um
ihre Existenz behaupten. Von den Hölicn ihrer politischen
Maclit führen keine Wege ins Land der Diclitung.
Ebensowenig wie ihre politische Macht darf ihre hervorragend
tiefe, gelehrte Bildung ins Treffen geführt werden. Es sind
sicher im ganzen Abendlande nur einige vereinzelte Fälle ge-
wesen, daß fürstliche Frauen das ,, ganze gelehrte Wissen der
Zeit" besaßen. Männerbildung und Frauenbildung in den höfisclien
Kreisen unterschieden sich höchstens dadurch voneinander,
daß mehr Frauen als Männer die elementaren Kenntnisse er-
warben und daß wohl manche Frauen etwas tiefer, etwa in der
Kunst des Lesens und Schreibens, in elementarische Wissen-
schaftlichkeit eindrangen. Und w^o eine Frau wirklich das „ganze
gelehrte Wissen" besaß, da hätte ihr diese Gelehrsamkeit sicher
nicht zur Inaugurierung der Kultur der cortezia. verhelfen. Ihre
Gelehrsamkeit hätte sie auf ganz andere Ideale hingewiesen,
als die es waren, welche die rein gesellschaftliche, bei allem Glanz
und aller Feinlieit in hohem Grade äußerliche Kultur der cortozia
verkörperte. Die Gelehrsamkeit hätte die Frau in engste Fühlung
mit der Kirche gebracht; denn ohne diese gab es kein gelehrtes
Wissen. Die Bildung der cortezia war eine Laienkultur, und
wenn die Frau an ihrer Schöpfung Anteil geliabt hat, so hat sie
ihn gehabt in dem Maße, wie sie in ihrer Auffassung von Welt
und Leben sich von den Anschauungen der Kirche entfernte.
Es war ohne Frage nicht ihre gelehrte Bildung, welche die
Frauen zu irgend welchen schöpferischen Neuerungen trieb,
sondern ihr verfeinertes Unterhaltungsbedürfnis, das z. T. von
Männern mit gelehrter Bildung befriedigt wurde, aber indem
diese ihre eigentliche Gelehrsamkeit beiseite ließen und eine
Unterhaltungsliteratur schufen aus Stoffen, die ihnen durch
ihre gelehrten Studien bekannt geworden waren. So fand in
jener Zeit eine Annäherung zwischen der gelehrten Welt und dem
ungelehrten Publikum der höfischen Kreise statt, indem beide
Parteien sich auf halbem Wege entgegenkamen.
Wenn man den Anteil der Frau an der Ausbreitung der
neuen höfischen Kultur bestimmen will, so darf man weder von
der politisch-mächtigen, noch von der gelehrten Frau ausgehen,
sondern von der Frau lediglich als Weib, von der vornehmen
Dame, die innerhalb ihrer Kaste aufgewachsen war und deren
Wechssler, Eduard. 183
Fühlen und Denken vollständig teilte. Ganz von selbst
gewann diese Frau mit der Ausbildung der Geselligkeit, die eben-
falls eine ganz natürliche Folge der gehobenen Lebensbedingungen
des vornehmen Adels war, an Bedeutung. In dem mehr und
mehr zu Standesbewußtsein sich erhebenden Adel entwickelte
sich neben seinem kriegerischen Wesen die Galanterie gegen-
über den Frauen. Oder, sie war wohl schon lange in primitiveren
Formen vorhanden gewesen, nun gewöhnte man sich daran, sie
als notwendiger zu empfinden, sie als Teil und Mittel der Er-
ziehung zu betrachten. Und vor allen Dingen, man gewöhnte
sich daran, sie auszusprechen. Die Frau selbst brauchte nur sich
in den Vorzügen feinerer Weiblichkeit zu geben, so war ihr die
Galanterie der Männer sicher, auch die der Frauenverächter,
der rohen Kriegsmänner; denn es ist eine alte Erfahrung, daß
man keine große Achtung vor den geistigen Eigenschaften der
Frau zu haben oder gar ihre Überlegenheit anzuerkennen braucht,
um ihr in den Formen des gesellschaftlichen Verkehrs mit aus-
gesuchter Höflichkeit zu begegnen, um in galantem Flirt und mit
gew'andter Schmeichelei äußere Huldigungen zu erweisen. Also,
innerhalb des Adels, ohne irgend eine Opposition zu machen
gegen männlich-kriegerische Kultur, auf dem Boden des gesell-
schaftlichen Fortschritts, den wir als das vornehmste Prinzip
der damaligen adeligen Lebensführung betrachten müssen,
gewann die Frau ihre neue, einflußreiche Stellung. Sie hat die
Bildung der cortezia mitgeschaffen im Bunde mit ihren Standes-
genossen.
Es entspricht nur der starken Überschätzung der weiblichen
Initiative bei der neuen Kulturschöpfung, w-enn Wechssler den
Frauen auch bei der Entstehung des Minnesangs eine denkbar
weitgehende Mitwirkung zuerkennen möchte. Er stellt nämlich
die Vermutung auf, daß der Minnesang als literarischer Ausdruck
der erotischen Hörigkeit des Mannes aus bewußter Inspiration
vornehmer Frauen und gewissermaßen auf deren Wunsch und
Befehl entstanden sei. Die unabhängigen Fürstinnen Süd-
frankreichs hätten ihre Freiheit in geistreicher Weise dazu benutzt,
von den Dichtern ihrer Höfe die erotische Hörigkeit des Mannes
postulieren zu lassen. Und so hätten wahrscheinlich, zusammen
mit einigen begabten Dichtern einige hervorragende Frauen
fürstlichen Standes den Minnesang recht eigentlich geschaffen.
Es wird mir schwer, ja, es ist mir unmöglich, an eine so
bewußte, tendenziöse Schöpfung des Minnesangs zu glauben.
Literarische Strömungen von Wert und Bedeutung pflegen nicht
auf W' unsch oder Befehl noch so geistreicher Männer oder Frauen,
nicht auf fürstlichen Wink zu erstehen.
Diejenigen, die auf Frauenbefehl dichteten, die Überlegenheit
der Frau und die Hörigkeit des Mannes verkündeten, waren
184 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
dienende, gelehrte Hofsänger. Von ihnen geht der Minnesang
aus, nicht von den Rittern. Diese Auffassung, daß im Gegensatz
zu dem LiebesHed der Ritter das Minnehed ein Produkt gelehrter,
dienender Hofdichter gewesen sei, ist ein zweiter, wichtiger Punkt
des Wechsslerschen Buches.
Die Frage, welcher Stand das Minnelied und die Troubadour-
poesie im allgemeinen geschaffen habe, ist bisher verschieden
beantwortet worden. Diez war der Ansicht, daß der Bänkel-
sängergesang nicht mehr geeignet gewesen sei, die höheren Forde-
rungen der nach feineren poetischen Genüssen sich sehnenden
Edlen zu befriedigen und daß daher eine kunstreichere, gebildetere
Poesie aus dem Geiste des Rittertums entsprungen sei. ,, Offen-
bar gaben die Edlen den Anlaß zu derselben, nicht allein mittel-
bar, insofern es der Geist der höheren Gesellschaft war, der
diese Poesie hervorgebracht hat, sondern auch unmittelbar
durch das Anschlagen der ersten Akkorde." Die Dienstleute
der Edlen hätten sich dann bald dieser neuen Art des Dichtens
bemächtigt und diese Poesie zu einer Kunst ausgebildet, sowie
zu einem Mittel des Erwerbes gemacht. Sie seien teils dienende
Ritter gewesen, teils aus niederer Ordnung der Gesellschaft
hervorgegangen.^) Vollkommen teilt diese Ansicht Stimming,
wenn er in Gröbers Grundriß (II, 2 p. 15) ausführt, daß die Ange-
hörigen der ritterlichen Stände sich so eifrig und erfolgreich in
der Dichtkunst versuchten, daß ihr Beispiel auch auf die nicht
zu ihrem Stande gehörigen Dichter wirkte.
Eine andere Auffassung vertritt Restori. Die mit der Ver-
feinerung des Adels aus Jongleurs zu Troubadours gewordenen
Sänger im Gefolge der Herren hätten die volkstümliche Dichtung,
indem sie sich dem kultivierteren Geschmack ihrer Auftrag-
geber anpaßten, aristokratisiert. Da sie sich in untergeordneter
Lage befanden, so erklärt sich ihr Respekt gegenüber der Gattin
des feudalen Barons, der natürlichen Herrin des Hofes. Daher
habe die lyrische Dichtung der Provenzalen von Anfang an
das so charakteristische Gepräge der grenzenlosen Ergebenheit
gegenüber der Herrin, einen Zug, den dann die Ritterschaft
organisierte und in Regeln brachte.
Läßt Diez die Ausbildung der von den Rittern geschaffenen
Poesie zu einer Kunst das Werk der dienenden, ritterlichen
und nichtritterlichen Sänger sein, so schreibt umgekehrt
Restori die weitere Entwicklung der von berufsmäßigen Dichtern
begonnenen Dichtung den ritterlichen Kreisen zu.
Wechssler nun schließt die Ritter so gut wie gänzhch aus.
Der Minnesang ist ihm seinem Wesen nach eine auf philosophische
Vertiefung hinzielende, gelehrte Dichtung. Gerade im Anfang
8) Die Poesie der Troubadours. Zweite, verm. Auflage v. K.Bartsch
(1883) p. 14 ff.
Wechssler, Eduard. 185
konnte sich am Minnesänge nur beteiligen, wer eine gelehrte
Bildung besaß. Mit dem Aufkommen des gelehrten Minnesangs
wurde die ritterliche Liebespoesie, deren Ziel nicht in der Liebes-
werbung, sondern im Liebesgenuß lag, verdrängt, und es bemäch-
tigten sich der neuen Dichtart die vornehmen Kreise, für die der
Frauendienst nur eine Maske war.
Wechssler macht keinen Versuch, diese Frage der Ablösung
der ritterlichen Liebesdichtung durch den eigentlichen Minnesang
in methodischer Untersuchung zu behandeln. Er sagt nur im
Vorbeigehen, daß die Aneignung des höfischen Frauendienstes
durch die Ritterschaft, die Erhebung dieses Dienstes zur vor-
nehmsten Pflicht sich bereits zur Zeit Wilhelms IX. vollzogen
habe. Diese Andeutung steht jedoch im Widerspruch zu der
Annahme, nach der die genannten, nach Wilhelm IX. lebenden
Fürstinnen des 12. Jahrhunderts die Kultur der cortezia und den
Minnesang recht eigentlich erst geschaffen haben sollen.
Nach Wechsslers Auffassung hat das echte und ursprüngliche
Minnelied nie etwas mit wirklicher Liebe zu tun gehabt. Ihm
ist das echte Minnelied seiner ursprünghchen und wesentlichen
Bestimmung nach in den meisten Fällen ein politischer Pane-
gyrikus des berufsmäßig dienenden Lobdichters auf die Herrin
des Hofes, und zwar in der Form der persönlichen Huldigung.
Die Dichter huldigten der Fürstin als dem Sproß eines feudalen
Geschlechtes, nicht als Weib, sondern als Gebieterin des Landes.
Schon Uhland hat, indem er an die Dichtung der deutschen
Ministerialen dachte, den Frauendienst als Fortbildung und
Vergeistigung des angeerbten Hofdienstes bezeichnet.
Aus dem Hofdienst des dienenden Sängers konnte sich,
so folgert Wechssler, das Minnelied entwickeln, indem der Sänger
das Prinzip der persönlichen Neigung, auf dem aller feudaler
Dienst beruhte, auch auf seinen Dienst bei der Fürstin übertrug.
^^'enn die Beteuerungen der Liebe und Treue den Minnesang
erfüllten, so geschah das gemäß den Anschauungen der Zeit-
genossen, die für allen Hof- und Kriegsdienst persönliche Neigung
und Ergebenheit forderten. Durch diese Übertragung der Dienst-
ergebenheit auf das Gebiet der Liebe war nun, schließt Wechssler,
für die Kunst unendlich viel gewonnen; denn was vorher in
bloßem Lob und im allgemeinen gesprochen worden war, wurde
nun von einem liebenden Herzen lebhaft gefühlt und mit Leiden-
schaft geäußert (p. 153).
Wenn der Vorgang so zu denken ist, so müßte hier der eigent-
liche Kern der Minnepoesie liegen; denn die Frage ist die ent-
scheidende: Wie konnte innerhalb des Dienst- und Ergeben-
heitsverhältnisses, innerhalb des bloßen Lob- und Preisliedes
das Element der Liebe auftreten, von dem doch in ihrer Gesamt-
heit die Minnepoesie aufs stäi'kste durchtränkt ist. Wechssler
gibt eine äußerlich bestechende Erklärung, indem er sagt, die
186 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
Liebe ergab sich dadurch, daß man den Dienst, weil er eben
als auf persönlicher Verehrung beruhend gedacht wurde, ins
Erotische umdeutete, wie man umgekehrt das innere Erlebnis
unter den präzisen Formeln und der anschaulichen Symbolik
des feudalen Rechtes darstellte. Sobald also das Neigungs-
verhältnis, wie es zwischen senior und homo bestand oder bestehen
sollte, einen Hofdichter und eine Fürstin verband, war alles
weitere gegeben, und niemand in diesen aristokratischen Kreisen
konnte in den Liebesbeteuerungen des dienenden Dichters einen
Verstoß gegen Rechtsbrauch oder Etikette bemerken.^)
Ist die Entwickelung so gewesen, so ist klar, daß es sich von
Anfang an um ein fiktives Liebeswerben handelte, mochte im
übrigen die Versicherung von Liebe und Treue des Dienenden
aufrichtig oder geheuchelt sein. Eine Erwiderung der Sänger-
liebe durch die Herrin war ausgeschlossen, sie konnte ihm höchstens
materiellen Lohn gewähren. Tatsächlich ist denn auch für
Wechssler der Minnesang nichts anderes als eine Lügendichtung. ^'^)
Den Sängern fiel es in der Regel nicht ein, zu glauben, es könnten
ihre Liebesbeteuerungen ernst genommen werden.
Diese starke Betonung des höfischen Dienstverhältnisses
führt ganz folgerichtig den Verfasser zu dem Urteil: ,,Der feudale
Hofdienst, ob erstrebt oder erreicht, war dem Dichter und der
^) Die Annäherung von feudaler und sexueller Liebe ist nach
Wechssler nicht innerhalb des Dienst- und Lobliedes neu entwickelt
worden, sondern zugleich von außen hineingetragen; und zwar seien
die hauptsächlichsten Quellen Ovid und das Maitanzlied gewesen.
Auch sei schon zuvor, meist durch die Ependichter, das feudale Treu-
verhältnis ins Erotische umgedeutet worden (p. 177).
^^) Den Nachweis, daß der Minnesang seinem Wesen nach eine
Lügendichtung ist, versucht besonders das 12. Kapitel ,,Der Liebes-
wahn" zu führen. Die angegebenen Gründe können aber kaum als
zwingend angesehen werden. So soll das Verbum cuidar mit seinen
substantivischen Ableitungen den Terminus für den Liebeswahn der
Troubadours geliefert haben. Die Troubadours seien sich der Aus-
sichtslosigkeit ihrer fiktiven Liebe bewußt gewesen und hätten dann
und wann durch den scheinbaren Ernst ihrer Beteuerungen ihre wahre
Stimmung hindurchblicken lassen. Cuidar bedeutet glauben, sich
einbilden und drückt gelegentlich wohl auch gerade das Ungewisse
des bloßen Glaubens und Meinens aus. Keineswegs aber liegt ihm
stets die Vorstellung eines eitlen Wahnes, eines leeren Traumes zu-
grunde. Ganz sicher nicht, um nur diese Belege heranzuziehen, in
den drei ersten, auf Seite 190 angeführten Beispielen. Ohne weiteres
muß ausscheiden die Stelle aus der bekannten Romanze des Peire
von Auvergne:
Mos cuidatz Vens ni glatz
Es bos falz: Ni estatz
Nom pot far tortura Ni cautz ni freidura.
Wir haben es nämlich in diesen Versen ganz und gar nicht mit der
fingierten Liebe eines dienenden Sängers zu einer hohen Herrin zu tun,
sondern es sind aus echtem und innigem Liebesgefühl stammende
Worte der Frau, Verse aus der Antwort der Geliebten auf die Botschaft
des Liebenden.
Wechssler^ Eduard. 187
Adressatin das eigentlich Reale dieser scheinbar so weltfremden
Poesie" (p. 176). Gegen diesen Satz empört sich in seiner Be-
sprechung Savj-Lopez: Nein! Das eigentlich Reale war für den
Troubadour wie für jeden Dichter la propria intuizione e La sen-
sibilüä artistica. Wenn auch Furcht und Angst vor der Herrin
im Dichter mächtig sind, mit welchem Recht können wir sagen,
daß solcher Geisteszustand aus der Unterwürfigkeit eines Vasallen
vor seiner Herrin komme, anstatt aus dem exaltierten Kult der
Weiblichkeit oder der Liebe ?
In der Tat, nichts zwingt uns, die Ritter bei der Frage nach
der Entstehung des Minnesangs beiseite zu schieben. Gewiß
mögen sie das Dichten, auch das Dichten von Liebesliedern
von berufsmäßigen Dichtern gelernt haben. Aber mehr als die
Technik zunächst vielleicht nicht. Wirkliciies Liebesgefühl
zu Frauen ihres Standes siclier nicht. Ja, ohne sie möchte das
Element der Liebe im Minnesänge schwer zu erklären sein. Es
ist nicht einzusehen, trotz der Wechsslerschen geistreichen Er-
klärung, wie der um materiellen Lohn dienende Sänger, der
Unterhaltungskünstler, das Lob der Herrin in die Sprache der
sehnenden Liebe hätte kleiden können und dürfen. Die Liebe
mit der Hoffnung auf Besitz — mag sie nocii so schwach sein,
vorhanden ist sie im Minnelied, gespielt wird mit ihr — durfte
nur der Ranggleiche erklären. Oft genug mag es im Leben vor-
gekommen sein, daß ein adeliger Mann um die Liebe einer adeligen
Frau warb. Und es liegt nahe, sich vorzustellen, daß die an den
Ton höfischer Etikette gewohnte Frau dem Werbenden bei seinen
Bemühungen um ihre Gunst zarte und respektvolle Formen auf-
erlegte, daß sie nicht unempfänglich für poetische Huldigungen
war. Wenn Wilhelm IX. in dem Liede „Farai chansoneta nueva"
ausspricht :
Ma dona m'assai em prueva,
Quossi de quäl guiza l'am,
Auch die Verse Bernhards von Ventadour:
Que SOS cors es bels e bos
E blancs sotz la vestidura - —
Eu non o die mas per cuida.
haben nichts mit Liebeswahn zu tun. Der Dichter will nur sagen,
daß er die Schönheit des Körpers der Dame nicht aus eigenster, in-
timster Kenntnis rühme, sondern weil er sie sich so, wie er sie schildert,
einbilde. Ebenso bedeutet cudars in dem Giraut de Bornelh entlehnten
Zitat nicht Liebeswahn, sondern das vertrauensvolle Denken an die
Herrin.
Schwieriger ist es, jeweils den genauen Sinn des von Wechssler
zur Stütze seiner Auffassung herangezogenen Begriffs fenher fest-
zustellen. Oft heißt fenher sicher nichts anderes als heucheln, Ver-
liebtheit vorgeben. Aber nicht immer. So glaube ich z. B. nicht,
daß in den Versen
E d^iina chan e d'unam fenh
E d'aquelha Miraval tenh
188 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
so möchte diese Wendung wohl auf eine wirkhch erfolgte Auf-
forderung der Dame an ihren Liebhaber, sich in poetischer Form
über die Art und Weise seiner Liebe zu äußern, hindeuten. Wir
hätten, wenn diese Vermutung richtig ist, eine direkte Inspiration
der Dame, aber nicht zu dem Liede eines dienenden Sängers,
sondern eines hochgeborenen, zu den Mächtigsten der Erde
rechnenden Grafen. Und dieser Graf beteuert seine Liebe in
Ausdrücken der tiefsten Ergebenheit, in der untertänigsten
Vasallensprache. Muß er diese erst von wirkHchen Vasallen
erlernt haben ? Konnte er nicht von seiner Höhe herab das
Vasallitätsverhältnis ebenso gut als die typische und sprechendste
Form einer Untertänigkeit auch im Liebesverkehr betrachten,
wie umgekehrt der Dienende aus seiner tieferen Lage heraus ?
War es nicht gerade eine besonders glückliche Schmeichelei,
wenn der, der sich kaum von seiner Vasallitätspflicht gegenüber
dem König von Frankreich bedrückt fühlte, der begehrten Dame
gegenüber sich als ergebener Vasall beugte ? Es lag eigentlich
viel näher, daß der Unabhängige zu solch einer Metapher griff,
als der, der ohnehin schon im Abhängigkeitsverhältnis stand.
Was hätte denn der Diener so sehr Neues und Eindrucksvolles
gesagt, wenn er sagte, Herrin, ich bin Euer ergebenster Diener ?
Wenn man die Lieder des Gi^afen betrachtet, so fällt sogleich
der Mangel an Einheit und Stimmung in ihnen auf. Zweifellos
war der Graf dichterisch begabt, aber ebenso zweifellos hat er
von den Jongleurs in seinem Solde gelernt. Einzelne seiner
Lieder sind sicher Nachahmungen von Stücken aus dem Jongleur-
repertoire, z. T. mit deutlicher Durchsetzung des rücksichtslosen,
Raimund von Miraval selbst zugestehen wollte, daß seine Minne nur
erheuchelt sei. Se jenher bedeutet hier tatsächlich sich bemühen.
Wir haben es bei diesem Worte, wie bei so manchen von den Trou-
badours angewendeten, nicht mit einem scharf nach allen Seiten hin
abgegrenzten Begriffe zu tun, sondern mit dem sprachlichen Ausdruck
einer sehr komplizierten Vorstellung, deren Bedeutung von Fall zu
Fall in ihrem eigentlichen Wert erschlossen werden muß. Daß es
Minnelieder gibt, in denen es sich nur um erheuchelte Liebe handelt,
ist richtig. Nur erscheint es fraglich, ob man gerade solche Lieder
heranziehen darf, um aus ihnen das eigentliche Wesen des Minnesangs
abzuleiten. Das echte Minnelied tritt mit dem Anspruch auf, wahre
Gefühle zu schildern. D i e Realität, welche Biographien und razos
manchen Liedern andichten, liegt ihnen zwar in der Regel nicht zu-
grunde, sondern eine poetische, in der Phantasie des Dichters lebende
Wirklichkeit.
Zum Beweise, daß der Minnesang als Lügendichtung zu betrachten
ist, kann auch nicht die auf S. 197 angeführte Stelle aus der fingierten
Tenzone des Mönchs von Montaudon mit dem Herrgott herangezogen
werden:
Seigner! eu tem que faillis, Qu'om peri vostr' amor e vos
S^eu jatz coblas ni chanzos: Qui son escient mentis.
Der Mönch spricht hier nicht nur vom Minnesang, sondern ganz
allgemein von weltlichem Dichten, das von kirchlichem Standpunkt
aus kaum etwas anderes als ein Lügen ist.
Wechssler, Eduard. 189^
freischaltenden Herrenstandpunktes. Zynisch, unflätig und roh
sind diese Lieder, wie es sicher viele der Darbietungen waren,
welche die in allen Sätteln gerechten Jongleurs auf Märkten
so gut wie in Schlössern vortrugen. Neben diesen derben Stücken,
in mehreren Abstufungen, stehen die Lieder, in denen der Frauen-
dienst erscheint, als Erzeugnis desselben Mannes. Das hat nichts
Seltsames. Eine andere Unterhaltung führt der Baron unter dem
Kriegszelt, zu Pferd und beim Becher, als in Gegenwart der
Damen, als vor der Dame, die er um ihre Liebe bittet. Durch
das ganze Mittelalter geht dieser Doppelton in Liebessachen,
oft in den Werken ein und desselben Verfassers hindurch. Der
Graf verfügte über den einen wie über den anderen Ton. War
er wirklich der Frauenverführer, als der er gilt, so werden ihm
auch die sanftesten Töne verliebter Huldigung zu Gebote ge-
standen haben, so gut wie dem fahrenden Sänger, wie dem ge-
lehrtesten Troubadour.
Was den Grafen zu Liebesliedern bewegte, war die Liebe,
war seine erregte Sinnlichkeit. Er war im Augenblicke verliebt
und wollte gewinnen. Seine Gefühle mußten durch einen gewissen
Zwang hindurch, durch einen Zwang, den die ersehnte Frau ihm
auferlegte, aus natürlicher Zurückhaltung, Koketterie und aus
den sich bildenden spielerischen, gesellschaftlichen Konventionen
heraus. Was beide antrieb, war im Grunde nichts Gemachtes
und Unnatürliches, sondern war etwas allgemein Menschliches.
Indem das Weib sich ungestümem Verlangen gegenüber versagt,
sich um ihre Gunst bitten läßt, offenbart sich um so deutlicher
dem Werbenden der Wert der Begehrten, erkennt er ihre Vorzüge
und erdichtet er sich neue in seiner erotisch erregten Phantasie.
Solche Vorgänge mögen, wie zu allen Zeiten, so auch im Liebes-
leben und im Minnesang jener Zeit sich ereignet haben. Es soll nicht
behauptet werden, daß mit seinen Liedern der Graf den Minne-
sang geschaffen hätte, aber es soll die Ansicht vertreten werden,
daß aus der allgemein menschhchen Wirklichkeit wahrer Liebes-
gefühle, deren Erfüllung von dem zurückhaltenden Willen der
Frau abhing, innerhalb des Adels, ohne Belehrung durch gelehrte
Sänger und ohne Vorbild fiktiver Liebeswerbung eine Dichtung
erstehen konnte, die wie der Minnesang des 12. Jahrhunderts
den Mann in freiwilliger Unterordnung sich vor der ersehnten
Frau beugen ließ.
Die Zeitumstände waren damals der Frau günstig. Es war
eine Zeit, in der Phantasie und Gefühl mächtig erregt wurden ;
eine Zeit, die den Menschen für die Schönheiten und Wunder
des Daseins empfänglich zu machen begann und ihn zugleich
mit Innerlichkeit erfüllte. Was aus der reichen Realität des
rein Menschlichen und Sinnlichen heraus geboren worden war,
und in all seiner frohen Jugendkraft in die Zucht der guten
und schönen Sitte genommen wurde, das wurde nun in seiner
190 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
weiteren Entwicklung durch die gedankliche Arbeit der Theorie
zur Höhe des Ideals erhoben. Und diese Vollendung mag denn
wohl das Werk anderer Begabung sein, als sie der kriegerische,
verheb te und galante Ritter aufzuweisen hatte. Nun mögen die
Gelehrten zu Worte kommen, da nämlich, wo es sich um die
Ausbildung oder auch Erstarrung der Gefühle zur Theorie
handelt.
Es darf in diesem Zusammenhange an einen lehrreichen
Aufsatz ,,Dolce stil novo e noel dig de nova maestria" von Gesare
De Lollis erinnert werden. ^^) Dort wird, nicht ganz in Über-
einstimmung mit unseren Ausführungen, die Ansicht vertreten,
daß die provenzahsche Poesie aus der bänkelsängerischen der
Jongleurs sich zur troubadourmässigen höfischen erhoben habe
passando a traverso la scuola. Das Schulmäßige, Intellektuelle,
Theoretische erklärt sich dadurch, daß das stürmische Gefühl
nicht zu seinem Ausdruck kam, ohne erst zahlreiche Konzessionen
an den Intellekt zu machen. Die schulmäßige Formel war etwas
wie ein Geleitbrief des persönlichen Gefühls, der diesem die
Möglichkeit gab, sich in jener disziplinierten Gleichförmigkeit
zu äußern, die uns heute auffällt. Auf diese Weise geschah es,
daß die Troubadours zuerst in die Liebessprache die objektive
Note der philosophischen Überlegung einführten und so als die
ersten die Liebe in das Reich des Intellekts erhoben.
Wichtig für uns in dieser schönen Erklärung ist die Zurück-
führung der Troubadourpoesie auf das heftig erregte Gefühl.
Im Gegensatz zu De Lollis, suchen wir es nicht ausschließlich
bei den Jongleurs, sondern ebensogut und mit demselben Recht
bei den adeligen Herren. Sie mochten auch in der Folgezeit mehr
bei dem Ausdruck ihrer spontanen Gefühle verharren, sie unter-
warfen sich schwerer, wie jeder Zucht, so auch der Disziplin des
Gedankens, unter ihnen mochten wolil aucli manche sein, denen
Zittern und Zagen, geduldiges Dienen um ein Weib unwürdig
eines edlen Barons erschien, aber in unvereinbarem Widerspruch
zu ihrem Herrensinn steht die aus warm-sinnlichen Liebesgefühl
geborene poetische Liebessprache nicht, höchstens die intellek-
tuelle Ausarbeitung der gehobenen Liebesempfindungen zu
schulmäßiger Theorie.
Wenn wir die Auffassung, die Wechssler von Ursprung und
Entwicklung des Minnesangs entwickelt, im Zusammenhang
betrachten, so erhalten wir etwa folgendes Bild: Der Minnesang
ist, um es noch einmal zu wiederholen, aus bewußter Inspiration
vornehmer Frauen, die ihre Macht und Freiheit benutzten, um
in geistreicher Weise die erotische Hörigkeit des Mannes postulieren
zu lassen, von dienenden Hofdichtern geschaffen worden. Und
") Studi medievali I (1904) p. 5 ff.
Wcchssler. Eduard. 191
zwar gab außerdem im Anfang die entscheidende Anregung
Ovid. Aus Ovid gewinnt der Minnesang eine Reihe von Vor-
stellungen, z. B. von der Liebe als Krankheit, als Zwang, Dienst,
Lob, Schmeichelei etc.; literarische Anregungen, die nach zeit-
genössischen Anschauungen in neue, der Zeit entsprechende
Formen umgesetzt wurden. Er hat dann verschiedene Stufen
durchlaufen. Vom Frauenlob hat er sich über Frauendienst
zu Frauenkult und schließlich zu einer Art von höfischer Religion
entwickelt. Oder, anders ausgedrückt, die dienende Liebe des
feudalen Sängers wuchs aus der rechtlichen Sphäre in die sittliche
empor, aus dem heiteren Spiel wurde eine ernste und große An-
gelegenheit, die leeren Formen füllten sich mit Gehalt. Indem
die Frauen als Kulturschöpferinnen betrachtet und dem Denken
und Geschmack der Zeitgenossen entsprechend als heihg gepriesen
wurden, erwuchs aus dem feudalen Frauendienst die höfische
Religion. Da für die klassische Ausbildung des Minnesangs
die Mystik, der christliche Spiritualismus maßgebend wurden,
so gingen manche aus Ovid bekannte rhetorische Phrasen in
mystische Vorstellungsreihen über. Wie der religiöse Mystiker
mit ^yillen mystische Stimm-ung und Ekstase erzielt, so gewöhnte
sich der Berufsdichter auf Befehl der Herrin die Gefühle herbei-
zurufen, die er schildern sollte. War im Anfang — und doch
wohl auch während des ganzen Verlaufs — die fiktive Voraus-
setzung des MinneHedes die Täuschung, als könnte die Fürstin
nach freiem W'illen die Neigung ihres Herzens versagen oder
verschenken, so erhebt sich diese Dichtung zu der tiefen Auf-
fassung, es solle die demütig dienende Sängerliebe zu hoch-
stehenden Frauen die Erziehung und Bildung von Mann und
Weib vollenden.
Die leeren Formen füllten sich mit Gehalt, das ist der Charak-
ter der Wechsslerschen Entwicklungslehre.
Wieder hat Wechssler nicht den Versuch gemacht, die von
ihm vorgetragene Ansicht durch eine entwicklungsgeschichtliche
Darstellung zu beweisen. Wie aus Äusserungen der Einleitung
hervorgeht, hat er wohl mit Absicht auf ein solches, ihm einst-
weilen noch unmöglich erscheinendes Verfahren verzichtet. Doch
es ist ein gefährUches Spiel, großzügige Entwicklungsreihen auf-
zustellen, ohne daß ihre Ordnung und Folge sich aus dem genauen,
auf chronologisch-vergleichendem Studium aufgebauten Durch-
arbeiten des Materials zwingend ergibt.
Und wie steht es mit den Dichtern selbst ? Was hat ihr
eigenstes Genie mit der Entwicklung zu tun? Wir haben die
Inspiration vornehmer Frauen, die entscheidende, literarische
Anregung durch Ovid, die künstliche Erzeugung von mystischen
Gefühlen auf Befehl der Herrin. Wo bleibt da die eigentliche
dichterische Inspiration ? Sie muß doch vorhanden gewesen
sein. Auch Wechssler erkennt sie an. Nicht ungeschickt ver-
192 Referate und Rezensionen. Walther Kiichler.
bindet er die eigene Genialität der Dichter mit der von außen
kommenden Anregung. Er sagt: „Was diese an hohen Möglich-
keiten in der eigenen Brust einschlössen, das erschien ihrem
verzückten Geist als Eingebung der Geliebten. Sie projizierten
ihre Genialität nach außen, um sie von dort als Inspiration
zurück zu empfangen" (p. 406). Eine sehr schöne Vorstellung.
Sicher ist es möglich, daß der liebende Dichter, wie der Liebende
überhaupt, aus den wahren oder erträumten Vollkommenheiten
der Geliebten sich zu holen glaubt, was an Kraft und Begeisterung
ihm selbst in der Seele wohnt. Es ist durchaus möglich, daß
so etwas bei den Troubadours sich ereignete. Aber wenn das
der Fall war, dann war dieses Gefühl das Primäre, dann war es
der starke, treibende Keim, aus dem die spätere Blüte geworden
ist; dann ist das wahre, innere Erleben, der Liebesdrang, das Ver-
langen nach dem Ideal, das Bedürfnis nach Hingabe von Dichter-
naturen die letzte Ursache dieser so ganz auf dichterisch-exal-
tierten Gefühlen begründeten Dichtung gewesen. Dann ist
ihre Glut, ihr Enthusiasmus den Frauen ihrer Zeit zugute ge-
kommen. Und nicht diese haben geschmeidige Höflingsnaturen
zu geistreichen, ihrer Fraueneitelkeit schmeichelndem Jhema
verholfen. Die Anregung durch Frauen, mochte sie sich zuweilen
auch zu ganz bestimmten Wünschen verdichten, war das Sekun-
däre, ebenso wie die Anregung durch Ovid.
Auch Wechssler kann sich der Herleitung der tiefsten Werte
des Minnesangs aus dem innerlich Erlebten nicht verschließen,
wenn er die Tat der Auflehnung gegen die Weltanschauung der
mächtigen mittelalterlichen Kirche aus dem Mute geschehen
läßt, der nur aus selbsterlebter Überzeugung und Erfahrung
der besseren Männer der höfischen Kreise kommen konnte, und
wenn er feststellt, daß diese Tat schon die der ältesten Trou-
badours gewesen sei (p. 433).
Warum hat er nicht versucht, diese innere Wirklichkeit,
diese besseren Männer, diese begabten Dichter zum Ausgangs-
punkt, zu den Trägern der Entwicklung zu machen ? Wer schafft
denn in aller Welt alles Neue, Eigenartige und Große ? Doch
immer nur die Besseren und Begabteren, und doch immer aus
kräftiger, wenn auch idealer WirkUchkeit heraus, doch nie aus
Konvention, Fiktion und Lüge. Die leeren Formen füllten sich
mit Gehalt: eine solche Entwicklung widerspräche aller Erfahrung.
Nie steht am Anfang eine leere Form. Sondern es sucht sich
geistiges Leben aus dämmerigen Anfängen heraus, tastend,
kämpfend, durch Hemmungen hindurch, nach Förderung ver-
langend, zu der Form hinzuarbeiten, in der es sich voll erschöpfen
kann, in der all sein keimender Reichtum zur Entfaltung, zum
wirksamsten und schönsten Ausdruck gelangen kann. Geist und
Form wachsen in gemeinsamer Einheit. Sind sie beide, als ein
Gebilde, zur Reife gelangt, so ist etwas Unvergängliches geworden.
Wechssie f\ Eduard. 193
Doch kann es wohl vorkommen, daß die weiter dichtenden Epi-
gonen in gutem Glauben Inhalt und Form in der alten, voll-
kommenen Einheit weiterzuführen, nur die äußere Form eine
Zeit lang handhaben, ohne daß sie den ihr gemäßen Gehalt ihr
noch zu geben vermöchten.
So steht die an Gehalt leere Form jenseits des Höhepunktes
der Entwicklung, nie am Anfang.
Da es das Gefühl der Liebe ist, das im Minnesang eine so
ideale Vertiefung erfahren hat, so ist es nicht anders möghch,
als daß dieses Gefühl der Keim der zu philosophischer Höhe
sich erhebenden Dichtung gewesen ist. Nicht Lob und Dienst,
nicht fiktive Werbung ohne Liebe als Schmeichelei, nicht politisch-
panegyrische Huldigung der Landesfürstin, sondern die Liebe
von Mann zu Weib. Es ist der Ruhm jener Zeit als eine neue
Entdeckung die beseligende und veredelnde Kraft der Liebe
der Geschlechter zueinander verkündet zu haben. Und nur
aus der Wirklichkeit echter Gefühle heraus konnte man so über
die Liebe nachdenken lernen, wie es im Minnesänge der Fall war.
Sollte wirküch aus der nicht vorhandenen Liebe zu unnah-
baren, vornehmsten Frauen, noch dazu aus der von Wechssler
angenommenen tendenziösen Absicht heraus, aus reiner Fiktion,
auf Grund künsthch erregter Pseudogefühle eine Dichtung
hervorgegangen sein, die Sinnes- und Seelenhebe in idealste
Höhe hebt ? Mir scheint, die vorgespiegelte Liebe der unter-
tänigen Hofdichter, dieses raffinierte Spiel, konnte man über-
haupt gar nicht philosophisch vertiefen. Die Pseudoliebes-
dichtung der dienenden Sänger hat nichts Veredelndes und
Reinigendes, sondern im Gegenteil etwas tief Erniedrigendes.
Sie setzt eine Stim-mung voraus, die unendlich weit entfernt ist
von der freiwilhgen Unterordnung des Mannes unter die Reinheit
und Hoheit des von ihm in Wahrheit geliebten Weibes.
Wechsslers Darstellung von der Stellung des dienenden
Sängers gegenüber der angebeteten Herrin gibt sogar ein Bild
tiefster Würdelosigkeit des Mannes und Dichters, so daß es,
wenn er Recht hat, unerklärlich bleiben müßte, wie aus dieser
seiner Niedrigkeit heraus so erhabene Gedanken über die wahre
Liebessehgkeit aufsteigen konnten.
Es ist klar, daß Wechsslers Auffassung von der Stellung des
Sängers in der höfischen Gesellschaft und besonders der verehrten
und besungenen Herrin gegenüber von Wichtigkeit für seine
ganze Auffassung vom Minnesänge ist. Zunächst legt er dar,
daß die neue, höhere Schätzung der Persönhchkeit auch dem
fahrenden Sänger und Erzähler zugute gekommen sei. Der
Sänger mit seiner höfischen Kunst sei der geachtete Genosse
der höfischen Gesellschaft geworden, die hohen Herren hätten
freundschaftUch mit ihm verkehrt, und daher habe er auch von
194 Referate und Rezensionen. VVaUher Küchler.
seiner eigenen Person, seinen persönlichen Angelegenheiten
in seinen Liedern sprechen können. Diese Darstellung besteht
sicher zu Recht.
Ganz besonders nun wäre die Stellung des Sängers durch
die Kulturtat der vornehmen Frauen gehoben worden. Von
ihnen, den fürstlichen Gesetzgeberinnen der cortezia wurden
die Standesunterschiede aufgelioben. Die höfischen Tugenden
waren Verdienst der Person, nicht der Familie. Nicht mehr
Adel der Geburt machte hoffähig, sondern Adel der Sitten. Diese
letzten Sätze muß Wechssler allerdings sogleich wieder wesenthch
einschränken und zugeben, daß man nur in der Theorie den Satz
vertrat, höher als Geburtsadel, stehe der Adel der Bildung. In
seiner Darstellung aber spricht er ihm doch auch praktische Be-
deutung zu, wenn er behauptet, daß an diesen Höfen, an denen
das Urteil gebildeter Frauen entschied, nun auch der Arme und
Geringgeborene (die Troubadours waren zur größeren Hälfte
niederer Herkunft) die persönliche Achtung erwarb, die bisher
der Adel für sein ausschließliches Vorrecht gehalten hatte. So
hoch stehen nach Wechsslers Ansicht die Sänger in der Achtung
der vornehmsten Frauen, daß sie ihre Berater in höfischen Sitten,
in ästhetischen Dingen waren, ja, daß sie gerade an die Stelle
des Hauskaplans getreten w^aren.
Zu diesen Ausführungen von Aufhebung der Standesunter-
schiede und von der gehobenen Stellung des die Herrin beratenden
und besingenden Sängers wollen schlecht eine Reihe von Be-
merkungen passen, welche gerade die Inferiorität des dienenden
Hofdichters hervorheben. So heißt es p. 392, der dienende
Frauensänger, durch seinen Beruf zu unfreiwilHger Erniedrigung
verurteilt, liatte oft zu leiden von dem Standeshochmut der
Vornehmen. Ohne Zweifel war das nicht selten der Fall. Audi
den besungenen Frauen gegenüber befand sich der Sänger nach
Wechsslers Annahme in einer eigenartigen Lage. ,,Die Herrin
stand in unerreichbarer Höhe vor dem Minnesänger wie der Hei-
land vor dem Mystiker" (p. 251). ,,Des Liedes Lohn war der
Gruß der Herrin, sie neigte leis das Haupt, ließ einen freundlichen
Bhck auf den Sänger gleiten. Nur selten wird sie ihn einer kurzen
Ansprache gewürdigt haben. Der Gruß bedeutete, daß der Sänger
sich in dem Kreis um die Herrin bewegen durfte, von ihr bemerkt
wurde ; denn Standesunterschied und höfische Lebensart erlaubten
nichts weiter" (p. 136). Wechssler meint, solch gnädiges Neigen
des Hauptes war genug der Anerkennung für den, der eben den
elirlosen und rechtlosen Fahrenden abgelöst hatte, und er ließ
es an Dank dafür nicht fehlen. Ja, noch weiter rückt er Herrin
und Dichter voneinander ab: Die Fürstin kümmerte sich meist
nur um das Lied, der Verfasser empfing günstigenfalls ein freund-
liches Urteil und materiellen Lohn. Die Herrin schätzte vielleicht
den Dichter, selten den Menschen. Seine Person kam gemeiniglich
Wechssler, Eduard. 195
nicht in Betracht (p. 183). Und noch erniedrigender wird für
den Dichter das Verhalten der Dame. Ihre gnädige Miene, ihre
freundlichen Worte waren, wenn sie überhaupt gezeigt und
geäußert wurden, auch noch unaufrichtig gemeint, waren
ein mentir cortes, ein bei semblan. Zu dieser eigentümlichen
Unaufrichtigkeit wurde die Dame durch Sinn und Zweck
des ganzen Minnesanges mit oder gegen ihren Willen ge-
nötigt (p. 193).
Wenn wirklich eine solche Kluft zwischen Herrin und Lob-
dichter bestanden hätte, so ist nicht zu verstehen, wie die Herrin im
Verein mit so unendlich weit von ihr abstehenden Sängern den
Minnesang überhaupt hätte inaugieren können. Wie sollte sie
sich mit ihm verständlich machen, wenn die höfische Lebensart
jede Annäherung verbot ? Wie konnte der Sänger ihr Berater
in höfischer Sitte sein ? Wer machte überhaupt die höfische
Sitte, der außer und unten stehende Sänger, oder die höfischen
Kreise selbst ? Das sind Fragen, zwischen denen uns die inneren
Widersprüche in den Wechsslerschen Formulierungen notge-
drungen hin und her werfen. Und weiter, wie sollte die Dame,
die sich so wenig um die Person kümmerte, in ihm poetische
Leidenschaft erregen oder wenigstens ihn auf die Dauer inspie-
rieren können ?
Wechssler scheint keine Schwierigkeiten zu sehen. Er
meint, der Sänger erhielt äußere Anregung durch Sehen aus
der geziemenden Entfernung heraus, durch Hörensagen unter
Umständen, und dann gab es für ihn nur noch ein innerliches
Erleben seiner poetischen Liebe (p. 219). Ich muß immer wieder
fragen, wie kamen die Menschen nur auf den kuriosen und ganz
verzwickten Gedanken, sie, die als Menschen ja kaum beachtet
wurden, diesen wie der Heiland unnahbaren Fürstinnen von
Liebe zu reden, in Tönen irdischer Liebessehnsucht von ihrem
begehrenden Herzen zu klagen ? War das die gegebene, die natür-
lichste Art der politischen Huldigung, die sie finden konnten ?
Fanden sie wirklich irgendwo, bei Ovid oder einem anderen
der Autoren irgend eine Anregung, so zu singen ? Dürfte man
unter solchen Umständen wirklich von einem inneren Erleben
sprechen, wo jede Wahrheit der Gefühle ausgeschlossen sein
mußte ? Es könnte doch nur die Rede sein von einem Sichhinein-
versetzen in konventionelle Empfindungen, von einem künstlichen
Sichhinaufschrauben in eine vorgeschriebene Ekstase. Ein
klägUches Dichten, das auf niemanden Eindruck machen konnte;
denn bei aller Wertschätzung der Form, der Kunst des Vers-
baues und der Melodienführung, die man der höfischen Gesell-
schaft zutrauen darf, solche Götzendiener der Form sind Zuhörer
und Zuhörerinnen doch sicher nicht gewesen, daß sie nur auf
die äußeren Dinge geachtet und die Verschrobenheit der Gefühle,
der ganzen Situation nicht beachtet hätten.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVIP. 14
196 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
Woher sollte bei solcher Lage der Dinge den Dichtern die
Kraft der neuen Weltanschauung kommen, kraft deren sie als
die „Sprecher der Hofkreise" auftraten?
Wechssler ist ja doch der Meinung, daß in den Minne-
liedern ein tieferer Gehalt steckt. ,,Aus diesen Liedern, die so
harmlos von Frauenliebe, Lenz und Blumen zu singen scheinen,
klingen uns die geistigen Kämpfe einer tief erregten Zeit heraus . . .
Um nichts kleineres mühten sich die Sänger als der Menschheits-
bildung neue Ziele, neue Wege zu weisen ..." Das ernstliche
Ringen um eine Weltanschauung erfüllte Dichter und PubHkum.
Nicht hoch genug kann Wechssler die neue, im Minnesang
sich offenbarende Auffassung von Welt und Menschen preisen.
Nicht nur handelt es sich um eine höhere Schätzung des Indi-
viduums, nicht nur um höhere Wertschätzung der rein weltlichen
Tugenden im Gegensatz zu der kirchhchen Weltanschauung,
nicht nur um das aufrichtige Verlangen nach Schönheit der
Lebensäußerungen, nach Erziehung des Geschmacks und künst-
lerischer Daseinsfreude, sondern hier ist ihm zum ersten Male
der Sinn für große, edle Menschlichkeit überhaupt erweckt.
Es war das Neue und Große des Minnesangs und seiner Kultur,
daß hier zum ersten Male im Mittelalter rein menschliche Geistes-
bildung und weltliche Humanität verstanden und gewürdigt
wurde. Es war die Tat der Frauensänger, daß sie aus dem tra-
ditionellen Lob- und Pi'eislied eine Huldigung an das Vorbild
der vornehmen, frei wirkenden Persönlichkeit entwickelten.
Der Typus des würdevollen, Verehrung fordernden Menschen
war nur erst auf dem Thron des feudalen Staates zu finden, und
den geistigen Einfluß und die kulturelle Wirksamkeit feinge-
bildeter fürstlicher Frauen konnte man sich noch kaum anders
vorstellen, denn als das übernatürliche Wunder einer gottbe-
gnadeten HeiHgen (p. 310).
Man möchte fragen, wenn die Weltanschauung, der Sinn
für Menschlichkeit bereits im Minnesänge zu solcher Höhe gedieh,
was blieb dann der Renaissance zu finden noch übrig ? Drum
m.öchte ich nicht so weit gehen, wie Wechssler es tut. Die Hul-
digung an die vornehme, frei wirkende Persönlichkeit, die Ehr-
furcht vor dem geistigen Einfluß und die kulturelle Wirksamkeit
feingebildeter, fürstlicher Frauen sehe ich nicht. Wie konnten
die Troubadours das sehen und aussprechen ? Welche Äußerungen
der großen Persönhchkeiten sahen sie, wo um sie herum, wo an
der eigenen Person verspürten sie die geistige Macht der Fürstinnen,
ihre kulturellen Taten ? Das ist keine edle MenschUchkeit, wenn
um klingenden Lohn der dienende Sänger im glänzenden Saale
raffinierte Huldigung in der Form geheuchelter Liebeswerbung
singt, das ist nicht das Zeichen feingebildeter, von geistiger
Macht erfüllter Weiblichkeit sich ebendort von dem kaum be-
Wechssler, Eduard. 197
achteten Sänger in untertänigster Schmeichelei anhimmeln zu
lassen. Eins wie das andere ist für beide Teile entwürdigend.
Und so sehe ich nicht, wie auf der Grundlage der Wechsslerschen
Auffassung von Dichter, Dichtung und Publikum die große, neue,
der Renaissance vorgreifende Weltanschauung entstehen konnte.
Wenn der Sänger die Herrin feiert, so feiert er sie, auch
wenn er die reinste Lauterkeit seiner Absichten beteuert, stets
als das begehrenswerte Weib. Ihre Schönheit und Grazie, ihr
gewinnendes Lächeln und ihre süße Rede, ihr lachendes Auge
und die reizende Gestalt, die Eleganz und Feinheit ihres Wesens.
Nie ihre pohtische Macht, ihren kulturfördernden Einfluß. Nicht
die PersönHchkeit ist es, vor der er sich beugt, sondern das Weib,
das er hebend umpfangen möchte, auch wenn er seufzend entsagt
oder in schönen Worten das Glück der geistigen Liebe preist.
Wir wollen doch nicht zu viel an Humanität in die Trou-
badourdichtung und an Sinn für Humanität in die ritterliche
Gesellschaft, deren Ideale in ihr niedergelegt sind, hineininter-
pretieren. Wir haben hier eine Kultur der Geselligkeit vor uns,
ein Hinstreben zu höheren Formen des Daseins, ein Wohlgefallen
am Scliein, an Glätte und Glanz. Eine erste Form aristokratisch-
verfeinerter Kultur im abendländischen Mittelalter. Nicht ein
oberflächhches, frivoles Auskosten der einer bevorzugten Klasse
gebotenen Freuden des Daseins, sondern ein ernsthaftes Sich-
bewegen in höfischer Etikette. Eine offen bekannte Hingabe
an die Lust, an die innere, frohmachende Lebenskraft, aber mit
Maß und Verstand. Kein Verzicht auf irgend welche irdischen
Güter, auch nicht auf die Leidenschaft, auf die Sünde, aber
alles Begehren verfeinert, besänftigt durch die Zurückhaltung,
die man sich freiwilHg und als gegenseitigen Zwang auferlegte.
Die gute Sitte, der feine Ton, die elegante Geste waren Gebote,
die sich die Gesellschaft gab, die den Menschen alles Genießen nur
noch süßer, alle Sensationen zugleich bewußter und pikanter
machten. Schon viel gewonnen war durch diese Schulung; ein
Aufstieg der menschhchen Natur aus den Banden der groben
Sinnlichkeit und der rohen Instinkte war durch sie gewährleistet.
Es war eine Schulung, die sich der Adel auferlegte.
Als eine durch und durch aristokratisch-höfische Weltan-
schauung, die sich innerhalb des Adels gebildet hatte und nicht
von außen in ihn hineingetragen werden konnte, müssen wir
das Ganze des Fühlens und Denkens der vornehmen Kreise
Südfrankreichs im 12. Jahrhundert betrachten. Nicht eine
Weltanschauung edelster Humanität war sie, aber sicher ein
Fortschritt auf dem Wege der kulturellen Entwicklung der
Menschheit.
Wenn wir von Kulturfortschritt im Mittelalter sprechen, so
müssen wir ohne weiteres nach dem Anteil der Kirche an ihm
14*
198 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
fragen; denn die vornehmste Kulturmacht im Mittelalter, die
Bedingung alles Kulturwandels, der Gipfel aller Kultur war die
Kirche.
Auf den ersten Blick scheint es, als stehe die Weltanschauung,
aus der die Troubadourdichtung ihre Ideale gewinnt, in Gegensatz
zu der kirchlichen, christlich-katholischen Weltanschauung. Auch
Wechssler betont ausdrücklich, daß die vornehmen Frauen,
welche die Kultur der cortezia schufen, sich, wie gegen Rittergeist,
so auch bewußt gegen die Kirche wendeten. Aber er schränkt
dann doch die Originalität dieser Laienkultur sogleich wieder
bedeutend ein, wenn er sich bemüht, die engste Berührung der
Minnesänger mit der christlichen Weltanschauung nachzuweisen.
Der eigentliche Kern seines Buches liegt gerade in dem Versuche
dieses Nachweises. Dabei laufen ihm nun verschiedene Wider-
sprüche unter. Trotzdem er von der bewußten Opposition
gegen die Kirche, von der Emanzipation der Sinne und des
Individuums, vom frohen Ergreifen des Daseins in Schönheits-
drang gesprochen hat, vermag er den inhaltschweren Satz aufzu-
stellen: ,,Der geistige Nährboden dieser Kultur war die Kirche,
war das Christentum" (p. 216). Gelegentlich der Erörterungen
über den Frauenkult schreibt er: ,,Noch betrachtete man eine
geistig hervorragende, höfische Frau als eine Art Heilige und bezog
damit ihre Wirksamkeit auf Gott zurück. Aber das war im
Grunde nur eine Anschauungsform, die ewigen Werte, die man
in ihr verehrte, waren nicht die der Kirche, sondern die der
cortezia. Wie Spiritualismus und Mystik floß der Vorstellungs-
kreis des Heiligen-Kultus aus den reichen Betätigungsformen
christlicher Rehgiosität, aber Geist und Ziel waren beide neu.
Der von der Kirche geschmähten Menschheit und Menschlichkeit
wurde hier ein Altar errichtet. . aus eigener Kraft war man hier
der Antike nahe gekommen"! (p. 312). Hier wird also nur von
Anlehnung an die ,, Betätigungsformen christlicher Religiosität"
gesprochen. Aber Geist und Ziel, die ewigen Werte seien neu
gewesen. Das heißt doch wohl nichts anderes, als daß die Welt-
anschauung, denn sie hat es mit Geist und Ziel und Nachdenken
über die neuen ewigen Werte zu tun, nicht die der Kirche war.
Und so ist es zum mindesten eine starke Übertreibung, zu sagen,
der geistige Nährboden dieser Kultur war die Kirche und das
Christentum.
Auch andere Äußerungen wollen nicht recht zu dieser Formu-
lierung passen. So schreibt Wechssler (p. 424): Die Kreuzheder
beweisen uns auch, daß die kirchliche Religion ilire Macht und
Wirkung auf diese Kreise tatsächlich verloren hatte. Nur ein
äußerliches Christentum war in den Gemütern noch lebendig
,, innerlich war man dem Geiste dieser Religion entfremdet".
Das Ergebnis von Kapitel 17 lautet daliin, daß zuerst von jenen
südfranzösisclien Frauenhöfen eine Skepsis gegen die herrschende
Wechssler, Eduard. 199
Religion, eine Art Freidenkertum ausgegangen sei, und daß
durch innerliches Selbsterleben die besseren Männer der höfischen
Kreise dazu gelangt waren, im Natürlichen das Göttliche zu
ahnen und der geschmähten Natur ihre Rechte wiederzugeben
(p. 433).
So wie Wechssler seine Sätze formuliert, stehen sie zueinander
in Widerspruch. Doch liegt ihnen wohl stets eine richtige Über-
legung zugrunde. Es waren vielleicht beide, einander scheinbar
widersprechende Stimmungen in den Menschen vereinigt. Viel-
leicht war es bei ihnen noch gar nicht zu einer bewußten, ein-
heitlichen Weltanschauung gekommen. Es war in ihnen die
religiöse Vorstellungswelt, wie sie die Kirche, die alltäglich in
alle Gebiete des Lebens ihre Hand streckte, vermittelte, noch ganz
und kräftig lebendig und zugleich lebte in ihrem Tun und Sehnen
etwas Neues, der Kirche Entgegengesetztes, ihr Fremdes und sie
eigentlich Verneinendes. Diese Mischung, die ihnen nicht
klar wurde, liegt für uns offen zu Tage. Wechssler hat sie
erkannt, nur hat er es versäumt, die im Zeitbewußtsein
schwankende Gleichzeitigkeit dieser Elemente genügend zu
kennzeichnen.
Die eigentliche Inspiration zu der neuen Weltanschauung
und zu der Dichtung kam — das kann nicht scharf genug betont
werden — , nicht von der Kirche. Wenn man sie beide zurückführt
auf die Grundgefühle, aus denen sie hervorgewachsen sind, so
sind es die von der Kirche je und je bekämpften weltlichen Ge-
fühle, auf die wir stoßen. Die höfische Weltanschauung umfaßt
das Menschliche um des Menschlichen willen, sie verlangt das
Glück im Diesseits und schlägt das Jenseits gering an. Das
enthusiastische Feiern eines irdischen Weibes, das Erhöhen der
geliebten Frau über alle anderen Menschen, die Macht, die ihr
verliehen wird, Glück oder Unglück zu bringen, gut oder böse,
weise oder närrisch zu machen, die Konzentrierung alles Denkens
und Strebens auf sie — solches Dichten und Trachten ist unkirch-
lich, ist unchristhch, ist böse, zieht von der Kirche ab, die Gott
und das Jenseits als Ziel alles menschhchen Sinnens und Tuns
aufgestellt hat. Man mag die im Minnesänge zum Aus-
druck kommende Erhöhung des Weibes eine Vergöttlichung
nennen, in Wirkhchkeit ist sie eine Verherrlichung irdischen
Wesens, geboren aus der Sehnsucht nach einem weltlichen
Ideal.
Und nun ist es von höchstem Reiz, zu sehen, wie dieses rein
weltliche Ideal, indem es sich Formen sucht, nicht auskommt
ohne solche Werte, deren Verkündigung die eigenste Angelegen-
heit der Kirche war. Wie von der Luft, die sie atmeten, waren
die Sänger von der Atmosphäre des kirchüchen Lebens umgeben.
Die Kirche war die Verkündigerin der höchsten Ideale. Sie hatte
in jahrhundertelanger Arbeit einen Schatz von Formeln, An-
200 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
schauungen, Vorschriften geschaffen, die alle darauf hinzielten,
den Menschen zu diesen Idealen zu erziehen, ihn vertraut zu
machen mit dem Bewußtsein, alles im Leben in einem höheren
Lichte zu sehen. Es war das Werk der Kirche gewesen, den
Menschen klein und niedrig zu machen vor der Gottheit, ihn
mit frommen Schauern zu erfüllen vor der unbegreiflichen Macht,
deren Gnade ihn zu höchster Seligkeit führen, deren Zorn ihn
in tiefste Verdammnis stoßen konnte nach diesem Leben. Die
Kirche hatte gelehrt, wie man dem Verehrungswürdigen sich
nahen müsse, nämlich demütig und zerknirscht, hoffend und
geduldig. Sie hatte das Verehrungswürdige so hoch wie möglicli
und den von ihm abhängigen Menschen so tief wie möglich ge-
stellt; und diese Gesamtheit von Vorstellungen, dieser moralische
Zwang, dem sich bewußt oder unbewußt die ganze Menschheit
damals unterwarf, wirkte auch auf die Sänger der Liebe zu irdischen
Frauen. Und so konnte es kommen, daß sie in ihrer dichte-
rischen Begeisterung fühlten und dichteten mit dem Herzen des
gläubigen Christen, daß ihnen die Wellen mystischer Erregung
zuströmten, daß sie die Sprache der kirchlichen Hymnen und
Gebete redeten und anbetend auf den Knien lagen, nicht nur
wie der Vasall vor seiner Herrin, sondern auch wie der Christ
vor dem Heiligenbilde.
So konnte es kommen, daß sie, die innerhch mit der Kirche
in den meisten Fällen nichts gemein hatten, in der Schwärmerei
des Dichtens sich bis zu jener höchsten Höhe erhoben, die dam.als
ein Christ erklimmen konnte, zur asketischen Entsagung und
Verneinung irdischer Freuden. So konnten sie in ihren Gedichten
gegen Natur und Sinnlichkeit kämpfen und, sich läuternd in
dem schmerzlichen Leid des Entsagens, die höchste Wonne er-
fahren, wie der Mönch, der in selbstquälerischer Kasteiung die
Vereinigung mit der Gottheit erstrebte.
Aber all ihr mystisches Erleben w^ar eben nur ein dichterisches
Erleben. Ihre Sprache war die poetische Sprache der Verzückung
des erregten Dichters. Der Frauenkult der Troubadours war
Dichtung, aus der Kraft und Innigkeit wahren, idealisierenden
Gefühls heraus.
Dieses Gefühl trifft zusammen mit der starken, alle Kreise
des Lebens und der Menschen durchflutenden Welle religiöser
Mystik und gewinnt, vor allem in seinem dichterischen Ausdrucke,
an Tiefe, Glut und Wert. Diesen Zusammenhang des Minne-
sangs mit der Mystik hat Wechssler richtig gesehen. Man darf
ihm ohne weiteres zustimmen, wenn er feststellt, daß ,,das hoch-
gesteigerte religiöse Empfindungsleben der damaligen Zeit auch
diese weltlichen Dichter geleitet und mannigfach bereichert
habe" (p. 222). So allerdings ist der Vorgang nicht zu denken,
daß in bewußter Weise die Dichter ihnen von irgend woher ge-
läufige mystisch-religiöse Stimmungen in ihrer, irdischen Idealen
Wechssler, Eduard. 201
zugewandten Dichtung verweltlicht hätten,^^) sondern es ist eine
gemeinsame, im menschlichen Wesen tief wurzelnde Stimmung,
welche Mystik und Minnesang erzeugt hat. Es ist nicht so, daß
in der Mystik das Übersinnliche vom Sinnhchen durchsetzt
wäre und im Minnesang umgekehrt das Übersinnliche die Sinnlich-
keit durchsetzt und durclidrungen liätte, wie Wechssler meint,
sondern dem Mystiker wie dem Minnesänger ist der schwärme-
rische Willen eigen durch das Sinnliche hindurch zum Übersinn-
lichen, getragen von Lust und Leid der Ekstase, sich zu erheben.
Die Mystik ist dem mittelalterlichen Christen Voraussetzung
seiner Frömmigkeit, dem Minnesänger Voraussetzung seiner Liebe,
Ganz nahe trifft diese Auffassung mit derjenigen zusammen,
welche in \^'echsslers Satz niedergelegt ist: ,,Was diese Lyrik
hebt und trägt, sind nicht einzelne Gedanken, noch auch die Zeit-
begriffe, das ist die Grundstimmung mystischer Gefühlsart
.... insofern als jeder ekstatischen Liebeswonne und Liebessehn-
sucht ein mystisches Erlebnis zugrunde liegt" (p. 269).
Vielfältig sind die Seelen- und Geisteskräfte des Menschen.
Verschiedene Zeiten begünstigen eine verschiedene Ausbildung
dieser Kräfte und werden selbst wieder durch sie begünstigt.
In jenen Zeiten des Bernhard von Clairvaux, der Troubadours
und dann des frommen Troubadours, der Franz von Assisi hieß,
war es die Seelenkraft mystischen Fühlens die vor anderen
Kräften wirksam gewesen ist und das innere Leben aller höher
veranlagten Menschen befruchtet hat. Darum stehen ReUgion
und Dichtung, Wissenschaft und Kunst unter dem Zeichen
der Mystik.
1-) Wie auch schon Morf in seiner Anzeige des Buches (Archiv
t. 122 p. 468 ff.) hervorgehoben hat, treffen manche von den Beispielen,
die belegen sollen, was im einzelnen von der christlichen Vorstellungs-
welt in die Dichtung übergegangen ist, nicht zu. So hat die Vorstellung,
daß räumliche Trennung das Denken an die Geliebte nicht verhindere,
sicher nichts eigentümlich Christliches an sich. Ebenso ist nicht er-
sichtlich, warum das zum Gemeingut aller Völker gehörige Motiv der
Umarmung im Traume in der DicTitung der Troubadours eine christ-
liche Färbung angenommen haben soll. Sicherlich stimmt es nicht,
daß das aus Ovid übernommene Motiv des Sterbens aus Liebe selt-
sam christianisiert wurde, daß es, zum christlichen Ideal der meditatio
mortis ausgebildet, mit der Stimmung tiefer Schwermut und Todes-
sehnsucht viele Lieder der Besten erfüllte (p. 235). Es ist ganz un-
möglich, daß auch nur der geringste Zusammenhang zwischen Ovid
und den cliristlich-fühlenden Troubadours in dieser Hinsicht besteht.
Ebenso trifft es nicht zu, daß das aus Ovid bekannte Motiv der
Schüchternheit vor der Geliebten von den besten Lyrikern derart
gesteigert wurde, daß es nur noch aus mystischem Denken heraus
verständlich wird (p. 260). Und so führt W. bei verschiedenen Ge-
legenheiten Beispiele an, welche das Hinüberfließen von Vorstellungen
aus der zeitgenössischen Mystik in traditionelle Motive nicht mystischer
Art beweisen sollen. Aber so handgreiflicher Art ist das Verhältnis
von weltlicher Dichtung zu religiöser Mystik und christlichem Spiri-
tualismus nicht.
202 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
Nur einige Hauptfragen, die für die Auffassung vom Wesen des
provenzalischen Minnesangs von entscheidender Bedeutung sind,
hat die Besprechung erörtert. Sie wandte sich gegen die Aus-
schließung des Rittertums von der Kultur der cortesia und von
dem eigenthchen Minnesang, gegen den allzu bewußten und
überschätzten Anteil der Frau, gegen die Ableitung des Minne-
liedes aus dem feudalen Dienstliede und den dadurch bedingten
fiktiven Charakter der ganzen Poesie, gegen die Auffassung, als
hätte sich diese Dichtung entwickelt dadurch, daß sich leere
Formen mit Gehalt füllten.
Wechssler hat seine These in all ihren Einzelheiten durch
eine Fülle von Zitaten zu beweisen gesucht. Seine Arbeit legt
Zeugnis von umfassender, gründlicher Belesenheit ab. Niemand
hat wohl die gesamte Produktion des Minnesangs so systematisch
und mit nachdenklichem Geiste durchgearbeitet, wie er es getan
hat. Er ist zu ganz bestimmten Erkenntnissen gekommen, zu
Erkenntnissen, die z. T. an ältere Auffassungen sich anschheßen,
z. T. ganz neue Gesichtspunkte und neue Probleme dem Forscher
vorführen. Mag auch die Kritik an noch so vielen Punkten ein-
setzen und manchmal andere Auffassungen vertreten, so darf
sich doch der Kritiker in Dankbarkeit so mancher Anregungen,
so mancher Ausblicke freuen, die ihm dieses gehaltreiche Buch
verschafft hat.
Es wird noch vieler Arbeit bedürfen, ehe wir Klarheit über
die kulturellen Verhältnisse haben, aus denen heraus die Dichtung
des Minnesangs erwachsen ist. Manche Legende wird noch zu
zerstören sein, manch üppiges Rankenwerk der Fabel, das sich
um Dichter und Dichtung schlingt, wird noch abgeschnitten
werden müssen, bis die reine Wirklichkeit, wenn überhaupt sie
durchschimmert, uns erscheint. Es müssen die einzelnen Dichter
in höherem Maße um ihrer selbst willen untersucht werden, es
muß versucht werden, durch das genaue Studium der Individual-
Schöpfungen hindurch sich dem Ganzen des Minnesangs zu
nähern. ^^) Wir werden, um zu dem Endziele zu gelangen, genauer
in das Verhältnis von ritterlichen und gelehrten Troubadours
hineinsehen, über das Maß des Anteils beider Kreise an der Aus-
bildung des Minnesangs Aufschluß gewinnen müssen, wie müssen
die Spreu von dem Weizen, die Anreger und Förderer von den
Nachahmern und Nachbetern noch besser sondern lernen. Welcher
1^) Eine Musterarbeit, die auf Grund genauester und vorsichtiger
Forschung zu sicheren Ergebnissen im einzelnen und für die Beurtei-
lung des Minnesangs im allgemeinen gelangt, ist die Untersuchung
von N. Zingarelli ,,Ricerche sulla vita e le rime di Bernart de Vcntadorn"'
in Studi medievali t. I p. 309—393 und p. 594—611.
Auch ästhetische Würdigungen, wie Vossler eine von den Gedichten
Wilhelms IX. gibt ('Die Kunst des' ältesten Trobadors' in Miscellanea
di studi in onore di Attilio Hortis p. 419—440, Trieste 1910), sind
geeignet, unser Verständnis von der Troubadourpoesie zu fördern.
Kleine Texte zum Alexanderroman. 203
Art aber auch die Erkenntnis sein wird, das eine scheint mir
sicher zu sein: der Kern der Minnepoesie, ihre Realität wird sich
nicht als das feudale Dienstveriiältnis des dienenden Hofsängers
zur vornehmen, unnahbaren Fürstin herausstellen, der ästhetische
Charakter des Minnesangs wird sich nicht aus seinem Wesen als
einer auf bloßer Fiktion aufgebauten Lügendichtung bestimmen
lassen.
W ü r z b u r g. Walther Küchler.
Kleine Texte zum Alexanderronian. Commoni-
torium Palladii, Briefwechsel zwischen Alexander und
Dindimus, Brief Alexanders über die Wunder Indiens nach
der Bamberger Handschrift herausgegeben von Friedrich
P f i s t e r. Heidelberg, Carl Winters Universitätsbuch-
handlung. (Sammlung vulgärlateinischer
Texte, herausg. von W. Heraeus und H. M o r f.
4. Heft.) 8». XII und 41 S. 1,20 Mk.
Es ist freudig zu begrüßen, daß die von Romanisten
wie Germanisten besonders gepflegte Alexanderforschung seit
jüngster Zeit in ein neues Stadium zu treten scheint. Namentlich
tun uns gute kritische Abdrucke der nicht selten harte Auf-
gaben auferledigenden Quellentexte not. Einen trefflichen Anfang
dazu macht Pfister im vorliegenden vierten Hefte aus der sehr
handlichen und in erster Linie für Seminarübungen bestimmten
„Sammlung vulgärlateinischer Texte". Aus der berühmten
Bamberger Pergamenthandschrift E III, 14 (in Italien von
zwei Schreibern des XL Jhdts. geschrieben) bietet er uns zunächst
vier gesonderte Stücke, die nur in diesem Kodex erhalten sind:
1. Commonitorium Palladii {„Mens tua quae semper
amat discere"), die lat. Übersetzung eines griech. (im Pseudo-
kallisthenes aufgenommenen, daneben auch getrennt auftreten-
den) Traktats, der mit ziemlicher Sicherheit dem Verfasser der
Historia Lausiaca, Palladios (ca. 363 — 430) zugeschrieben wird.
Es ist ein fabelhafter Bericht über Indien und die Brahmanen,
in dem als Berichterstatter der Erlebnisse auf der Insel Taprobane
(= Ceylon) ein M u s a e u s episcopus Dulenorum und besonders
quidam Thebaeus scholasticus aufgeführt sind. Zuletzt
wird als Quelle die „Adriani istoria qui juit discipulus Pitti"
zitiert. Damit ist natürlich Arrian gemeint, der Schüler des Philo-
sophen Epiktet. Eine andere lat. Version, in mehreren Hss.
vorliegend (von mir eingesehen in Hs. Montpellier, Fac. de Med.
H. 31, fol. 15c und Oxford, Corpus Christi College 82, fol. 172a,
die beide auch die erweiterte Epitome des Valerius aufweisen), ist
vom Bamberger Text unabhängig. Eine Neuausgabe ist wün-
schenswert, da sie B e r n h a r d y in seinen Analecta in Geo-
204 Referate und Rezensionen. Aljons Hilka.
graphos minores, Halle 1850, 43 ff. ganz unzulänglich nach einer
Pariser Hs. bekannt gemacht hat.
2. Dindimus über die Brahmanen {,, Alexander
imperator, cum ei non sufficeret imperium Macedoniae"), die lat.
Übersetzung eines Stückes aus Psoudokallisthenes, worin auf
einen homo pessimus C a 1 a n u s durch die Brahmanen an-
gespielt wird, der den Griechen eine falsche Vorstellung von
ihnen beigebracht habe.
3. Die jüngere GollatioAlcxandri cumDindimo
{,,Per multas vices nuniiatum est nobis"), wovon das griech.
Original verloren gegangen ist.
4. Epistula Alexandri Magni ad Aristo-
telem de mirabilibus Indiae in der jüngeren
Fassung {,,Karissi?ne magister, quemhaheo amantissimum secundum
matrem et sorores meas"). Die griech. Urform zu rekonstruieren
wird erst nach einer Neuausgabe der älteren Version (mit schwie-
riger Textüberheferung) möglich sein. An 5. Stelle druckt
Pfister eine weitere Form (Abkürzung) des Alexander-
briefes aus der ältesten (Bamberger) Fassung der sogen.
Historia de preliis ab.
Nr. 1 — 4 sind bereits von Kubier in den Roman. Forsch.
VI (1890), 203 ff. ediert worden. Pfisters Pubhkation ist leichter
zugängHch und bedeutet entschieden einen Fortschritt durch
das Eingehen auf die Parallelrezensionen und das griech. Original
selbst, soweit es auf uns gekommen ist. Den kritischen Apparat
möchte der Forscher gern ausführlicher vor sich liegen sehen.
Auch ist es klar, daß noch manche Punkte der Aufklärung harren,
solange nicht das ganze Material zur endgültigen Vergleichung und
kritischen Sichtung gelangt. Doch verspricht Pfister in bereits
angekündigten ^.^Untersuchungen zum Alexanderroman" manche
Wünsche auch nach dieser Richtung hin zu erfüllen. Es ist schon
verdienstHch, daß diese Fragen in Fluß gekommen sind.
Den Latinisten und Romanisten interessieren die darge-
botenen Stücke durch die italienische Latinität etwa des X. Jahr-
hunderts, in die gelegenthch auch Vulgärformen eingestreut
sind. Zum sorgfältig durchgearbeiteten Text erwähne ich im
Rahmen dieser Zeitschrift lediglich, daß für das dritte Stück,
den Briefwechsel Alexanders mit dem Brahmanenkönige Dindimus,
noch weitere Ausbeute durch eine genauere Kenntnis der Text-
form in Aussicht steht, wie sie uns in der erweiterten Fassung
der Historia de preliis ( J^ u. J'^ bei Z i n g e r 1 e , S. 220 ff.) ent-
gegentritt. Bei dem empfindlichen Mangel einer kritischen
Ausgabe von Leos Historia — man wird sich cndUch aufraffen
müssen, das Lebenswerk A u s f e 1 d's zu vollenden und dem
seit einigen Jahrzehnten harrenden Kreise der Alexanderforscher
nicht länger vorzuenthalten — konnte auch Pfister wenig Unter-
stützung finden. Die Bamberger Rezension folgt zwar getreu
Hilka, Aljons. 205
der älteren Fassung, jedoch kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren, daß gegenüber dieser Gestalt mit ihren vielfachen
Kürzungen und vor allem mit ihrer geradezu unlogischen Störung
der ursprünghchen Reihenfolge bei den Selbstangaben der Brah-
manen (vgl. die Umstellungen in Pfisters Text 12, 7 und 12, 12
[diese Begründung gehört doch zu divitias 11, 31!) J^ textkritisch
und literarisch einen höheren Wert darstellt. Die Brahmanen-
antworten begegnen mir auch in der Historia orientalis
(sive Hierosolymitana) des JacobusdeVitriaco,
dessen Excerpt auf einer guten Hs. von J^ beruhen muß. Dem-
nach teile ich folgende Abweichungen von Pfisters Text mit,
ohne hier die Erweiterungen berühren zu können:
11, 15 unde nos rogando mandasti — 11, 27 nobis non nocent
— 12, 21 Nullam cogitationem super alium habemus — 12, 35
nullum vestimentum in varios colores tinguimus — 13, 5 De
factis nihil querimur — 14, 2 solem rubicundum in cursu suo —
14, 26 alios iuvare — 14, 36 homo simih'^ est Deo — 14, 37 verbum
isiud — 15, 9 sustinebitis — 15, 21 quomodo si steiisset supra
cellam — 15, 23 dicitis deam esse — 15, 36 sustinebitis — 16, 3
divident — 16, 19 He sunt — 16, 22 in isto saeculo — 16, 26 Pene
sunt plurime in inferno, et vos modo penas patimini — 17, 18
ad domos — 17, 21 in publicum non eximus — 18, 7 Non tantum
beneficium.
Durch die genaue Mitteilung wertvollen Materials, dem
eine sehr dankenswerte Einleitung über den Alexanderroman,
für dessen Genesis vier Gruppen unterschieden werden (Volks-
sage, Roman, philosophierende Tendenzen und Apokalypsen),
vorausgeht, durch eine von umfassender Kenntnis zeugende
vollständige BibHographie hat sich Pfister den Anspruch auf
unsere Dankbarkeit erworben. Seinen „Untersuchungen zum
Alexanderroman" sowie seiner Neuaugabe des Bam-
berger Leo sehen wir mit besonderem Interesse entgegen.
Breslau. Alfons Hilka.
MiLka, Alfons. Das Lehen und die Sentenzen des Philosophen
Secundus des Schweigsamen in der altfranzösischen
Literatur nebst kritischer Ausgabe der lateinischen Über-
setzung des Willelmus Medicus, Abtes von Saint- Denis.
Sonderabdruck aus dem 88. Jahresbericht der Schlesi-
schen Gesellschaft für vaterländische Kultur. Breslau
1910. G. P. Aderholz' Buchhandlung.
Die novellenartige Geschichte vom Philosophen
Secundus dem Schweigsamen und seiner Zusammen-
kunft müt dem Kaiser Hadrian in deraltfranzösischen
Literatur hauptsächhch auf Grund von noch unveröffent-
206 Referate und Rezensionen. F. Rechnitz.
lichtem Material zu verfolgen, ist das Ziel der kurzen, aber in-
haltreichen Abhandlung von A. Hilka.
Zunächst handelt der Verf. in einem Vorwort von der Ver-
breitung der Erzählung und von den verschiedenen Theorien
über ihre Herkunft und ihren Ursprung. Dann gibt er im ersten
Kapitel eine kritische Ausgabe der lat. Übersetzung
des Willelmus Medicus (2. Hälfte des XII. Jahrb.),
die auf einer griechischen Vorlage beruht und auf welche un-
mittelbar oder mittelbar alle altfrz. Fassungen oder
Anspielungen zurückgehen. Neben den lat. Text stellt
der Hg. die älteste f r z. Ü b e r s e t z u n g (B. N. f. fr. 1553).
In einem weiteren Abschnitt bringt darauf Hilka eine altfrz.
Übersetzung der Bibl. von Toulouse zum Abdruck, die
nicht auf Willelmus Medicus, sondern auf dessen Bearbeitung
durch Vincenz von Beauvais fußt. Dann folgt die
provisorische Ausgabe einer Episode des noch unver-
öffentlichten didaktischen Epos V Image du Monde, in
der Verf. eine poetische Bearbeitung der Secundus- Geschichte
erkannte. Ein vierter Abschnitt bringt (nach einer Abschrift
von G. Raynaud) den kurzen Auszug der Geschichte im
Renard le Contrejaii und stellt seine Abhängigkeit von der Tou-
louser Fassung fest. Die beiden letzten Kapitel behandeln
endlich kurz das Secundus-Exempel im Miroir de
mariage von Eustache Deschamps und die Secundus-Ge-
schichte in der Chronik von Jean d'Outremeuse, welche auf
die älteste frz. Übersetzung zurückgeht. Das ganze gewährt
einen recht anschauHchen Überblick über die Verbreitung des
Stoffes in der altfrz. Literatur und löst somit glücklich die Auf-
gabe, die sich Verf. gestellt hat.
Das Hauptinteresse nimmt natürlich die lat. Fassung des
Willelmus Medicus und ihre älteste frz. Übersetzung
in Anspruch. Erstere liegt hier zum ersten Male in einer kriti-
schen Ausgabe vor, die im wesentHchen definitiv sein dürfte,
letztere ist ebenfalls sehr sorgfältig herausgegeben und mit Fuß-
noten versehen, welche verschiedene ihrer Besonderheiten er-
läutern. Trotzdem bleiben in dem frz. Texte noch einige
zweifelhafte Stellen übrig:
S. 16. Unter der Rubrik Qu'est li so laus? best man das
sinnlose enfremeies de mont, das ein lat. noctis concertator (od.
concultator) wiedergeben soll. Es wird wohl in enjremeres de
nuit zu bessern sein. — Ebenda liest man unter der Rubrik
Qu'est hom? ein porteres de lumiere und ähnlich S. 18 unter der
Rubrik Qu'est marinniers? ein porteres de terre. Den beiden
Stellen entspricht im lat. Texte ein lucis (resp. terrae) desertor,
weshalb Hg. porteres in deserteres zu ändern vorschlägt. Man
wird wohl parteres de lumiere (resp. de terre) zu lesen haben. —
S. 17. Unter der Rubrik Qu'est biautes? ist fleurs matissans
La Noble LeQon. 207
(lat. Text: jlos marcidus) beizubehalten. — S. 18. Unter der
Rubrik Qu' est marin niers? liest man ein ostes de viande,
das einem lat. orbis hospes entspricht und daher in osles de monde
zu bessern ist. — S. 21. Die der lat. Quid est stomachus
entsprechende frz. Rubrik ist zu lesen: Qu est bousnens?
Cf. Godefroy unter bonnenc und A. Tliomas, Rom. XXXIX p. 205.
Da das seltene Wort bisher nur in pikardisch-wallonischen Texten
belegt ist, wird man wohl annehmen dürfen, daß nicht nur der
Kopist, sondern auch der Übersetzer selbst aus dieser Gegend
stammt. — S. 22. Der lat. Rubrik Quid est autumnus?
entspricht die französische Qu est vans? Der Hg. schließt
daraus, daß hier die lat. Vorlage fälschlich ventus statt autum-
nus hatte. Da aber der Schreiber, und wohl schon der Über-
setzer selbst, streng e + nasal von a + nasal scheidet, so ist
wohl auch hier eine einfache Besserung vorzunehmen und zu
lesen: Qu'est wa'ins? Zu wains ,, Herbst" vgl. kl. Erec^ Anm.
zu V. 3128.
Hilka hat S. 7. in treffenden Worten die Geschicklichkeit
des frz. Übersetzers hervorgehoben, der eine recht gute lat.
Vorlage hatte. Vorstehende Bemerkungen dürften wohl zeigen,
daß da, wo der frz. Text trotzdem unverständliches bietet, wir
es meist mit Schreiberversehen zu tun haben.
Paris. F. Rechnitz.
La Xoble liC^on, des Vaudois du Piemont. Edition critique
avec introduction et glossaire par Antonino de
Stefano Docteur es lettres. Paris, Honore Champion
1909. 8». LXXXI u. 57 S.
Die letzte Ausgabe der viel umstrittenen Hauptdichtung
der Waldenser besorgte 1888 der OrientaUst E. Montet. Sie gab
sich im Prospekt als eine edition en quelque sorte definitive aus,
doch wies W^ Foerster, der selbst eine kritische Ausgabe nahezu
fertig hatte, in den Göttinger Gel. Anz. 1888 S. 753—803 in
einer ausführlichen Besprechung nach, daß ihr nichts weniger
als dieses Prädikat zukomme. Foersters Ausgabe ist bisher nicht
erschienen. Deshalb hat nunmehr Antonio de Stefano, ein
Schüler E. Murets und E. Montets, die schwierige Aufgabe einer
kritischen Ausgabe übernommen. Leider stellt sich bei näherer
Prüfung wiederum heraus, daß auch seine Kräfte dazu bei weitem
nicht ausreichten, wiewohl er sich sichtlich bemüht hat, seiner
Aufgabe gerecht zu werden.
Auf die Ausführungen der Einleitung, welche die Lehre der
Waldenser betreffen gehe ich im folgenden nicht ein, sondern
bespreche nur, was direkt mit der Herstellung des Textes zu-
sammenhängt. Als feststehend betrachte ich, daß das Gedicht
208 Referate und Rezensionen. E. Stengel.
in assonierenden 12-Silbnertiraden abgefaßt ist, daß es dem
provenzalischen Sprachgebiet angehört und uns nur in verjüngter
und überarbeiteter Fassung überliefert ist. Den bisher bekannten
Hss. in Genf (G), Dublin (D) und Cambridge (C), dem kurzen
weiteren Bruchstück in Cambridge (C^) und der verlorenen Vor-
lage des Extrait, welches J. Leger (L) 1669 veröffentlichte, ver-
mochte der neue Herausgeber zwar eine weitere Hs. in Zürich (Z)
hinzuzufügen, die jedoch für die Textkritik vollkommen wertlos
ist, da sie lediglich aus L und der editio princeps von S. Morland
1658 (M) im 18. Jh. entnommen ist.
Foerster hatte bereits eine Hss. -Klassifikation aufgestellt,
die darauf hinauslief, daß aus einer verlorenen Vorlage a sowohl
G wie ß (die gemeinsame Vorlage von D und y, der Vorlage von
C und C^) abzuleiten wären, daß aber C und C^ nebenher auch aus
einer Hs. geschöpft haben, welche mittelbar auf das Original selbst
zurückwies, a wäre, so meint er, bereits eine stark überarbeitete
Fassung gewesen, die erst durch Vermittlung von x auf das
Original zurückging. Hieraus ergab sich für Foerster als erste
Aufgabe die Rekonstruktion von a und erst danach die nur
annähernd durch höhere Kritik mögliche Herstellung des Origi-
nals; de Stefano lehnt, ohne es zu sagen, Foersters Stammbaum
ab und stellt einen selbständigen auf, wonach (unter Beiseite-
lassung von C^) G D aus einer verlorenen Vorlage a, C L aus
einer zv/eiten b stammen, und a b durch Vermittlung von X
auf das Original zurückweisen sollen. Jede gemeinsame Lesart
GC, DC oder G ö C, sowie G L, D L oder G D L, GCL oder
D C L müßte demnach, soweit nicht der Zufall dabei im Spiele
war, bereits in x gestanden haben. Er zählt S. XXII zur Unter-
stützung seines Stammbaumes einige Fälle auf, in welchen a
oder b fehlerhafte Lesarten aufweisen und S. XXIII f. einige,
seiner Meinung nach nichts beweisende, Gegenfälle, in denen D
oder G mit b den gleichen Fehler bietet. Doch sind die ange-
führten Fälle sehr ungleichwertig.
Als Fehler von a w^erden von ihm angeführt: 52 Que aman
trop Vor e l' urgent. Dem Variantenapparat nach bietet aber a:
Li cal a. t. Vor e l'a. (9 Silben) gegenüber dem ebenfalls anstößigen
Halbvers in C: Que aman Vor e Vargetit, welchen de St. in den
Text setzt. Den Fehlern von a in 54, 58, 69, 70, 249, 355 steht
nur eine korrekte Lesart von C gegenüber, während L die Zeilen
gar nicht überliefert. — 132 Der Lesart a: En ayrna (bess.: Si
com) se po provar per la sancta escriptura wird der Vorzug vor
der Lesart C: Car V escriptura di e ben se po provar zu geben sein,
weil auch 131 gelautet haben wird: Poi pecqueron greoment a
la lei de natura statt: P. {Enapres a) p. g. la lei ahandonant («. la
ley a [fo es C] la ley de n. aC). — 139 überflüssige Halbzeile
von C. — 157 wird mit 156 zusammenzuziehen sein: E aguel
deguessan creire, de tot lo cor servir oder besser: De tot lo cor
La Noble Legon. 209
degiiesan aquel creire e servir gegen: E a. d. e amar e temer de tot lo
cor e servir G, E (fehlt C) a. d. c. e amar de tot lo cor e servir entro
al dia de la fin (e. al d. de la f. fehlt D) C D, E a. d. c. e t. e servir
E amar de t. lo c. entro al d. de la f. de Stef. — 171 Car aquilh (bes. :
qiiilh) que trapassavan a läßt sich beibehalten gegen C. a. q.
peccavan C. — 182 qiiella G D gegen aqiiela C kann bei der häufigen
Vertauschung beider Formen nicht ins Gewicht fallen. — 262
ist überflüssig und, wie ihn C überliefert, fehlerhaft: Que vos
sia filh del vostre payre qiies en li cel, aber auch wegen der Asso-
nanz in de Stefanos Fassung: Q. v. s. f. d. p. local es en li cel
anstößig, da cel nicht wohl mit -ent gebunden werden kann,
auch nicht, wie 384, mit aquel, worüber später. — 272 Aquesta
(bess.: Quest') es la ley novella a ist unanstößig 'gegenüber Co es
la n. lei C. — 410. 11 in b, die a fehlen, sind allerdings schon der
sonst assonanzlosen Zeile 409 wegen unentbehrHch. — 425 Die
fehlerhafte Lesart aquilh que devon esser (statt: son b) pastor a
ist im Apparat weggebheben.
Als Fehler von b gibt de St. ausser 10, 27, 366, 384, 412,
421 (nicht 422) an: 37 done statt: don, das aber im Apparat um-
gekehrt als Lesart a verzeichnet wird — 74 Aigo poe {poes L)
vos hen veer qu'es eysu mal gardä st.: Aigo poen nos b. veir qu'es
istä m. g. Beide Lesarten scheinen mir aber zulässig. — 365
alcun {moti L) en aquest temp present st.: alcun al t. p. Man
könnte also auch lesen: moti en quest t. p. — 376 die fehlerhafte
Lesart wird aber im Apparat ausdrücklich nur als Lesart von C
verzeichnet, ebenso 382, wo noch dazu dem Apparat nach L mit
D übereinstimmen soll. ■ — 420 die Variante b fehlt im Apparat.
— 430 steht nur in C, nicht in L, ebensowenig 463 (nicht 460)
und der Hinzufügung von car el geschieht im Apparat keine
Erwähnung.
Trotz dieser vielfachen Ungenauigkeiten in den beigebrachten
Belegen wird zuzugeben sein, daß sowohl für G D eine gemeinsame
Vorlage a, wie für CL eine solche b anzusetzen ist.
Es fragt sich nun, ob mit Foerster für C eine zweite Quelle
anzunehmen ist, so daß auch für D C eine gemeinsams Vorlage
vorauszusetzen wäre. De St. bestreitet es, w^eil ihm die nach-
stehenden Fälle nicht beweiskräftig scheinen: 14 Per qo {Eu-
pergo D b) deven mays (tilge m.) temer — 77 Que aucis son {seo D,
lo sio b) fraire Abel — 89 covent {covenent D C) — 119 encar {en-
cara D C) — 322 Pois (P. li D C) feron la cinquena, 380 dion
{digon D b). Im Text aber steht die Schreibart digon und in
den Varianten: dion G. Der Fall ist übrigens ganz bedeutungs-
los — 386 s'el ha [aure D b) agu desonor — 452 po {po ben D C)
pensar entre si. Man würde de St. zustimmen müssen, daß keinem
dieser Fälle eine genügende Beweiskraft beizumessen ist, lägen
nicht andere von ihm nicht erwähnte Fälle vor, so 34. 35. Leichter
wiegen die drei gemeinsamen Fehler für Gb auf S. XXIV: 213
210 Referate und Rezensionen. E. Stengel.
Noblament la saluda [saliide G C) — 251 combatre {e. contra G C)
li enemic — 438 nos coven esmendar {smendar G C).
Dafür, daß x die Vorlage von a b schon vielfach verderbt
war, hält de St. nicht für nötig, in der Einleitung Beweise zu
erbringen; die Tatsache wird aber, wie aus dem Variantenapparat
hervorgeht, nicht zu bezweifeln sein.
Auf des Herausgebers Beweisführung dafür, daß Morlands
Vorlage C gewesen sei, gehe ich, da von geringem Interesse,
nicht ein und wende mich sogleich zum Versbau des Textes,
über welchen S. XXXIV ff. gehandelt wird. Auch hier nimmt
de St. im Widerspruch m.it Foerster an, daß der Dichter unter
seine 12-Silbner nach dem Vorbilde piemontesischer Volkslieder
hier und da Halbverse, die mit den voraufgehenden oder nach-
folgenden Zeilen assonieren, eingestreut habe. Die Zeilen 30,
52, 78, 273, 320 seien donnes par toutes les legons, zählten überall
6 Silben, assonierten und paßten in den Zusammenhang. Auch
hier erheischen die Fälle eine Einzelnachprüfung: 30 läßt sich
leicht ergänzen: [Lo nostre Salvador] filh de sancta Maria. — 52
Nur C bietet einen korrekten Halbvers, G D überliefern 9 Silben,
die sehr wohl aus einen vollständigen 12-Silbner herstammen
können. — 78 wird besser mit 79 zusammengezogen zu Mas car
avia al segnor sa fe, non en creatiira (auch 77 wird ursprünglich
gelautet haben: Que aucis son fraireAbel sengnul'autra caison). —
273, 320 lassen sich entbehren. — Auch 253 ist ein korrekter
Halbvers in allen Hss., läßt sich aber mit 254 zusammenziehen:
Not vengiar, ma l vengiar laissa al rei celestial. Hiernach muß
es höchst bedenklich erscheinen, daß de St. 8 weitere Halbverse
neu in seinen kritischen Text eingeführt hat. Sie sind ausnahmslos
zu beseitigen: 34, 35 Plen de tota poestä E de tota sapiencia e de
tola bontä gegen: P. de t. sapiencia et de t. poissenga G, P. de t.
poisanga e de t. s. D b. Ich bessere: P. de t. poissenga de s. e
bontä. Weder poissenga noch sapiencia würden in die Assonanz
passen. Wegen bontä vgl. 39. — 48. 49 Ma aquel que non fara
Aigo que se conten en aquesta leigon gegen: Ma a. q. n. jare qo que
se c. en a. l. ab. Ich bessere: Quel q. n. fare go qu'es en quesla l.
Die Form fara ist für die N. L. nicht wolil zulässig, obwohl auch
114 perira im Text steht und in den Varianten perera in a verzeich-
net ist, freilich sind auch die Futurformen auf e durch keine Asso-
nanz gesichert. — 103. 104 Ma garde se un chascun non {que
non C) li endevegna aisi (enaysi C) Cant endevent {Co/na D) a lor
gegen: Ma g. se un eh. que non entrevegna Enay e. a lor G. Ich
bessere: Ma gardes, nolh devegna enaisi conia a lor — 139 Otra
defendement C, fehlt a und ist entbehrlich — 383 — 85 Ma fort
se conforie aquel Que suffre pel segnor I car lo regne del cel Le sere
aparelhä al isir d'aquest mont g^gen: Ma forment C, se conforta D,
Qu'es persegu per la tetnor del segnor b, car lo r. de li cel D b, Li s.
a. al partir d'a. m. G. Ich bessere: Mas forment se conforie que
La Noble Le^oii. 211
s. pel s. Cur lo r. del cel aure al issii- del nwiit — 395.
96 Ma segont V escriptiira el ha trop [rejtarcä Lacal comunda e
di, G D unterdrücken comanda e, daher bessere ich: Mas s. l'e.
ha trop targd qiie (d. li.: V escriptiira) di — 420—22 Et tiiit U
cardenal e li evesque e li abä Tuit aqiiist ensemp non hau tant de
poestä Qii'il poisan perdoiiar. Tilgt man die fehlerhafte und
überflüssige Halbzeile Tuit aqiiist ensemp, so verschwindet der
Halbvers 422. — 486. 87 Enant qu'el targe gaire, Digent vene
vos en li beneit del mio paire. Durch Tilgung der letzten
Halbzeile erhalten wir einen mit 482 — 85 assonirenden
12-Silbner.
Die Bemerkungen des Herausgebers über die Assonanzen
sind ganz unzureichend. Sie beschränken sich darauf, das Vor-
herrschen der männlichen Assonanzen und die Häufigkeit des
Vollreims zu konstatieren und letztere dem Zufall zuzuschreiben,
was ich nicht ohne weiteres zugebe. Welche Wortausgänge in
der überlieferten Fassung miteinander gebunden werden und
welche dieser Bindungen schon dem Original angehörten, wird
nirgends festgestellt. Aus dem Vorstehenden ergibt sich bereits,
daß die Assonanzen cel: malfagent 262 und \aquel 384 aus dem
ursprünghchen Gedichte entfernt werden müssen. Auch die
Angaben über die Ausdehnung der Assonanz-Tiraden konnten
präziser gefaßt werden. Statt des unbestimmten quelques unes
mußten die genauen Ziffern für die 2-14 (nicht 2 — ll)-zeiligen
Laissen (vgl. 326 — 339) und das starke Über^^^egen der .Assonanz-
Paare angeführt werden. Das durchaus nicht vermiedene Tiraden-
Enjambement gegenüber dem streng verpönten Versenjambement
mußte hervorgehoben werden, ebensowenig durfte die Behandlung
des Reihenschlusses vöUig mit Stillschweigen übergangen
werden.
Eine besonders sorgfältige und kritisch prüfende Untersuchung
endlich hätten die Hiat- und EHsions- (bezw. Kontraktions-)
Verhältnisse des Textes erheischt, weil von ihrer richtigen
Erkenntnis eine befriedigende Textgestaltung in erster Linie
abhängig ist. De St. hat sich begnügt, lediglich der Verszahl
nach geordnete Listen von Fällen des Hiats und der Elision
(bez. Kontraktion) abzudrucken und knüpft daran nur die Be-
merkungen, daß die EHsion bei weitem häufiger als der Hiat
sei, sowäe daß l'hiatus est supprime par crase ä la rencontre de
deux voyelles identiques, doiit l'iuie peiit aussi itre le premier
element d'une diphtongiie. Zwischen den verschiedenen Arten
des Vokalzusammenstoßes zN\aschen Wortausgang und Wort-
anfang (vom Hiat im Innern der Worte handelt der Verfasser
überhaupt nicht) wird gar nicht unterschieden und ebensowenig
gefragt, ob die überheferten Fälle dem Dichter oder nur einem
Überarbeiter zuzuschreiben sind. Einzelne der angeführten Hiat-
Fälle sind sogar ohne weiteres zu streichen, w^eil der Herausgeber
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVIP. 15
212 Referate und Rezensionen. E. Stengel.
über die Silbenzahl im Irrtum ist, so: 274 Eapelle li seo apöstol,^)
371 Qu'ilk persegon e aucion, oder weil sie fehlerhaft über-
lieferten Zeilen angehören: 44 [nos] o/a comendü, bessere:
0 [nos] a c. ; vgl. III Car Jeshii Krist o ha dit — 62 [AIqoI
nos ben poen dire qiie aqui / ac mal bocon, h. : Ben p. d. qua. ac
Imanjä] mal b. — 449 De las tres [noblas] leis que Dio done / al mont
b.: De las t. l. q. D. \lo paire] done al mont. In andern Fällen
ist der Hiat nur ein scheinbarer und wird durch ^^'iedereinsetzung
eines auslautend weggefallenen f oder s, das die Überlieferung
hier und da auch noch bewahrt hat, beseitigt, so 402 Ma cant
el aw[c] aigo — 6. Ben ha mil e cent ang compli[s] entierament
— 313 e li pe[s] e las mans — 379 de li seo[s] enemis — 418 Ma [fo]
1 io I auso dire b.: Mas [aijpo dire aus io. Zu beachten ist, daß
auso eine unzulässige Form für Praes. ind. 1 Sing, sein würde,
und mas von de St. selbst 363, 416 in den Text gesetzt wird.
Ebenso schreibe ich 202 Ma[s] i ac alcuna gent; 392 Ma\s] a la
fin se garde; 348 Ma[s] aiQo s'e trobä; 425 Mas aigo devon far.
Auch die entgegengesetzten Fälle, wo ma mit einem folgenden
Vokal syllabisch vereinigt zu sein scheint, lassen sich leicht
beseitigen, so ist 51 Ma aigo es de greo tenir mit G zu ändern
in: Maczo es de g. t., ebenso 221; 22 Ma (a)quel que non creire,
ebenso 48, 113; 282 Ma (b.: E) au vita e vestimenta; 123 ma ilh
non pogron far tant, tilge mit G ilh; 230 Ma[s](en)apres un petit,
ebenso 363 (nicht 263, wie de St. angibt); 365 G: Ma encor s'en
troba, C: 31 a encor a se troba, de St.: Ma encor en son trobä, b:
Mas encar son trobä; 360, 373, 387 endlich tilge überflüssiges Ma.
In anderen Fällen läßt sich der Hiat durch Wortumstellung
beseitigen, so: 15 Si la mort nos penre enchoi / o ben deman b.:
Si nos p. e. la m. ob. d.\ 86 E ames Dio j al seo cor., b.: E a.
al s. c. D.\ 140 Aici ha grant cisemple b.: A. g. e. ha; 151 Dio
al seo pöble fei h. : al s. p. f. D. ; 167 Usura / e rapina, b. : E r. e u.
— 376 que ame / e te??ia Xrist, CL: que volha amar Dio e temer
Jeshu Xrist, b.: qu'ame Dio e tema Xrist; 378 Ni avoutrar ni /
aucire, b. : Ni aucire ni avoutrar — 405 A seo / eifant comanda,
h. mit GD: E. c. a (li) seo enfant — 447 E / aurian la victoria
b. E la v._ a. ; oder durch Einfügung einer oder einiger Silben:
7 Que fo [e]scripta [aque]l'ora — 158 £" [qu]'un chascun am^
— 267 Nengun non deo [ni] aucire ni airar nenguna gent — 307
Penseron [a] lui aucire — 324 e aiga ensemp [jo] mesclä — 403
^) Ich zitiere stets wenigstens die ganze Halbzeile, während de St.
nur die betreffenden 2 Worte, hier seo apostol, aushebt, was zur Fest-
stellung des Tatbestandes natürlich nicht genügt.
La Noble LeQon. 213
(E) Pensü \ben\ entre si; vgl. 452 D C — 405 A seo eifant co-
manda, b. nach GD: E. c. a(li) s. enfanz — 445 [e] Dio humil-
ment servir; oder ondlicli durch Ersatz eines Wortes durch ein
anderes: 186 Un pöble era a Dio, b.: Un p. fo a D. — 288 el lor
vai anonciar, h. : el l. vol a. Eine stärkere Änderung ist der Über-
lieferung gemäß 131 erforderlich (vgl. oben die von de St. für a
beigebrachten Belege) und fällt daher auch dieser Hiatfall weg.
Kein eigentlicher Hiat wird 304 bei rei Herode anzunehmen sein.
Bedenkt man, daß sonst im Gedicht bei Vokalzusammen-
stoß am Ausgang und Anfang von Worten Elision oder Kon-
traktion im weitesten Umfange zu beobachten ist, so wird man
wohl auch die aufgeführten Hiate wenigstens der Mehrzahl nach
dem Dichter selbst nicht zusprechen wollen und den vorstehend
gemachten Versuch, sie zu beseitigen, für berechtigt anerkennen.
Nur hinsichtlich einer kleinen Gruppe von Hiaten möchte ich
auf Unechtheit nicht plädieren. Ich meine solche Fälle, wo 3 ver-
schiedenen Silben angehörige Vokale zusammenstoßen. Hier
scheinen mir nur die beiden ersten Vokale zusammenzufließen,
der dritte aber seine eigne syllabische Geltung zu behalten. Ich führe
an: 245 co que Dio ha / a/ostä; 376 Que si n'i a / alciin bori] 389
e aucire e / avoutrar; 490 Plaga a / aquel segnor; oder: 213 cum
s'apertenia / a lei; 392 qii'el non sia / enganä, oder 175 Trenta
milia / e plus. Leicht lassen sich einige entgegengesetzte Fälle
beseitigen, so 242 la (lei) velh' a autreiä, 411 sia (a) just o sia
(a) fellon, in anderen ist der Überlieferung nach gar kein
Hiat vorhanden: 231 per gracia e per etä, 408 lo quita o encor(a)
per menz, 452 Car quel qu'ha entendement.
Auf eine Nachprüfung der EHsions- oder Kontraktionsliste
de Stefanos will ich mich hier nicht einlassen, zumal das Ge-
samtergebnis einer im weitesten Maße geübten Elision oder Kon-
traktion dadurch nicht verändert werden würde. Die Behand-
lung des Vokalzusammenstoßes im Innern der Worte hat de St.,
wie bereits bemerkt, ganz unerörtert gelassen. Freilich sind die
Hiatfälle hier noch seltener. Um so mehr bedurfte es aber der
Feststellung, ob nebeneinander acension, condicion, confusion,
enpromessions 53 usw. und empromesion 181, pasion 63; celestial
163 und celestial 46 (:), 254 (:), 256; creon (1 s.) 68 und creian
(2 s.) 119, 306, 347; antreiä (2 s.) 242, bapteiavan (3 s.) 345 und
bapteiesan (4 s.) 238, paiament (3 s.) 167; i>eir 74, m> 66, 375
und veser 241, 299 in der Originaldichtung zuzulassen seien.
Ich habe Grund, das zu bestreiten.
Die gleichen Mängel haften den wenigen Bemerkungen des
Herausgebers über die Sprache der N. L. an. Nirgends wird ein
scharfer Unterschied zwischen den Schreibformen der Über-
lieferung und den Sprachformen des Dichters konsequent durch-
geführt. Hinsiclitlich des auslautenden flexi vischen Plural s der
15*
214 Referate und Rezensionen. Wolfgang von Wiirzbach.
Masculina wurde schon bei Erörterung der Hiatfälle wahrschein-
lich gemacht, daß sie der Dichter ebensowenig verstummen ließ
wie die der Feminina; die gegen die ÜberUeferung und gegen die
altprovenzalische Grammatik der Assonanz zuliebe in Z. 325
eingeführte 3 s. des Perfekts auf -a wird durch ein Partizip Pcr-
fekti zu ersetzen sein: masl'un i [es] retoniä st. mus {ma G 0)
un {l'un C) i retorne G D C, die gleichfalls der Assonanz einer
angeblichen Halbzeile wegen in Z. 48 eingeführte 3 s. des Futurs
auf ä: farä st. fare läßt sich zwar durch das im Innern von Z. 114 ,
überlieferte perira stützen, erweist sich aber durch die vorstehend
vorgeschlagene Beseitigung der Halbzeile als überflüssig. Bemerkt
sei allerdings, daß auch die -e-Form durch keine Assonanz ge-
sichert wird.
Nach allem Gesagten erübrigt es, sich in eine weitere Einzel-
kritik der angebhchen kritischen Textherstellung de Stefanos
einzulassen. Sie würde die durch die voraufgehenden Dar-
legungen bereits ausreichend begründete Ansicht, daß die Auf-
gabe einer kritischen Ausgabe der N. L. noch immer ungelöst
sei, nur noch w^eiter bestätigen. Icli will nur noch bemerken,
daß auch die Interpunktion des Herausgebers selir viel zu wün-
schen übrig läßt, und daß sehr zum Schaden der Deutlichkeit
von der Verwendung von Akzenten gänzlich abgesehen ist.
Trotz allem soll nicht verkannt werden, daß die neue Ausgabe
mit Vorsicht und Kritik verwertet, zunächst eine wirklich kritische
Textbearbeitung ersetzen kann, da die gesamte varia lectio in
ihr mitgeteilt, in den Anmerkungen in mancher Beziehung wert-
volles Interpretationsmaterial zusammengetragen und auch der
Wortschatz des Textes in ausreichender Weise im Glossar zu-
sammengestellt und gedeutet ist.
E. Stengel.
liC Pilewr, li. Medecin de Saint-Lazare. Les maladies de
Venus dans V ceuvre de FranQois Villon. Avec un docu-
ment nouvellement interprete (Extrait du Journal de
Medecine de Paris N. 24, Juin 1910, tire ä 150 Exom-
plaires) Librairie H. Champion, 1910. 16 S. 8^.
Über den Zeitpunkt des Auftretens der venerischen Krank-
heiten, speziell der Syphilis, in Europa herrschen bekanntlicii
in der medizinischen Wissenschaft zahlreiche Kontroversen. Für
das Vorhandensein und die Verbreitung, welche die Seuche
schon um die Mitte des XV. Jahrhunderts in Frankreich ge-
funden haben soll, hatte Grüner in seiner Fortsetzung zum
Aphrodisiacus (Jena 1789) drei Stellen aus Villon angeführt,
die letzte Strophe der Ballade des langues envieuses (in unserer
Ausgabe, Erlangen 1903, V. 1447), die Strophe 112 des Testa-
ment (V. 1210) und des Envoi der Ballade de Villon et de la grosse
Laumonier, Paul. 215
Margot (V. 1622). Dr. B u r o t hat diesen in seiner Schrift
Le gros mal du moyen-äge (Paris 1894) noch eine vierte hinzu-
gofügi (in den Regret s de la belle heaulmiere, V. 482). Außerdem
wurde (von Dr. Helme in der Revue moderne de med. et de
Chirurgie, Sept. 1909) behauptet, daß ViHon mit ,,baude" (V. 1192)
die Syphilis bezeichnet liabe.
Der Verf. der vorliegenden Abhandlung weist nun nach, daß
es sich hier durchwegs um Irrtümer handle, indem chancre et
fiz (1447), rongneux (1208), mauvaise ordure (1213), paillart (1622),
de mal entechie (482) wohl auf Hautkrankheiten verschiedener
Art, nicht aber auf Syphihs hinweisen, und daß kein Grund
vorhanden sei, in dem Vers „portant chiere hardie et baude" (1192)
dem Worte ,,baude" eine andere Bedeutung als ,,kühn" bei-
zulegen, zumal es in der Bedeutung ,,mal de Naples" erst um
1628 vorkommt. Es sei mithin irrig, bei Vi 1 1 o n irgendwelche
Anspielungen auf die Lustseuclie finden zu wollen, woraus sich
weiter ergebe, daß diese damals nicht so verbreitet gewesen sei,
als man angenommen habe.
In einem Anhang wird sodann ein angebliches Zeugnis für
das Vorhandensein derselben Krankheit aus dem Jahre 1303
richtig gestellt. In der in Betracht kommenden Urkunde aus
den Arcläves consulaires de Moissac, zitiert von Desmazes,
Curiosites des anciennes j'ustices, Paris 1867, S. 121 bedeutet
mal gauc natürlich nicht ,,mal i'enerien" \\-ie Desmazes annahm,
sondern ^jnmwaise joye" (Unglück).
W i e n. Wolfgang von Wurzbach.
T^aiiuionier, Paul. Docteur es Lettres Maiire de Confe-
rences de Langue et Litterature frangaises ä TUniversite
de Poitiers. — Ronsard poete lyrique. Etüde historique
et litteraire — Paris. Librairie Hachette et Cie. 1909.
— [P. 807] Acheve d'imprimer le 15 Mai 1909. — In-8
[25 X 16 cm] de LI— 806 pp.
liauinonier, Paul — La vie de P. de Ronsard de
Claude Einet (1586). Edition critique avec introduction
et commentaire historique et critique. — Paris. Librairie
Hacliette 1910. — [P. 264] Acheve d'imprimer le
15 Novembre 1909. — In-8 de XLVIII— 259 pp.
«Sonnet .... G'est un sonnet», annon^ait Oronte dans le
Misanthrope de Moliere; Theses . . , . Ce sont des Theses que
M. Laumonier a soutenues au printemps de 1910 devant la
Faculte des Lettres de TUniversite de Paris, et qui lui ont valu
1-e gTade de Docteur es lettres, avec mention tres-honorable
decernee par le jury compose de MM. Croiset, Lanson, Gazier
et Chamard.
216 Referate und Rezensionen. H. Vaganay.
Ces mille pages, imprimees en caracteres assez menus et
dans une justification compacte, sont le fruit d'un labeur acharne
et qui a coüte plusieurs annees de travail ä son auteur. Le
resultat a-t-il repondu ä Tefiort et avons-nous enfin cette oeuvre
definitive, qui nous permettra de voir Ronsard tel qu'il est, tel
que le XVP siecle Thonora ? La reponse n'est point aiseo ä
formuler, surtout pour le signataire de ces lignes qui, autant
que qui que ce soit au monde, sgait les difficultes du probleme, mais
il me semble que M. Laumonier s'est considere comme engage
dans une sorte de course au clocher, et que, desireux de devancer
des concurrents possibles, il est parti trop tot.
Laissons de cöte les pages oü M. L. nous donne son opinion,
sur le poete Vandomois, sur son oeuvre, sur son epoque: c'est
lä chose subjective que Ton peut admettre, que Ton peut con-
tredire et avec d'aussi bonnes raisons en un sens qu'en l'autre.
Ronsard fut-il aussi debauche de corps que de tele ? Le coour
fut-il quelquefois de la partie ? Le poete fut-il un precurseur
de l'esprit moderne ou un plagiaire de l'italien ? Voilä tout autant
de questions que Ton peut debattre longtemps encore. Et M. L.
ne s'etonnera point si plusieurs de ses arguments ne m'ont point
convaincu, notamment ceux exposes au chapitre IP de la
Section II de la deuxieme partie.
Mais M. L. m'objectera que c'est lä precisement la partie
«These» de son travail et qu'il fallait bien presenter aux juges
de la nouvelle Sorbonne autre chose que des faits. Et veritable-
ment M. L. a amoncele la plupart des materiaux qui peuvent
servir ä elever ä Ronsard le monument digne de son talent et
de sa renommee. II sera malaise ä ceux qui viendront de dire
du nouveau sur Ronsard: ä propos des Ödes., l'auteur nous offre
une veritable encyclopedie et vide ses tiroirs devant nos yeux.
Je ne songe nullement ä m'en plaindre, mais j'estime que l'im-
primeur a mis au titre un mot de trop: Ronsard poete, sans
epithete, tel serait le titre exact.
Les renseignements abondent donc en ces pages denses:
biographie, Chronologie, bibliographie, topographie, variantes de
texte se melent et se confondent dans le texte et surtout dans
les notes. M. L., qui n'est pas toujours tres tendre pour les
inexactitudes de ses predecesseurs, n'a, pas plus qu'eux, ete ä
Tabri de ces erreurs que ne commet pas celui qui ne fait rien.
Voulant faire apprecier son labeur — et en cela 11 a completemcnt
raison — il fait remarquer la rarete des exemplaires de certaines
editions de Ronsard: il aurait ete plus exact d'ajouter: «dans
les bibliotheques pubUques de France»; M. L. ne semble pas se
douter de l'cxistence d'autres bibliotheques privees tres riches
en ouvrages du XVP siecle et fort accueillantes au chercheur.
— Les dates d'exercice de Nie! le Riebe sont donnees d'apres
Silvestre: l'ouvrage de M. Renouard n'est-il pas plus recent et
Laumo?iier, Paul. 217
meilleur ? — La Bibliotheque Nationale de Paris peut posseder
unc edition des Basia de Jean Second sous la date 1541, mais
ce n'est sürement pas redition princeps. La Monnoie et Loraux
avaient raison de parier d'une edition anterieure. Et le plaisant
de Faffaire, c'est que M. L. ne s'est point doute que cette edition,
de 1539, est sur les rayons de la meme Bib. (Y 2900 Res.) II
trouvera cette edition decrite au t. VIII, p. 127 de la Bibliographie
Lyonnaise de M. Baudrier. — La traduction d'Alberti par Jean
Martin n'est-elle pas posterieure, publiee meme apres sa mort,
a Celle, qu'on lui attribue sans beaucoup de raisons valables, de
Vitruve ? — Des Amoiirs de Ronsard, l'edition princeps existe
au moins en six exemplaires et si c'est une acquisition coüteuse
ä faire, eile n'est nullement impossible. II en est de meme de
l'edition collectivc de 1578: si la Bibl. Nat. ne l'a acquise qu'en
1903, d'autres bibliotheques, plus avisees, la possedaient long-
temps avant cette dato. — Imprimer k propos de Charles d'Orleans
«Les poesies de ce prince n'existant alors [au XVI® siecle] qu'en
manuscrit et n'ayant pas ete imprimees avant le XVI IF siecle,
nous les avons laissees de cöte», c'est se montrer peu au fait des
recherches de M. Picot et de celles de M. Piaget (Romania, t. XXL
1892, p. 580 — 96). — Les connaissances linguistiques de M. L. se
sont sans doute notablement accrues depuis certaine note sur
envis dans la Revue d'Histoire Utteraire de la France, et pourtant
il considere la graphie coing = coin comme une faute d'impression!
— A plusieurs reprises, M. L. cite des pieces de Ronsard: tres-
bien, mais il nous avertit qu'il a «quelque peu rajeuni la ponctua-
tion et rorth[ographe]. . . . pour que le lecteur ne füt pas de-
route, ...» N'aimerait-on point ä connaitre les principes d'apres
lesquels s'est opere ce rajeunissement ? Y a-t-il meme une
ofthographe francaise au XVP siecle ? N'est-ce point plutöt la
fantaisie de rimprimeur qui reglait la graphie ? Et ä tout prendre,
ne fallait-il pas «rajeunir» entierement: pourquoi uno note pour
expliquer halesne, alors que la graphie alesne est du XVI® siecle,
comme est aUne du XX® ? Ou bien M. L. veut-il nous faire
pressentir qu'il va nous donner un «Ronsard rajeuni» tout comme
nous avons dejä un Rabelais en frangais moderne? II ne semble
pas aise de presenter la pensee de Ronsard dans un vetement
du XX® siecle.
M. Laumonier s'est assigne un champs d'etudes tres vaste:
aussi n'a-t-il point toujours reussi ä creuser un sillon bien
profond. Ronsard poete lyriqne doit sans doute quelque chose
ä l'enseignement de D'Aurat, de Muret, de Lambin, mais quelle
fut exactement leur influence, nous aimerions ä le savoir. Et
cette precision eüt peut-etre amene M. L. ä se demander ce
que devint dans l'oeuvre de Ronsard la prophetie de Cassandre
ä Francion que je lis ä la p. 108 des Amours de 1552 (Strophe
3 de rOde : Toute royaute qui dedaigne n*^ 1 de mon Index des
218 Referate und Rezensionen. Josef Frank.
Ödes de Ronsard) II ne I'aurait plus trouvee dans la Franciade
actuelle. mais il aurait sans doute rencontre ailleurs La Prophetie
de Cassandre des fortunes de Francus, prise du premier livre de
la Franciade
Prince Troien, de qui des meinte annee
Tay bien preucu la belle destinee
et cette longue piece de 104 vers que publient Les Annales
Flechoises aurait fourni la matiere d'une note interessante sur
les procedes de Ronsard.
Arretons lä ce compte-rendu et terminons le par un apergu
de la Table des matieres. L'Introduction, en cinquante pages,
traite «de l'invention de l'Ode fran^aise» — La premiere partie,
en 295 pages, expose la «genese et evolution de l'CEuvre lyrique
de Ronsard» — La deuxieme partie, en 343 pages, etudie les
«sources et originalite de R. poete lyrique» — La troisieme partie,
en 72 pages, analyse la «Rythmique des Ödes et Chanson de Ron-
sard» — Une Conclusion, en 20 pages, essaie de nous faire pene-
trer ce qu'a voulu faire l'auteur. Je me permets de protester
contre une phrase de cette conclusion: M, Vaganay a entrepris
une edition de Ronsard, dont le premier volume consacre aux
Amoiirs de Cassandre, a seul paru (Janvier 1910), dont le deuxieme
volume renfermant les Amoiirs de Marie et d' Helene, le troisieme
contenant les Ödes paraitront incessamment, mais il n'a jamais
präsente son travail comme une edition critique, persuade qu'il
est que le temps n'est point encore venu de la realiser. II a
simplem.ent voulu fournir aux travailleurs un texte loyal, sans
rajeunissement aucun. II n'ignore point qu'il a encore beaucoup
ä apprendre pour connaitre ä fond et le XVP siecle et Ronsard:
puissent les mille pages de M. L. ne pas laisser ä leurs lecteurs
l'impression qu'il en est tout de meme de leur auteur, malgre
l'accumulation de dates, de faits et de bibliographies. Nous
sommes loin de la sobre erudition du Joachim Du Bellay de
M. Ghamard et du Bäif de M. Auge-Chiquet, deux ouvrages qui
furent aussi des theses, mais qui restent comme oeuvre ecrite et
coordonnee.
Lyon. H. Vaganay.
Rock, Uabert. Worte Montaignes. Mit einem Bildnis.
S. C. C. Bruns' Verlag. Minden in Westf., 1910.
Die ,,E i n 1 e i t u n g" dieses Buches ist im Verhältnisse zu
dessen Gesamtumfange sicherlich zu lange geraten und wir hätten
etwas mehr ,, Worte Montaignes" zu hören gewünscht, selbst auf
die Gefahr hin, daß uns dafür die Worte Rocks etwas minder
ausgiebig zuteil geworden wären. Dies gilt um so mehr, als der
Verfasser öfter die Fähigkeit vermissen läßt, die besten bisher
Roch, Uiiherl. 219
erreichten Methoden der Fachwissenscliai'l anzuwenden und die
Gesamtheit der ermittelten Ergebnisse zu bewältigen. Die
neueren, grundlegenden Arbeiten von S t r o w s k i , B r u n e -
t i e r e und V i 1 1 e y u. a. sind ihm (wie dies schon aus seiner
auch sonst lückenhaften ,,B i b 1 i o g r a p h i e" zu vermuten ist)
ganz unbekannt geblieben und so widerfährt es ihm öfter, daß
von ihm etwas als positiv, dem Gewirre der streitenden Meinungen
bereits entrückt, vorgetragen wird, was bei den einstweilen noch
fluktuierenden Ansichten der berufenen Forscher noch niclit zu
finaler Klarheit herausgearbeitet ist. Schlimmer ist, daß man
manche tatsächliche Angabe von Bedeutung von ihm übergangen
sieht und daß neben den Ereignissen die sie auslösenden Motive
nicht genug hervortreten. Am schhmmsten aber ist, daß uns die
geistige Physiognomie Montaignes in dieser ,, Einleitung" gründ-
lich verzeichnet vorkommt.
Wir möchten dies Urteil nur so weit und in so knapper
Form begründen, als dies unumgänglich nötig ist. Es mußte aus-
drücklich betont werden, daß die ,, Essais' anfänglich d u r c h-
aus nicht (wie man nach Rocks ,, Vorwort" zu glauben be-
rechtigt wäre) den persönlichen Charakter der späteren
Zeit an sich trugen. Vielmehr verfolgte Montaigne mit seinen
ersten ,, Essais", die sich von den ,,Legons" Messies und der
„Anthologie" Breslays nicht sehr unterschieden und die es, wie
die Schriften Bouaystuaus und Jean de Courres, bloß auf die
kompilatorische Popularisierung der Antike abgesehen hatten,
keinen anderen Zweck, als seine Lesefrüchte zu sammeln. Die
spätere, so ausgeprägte Individuahtät Montaignes als Schrift-
steller ist hier kaum noch aus seinem schüchternen Flügelprüfen
zu erkennen und er selbst gesteht: De mes premiers essays aiicuns
puent iin peii l'estranger. — Der erste Hugenottenkrieg beginnt
schon 1561. — Das Diktum Rocks: ,, Einen schrofferen Gegen-
satz kann es nicht geben als zwischen diesem stürmischen, ver-
brecherischen Zeitalter und Montaignes in philoso-
phischer R u li e verbrachtem Leben. Es ist ein
Gegensatz wie zwischen rasendem Orkan und kühlendem Abend-
lüftchen, wie zwischen feuerspeiendem Krater und gemütlich
loderndem Kaminfeuer," ist trotz seiner scliwungvollen Kühnheit
eine hohle, unwahre Phrase. Wenn man in Rocks Büchlein nur
einige Seiten weiter blättert, liest man schon: ,, Tausendmal
(klagt Montaigne) habe ich mich zu Hause mit dem Gedanken
schlafen gelegt, daß man mich diese N a c li t ver-
raten und totschlagen werde Das höchste
Elend ist es, bis in seine Haushaltung und seinen Hausfrieden
bedrängt zu werden" usw. Eine wx^itere seltsame Illustration
zu diesem ,,in philosophischer Ruhe verbrachten Leben" Mon-
taignes bilden die folgenden Tatsachen: Als Montaigne Febr. 1588
sic!i nach Paris begab, um die Neuherausgabe seiner „Essais"
220 Referate und Rezensionen. Josef Frank.
zu veröffentlichen, geriet er mitten in das wildeste Treiben der
Liga: er wurde zuerst von einigen Freibeutern auf der Straße
ausgeraubt, später bei der Rückkehr von einem dem Könige
Heinrich III. in Ronen abgestatteten Besuche am 10. Juli 1588
als verdächtig angehalten und in die Bastille geworfen, aus
welcher Haft er allerdings noch am selben Tage infolge der Ver-
wendung der Königin-Mutter entlassen wurde. Und daß diese
wechselvollen Schicksale an M. nicht herankonnten und seinen
inneren Seelenfrieden nicht erschütterten, daß sie ihn nicht
sogar bis in die arriere-bouiiqiie seines Herzens verfolgten, die er
für alle Fälle freihalten wollte, das glaubt wohl auch Rock nicht.
— Der V a t e r Montaignes starb im Jahre 1568 (und nicht
1569). — Das hereditäre Blasenleiden Montaignes ist bei
Rock mit keinem Worte erwähnt und doch war dieses nicht nur
mitbestimmend für die von ihm unternommene große Reise (da
er die Heilkraft mehrerer berühmter Seebäder an sich erproben
wollte), sondern diese Erkrankung beeinflußte in ganz außer-
ordentlicher Weise sein ganzes Seelenleben und erklärt wohl
auch am ungezwungensten seine unaufhörliche Beschäftigung
mit Todesgedanken und seine große Fürsorge für eine Euthanasie.
— Bedeutungsvoller als der Umstand, daß Montaignes „Essais"
1676 auf den Index kamen, wäre wohl die Erw^ähnung
der Tatsache gewesen, daß Montaigne über seinem Werke schon
während seines Besuches in Rom harte Anfechtung zu erfahren
hatte, daß man ihm besonders seine wohlwollende Erwähnung
des Julianus Apostata und des hugenottischen Dichters Theodor
Beza wie seine wiederholte Anrufung der heidnischen Göttin
Fortuna verübelt hatte und daß er vom ,,maitre du sacre palais"
nur gegen das Versprechen die beanstandeten Stellen zu ver-
bessern, Absolution erhielt. Es war übrigens auch hervorzuheben,
daß Montaigne selbst in der Ewigen Stadt ein nur geringes archäo-
logisches und künstlerisches Interesse bekundete, daß er aber
desto eifriger allen sitten- und kulturgeschichtlichen Spuren
nachging. ■ — Die Nachricht, daß er zum Maire von Bordeaux
gewählt sei, erhielt er nicht in Lucia, sondern in dem Badeorte
D e 1 1 a V i 1 1 a. — Zu Heinrich v. N a v a r r a stand
Montaigne schon vor dem Regierungsantritte des Königs in sehr
innigen Beziehungen und am 19. Dez. 1584 logierte sich der
Prinz sogar bei ihm ein. — Warum ist der Ausbruch der
Pest in Bordeaux während der Maireschaft Montaignes
und sein so bezeichnendes Verhalten während dieser Kata-
strophe ganz übergangen, wobei die falsche Annahme hätte
bekämpft werden müssen, als habe Montaigne sich aus der von
der Pest ergriffenen Stadt feige geflüchtet? Er war vielmehr
während des Ausbruches der Epidemie nicht in seinem Amtssitze
und ist allerdings (wie es wolil seine Pflicht gewesen wäre) nur
nicht dahin zurückgekehrt.
Rock, Hubert. 221
Auch die Charaklcristik von Montaigncs philosophischem
Typus erscheint bei Rock teils unzutreffend, teils unzulänglich.
Allerdings verfiel er dabei nur in einen Fehler wie viele andere
selbst hervorragende Montaigncforscher, die sich damit abquälten,
Montaignes Weltanschauung in einem Systemnelz der antiken
Philosophie einzufangen und auf festen Formen abzuziehen.
Sie verkannten, daß Montaignes geistige Individualität viel zu
proteusartig und impressionistisch sei, um in eine feste Kategorie
gebannt werden zu können. Sein Glaube an den ewigen Fluß
der Dinge, sein Rausch des ewigen ^^'erdens und Seins, sein
exces de V H eraclUisme (ein ^^'ort Strowskis) ist es ja gerade,
der ihm das Festhalten an einer Meinung in der Welt des
ewig bunten Wechsels als Dogmatismus und verwerflichen Fanatis-
mus erscheinen ließ. Im Gegensatze zu Sokrates und Plato
stellt er mit Kratylos die Möglichkeit, durch Vernunftschlüsse
und Induktion feste Erkenntnisse gewinnen zu können, in Abrede.
Nur die durch das Gedächtnis festgehaltenen Vorstellungen
will er (allerdings inkonsequenter Weise) als einen Ersatz für
die durch das Räsonnement und die philosophische Folgerung
sich ergebenden, trügerischen Resultate gelten lassen. Nur
wenn das Seiende und Unveränderliche der göttlichen Offen-
barung, wie sie sich in der ReUgion und in der raison universelle
kundgibt, zu dem ewig Werdenden, der irreführenden,
kritisierenden und negierenden raison individuelle, herabgelange
und sie erleuchte und reguliere, nur wenn der gesunde Instinkt
den Gang zur subjektiven Willkür zügle, könnten die ärgsten
Verirrungen gemieden werden. Montaigne war weder ein Stoiker,
noch ein Epikuräer, noch auf die Dauer ein Skeptiker oder Pyr-
rhoniker. Er war höchstens ,,ein Stoiker aus Epikuräismus"
und seine stoische Episode diente ihm nur als erziehliches Über-
gangsstadium. Schließlich, nacli dem Bankerott seiner früheren
Philosophie suchte er nur nach einem Mittel zur Erlangung
seines Seelenfriedens und des inneren Gleichgewichts. Er studierte
statt weit abliegender pliilosophischer Probleme nur das
nächste Thema, sein eigenes Ich. Und zur Gesundung desselben
war ihm jede Erlösungstheorie gleich willkommen. Er wurde
also ein eklektischer Dilettant, der von den Denkern aller
Zeiten Anlehen macht, um sein Leben erträglich zu gestalten.
Seine außerordentliche Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit
ermöglichte ihm dies und seine ausgezeichnete geistige Kon-
stitution heß ihn darüber seine Eigenart nicht völlig einbüßen.
Er verzichtete auf die Enthüllung des ewig Wahren,
nicht aber darauf, in jeder Lebenslage das einzig Rich-
tige zu treffen. Strowski sagt ungefähr dasselbe mit den Wor-
ten, die er Montaigne in den Mund legt: ,,Ich war ein Stoiker,
dann ein Skeptiker, hierauf kam ich zum Gleichgewicht des ge-
sunden Menschenverstandes, dann war ich ein Mann der Tat,
222 Referate und Rezensionen. Ludwig Karl.
endlich wurde ich ein Dilettant. Eine jede dieser Phasen habe
ich in meinem Buche ausgedrückt. Nun im Alter weiß ich nicht,
was noch aus mir werden wird." ,,Er ist jetzt etwas aus all dem
Vorhergegangenen geworden, nachdem er sich von allen diesen
Stadien losgesagt hat: er ist Montaigne geworden und liat sich
von den Übergangsformen befreit." Montaigne haßte das so-
genannte reine Denken, die Beschäftigung mit abstrakten und
metaphysischen Dingen und war mehr ein praktischer Lebens-
künstler als ein methodischer Philosoph.
\Y i e n - H i e t z i n g. Josef Frank.
l>upiiy, Ernest. Alfred de Vigny. Ses amities, son röle
litteraire. I. Les amities. Paris, Societe frangaise
d'imprimerie et de librairie (Ancienne librairie Lecene,
Oudin et Cie), 1910. 410 S. in-8.
Der Dichter Eloa's ist in Deutschland weder so verkannt
noch so unbekannt, wie es Herr Baldensperger meint und glauben
lassen möchte (s. Revue d'Histoire litteraire de France, XVII,
1910, S. 197). Was seine scheinbare Zurückstellung in der lite-
rarischen Kritik betrifft, so müssen zwei Umstände in Betracht
gezogen werden: erstens ist es schwer von dem Leben und Cha-
rakter eines Dichters ein treues Bild zu entwerfen, der seine Brief-
schaften und Papiere testamentarisch einer Familie vermachte,
die damit wie mit einem Hausschatze umgeht; zweitens können
Werke schwer kritisch behandelt werden, die in einer scheinbar
definitiven Ausgabe vorliegen, woran eine wörthche Befolgung
des literarischen Testam^ents mit Geschäftsgeist gepaart nichts
ändern läßt. Der Begründer der philosophischen Dichtung in
Frankreicli hatte auch wenig Beziehungen zur deutschen Lite-
ratur, obzwar Anklänge an Goethe und Schiller, an Gessner nicht
feldten, die Beachtung verdienen {Le Bai und Werther, Le Malheur
und die Braut von Messina, s. Esteve, Byron et le Romantisme
francais, Paris, 1907, S. 367, A. 1 und 368, A. 3, Rev. d'Hist. litt.
XVII, 1910, S 673). Wir lioffen bald eine deutsche Ausgabe
oder Auswahl seiner Werke zu besitzen, die dieselben dem großen
Leserkreise zugängUcher machen, wie sie für England Baher be-
sorgte (London, 1907). Die Kritik wird sich mit dem Dichter
auch eingehender befassen, wenn die unveröffentlichten Doku-
mente erscheinen; was bisher in Frankreich über ihn geschrieben
wurde, kann oft nur mJt Vorsiclit benutzt werden.
Einer der besten Kenner der Romantiker, Ernest Dupuy,
hat die neuen Wege gebahnt und sein letztes Buch ist die
Fortsetzung einer Anzahl Abhandlungen, die teilweise selb-
ständig in Zeitschriften erschienen sind (s. Revue d'Hist. litt, de
la Fr. X, 1903, S. 373—412 und XI, 1909, 189—219, Revue des
.deux- Mondes hWl, 1910, S. 337— 378 und LIX, 1910, S. 325—362).
Diipuy, Einest. 223
In einer früheren Veröffentlichung {La Jeunesse des Romantiques,
Paris, 1905) richtete er seine Aufmerksamkeit auf Victor Hugo
und A. de Vigny, die in ihrer Jugend um die Volksgunst mit
gleichem Erfolge buhlten. Das neue Werk des Verfassers ist
A. de Vigny allein gewidmet und ist der erste Band, dessen Folge
unter dem Titel: L'iiiflueiice litteraire erscheinen wird und uns
mit der Plejade des romantischen Sternenhimmels (Barbier,
Brizeux, Busoni, Leon de Wailly usw.) bekannt machen wird.
Die Grundlage bilden unveröffentlichte Briefe, die dem Vf. zu-
gänglich gemacht wurden. A. de Vigny hat sie selbst geordnet
und mit Randglossen versehen (S. 382); nur ein so genauer Kenner
des Zeitalters wie der Vf. konnte in demselben alle geheimen
Beziehungen entdecken, manche Zeitangaben genauer feststellen,
viele Charaktere und in erster Reihe A. de Vigny selbst in ein
helleres Licht stellen.
Zu des Dichters ersten Freunden rechnet Vf. mit Recht
dessen Eltern. Die Gescliichte der Familie hat Vf. schon früher
klargelegt und die schwache Grundlage des Adelsstolzes, der sich
in VEsprit pur offenbart, gezeigt. Briefe von Fremiily werfen
einiges Licht auf den Charakter des Vaters und der Mutter, die
der Dichter selbst treu und mit dem Gewährsmann überein-
stimmend charakterisierte. — Von den Schulkameraden werden
Xavier de Ravignans, des späteren Jesuiten, und des Grafen
Alfred d'Orsay, des Freundes der Lady Blessington, Beziehungen
zum Dichter nach dem Verlassen des Pensionats Hix durch
chronologische Anführungen der Dokumente behandelt. Die
Freundschaft zu letzterem erklärt es, daß A. de Vigny während
seines Aufenthaltes in England in den Jahren 1838 und 1839
mit der höheren englischen Gesellschaftsklasse im Gore House
bekannt wurde. Seit 1825 war er mit einer Engländerin ver-
heiratet, doch führte diese Verbindung wieder im Familienleben
noch in geselliger Beziehung zu einer innigeren Bekanntschaft
mit dem englischen Wesen. Erst die Briefe des Grafen d'Orsay
erklären dieselbe. — Die früh unterbrochene Offizierslaufbahn
des Verfassers der Servitude et Grandeiir müüaires hatte ihn nicht
nur mit Erfahrungen bereichert, die die Grundlage seiner späteren
Weltanschauung wurden, sondern Freundschaften gestiftet, die
sich im Kampfe um die romantischen Ideen bewährten. Baron
Taylor, der frühere Generalstabsoberst v>'urde königl. Intendant
des Theätre-Fran^ais und durch die Aufführung der Othello-
Übersetzung führte er das romantische Drama dem Siege ent-
gegen. France d'Houdetot machte den spanischen Kriegszug
mit und mußte nicht vor den Pyrenäen Halt machen wie der
Dichter des Trappisten. Sein Brief aus Sarragossa mag die Sehn-
sucht nach dieser exotischen Welt in seinem Freunde noch ge-
steigert haben. Unsere Kenntnisse über A. de Vignys Bezie-
lumgen zu Alphonse de Cailleux, der als Direktor der Museen
^24 Referate und Rezensionen. Ludwig Karl.
endete, zu Dittmer, dem Mitarbeiter des Globe, zum Grafen
Montcorps, an den der Dichter einige seiner frühesten Verse
richtete, zu Guillaume Pauthier de Censay, der als Feldwebel
die Bibel seines Hauptmannes im Tornister mit sich führte und
später sich als Orientalist einen Namen erwarb, werden wenig
bereichert. Mehr Interesse bietet es, die Rolle von Gaspard de
Pons kennen zu lernen. Er trat später als Dichter hervor, und
rivalisierte zweimal durch Behandlung desselben Stoffes mit
Victor Hugo. Alfred de Vigny schrieb eine wohlwollende Kritik
über sein Erstlingswerk Amoiir: A Elle in der Muse Frangaise
vom Jahre 1823. Trotzdem wurde G. de Pons neidisch auf seine
früheren Freunde und konnte dieses Gefühl unter schiefen Lob-
sprüchen nicht verbergen.
Viele Dichter des Cenacle sind eigentlich verkappte Klassiker,
Anhänger der literarischen Bestrebungen des 18. Jahrhunderts.
Zu diesen gehören neben Gaspard du Pons, Emile Deschamps
und Jules Lefevre. Die literarischen Beziehungen kommen nur
nebenbei in Betracht, wenn man A. de Vignys Freundschaft
mit der Familie Deschamps behandelt. Jacques war sein väter-
licher Freund und ein Brief an ihn stellt den heitern Greis lebhaft
vor unsere Augen. Emile ist vielleicht der innigste und treueste
Freund des Dichters der angeblich nicht einmal mit sich selbst
auf intimerem Fuße lebte. Die gemeinsam unternommene Über-
setzung von Romeo und Julie wurde wegen des Dichters Zögern
nicht aufgeführt, trotzdem blieb Emiles Freundschaft ungestört
und ihm scheinen die geheimen Fäden der Liebe zur Dorval
auch bekannt gewesen zu sein. Über Antonis Werke schrieb
A. de Vigny eine Kritik in \'Avenir\ der dankbare Dichter ver-
teidigte später in Versen seinen Freund gegen Moloes Angriffe.
Hyacinthe Thibaud Delatouche (nicht Henri) war der Bahn-
brecher oder richtiger der Wegweiser der Romantiker, denen
er in seinem Pamphlet Camaraderie litteraire im Jahre 1825
den Fehdehandschuh hinwarf. Er entdeckte Andre Chenier
und schätzte sehr hoch den Dichter der Dryade., der anfangs
in jenes Fußtapfen wandelte. Als Leiter des Mercure du X]X^
siecle beabsichtigte er über Cinq-Mars eine Kritik zu sclireiben,
die er jedoch Sainte-Beuve überließ, weil er wegen einer Erb-
schaft nach Berry reisen mußte. Bei Nodiers Begräbnis be-
gegnete ihm A. de Vigny und diesen Vorfall erzählt sein Tage-
buch mit rührenden Worten (S. 204). In Nodiers Salon ver-
einten sich manche Schriftsteller, die nie Romantiker waren,
sondern halb oder ganz Klassiker. In A. de Vignys Leben spielten
sie eine geringere oder bedeutendere Rolle, doch keine entschei-
dende. Zu diesen zählt Charles Nodier, von dessen Freund-
schaft ein Brief über Cinq-Mars und eine spätere Antwort des
Dichters an seine Tochter Zeugnis ablegt. Ancelot, der mit
seinen heute vergessenen Dramen einen Erfolg erzielte, lobte
Diipuy, Ernest. 225
die Sammlung Poemes in den Annales de la litteratiire et des beaux-
arts von 1822. BrifauL erhielt ein Exemplar des Cinq-Mars,
wovon sein Dankbrief spricht. Über die Beziehungen zu Gui-
raud berichtete schon früher Cha^avay; ihre Korrespondenz
beschäftigt sich mit der Wahl A. de Vignys in die Akademie.
Der Dichter klassischer Tragödien, vSoumet begeisterte sich auch
für Othello und bewunderte die philosophischen Gedichte seines
jüngeren Freundes. Eine Karte von Baour-Lormian enthält
eine bisher unbekannte Adresse A. de Vignys ; über den veralteten
Akademiker berichtet das Tagebuch vom Jahre 1842.
Victor Hugo und A. de Vignys Waffenbündnis ist allgemein
bekannt. Vf. hat zur Aufklärung in seinem ersten Buche tüchtig
beigesteuert, in der neuen Behandlung ergänzt er nur dasselbe
und fügt einige unedierte Briefe der Gattin Hugos an A. de
Vigny hinzu. Eine ungestörte Freundschaft verband den Dichter
seit der Aufführung von Henri 111 (am 11. Febr. 1829) bis zu
seinem Tode mit dem älteren Dumas. Sie lösten einander in der
Liebe zur Dorval ab und eine Antwort von Dumas scheint einen
Anflug von Eifersucht bei A. de Vigny beschwichtigen zu wollen.
In seinen Memoires macht sich zwar der sinnliche Romanschrift-
steller über die seraphischen Gefühle des Dichters lustig, seine
aufrichtig freundliche Gesinnung unterliegt jedoch keinem
Zweifel. Nur scheinbare Freundschaft, die später auch verloren
ging, war das Verhältnis von Lamartine zum Verfasser des Chatter-
ton. Man bewunderte im Cenacle den Dichter der Meditations,
er gehörte jedoch nie zu diesem Kreise. Seit 1828 stand er fast
zwanzig Jahre hindurch mit A. de Vigny in Verbindung. Die
Politik näherte beide einander, dieselbe trennte sie auch, als
sich A. de Vigny dem zweiten Kaiserreich anschloß. Lamartine
richtete trotzdem wiederholt Briefe an ihn, in denen er von ihm
Unterstützung erflehte, statt deren er nur eine verächtliche Be-
merkung oder überhaupt keine Antwort erhielt. Er rächte sich
durch zweideutige Lobesworte in seinem Cours de litteratiire.
Falsche Freunde nennt Vf. Sainte-Beuve und Gustave
Planche. Des ersteren Benehmen wurde oft gerügt, zuletzt von
Gollet {Rei^iie de Paris vom 12. Aug. und 1. Sept. 1906). Vf.
hebt hervor, daß Selbstsucht und Eitelkeit die Seele des Joseph
Delorme bewegten. Er trachtete zwischen Hugo und A. de
Vigny Feindschaft zu stiften. Er ist durcli die Bemerkung des
letzteren beleidigt, daß er sich in seinem Artikel über ihn {Revue
des deux Mondes vom 15. Oktober 1835) in einigen Daten irrte.
Noch mehr durch den Versöhnungsbrief des Dichters, den er
in einem weiteren Artikel totschwieg, weil derselbe die Entfrem-
dung ,, literarischem Klatsch" zuschrieb. Über den freiwilligen Ein-
siedler von Maine- Giraud schrieb er noch einmal nach dessen Tode,
er ließ ihm jedoch keine Gerechtigkeit widerfahren und seine iro-
nischenBemerkungen wurden von derNachv.elt nur zu oft wiederholt.
226 Referate und Rezensionen. Ludwig Karl.
Gustave Planche hatte keinen Grund den Dichter des Chatter-
ton zu befeinden, er wäre ihm sogar zu Dank verpfUchtet gewesen,
nachdem er durch dessen EmpfehJung Zutritt zu Buloz Revue
erhielt. Er erbat des Dichters Unterstützung, als er in seinem
Größenwahn nach einer Professur am College de France strebte.
A. de Vigny wurde an ihm durch Eugene de Mirecourt gerächt,
der gegen Planche ein Pamphlet schrieb; derselbe wendete sich
wieder an den Dichter und bat ihn zum Zeugen im Prozeß, den
er gegen seinen Verleumder richten wollte, jedoch erinnerte
jetzt dieser ihn an das, wodurch er ihm schulde. Ein Tagebuch-
blatt vom März 1857 wirft ein helleres Licht auf den erheuchelten
Zynismus und das unverhehlte Vordringen dieses literarischen
Emporkömmlings.
Drei lautere Herzen nennt Vf., Antoine Fontaney, Alfred
de Musset und Theophile Gautier, die als jüngere Schriftsteller
unter dem Schutze Alfred de Vignys standen. Der erste über-
setzte englische Dichter und wurde im Cenacle wohlwollend
empfangen. Mit dem Herzog d'Harcourt ging er nach Spanien,
sehnt sich aber in einem Briefe nach den literarischen Abenden
der Romantiker. Nach seiner Rückkehr wurde er Mitarbeiter
der Revue des deux Mondes. A. de Vigny stellte ihn der Dorval
vor und diese Bekanntschaft wurde für sein Schicksal entscheidend.
Er verliebte sicli in deren Tochter Gabrielle, entführte sie nach
England und beide starben nach kurzem Elend im Jahre 1837.
— Musset lernte A. de Vigny bei Hugo kennen. Er hat ihn
zur ersten Vorstellung seines Othello eingeladen und sie wechselten
einige Briefe, schickten sich gegenseitig ihre Werke zu. Im
Mai 1831 bat Musset um die Unterstützung seines Freundes für
Aglae Lärche um derselben zu einer Anstellung an einem Theater
zu verhelfen; sie wurde später Victor Hugos Geliebte. Nach dem
Tode Mussets wendete sich sein Bruder an A. de Vigny, um durch
seine Unterschrift eine würdige Grabstätte dem Verstorbenen
zu erwirken. — Ein Brief der Gräfin Fontanges vom 21. Sept.
1830 beweist, daß Gautier sich dankbar erwies, als er trotz seiner
Begeisterung für seinen Meister Hugo dessen Rivalen hochschätzte
und seinem Gefühle gelegentlich der Neuaufführung des Chatterton
und in seinem Nekrologe (im Moniteur vom 28. Sept. 1863)
Ausdruck gab. Die Gräfin empfahl dem Dichter des Eloa das
ErstHngswerk Gautiers und derselbe entzog ihm wahrscheinUch
nicht sein Empfehlungswort, das er noch vielen zukommen ließ,
die der zweite Band behandeln wird.
Die anmutige, ungezwungene Form der Darstellung, eine
aufrichtige Liebe zum Gegenstand, die trotzdem die Wahrheit
nicht verschweigt, charakterisieren das Buch des Verfassers.
Es ist kein einheitliches Werk,, wie eben Vf. selbst bemerkt (Avant
propos), sondern eine Reihe von Abhandlungen, in denen manch-
mal Vv'iederholungen vorkommen. Alle angefülirten Briefe
Giiiarcl Amedee. 111
sind in vollem Umfange mitgeteilt, manchmal sogar Gedrucktes,
was den Wert des Buches als Quellenwerk hebt. Möge nach
dem ersten bald der zweite Band die lebenden Freunde A. de
Vignys erfreuen.^)
Budapest, Ludwig Karl.
(vniard Am^d^e. Virgile et Victor Hugo. These pour le
doctorat es lettres pres. ä la Fac. des Lettres de l'Un.
de Paris. Paris, Bloud et Cie. 1910. VIII + 185 S.
Virgil spielt in der Poesie Hugos eine außerordentliche
Rolle und nicht bloß in den Jugendversuchen, für die er das
bewunderte unerreichbare Vorbild bedeutet. Später, nach dem
Staatsstreich, urteilt H. kühler über ihn. Der Höfling, der
geschickt Augustus umschmeichelt, muß den Demokraten und
Republikaner, den Dicliter der Chäliments abstoßen. «Prenez
Virgile» heißt es im Postscriptum de ma vie «Qu'y a-t-il de plus
miserable comme idee que ceci: Octave Auguste admis parmi
les astres ?. . Je hs ces vers, je subis cette forme et quel est son
Premier effet ? J'oublie Auguste, j'oublie meme Virgile; le
lache tyran et le chanteur lache s'effacent. . . II y a deux hommes
dans cet homme, un courtisan et un poete...» Die politische
Stimmung färbt auch ab auf das literarische Urteil. Virgil
vers( hwindet aus den Listen der ganz großen Dichter und Mensch-
heitsführer, die V. H. so gerne aufstellt. Aber er bleibt unver-
gessen und mit dem zunehmenden Alter scheint V. Hugo wieder
zu seiner ersten Liebe zurückzukehren. 1884 sagt er zu G.Boissier:
<<I1 y a tout dans Virgile!»
Guiard will den Virgil'schen Einfluß im einzelnen verfolgen,
offenbar ohne zu \Nässen, daß kurz vorher schon Samuel
Chabertin einem Aufsatz: Un exemple d'influence virgilienne.
Virgile et V oeiwre de V. Flugo,^) denselben Versuch unternommen.
Die beiden Arbeiten sind in der Anlage durchaus verschieden.
G. stellt das Verhältnis Hugos zu dem römischen Dichter chrono-
logisch in seinen Entwicklungsperioden dar. Ch. gibt im ersten
umfangreicheren Teil eine reiche Liste der Stellen, in denen
Virgil zitiert, übersetzt, paraphrasiert, irgendwie verwertet oder
auch nur den Namen nach genannt wird, und zieht dann seine
Schlußfolgerungen. Sein Index erlaubt einen bequemen Über-
bhck, legt aber die Gefahr nahe, ein schiefes und durchaus über-
triebenes Bild vom Einfluß Virgils zu zeichnen, den beide Ver-
fasser weit überschätzen. Daß V. H., der als Schüler seinen
^) Druckfehler zu berichtigen: S. 27 Journal: Seite oder Jahres-
angabe fehlt, S. 89 Mercure de France ler juin 1809: Jahreszahl un-
richtig, Seite fehlt, S. 114 Chaplle : 1. Chapelle etc.
2) Annales de VUn. de Grenoble 1909 Bd. XXI 673—737 u. 1910
Bd. XXII 53—101.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVIP. 16
228 Referate und Rezensionen. Jean Acher.
Virgil auswendig kannte, sich immer an ihn erinnerte, das be-
weisen die vielen Zitate, die er ihm entnimmt, um seine Prosa
zu schmücken oder um sie als Titel oder als Motto über ein Ge-
dicht zu setzen. Beweisen die vielen Reminiszenzen, all die
Details, die er sich zu eigen macht, besonders einige, die er un-
ermüdlich immer wieder variiert und selbst in Zusammenhängen
bringt, in denen sie niemand erwarten würde, so das Bild der
scheuen und koketten Galatea, die zu den Weidenbäumen flieht
und dennoch gerne gesehen werden möchte:
fugit ad salices et se cupit ante videri.
Aber was die Verfasser sonst alles an Versen und Bildern
zusammentragen, die Reminiszenzen sein sollen, was über Virgil
in Hugos Lyrik, Epik und Satire, selbst im Theater, gesagt wird,
bedarf teilweise starker Einschränkungen. Vor allem sieht man
nicht recht, inwieweit dadurch eine tiefere Abhängigkeit, die
über bloße Einzelzitate und Einzelerinnerungen hinausginge, er-
wiesen sei. Am besten ist dieser Nachweis noch für Hugos reli-
gions-philosophisches Bekenntnisgedicht Ce que du la hauche
d'ombre geglückt, das Chab. energischer als G. mit Aeneis VI
724 ff. in Zusammenhang bringen will. Auch die verschiedenen
Aspekte, die Virgil in Hugos Auffassung erhält, kommen bei ihm
deutlicher heraus, z. B. der «Virgile polisson», der da und dort
einen etwas lebhaften Vers decken soll. Zum Widerspruch
fordert mehrfach Guiards letztes Kapitel mit seinem weit aus-
gesponnenen Vergleich zwischen den beiden Dichtern heraus.
Dagegen interessiert im ersten die Analyse der Übersetzungen,
in denen V. H. geduldig, häufig glücklich mit dem Ausdruck
ringt, um Virgils Schönheiten sprachlich und metrisch wieder-
zugeben. Virgil hat für ihn schon in der Jugend, ehe er ihm
in den 30er Jahren mehr v/urde, nicht bloß einen unerschöpflichen
Zitatenschatz bedeutet, sondern auch eine Schule, in der er die
Geheimnisse seines Handwerks lernte. Das ist der wirkliche
Einfluß, den Virgil auf V. Hugo ausgeübt hat. —
Bonn. H. Heiss,
Traube, L<udwig. Vorlesungen und Abhandlungen, heraus-
gegeben von Franz Boll. Bd. II. Einleitung in die
lateinische Philologie des Mittelalters, herausgegeben von
Paul Lehmann. München 191L C. H. Beck'sche
Verlagsbuchhandlung. X + 176 pages in 8°.
Ce deuxieme volume de la publication posthume des legons
de Ludwig Traube sera accueilli avec reconnaissance par les
romanistes. La plus grande partie du livre est en effet consacree
ä un sujet qui les interesse directement: la langue latine du
moyen äge (eh. II; p. 31 ä 121), La chap. I s'occupe de Tecriture
Traube^ Ludwig. 229
latine au M. A., le chap. III traito de la connaissanco de la litte-
rature antique au IM. A., Ic chap. IV enfin donne une esquisse
de la litterature medievale latine. Ce dernier ehapitre s'arrete
mallieureusement en dcga de l'epoque carolingienne: ni les papiers
de Traube ni les notes de eours de ses eleves dont M. Lehmann
pouvait disposer pour cette epoque ne se prctaient pas ä etre
publies. La maladio qui minait Traube l'obligeait d'ecourter
ses cours, et dans les dernieres annees de sa vie, il n'a pu con-
sacrer ä l'histoire de la litterature de Charlemagno ä Dante qu'un
nombre de legons tout ä fait insuffisant.
Bien qu'il ait fallu combiner plusieurs cours de Traube pour
composer ce volume (deux cours dTntroduction et un d'Histoire
de la litterature), il est d'une unite parfaite. Le merite en revient
ä M. Paul Lehmann. On ne saurait louer trop la maniere dont
il s'est acquitte de sa difficile besogne. Co tome II ne le cede
en rien au tome I, et c'est le meilleur eloge qu'on puisse en faire
ä Tediteur.
Le ehapitre consacre ä l'ecriture est peut-etre le plus beau
du livre. II forme un complement precieux au cours de paleo-
graphie publie au tome I des Vorlesungen und Abhandlungen.
Traube y esquisse ä gros traits l'histoire des etudes paleographi-
ques, insiste sur l'unite de l'ecriture au moyen äge, prouve, contra
Th. V. Sickel et ses eleves, l'origine francaise de la minuscule
carolingienne, et termine cet expose par quelques mots sur le
regne de cette ecriture et son developpement ulterieur. Rien
n'est plus caracteristique de la maniere de Traube que ce mor-
ceau-lä. Aussi prends-je la liberte d'attirer l'attention des ro-
manistes sur lui: par la methode qui y est employee, par l'ampleur
des conclusions qui s'en degagent, il acquiert une importance
qui depasse notablement celle du sujet traite. C'est le propre
des etudes paleographiques de Traube que de posseder cette
valeur eminente d'etre dos etudes d'interet general, et il est
vraiment heureux que V Introduciion ä la philologie latine du
M. A. debute par un ehapitre qui met si bien en relief cette
maitresse qualite du renovateur des etudes medievales.
Dans le ehapitre sur la langue on trouve d'abord l'etude
des trois elements quo Traube distingue dans le latin du moyen
age: ecclesiastique, populaire et savant, ensuite quelques ren-
seignements sur la grammaire et des notions de metrique et de
rythmique. Je n'insiste pas sur l'interet de ces pages pour
nos etudes; il est evident. Chaque paragraphe se termine par
une bibliographie raisonnee, ce qui fait que cette partie du livre
sera non seulement lue, mais encore consultee ä chaque instant
par les romanistes. C'est un guide precieux, riebe en renseigne-
ments de toute premiere valeur, et c'est en memo temps une
etude d'ensemble sur le latin du moyen äge, qui, si sommaire
qu'elle soit, ne reste jamais ä la surface des choses, mais penetre
16*
230 Referate und Rezensionen. Jean Achcr.
au coeur meme du sujet. Rien n'est plus suggestif que ce chapitre
oü tant de problemes se trouvent poses pour la premiere fois,
oü tant d'autres sont eclaires d'une maniere nouvelle.
Le chapitre suivant, sur Fhistoire de la tradition de la littera-
ture antique au moyen äge, n'est pas moins interessant. En
quelques pages rapides Traube y note les points saillants du
sujet et montre, par des exemples bien choisis, ce qu'une etude
attentive de Tecriturc des manuscrits conserves peut nous fournir
de renseignements sur la tradition perdue. L'importance de
l'histoire de la tradition pour la connaissance du commerce
intellectuel entre les differents centres d'etudes au moyen ägo
y est egalement mise en relief. Ce chapitre formera une bonne
introduction au tome III des Vorlesungen und Abhandlungen
qui sera consacre en entier ä Thistoire de la tradition de la littera-
ture antique.
Le dernier chapitre, qui traite de la litterature latine au
moyen äge, se compose en grande partie de breves notices sur
les principaux ecrivains precarolingiens. La plus longue et la
plus remarquable est celle qui est consacree ä Isidore de Seville.
Mais tout est ä lire dans ce chapitre, Traube possedant l'art de
dire bien des choses avec peu de mots.
La lecture du livre est tres attachante. II est ecrit dans
une langue tres sobre, mais d'une purete accomplie. Ce n'est
pas le moindre attrait de cette belle Introduction qui est appelee
ä rendre les plus grands Services ä tous les medievistes.
Paris. Jean Acher.
Pron, Maurice. Manuel de paleographie latine et jranQaise^
3^ edition entierement refondue, accompagnee d'un
Album de 24 planches. Paris, Alphonse Picard et fils.
1910. 509 pages in 8*^ + 24 planches phototypiques
in 4°, cartonnees ä part. Prix 15 fr.
La paleographie occupe une place tres restreinte dans l'en-
seignement de la philologie romane. En dehors de l'Ecole des
Chartes, oü l'etude en est poussee tres loin, eile n'est enseignee
que d'une maniere assez rudimentaire. II existe, ä la verite,
dans la plupart des universites, des cours dits de sciences auxi-
liaires de l'histoire qui comportent des Conferences de paleographie,
Malheureusement, ccs cours, organises en vue des etudes d'histoire
nationale, n'ont, dans les pays non-romans, qu'une utilite restreinte
pour les etudiants romanistes. Partout ou presque partout
la paleographie est, au surplus, par trop intimement liee ä la
diplomatique pour qu'un philologue puisse s'y sentir ä l'aise.
On en est reduit par force ä se contenter de l'enseignement donne
au seminaire roman. Cet enseignement n'est pas systematique,
et il arrive de plus en plus frequemment qu'il incombe aux paleo-
Proii^ Maurice. 231
graphes improvises. Tout romaniste n'est plus neccssairement
paleographe comme autrefois. La division du travail a gagne
la Philologie: ä cote des editeurs, il y a les grammairicns, les
dialectologues, les lexicographes, que leurs etudes ont un peu
eloignes des manuscrits, et les Hasards de nominations fönt que
parfois on ne trouve aucun paleographe parmi les professeurs
charges de l'enseignement roman dans un etablissement. A
cette difficulte s'en ajoute une autre. Faute de temps, on va
au plus presse, et Ton se borne ä faire lire aux etudiants les fac-
similes de mss. en langue vulgaire. Ce n'est qu'exceptionnellement
qu'on leur soumet des reproductions de mss. latins. Or, il est
indispensable que l'enseignement de la paleographie soit fonde
sur l'etude des manuscrits latins. On ne comprend rien ä la
paleographie des mss. en langue vulgaire si Ton n'est pas familiarise
avec la paleographie latine. Comme ce dernier enseignement
ne peut etre donne au seminaire roman, il faut que l'etudiant
essaie d'y suppleer en apprenant seul, sans maitre, la paleographie
de mss. latins. II ne saurait choisir de meilleur guide ä cet effet
que la nouvelle edition du Manuel de M. Prou.
II existe des manuels plus savants ou plus complets. Je
n'en connais pas de plus pratique. La plupart des paleographies
sont oü des livres de reference ou des exposes historiques qui
ne peuvent etre lus avec profit que par ceux qui savent dejä
dechiffrer les principales ecritures du moyen äge. M. Prou s'a-
dresse aux debutants. Son but est d'initier ceux qui ne peuvent
suivre des cours de paleographie ä l'art de dechiffrer les manuscrits
et chartes et de les introduire, chemin faisant, ä l'etude scientifique
de la paleographie. Ce caractere elementaire du livre en con-
stitue la grande utilite pour les etudiants romanistes.
La methode de M. Prou est bien simple. Vingt-quatre
planches hors texte contenant cinquante-quatre fac-similes
phototypiques, de nombreuses illustrations dans le texte et deux
dictionnaires d'abreviations constituent la charpente du livre.
L'expose est aussi concret que possible; le lecteur voit passer
sous ses yeux tout dont on l'entretient. II n'est renvoye aux
recueils de fac-similes ou aux manuscrits que pour des questions
qui, comme p. ex. celle de l'origine de la minuscule carolingienne,
exigeraient un nombre trop grand d'images pour pouvoir trouver
place dans un manuel. Ce sont d'ailleurs, pour la plupart, des
questions theoriques ou des details secondaires qui sont traites
ainsi; les explications proprement dites se fönt toujours sur les
images du Manuel.
Le plan du livre est aussi tout pratique. Apres avoir donne
en tete du volume une bibliographie complete ou peu s'en faut
des manuels et traites et des recueils de fac-similes, M. Prou
fournit d'abord des renseignements sur les materiauxet instruments
de l'ecriture et passe ensuite ä l'expose des ecritures precaro-
232 Referate und Rezensionen. Jean Acher.
lingiennes. La transition entre cette premiere partie et la seconde,
qui traite des ecritures des IX^ ä XVIIP siecles, en distinguant,
jusqu'ä la Renaissance, dans chaque siecle, Tecriture des livres
de Tecriture des chartes, est fournie par la theorie des abreviations.
II faut approuver sans reserve M. Prou de n'avoir pas rejete,
suivant Tusage commun, cette partie ä la fin du Manuel: ex-
pliquer ä un debutant la minuscule carolingienne et son evolution
ulterieure sans l'avoir mis ä meme de resoudre les abreviations,
€'est lui interdire de lire les fac-similes sur lesquels portent les
explications.
Un chapitre sur la ponctuation, les signes diacritiques et
autres, les chiffres et la notation musicale termine l'expose propre-
ment dit. La fin du volume est occupee par les repertoires dont
je transcris les titres: Principales especes de mss., Dictionnaire
des abreviations (latines et frangaises; il est precede d'une tres
utile note sur les recueils et dictionnaires d'abreviations), Liste
chronologique des fac-similes annexes au Manuel/) Index biblio-
graphique, Index alphabetique des principales matieres. Ces
repertoires sont precieux. Le dictionnaire des abreviations
latines est tres riebe; il suffit completement ä l'usage courant,
et dispense les etudiants de l'acquisition d'un ouvrage special,
ce qui n'est pas negligeable au point de vue pratique. L'index
bibliographique, dont l'idee est empruntee ä Texcellent Manuel
de diplomatique d'A. Giry, evitera des pertes de temps ä tous
les travailleurs. C'est un accessoire qui meriterait d'etre adopte
par les auteurs de tous les manuels.
A partir du IX^ siecle, c'est surtout l'ecriture des mss. ecrits
en France qui est etudiee. Au point de vue romaniste, c'est
un nouvel avantage du Manuel sur la plupart des livres similaires,
^) Ces fac-similes comprennent, outre V Album dont est accompagnee
la presente edition, trois recueils publies ä pari, mais faisant suite au
Manuel. Les deux premiers sont epuises, mais je dois mentionner
ici le troisieme. Publie en 1904, chez Alph. Picard et fils, sous le titre:
M. Prou, Recueil de fac-similes d' ecritures du V« au XVIII'^ siecle. . .
accompagnee de modeles d'analyses d'actes et de transcriptions integrales,
il se compose de 50 planches contenant 63 documents. II serait tres
souhaitable que ce recueil se repandit parmi les romanistes. II contient
presque exclusivement des specimens d'ecritures frangaises ä date cer-
taine, si mal representees chez Steffens et dans autres recueils usuels. II
n'est pas inutile d'en donner ici la nomenclature: Tite-Live V« siecle.
Prudence VI''. Lectionnaire Gallican VII«. Vie de saint Wandrille
Vllle. Authentiques de reliques VIII« siecle. Bible (822). Diplome
de Louis le Pieux (832). Diplome du roi Budes (893). Acte de dona-
tion (931). Acte de donation (1001). Collection de canons (1009). Saint
Augustin (vers 1029). Acte de donation (1034). Acensements (1100
ä 1136). Actes divers (1144, 1163, 1201). Association et echange
(1205—1227). Copie authentique (1249). Table de saint Augustin
(1256). Charte de Vofficialite de Soissons (1258). Id. de Vofficialite
de Laon (1261). Enquete (1261). Charte de Ferri duc de Lorraine
(1263). Lettres patentes de saint Louis (1268). Registre d'Alphonse
-ProM, Maurice. 233
oü ce sont au contraire les mss. d'originc non-romanc qui occu-
pent la premiere place.
L'etudiant qui aura etudie lo livre de M. Prou en ne negli-
geant pas de transcrire les fac-similes qui y sont joints, connaitra
les ecritures usuelles et n'eprouvera pas de difficultes ä les lire.
En meme temps il s'initiera aux principaux problemes de la
paleographie et apprendra Tetat actuel de la science sur la plu-
part des questions. C'est en effet la grande originalite de cette
troisieme edition du Manuel que d'avoir su concilier tres heu-
reusement un enscignement tout pratique avec les exigences de
la paleographie historique. Dans les deux premieres editions,
le cote scientifique etait un peu moins developpe. En lui faisant
une part plus large dans la nouvelle edition, M. Prou a rendu
un grand service aux etudes paleographiques. Le principal
ecueil de la paleographie, c'est precisement d'etre enseigne d'une
maniere qui empeche les etudiants de la cultiver scientifiquement.
II y a, en effet, une Separation deplorable entre la science et la
pratique: l'etudiant apprend ä dechiffrer les anciennes ecritures
et ä les dater sans etre introduit ä l'etude scientifique de la paleo-
graphie. Une certaine habüete une fois acquise dans cet art
pratique, il croit avoir termine son education paleographique.
II consulte encore ä l'occasion les traites, mais ne les etudie guere.
Quant aux monographies, il en ignore, pour la plupart, l'existence.
Nulle part cet empirisme n'est plus enracine que chez les roma-
nistes; le Manuel de M. Prou y apportera un excellent remede.
II serait peut-etre desirable que, dans la prochaine edition,
M. Prou accentuät encore davantage cette tendance de son livre.
II pourrait, p. ex., joindre au § 1, qui traite de la definition de la
paleographie, une esquisse d'histoire de la science paleographique.
En apprenant comment sont nees et comment se sont developpees
de Poitiers (1269). Charte de Vechevinage de Lille. Enquete (1278).
Notes breves de notaire (1278). Amortissement (1286). Registre du
iresor (1300). Arrentements (1302 — 1303). Brunetto Latini (1310).
Minute de lettres royaux et accord au Parlement (1322 — 1323). Accords
au Parlement (1324). Id. (1367). Id. (1382). Minute de lettres
royaux (1401). Accord au Parlement (1401). Aveu et denombrement
(1436). Mandement royal et hommage (1446). Quittance et vente
(1456 — 1475). Bail ä cens (i486). Chronique de Monstrelet (1510).
Acte d'echange (1520). Registre de comptes (1521). Notes breves de
notaire (1536). Actes d' hommage (1548 — 1549). Lettre de Frangois
de Guise (1563). Logis des troupes ä la bataille de Jarnac (1569).
Aveu et denombrement (1581). Frais de criees (1620). Plumitif du
Parlement (1625). Acte de vente (1650). Comme on le voit, ce sont
surtout des actes, c'est ä dire des documents que les etudiants ro-
manistes eprouvent le plus de difficulte ä lire, qui sont publies ici.
Les pieces en frangais y sont nombreuses, il y en aussi des proven^ales
et une catalane, ce qui fait que ce recueil peut etre utilise avec succes
dans les Conferences de seminaire. Le prix en est modique: 20 frs.
La librairie fait en outre des conditions speciales aux etablissements
qui prennent six exemplaires ä la fois.
234 Referate und Rezensionen. Jean Acher.
ces etudes, le debutant apprendrait en quoi a consiste leur progres
et quelle est la direction qu'un Delisle ou un Traube ont imprimee
aux recherches sur les anciennes ecritures. Composee habile-
ment, cette notice historique pourrait eveiller chez plus d'un
lecteur le goüt pour la recherche personnelle. II faudrait peut-
etre aussi, en citant les memoires des maitres, insister sur l'im-
portance qu'ils ont eu pour le developpement de la science. M.
Prou a bien fait le necessaire pour les travaux de Traube: ses
lecteurs en saisiront parfaitement la portee. Mais je crains qu'ils
n'aper^oivent pas avec une nettete süffisante ce que la paleo-
graphie doit ä Leopold Delisle. Le Cabinet des Manuscrits et
le Memoire sur l'ecole calligraphique de Tours, pour ne parier
que de ces deux ouvrages celebres entre tous, appliquent des
methodes qui fönt date dans la paleographie et qu'il ne serait pas
hors de propos de faire connaitre aux commen^ants. De meme,
il eüt ete utile de dire que le Programm und Instruktion der Diplo-
maia- Abteilung de Th. v, Sickel a fait reposer la critique paleo-
graphique sur l'etude du ductus de Tecriture, et que cette methode,
d'un usage courant chez les diplomatistes, pourrait etre appliquee
avec succes dans la paleographie des livres, oü eile n'est pas
encore tres repandue. L'importance du memoire de M. Wilh.
Meyer (de Spire) sur Die Buchstaben- Verbindungen der sg. gothischen
Schrift n'apparait pas, non plus, avec la clarte desirable. II
n'est cite que deux fois, ä propos des liaisons dans l'ecriture du
Mont-Cassin et dans la minuscule gothique: le lecteur pourrait
etre tente de croire que M. Wilh. Meyer s'est borne ä faire une
simple Observation; il ne soup^onnera sans doute pas que ce
memoire constitue une etude de portee generale oü une regle
calligraphique tres importante est examinee avec toutes les
rigueurs de la methode historique. On pouvait, en outre,
emprunter ä cette etude quelques indications sur l'emploi de
Vr courbe, du d oncial, du t», et de Vy. II serait aussi souhaitable
que M. Prou fit une place plus large aux questions de provenance.
L'ecriture n'a pas evolue partout de la meme maniere, et il con-
viendrait d'attirer l'attention des debutants lä-dessus. Le Manuel
y insiste suffisamment dans les chapitres consacres aux ecritures
precarolingiennes, mais il n'en est plus de meme dans la seconde
partie du livre. II n'eüt pourtant pas ete superflu de rappeler
l'observation de Schum sur les particularites de la minuscule
gothique dans le Midi de l'Europe parce qu'on les rencontre
souvent dans les mss. d'origine provengale. Plusieurs paleo-
graphes ont note le caractere avance de l'evolution de l'ecriture
en Normandie (on plus generalement ä l'Ouest) au douzieme
siecle; cette remarque meritait d'etre rapportee. Les particula-
rites de l'ecriture anglo-norman'de etaient aussi bonnes ä noter.
La derniere Observation m'amene ä faire une remarque sur
la place restreinte faite dans le Manuel k la paleographie des
Proii, Maurice. 235
mss. et chartes en langue vulgaire. Ne convenait-il pas d'indiquer
quand, dans quelles provinces et sous rinfluence de quels bcsoins
on aveitcommence ä rediger los chartes en langue vulgaire ? M. Prou,
qui est un diplomatiste remarquablement informe, aurait pu,
il me semble, reunir ä cot egard quelques renseignemonts destines
ä completer ceux qu'on trouve dans le Manuel de diplomatique
de Giry.2) II eüt ete bon aussi de raconter les debuts du livre
frangais et de dire quelques mots de conditions paleographiques
de la formation de Torthographe fran^aise. L'etude des tenta-
tives qui ont ete faites pour rendre les sons de la langue mater-
nelle avec les signes de I'alphabet latin me semble ressortir pour
le moins autant ä la paleographie qu'ä la phonetique. II y avait
lieu, semble-t-il, d'attirer l'attention sur ces questions en etudiant,
p. ex., les fonctions diacritiques de la letre Ä, les hesitations
entre ^ ou c? et 2 ä la fin des mots, les tentatives faites pour rendre les
sons de Vn et 17 mouillees. Chemin faisant, on aurait pu illustrer
par quelques exemples les differences locales d'orthographe, en
faisant remarquer, p. ex., que les copistes bourguignons fönt
grand usage de TA, qu'a Liege on rend / mouillee par Ih, que
l'emploi de Vx caracterise l'orthographe lorraine. La graphie
anglo-normande aun (pour an) aurait pu servir d'exemple d- la
determination de Tage de Tecriture au moyen d'orthographe.
Selon l'usage antique et solennel, M. Prou ne s'occupe
pas de la paleographie des livres imprimes. G'est la seule lacune
de ce remarquable Manuel qu'on ne saurait trop recommander
aux etudiants en philologie romane.
Je termine par quelques observations de detail.
Dans le chapitre preliminaire, il ne serait pas hors de propos
de donner quelques indications sur les moyens de reproduire
les mss. II serait utile aussi d'avertir les debutants qu'il ne suffit
pas d'etudier les fac-similes joints au Manuel ä l'aide des trans-
criptions donnees dans le livre, mais qu'il est indispensable de
les transcrire soi-meme, et qu'apres avoir obtenu une transcription
convenable, il n'est pas mauvais de calquer le fac-simile pour
-) Me sera-t-il permis d'adresser ici ä M. Prou la priere de vouloir
bien nous doter d'un recueil de fac-similes des plus anciens documents
diplomatiques en langue vulgaire? De plus en plus, on se rend compte
de la necessite de l'etude directe des documents. C'est ainsi que
M. Behrens, p. ex., a Joint ä la derniere edition de son Altfrz. Grammatik
un choix de chartes destine ä illustrer les particularitäs dialectales du
franQais. On serait heureux de posseder, ä cöte de ces specimens
imprimes, de bons fac-similes de prix abordable, et il y a, je crois,
grand interet ä que ces reproductions soient publiees par un savant
frangais. Un etranger ne saurait atteindre les documents qui n'ont
pas 6t6 signales, et c'est precisement le cas oü se trouvent les plus
anciennes chartes en langue vulgaire de certaines provinces. II serait
desirable que dans un recueil pareil les transcriptions fussent accom-
pagnees non seulement de remarques paleographiques, mais aussi
d'explications diplomatiques elementaires.
236 Referate und Rezensionen. Jean Acher.
se bicn familiariser avec toutes les particularites de l'ecriture
qu'on etudie. — P. 35. Est-il bien sür que le sulfhydrate d'ammo-
niaque ne deteriore pas les mss. ? J'ai entendu dire qu'apres
avoir fait revivre Fecriture, il contribuait ä la faire disparaitre
definitivement. La Photographie, qui donne frequemment des
epreuves plus nettes que l'original, est en tout cas plus inoffonsive.
— P. 36 A propos des chartes de Rouergue dont l'encre est devenue
verte, je signalerai, dans le ms. Bibl. Nat. lat. 16 738, planche 1,
une Charte de Richard II de Normandie pour l'abbaye de vSaint-
Wandrille, dont l'encre est devenue rouge. — P. 60. II ne fallait
pas ometre d'indiquer que M. Chatelain donne, dans VUncialis
scriptura (texte) quelques indications pour determiner Tage des
livres ecrits en onciale. — P. 70, transcription du papyrus de Ra-
venne, ligne 1; lisez suscrihsi au lieu de subscribsi. — P. 74. Le
fac-simile destine ä illustrer l'ecriture semi-onciale (Le Cassien
derobe par Libri ä Autun et reconquis par la Bibliotheque Natio-
nale) n'est pas choisi tres heureusement. La lettre g, dont la
planche n'offre qu'un exemple {sagum, 1. 9), n'y a pas la forme
caracteristique de l'ecriture semi-onciale: c'est un g oncial. A
tout le moins, il fallait en faire la remarque. — P. 113. Le passage
terminant cette page est redige maladroitement: il pourrait
dünner ä croire que c'est au XIIP siecle seulement qu'on s'est
mis ä ecrire en langue vulgaire. La plume a trahi la pensee de
M. Prou. — P. 118 ä 135 sont occupees par un chapitre sur les
Notes tironiennes du ä M. Jusselin. Ce chapitre est excellent,
mais vu l'interet restreint du sujet, il me semble un peulong. — P. 145
et 146. Fautes d'impression que je me borne ä signaler, les dif ficultes
typographiques m'empechantde les corriger: G, psentes. — P. 148.
II fallait peut-etre indiquer que toutes les lettres qu'on suscrit
Sans rien abreger etaient ä l'origine des lettres liees; c'est la
forme des ligatures oü elles entraient en composition qui explique
leur place au-dessus de la ligne. — P. 153. Le point et virgule
fait en deux traits abrege la finale us encore au XIIP siecle:
Registre de l'eveque Conrad de Constance de 1210 (Steffens,
ed. fran?. pl. 89: seqiientibiis, 1. 10; conspectibus, 1. 11), Registre
du Cardinal Hugues d'Ostie de 1221 (Steffens, ed. fr. pl. 90:
Omnibus, 1. 10; genibus, 1. 12; militibus, 1. 24), le ms. de Thomas
d'Aquin qu'on croit etre autographe (Steffens, ed. fr. pl. 95
rebus sensibilibus, col. 2, 1. 28); Notices provenant du Limousin
redigees vers 1200 {Heliogr. Ec. des Chartes n°® 146 ä 148); Docu-
ment de l'abbaye de S. Denis de 1207 (Heliogr. Ec. Chartes n°
185, duobus hominibus); Gloses sur les Epitres de S. Paul de
1225 (Van den Ghcyn, Album beige de paleogr. pl. XIII), Additions
de Maurice de Neufmoustier aux Gestes des ev^ques de Liege (Van
den Gheyn, op. cit. pl. XIV), S. Augustin copie en 1277 par
Jean Toussens, moine ä Cambron (Van den Gheyn, op. cit. pl.
XVI, tribus, duabus, col. 2, 1. 18; motibus, col. 2, 1. 27; habentibus,
Proii^ Maurice. 237
col. 2, 1. 28); Le ms. A du lapidairc Evax fii un muH riche reis
du debut du XIIF sieclc {Romania XXVIII, p. 48, ox .ä la der-
niere ligne); xMatthiou de Paris {Paleograph. Society I pl. 218,
plusieurs exemplcs ä la 2^ colonne). — Getto abreviation est
parfois faite d'un seul trait bien avant le XI^ siecle. M. Steffens
en a signale un exemple dans le Valere-Maxime de Berne du
IX^ siecle (ed. fr. pl. 60 b, col. 2, 1. 1). — P. 156, transcription
du dessein, lisez ^lernam (fautc d'impression). — P. 158. ,,Au
XII P siecle, la diphtongue se a completement disparu". Sauf
dans les mss. en langue vulgaire oü eile se rencontre sporadique-
ment, cf. Suchier, Voyelles ioniques p. 35. — P. 160. La redaction
du passage sur cum., quiim est peu heureuse; voy. p. 103 oü eile
ne prete pas ä cette critique. — P. 195. Meme Observation au
Sujet de la phrase concernant 1'? cedille au XP siecle. La bonne
formule se trouve p. 158. — P. 201, Signatures autographes.
Un renvoi ä Giry, Manuel de diplomatique p. 601 ne serait pas
superflu. — P. 204. II fallait repeter ici l'indication du Rouleau
du b. Vital, donnee ä la p. 30, et attirer derechef l'attention du
lecteur sur ce document incomparable pour l'etude de l'ecriture
ä la fin du premier quart du XI F siecle. — P. 208. Je ne saisis
pas bien l'utilite d'uno analyse detaillee d'un acte dont on ne
communique que le preambule. Ailleurs encore, j'ai remarque
quelques analyses un peu longues. Y aurait-il la une Intention
de la part de M. Prou ? L'analyse d'un acte n'est pas toujours
facile, et il n'est peut-etre pas oiseux de fournir aux debutants
de bons modeles. Le moyen le plus simple consisterait ä donner
en fac-simile une charte de Fleuri et ä renvoyer, en note, ä cer-
tain Recueil des chartes de cette abbaye, en recommandant aux
commen^ants l'etude des analyses qui y accompagnent les docu-
ments. Le Manuel et ses lecteurs s'en trouveraient bien. —
P. 209. Je ne crois pas qu'il soit exact de dire que ,, avant le
XIIF siecle, l'art de l'ecriture etait essentielloment monastique."
La richesse de la litterature profane en langue vulgaire au XI P
siecle et sa diffusion rapide ä l'etranger me semblent prouver le
contraire. M. Prou fait aussi trop bon marche des ecoles non-
monastiques, tres florissantes au XI P siecle. Je rappeile enfin
que l'officialat et, dans le Midi, le notariat datent du XI P siecle.
— P. 220. Le trait d'union qui suit, ä la fin des lignes, le commen-
cement d'un mot termine ä la ligne suivante n'a rien de notable
au XIIP siecle. On le rencontre des le XP siecle. — P. 282.
Le chapitre sur les Accents appelle quelques remarques. L'o
exclamatif n'est pas le seul monosyllabe qui soit souvent sur-
monte d'un accent. La dissertation de Lincke, dont certaines
conclusions me paraissent d'ailleurs contestables, est citee ä
un endroit du contexte oü l'on s'attendait ä trouver une indi-
cation sur les accents dans les ecritures irlandaise et anglo-saxonne.
— En ce qui concerne les accents surmontant Vi redouble, M. Prou
238 Referate und Rezensionen. Jean Aclier.
en Signale la presence dans une charte, aujourd'hui perdue, de
Marmoutier de 1077 et dans les diplömes de Louis VI. Ces in-
dications sont precieuses, mais auraient pu etre completees par
quelques renseignements concernant les livres. Voici le resultat
d'une petite recherche que j'ai effectuee sur les ii accentues tant
dans les livres que dans les chartes. Le premier exemple en est
fourni par le Catalogue de l'abbaye de Lobbes de 1049 {Paleogr.
Society I pl. 61). Dans le dernier quart du XF siecle, on en
trouve des exemples dans les chartes: ä la charte de Marmoutier
citee par M. Prou, j'en ajoute une autre de la meme provenance
ecrite vers 1092 {Musee des Archiv. Depart. n^ 29) et une charte
du 9 novombre 1081, redigee en Catalogne au nom d'Arnaldiis
Ugonis baiiilus de Fontclara et Arnaldus abbas saticti Benedicti
de Castres, conservee dans le ms. Bibl. Nat. lat. nouv. acq. 2579
(charte n^ 16), Au debut du siecle suivant, on en trouve des
exemples tant dans les livres que dans les chartes: Psautier
quadriparti de S. Martin de Tournai de 1105 (Prou, Album accom-
pagnant la presente ed. du Manuel, pl. 11, exiit, Hgne 13); frag-
ment du Rouleau d'Hugues abbe de Saint- Amand de 1107 (eloge
de Guarmond, aliis) recueilli dans le ms. Bibl. Nat. nouv. acq.
lat. 1525; souscription autographe d'Hugues, abbe de S. Cibard
apposee k une charte de Girard, eveque d'Angouieme du 18 juillet
1109 {Musee Arch. Depart. n^ 30); le Saint- Jeröme de 1114 (Prou,
Reciieil de fac-simile de 1892, pl. I et Steffens, ed. fr., pl. 79a).
J'ignore quand et par qui les ii accentues furent introduits ä la
chancellerie de Louis VI que je connais mal. Je remarque toute-
fois que dans le diplöme de fondation de Tabbage de S. Victor de
1113 ils fönt defaut, ä en juger par le fac-simile pubhe dans V Album
paleographique . . . par la Societe de l'Ecole des Chartes pl. 28,
bien qu'on les trouve dejä dans le diplöme pour Ste. Croix d'Orleans
de Tannee precedente {Mus. Arch. Depart. n° 31). Vers la fin
du premier quart du XI P siecle, les ii accentues sont communs
ainsi qu'on peut s'en convaincre en parcourant le Rouleau du
b. Vital (ed. phototyp. Delisle, titres 4, 8, 14, 25, 26, 27, 28,
40 etc. etc.). La Regle de S. Benoit de Saint-Gilles de 1129
{Paleogr. Society I, pl. 62) fournit un exemple presque contem-
porain pour le Midi. — P. 290. Le chapitre sur la Notation musi-
cale n'est pas tres heureux. Au lieu de la nomenclature detaillee
des neumes, il aurait mieux valu donner quelques renseignements
sur l'interpretation des notes carrees et sur les notations mesurees.
II est surprenant que dans la bibliographie de ce chapitre on ne
mentionne pas J. B. Beck, Die Melodien der Troubadours, cet
ouvrage fundamental pour l'etude de la notation carree. —
P. 483. L'index bibliographique me permet de constater un
singulier oubli de M. Prou: le Manuel, dedie ä la memoire de
L. Gautier, a cache aux lecteurs l'oxistence de Vllistoire de la
poesie liturgique, qui contient une belle etude sur la paleographie
Boiirciez, E. 239
des tropaires. Je suis aussi surpris qu'un ouvrage de „paleo-
graphie latine et francaise" n'ait pas trouve uno seulc occassion
de prononcer le nom de M. Paul Meyer. Le memoire sur Les
fragments d'une paraphrase proveiiQale du Pseiido-Caton [Romania
XXV) n'est pas mieux traite que les autres, bien qu'il debute
par une etude paleograpliique de portee generale.
Paris. Jean Acher.
Bourciez, E. Elements de lingiiistique romane. Paris,
C. Klincksieck, 1910. 16^ picc-, pp. XXI— 697.
Non si potrebbe negare a questo libro il morito dell' oppor-
tunitä. Manca infatti alla Francia un libro che s'assomigli
(a tacere della Einführung del Meyer-Lübke, non troppo adatta
invero ai novizi) ai preziosi manualetti del Gorra e dello Zauner,
tanto chiari, precisi e bene informati.
Coi quali perö quello del B. non ha comuni che il carattere
elementare, e, ma in misuria e scelta differenti, la materia. Questa
e coIä disposta in modo assai diverso. Dopo una spiegazione
sui segni diacritici e convenzionali^) adoperati nel libro (nel
quäle perö non e detto che significhino il f X e il rfy nelle tra-
scrizioni ladine; § 514b), si passa alla introduzione, nella quäle,
ponendo a base il latino, si espongono certi principi generali
della analisi e della evoluzione del linguaggio. La materia stessa
viene poi divisa in tre parti, delle quali la prima considera il
latino sopratutto ne' suoi rapporti col neo-latino e quäle fönte
diretta di questo; la seconda concerne la fase romanza primitiva,
e la terza e consacrata alle lingue romanze singolarmente prese;
dove e da rilevare che al francese son consacrati due capitoli,
il 1*^ (L'ancien frangais et le proven^al) e il 6*^ (Le fran^ais moderne).
La materia e dunque sbocconcellata per il francese in quattro
parti, per gli altri linguaggi, in tre: una spartizione sulla quäle
io non avrei nuUa a ridire, dove la sezione che s'intitola "Phase
romane primitive" non fosse riuscita una vera olla podrida crono-
logica. Infatti il B. assegna a quella fase un giro di secoli che
va dal 5^ al 10^, e vi contempla quindi della materia che e ancora
latina insieme ad altra chi e giä schiettamente romanza, e potrebbe
essere anteriore e sopratutto posteriore a quell' epoca. Chi
guarentisce al B., p. es., che gli ordinali ladini in -avel (§ 220^)
non sieno posteriori al sec. 10"?
L'esposizione del B. e chiara; tanto chiara da far parer
limpide e semphci delle quistioni che purtroppo sono assai buje
e intricate. D'altra parte questo bisogno assoluto di chiarezza
a ogni costo, disposato alla necessitä di condensare la materia
1) Tra questi, e da biasimare l'uso promiscuo fatto dell' asterisco,
che serve non solo per le forme presunte ma anche per le forme che,
pur essendo documentate, non sono del latino ciassico.
240 Referate und Rezensionen. C. Salvioni.
in paragrafi brevi, implica troppo di spesso delle omissioni di
cose essenziali, di quelle omissioni che svisano interamente le
cose. Chi paragoni certi §§ del B. coi corrispondenti dellaGrömm.
del Meyer-Lübke o persino con numeri del Körting, troverä che
la materia degli uni e degli altri e spesso miseramente sciupata.
Poiche si capisce che il Meyer-Lübke e la precipua fönte,
ne potrebbe essere altrimenti. Solo, la materia della poderosa
opera del cattedratico di Vienna il Bourciez avrebbe dovuto
assimilarsela meglio; essa avrebbe davuto divenir sangue del
SUD sangue. Invece di spesso e rimasta materia appiccaticcia,
mal compresa e mal digerita. E anche, in fondo, negligentemente
sfruttata, in quanto una lettura appena appena attenta avrebbe
fatto si che il B. evitasse errori madornali, come sarebbe quello
che gli fa dire (§ 399) che l'italiano non e parlato in Austria che
nella regione di Trieste, o quell' altro per cui il bolognese
e il romagnuolo sarebbero de' dialetti centrali, diversi dall'
emiliano.
Fortunatamente la parte originale del B. non si limita a
queste amenitä. Essa s'appalesa in modo assai migliore nella
parte francese, che il B., autore d'un trattato di fonetica francese,
meglio conosce; nella frequente invocazione del guascone, nel
ricorrere pure a proprie indagini sul latino volgare e medievale,
indagini istituite su iscrizioni e carte. S'appalesa anche, e in
ciö non vedrei io un pregio, nel tenersi attaccato alle idee del
Mehl e nel chiamar quindi a testimonio i dialetti italici pur lä
dove non occorre punto; s'appalesa soprattutto nel tentativo di
schizzare anche lessicalmente il latino-volgare e i singoli linguaggi
romanzi. II tentativo non e riuscito ne poteva riuscire, perche
a noi mancano ancora troppi elementi di giudizio, e perche il B.
ha proceduto arbitrariamente e ignorando troppo di spesso anche
i pochi elementi utili.
Non place nemmeno il vago e impreciso modo con cui tal-
volta s'accenna ai fatti. L'avverbio 'ordinairement' M'ordinaire'
occorre troppo frequente. Con troppa frequenza la presenza
d'un fenomeno e enunciata col modo "in Italia" 'nella Rezia',
senza che si riesca a capire se con quelle espressioni si voglia
dire 'in tutta Italia' o 'in qualche parte d'Italia'. Anche non
riesce sempre di capire se la parola "italiano" si riferisca
all' insieme dei volgari neo-latini d'Italia, o alla lingua
letteraria.2)
Dirö infine che in un libro di linguistica seria spiace di
leggere dei giudizi estetici, soggettivi e quindi facilmente fallaci,
come quelli che si leggono al § 335 (secondo capoverso)
o al § 548<^-
2) Gosi a § 408: "L'it. n'admet aueune consonne k la finale."
Ma se ne' dial. gallo-italici (meho il ligure) e in piü varietä pugliesi
cadon tutte le vocali meno -a, e in qualche punto anche questa!
Bourciez, E. 241
Seguono ora appunti di diversa natura che devon lumeggiare
le critiche che sulle generali si son mosse qui sopra al libro del
Bourciez.
* * *
Pp. XVII — XXI. Non capisco con qua! criterio sia messa
insieme la bibhografia. Data pure la necessitä d'essere conciso
e di indicare solo ciö ch' e di capitale importanza, riman sempre
strano che non vi figurino la Revue des langues romanes, V Archiv
di Herrig, il Kritischer Jahresbericht, e la rivista del Monaci dai
diversi titoli succedutisi l'uno all' altro {Giornale, Rivista, Studi
di fil. romanza, Studi romanzi). Arreca stupore che sotto 'Rheti-
que' non compajano i Saggi ladini, e dell'omissione mal ci
compensa che VArchivio glottologico sia ricordato tra le riviste
della nostra scienza. Manca tra i sussidi rumeni il Rumän.
Elementarbuch del Tiktin. Sotto 'provenzale', avrei ricordato
la Gramm, hist. de la langue des felibres del Koschvvitz, e tra i
sussidi per il francese non andava omessa la Bibliographie des
patois del Behrens. I vocabolari sono posti sistematicamente al
bando e il lettore non sa ne del Dictionnaire general ne del Tresor
del Mistral. Nel corso del volume avvengono spesso de' rimandi
a lavori speciali; ma anche qui, parmi, senza una norma; talche
SU molte quistioni il lettore sa dove attingere una piü ampia
informazione, su molte altre no.
§ 27^- Un attento esame dei linguaggi parlati condurrebbe
a Stabilire che i suoni 'accessori', come li chiama il B., hanno
forse una importanza maggiore che loro non venga solitamente
attribuita. Nel dial. deila valle Mesolcina (Grigione italiano),
p. es., io ho sentito spesso e da persone diverse un-d-r^ un re,
el-d-rid 'egli ride'; altrove (Leventina) sem-b-rüinü son rovinato.
§ 28. A spiegare *grevis basta Tantitetico levis.
§ 31a. Credo anch' io al principio della regolaritä dei fatti
flessionali, e le belle ricerche del Jaberg {Ueber die assoziativen
Erscheinungen in der Verbalflexion einer südostfranz. Dialekt-
gruppe. Aarau 1906) non fanno che confortare questa convin-
zione. Solo, trattandosi di fatti dello spirito, la prova e difficile
da fornire.
§ 50c, L'i e Tu {= e e o) in Sicilia, e quindi in parte dell' Italia
meridionale, si puö provare che e di data relativamente fresca
(v. Rendic. Ist. lomb., 1910, p. 625).
§ 52c. Contro la condizione del 'groupe de consonnes' parlano
foutreecc, il sen. /nai^a prestito mutua; anticus, ecc. V. Grand-
gent § 226.
§ 57a. Vi ha contradizione tra questo e il par. 165 dove,
a proposito di ke ki nella Sardegna, si parla di regressione, mentre
qui si parla di conservazione.
242 Referate und Rezensionen. C. Salvioni.
§ 58c. Stä bene rius = rivus. Ma anche qui devono avere
avuto luogo conguagli fin dal latino, poiche avii si continua in
Italia (perö hol. Idl = *aulu = *avulii), e lo si dovrä a ava.
§ 60. La quistione di quanto degli elementi lessicali del
vocabolario latino si conservi nelle lingue neo-latine, non e vicina
alla soluzione, e una soluzione non s'avrä in fondo mai. Certo
e solo che una gran parte di essi elementi e naufragata. Ma non
e meno certo che constateremmo questa porzione assai minore
dove avessimo il vocabolario completo d'ogni comune della
Romania e dove l'indagine etimologica avesse trovato il bandolo
di migliaja di voci ancora misteriose. Un elenco circospetto,
ma certo non completo, date pure le attuali nozioni nostre, lo
viene fornendo il Meyer-Lübke nel Thesaurus.
§ 61. Non tutte le voci che il B. da per morte, lo sono; o
quantomeno, se alcune sono o pajon morte oggidi, ebbero pur
vita per parecchi secoli in etä romanza. sidus si continuava nell'
it. sido, come e provato dal sinonimo lucchese sidro. II quäl sidro
sarä un de verbale da quel verbo sidrare (it. assiderare; Körting
8696), di cui v. Mussafia, Beitrag 29, Seifert, Gloss. zu Bon-
vesin 67; Arch. glott. it. XII 431. — agru vive nella Rumenia,
e in qualche parte deir alta Italia (Körting 362, Arch. glott.
I 362, Puscariu 38). tuba si continua nell' it. merid. tofa, corno
dei pastori (Merlo, Revue de dial. rom. I 262), che al postutto
potrebbe stare per *t6i>a^). Di lorum v. Körting 5696. Magnus
e nel sa. mannu. omnis nell' it. ogni. oportere nell' a. lomb.
vertir. vincire nel sa. avvigni (Rendic. Ist. lomb., 1909, pag. 675)
e fors' anche nell' it. avvincere.
§ 62. Gol valore di 'separare' 'scegliere', 'vagliare', vive
GERNE RE in piü parti della Romania (Körting 2097, Puscariu 346)
gli si accompagna *ex-cernere Körting 3353.
§ 62b. Vivono anche agnus (Ktg. 370) e culter (Ktg. 2667;
friul. coltri coltellaccio). domus non e conservato solo in Sardegna,
ma anche in Italia {il duomo la casa di Dio, berg. ol dorn domi-
cilium, Lorck, Altberg. Sprachdenkm. 140).
§ 63. Vive sempre anche hebdoma(S) allato a hebdomade
(Ktg. 4526).
§ 65. Avrei citata la forma tradizionale viioto piuttosto del
fior. vöto.
§ 69a. II campid. ogheddu, che il B. ha forse dal Ktg. 6654,
non e punto ocelllu, che avrebbe dsito oxeddii, bensi il diminutivo
di ogu occhio. Tra le sostituzioni con -ellu, e da rilevare il piem.
orisel orecchio sinistro dell' aratro mentre e orija per l'orecchio
destro (v. Toppino, Arch. glott. XVI 530). Tracce del positivo
aure son del resto nell' alta ItaUa (Ktg. 1069; da öra anche a
^) Cfr. tajuto = nap. tavuto {= sp. ataüd) in qualche varietä meri-
dionale (Merlo), e certo non v'entra tdcpos; irp. corrifo {— merid. e sie.
corrivo) dispetto, onta, ira, puntiglio (cfr. l'it. corrivo alV ira), ecc.
Bourciez, E. 243
Trento), cosi come si continua *viclu vitulu nell' it. vecchio (anche
cörso vecchiu marinii foca) e nel sa. bijii ecc. (Guarnerio, Miscell.
Ascoli 231—2).
§ 71d. Si poteva tener conto dei verbi in *-ccare iStriquer,
in questa Zst. XXXVIII, 170, traquer Arch. glott. XV 107),
dei quali da ultimo in Rend. Ist. lomb. 1906, p. 584, 620.
§ 71e. Di täter ecc, v. Studi romanzi VI 62 n.
§ 73c. Anche a Venezia lüni, märti, mercore^ venere\ in Piemonte
lünes, mdrtes, dzoves, merco^ vener. Nella Toscana, scherzosa-
mente, marte, giove, mercole, e ricordisi il proverbio n^ di venere
ne di marte non si sposa ne si parte.
§ 77. Non e certo che *auca rappresenti una restrizione, in
quanto la voce possa essere Taggettivo superstite di una com-
binazione a noi ignota, il determinante di qualche sostantivo.
— Quanto a saison, mi chiedo da un pezzo se non sia statione
con t-t dissimilati mediante la soppressione dei primo, come
avviene nel c6. assettd 'astettare' asp-, o nel sie. assutari =
astutari, spegnere (v. Rendic. Ist. lomb., 1907, pag. 1106). A
STATIONE pensava dei resto, ma con altri argomenti come pare,
anche lo Scheler (v. Diez, Et. W. 674).
§ 79. Con HiBERNUM [TEMPUS] fa il bei pajo aestivum [Tem-
PüS] rappresentato nel prov. estiu ecc. (Merlo, Nomi d. stagioni
e d. mesi 31). Non aper, che di nessuna determinazione
avrebbe avuto bisogno, era il determinato di singularis, bensi
PORCUS. Ed e notevole, a tal proposito, che la combinazione
intiera si continui ancora qua e lä (prov. porc-sanglie, berg.
porc singial, mant. porck singer, Arch. glott. it. XII 394).
§ 83c. Puö bastare quell' isolato inferrire a farci credere
che in offrir souffrir si abbia offerrire, ecc. ?. La tradizione con
-r-, riannodantesi a ojjero ecc, e ben altrimenti forte com' e pro-
vato da proferer preferer, dagli it. sofferire, offerire. h'offerrere
delle carte lucchesi (Studi medievali I 418) nulla prova, come
nulla provano i sardi ojferrere ecc. Accanto a quello i docum.
volgari lucchesi offrono porrere porre, torrere togliere, ecc, e
cosi la Sardegna ha, insieme a ojferrere, e morrere morire, e aberrere
aprire, ecc. Siam sempre a degh sdoppiamenti sillabici di re-re
(cfr. gh analoghi es. siciliani, come virri., = viriri vedere, onde
poi i>irriri\ Rendic Ist. lomb., 1907, pag. 106 In), che condu-
cevano a -rre, coli' aggiunta poi dei normale -re ; onde offerrere
si ragguaglia non al lat. offerre ma a un sardo offerre ottenuto
da offerere.
§ 84. La vitalitä dei presenti in -eo -io, e comprovata da
moltissimi deverbah {puzza su puteo, foggia su fodio, prüddza su
*PRUDio, valbregagl. pendza prato in pendio, su pendeo, ecc,
Revue de dialect. rom. I 107). Alcuni di questi son notevoli per
la loro diffusione : cosi quello che mette a capo a jaceo (prov. jatz,
tose diaccio e agghiaccio ecc, Arch. glott. X 108, XII 406, Meyer-
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 17
244 Referate und Rezensionen. C. Salvioni.
Lübke, Rom. Gramm. II § 398, dove son parecchi esempi analoghi,
tra cui notevoli i rumeni), e quello che si pone in relazione con
HABEO cioe il prov. e aait. aip aibo -a abito, contegno.
qualitä (Settegast, Rom. Forsch. I 237; Meyer-Lübke, Einf.^
§ 35, Arch. glott. it. XII 385, Giorn. stör. d. lett. it., Suppl. 5^,
168), per cui parmi quindi superflua, la invocazione del celtico.
E s'intende, che nulla ci sforza a mandare con aip il port.
eiva. — Esempi medievali di *cadeo e di *-eunt in Studi
mediev. I 416, 415.
§ 89. Non per contrazione e surto il gerundio in -indo^
bensi per una proporzione analogica {-indo: -Ire :: -ändo: -dre,
ecc), e lo stesso dicasi dell' imperf. in -ibam.
§ 91c. Anche *sedui, Studi mediev. I 416.
§ 93b. Si potevan ricordare anche i sincopati *crettu, =
*CRED'TU, creduto (sie. crittu, gallur. crettu, alto-it. creto^ cr^ta
credito, a. gen. cretüo da crelo + crewo, grig. cret -tta Arch. glott I
99 n), *SETTU = *SED'TU, oudc il lomb. setäs., il merid. assettdrese,
sedersi, e altri. V. Romania XXXIX 441.
§ 94a. FACIES si continua nello sp. haz (port. face), a. astig.
facz, it. centro-mer. facce -i (Zst. f. rom. Phil. XXIV 507). E in
Italia abbiamo anche belle tracce della conservazione dell' -e
di -ITIE (ib. ib. 504 sgg., Revue de dialect. rom. I 105, Parodi,
Arch. glott. it. XVI 116, 336). Sarebbe poi da ricordare anche
il ven. -ezzo (onde V it. pettegolezzo) di cui in Studi di fil. romanza
VII 223, il cui genere non so in quäle misura possa giustificarsi
coi masc. di, ghiaccio, madero (ant.-venez.) legno, rum. carui
istr. eher da caries (col mascoUno giä di data antica Puscariu
293), lomb. coröbi, di qualche varietä, di fronte al generale corobia
-l- COLLUVIES (Körting 2329), a tacere del sie. spezziu irp. spiezejo
pepe, aroma, che e voce dotta e puö risentirsi del masc. 'pepe*
(sie. pipi peperone, pepe indiano).
§ 99d. Non con octoginta bensi con octuaginta e da
paragonarsi *octanta.
§ 114a. L' it. lo sono e di costrutto francese.
§ 152c. L' it. biasimare e dall' a. franc. blasmer (cfr. 1' a.
lomb. biamar = blämer) cosi come medesimo e dall' a. franc.
*medesme. Non prova dunque nulla. E galücismo riterrei
anche vergogna, in considerazione del sie. vri- virgogna.
§ 153. Non tutta Italia chiude regolarmente in o 1' q seguito
da nas. + cons. Cfr. es. come nap. pQnte, sie. ponti e contra,
nap. cuoncio sie. conzii 'concio', sie. conca conca (v. Meyer-Lübke I
§ 184). — Non vedo la ragione perche la dittongazione milanese
deir ^'debba considerarsi come storicamente diversa dalla italiana
o dalla francese. — "Au sud, eile [la diphtongaison de f et Q]
est inconnue ä Vorigine". A quäle origine ? Ma 1' inferire
una origine seriore dalle condizioni siciliane e cosa che non a,
visto che il dittongo, in certe condizioni, e tutt' altro che scono-
Bourciez, E. 245
sciuto in Sicilia. — Condizionata e la dittongazione non "dans
une partie de la Calabre", ma in tutto il Mezzogiorno, e e od era
in tutta Italia e forse piü in lä. — Quello che avviene in una
parte della Calabria e questo: che vi si ha una dittongazione
secondaria, condizionata anch' cssa, promossa dall' -ii secon-
dario da -ö {sienlii sento, nap. s(inte) o da -o {siioru = soror).
§ 155. La Toscana non ha Ipto ma Iqto voce dotta. —
Circa al vocalismo it. -meridionale, v. l'appunto al § 50.
§ 156b. Ant. mil. i'ingi (1. -tsi) venti. L' i in questa voce
•e di pressocche tutta Italia, non esclusa la Toscana (sen. vinti).
Onde r e fiorentino o di qualche angolo dell'alta Italia (v. le
mie Note lomb.-sicule num. 189) sarä dovuto a trenta.
§ 156d. Col lion. avilli va il lomb. avidza, e si tratterä di
*APICULA.
§ 160. Ne puoco ne altri suoi compagni veneziani o alto-
italiani (v. Romania XXXVI 242n, 245n) autorizzano la norma
di au in iio. Si tratterä di adattamenti o di false ricostruzioni.
§ 165. V. l'appunto al § 57.
§ 166 (v. anche § 514^). Non vedo veramente perche si
possa dubitare della connessione tra Gallia e Rezia nel tratta-
mento delle formule kac ga; e meno ancora come si possa affer-
mare che 1' evoluzione non s'e propagata nel Mezzogiorno della
Francia (v. invece la carta V del Suchier, nel Grundriss^ e Meyer-
Lübke, Hist. Gramm, d. franz. Spr. § 164). Se tra Rezia e Gallia
vi ha qualche divario nelle modalitä del fonomeno, e da notare
<;he delle differenze esistono pure tra questa e quella valle alpina.
§ 171a. Dove ha scovato il B. un engad. priega? — Nella
Sardegna, la sonorizzazione delle sorde e di data assai recente
e non ha trionfato nemmeno oggi in tutta l'isola.
§ 173a. II -c- toscano di vicino ecc. e cosi quello di bacio
ecc. (§ 175^) non q is q non e «: e un mezzo s. — II -ts- in z e pure
di tutta l'alta Italia. A Genova ^, e cosi in Sardegna, nel Cam-
pidano, dove perö sarä recente (v. l'appunto al § 171*).
§ 173^. L'it. regina (di fronte al poetico reina) e voce dotta
e nulla prova.
§ 174. -/- in r anche in Lombardia, e (ma qui con una diversa
articolazione del r) in molta parte del Piemonte.
§ 175b. In vergogne di fronte a verecundia non v' ha punto
un ndy che ha perso il suo d. Da ndy si e venuti a nds e da qui
nj, n. — II prov. ordi (alto-it. ördi) rispecchia un dottrinale
ordi(o).
§ 175e. II franc. ni da my, non supporrä esso una fase inter-
media mhy^ quella fase che si vede ne' lomb. Hmbya scimmia,
vendembya vcndemmia ?
§ 175c. Sic. Unniri non Senniri. — nd in nn {n) anche nella
Ladinia centrale (Arch. glott. it. I 359 — 60 n).
17*
246 Referate und Rezensio?ien. C, Salvioni.
§ 180b. Tra i ladini, abbiamo /snella Sopraselva e Sottoselva^
ii e t (tt) neir Engadina, e t nella region centrale e Orientale,
Nessuna traccia dunque di yt. — Nella Italia superiore, abbiamo
t (tt) nella Venezia e nell' Emilia, yt nella Liguria e in una parte
del Piemonte, tS nel rimanente del Piemonte e in Lombardia.
§ 183a. L'Italia non ha punto sbandito la parola frater,
come il B. puö apprendere dal Tappolet, Die rom. Verwn. 50 sgg.
MAGNUS sopravvive nella Sardegna, come giä ho detto. mactare
(o meglio *mactiare) pure nell' it. ammazzare.
§ 183b. MENSA vive anche in Italia, col valore per lo piü di
'madia'. Cfr. perö il nap. mesale tovaglia. — In Ispagna vive
irapo cencio.
§ 183c. SAXUM e conservato anche nella Ladinia e nel Por-
togallo. sciREpure in Sardegna. metus in Piemonte. Lis non e
escluso dair it. Ute, ma poi il lomb. 3t accenna, colla sua lunga,
a lide.
184. Della stessa base del rum. picior e forse il lomb. pe^-ö-
zampetto, peduccio, e. il pes- [pez-] con cui in Lombardia, e
neir alta Italia in genere, si forman dei derivati da pede (Studi
di fil. romanza VII 216n). II nap. pedezzuUo, piedino, parrebbe-
proprio accennare a *pedicj- o peditj- quäle punto di partenza.
AVIS vive in Sardegna, come vi si continua triticum. — Per dicha
desdicha, cfr. anche gli it. detta, disdetta. Lo sp. pequeno risuitera
dal tema di 'picc-oW e dall' -innus di pisinnus. afflare per
'invenire' anche nell' Italia meridionale.
§ 185b. cleta si continua pure nel piem. tha e nel galliz..
chedas "piezas esteriores que entran en la armazon del lecho
del carro, 6 chedeiras". rusca (scoria, materia tratta dalla prima
pettinatura del lino) pure nell' Italia merid. e in SiciUa. Circa
a craindre (ven. scremir, gr-), v. ciö che n' e detto nelle mie Bricciclie
sarde, num. 15.
§ 185c. Per tana esiterei a far getto della base latina proposta
giä dal Diez (Subtana).
§ 185d. farfecchia, se va con barba, sarä piuttosto il pro-
dotto di una di quelle parecchie assimilazioni e dissimilazioni
successive cui vanno soggette due labiah susseguentisi a prin-
cipio di due sillabe attigue.
§ 187. L'it. löggia prova solo per la Francia, essendo un
gallicismo. Bisognava invocare lubbione e il lomb. iQbja. —
Supporrei gallico anche tovaglia.
§ 188c. Di giiancia, v. Rendic. Ist. lomb., 1903, pp. 607 sgg.
— scojone non e milanese, ma c' e scufon ecc, in altri dial. alto-
italiani. Ne credo v'abbia a vedere il germ. skoh (v. Mussafia,
Beitrag 103).
§ 191b. Di Irouble giä il Dict. gen. fornisce la giusta spie-
gazione (cfr. mil. türber, ven. torgolo). II rapporto tra lache
(tose, lasco pigro) e lächer riprodurrä quello che corre tra laxus
Bourciez, E. 247
€ LAXARE. Del resto occorrerebbe indagare se anche in Francia
le formazioni come gonfle, non sieno State prima participiali
<Meyer-Lübke II § 333).
§ 192c. -ardo e -aldo son forse suffissi introdotti in Italia
■dalla Francia.
§ 196. Caso vuole che l'es. sie. pidicuddii abbia rispondenze
in lutta Italia e anche fuori (lion. pecou); e vedine Zst. f. rom.
Phil. XXIII 523.
§ 197a. manidel minuto, cioe 'minutolo' (cfr. il lomb. me-
näder; Seifert, Gloss. zu Bonvesin 46), prova che -^ivel potrebbe
anche ragguagliarsi a -evolo.
§ 197c. Veramente il suffisso antelatino con cui s'e incon-
trato il germ. -ing-, non sonava -ingu ma -incu.
§ 202a. VETERANUS, o meglio vetranus (v. Puscariu 195)
per 'vecchio' e pur dell' ant. veneto, del Friuli, di Siena, e della
Sicilia. reus per 'cattivo' della Toscana {rio) e della Lombardia,
€ BARBA per 'mento' e ben diffuso anche in Italia e nella Francia
meridionale (v. la bella nota del Sepulcri in Zst. f. rom. Phil.
XXXIV 192 sgg.).
§ 202c. Per plicare appl- arrivare, cfr. anche l'it. merid. e
sie. chicari, acchicare. Sulla diffusione di testa 'capo', v. Zauner,
Namen d. Körpert. 19 — 20. Per arista ossicino del pesce, cfr.
anche Teng. araista raista. Su gabata quäl base di joue ecc. ha
espresso teste dei dubbi il Jud (Herrig's Arch. CXXIV 400).
Per chenüle^ cfr. i lomb. can, cagnon^ Sainean, Zst. f. rom. Phil.,
Beih. X 20, e aggiungi che altrove ad esprimere lo stesso con-
cetto interviene il gatto (ib., Beih. I 33; mil. gdta -tina ecc).
Per la metafora rappresentata da sp. Sierra, prov. serra, catena
di montagne, v. lo studio del compianto Gabr. Grasso Sul signi-
jicalo geogr. del nome "serra" in Italia (Rendic. Ist. lomb., ann.
1900). — La evoluzione semantica di foii io la interpreterei nel
senso di 'pieno d'aria' 'vuoto, vano'.
§ 202d. Tra le ellissi notevoli, sia qui ricordata anche quella
offertaci da [FABA] bajana (aret. bagiana, sopras. higiauna buccia,
guscio, ecc, Rendic. Ist. lomb., 1899, pag. 132).
§ 203b. Piacerebbe di sentire il parere del B. circa a plaire,
nuire, rire.
§ 203c. II sa. morrere e il port. morrer hanno la stessa ragione
(v. qui indietro gli appunti al § 83c; e Cornu, Grundriss^ 1024),
ma storicamente sono indipendenti Tuno dall' altro come lo
prova il fatto che la forma sarda ha una numerosa compagnia.
Inutile quindi di postulare un romanzo *morrere. Non capisco
poi la ragione del r scempio, ripetuto altrove, di *narere.
§ 204c. Prima di affibbiare al Friuli una flessione di 3a plur.
in -int, il B. avrebbe dovuto sapere che nel Friuh dicono uärfin
orfano, zövin juvenis, e che quindi - in e la normale risposta
fonetica e di - an\t] e di - en[t].
248 Referate und Rezensionen. C. Salvioni.
§ 205d. La ritrazion dell' accento nella 1 — 2^ dell' imperf.
indic. pure in piü punti d'Italia (Meyer-Lübke, It. Gramm.
§ 398; anche a Roma: cantdmio -ävio).
§ 208a. La spiegazione dello sp. eres dal futuro mi e sempre
parsa inconcepibile. Un diverso tentativo di spiegazione {eres
da *eses^ per dissimilazione di s-s) l'ho io fatto nelle Note lom
bardo-sicule num. 158.
§ 208c. Non e vero che *volere sia scomparso completamente
dalla Sardegna. II Campidano ha boliri. — Anche in Lom-
bardia, allato a pQs, si ha pqdi *poto.
§ 208e. Anche nell' alta Italia e molto diffuso *faco - cam
(lomb. fcik, fdga).
§ 209. *anare o *annare anche in parte dell' alta Italia (lomb.
andä e nd ecc). *alare pure nel friul. lar. V. Meyer-Lübke,
Rom. Gramm. II § 226.
§ 212. II tipo *essuto e anche dell' a. valdese, e vedine Arch.
glott. it. XI 298, Barth, Laut- und Formenlehre des Waldensi-
schen, pag. 32.
§ 216a. GLANDINE anche in Italia (monf. giandra, nap. glian-
dra, sie. agghidnnara. II grig. jom e il normal succedaneo di fame ;
c'e invece l'irregolare fom (bene spiegato dal Meyer-Lübke I
§ 269; cfr. l'identico trattamento dell' e in fünina piem., ecc.)
a Bormio.
§ 216b. *sk;cita anche nell' alta Itahae ne' Grigioni. Aggiungi
*HEBDOMA.
§ 217b. ACU si conserva fem. anche nell' ItaUa merid. —
MANU si fa mascolino ne' Grigioni, e pare che di tal genere non
manchino esempi provenzali e francesi (Zauner, o. c, 109).
§ 217c. PULICE masc. anche nell' alta Itaha e ne' Ladini.
LEPORE masc. pur nell' Itaha meridionale (nap. lepuru, sie. lepru).
GALLE fem. in Lombardia (tic. berg. cdla la strada tagliata nella
neve) e nella Venezia. flore sempre feminile ne' docum. medievali
deir alta Itaha, e ancor oggi in molti dial. ; in altri, solo quando
assuma valori figurati (Arch. glott. it. XII 404, XIV 208). la
dura (accanto a lu ciuri) anche in Sicilia. E. v. le osservazioni
al § 368d.
§ 218b. Per i plurali in -^ora nell' alta Itaha, v. Studi mediev.
I 412. — Anche in Sicilia, pipi (nap. pepe), marmu (nap. mdr-
molo e mdrmore). Invece sie. sürfaru (nap. zurfo).
§ 218c. Non credo abbia mai esistito un nom. *fulger; e
tutte le forme romanze (compreso l'ant. aquil. fögliori Meyer-
Lübke II, pag. V) ci riportano non a un *fulger ma un *fulgere
(Meyer-Lübke ib. § 14). — Continuatori di CAPUT -pitis (v. Meyer-
Lübke, ib. § 9) nel sardo cdbudu- ecc. (Rendic. Ist. lomb., 1909,
pag. 678), velletr. cdpito, lomb. cdved, tralcio, berg. cdeda (e cdbda)
lotto (v. Arch. stör. lomb. XXXI 369). E a caput riverrä pure
il merid. la capo (e la capa), il feminile parendomi appunto meglio
Bourciez, E. 249
spiegabilo da un neutro (cfr. nap. la mdrmora marmor) che non
dal masc. *capu.
§ 219a. Per *communus (o meglio per *cummönu) parla,
colsuoö, l'eng, comöne per *mollus, coIsuomo, I'it. mQnd.muoddii.
— E strano poi, che, per non applicare i nostri segni al lat. vul-
gare, il B. venga a postulare un grafico *dulcius (per *dulk'us),
che da una ben altra idea.
§ 220a. II contare per 'ventine' e proprio anche dell' Itaha
meridionale ; dove certo non e escluso che sia per Influenza francese.
§ 221. mi ti si, forme toniche dell' obliquo, anche nell' alta
Itaha. Nella bassa, seve, teve, Arch. gl. IX 59, Papanti
461, 464.
§ 223c. L'emil. stel (plur. fem.; solo per Comacehio il Pa-
panti da stel He) e tirato direttamente su kel (Studi di fil. rom.
VII 197).
§ 225a. ALIQUID si continua anche nell' algo, i>alk, alch della
Ladinia. — La perifrasi nescio-QUAlem ecc. anche in Italia
(v. Studi di fil. rom. VII 235, Arch. glott. it. XV 438, Meyer-
Lübke, Rom. Gramm. II 471, dove sono anche es. ladini; poles.
soquanti 'alcuni'). — tam Magnus si continua nella Provenza e
neir alta Italia, e non come spagnohsmo, come lo prova la sua
frequenze nella antiche carte (Arch. glott. it. XII 436, XIV
215 — 6, Meyer-Lübke II § 571); e vi si riconnette tamanto (Schu-
chardt, Zst. f. rom. Phil. XV 241; Meyer-Lübke 1. c). — La
spiegazione di tutto non regge di fronte alla circostanza che il
toscano ignora l'Umlaut. — L'invocazione dell' arcaico ningulus
per ispiegare ninguno (cosi anche il Ktg. 6544) mi pare affatto
superflua. — Le forme antico-alto-it. di ne-gutta sono negota,
neota (Seifert, Gloss. zu Bonv. 49, Arch. glott. it. XII 416), le
moderne negota nagot nota; sopras. nuot, engad. iinguotta.
§ 240. CRAS continua anche nella Toscana {crai) e nella
Sardegna [cras). E a tal proposito potevano anche ricordarsi
i continuatori di nudius tertius ne' Grigioni e nell' Italia merid.
(Studi romanzi VI 36). — La connessione poi dell' a. franc. ades
coli' it. adesso urta contro il d scempio dall' una e dall' altra
banda. AI franc. ades dovrebbe corrispondere addesso (e a una
tal forma accenna 1' alta Italia che ha sempre [cfr. perö chiogg.
aessoi] -d- pur lä dove un d scempio andrebbe soppresso e dove
quindiildnonpuögiustificarsi che da dd)^ e all' it. adesso sp. adieso
dovrebbe corrispondere franc. aes, prov. azeis. Tutto si com-
binerebbe nel supposto di un accatto fatto alla Francia; o in
quello che la voce italiana stia per *addesso e abbia scempiato
il dd per dissimilazione dall' altra geminata. Per le discussioni
cui ha dato luogo la nostra parola, v. Ktg. 183, Meyer-Lübke III
§ 490, Gröber 's Grundriß2 653 I n.
§ 241. Di avverbi in -e il B. stesso ne allega uno (a torto
secondo me) al § 528d. Esempio sicuro e l'it. pure, mentre il
250 Referate und Rezensionen. C. Salvioni.
puro -u deir Italia centrale e meridionale, se non ^ un aggettivo,
par accennare a puro. Altre tracce di -e, nella Sardegna queste,
sono avvertite in Rendic. Ist. lomb., 1909, pag. 674.
§ 241a. Aggettivi declinati, in funzione avverbiale, son
largamente usati nell' Italia meridionale; assai piü usati
che non appaja dagli es. siciliani ricordati in Rendic. cit., 1908,
883 sgg., (V. 1910, pag. 635).
§ 241c. Se non nimis, almeno nimie o nimio (m-m per
assimil. da n-m) si continua anche nel grig. memia ecc, troppo
(Ascoli, Arch. glott. VII 579).
§ 242a. Cfr. V it. sono passato a casa ü medico, 'sono passato
dal m-', ecc. Dali' uso preposizionale quindi proclitico della
voce CASA, si spiegano gli accorciamenti franc. chez (il casu delk
Gl. di Cassel sarä una ricostruzione di *cas) e alto-it. ca.*) —
Ripeto qui che per me Tit. senza grig. sainza (come lo prova
r ant. sanza, conservato oggidi ancora in qualche dialetto;
come lo prova fors' anche la forma a. lomb. senz Arch. glott.
it. XIV 222n) e un gallicismo. sine si continua anche neu' a.
sa. sene (oggi chena e chenza; v. per il primo Meyer-Lübke, Zst.
f. rom. Phil. XXV 608; e per il secondo si tratta di chena disposato
a senza), con i in e per assimilazione, compiutasi nella proclisi,
al secondo e.
§ 243. de inter, tra, occorre in carte latine dell' alta Italia;
e lo si rivede nel dentro di qualche documento medievale volgare.
§ 244. In Lombardia, e possibile anche un ciin savent 'sapen-
do'.
§ 248a. Per il rinforzo mediante gutta v. le osservazioni
al § 225a.
§ 249a. II si suona anche nella Rezia.
§ 250a. Nel lad. di Sopraselva anche a = et.
§ 250c. Di AUT VERO, cfr. le notevole riduzioni fonetiche
offerteci dalF a. pav. or e forse dal grig. guar (Zst. f. rom. Phil.
XXXIV 392).
§ 254a. QUOMODO nell' Italia meridionale compare anche
nella forma di mu (Scerbo, Dial. calabro, pag. 53, Meyer-Lübke III
569) e di mi (cfr. merid. comi all. a comu).
§ 268b. Sono voci dotte anche i prov. ordi e somni.
§ 271. II Foerster (Zst. f. rom. Phil. XXII 511—2) ö pro-
clive a porre il fenomeno guascone di II in t ecc. in relazione col
fenomeno italiano (§ 408 ) di // in d,d.
§ 275b. La caduta del -r ne'verbi avrä quelle ragioni spe-
ciah che ha anche in Itaha (v. da ultimo Rendic. Ist. lomb.,
1909, pp. 821—2).
*) Per l'it. ca, si puö anche ricordare che esso e il solo sostantivo
che tolleri l'aggettivo possessivo dietro a se (a ca mla, ecc; ma la
mia cd piuttosto che la ca mla).
Boiirciez, E. 251
§ 276a. La base che si vede in estovoir e anche alto-italiana
(v. il mio DelVant. dial. pavese, gloss. s. 'stovor'). — Di dalh
(franc. daille) v. Schuchardt, Zst. f. rom. Phil. XXVI 115.
§ 280. Sulla quistione di -on diminutivo, v. Meyer-Lübke
II § 458.
§ 283b. Per cifoine, v. anche Ktg. 9312, aggiungendo il
grig. sampuogn z- campanaccio lomb. zanforna ribebba. A
miralh corrisponde in Lombardia (Leventina) mür^'t^.
§ 284a. Per maynatge, cfr. anche il piem. masnd 'masnada'
ragazzo.
§ 290. L'a. lomb. senza sentiam rende ben probabile che
nel pic. senz si continui sentio. Per il prov. auch^ cfr. l'a. lomb.
olza AUDIA-, olzuo udito.
§ 305b. II prov. liir dipenderä direttamente dal sing. lui.
La forma liir ricorre anche nell' a. lombardo (Bescape) e nel vicen-
tino rustico (luri); ma puö avere un' altra dichiarazione (v. Giorn.
stör. d. lett. it. XLI 102).
§ 310. Puö darsi che nel *plusiores a cui risale plusieurs
(aait. pusor, pisor, friul. plusors), sia da riconoscere un rifaci-
mento su plus; ma anche si puö pensare che concorra una in-
tenzione dissimilativa (r — r in s — r).
§ 321. Circa a o, mi pare inopportuna la invocazione dell'
umbro ote. MegHo penserei a un lat. *öt parallelo a aut (cfr.
CODA, e Grandgent § 213).
§ 342. Non capisco cosa significhi la postulazione di *coraccio-
nem e *capiccia per coragon e cabeza. Per quest' ultimo e per
i suoi compagni neo-latini (Ktg. 1877, Zauner 20 — 21), non
avremo veramente bisogno del suffisso -itia (Meyer-Lübke II
§ 480, Zauner 1. c.) ma basterä (come del resto anche per il lat.
CAPUTiUM) - lu - lA aggiunto al tema capit-. Quanto a coragon,
esso si connetterä, attraverso a un derivato *coratiii e mediante
-one (per influsso di 'polmone' ?), a quel coratum, polmone, rive-
latoci come latino dal Sabbadini (v. le osservaz. al § 472a) e che
si continua, quäl neutro plurale, nel franc. dial. coree cuore (Zauner
153) e nel corata ecc, polmone,^) di cui lo stesso Zauner 156.
• — Non vedo come si possa combinare manteca (col suo e e col
suo c — cc) col *MANTiCA postulato dal. B. — Per cordero, estrella,
buscar, cfr. anche V it. cordesco (Ktg. 2149), 1' emil. strella, l'it.
biiscare.
§ 343. Non ho modo di vedere se la derivazione di payo
da PELAGius si giustifichi nel Portogallo con qualche forma medie-
^) Che qui perö la voce giä significhi 'polmone' ce ne assicura il
trovarsi esso in compagnia d'un' altra parola che giä dice' cuore' (v.
le Osservaz. al § 472a).
^) corata e, in origine, tutto ciö che sta intorno al cuore, quindi
principalmente i polmoni. — Per 'cor' chiosa coratum anche un vechio
commentatore del Folengo.
252 Referate und Rezensionen. C. Salvioni.
vale 0 per altro. A caso vergine, mi chiederei perö se payo non
vada coli' it. dial. pai contadino, villano, il quäle alla sua volta
pare estratto dal sinonimo pain *pagInu (per paganu; v. Arch.
glott. it. XVI 459—60).
§ 347b. Che esfaitnar, affamare, sia formato sul franc.
faiin parmi quantomai inverisimile. II Meyer-Lübke II, 576
(e dietro a lui il Puscariu 495) sembrano attribuire al nostro verbo
il valore di 'diffamare', valore che i miei fonti portoghesi non
conoscono, considerandolo essi invece solo come sinonimo di
esfomear affamare. faminto (a tacer del dotto famelico) mostra
che la tradizione doUa forma *fame non deve essere scomparsa
del tutto dalPortogallo. Ecosi possiam chiederei se per avventura
da un esjamjar (come sarebbe la reale pronuncia di un *esfamear),
non si fosse venuto a esjaimar. Bisognerebbe altrimenti pensare
a un *j ami ar e.
§ 348b. Poiche il B. ben sa (v. § 248d) che -adero e la risultanza
di -ATORIUM non si capisce che poi, a proposito di aguadero (cfr.
r it. ahbeveraiojo)., parli di influenze di -arium su quello.
§ 350b (v. anche 414b). II tipo dotto pechiblanco, lo si vede
anche nell' it. pettirosso. Esso e piü che mai florido, come si sa,
in Sardegua, e anche nell' Italia meridionale. Ma si tratta sempre
di tali composti in cui il determinato e una parte del corpo (cfr.
anche, col sostantivo posposto, piem. duribecch frosone; ven.
mozocoa codimozzo). Meyer-Lübke II § 555.
§ 352a. Per cuario cfr. il franc. quartier. Circa all' evoluzione
di posada, cfr. 1' a. lucch. sposare prendere alloggio, accamparsi,
Arch. glott. it. XVI 471. L'evoluzione di platica ci e resa chiara
dal franc. pratiguer (it. praticare) frequentare delle persone, col
suo sostantivo pratique (it. prdtica frequentazione di certe persone;
trattativa; persona che frequenta un negozio). II procedimento
inverso di holgar si nota nel piem. dmuresse 'dimorare', venuto
a dire 'divertirsi'.
§ 352b. "L'espagnol est particulierement porte aux compa-
raisons et aux metaphores de tous genres"; "les metaphores
sont . . . volontiers eclatantes ou meme violentes". Non piü
portato che qualsiasi altro linguaggio {cometa cervo volante,
anche a Milano, ne crederei, visto il carattere avvio del confronto,
che vi si tratti d'uno spagnolismo); e anche quanto allo spicco
e alla violenza, metafore analoghe a quelle che il B. allega ad
esempio ve n' ha a josa dappertutto. Per desentrahar, cfr. senz'
altro il suo sinonimo itahano che e sviscerare\ e quanto a estrellar
crederei ciie la 'Stella' v'entri di trasforo o per un malintcso,
e che il verbo dipcnda da un non piü vivo *estrilla risalente a
*stilla altra forma di astilla (cfr. il moden. stier spaccar la legna,
da Stella scheggia; Mussafia, Beitrag 110 — 11). Por gozo, cfr.
il franc. feu de joie, Tit. fuoco d'allegrezza, falö.
Bourciez, E. 253
§ 352c. Per marear, cfr. Tit. barcamenare.
§ 368d. II fem. flor avrä ragioni special!; esso e infatti,
come abbiamo visto nelle osservazioni al § 117c, anche italiano.
Per dör e pure notevole clic la dolor s'oda in qualclie dial. lom-
bardo (p. es. nclla Mosolcina) che altrimenti conserva come ma-
scolini tali astratti.
§ 372c. *Nossu ecc. non limitato all'Iberia, e v. Meyer-Lübke
II § 92. Saranno forme accorciate, come vuole il Meyer-Lübke,
o non vi avremo la traccia di un fenomeno latino-volgare di
str in ss} La domanda mi e suggerita dQ\*mossare mostrare,
ch'e ne' Grigioni e in dial. italiani, e dove perö si potrebbe pensare
a una riduzione avvenut.a prima nell' imperativo, e quindi, anche
li, a un accorciamento.
§ 398. Non solo Napoli e Venezia hanno avuto (e non solo
neir etä moderna) uno sviluppo letterario, ma e il siciliano, il
romanesco, il fiorentino, il bolognese, il genovese, il milanese,
a tacere de' dial. minori, come il bergamasco e il pavano. Nella
Sicilia, e sopralutto in Sardegna, c'e, accanto al dialetto, una
lingua letteraria locale, cioe una lingua letteraria siciliana risp.
sarda, assai florida.
§ 399. II francese e adoperato non solo nelle valli valdesi,
ma anche e sopratutto nella Valle d'Aosta. Tedeschi sono anche
al Monte Rosa e al Sempione, nelle prov. di Verona e Vicenza
e nel Friuli; slavi pur nella Italia meridionale adriatica. Son
poi dimenticati, a tacere dei franco-provenzali e dei valdesi
deir Italia meridionale, gli albanesi, i greci, e i catalani di Alghero
in Sardegna. Omesso anche che Titahano e parlato a Trento,
Gorizia, nelle cittä della costa dalmata e ch'e la lingua della
cultura neir isola di Malta.
§ dOia. A Roma, Napoli, ecc, non dicon zale (dove secondo
la grafia dei B. sarebbe da intendere s- sonoro) bensi tsale (adopero
ts- per farmi capire), ma solo in certe congiunture, quando cioe
preceda una liquida {er tsale come pentsa pensa, ecc, ma de sale).
E condizionata, limitata cioe alla intervocalicitä, e pure la evo-
luzione di Ä a X ^ nella Toscana (la y^asa ma in kasaj.
§ 405 (v. anche § 410). La inverosimiglianza che lattuga,
riva, scudo, strada ecc. sieno voci importate dal nord risulta
dalla natura stessa delle parole {scudo potrebb' cssere un galli-
cismo come congedo)^ e piü ancora da ciö che non si vede la ragione
storica di una tale migrazione: una migrazione che dovrebb'
essere poi numerosissima, poiche essa non si sarä limitata certo
a quelle parole che per il loro aspetto fonetico tradirebbero
senz' altro la loro provenienza settentrionale.
§ 406. Ne i^ iz ne is dz s,ono suoni complessi. — II B. sembra
anche ignorare [cfr. "la sourde ts (ecrite zz, z)" ecc] che zz, cci^
ggi non rappresentan delle mere grafie, bensi delle vere e proprie
254 Referate und Rezensionen. C. Salvioni.
geminate. Trattandosi poi di c e cc alla differenza di quantitä
se n'aggiunge una di qualitä.
§ 407 c. In occhio (okkyo) non si tratte di kl con l ridotto
a 2/, bensi della sparizione di / dal nesso kly.
§ 407d. Perche si parla di "groupes romans kl^ gl pl hl" ?
§ 408. // da dd anche nel nord della Toscana: ho udito
casteddu ecc. a Carrara e a Montignoso.
§ 409. moto e, come lo prova Y <?', voce dotta; ma in qualche
varietä pugliese ci dev'essere terramütii. Quanto a pianto (se
ha qualche valore), sasso, cfr. sp. llanto prov. planch risp. grig.
sass port. seiäo\ per letame, anche i Grigioni hanno quantomeno
aldüm. sciöcco e d'incerto etimo.
§ 409b. Crede proprio il B. che, relativamente all' adozione
di voci dotte, l'italiano meriti un posto a parte dagli altri hnguaggi
neo-latini ? Non lo dovrebbe credere, sopratutto se pensa a ciö ch'
egli stesso dice del portoghese (§ 344b).
§ 410a. cävolo e voce dotta. Neil' Italia mer., que' dialetti
che posseggon la voce come popolare hanno il regolare o (bar.
col^). E piu altro e problematico in questo paragrafo.
§ 410b. Perche il gergo e citato solo quäl fönte del vocab.
italiano ? Forse che le altre lingue non vi ricorrono ?
§ 411. Manca ogni accenno ai germanismi dell' italiano.
§ 415. Di fracassare, citato tra gli es. di composizione verbale,
pare che il B. pensi sia composto di fra- e cassare (= franc. casser ?).
Ma vorremmo quantomeno fracc-.
§ 416b. Ci faremo una piü esatta idea del perchö di cavallone,
pensando al verbo accavallarsi, detto appunto delle onde.
§ 419a. L'-e nel congiuntivo bergamasco e da -i. — Non
istä che il Mezzogiorno italiano abbia perso completamente il
congiuntivo. Tracce abbastanza notevoli non mancano (vedi,
p. es., Scerbo, Dial. cal. § 161, CapozzoH, Gramm, del dial. nap.
102 sgg.).
§ 421c. Poco usato il dittongo nelle rizotoniche di coprire.
§ 422c. puole e anche piemontese, toscano e romanesco.
§ 425b. ei non e una contrazione di ebbi, bensi di avei. —
Non parmi che lasincope in avrö ecc. debba legittimarci a consi-
derare tali futuri come "de formation ancienne", cioe, s'io bene
intendo il pensiero del B., piü antica che non in metterö. Le
condizioni, in cui occorre la sincope (cfr., p. es., anche merro
'menerö' in Dante) non sono ancora studiate, ma le ragioni crono-
logiche non crederei che vi entrino.
§ 426. Poiche *UTUS ci deve riportare al latino, e inutile
la riserva del B. circa al non aversi dei perfetti in -ui. Quando
nacque doluto^ aveva accanto. a se dolui.
§ 428b. I plur. come fratei sono arcaici e poetici nellalingua
letteraria. Sono invece vivi, p. es., in Lombardia, che puö anche
avere dei fem. sullo stesso tipo {b^j belli -e; sur^la -r^j).
Bourciez, E. 255
§ 429b. In che consiste, dal punto di vista della grammatica
italiana, la irrogolarilä del plur. mogli?
§ 431a. In diciotto non si ccla punto ac.
§ 432a. NOS e VOS avranno perö ajutato a che ne n vi si
fissassero nella funzione di oggetto atono. In ne e anzi mia
convinzione che il pronome sia causa della scomparsa del d.
§ 434. sto e sta son sempre vi vi e prosperi anche nel nord.
§ 446b. La lingua letteraria non declina fieri che nella
3a sing, o plur. del futuro.
§ 446c. Sic. aviri non dviri.
§ 447b. andate pure sarebbe tradotto meglio per 'marchez
seulement'.
§ 466. Sui rapporti tra lessico rumeno e italiano molto ci
sarebbe da dire. Qui indietro accennavamo a picior e pe^o ecc,
Ricordiamo anche junc e pugl. ^ünghß 'giovenco'. V. Romania
XXXIX 446; dove si potrebbe del resto chiedere se allato a
quel *JUNICA, onde il prov. ^ünego (Meyer-Lübke II § 17), non
coesistesse un *juncu -a.
§ 472a. Nel testo antico illustrato dal Sabbadini in Studi
glottol. II 96, vi ha la enumerazione "animam coratum [v. qui
indietro le osservazioni al § 342] hepar", dove non parmi dubbio
che ANIMAM sia l'antico progenitore del rum. inima cuore. —
süflet par che riassuma in se il lat. anima -us e il gr. av£[xo{.
§ 472b. scuti nonseirä'EXC'üTE'RE {cir.V it. riscuotere riscattare)?
§ 473. L'infinito accorciato sarä forse fenomeno da non
istaccarsi da quello di cui qui indietro nelle osservazioni al § 275b.
Anche nel sardo campid., pare che non s'abbia piü la forma
accorciata quando 1' infinito venga a funzione sostantiva (Rendic.
Ist. lomb., 1909, pag. 822n).
§ 510. L'espressione 'abati di Coira' (per 'vescovi di C)
parmi non corrisponda a una realtä. — I ladini della seziono
centrale dipendono dal Tirolo solo in parte; gli altri dipendona
da Trento e in parte sono nel Regno d'Italia. — Sarebbe forse
statu didatticamente utile di ricordare che alla sezione Orientale
appartengono le cittä di Udine e Gorizia, e che vi spettava un
giorno anche Trieste.
§ 511. Per i lettori francesi, cui il libro del B. e in primo
luogo destinato, sarebbe stato acconcio di indicare, a proposito
del piü antico testo ladino, il perspicuo articolo di Mario Roques,
in Romania XXXVII 1197 sgg. A proposito di poeti grigioni,
e dimenticato il maggiore, cioe il Caderas; e mi pare anche che
qui, o nella bibliografia, poteva farsi menzione della grande
crestomazia del Decurtins. — Un accenno alla letteratura friu-
lana (notisi che il friulano e anche 'lingua letteraria' nel pretto
senso della parola), che e assai importante ed ha un poeta come
lo Zorutti e una prosatrice quäle la Percoto, non sarebbe stato
anch' esso fuor di luogo. Per una prossima edizione, potrebbe
256 Referate und Rezensionen. C. Salvioni.
il B. valersi dello schizzo del Gärtner (Handbuch d. rätorom.
Spr. u. Lit. 371 sgg.).
§ 512a. Paragrafo, questo, quanto mai infelice e che era
facile di rediger megHo solo tenendo presente il Meyer-Lübke I
§ 242.
§ 512b. L' engad. pro non sarä da prau ma da pra {-ä in 6).
§ 513c. II friul. iiepit ne esiste ne potrebbe esistere. Si
hanno invece tivid e clip. — Si poteva tener conto di un es.
come r eng. percha il cui trattamento si combina cosi singolar-
mente con quello del franc. perche.
§ 514c. La palatalizzazione (per ts dz l) ha luogo anche e
sopratutto nella Sopraselva, e non solo per la formola di, ma
pure per ti e li.
§ 515. II Friuli restituisce piü che non conservi il -d- pri-
mario; ma vi sono esempi sufficonti per dimostrare che auch'
esso partecipö un gicrno del generale ammutolimento. — Circa
a -/s-, il Friuli offre 2 e la region centrale parzialmente dz.
§ 516a. II dl della sezion centrale non e per nulla antico,
non rappresenta cioe, come sembra ritenere il B., la formola
che nel latino deve aver preceduto a cl {*vetliis in veclus). II
Icentr. vedl e da *veglo (cfr. dlie^a ecclesia, dlacia ghiaccio, e tlame
chiamare, e persino tloza che e dal tedesco tirolese Kloaze e il tliipe
allegato dal B. stesso a § 519 a).
§ 516c. L' alterazione del s impuro e solo grigione.
§ 517. La sorda finale di kni^ seit klef rappresenta un' an-
teriore sonora assorditasi perche divenuta finale. Quanto al -n
esso e dentale in Sopraselva e labiale nell' Engadina. Le ragioni
di questa labiale le espone il Meyer-Lübke I 299. Quanto alla
dentale soprasilvana, essa deve rappresentare un ritorno, come
10 provano riinn (1. riin ronco) tschunn cinque, che devono essere
da *ruri{k] tschiiri[k] (cfr. bäri = bari[k], come k m = kam[p],
come krefi = stren[ts], come QÖn = i^en[t], nel dial. di Arbedo,
di qua dall' Alpi).
§ 518. "mentone" anche in parte d' Italia (v. Zauner 70),
e cosi füre H iilliu (V. Arch. glott. it. XVI 487) e calendae
(fior. calendimaggio).
§ 519b. Non capisco perche il friul. öattf e anche lontat]
debbano essere degli italianismi. Questo degli italianismi e un
capitolo assai importante anche ne' Grigioni; di lombardismi
e venetismi e spesso parola ne' miei Appunti ladini (Zst. f. rom.
Phil. XXXIV 385 sgg.).
§ 522. tempesta, grandine, e anche italiano. — E impossibile
che cuogl, come vogliono il Pult § 10, e il B., rivenga a coagulu.
11 Pallioppi ha cuvaigl, -vagl, q^cLgl, tutte forme che si radducono
alla famigUa dell' it. copiglio -viglio (Zst. f. rom. Phil. XXII
472); c andrä ricercato il motivo dell' o della forma di Sent. —
Ch' io mi sappia, mistat e limitato ai Grigioni.
Boiirciez, E. 257
§ 523a. I porf. in -et corrispondono a *stetui non a dedi.
§ 523b. Non vedo porclie il futuro veh far debba il suo
trionfo al ted. ich werde tun.
§ 524a. E una illusione che nol Friuli la conjugazione in
-ire abbia soprafatto persino quella in -are. L' -i si spiegherä
come in Lombardia dal pronome di la persona e in ogni modo
nulla dice; -is e -if] sono i prodotti fonetici normali di -as e -an[t].
Quanto a -irj, esso ha ragioni speeiali (v. Meyer-Lübke II, pag.
164).
§ 524b. Del cong. in -ia, v. Rendic. Ist. lomb., 1906, pag. 574.
§ 526. Fa specie che, in un libro francese, s'adottino per
le valli ladine della sezion centrale i nomi tedeschi anzi che
i ladini o gl' italiani, e si scriva Nonsberg, Greden. Forse la cosa
sarebbe stata diversa so il B. invece di affidarsi a un fönte tedesco,
stimabile certo, fosse risalito al primo e vero fönte, cioe all' Ascoli.
Qui (Arch. glott. it. I 517) il B. avrebbe appreso che le tracce
di -i nel friulano sono ben piü ch'egli non creda.
§ 526b. Veramente non si potrebbe dire che nella regione
propriamente ladina le tracce delle declinazioni -o -onis, -a -anis
siano numerose (alle note, aggiungi mamma plur. -mmauns nel
Biveroni). Sono assai piü abbondanti ne' contermini territori
della Lombardia (v. Romania XXXV 207—8).
§ 527c. Nel Friuli c'e, come articolo, lii e il.
§ 528a. Cb.e il tipo sintattico mia part roba sia dovuto a
un' influenza germanica, lo escluderei. Infatti il tipo ritorna
nella Leventina, alle falde meridionali del Gottardo, in un paese
cioe immune affatto, — dove si astragga da qualche dozzina
di vocaboli — da influenze germaniche.
§ 530. Credo poco anciie alle influenze germaniche delle
quali e parola in queste paragrafo.
§ 531. legnar mal tradotto per 'delier' invece che per 'de-
viner'.
§ 533. Si poteva ricordare anche I'eng. bricha ch' e come
una fusione di 'bucca' e di 'briciola' (cfr. il lomb. brisa, che a
Bologna e adoperato quäl rinforzo della negazione).
§ 548. Anche in Lombardia pectus (p^ts) s'e ridotto a dire
le mammelle delle bestie lattifere.
§ 549. Direi tousser (cfr. anche il nap. tossare) un denominale
da toux.
§ 550d. Per avverbi abbarbicatisi alla forma verbale,
V. anche Studi di fil. rom. MI 212.
§ 553. Credo che nemmeno per il francese, si possa sostenere
una differenza, dipendente da maggiore o minore etä, tra viendrai
e partirai. V. le Osservaz. al § 425b.
§ 554b. Aggiungi pätre. Che poi alla conservazione del
nominativo abbia contribuito la funzione vocativo puö darsi
per qualcuno di tali nomi, cosi per sceur, sire. Ma piü che quella
258 Referate und Rezensionen. Emil Levy.
avrä servito per tutti la funzione nominativa, assai piü frequente
per tali nomi, aventi un' accezione personale, che non per altri.
II libro si chiude con un indice analitico dei fatti principali.
Forse un indice lessicale, sul tipo di quello che accompagna la
edizione francese del Meyer-Lübke, avrebbe servito meglio allo
scopo di trovare ciöche si cercain un libro, dove la stessa materia
si presenta disseminata su due o tre capitoli.
Milan 0. C. Salvioni.
Meyer, Paul. Documents linguisüques du Midi de la France
recueiUis et publies avec glossaires et cartes. Paris 1909, Honore
Champion.
Wir erhalten hier den ersten Band eines Werkes, das,
wenn es vollendet sein wird, zudem Wichtigsten und Wertvollsten
gehören wird, das auf dem Gebiet des Provenzalischen veröffent-
licht worden ist: eine Auswahl von Texten aus sämtlichen (etwa
dreißig) Departements Südfrankreichs, versehen mit einer reichen
Fülle von Anmerkungen jeglicher Art, mit gründlichen Glossaren,
Mitteilungen über die Zusammensetzung und Bildung der De-
partements, über die Archive, denen die Urkunden entstammen,
zuweilen auch mit eingehenderen sprachlichen Untersuchungen.
Der hohe Wert einer solchen Publikation liegt auf der Hand ;
der Grammatiker, der Lexikograph, der Kulturhistoriker werden
in ihr vielseitigste Anregung und Belehrung finden. Zu bedauern
ist nur, daß die Texte nach Departements und diese wieder
alphabetisch geordnet sind; dem energischen Einspruch, den
Morf in Herrigs Archiv 123, 497 dagegen erhoben hat, wird man
nur beipflichten können.
Das Werk wird wenigstens acht Bände umfassen; der vor-
liegende erste enthält die Departements Ain, Basses-Alpes,
Hautes-Alpes, Alpes-Maritimes, der zweite wird Ardeche, Ariege,
Aude und vielleicht Aveyron bringen. Das gewaltige Material
selbst zu bearbeiten, das Ganze selbst zu schönem Ende zu führen,
wird dem Altmeister unter den Provenzalisten nacli menschlichem
Ermessen leider nicht gewährt sein, aber schon für das, was er
uns jetzt gibt, gebührt ihm herzlichster Dank. Von ganzem
Herzen wird man die in der Vorrede geäußerte Hoffnung teilen,
daß eifrige und tüchtige Mitarbeiter und Nachfolger das Werk
fördern und einst fortsetzen und beenden werden. Der schöne
Beitrag Philipons, der das Departement Ain behandelt, läßt
die Erfüllung dieser Hoffnung als wahrscheinlich erscheinen.
Es sei mir gestattet, ein paar unbedeutende Bemerkungen
zu den Texten hier mitzuteilen. S. 211 § 106 u. 113. Tom
und chapa finden sich auch mehrfach in Fönte de six cloches
Meyer, Paul. 259
ä Montagnac (Bulletin arclieologique 1907 S. 92 ff.); der Heraus-
geber Vidal erklärt im Glossar torn „instrumcnt pour monter
las cloches au clocher", capa ,,partie du moule en terre qui recouvre
la fausse cloche et forme avec le noyau les deux murailles entre
lesquelles se fige le metal en fusion". — S. 255 Z. 6 v. u. Korr.
stan statt ston. — S. 260 Z. 3 v. u. Korr. deu statt de und setze
Komma nach acordi; vgl. S. 261 Z. 8 ff. — S. 261 Z. 3 v. u. Korr.
elegida statt elegissa. — S. 263 Amkg. 1. Desistir stellt bei Rayn.
VI, 22. — S. 265 Z. 22. Korr. pode stett poj/e? - S. 271 Z. 3 und
17 ist doch wohl las vor überlas zu ergänzen. — S. 272 Z. 31.
Tilge das Komma nach Calendas. — S. 275 Z. 11 Korr. convengan.
— S. 286 Amkg. 1. Wegen metre en hostages vgl. ostatge 6), Suppl.
Wb. V, 544. — S. 321 Z. 3. Was die genaue Bedeutung von
sench (dos senchs guarnis de corda et pollyons) ist, vermag ich
auch nicht zu sagen; man vgl. aber den letzten Beleg bei Godefroy
s. V. poulion : ung baudrier garni de deux poulions, und Comptes
de Riscle S. 188 Z. 20: Item perhuna balesta que crompe e huna
polheya, scaleta e sinta. — S. 321 Z. 12 Polueys. Kor. polieyas?
Vgl. poleja, Spl. Wb. VI, 429. — S. 325 Amkg. 2. Galiot findet sich
auch sonst, vgl. Spl. Wb. IV, 25. — S. 340 Z. 21 Kor. statuit,
wie auch S. 341 Z. 27 steht. — S. 340 Amkg. 2. Es ist gewiß
aiise zu ändern. — S. 347 Z. 18 Perferit. Kor. perufrit, vgl.
S. 345 Z. 23 ? — S. 350 Amkg. 6. Lieiira ist nicht ,,allivrement",
sondern ,, Zuschlag, Versteigerung". — S. 371 Amkg. 10. Garrot
ist eine Art Armbrust, nicht ,,trait d'arbalete", vgl. Spl. Wb.
IV, 74. — S. 392 Amkg. 5. Lardiera ist Spl. Wb. IV, 323 mehrfach
belegt. — S. 394 Z. 20. Kor. peijra. — S. 394 Z. 21. Ist ein nede
,,nettoyage" zulässig? Kor. nede/ar? — S. 396 Z. 8 ist ni tracten
vor mal zu ergänzen, vgl. ibid. Z. 1. — S. 397 Z. 7 ist doch wohl
tot statt iotz zu ändern. — S. 399 Ajjanagi ,,travail". Die Be-
deutung paßt nicht an der angeführten Stelle, S. 381 Z. 6:
Item que tota persona que sia artista, menestrayl e logatier . .
de lurs gassanagi o affannagi pagon ... VIII. den. per lieura.
Es ist „Lohn" zu deuten, vgl. An. du Midi 5, 106 u. 22, 56 und
Cout. Guizerix § 52. — S. 405 b Dramas. Kor. S. 238 Z. 20 statt
241-'^. — S. 408a Gipier ist ,,plätrier" nicht ,,ma5on"; güon ,,jeton"
ist mir unklar; granataria kann S. 249 Z. 21 doch kaum ,,grenier"
bedeuten. — S. 413b Recapte ,,rachat, rancon". Nein, es liegt
auch S. 357 Z. 10 die Redensart donar r. vor, die S. 503 Am. 3
richtig erklärt wird. — S. 413b Reformadors. Kor. S. 276 Z. 10
statt 278. — S. 432 1. Z. Kor. joves. — S. 491 Am. 5. Es wird nur
Non vor antra zu ergänzen sein; vgl. S. 496 Z. 8und S. 629 Z. 15. —
S. 518Amkg. 4. Rastelarin ,, Que losideyam^^eZtorlobarridel dich
senhor entro a la mayson de Juez Veyrier" ist nicht ,,crepir",
sondern ,,mit rasteis versehen". Rastel ist ein Befestigungswerk
der Mauern, aber welcher Art, ob Palissade, Gitterwerk, Flecht-
werk, vermag ich nicht zu sagen; vgl.: Item., bengoc Petit
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII». 18
260 Referate und Rezensionen. Emil Levy.
Johan . . a nos mandar . . que nos fessam bon gucyt e metossam
los, arestetz perlo mur, Comptes Montreal (Gers) S. 29 § 28; seguen
se los viladges qui son tengutz de venir au goeyt et far los arastegs
en las muralhes de la ciutat d'Oloron . . : Busieg . . . XXV
canes, Ogeu. . . XXVIII canes, Art. bearn. S. 153 Z. 29. —
S. 518 § 11 u. S. 519 § 15. Cascun sera kann bleiben und braucht
nicht in cascuna s. geändert zu werden. Lo sera steht auch S. 279
Z. 27; Prov. Ined. S. 264 V. 33 al sera (: vera), wo aber weibl.
Geschlecht möglich ist, vgl. ibid. S. XVIII; lo sera steht im
Kindheitsevang. ed. Huber 1270 in der Hs., während der Heraus-
geberin las. ändert, und las. best auch Rayn. V, 206. Vgl. ferner
Tobler, Herrigs Arch. 110, 466, und Chabaneau, Revue des Igs.
rom. 45, 22, zu Flamenca^ 3232, und Wehowski, Die Sprache der
Vida de la benaurada sancta Doucelina S. 72 § 123. — S. 627
Z. 1. Korr. tengut statt atengut, pilhara statt pilhona und er-
gänze e vor lo Z. 2. — S. 638a. Calugas, pour ianugas? Nein,
denn Labernia verzeichnet caluch ,,especie de pex de mar y de
riu". — S. 645 Maladia ,,maladie, mais le sens demande plutöt
maladrerie". Das Wort findet sich zweimal auf S. 492, Z. 16
und 28, an der zweiten Stelle = ,, Krankheit", an der ersten sicher
= ,, Krankenhaus für Aussätzige", eine Bedeutung, die ja mehr-
fach belegt ist, vgl. malautia 2), Spl. Wb. V, 52. — S. 649b Regar-
dadors. Lies 504 statt 501, und 627 statt 626; reyregach lies
518 statt 548. — S. 652b Ublada „oblade". Oder ^ hiblada
„vergadelle" S. 626 § 1 ?
Freiburg i. Br. Emil Levy.
Millardet, Oeorges. Recueil de textes des anciens dialecies
landais, Paris, 1910. Honore Champion. LXVIII
+ 340 Seiten. 4^.
Die hier zum ersten Male mitgeteilten Texte aus Mont-de-
Marsan, Roquefort, Villeneuve, Saint-Sever, Tartas, Albret und
Umgegend, die von der Mitte des 13. bis zum Ende des 16. Jahr-
hunderts reichen, haben in Herrn M. einen kundigen und sorg-
fältigen Herausgeber gefunden. Den Texten geht eine dankens-
werte, Formenlehre und Syntax behandelnde Einleitung voraus,
den Beschluß des Bandes macht ein Glossar, das diejenigen Wörter
enthält, die im Dictionnaire bearnais von Lespy und Raymond
nicht verzeichnet sind. Zur Erklärung schwieriger Stellen hat
auch J. Ducamin mancherlei beigetragen.
Der Herausgeber hat die Überlieferung möglichst getreu be-
wahrt und sich in der Vornahme von Änderungen die größte Zurück-
haltung auferlegt. Mich will dünken, er sei darin an manchen Stellen
zu weit gegangen. So heißt es in der Einleitung §21 : ,,ab losse con-
tracte en ab' iisf ?)'\ unter Hinweis auf : eri presence demy notari public
ab' US testimonis dejus scriuptz S. 221 Z. 8 v. u. Das ist doch
Millardet, Georges. 261
gewiß nicht zuzulassen; wie zu ändern ist, zeigt S. 159 Z. 9, wo
e deus sieht. — In demselben Paragraphen wird den für deus
(de los) S. 111 Z. 12, pe für per S. 119 vi. Z. (pe vener) ange-
führt; die Änderung hätte ruhig in den Text gesetzt werden
dürfen; und wenn § 49, wo 1519 statt 1259 zu lesen ist, zu dem
Infinitiv portnre S. 148 Z. 12 die Bemerkung gemaclit wird:
„exemple iiniqiie ä corriger?", so wird man die Frage ruhig be-
jalien dürfen. — § 96 wird ein abueran (S. 61 Z. 22) als 3. Pers.
Plur. Futuri von aber angeführt. Es wird abieran, Fut. von
abier (avenir), zu ändern sein. — In demselben Paragraphen s. v.
deuer wird als 3. Sine. Praes. deiit (S. 189 1. Z.) zitiert. Cor. deue,
wie S. 190 Z. 2. — § 98. Lo rey Anglaterra ist nicht möglich; es ist
S. 184 Z. 12 d'A. zu ändern, wie auch S. 191 Z. 4 steht. Auch
per nom tutor ist nicht zulässig. In Peys de Borrelhan . . per sin
e cuma (Text cum a) tutor e p er nom tutor de Johan . . ,
son nabot iS. 199 Z. 12) ist entweder per nom de tutor zu ändern
oder vielleicht besser noch das zweite tutor zu streichen ; vgl. nom
8) und 9), Suppl. Wb. V, 408—409. — § 102. Substantivische Ver-
wendung eines Adjectivs soll vorliegen in Rennncia . . a la exception
d'engan per inmensitat e per desagradable S. 23 Z. 2. Es
ist desagradabletat zu ändern, wie auch S. 21 Z. 12 steht. — § 118.
Die in Appel Chr.^ Glos, hervorgehobene Verwendung von autre zur
pleonastischen Bezeichnung einer Gegenüberstellung soll an
folgenden zwei Stellen vorliegen : totes . . las arrendes, proffeytz,
emolumentz e autr e s pertas quenhs que sien e son de la dite
abbadesse e sors deu dit combent S. 29 Z. 10; es ist aber m. E.
percas ,, Erwerb Einnahme" zu ändern; vgl. percatz 2), Suppl.
Wb. VI, 230. Ferner in: Ab aquetz que . . abem podut trobar tant
per escripture ansiane que aut e s bons homis desus nomiatz,
abem metut per memori . . S. 116 Z. 14. Ich denke, es ist antix zu
ändern, vgl. ibid. Z. 9 cum a cause de so ayam sercat . . registes . .
ansians (Texi-anz) et ayxi beinh jeyte . . information ab prohomis
et antix de la diite viele. — § 137. Eine Präposition soll adjec-
tivisch gebraucht sein in Item prometo . . de far laudar totes e
sengles las causes s u s a las gens de la diite viele en cosselh comun
S. 108 Z. 6. Es liegt keine Präposition, sondern ein Adverb vor,
die Stelle wäre also zu den § 142 angeführten zu setzen; aber hier
wie dort ist m. E. zu korrigieren. S. 108 Z. 6 ist diites zu ergänzen,
da das Wort in dieser Urkunde, so viel ich sehe, stets ausgeschrieben
ist. An der § 142 zitierten Stelle deus au a nt z lors porxcs S. 91
Z. 13 ist, meine ich, auantz verlesen oder verschrieben für auantd.
d. h. auant diiz, da in dieser Urkunde dit fast immer zu d.
abgekürzt ist, und das Adverb auant, nicht auantz, lautet, vgl.
S. 91 Z. 18, 21 u. vi. Z. Es wäre auch in Erwägung zu ziehen,
ob lors bleiben kann oder besser getilgt wird, vgl. S. 90 Z. 17 u.
1. Z., S. 91 Z. 3, S. 92 Z. 5. In Forni lo d au ant jorn deu dit
nies S. 140 Z. 3 wird in gleicher Weise zu ändern sein; gewöhnlich
18*
262 Referate und Rezensionen. Emil Levy.
steht in dieser Urkunde nur lo d. jorn. Endlich in Sien tengutz
de balhar cascunh la im deu pes daiiant S. 111 Z. 12 ist la
un deuis] pes d'a u ant zu schreiben.
Abgesehen von den besprochenen Stellen, die m. E. zu
irrigen Aufstellungen in der Einleitung geführt haben, scheinen
mir noch die folgenden einer Änderung zu bedürfen, an denen
z. T. Druckfehler vorliegen. S. 3 Z. 4 v. u. Schreibe feit certans
statt feit-certans. — S. 9 Z. 4 soluiidz statt solundz. — S. 21 vi. Z.
Deaiaciuar e anoitar e acabanar de dies e de noytz totz los
diits bestiars. Cor. aiacinar, und ebenso S. 22 Z. 14; vgl. jazilha
und jazina, Suppl. Wb. IV, 256. — S. 32 Z. 17. Tilge e vor egregi,
— S. 47 Z. 5 V. u. Kor. daazed statt danzed. Der Hrsgbr. will
dauzed allerdings nicht gelten lassen. Er bemerkt im Glossar:
„Plusieurs editeurs de textes gascons transcrivent ce mot par
un u: dauzed et dans le bordelais dauded. Mais la lecture par
une nasale nous parait indispensable, vu le rapprochement du
vfr. dansei et du fr. dame^ vidame etc." Daß es sich aber in dau-
nicht nur um eine Schreibweise moderner Herausgeber handelt,
beweist der Name Daudet. Vgl. auch das von Thomas, Romania
39, 396, Bemerkte. — S. 53 Z. 13 Per j uu stitutio n e bision
de quera. Kor. inspection; vgl. S. 24 Z. 23 und S. 29 vi. Z.
— S. 54 Z. 15 Que . . bos agen a reportar e responer de la bertat . .
E deu r e p 0 n e resposta que . . feran . . . Kor. report. — S. 66
Z. 2 Desagrabletad, kein Druckfehler, da im Glossar angeführt,
ist eine unmögliche Form. Kor. desagradabletat. — S. 70 Z. 1
Kor. empeinament statt empeiament. — S. 70 Z. 16 Kor. enfreu-
lides statt enfreuliges. — S. 70 1. Z. Kor. naise statt nasse. — S. 74
1. Z. Kor. tees oder teis statt tecs. — S. 76 Z. 15 u. 18. Das hand-
schriftliche digmßgß ist nicht in digmenge en aufzulösen, sondern
es ist digmengen zu schreiben; vgl. dimenge., Suppl. Wb., II, 242 b.
Ebenso S. 108 Z. 23. — S. 77 Z. 17 Entro au poy qui es sus lo diit
camin de Sancte-Quiterie, a g an de l'ostau de B. Escat und S. 82
Z. 16 au\ poy que es a g an de l'ostau de W. Escat. Zur ersten
Stelle die Anmerkung: ,,Voir au glossaire ce mot qui signifie
,,maintenant", Le sens est: Jusqu'au mamelon qui est sur le
chemin de S. Q., [mamelon] qui appartient maintenant ä la
maison de B. E." Das halte ich für unannehmbar. Zur zweiten
Stelle findet sich die Variante a gau de., und das scheint mir das
Richtige, nämlich agau (= egal) de; vgl. ibid. S. 81 Z. 15: Entro
a la come que es denant l'ostau de Vimolere. — S. 80 Z. 1 Sabeben.
Schreibe sabe ben? — S. 92 Z. 14. Kor. eternal statt eternel.
— S. 107 Z. 17 Kor. tales statt cales, trotz der Anmkg. : ,,sic; on
ne peut lire tales" . Wegen tales enmendan vgl. Livre noir Dax
S. 141 § 649 und Glossar. — S. 111 1. Z. Ergänze e vor soluer.
— S. 116 Z. 8 Kor. ansians statt ansianz; die Hs. hat ausiant. — -
S. 117 Z. 6 Kor. prestiere statt prestiele. — S. 118 Z. 23 Kor. tenque
statt tengue „Schleihe". Das bei Rayn. und Lespy fehlende
Millardct, Georges. 263
Wort findet sich noch Dict. inst. Rouorgue S. 352a Z. 12 v. u.
(tenca) und Cour temp. Avignon S. 112 § 8 u. 9 (tencha). —
S. 119 Z. 6 u. 8 und S. 122 Z. 7, 10, 19. Une coartan. Ein weib-
liches coartan ist nicht möglich; kor. coariau. — S. 121 Z. 17.
Item carqiie de sere, qui h o er e portere a beiier au diu marcat et
se pausere siis tauler, pagui II morl. Das Glossar deutet „bouviere"
mit dem Zusatz ,,Le feminin surprend". Ducamin schlägt
deshalb ebendort vor boer e portere zu lesen ,,avec Ve qui se met
facultativement devant un verbe commengant par consonne".
Das ist mir nicht klar. Aber masc. oder femin., das Substantiv
paßt überhaupt nicht. Ist nicht biere [ni's] portere zu ändern?
Vgl. Tot car de sau qui biera per bener S.118 Z. 12. — S. 125
Z. 3 V. u. Ergänze no vor es und ere vor per. — S. 126 Z. 16.
Benh ist nicht be-nh (siehe die Anmerkung von Ducamin) zu
schreiben; vgl. beinh S. 116 Z. 8, beyn S. 157 Z. 13 u. S. 158 Z. 19,
benh S. 166 Z. 7, arenh {= ren) S. 74 Z. 17, cascunh S. 111 Z. 10
und 12. — S. 161 Z. 10 Kor. tote arre, vgl. S. 189 Z. 18 u. S. 192
Z. 11. — S. 196 Z. 11 u. 16. Schreibe li deit dizador statt li deit-
dizador ,,die genannten Schiedsrichter". — S. 203 Z. 13. Kor.
emperauant statt emproauant. Der Hinweis im Glossar auf
Godefroy emprof ist nicht am Platze.
Glossar. Eine Reihe von Wörtern wie aiaciuar, agan,
beere usw. sind im Vorhergehenden schon besprochen. Ferner
wäre noch Folgendes zu bemerken. Abiader. In Conegude
cauze sie aus presentz e aus abiaders qui la prezent carte
beiran S. 3 Z. 18 bedeutet a. doch nicht ,,descendants",
sondern ,,die später, in Zukunft Lebenden". — Adgetar.
Der Hinweis auf adietar Suppl. Wb. I, 20 ist nicht am Platze.
— Afocar. In Degun d'aquetz qui affoqueren la diite justici
S. 126 Z. 5 genügt ,,accompagner" nicht; es ist ,,sich ansehen,
beiwohnen" zu deuten, vgl. las gens qui bau a la justici beder
ibid. Z. 15. — Agreire. Der Hinweis auf agrier im Suppl. V^h.
und agrer bei Lespy könnte den Anschein erwecken, als ob das
Wort sonst nicht belegt sei ; es ist aber bei Rayn. II, 35 verzeichnet.
— Bladar ,,ble sur pied (ou, suivant les pays, autres cereales)";
richtiger Ducamin S. 107 Anm. 2 ,,champ de ble". Das Wort
findet sich noch in: E si augus intrava de nueyt en vinha o en
ort ni en prat oen bladar... Cout. du Gers S. 188 Z. 13; ferner
Li vre noir Dax Glos. — Conduar. Selbst wenn man in Cascuns. .
conduedors de boeus, saumes o autes bestiars passans. . per lo diit
pont, conduan et menan las susdiites causes, sien.. francz
de tot pontatge S. 124 vi. Z. nicht in conduen ändert, sondern
analogische Neubildung oder französischen Einfluß annimmt,
darf man doch aus conduan keinen Infinitiv conduar erschließen.
— Confrontadementz und consiguadament. Beleg: Marqueze
de Barte. . a venut. . a n'Arnaut de Garere. . tot aqued mey catot
e pesse de tere. . que a. . en lo teratori de Gausad. . confron-
264 Referate und Rezensionen. Theodor Kalepky.
tadementz e consiguadement lo camin public., per
dues partz e l'ariu de la Mole. . per autre part ela. . hinke de Stephen
de Gontaut d'autre part S. 84 Z. 5 und 6. Confrontade?nentz, das
„en confrontationavec" gedeutet wird, ist „anstoßend, angrenzend
an"; consiguadement^ das ,,ä la suite de, en suivant" bedeuten
soll, kann nichts mit segre zu tun haben. Es ist consignadament
zu lesen und ,, begrenzt durch" zu deuten, vgl. Godefroy con-
signer. — Emparedor S. 158 Z. 4 ist nicht ,,celui qui s'empare",
sondern ,, einer der Anspruch auf etwas erhebt, der etwas streitig
macht", vgl. emparador 2), Suppl. Wb. II, 375. — Estable S. 172
11 ist nicht substantivisch gebraucht; es ist ein Komma zwischen
fermes und estables zu setzen.
Freiburg i. B. Emil Levy.
liöisetli, C Notes de syntaxe frangalse. Christiania, 1910.
En commission chez Jacob Dybwad. (Sonderabdruck
aus den Videnskabs-Selskabets Skrifter. II. Hist.-
Filos. Klasse 1910. No. 4).
Es sind — bis auf wenige Ausnahmen — ,, Notizen" im
wahrsten Sinne des Wortes, die der Herr Verfasser unter obigem
Titel den Fachgenossen vorlegt, gelegentliche Aufzeichnungen
von Wahrnehmungen, Beobachtungen, kritischen Gedanken,
Beispielen zur Erhärtung eigener, Abwehr fremder Ansichten
über alle möglichen, gemeinhin unter dem Sammelnamen ,, Syntax"
rubrizierten Punkte, ganz interessant und unterhaltsam, manch-
mal sogar lehrreich zu lesen — aber, ob solche Art der Pubhkation,
solche Darbietung syntaktischer ,, Schnitzel" für die gramma-
tische Erforschung des Französischen als wirklich ersprießlich,
als förderlich bezeichnet werden kann, das ist eine Frage, die
ich denn doch nicht ohne weiteres zu bejaiien mich entschließen
kann. Ich will gar nicht erst lange bei der Erwägung verweilen,
ob die Diskussion der stilistischen Eigenart eines Aus-
drucks, also die Frage, welcher Stilklasse — style solennel,
litteraire, familier, vulgaire etc. — er zuzuweisen sei (worüber
Ch. Bally ein prächtiges, auch in dieser Zeitschr. XXXVI, 154 ff.
angezeigtes Büchlein, Traite de stylistique frangaise geschrieben)
die Syntax überhaupt etwas angehe, ob z. B. isolierte
Bemerkungen von der Art der folgenden hier an ihrer Stelle sind:
«Nu!» pronom, dit M. Rodhe (Essais, I, 43^, appartient au style
ecrit tres solennel. C'esl trop dire; «style litteraire» suffit (p. 11). Oder:
(Mit bczug auf C'est ä vous de und ä parier) Littre a certainement
eu raison de supprimer pour ces deux tournures la distinction
de sens qu'on avait voulu etablir, d savoir que «de parier» indiquerait
le tour de rdle, et «ä parier» la convenance generale (= il vous appar-
tient de) — meist wird übrigens umgekehrt für ,,es ist die Reihe
Löseth, E. 265
an jem." der Infinitiv mit ä verlangt, so auch von Plattner, den
unser Verfasser hier (merkwürdiger Weise ohne jeden kritischen
Zusatz) zitiert — Toiites les deiix signijient la meme chose; seule-
ment la seconde est du langage plus eleve, plus correct, comm.e disent
volontiers les FranQais\ la premiere, qui aussi nous epargne un
hiatus est propre ä la langue courante (p. 15). — Oder: «// y a
longtemps que je ne vous ai i>u>> est du style eleve, elegant^ ordinaire-
ment on ajoute pas (p. 16) — wobei der Kernpunkt der Sache
völlig außer Acht gelassen ist (vgl. Zeitschr. f. rom. Phil. XVIII
p. 170 ff. besonders p. 173). — Oder (Mit bezug auf Sätze wie
On ne sait ce que Von doit le plus admirer, ou de la perfection du
travail ou du bon ejjet): Cela est du style litteraire ou eleve\ la langue
courante dirait «ou la perfection du travail ou le bon ejjet» (p. 10).
— Oder: L'ellipse du pronom personnel sujet, jrequente en ancien
jran^ais, l'est aussi de nos jours, et non seulement dans la langue
enjantine, populaire ou negligee. On dit couramment: Faut aller
au Credit Lyonnais^ sur les boulevards. Connaissez? (p. 5). — Ich
würde gegen derartige ,, stilistische" Charakterisierungen oder
Wertungen auch in syntaktischen Pubhkationen nichts einzu-
wenden haben (da ja, wie wiederholt, z. B. XXXV H. 2 u. 4
S. 10 ff. dieser Zeitschr. gezeigt worden, der Begriff der Syntax
recht problematischer Art ist) — wenn sie sich als gelegentliche
Zusätze, gleichsam als Rand- und Abschlußbemerkungen zu
wirklich grammatischen Erörterungen einstellten. Hat doch
auch ein Gelehrter von dem Scharfblick und der Gründlichkeit
A. Toblers gelegentlich einmal einen rein lexikalisch-stilistischen
Artikel, wie den über Par exemple {Verm. Beitr. IV, 91 ff.) unter
der Flagge eines Beitrags zur französischen Grammatik
in die wissenschaftHche Welt hinaussegeln lassen, nachdem er
noch in der II. Reihe der genannten Sammlung den Artikel
^.1 Verblümter Ausdruck und Wortspiel in altjranzösischer Rede"
wohlweislich als einen, ,,der mit Syntax nichts zu tun habe",
in den Anhang verwiesen hat. Aber nul in einer ,, syntaktischen"
Arbeit zur Sprache zu bringen und nichts weiter darüber zu sagen,
als daß es nicht (wie Rohde behauptet) dem ,,sehr feierhchen",
sondern nur dem „Uterarischen" Stil angehört, das scheint mir
denn doch eine zu weit gehende Außerachtlassung der, obzwar
wenig berechtigten, so doch nun einmal gültigen und anerkannten
Systematik zu sein. Außerdem: Besteht denn überhaupt die
MögHchkeit in solchen mehr oder weniger subtilen Stilfragen zu
einer Einigung zu gelangen, oder in strittigen Fällen — und in
allen hier erwähnten hat Verfasser es mit abweichenden Ansichten
höchst beachtenswerter Fachgenossen zu tun — eine halbwegs
sichere Entscheidung herbeizuführen, zumal die meisten hervor-
ragenden Schriftsteller in all solchen Dingen ihre Eigenart haben
und auch zeitgenössische Autoren untereinander ein vielfach
recht widerspruchsvolles Verfahren zeigen ? Fast belustigend
266 Referate und Rezensionen. Theodor Kalepky.
wirkt es, gegenüber der p. 11 gemachten Mitteilung: A en croire
M. Rodhe {Essais, III, 27), «pas um ne s'emploie plus aujourd'hui;
il veut «aucun» dans cet exemple: «d'Anville connaissait l'Egypte
mieux que pas un Egyptien» bei J. Haas, Neufranzösische Syntax
p. 424 zu lesen: ,,Zum Ersatz für das wenig volkstüm-
liche aucun wird häufig pas un verwendet mit dem Beispiel:
Dans pas uns de ses pieces, il ne se trouve d' Altesse und dem Zusatz,
daß diese Ausdrucksweise besonders beliebt nach Vergleichen
sei. Die hierzu gegebenen Beispiele zeigen in der Mehrzahl
pas un (une) mit einem Substantiv, was wiederum im Wider-
streit mit der Meinung unseres Verfassers steht, der (im Gegensatz
zu der oben zitierten Ansicht Rodhe's) sagt: Je ferai observer
que, du moins, «pas un» t o ut s e ul se dit tres bien: II connatt
Qa comme pas un. Doch genug von diesen, wie mir scheint, nicht
nur nicht in die Syntax hineingehörigen, sondern auch der Mehr-
zahl nach unfruchtbar verlaufenden Kontroversen über den sti-
listischen Wert und Charakter grammatischer Wörter und Wen-
dungen. Die Syntax hat es, nach der nun einmal herrschenden
Anschauungsweise, mit den Beziehungen der Elemente der Rede,
sei es zueinander, sei es zu dem in ihr zum Ausdruck kommenden
Gedankeninhalt zu tun. Da hätte dann mehr als einer der vorhin
erwähnten Punkte eine wirklich syntaktische Erörterung ganz
wohl vertragen. Nicht nur, z. B. die Frage der Setzung bezhw.
Weglassung des pas in II y a longtemps que je ne vous ai (pas)
vu — bezügUch deren an der angezogenen Stelle der Ztschr. f.
rom. Phil, gezeigt worden ist, daß zwischen drei bestimmt ge-
sonderten Gruppen von Fällen zu scheiden ist: 1) solchen, wo es
sich um die Kennzeichnung des Ausgangspunktes durch ein be-
stimmtes einmaliges Sein oder Geschehen handelt und daher
jede Negation (auch bei einem ,, Tempus der vollendeten Hand-
lung") ausgeschlossen ist, z. B. II y a longtemps qu'il nous a quittes,
2) solchen, wo der Ausgangspunkt der zeithchen Berechnung
durch ein negatives Sein oder Geschehen bestimmt wird,
also auch stets pas, point (natülich nur soweit nicht sonstige
Regeln dem entgegenstehen, z. B. bei personne, rien oder bei
oser, cesser usw.) zu setzen ist, z. B. II y a longtemps qu'il n'a pas
tenu sa promesse, 3) Fällen, in denen der Nebensatz mit que eben-
sowohl als Kennzeichnung des Ausgangspunktes (,,von dem
Augenblick an") wie auch als Angabe der Ausfüllung der ver-
strichenen Dauer (,, während welcher Zeit") aufgefaßt, ,, emp-
funden" werden, also sowohl positiv wie negativ ausgedrückt
werden kann, wie z. B. in ,,Es ist lange her, daß ich Sie (nicht)
gesehen habe: a) .. von dem Augenbück an, da ich Sie (zum
letzten Male) gesehen habe, b) es ist eine lange Zeit, daß, d. h.
während welcher, ich Sie nicht gesehen habe, und wo die Un-
sicherheit, das Schwanken in der Gedankenbildung wie in zahl-
losen anderen Fällen, eine Mischform^^der Rede gezeitigt hat:
Löseth, E. 267
11 y a longtemps qiie je ne voiis ai vii. Wenn nun Verfasser über
diesen (dritten) Fall weiter nichts zu sagen weiß, als daß die
Weglassung des pas „gewählter, eleganter Stil (style üeve, Üegant)
sei, daß man bei gewöhnlicher Rede pas hinzufüge, so zeigt sich
hier mit besonderer Deutlichkeit das Unzulängliche seiner frag-
mentarischen, zusammenhangslosen, zerhackten, die Erscheinungen
nur obenhin streifenden, und in ihrer Buntscheckigkeit an die
Entleerung von Zettelkästchen erinnernden Art der Vorführung
,, syntaktischer" ( ?) Probleme. Da er seiner apodiktischen
Stil-Charakterisierung hier keine weiteren Belege beifügt, so ist
man nicht einmal in der Lage mit Sicherheit zu entscheiden,
ob sie sich nicht irrigerweise — ganz abgesehen von Beispielen
der zweiten Gruppe, wo pas (point) unerläßlich — auf solche
Beispiele der dritten Gruppe gründet, in denen ,,der Sprechende
eine entschieden negative Vorstellung im Sinne hat, deren Gegen-
satzes zu der ihr gegenüberstehenden positiven er sich deutlich
bewußt ist" (Zschr. f. rom. Phil. XVIIl p. 173), wo also aus ganz
besonderen Gründen die Negationsverstärkung immer eintritt.
Wer einem guten Freunde aus seinem langen Fernbleiben einen
Vorwurf machen oder bei einem unerwarteten Wiedersehen
lebhafte Freude ausdrücken will, der wird sicher ausrufen 11 y a
longtemps qiie je ne voiis ai pas vii ! Ob aber jemand, der einen
unwillkommenen Besucher, von dem er sich für immer erlöst
glaubte, wieder auftauchen sieht, nicht — mit einer gewissen
Reserve — sagen wird: 11 y a longtemps qiie je ne vous ai vu,
auch ohne daß seine Ausdrucksweise dadurch Anspruch auf
eines der beiden Epitheta eleve, elegant erhält ? Vielleicht miß-
brauchen sprachHch Ungebildete oder Nachlässige, in Ver-
kennung oder Vernachlässigung solcher feinen Nuancen, jene
Ergänzungswörter der Negation, bringen sie dadurch in Miß-
kredit und bewirken «/^a/- ei'ocation», wie Ch. Bally sagen würde,
daß der Verzicht darauf den Eindruck feinerer Redeweise macht.
Aber alles das kann nur m_it Hülfe eines reichlichen Beispiel-
materials auf Grund genauer, eindringender Prüfung und Ver-
gleichung mit einiger Sicherheit festgestellt werden und darum
kann ich es nicht bilHgen, wenn Verfasser, auf beides verzichtend,
sich und seine Leser mit jener kurzen, ebenso vagen, wie un-
bewiesenen Behauptung abfindet.
Und auch die de-Frage in dem dilemmatischen Satze 0}i
ne sait ce que Von doit le plus admirer, oii d ela perfection du travail
QU du hon effet ist mit der apodiktischen Erklärung, daß solche
Ausdrucksweise ,, literarisch" oder ,, gewählt" (eleve) sei, nicht
abgetan. Noch wichtiger als die stilistische Taxierung, die doch
mehr oder weniger subjektiv bleiben muß, erscheint mir für
die Syntax die Feststellung, oder — falls diese nicht gelingen
sollte — die gründliche Untersuchung des Ursprungs sowie des
genauen sprachlich- logischen Wertes dieses de. Hat es
268 Referate und Rezensionen. Theodor Kalepky.
wirklich, wie z. B. Lücking, Franz. Gramm. § 252 Anm. oder
Plattner, Ausführt. Gramm, d. frz. Spr. I § 348 Anm. 2 behaupten,
seinen Grund nur in einer ,, Attraktion" (,,aus dem öfter zugefügten,
meist aber fehlenden des deux" Plattner^) ? Sollte eine so eminent
logische Sprache wie es die französische anerkanntermaßen ist,
sich wirklich Jahrhunderte lang von einer der Logik so zuwider-
laufenden Ausdrucksform in Bann schlagen lassen ? Gewiß
gilt auch von ihr das Horazische Quandoque bonus dormiiat Homerus,
gewiß finden sich auch bei ihr Wendungen, in denen Sprach-
und Gedankenform nicht in vollem Einklänge stehen (wie z. B.
in den bekannten: Ce n'est pas moi qui a i dit cela) aber so mit
einem Wort ist die Sache denn doch nicht abzutun, und sicher
ist, daß es außer dem uns hier beschäftigenden Falle noch manchen
anderen gibt, in dem — nicht das de — wohl aber das ou eine
etwas befremdende Gebrauchsweise zeigt (vgl. Lui ou moi a v o n s
tori). Vielleicht finde ich bald einmal Zeit, den Sachverhalt
eingehender zu prüfen. Den Wunsch dazu hege ich schon lange.
Und Verfasser wird mir nun nachfühlen, was für eine Ent-
täuschung er mir — und wohl auch anderen — dadurch bereitet
hat, daß er in seiner ,, syntaktischen" Publikation einen so inter-
essanten Punkt ,, anschneidet", ohne irgend etwas anderes über
ihn beizubringen als eine vage^) ,, stilistische" Wertung, die von
jedem beliebigen, der nicht recht daran glauben mag, so ziemUch
ohne Risiko mit demselben Nachdruck angefochten werden
kann, mit dem er selber sie hier aufstellt.
Konnte ich mich bei den vorstehend besprochenen Punkten
nicht recht mit der Art der Behandlung befreunden, der nach-
drückUch entgegenzutreten mir im vitalen Interesse ersprieß-
licher syntaktischer Forschung als Pflicht erschien, so hätte ich
1) Sollte dieser, wie unser Verfasser behauptet, im 3. Teile, 2. Heft
(seiner Ausführl. Grammat.) p. 142 die beiden de wirklich als ,, un-
erläßlich" bezeichnen? Ich habe das genannte Heft nicht in Händen
und fühle mich, nachdem ich am 3. Heft des 2. Teils (,,Das Verbum
in syntaktischer Hinsicht") gesehen, daß diese Ergänzungshefte nur
lose aneinandergereihte Zusätze, ganz nach der Art der uns hier be-
schäftigenden (obendrein ohne Index!) enthalten, kaum versucht,
sie anzuschaffen, bevor ihr Verfasser sich dazu entschließt, sie mit dem
1. Teile, dem Hauptteile, zu einem einheitlichen Ganzen zu verarbeiten.
So viel aber ist sicher, daß Plattner im 1. Teil S. 379 dieses de als
,,pleonastisch" und ausdrücklich als ,, nicht erforderlich" bezeichnet.
2) Da ich einmal von ,, vager" stilistischer Wertung spreche, so
möchte ich, ohne viel Zeit und Raum dabei zu verschwenden, auch
noch auf die unbefriedigende Art der Aburteilung jener schon er-
wähnten Subjektsunterdrückung Faut aller au Credit Lyonnais . . . Con-
naissez? (p. 11) hinweisen, von der Verf. sagt, daß sie nicht nur der
langue eni'antine, populaire ou nögligöe, sondern auch der langue
courante {,,on dit courammcnt" . . . ) angehöre. Sind langage neglige
und langage courant wirklich Gegensätze? Alles hängt doch vom
persönlichen Verhältnis der Sprechenden zueinander ab! Ein ,,Kann
sein" zu einem guten Freunde gesagt, ist völlig korrekt. Zu einem
Vorgesetzten ist es entschieden nachlässige Ausdrucksweise.
Löseth, E. 269
den beiden nunmehr zu envähncnden „Bemerkungen" den
Vorwurf des Müßigen, des Überflüssigen zu machen. Erstens:
In II est aime comrne il merite de l'Hre ist, wie Verfasser (p. 6)
richtig bemerkt, durch le auf ein vorangehendes Participium
perfecti verwiesen; in Voiis avez une matiie indecente de crier,
ta mere ei toi! Voiis l'äes, mal elevees^ toutes les deux (aus Bern-
stein, La rafale II, 4) dagegen nimmt, wie Verfasser ebenfalls
richtig feststellt, das V (= le) vor Hes das nachfolgende mal
üevees vorweg (,,= poiir mal elevees^ voiis l'kes" fügt er erläuternd,
aber, wie mir scheint, unnötig hinzu). Ich hätte wohl gern noch
den vorhergehenden Satz oder gar die vorhergehenden Sätze
gekannt, um ganz sicher zu sein, daß das le sich unter keinen
Umständen auf ein vorangehendes, dem mal elevees vielleicht
synonymes Wort bezieht. Aber wenn ich dem Verfasser, da er es
nun einmal so hingestellt, auch gern glauben will, daß hier ein
Fall echter Prolepsis vorliegt, so scheint mir der Umstand, daß
das Vorweggenommene gerade ein participe passe ist, ohne jede
Bedeutung, und die Aufstellung der Regel: Dans le langage
familier, le participe peut suivre ce«le» unbedingt überflüssig.
Es ist doch klar, daß jedes beliebige Wort, das zur Qualifizierung
geeignet ist, ganz ebenso durch le vorweggenommen werden
kann — Substantiv, Adjektiv, Numerale (z. B. erster, zweiter)
sogar Adverbien (wie ,,fort", ,,fern" usw.). Ja, im Grunde ist
solche Vorwegnahme des Prädikatsworts nur ein Spezialfall
jener großen Gruppe proleptischer Ausdrucksweisen, bei denen
durch ein unbetontes Pronomen personale oder durch en und y
ein Vorstellungsglied übereilt als dem Geiste des Zuhörers schon
gegenwärtig hingestellt wird, das der Sprechende bei besserer
Überlegung nachträglich doch als ausdrücklicherer Kennzeichnung
für bedürftig erachtet, und daher noch einmal durch ein Wort
oder einen ganzen Satz ausdrückt, kurz, jenes in allen Sprachen
anzutreffenden Verfahrens, von dem fürs Neufranzösische ein-
gehend Haas Neufranz. Syntax pp. 461 — 464 (allerdings nur
mit Berücksichtigung des Personalpronomens und en z. B. //
est /d, ton bon portrait oder Tu en as da courage, so daß ich in der
Besprechung des Werkes — XXXVI, 6 p. 169 dieser Zeitschrift —
ein Beispiel mit y: Elle y pensait toiijours ä ce eher pays. . . hin-
zuzufügen für nötig hielt^) sowie — mit ausschließlicher Berück-
^) Seine Formuherung (§ 401): ,,Wenn das hervorgehobene Wort
erst nachträghch, nachdem 'die Gesamtvorstellung gegliedert ist,
intensiver dem Sprechenden zum Bewußtsein kommt, so wird das
Korrelat der betreffenden Vorstellung am Ende des Satzes wiederholt"
erscheint mir allerdings nicht glücklich. Sie wird dem psychischen
Tatbestande insofern nicht gerecht, als nicht das betr. ,,Wort"
dem Sprechenden erst nachträglich intensiver zum Bewußtsein kommt,
sondern nur das Bedürfnis genauerer Bezeichnung
gegenüber seinem Zuhörer, dem ein il oder en oder y
doch vielleicht unverständlich oder mehrdeutig sein könnte.
270 Referate und Rezensionen. Theodor Kalepky.
sichtigung der en-FäWe und ihrer Besonderheiten — A. Tobler in
seinen Vermischten Beiträgen (III. Reihe, Artikels)*) gehandelthat.
Zweitens erscheint mir überflüssig der aus 7 Zeilen bestehende
Absatz (p. 10), welcher mit den Worten beginnt: Le peuple dit
«c'est-i(l) que. . . ?» pour «est-ce que. . . ?», und verschiedene, der
langue enjantine et familiere entnommene Belege für solches
c'est-i bringt. Bekanntlich handelt es sich hierbei keineswegs
speziell um einen vulgären Ersatz von est-ce que, sondern um
das bei dem ungebildeten Volke — und allen denen, die seine
Sprechweise aus irgend einem Grunde nachzuahmen für gut
befinden — anzutreffende Verfahren, den fragenden Sinn, nament-
lich in sogenannten Entscheidungsfragen (d. h. solchen Frage-
sätzen, die kein Fragewort enthalten) unter Beibehaltung der
Konstruktion des Aussagesatzes durch Anfügung der Partikel
ti (entstanden aus t-il, und auch t'y, nach einem t sogar bloß y
geschrieben) an das Verbum auszudrücken, wovon sowohl Haas
a. a. 0. p. 439 (j'ai t'y hesoin d'une autorisation ?) als auch Siede
in seinen ^^Syntaktischen Eigentümlichkeiten usw." p. 35 (letzterer
unter Angabe der darauf bezüglichen Literatur) eingehend ge-
handelt haben. Völlig gleicher Art scheint mir auch die un-
mittelbar vorher (p. 9 unten) neben dem ganz korrekten Qui
diable cela peut-il etre? zur Sprache gebrachte Fragekonstruktion:
Qui ce peut-il kre? zu sein, in der Verfasser — doch wohl un-
nötigerweise — einen Versuch, zur Vermeidung des unüblichen
(aber doch grammatisch durchaus einwandfreien!) Qui peut-ce
itre? sehen möchte. Sicher ist, daß für Pourquoi ce serait-il
dröle? oder Ce sera-t-il Fritz? etc. irgend ein äußerer Anlaß
zur Wahl solcher Ausdrucksweise nicht vorliegt, da Pourquoi
serait-ce dröle? Sera-ce Fritz? doch in jeder Hinsicht unbedenklich
wären. Sind aber die ursprünglich nur vulgären Fragekonstruk-
tionen mit dem mysteriösen ti erst einmal Gemeingut der Kinder-
und der famihären Sprache geworden, dann können sie auch
leicht — mit der etwas sorgfältigeren Sprech- und Schreibw^eise
<^-t-ih in die gute Sprache eindringen. — In den mit den vorigen
unmittelbar zusammengestellten Sätzen Qui ga est venu? Quand
Qa m'enUverez-vous? etc., vermag ich nichts anderes zu sehen
als ,, Bestimmungsfragen" (vgl. vorher die Erklärung der ,, Ent-
scheidungsfragen), deren Fragewörtern als Hinweis auf den
besonderen Tatbestand des einzelnen Falles das neutrale Demon-
strativpronomen QU angefügt ist, etwa wie im Deutschen — aller-
dings nur bei fehlendem Verb — ,,Wann das ?" ,,Wie das" ?
gesagt wird. Vielleicht liegt solcher pleonastischen Einschaltung
^) Auf die — stereotyp gewordene — pleonastische Setzung eines
en in Fällen wie: En voilä une ideel' usw. möchte ich auch die Wendung
von dem Typ C'en est honteux. — // en etait rasant usw. zurückführen,
in deren en Verfasser (p. 8) nur ein Mittel zur Verstärkung der Aus-
sage sieht, dem er die Bedeutung von tout ä fait beilegen möchte.
Löseth, E. 271
von pa letzten Endes eine Abart der oben eingehend erörterten
proleptischen Ausdrucksweiso zugrunde. Im Hinblick auf die
bevorstehende und dem Bewußtsein vorschwebende Mitnahme
fragt die Sprecherin zunächst: QuandQa? um dann sofort — zur
Beseitigung jedes Zweifels oder Mißverständnisses, ähnlich,
wie es bei Tu en as du courage ! oder En voilä une idee I der Fall
war — mit einem verbalen Ergänzungsausdruck (m'enUverez-
vous}) die Frage zu vervollständigen und zum Abschluß zu bringen.
Etwas eingehender hat Verfasser die Frage der Setzung
bezw. NichtSetzung des auf Vorhergehendes zurückweisenden
neutralen le in angefügten oder eingeschobenen Wendungen
wie comme vous (le) dües, faites, etes, etc., aussi grand que vous
(V ) äes, etc., si vous (le) voulez, etc., i(e l) espere behandelt.
Man wird ihm hier beistimmen können, wenn er (gemäß seiner
Vorliebe für derartige stilistische Abschätzungen) seine Ansicht
dahin ausspricht, daß la presence de ce «le» dorine au discours
tantöt quelque chose de plus litteraire, tantöl quelque chose de plus
piUoresque ou d'insistant ou de circonstancie und dans beaucoup
de cas le choix dependra du goüt ou de l'oreille du sujet parlant
ou de l'ecrwain. Auch daß der Wunsch die Art und Weise zu
betonen (d'insisier sur la maniere d'agir, le procede) unter Um-
ständen zur Setzung des le führen kann (z. B. Je devrais vous
meüre ä la porte pour vous apprendre ä me parier comme vous
le faites), ist zweifellos richtig. Mir scheint, Verfasser hätte gut
getan, von vornherein zwischen den beiden Arten des comme
(ainsi que) zu scheiden, von denen die eine zum Ausdruck wirk-
licher Gleichheit der Art und Weise oder des Grades dient
(wie in dem eben erwähnten Falle), die andere hingegen lediglich
Gemäßheit, materielle Übereinstimmung zwischen der
Wirklichkeit und einer geistigen Konzeption derselben (II est
arrive hier, comme je (le) crois oder comme on (V ) a predit) aus-
drückt, zwei Gebrauchsweisen von comme, die sich vereinigt
finden in der bekannten Stelle der Femmes savantes von Moliere
(III, 2): Je n'ai point encor vu d'hommes, comme (= ä ce que)
je crois, Mais j'ai vu des clochers (sc. dans la lune) tout comme
(=^ de la mime fagon) je vous vois. Und dann hätte er ganz
wohl sagen können, daß das erstere, das comme der Gleichheit
der Art und Weise, auf le weniger leicht verzichtet, als das letztere,
das der bloßen Gemäßheit. Doch wird man gut tun, mit Vor-
sicht zu Werke zu gehen und von der Aufstellung bestimmter,
das le strikt fordernder oder verwerfender Regeln lieber ganz
abzusehen. Wenn Verfasser z. B. in dem Satze Si les choses
se passent comme il le dit das le für unerläßlich erklärt, so lange
es sich um Feststellung der iVi't und Weise handelt, und behauptet,
daß comme il dit hier dit-il bedeuten würde, so stehen dem die
beiden folgenden Sätze aus A. France, Le livre de mon ami ent-
gegen, wo es p. 106 heißt: Je la (= lapension pour l'enjant) choi-
272 Referate und Rezensionen. Theodor Kalepky.
sirai comme vous diies (= ,, genau so, wie du wünschest") und p. 8
iine jolie grcwure en couleur qui representait, comme je l'ai su
depuis, Virginie . . .^) Auffällig in äußerer Beziehung darf er-
scheinen einmal, daß Verfasser bei der ganzen hier kurz be-
sprochenen Erörterung nur le berücksichtigt und nicht auch
gleich die ganz analog behandelten unbetonten Adverbien en und y
herangezogen hat (comme on peut s'en assurer oder comme je
m'y attendais) — daß ihn die Überschrift Pronoms personnels
davon nicht zurückgehalten hat, beweist die ein wenig später
(p. 6 ff.), noch in demselben Abschnitt gegebene Erörterung
von en als Ersatz vorhergenannter Substantiva bei Zahlwörtern,
nicht determinierten Adjektiven, unbestimmten Fürwörtern®) —
sodann, daß diese ganze sich auf Setzung bezhw. Nichtsetzung
von le beziehende Betrachtung räumlich getrennt von der p. 5
gegebenen Erörterung der Ellipse des Akkusativs des persön-
lichen Fürworts vorgenommen worden ist, mit der sie doch
nicht nur den Gegenstand gemeinsam hat, sondern auch in
ihrem Ergebnis, in der Feststellung der Unmöglichkeit der Auf-
stellung bindender Regeln (wenigstens, wenn man von Fällen
wie J'ai fait pour le mieiix absieht, wo faire nicht mehr ein tran-
sitives Verb ist, sondern die Bedeutung ,, verfahren" hat, wie proceder,
en user) Berührungspunkte hat. Daß mir, um auch über diesen
Abschnitt kurz etwas zu sagen, die ganze Betrachtungsweise
schwere Bedenken einflößt, das zu hören, wird kaum jemand
überraschen. Wohin soll es führen, wenn man — nicht nur bei
dem eben erwähnten faire — sondern noch in zahllosen anderen
s) Auch Plattner bringt es, trotz seiner gediegenen Kenntnis
des P'ranzösischen, fertig, a. a. O. I p. 256 die gewagte Behauptung
aufzustellen, daß ,,im eingeschobenen Satz le unentbehrlich wird,
wenn com?ne, ainsi que fehlen, z. B. Le succes, on le i'oit, n'etait rien
moins qu'assure." Dabei begegnet man nicht nur in der Unterhaltung
oder in ungezwungenen Briefen auf Schritt und Tritt einem einge-
schobenen je pense, j'espere (ohne le), sondern kann es ohne Mühe
auch in ,, literarischem" Französisch nachweisen, z. B. On reconnaitra,
fespere, dans ma prose les membres epars du poete disperse, A. France
a. a. O. p. 117 oder: On est faite d'un air, je pense, ä pouvoir dire que. .
Meliere Femmes sav. II, 4 usw.
^) Eine Erörterung, die materiell Zutreffendes bietet, aber in
der Formulierung des Sachverhalts zu wünschen übrig läßt, nicht
nur zu Beginn, in der einleitenden Bemerkung, wo es (zu verschwommen)
heißt: Le pronom adverbial en. . . s'emploie dans lesphrases d o n t
le sens est partitif (!) avec les adjectifs non accompagnes de
Varticle defini, etc., sondern auch bei der Erläuterung der Fälle ohne
en, z. B. Je garde ce cheval, et je vous cede Vautre, wo der einfache und
ohne weiteres erkennbare Tatbestand, daß bei einem durch den be-
stimmten Artikel als ,, bekannt" (vgl. Gröber, Grundriß I, 274) be-
zeichneten Seienden der Hinweis auf die Gruppe, zu der es gehört,
überflüssig ist, wenig zutreffend in folgendem Satze seinen Ausdruck
gefunden: En effet, «en» qui doit suggerer ici Videe d'une quantite in-
determinee et divisible, s'allierait mal avec un mot gouvernant determine
et cense desisner un tout non divise.
Löseth, E. 273
Fällen wie z. B. J'ai trouve. lljaiii croire, Ellipse des pronominalen
Objekts annimmt ? Was für ein Recht haben wir, von der Sprache
Setzung eines le (oder qiielque chose usw.) d a zu fordern, wo
sich im Gedankenbilde eine Objektsvorstellung gar nicht findet,
und ihr aus der Nichtsetzung den Vorwurf der Unvollständigkeit
zu machen ? Wünscht ja doch Verfasser selbst, daß Plattner I,
255 seiner auf den gleichen Punkt bezüglichen Darlegung die
Bemerkung hinzugefügt hätte, daß l'absence du pronom tient
ä ce qiie celui qiii parle pense ä l'action exprimee par le verbe, bien
plus qu'au regime (p. 5). Hätte er statt bien plus qu'au regirtie
nur lieber gleich seulertient, exclusivement gesagt, dann wäre der
Sachverhalt richtig zum Ausdruck gebracht, aber damit auch
zugleich die Nichtberechtigung der Ansetzung einer Ellipse
deutlich vor Augen geführt worden. Nun, ich brauche hier auf
die schwierige Ellipsenfrage um so weniger einzugehen, als ich
ihre eindringendere Erörterung schon vor ziemlich langer Zeit
(vgl. Zeitschr. f. rom. Phil. XXXI p. 468 Anm. 1) in Aussicht
gestellt habe und so bald wie möglich in Angriff zu nehmen
gedenke. Nur möchte ich noch hinsichtlich solcher, lediglich
auf flüchtigen Gehörseindrücken beruhender Belege wie Regardez
comme il tient ! (entendu dire par une bonne parlant d'un enfant
qui joue avec un petit fusil) zu äußerster Vorsicht mahnen. Kann
das le hinter il nicht überhört worden sein ? Ähnlich wie Deut-
schen in der Unterhaltung mit Engländern der /-Laut hinter
/ leicht entgeht, so daß sie statt l'll come to-morrow ein präsen-
tisches */ come to-morrow zu hören glauben.
Von den sonstigen etwas eingehender erörterten (nicht bloß
— wie leider so viele andere — nur flüchtig gestreiften) Punkten
scheint mir besonders beachtenswert die p. 10 gegebene Be-
sprechung von tous deux [trois etc.) und tous les deux {trois etc.)
bei der Verfasser sich auf Grund sorgsamer Prüfung und unter
reichlicher Darbietung von Beispielen zu der Ansicht bekennt,
daß il semble que l'addition de l'article . . .' tout en etant emphatique
(wie Littre behauptet), seri>e en outre, du moins dans un grand
nombre de cas, ä mettre en relief chacun des deux etres separement,
d faire ressortir leur individualite, tandis que^ par «tous deux>> ils
sont reunis en bloc et sans distinction aucune. Ich gedenke auch
diesen Fall gelegentlich einer eingehenderen Untersuchung zu
unterziehen und beschränke mich daher an dieser Stelle auf die
Aufwerfung der Frage, ob Verfasser mit den Ausdrücken sepa-
rement und faire ressortir leur individualite nicht doch zu weit
geht. Ist es, wie ich mit Gröber (vgl. d. a. 0.) glaube, die Funktion
des bestimmten Artikels, Seiende als b e k a n n t e zu bezeichnen,
auf sie als solche hinzuweisen, von denen bereits ein Bild in der
Vorstellung des Hörers vorhanden sei, dann kann er, in unserem
Falle, zwar ganz wohl die Wirkung haben de mettre en relief les
deux etres., aber nicht chacun separement., wozu eben andere Aus-
274 Referate und Rezensionen. Theodor Kalepky.
drücke dienen, z. B. Vun et Vautre, oder chacun de son (bezw.
leur) cöte. So ist es mir denn zwar wahrscheinlich, daß sich bei
genauerem Zusehen doch eine etwas andere Unterscheidung heraus-
stellen wird, als die vom Verfasser dargebotene, aber in jedem
Falle ist es mir eine um so angenehmere Rezensentenpflicht, hier
die Gründhchkeit, mit der Verfasser zu Werke gegangen, die
Sorgfalt, mit der er die zahlreich beigebrachten (freilich manch-
mal zu sehr aus dem Zusammenhang gelösten) Beispiele prüft,
lobend anzuerkennen, je weniger ich an anderen Stellen aus
meiner Mißbilligung seiner flüchtig streifenden oder sich gar mit
bloß stilistischen Bemerkungen begnügenden Betrachtungsart
ein Hehl machen zu dürfen glaubte.
Auch die giieZ-Frage, der Plattner, wie auch unser Verfasser
angibt (I p. 206 und 379), eine ziemlich eingehende Besprechung
widmet, ist p. 8 in interessanter Weise erörtert und durch ver-
schiedene Beispiele illustriert. In zutreffender Weise scheidet
Verfasser aus der Reihe der Fälle eines ,, substantivischen" quel
die beiden Sätze : Et de qiielles violences te plains-tu ? De quelles ?
und A quel titre? Quel? aus, da hier das isolierte quel(-les) ledig-
lich die Wiederholung eines vorher in Verbindung mit einem
Substantiv gebrauchten darstellt. In der Tat läßt sich in solcher
Weise jedes unselbständige Wort selbständig gebrauchen. So
habe ich mir für das doch sicher unbetonte il und on gelegentlich
folgende Fälle isolierten Auftretens notiert: II me kante, c'est
fou, mais c'est ainsi. — Qui? 11? Maupassant, Les soeurs Rondoli
117. — A peine entre, il lui donna un baiser. — Qui? II? demanda
George. P. Bourget, Cruelle enigme 121. Und ebenso (nur «Qui?
il?f> geschrieben) id., Andre CorneHs 258. — On me proposa un
j'our de me faire inviter aux soirees d' Augustine. — Qui? On? —
«Ow» parbleu! Vous le voyez d'ici: Veiernel On qui ressemble ä
tout le monde ... A. Daudet, Trente ans de Paris 47. — Aber es
finden sich doch zahlreiche Beispiele sicheren substantivischen
Gebrauchs von quel, wie: Toutes les qualites du genie frangais
sont lä. — Quelles?, so daß es wunder nehmen muß, wenn Plattner,
der davon selbst eine Anzahl aufführt, trotzdem sagt (I, p. 205 f.),
,,der Hauptunterschied zwischen quel und lequel ist, daß ersteres
adjektivisch, letzteres substantivisch ist." Wertvoller erscheint
mir der p. 205 Anm. 3 gebrachte Hinweis auf die ziemhch analoge
Sachlage im Englischen, an die ich, noch bevor ich die genannte
Stelle Plattners zu Gesicht bekommen, auch wiederholt habe
denken müssen: Qui?—who? Lequel ?= which ? und quel =
what? welclies letzteres enghsche Wort allerdings, wenn es nicht
prädikativisch in Verbindung mit to be auftritt (What are these
books?), wohl immer sein Beziehungssubstantiv zu sich nimmt
(Here are some books. — What books? und nicht what? allein,
vielleicht weil dies ja bekannthch auch die Bedeutung des lat.
quid hat). Die Bezugnahme aufs Englische scheint mir auch
LöseLh, E. 275
für die Eruierung des Unterscliiedes zwischen quel und lequel
(auf die Plattner mit Littre verzichten zu wollen scheint)'^),
einen nützlichen Fingerzeig zu bieten. Nehmen wir die von
Robert {Gr. fr. 201) gegebene, von unserem Verfasser — wie
mir scheint, mit Unreclit — beanstandete Erläuterung der Ver-
wendungsweise von quel, daß es nämlich stehe quand il s'agit
de preciser la qualite, dann läßt sich sagen: quel verlangt Be-
stimmung, Kennzeichnung der Qualitäten, lequel Bestimmung,
Angabe, Nennung der Seienden selbst.^) Wer also auf die Aus-
sage Toutes les qualites du genie frangais soiit lä fragt Quelles?
möchte zunächst eine Charakterisierung derselben haben: ,,Was
sind denn das für Qualitäten ? Welcher Art ? Wie beschaffen
sind sie ?" Dabei verschlägt es denn auch nichts, daß der Ant-
wortende, ohne sich um eine solche Nuance zu kümmern, oder
weil ihre Berücksichtigung ihm die Beantwortung erschweren
würde, gleich die Namen angibt, d. h. so erwidert, als hätte
sein Interlocuteur Lesquelles? gefragt (= ,,Nenn sie mir"):
l'unite, la mesure, la proportion, la sagesse (Plattner p. 379).^)
Doch ich sehe mit leisem Erschrecken, zu welchem Umfange
meine Besprechung bereits angeschwollen ist. Um nun dem
Leser — denn das scheint mir Rezensentenpflicht — wenigstens
Kenntnis von den verschiedenen Punkten zu geben (40 auf
18 Seiten!), die Verfasser in seiner Publikation überhaupt zur
Sprache bringt, werde ich mich für alles übrige mit bloßer Auf-
zählung und ganz kurzer Charakterisierung begnügen.
An eingehenderen Erörterungen finden sich in unserer Schrift
noch: erstens (p. 9) eine Untersuchung der Fragekonstruktionen
von dem Typus: Et eile (la biblioiheque ) rouvre quand? (hier mit
dem — aber erst in den Additions (p. 18) dargebotenen — Ergeb-
nis, daß derselbe seine eigentümliche Wortstellung der Anti-
zipierung der Form der Antwort verdankt: Elle rouvre d teile
'^) ,,Man sieht hieraus", sagt er p. 206 nach einer Aufzählung
von fünf nach seiner Meinung verschiedenen Gebrauchsarten, ,,wie
sehr Littre recht hat, wenn er quel als eines der dunkelsten, vieldeutigsten
(?) Wörter der französischen Sprache bezeichnet". Ich glaube, daß
das zu viel gesagt ist. Vgl. das Folgende.
^) Noch klarer wäre vielleicht die Formulierung: quel verlangt
Angabe der Qualität lequel Feststellung der Identität (im polizeilichen
Sinne), wozu es mir denn auch ganz gut zu stimmen scheint, daß
quel nicht vor einer Bestimmung mit partitivem de steht.
^) Muß man übrigens bei dem hier erörterten quel nicht unwill-
kürlich an chaque denken in Fällen wie Ces livres coütent 5 francs chaque,
das mit solchem Gebrauch auch aus seiner ursprünglich rein adjek-
tivischen Sphäre herausgetreten ist? Ob Plattner sein strenges Urteil:
,, Chaque (statt chacun) ist in diesem Falle ein sehr gewöhnlicher Fehler,
den auch Littre (Definition von duc im Supplement) begangen hat"
(p. 394) noch länger aufrecht zu erhalten gesonnen ist ? Wenn ja,
dann möchte ich ihn um seine Definition für das, was ,, Fehler" ist,
bitten.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII». 19
276 Referate und Rezensionen. Theodor Kalepky.
epoque)^^) sowie von demjenigen: Pourquoi tu es mechante ? Com-
hien ga vaut? Comment ga va? etc. (wofür nach einigen anderen
nicht haltbaren Vermutungen in den Additions als plausibelste
Erklärung die gegeben wird, daß darin indirekte Fragesätze,
abhängig von einem unausgesprochenen Verbum des Sagens,
Fragens zu sehen seien). Sodann (p. 13 f.) die Untersuchung
einer Anzahl Sätze, in denen sich ein ,, auffälliger", d. h. mit den
landläufigen Regeln der Grammatiken anscheinend nicht recht
vereinbarer Modus findet. Wenn Verfasser dabei mit einem
Subjonctif potentiel (z. B. in dem Satze: Notre langue allait avoir
enfin un poete lyrique dont la vie et les oeuvres ne f u s s ent pas
deux choses distinctes . . . Demogeot) operieren möchte und an
verschiedenen Fällen des Subjonctif Anstoß zu nehmen geneigt
ist — wie weiterhin an mehreren auffälligen des Indicatif — so
muß ich demgegenüber eine Forderung wiederholen, die ich schon
vor Jahren anläßlich einer polemischen Besprechung von A. Toblers
Versuch einer Erklärung des Subjonctifs in Un des bons diners
que j'aie faits, den er auf ,, numerische Nichtbestimmtheit" zurück-
führen wollte, (vgl. Verm. Beitr. II, Artikel 2) aufstellte, (vgl. Ztschr.
f. rom. Phil. XVIII, 166 Anm.), nämlich die Forderung, daß jede
Beanstandung oder Beurteilung eines Einzelfalles von Subjonctif
gegründet werden müsse auf eine Definition des Wesens, des
eigentlichen Sinnes dieses Modus. Da werden dann mit einem
Schlage solche Unterabteilungen wie conjunctivus potentialis,
die, wie es scheint, der Schuljugend beim Lateinlernen ganz gute
Dienste tun, bei der wissenschaftlichen Betrachtung völlig über-
flüssig. ,,Das und das ist die Bedeutung des Konjunktivs; die
Vorstellungsweise des vorliegenden Falles ist dementsprechend,
also ist dieser Modus hier am Platze" — so ungefähr, scheint
mir, hätte die Erklärung vor sich zu gehen. Und ich gestehe,
daß, wenn ich (statt der üblichen Regeln, die die Grammatiken,
dem Bedürfnis der Schüler und Anfänger entsprechend, auf-
stellen) auf die Wesensdefinition des Konjunktivs und des Indi-
kativs zurückgreife und etwa sage: ,,Der Indikativ ist der Modus
ausdrücklicher Konstatierung der Reahtät, der Konjunktiv der-
jenige der Ignorierung (d. h. der Beiseitelassung, Außeracht-
setzung) des Realitätsmoments" (vgl. Ztschr. f. rom. Phil. XVIII,
165), kein einziger der vom Verfasser erwähnten Sätze hinsicht-
lich des Modus irgend welche Schwierigkeit bietet. ^i) —
^'^) Hier wäre an das englische When s ha II you go ? (statt zu
erwartenden will you) zu erinnern, bei dem das shall der Antwort
sich schon geltend macht.
") S. 14 ist ein Druckfehler zu berichtigen, so ziemlich der einzige
von Belang: Es muß gleich zu Anfang der ersten Zeile U indicatif
(statt Le subjonctif) heißen. Höchstens wäre noch das fehlende se
S. 15 letzte Zeile anzuführen, da es heißen muß s e casser le nez ä ootre
parte.
Löselh, E. 217
Drittens bespricht Verfasser recht eingehend p. 16 ff. das
Verfahren der Sprache bei der Verbindung von pas oder plus
mit Adverbien wie mSme, seiilement, vraiment usw. und erörtert
die Verschiedenheit des Sinnes, die sich bei diesen Verbindungen
aus der Verschiedenheit der Stellung der Elemente zueinander
ergibt, und zwar im ganzen zutreffend, höchstens daß mir
gelegentlich das Operieren mit Intensitätsabschätzungen («pas
meine, plus mim€>>, etc. sont plus forts et ont plus de poids et de
gravite gue «m^me pas, nüme plus») statt ausschließlich mit der
solideren Bedeutungsfeststellung, Bedenken einflößt.
Von den hier noch nicht erwähnten kürzeren „Notizen" sei
zunächst eine Anzahl kleiner Berichtigungen oder Ergänzungen,
teils zu den üblichen Angaben der Grammatiken, teils zu sonstigen
Aufstellungen einzelner Fachgenossen aufgezählt: Auch heute
findet sich (im Gegensatz zu der Angabe von Haas, Nfr. Synt.
p. 185), wenigstens in der Schriftsprache, die Wendung (en)
avoir assez de ,, einer Sache überdrüssig sein" ohne en z. B. Si tu
as assez de moi, il ij a le divorce, Brieux (Ist übrigens Theater-
dialog Schriftsprache ?) (p. 8). — Das Interrogativum lequel in
sächlichem Sinne ist noch nicht, wie Darmesteter-Sudre {Cours,
p. 89) behaupten, veraltet, z. B. «^ noel» ou «d la noel». Lequel
il faut dire (heißt es in einem Index) (p. 9). — Tant que zu einem
Infinitiv mit ä wird als bemerkenswert bezeichnet, z. B. tant
qua parier de fabliaux; dies zunächst (unrichtig!) durch si tant
est qu'on parle de oder ä tant faire que de parier de erläutert und
erst in den Additions (p. 18) durch den Hinweis auf tant qu'ä
moi = quant ä moi in das richtige Licht gerückt (p. 12). — Une
soixante de chevaux in Bernstein, La rajale 1,8 — mit Recht als
Druckfehler für soixantaine bezeichnet (Fragezeichen entbehrlich!)
(p. 12). — Sätze wie Commandez le diner, mit der Antwort: Ils
auront du vin deiestable, je connais le pays stehen nur scheinbar
im Widerspruch zu Cledats Aufstellung, daß das ,, vermutende"
Futur von Hilfsverben immer — erläuternd oder bestätigend —
auf etwas vorher Geäußertes zurückweist. Verfasser löst die
Schwierigkeit durch Einschaltung des Verbindungsglieds: Je
crains leur diner, ils auront ... (p. 12). — Im Gegensatz zu Pfeiffer,
der in seiner Dissertation ,,Die Umschreibung des Verbums im
Französischen" (Göttingen 1909) p. 38 die Ersetzung einer ein-
fachen Verbform durch äre mit dem Participium präsentis nur
bis ins XVIII. Jahrh. nachweist, glaubt Verf. derartigen Aus-
drucksweisen noch im XIX. Jahrh. begegnet zu sein. Doch hat
er nur ein „sicheres" Beispiel zur Hand: Tenez, je jurerais qu'ä
l'heure oü nous parlons, il est dejä trottant par les sentiers pour
venir se casser le nez ä votre parte Sandeau, Mlle de la Seigl. I, 5,
wozu er in Klammern „engl, he is trotting" fügt. Aber auch diese
Stelle — bei der zweiten nimmt Verfasser selbst einen Druck-
fehler (poussant statt poussait) als möglich an — ist kein sicherer
19*
278 Referate und Rezensionen. Theodor Kalepky.
Beleg für seine Behauptung, da trottant ganz wohl nur modale
Bestimmung zu il est par les sentiers sein kann. Wem fällt dabei
nicht unwillkürlich Dantes «Mi ritrovai per una selva oscura»
ein ? Aber auch französisch läßt sich 6tre par = ,,in einer Gegend
sein" belegen. So heißt es bei Zola, Paris 580: «Vous savez
qu'on vient de jeter une bombe dans le cafe de l' Univers, sur le
boulevard. . .>> Alors, il conia qu'il etait par lä justement, qu'il
avait entendii Vexplosion, etc.... Pfeiffer scheint also im Recht
zu sein (p. 15 f.). — Schließlich noch (p. 16) Hinweis auf eine in
der Umgangssprache zutage tretende, aber noch zu keinem
geregelten Verfahren verdichtete Abneigung gegen die weibliche
Form der Participia perfecti der Verben auf -aindre, -eindre und
-oindre, zurückgeführt auf das Zusammenfallen einzelner von
ihnen mit Substantiven (z. B. la crainte, la plainte). Bourciez
{Rev. crit. 1902) würde la chandelle qua j'ai eteinte hinnehmen,
dagegen nicht la voiture que j'ai rejointe, sondern nur la c. qiie
j'ai re Joint sagen.
Von den zur Vervollständigung dieser kurzen Übersicht noch
aufzuzählenden Punkten, die Verfasser ,, anschneidet", bedürfen
verschiedene unbedingt noch eingehenderer Untersuchung und
reicherer Beispielsammlung. So der «Constructions relatives^
familieres» überschriebene, aus nur drei Zeilen bestehende Ab-
schnitt (p. 10), der außer la moitie quid (= de ce qu'il y a ici)
nur die Wendung enthält: Qa dependait comme ga tournerait.
Verfasser bemerkt dazu erklärend: «coi7itne» = de la manidre dont\
ou «comme» est interrogatif = comment. In der Tat habe ich
gelegentlich in solcher Verbindung comment angetroffen. So bei
Maupassant, Yvette 38: Qa depend aussi comment on se Uve (,,das
hängt auch davon ab, wie man aufsteht"). Doch welches weite
Feld eröffnet sich da für weitere Beobachtung und Sammlung
von Beispielen! Einige hierher gehörige Fälle hat A. Toblcr im
3. Artikel der leider nur begonnenen 5. Reihe seiner Verm. Beitr,
(Sitzungsber. der kgl. preuß. Ak. d. Wiss. 1909) unter dem Titel
,, Präpositionen vor Umstandssätzen" erörtert {pour quand.., de
quand..u. ähnl.). Und auch Fälle wie: Vous rappelez-vous,
quand nous parlions de l'amour, toutes les deux? (M. Prevost,
Pierre et Therese 17) würden hierher gehören, sofern hier nicht
indirekte Frage vorliegt, sondern der Gedanke ausgedrückt werden
soll: „Erinnern Sie sich noch unserer früheren Gespräche über
Liebe ?" d. h. ,, dessen, was wir sagten, wenn wir früher über
L. sprachen ?" —
Für die „Erstaunen, manchmal gemischt mit Zweifel" aus-
drückende Wendung vous m'en direz tanti (p. 11), die Verfasser
durch pas possible ! erläutert und für die er die vollständige
Form in (A. Dumas pere, Le laird de Dumbiky I, 3) Monsieur,
vous m'en direz tant que je ne vous croirai plus zu finden glaubt
(was ich aber mehr für eine scherzhafte Weiterbildung halten
Löselh, E. 279
möchte), und zu der ihm die — Conditionnel aufweisende — Form:
vous en diriez tant (bei Alexandre, Les mots qui restent, 182) eine
«Itere Ausdrucksweise zu sein scheint (die Verfasser zu: que
vous ni'en persuaderiez vervollständigen will) — möchte ich auf
die Mögliclikeit der Ergänzung durch que je ne voiis croirai(s)
pas hinweisen in dem Sinne: ich werde (würde) es Ihnen doch
nicht glauben (vgl. Je le pourrai(s), que je ne le ferai(s) pas).
Doch läßt sich auch dieser Fall erst durch weitere und eindrin-
gendere Untersuchung erledigen. — Solche Nachprüfung gedenke
ich gelegentlich selber vorzunehmen für die p. 12 beanstandeten
Fälle der Satzung von que (statt de) nach plus und moins vor
Zahlbestimmungen (une question encore^ mais pas plus qu'une . .
oder il est plus que huit heures) (die mir nur scheinbar Ausnahmen,
nur bei ungenauer Formulierung der,, Regel" dieser widersprechend
zu sein scheinen), sowie für die sehr schwierige, p. 14 f. kurz,
allzukurz, erörterte Frage nach der wahren Natur der heutzutage
nebeneinander bestehenden Ausdrucksweisen // fait boii vivre,
de vivre und ä vivre. —
Bezüglich der — übrigens von Tobler (F. B. III, 140) doch
offen gelassenen — Frage, ob autant dire besser durch valoir
oder durch Hre ergänzt werde, vermag ich in der Beibringung
von Sätzen mit autant que und Subjonctif z. B. la route de Chaillot
est tout ä fait deserte: autant que vous all i e z vous promener
dans la jorit de Bondy (p. 15) ein durchschlagendes Argument
zugunsten von valoir doch nicht zu sehen, da nach *autant est
que der Subjonctif ebenso stehen müßte wie nach autant vaut
que. Aber ich neige, in Übereinstimmung mit dem Verfasser,
auch der Ergänzung mittels valoir zu, da sich ja oft genug ein
ausdrückliches il vaut dire findet. So z. B. Pierre! il a vingt-
neuf mois, madame. — // i^alait autant dire deux ans et demi . .
(,,Es hätte ebensogut zwei ein halb Jahr heißen können") A.
France, Le livre de m. a. 240. — Die Setzung von /e, la, les als
Prädikatspronomina, mit Beziehung auf bestimmte Seiende
(Tant que tu seras nia femme pour tout le monde, tu l a seras aussi
pour moi u. ähnl.) bedurfte sicher keines besonderen Nachweises
mehr, noch auch der Motivierung: «Le» au Heu de «la» serait par
trop maigre. Sie ist seit langem feststehende Regel (vgl. Lücking,
Frz. Gr. § 210, Plattner I § 307 u. a.). Freilich fehlt ihre Er-
wähnung in Haas, Nfrz. Syntax § 169, wo nur noch von le die
Rede ist, das ,,in bezug auf ein Prädikatsnomen" stehe, ,, gleich-
gültig, ob dieses ein Maskuhnum oder Femininum, ob es Einzahl
oder Plural ist" (vgl. die Rezension Bd. XXXVI, H. 6, p. 168
dieser Ztschr.). — Schließlich — das ist dann aber auch der
aller letzte Punkt — wäre der p. 6 versuchten Anzweiflung
von Rodhes Behauptung, daß üui quinzieme» (statt mvec quatorze
compagnons) eine veraltete Wendung sei — unter Berufung auf
Elle troisidme, eile se disputait le coeur de B. avec une lady (aus
280 Referate und Rezensionen. D. Behrens.
einem modernen Werke über Byron) — entgegenzuhalten, daß hier
das Elle troisieme doch wohl nicht Elle avec deux compagnes,
sondern Elle etant troisieme dans ce groiipe d'amis (etwa „sie als
dritte im Bunde") bedeutet.
Schlachtensee. Theodor Kalepky.
1. Odin, ItOuise. Glossaire du patois de Blonay. Preface de
Ernest Muret. Public avec l'appui de la Gon-
federation et de la Commission du Glossaire des patois
de la Suisse romande. Lausanne, Georges Bridel & Cie.
Editeurs 1910. XII, 714 S. 8«. Prix: 12 fr. [Memoires
et Documents publies par la Societe d'histoire de la
Suisse romande].
S. Boillot, F". Le patois de la commune de La Grand' Combe
( Doubs). Ouvrage illustre de 63 gravures et de 2 cartes.
Paris, Librairie ancienne Honore Champion. 1910.
L, 394 S. 8°. Prix: 15 fr.
3. l<ecoiiile, Cli. Le parier dolois. Etüde et Glossaire des
Patois compares de l'arrondissement de Saint-Malo suivi
d'un releve des locutions et dictons populaires. Paris,
Honore Champion, 1910. 241 S. 8«. Prix: 5 fr.
[Contribution ä l'etude des Litteratures orales].
4. Ravanat, Albert. Dictionnaire du patois des environs
deCrenoble. Grenoble, Jules Key, 1911. 199 S. Gr. 8».
5. ]>aire, Le Pero. DicHonnaire picard gaulois et frangois.
Contenant aussi les mots gaulois approchants le plus
du dialecte de la Picardie avec leur signification en
frauQois. Ouvrage indispensablement necessaire ä tous
ceux qui, par necessite, par etude, par plaisir ou par
etat, se trouvent dans le cas de dechiffrer les archives.
Mis en ordre, complete et public d'apres le manuscrit
autographe p. A. L e d i e u. Paris, H. Champion, 1911.
LVII, 166 S. 8».
1« Nicht nur unter den hier verzeichneten, sondern unter
den überhaupt bis jetzt veröffentlichten Mundartwörterbüchern
des gallo-romanischen Sprachgebietes nimmt dasjenige Louise
O d i n's einen wichtigen Platz ein. Als „le plus grand evenement
dans le domaine de nos etudes speciales" wird es von der Redaktion
des Glossaire des patois de la Suisse Romande in ihrem 12. Jahres-
bericht bezeichnet. Das darin in sorgfältiger phonetischer Um-
schrift mitgeteilte, überaus reichhaltige Sprachmaterial, das auf
dem engbegrenzten Gebiet der Gemeinde Blonay im Kanton
Vaud gesammelt und der Umgangssprache direkt entnommen
wurde, ist für linguistische wie für volkskundliche Studien in der
Odin, Louise. 281
Tat von außerordentlichem Wert. Leider sollte die Verfasserin,
Mutter des als Professor in Sophia früh verstorbenen Romanisten
Alfred Odin, das Erscheinen des Werkes nicht mehr erleben.
Sie starb am 29. Januar 1909, nachdem die Drucklegung des
Glossaire nahezu beendet war. Über ihre schweren Lebens-
schicksale sowie über Entstehung und Veröffentlichung ihres jetzt
vorliegenden Lebenswerkes unterrichtet Ernest Muret im Vor-
wort in sehr sympathischer Weise.
3. Recht wertvoll ist auch F. Boillot's Buch über die Mund-
art von La Grand' Combe im Departement Doubs. Wie in
L. Odin's Glossaire wird hier ein der Umgangssprache direkt
entnommenes Sprachmaterial in sorgfältiger phonetischer Um-
schrift mitgeteilt und gehört wie dort einem genau bestimmten,
geographisch eng begrenzten Bezirk an, über den zwei Karten
detaillierte Auskunft geben. Den Inhalt bilden außer einer zu
breit angelegten und zu allgemein gehaltenen Einleitung (p. I — L)
Bemerkungen zur Formenlehre und Syntax (p. 1 — 39), für die
Rabiet's bekannte Studie über das Patois von Bourberain als
Vorbild diente, ein durch 63 gute Abbildungen illustriertes
Vocabulaire (p. 40 — 312), das, ohne auf Vollständigkeit Anspruch
zu machen, ein reichhaltiges Material bietet, mehrere nach Be-
griffskategorien angeordnete Wörterverzeichnisse (p. 313 — 349),
eine sehr willkommene Wiedergabe der im Atlas Linguistique
enthaltenen Wörter und Redensarten in der Lautform der be-
handelten Mundart und einige Textproben in phonetischer
Transskription.
3. Den Hauptinhalt des Buches von Lecomte bildet ein
Glossaire der Mundart von Dol im Arrondissement St. Malo,
Departement Ille-et-Vilaine. Voran geht eine kurze grammatische
Einleitung (p. 1 — 32: Essai de Classification des mots. Remarques
sur les lettres. Morphologie et Syntaxe). Den Schluß bildet
ein Anhang (p. 221 — 241) enthaltend: Locutions vicieuses, Ex-
pressions populaires et Locutions proverbiales, Adages et Compa-
raisons, Proverbes et Dictons usw. Das Material wurde, wie
Verf. im Vorwort bemerkt, der gesprochenen Sprache entnommen,
,,scupuleusement verifie et transcrit sans retouche." Leider
wird der Wert dieses Materials für uns dadurch sehr verringert,
daß Verf. dasselbe, statt sich eines rationellen Transkriptions-
verfahrens zu bedienen, in der Orthographie der Schriftsprache
wiedergibt. Wo Verf. auf sprachgeschichtliche Fragen eingeht,
geschieht es in ganz unwissenschaftlicher W'eise, indem er den
Sprachstand der Mundart rein äußerlich mit demjenigen der
Schriftsprache vergleicht.
4. Das nach dem Tode seines Verfassers, Ravanat, von
Emile Robert herausgegebene Dictionnaire du patois des environs
de Grenohle liegt in eleganter Ausstattung vor. R. hat aus-
282 Referate und Rezensionen. W. Haape.
drücklich darauf verzichtet, ein „gelehrtes" Buch zu schreiben.
Er bemerkt im Vorwort: ,,^7 est bien entendu qu'il ne s'agit pas
ici de faire oeuvre d'erudition, mais seulement ceuvre utile, patrio-
tique m&me. . . Mon but, c'est de preserver tout d'abord le mot patois
d'une perte irreparable et pour cela de le recueillir pieusement
comme un veritable document historique pendant qu'il est temps
encore, ensuite, si faire se peut, de l'intercaler pratiquement dans
un membre de phrase qui puisse en fixer ä tout jamais la veritable
signification." Es werden dementsprechend Belege aus der
Literatur der Mundart für die Mehrzahl der aufgeführten Wörter
mitgeteilt. Die graphische Wiedergabe der letzteren erfolgte
nach „besonderen Regeln", die leider nicht näher dargelegt
werden. So bleibt es beispielsweise unverständlich, weshalb
neben bo (boeuf) als besonderes Wort gleichbedeutendes bd, wes-
halb neben bisi (,,le vent du Nord, celui qui nous apporte le beau
temps") als besonderes Wort bizi (,,la bise, le vent en general,
mais surtout le vent du Nord") verzeichnet wird. Was die An-
ordnung des Materials angeht, so wirkt besonders störend, daß
die Formen des Verbums bald unter dem zugehörigen Infinitiv,
bald jede für sich, in der Reihenfolge des Alphabets erscheinen.
5. Fast ausschließlich noch für die Geschichte der Lexiko-
graphie von Interesse ist das von Alcius Ledieu aus dem Nachlaß
des Coelestinerpaters Daire (1713 — 1792) veröffentHchte alt-
und mittelfranzösische Dictionnaire Picard, Gaulois et FranQois,
welches an das von L. Favre 1875 ff. herausgegebene sehr viel
umfassendere Wörterbuch La Curne de Sainte-Palaye's erinnert.
Ausschließhch der den Buchstaben A umfassende Teil hat eine
eingehendere Behandlung erfahren, von B ab gibt Verf. nur noch
eine trockene Aufzählung von Wörtern mit Angabe der Bedeutung
und mit vereinzelten Belegen, resp. Hinweisen. Über Daires
Leben und seine zahlreichen Werke handelt Ledieu eingehend
in einer 53 Seiten umfassenden Einleitung. Gründe der Pietät
bestimmten ihn das vorliegende Wörterbuch vollständig zum
Abdruck zu bringen, obwohl ihm G. Paris den einsichtsvollen
Rat erteilt hatte, nur die bei La Curne de Sainte-Palaye und bei
Godefroy fehlenden Wörter zu veröffentlichen. Letztere irgend-
wie besonders kenntlich zu machen, hätte sich auch so empfohlen.
D. Behrens.
BeriLhardt, F. W. Auswahl aus Alfred de Musset. Mit bio-
graphischer Einleitung, Anmerkungen und einem Bildnis.
Berlin, Weidmann, 1910. 135 S. und 24 S. Anmerkungen.
Preis 1 Mk. 60 Pfg.
Eine Schulausgabe, die auch für die Privatlektüre Erwachsener
bestimmt und in etwas größerem Maßstab angelegt ist als die in Band
XXXV dieser Ztschr. (J. 1909) angezeigte Schulausgabe von Wers-
hoven (A. de Musset pages choisies). Sie umfaßt 1. Poesie lyrique —
Bernhardt, F. W. 283
Venise, Jmpromptu, Tristesse, A mon ami Alfred T., Rappelle- toi,
Derniers vers de Musset, ferner Bruchstücke aus den Nuits, der lettre
ä Lamartine, Souvenir, Mi-carenie, Silvia — - 2. Prose — un souper
chez Mlle Rachel, Pauline Garcia et Rachel Felix, Le Poete aus Le Poetle
et le Prosateur, histoire d'un merle blanc. — 3. Theätre. Fantasio. II
faut qu'une porte soit ouverte ou ferniee. Man darf das hübsch ausge-
staltete Büchlein willkommen heißen als Beitrac: zur Einführung in
die Musset'sche Poesie und zur Erleichterung des Verständnisses
derselben. Die Stücke sind gut gewählt; sie sind für Mussets dich-
terische Eigenart bezeichnend. Nur das Stück Le poete ist vielleicht
für den Zweck des Buchs weniger geeignet; es gibt eine allzu sub-
jektive, einseitige, durch augenblickliche Stimmung beeinflußte Schil-
derung des poete, des Dichters „qui parle en rimes'\ im Gegensatz zum
Prosaiker, also auch zum Romandichter und zum Verfasser von Prosa-
Dramen.
Die Einleitung (22 S.) ist eingehend und mit Wärme geschrieben
und gibt ein gutes Bild von dem Lebensgang und den Werken des
Dichters. Einige nicht sehr wesentliche Bemerkungen seien mir
der Genauigkeit wegen gestattet: S. 3 heißt es, die Preisschrift,
die Musset als Schüler gefertigt, habe gehandelt „de Vorigine de nos
sentiments". Die Arbeit — abgedruckt in der neuen Ausgabe von
Bire — war in lateinischer Sprache geschrieben; das Thema lautete:
Quaenam sint judiciorum motiva? An cuncta ad unum possint reduci?
S. 12. Die beiden Gedichte Une boune fortune und Lucie möchte
ich nicht als ,, mäßige" Erzeugnisse des Dichters bezeichnen.
S. 14. Die nuit venitienne wurde am 1. Dezember 1830, nicht
1831, aufgeführt.
S. 19. Die Äußerung von H. Heine, daß Musset so unbekannt
sei wie ein chinesischer Dichter, wird von Mme Jaubert aus dem Jahre
1835 (nicht 1839) berichtet.
S. 20. Die Artikel über Jean Paul im Temps sind nicht als Teil
der Revue fantastique, sondern für sich unter dem Titel Pensees de
Jean Paul erschienen. Poesie 1 y r i q u e. Impromptu S. 31 Z. 6.
Ecouter s a n s son coeur Druckfehler für d a n s son cceur.
Zu den Anmerkungen: S. 6La chaumiere incendiee: Der
Landmann sieht nicht nach seiner Rückkehr sein Hab und Gut in
Flammen aufgehen, sondern er sieht bei seiner Heimkehr die Zer-
störung schon vollendet.
S. 9. Rappelle-toi ist nicht zu einer Mozart-Arie gedichtet, son-
dern einem deutschen Liede, verfaßt von Max von Knebel, komponiert
angeblich von Mozart, in Wirklichkeit von L. Schneider, nach-
gedichtet (vergl. den vom Herausgeber angeführten Aufsatz des
Unterzeichneten in dieser Ztschr. Bd. 34, 1).
S. 13 Z. 233. Uinvasion: „Der Einfall der Verbündeten 1805."
Die Jahreszahl ist offenbar ein Druckfehler für 1814.
S. 14 Z. 374. Percgrinations cruelles: Da die histoire d'un merle
blanc schon 1842 geschrieben wurde, kann hier die Verbannung
Victor Hugos vom Jahre 1851 bis zum Sturz Napoleons IIL nicht
gemeint sein.
S. 16 Z. 735. Oh! que mon genie füt une perle et que tu fusses Cleo-
pätre! Nach der Anmerkung hätte Kleopatra dem Antonius eine
Perle in Essig aufgelöst zu trinken gegeben. Ich kenne die Anekdote
in der Gestalt, daß Kleopatra selbst die Perle trinkt; so ist die An-
spielung verständlich, andernfalls nicht.
In „Fantasio'' (S. 108 Z. 948) sagt der Held des Lustspiels: der
Zufall hat dem einfältigen Prinzen von Mantua eine Krone auf den
Kopf fallen lassen „comme Vaigle d' Eschyle sa tortue". Es ist eine
Anspielung auf die Sage, wonach Aeschylus durch eine Schildkröte,
284 Referate und Rezensionen. August Sturnijels.
ihm die auf das Haupt fiel, seinen Tod fand. In einer Schulausgabe
wäre wohl eine Erläuterung der Anspielung ani Platze gewesen.
Den Anmerkungen sind einige metrische Übersetzungen Musset-
scher Gedichte beigefügt. Es ist gewiß nichts dagegen zu erinnern,
wenn den Schülern gute Übertragungen vorgeführt werden, die den
Geist des Dichters getreu und mit dichterischem Schwung wieder-
geben. Die mitgeteilten Übertragungen entsprechen aber nicht durch-
weg diesen Erfordernissen. Mussets Lyrik ist überhaupt sehr schwer
zu übersetzen, namentlich die kleinen Gedichte mit den leichtbewegten
kurzen Verszeilen. Auch Freiligrath, dem wir so treffliche Über-
setzungen verdanken, hat mit Musset nicht viel Glück gehabt. Man
vergleiche z. B. das Gedicht Vcnise mit der (im Buche mitgeteilten)
Freiligrath'schen Übersetzung:
Dans Venise la rouge
Pas un bateau qui bouge
Pas un pecheur dans Ceau,
Pas un falot pp.
Venedig stolz von Blicken,
Kein Roß auf deinen Brücken,
Kein Fischer am Gestad,
Kein Licht am Pfad etc.
(Hahn übersetzt weit besser:
Nun gleiten durch das rote
Venedig keine Boote —
Kein Fischer rings und kei
Laternenschein.)
In dem weiter folgenden ,Jmpro7nptu" (Qu'est-ce que la poesie) —
übertragen von Hahn — ist
Chasser tont souvenir et fixer la pensee
übersetzt:
Erinn'rung flie h'n und ihren Geist gestalten.
(Wie dies zu machen wäre, ist mir unklar.) Der Sinn des Verses dürfte
sein: jede Erinnerung, die ablenken könnte, verbannen und die Ge-
danken sammeln, konzentrieren.
Aimer le vrai, le beau, chcrcher leur hannonie,
Ecouter dans son cceur Vecho de son genie:
Des Wahr' imd Schönen Harmonie beschwören,
Im tiefsten Herzen Geisterstimmen hören.
N icht Geisterstimmen hört der Dichter, sondern die Stimme seines
G eistes.
W. Haape.
Ein neues Lesebuch für den französischen Sprach-
unterricht.
Herrig, li. La France Litteraire. Edition abr^g^e. Morceaux
choisis des grands öcrivains frangais du 17e au 20e siecle
par Eugene Pariselle. Braunschweig, G. Wester-
mann. Preis geb. 3,50 Mk.
Da die große Ausgabe des bekannten Lesebuchs La France Litte-
raire von Herrig-Burguy-Tendering in der Tat zu um-
fangreich ist, als daß sie in den drei oberen Klassen unserer höheren
Schulen entsprechend ausgenutzt werden kann, so hat sich der Verlag
zur Herausgabe einer neuen kürzeren Ausgabe entschlossen. Die Be-
zeichnung derselben als Edition abregee kann die Vorstellung erwecken,
daß es sich um einen bloßen Auszug aus der großen Ausgabe handle.
Zwei neue Realienbücher. 285
Dem ist jedoch nicht so, da nur ein kleiner Teil der Texte eine Kürzung
gestattete und die meisten Stücke durch neue ersetzt werden mußten.
Daß bei dieser Auswahl, die das neunzehnte Jahrhundert mit Recht
bevorzugte, stets sehr geschickt verfahren wurde, können wir bei
aller Anerkennung des Geleisteten nicht zugeben. Die schönen, be-
sonders für die Schule und Erziehung geltenden Grundsatze »multum,
non multa« und »qui trop embrasse mal etreint« wurden nicht immer
im Auge behalten. Vollständig wegfallen konnten Malherbe, La
Rochefoucauld, Le Sage, Buffon, Bernardin de Saint-Pierre, Thierry,
G. Sand, Th. Gautier. Mit der gekürzten Wiedergabe je eines Dramas
yon Corneille (le Cid), Moliere (les Femmes Savantes) und Racine
(Athalie) kann man einverstanden sein; jedoch wird zur vollständigen
Lektüre je eines weiteren Dramas der klassischen Periode daneben
keine Zeit bleiben. — Fr. Copp^e hätten wir lieber durch la Greve des
Forgerons oder la Veillee vertreten gesehen.
Der durchaus französisch abgefaßte Kommentar gibt in aller
Kürze die Biographien der vertretenen Schriftsteller nebst Würdigung
ihrer literarischen Bedeutung und ferner die zur Vorbereitung der
Texte nötigen historischen, geographischen und sprachlichen Hinweise.
Erläuterungen ästhetisch-kritischer Natur sind dem Lehrer überlassen.
— Beachtenswert ist dann noch die äußere Ausstattung dieses Lese-
buchs: es sind ihm 16 schöne Abbildungen von berühmten Pariser
Bauwerken und französischen Landschaften, ein Plan von Paris und
eine Karte der Departements in Buntdruck beigegeben.
Zwei neue Realienbücher für das Studium des
Französischen.
1. Bornecqne, H., et Böttgers, B. La France d" Aujourd'hui.
Avec 101 illustrations et 4 cartes ou plans. Prix 4 Mk. Wien,
F. Tempsky und Leipzig, G. Frey tag, 1910. — 258 Seiten.
2. Cr^tin, P. M. La France, Passe, Present, Avenir. Ouvrage
presentant un tableau de l'evolution historique, litteraire,
artistique de la France, de sa Situation politique, adminis-
trative, demographique, materielle, morale, intellectuelle,
militaire, economique, etc., et quelques considerations sur
son avenir. Avec 10 graphiques, 2 cartes et un plan. 1910,
Leipzig et Berlin, B. G. Teubner. — 184 S. Preis 2,40 Mk.
Diese beiden Bücher behandeln etwa dieselben Stoffe; jedoch sind
Auswahl, Art und Sprache der Darstellung oft sehr verschieden und
zwar besonders mit Rücksicht auf die Kreise, für die sie bestimmt.
Bornecque richtet sich besonders an die oberen Klassen unserer höheren
Lehranstalten, wie der Verfasser in der Vorrede bekennt; doch wird
das Buch trotz der Schönheit seiner Ausstattung da viel weniger
Anklang finden als bei den ,, reiferen Personen, die das heutige Frank-
reich gut kennen lernen wollen" und deren Berücksichtigung den Ver-
fasser in erster Linie geleitet. Von der Verwendung in unseren Ober-
klassen kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil die gründliche
Behandlung bestimmter Werke der französischen Literatur keine
Zeit zur entsprechenden Ausnutzung einer solchen Realienkunde übrig
läßt, dann weil diese in der Auswahl und sprachlichen Behandlung
gewisser Stoffe (Organisation judiciaire, Venseignement, armee et marine,
finances, le mouvement litteraire, r Institut u. a.) weit über das in höheren
Schulen Faßbare und Erreichbare hinausgeht. — Der historische Ab-
schnitt führt in großen Zügen von Ludwig XIV. bis 1907. Der geogra-
phische Abschnitt verweilt besonders eingehend bei Paris. In dem
Teil „Organisation de la France'' wird besonders der Unterricht auf
286 Referate und Rezensionen. Augiisl. Sturmjels.
allen Stufen behandelt. ,.La France litteraire,'' in theälre, roman,
critique und poesie eingeteilt, führt die bedeutendsten Schriftsteller
seit 1880 in der abstrakten, oft verschwommenen Ausdrucksweise der
neueren französischen Kritik und Literarhistoriker vor. — Dann
folgen les beaux-arts depuis 1880 und V Institut. — Der letzte Abschnitt,
la vie et les mceurs frangaises betitelt, umfaßt die Kapitel chemins de
fer, la vie materielle (les repas), la vie intellectuelle (journaux, revues,
cours, theätrc), le caractere franr.ais und les fete.t. Angenehm aufge-
fallen ist uns dabei besonders die Offenherzigkeit, der Freimut, mit
dem der französische Nationalcharakter unter steten positiven Hin-
weisen auf geschichtliche Ereignisse beurteilt ist. — Ein Anhang
orientiert über Übungskurse für fremde Studenten, den Postdienst
und die Abfassung von Briefen.
Das Buch kann allen denen empfohlen werden, die, auf positive,
durch Studium, Lektüre, Reisen und Erfahrungen erworbene Kennt-
nisse gestützt, einen Überblick über die Geschichte, die Geographie,
die Verfassung, die Wehrkraft, Kunst und Literatur, das Bildungs-
wesen und das Alltagsleben des heutigen Frankreich genießen wollen.
— Wenn jedoch der Verfasser seinen Lesern gleichzeitig die Gelegen-
heit geben wollte, ,,de connaitre la langue usuelle, teile que Vecrivent
aujourdliui les FranQois cultives", so hat ihn diese Absicht oft zu Satz-
konstruktionen verleitet, die die Feile des klaren französischen Stiles
vermissen lassen.
Das Buch von C r e t i n ist für Handels- undGewerbeschulenbestimmt.
In seinen Abschnitten über die Geographie, den Boden, die Bevölkerung,
die Erzeugnisse, Handel, Gewerbe und Kolonien gibt es deshalb ein
reicheres Material, meistens in Verbindung mit statistischen Angaben.
Die historischen Abschnitte über die politische Geschichte sowie über
die Literatur und Kunst gehen im Gegensatz zu den betreffenden
Kapiteln bei Bornecque auf die Anfänge der Entwicklung zurück. —
Im Anschluß an die Besprechung der jetzigen wirtschaftlichen und
politischen Lage Frankreichs und der Gefahren, die es in Gestalt der
Entvölkerung und des Alkoholismus bedrohen, eröffnet der Verfasser
Ausblicke auf die Zukunft, die da wahrscheinlich zu einer Union Europas,
zunächst wenigstens auf wirtschaftlichem Gebiete, führen werde. —
Eine Schilderung von Paris schließt das Buch ab. — Das Ganze ist in
dem Ausdruck des konzisen wissenschaftlichen, allerdings oft auch
trockenen Stils gehalten, leider aber durch eine unverzeihlich große
Anzahl von Druckfehlern entstellt.
Kiene, Paul, Gymnasialprofessor a. D., Pasing bei München,
Der unheilvolle Konflikt. Zur Reform des französischen Sprach-
unterrichts. München, Verlag der ärztlichen Rundschau
Otto Gmelin, 1910. — 73 S. Preis 1,40 Mk.
Der Verfasser geht von der Tatsache aus, daß am bayerischen
humanistischen Gymnasium der französische Unterricht erst in Unter-
sekunda beginnt und sich in Sekunda mit 3, in Prima mit 2 Stunden
begnügen muß, während alle anderen deutschen Staaten ihn schon in
Quarta beginnen lassen und z. B. Preußen ihn in Sekunda und Prima
mit je 3 Wochenstunden ausgestattet hat. In der Schlußprüfung
der Progymnasien, nach Ablauf der Untersekunda, also nach etwa
100 Stunden Französisch, wird für dieses Fach eine Hinübersetzung
verlangt, deren deutscher Text im Auftrag der obersten Schulbehörde
von einem Herrn für alle Anstalten bestimmt wird. ,,An 15 der Pro-
gymnasien hat das Französische irgend ein klassischer Philologe, der
seit Verlassen des Gymnasiums nie eine Prüfung aus dem Fach ablegte,
nie einen Nachweis über leidlich richtige Aussprache erbrachte." Seit
1901 verlangt ein neues Lehrprogramm für die schriftliche Reife-
Kiene, Paul. 287
Prüfung der humanistischen Vollgymnasien die Übersetzung eines
französischen Prosatextes von mäßiger Schwierigkeit in das Deutsche
und die Übersetzung eines „stilistisch einfachen" Textes in erzählender
Form in das Französische. Von vielen Neusprachlern ist nun dringend
für die Prima eine 3., für die Untersekunda eine 4. französische Stunde
verlangt worden. Diesen Tatsachen und Wünschen gegenüber nimmt
nun der Verfasser Stellung in seinen allzu breitspurigen und oft unklaren
Ausführungen. Das Ergebnis dieser ziemlich dispositionslosen Aus-
führungen ist etwa das folgende: man kann sich mit den 3, bezw. 2
Stunden in Sekunda, bezw. Prima begnügen; doch müssen starke
Untersekunden während der ersten (also Winter-) Monate für das
Französische geteilt werden; gruppenweise Lautschulung in halben
Nebenstunden während der ersten 5 bis 6 Monate legt den Grund zu
guter Aussprache für die ganze Schulzeit; der Unterricht darf nur
von Herren gegeben werden, deren Aussprache richtig ist. Von Laut
zu Laut, von Wort zu Wort schreitend, geht der Unterricht zum Zahl-
wort, Hauptwort, Zeitwort; ,, geschrieben wird nie; das gedruckte
Wortbild haben die Schüler stets vor Augen." Die erste schriftliche
Erprobung, aus einzelnen Worten und Wortverbindungen bestehend
und nur 1/4 Stunde während, findet nicht vor dem 3. Monat des Anfangs-
unterrichts statt. ,,Nach der ersten Probearbeit geht es zu neuen Worten,
kurzen Sätzen, welche die Schüler allmählich so sprechen sollen, daß
einsichtige Franzosen ihre Freude daran haben sollen." Mit Recht ver-
Vvirft der Verf. für die erste Zeit alle Übersetzung aus dem Deutschen;
,,sie wäre gleichbedeutend mit Verzicht auf gute Aussprache." —
,,Von der Beendigung des Sätzelernens an dient die ganze Zeit, dienen
in Prima beide Wochenstunden der Lektüre und ihrer Verarbeitung."
Also: ,, Lautschulung bis zur Vollkommenheit, durch Sätzelernen
zum Schriftsteller." Was die schriftlichen Arbeiten in Prima anlangt,
so sind es Hinübersetzungen von Stellen der Prosalektüre, vom Lehrer
mit Rücksicht auf vorher bezeichnete grammatische Abschnitte ge-
formt und mit eigenartigen, vorher mündlich geübten Wendungen
ausgestattet. Mit dem größten Optimismus spricht der Verf. von den
guten Folgen seiner Behandlung, die ja wohl möglich sind, wenn der
Lehrer die geeignete ,, Persönlichkeit" ist, auf die es nach S. 24 mehr
ankommt als auf die ,, Methode": ,, schiefe Körperhaltung, Kurzsichtig-
keit, schlechte Schrift befördert dieser Arbeitsplan nicht; Schüler
und Lehrer verausgaben ihre Arbeitslust nicht mit der Fertigung und
Verbesserung schriftlicher Hausaufgaben; Neigung zur Unredlichkeit
entsteht nicht; nach jahrelanger Vernachlässigung erleichtert diese
Methode im späteren Leben eine wieder aufgenommene Beschäftigung
mit dem Französischen". Kiene ist von der Leistungsfähigkeit seiner
persönlichen ]\Iethode so sehr überzeugt, daß er die von Fachkollegen
verlangte 3. Primastunde ablehnt, und zwar in demselben Atem, in
dem er das Dictee eines französischen, von München gesandten Textes
als Bestandteil der schriftlichen Reifeprüfung zurückweist. Die Be-
gründung hierfür ist sehr drollig: ,,Wenn der Lehrer des Französischen
krank ist, wer liest dann das Diktat vor? Ein Fachkollege, der anders
spricht, dessen Aussprache den Schülern fremd ist?" Diese naiven
Fragen lassen durchblicken, daß der Verf. seine gute Aussprache sogar
bei Fachkollegen selten zu finden glaubt, während doch eine richtige
Aussprache als etwas Festes, Unabänderliches mindestens bei Neu-
sprachlern vorauszusetzen ist und demnach eine gegenseitige Ver-
tretung die Schüler nicht sofort aus dem Konzept bringen darf. — Un-
verständlich ist mir auch der Eifer geblieben, mit dem der Verf. gegen
die für die Untersekunda der Gymnasien verlangte 4. Stunde kämpft.
Oder ist dabei engherziger bayerischer Partikularismus im Spiel, der
vor ,, blinder Nachahmung württembergischer, preußischer Verhält-
nisse" (S. 33) warnen zu müssen glaubt ? Diesen Verdacht legt besonders
288 Referate und Rezensionen. August Sturmfels.
das auf S. 43 Gesagte nahe: „Der aus dem deutschen Norden er-
tönende Ruf nach Herabsetzung der Stundenzahl der Neusprachler
zwingt zur Annahme, daß es an großen preußischen Schulen um die
Aussprache der Schüler nicht gut bestellt ist. Der herrliche Rat der
Lehrpläne, einen Teil dessen, was früher der schriftlichen Hausarbeit
zufiel, bei richtiger methodischer Behandlung in die Schule zu ver-
legen, scheint noch himmelweit davon entfernt zu sein, dort, wo er
auf dem Papier steht, auch zu leben. Daß an preußischen Anstalten
die Lautschulung im argen liegt, wird offen zugegeben." — Wie wäre
diese auch möglich, wo doch Kiene, der Erfinder der ,, Zauberwirkung
der Lautschulung" (S. 41) bisher bescheiden nur in IBayern gewirkt
und von seiner alle Rätsel lösenden Methode geschwiegen hat?
Mit Freuden können wir dem Verfasser zustimmen, wenn er
die Gleichheit derselben schriftlichen Maturitätsaufgabe für alle
Schulen des Landes ,,ohne stilistische Schwierigkeiten" bekämpft,
die Möglichkeit der Einfügung eines realgymnasialen Unterbaus in
das Gymnasium, bezw. Progymnasium befürwortet und im Interesse
einer guten französischen Lautschulung die Verwendung von Neu-
sprachlern auch für den Lateinunterricht der Progymnasien verlangt.
Buckeley, Joseph. Prüf ungs- Aufgaben für das Lehramt der
neueren Sprachen in Bayern. Nürnberg, Karl Koch 1910.
L Teil: Übersetzungen in die fremden Sprachen. 98 Seiten;
geheftet 1,50 Mk. — IL Teil: Diktate und Übersetzungen
aus den fremden Sprachen. 117 Seiten, geh. 1,50 Mk.
Der Titel vorliegender Sammlung ist falsch und kann irre führen;
der erste Teil enthält nicht etwa französische oder englische Texte,
sondern die deutschen Texte der seit 1873 in Bayern gestellten
Prüfungsarbeiten für das Französische und Englische. Diese Texte
tragen den Charakter geschichtlicher und literaturgeschichtlicher
Darstellung und sind zum Teil Lessing, Ranke, Treitschke, Schiller,
Weber, Stacke, Gervinus, Bismarcks Gedanken und Erinnerungen
entnommen, zum Teil wohl von den prüfenden Professoren zusammen-
gestellt. Da sie in Wortschatz und Satzbau die Schwierigkeiten bieten,
die in der Prüfung für das Lehramt der neueren Sprachen im allge-
meinen auf Deutschlands Hochschulen bewältigt werden müssen,
so kann diese Sammlung wohl auch nichtbayerischen Kandidaten zur
Vorbereitung empfohlen werden.
Der zweite Teil enthält die von 1873 bis 1909 gegebenen franzö
sischen und englischen Texte, Abschnitte aus Taine, Lamartine, Sainte-
Beuve, Faguet, Thiers, bezw. Thackeray, Macaulay, Hallam, Turner,
Carlyle, Ruskin, Freeman, Bulwer u. a. Auch viele Gedichte sind
vertreten, so Feuilles d'Automne von Victor Hugo, le Livre blanc von
Brizeux, Lucie von A. de Musset, Satire VI von Boileau, le fils de
Louis XI von F. Coppee, Azay von A. Theuriet, Juin von Sully-Prud-
homme, bezw. Milton's Paradise Lost, To a Sky-Lark von Shelley,
Elegy written in a country churchyard von Th. Gray, Childe Harold's
Pilgrimage von Byron, the Seasons von J. Thomson, Evnngeline von
Longfellow, Ulysses von Tennyson u. a. — Außerdem hat Buckeley
noch die von 1894 bis 1909 gestellten allgemeinen Themen der deutschen
und fremdsprachlichen Aufsätze hinzugefügt. Den Lesern dieser
Zeitschrift dürften einige Titel französischer Aufsätze nicht unin-
teressant sein: les commencements de la poesie dramatique en France,
Quel profit estimez-vous avoir tire de vos etudes faites ä V Universitc .^ —
Quels avantages la connaissance de la langue frangaise nous procure-t-elle ?
— La France et V Allemagne (comparaison), description de la vie d^etu-
diant en Allemagne (lettre ä un ami en France), influence du fournalisme
dans la societe moderne.
Neue französische Lehrbücher. 289
Auch dieser Teil der Sammlung sei Kandidaten für das Lehramt
der neueren Sprachen warm empfohlen!
Neue französische Lehrbücher.
1. Fetter. J. und Ullrich. K.. la France et les Frangais. Lehrgang
der französ. Sprache für Mädchenlyzeen und verwandte Lehr-
anstalten. L T e i 1 : mit 9 Abbildungen und einer farbigen
Karte von Frankreich. 4. umgearbeitete Auflage; Preis
geb. 1 K. 40 h. 119 S. Wien, 1909, A. Pichlers Ww. u. Sohn.
— 2. T e i 1 : 4. umgearb. Auflage, Preis geb. 2 K. 178 S.
ebenda.
2, Fetter, J. und nirich. K., la France et les Fran^ais. Lehrgang
der franz. Sprache für Realschulen. 2. T e i 1 = 13. Auflage
des IL Teils des Lehrgangs der franz. Sprache. Mit 10 Ab-
bildungen und einer farbis;en Karte von Frankreich. Preis
geb. 1 K. 80 h. 170 S. Wien 1910, ebenda.
3. Rossmanii, Ph. und Schmidt, F. Lehrbuch der iranzös.
Sprache auf Grundlage der Anschauung. 1. Teil, Aus-
gabe B. XII -f 403 S. Preis geb. 3,50 Mk. Bielefeld
u, Leipzig, 1909, Velhagen & Klasing.
4. dasselbe: Ausgabe C: für höhere Mädchenschulen, in 3 Bänden,
bearbeitet nach den Bestimmungen vom 12. Dezember 1908:
1. Band - Klasse 7: IV + 104 S. Preis 1,25 Mk. 1909,
ebenda.
2. Band= Klasse 6 u. 5: VIIM- 324 S. Preis 3 Mk.
1909, ebenda.
3. Band- Klasse 4, 3, 2, 1: X ^ 299 S. Preis 2,80 Mk.
1910, ebenda.
5, Haberlands Unterrichtsbriefe für das Selbststudium lebender Fremd-
sprachen mit der Aussprachebezeichnung des Weltlautschrift-
vereins. Französisch von H.Michaelis u. P. P a s s y.
Kursus IL Brief 21—40. = Seite 430—940. Preis 15 Mk.
— E. Haberland, Leipzig.
1. Was in Band XXVII, S. 207 ff. dieser Ztschr. über Fetter-
Alschers französ. Übungs- und Lesebuch für Mädchenlyzeen gesagt
worden ist, gilt im allgemeinen auch von dieser neuen Gestalt des Buches.
In die Lautlehre sind grammatische Angaben über Geschlecht, Plural-
bildung und Deklination der Substantive verwoben. Mit großem
Geschick werden die Konjugation von avoir, etre und donner und die
Grammatik der Pronomina und Adjektiva vermittelt. Die Regeln
werden mit Recht in beiden Sprachen gegeben. Lesestückchen und
Wortschatz, dem Gedanken- und Interessenkreis des entsprechenden
Alters angepaßt, zeugen von dem pädagogischen Geschick der Ver-
fasser. Die Mitteilungen über la France et les Frangais S. 77 — 80
bahnen das Interesse und Verständnis für das fremde Land und Volk
an. Auch die Auswahl der Lesestückchen, Gedichte und laeder S. 81
bis 91 ist anzuerkennen. Beanstanden möchte ich nur die Angabe
der doch immer noch selteneren Formen des bons parents, du bon pain,
de la bonne viande S. 67, die Wahl des Wortes medius statt doigt du
milieu S. 60 und die Verwendung des phonetischen Zeichens w statt f
zur Bezeichnung des Konsonanten in i>in. An Druckfehlern verzeichne
ich S. 24, Z. 6 v. u. ces banc, S. 56, Z. 1 v. u. Genetiv, S. 60 Mitte lui-
saut statt luisant.
290 Referate und Rezensionen. August Sturmjels.
2. Dieser zweite Teil erweitert die Grammatik im Anschluß an
gut gewählte Lesestückchen, deren Form und Inhalt in geschickt ge-
stellten Fragen und Aufgaben verarbeitet wird. Die Angaben über
la France et les Frangais werden dem Alter entsprechend erweitert.
Wie in Teil 1 ist auch hier auf Deutsche ins Französische zu über-
setzende Übungsstücke verzichtet worden, was vielleicht die Anhänger
der sogen, alten Methode abhalten wird, diesen Teil für ihren Unter-
richt zu wählen. Zu billigen ist besonders die Zusammenstellung der
Verben in allen Formen und die Hinzufügung eines vocahulaire alpha-
betique.
3. Auch in dieser neuen Gestalt wird das seit 18 Jahren rühmlichst
bekannte Lehrbuch allen denen willkommen sein, die als Freunde
natürlicher Spracherlernung von der Anschauung und damit von den
Sachen ausgehen wollen und die fremde Sprache nicht durch Über-
setzung aus der Muttersprache, sondern aus und an ihr selbst erwerben
lassen. Allen exercices sind methodische Übungen beigegeben, so daß
das Stellen der Aufgaben noch mehr vereinfacht und die häusliche
Überwachung der Aufgaben und Wiederholungen erleichtert worden
ist. Sprachlich schwierigere Abschnitte sind ausgeschieden oder dem
Grundsatz des Fortschreitens vom Leichteren zum Schwereren ent-
sprechend an spätere Stelle versetzt worden, so das Kapitel vom
Teilungsartikel, vom reflexiven Verb u. a. Das Kapitel ,, Lautschrift"
hat eine ganz andere Gestalt erhalten, indem nun exercices 1 — 7 voll-
ständig in phonetischer Fassung mit entsprechender Belehrung und
Grammatik getrennt gegeben und die übrigen phonetischen Texte
ohne das Gegenstück der üblichen Orthographie zusammengestellt
sind. Unter den historischen Ab.schnitten ist Charlemagne et le pelit
Roland nach Pussy neu aufgenommen, dagegen la retraite de Russie
par V. Hugo gestrichen worden. Neu hinzugekommen sind ferner
proverbes, enigmes und locutions de classe, sowie ein besonderes Wörter-
verzeichnis zu den Lektionen 1 — 49.
4. Das erste Bändchen der Ausgabe für höhere Mädchen-
schulen deckt sich zunächst mit dem Anfang der eben besprochenen
Ausgabe, von der es exercices 1 — 28 unverändert wiedergibt. Dann
enthält es für die Anfangsstufe geeignete Gedichte: la fete de maman,
le Noel des bergers, le sapin, les cadeaux du jour de Van und die Lieder
Quand trois poules, fai passe par la porte de Sl. Denis, A Paris, le som-
meil de Venjant, le hon camarade. Der grammatische Abschnitt umfaßt
natürlich nur Lautlehre und Konjugationstabelle. — Das zweite
Bändchen gibt unverändert alle übrigen exercices, die lectures choisies,
enigmes, chansons, Grammatik und das alphabetische Wörterverzeichnis
der Ausgabe B. Eine besondere Präparation ist nur für Lektion 1—21
gegeben. Von den Gedichten konnten Nr. 1 — 4, von den Liedern Nr. 3,
4, 5, 7, 10 wegbleiben, da sie schon im Bändchen des Anfangsjahres
(Klasse 7) enthalten sind. — Das dritte Bändchen, für die vier oberen
Klassen der Mädchenschulen bestimmt, deckt sich vollständig mit
dem mir eben in 5. Auflage (1908) vorliegenden IL Teil des Lehrbuchs.
Die 23 Exercices geben geschichtliche Stoffe, Beschreibungen, Dialoge,
Novellistisches und Technisches und damit den Wortschatz der ver-
schiedenen Gebiete sprachlichen Ausdrucks. Da die Texte mit ge-
ringen Änderungen französischen Schriftstellern entnommen sind,
so tragen sie ein französisches Gepräge. An jedes der Lesestücke
schließen sich stilistische, grammatische und lexikologische Übungen
in fremder Sprache. Deutsche Stücke, bezw. Einzelsätze sind, dem
Prinzip der von Roßmann-Schmidt befolgten sogenannten Reform-
methode entsprechend, nur in geringer Zahl gegeben. Die Grammatik,
in deutscher Sprache verfaßt, gibt die Regeln klar und knapp und
genügt durchaus den Bedürfnissen aller höheren Schulen. — Als recht
Neue französische Lehrbücher. 291
praktische, den wirklichen Bedürfnissen des Lebens entsprechende Bei-
gabe ist die kleine Sammlung von Musterbriefen nebst Anleitung zum
Briefschreiben zu bezeichnen. - — Das Vocabulaire ist der Anlage des
Buches und dem Prinzip der Methode getreu, einsprachig gehalten:
die Worterklärungen sind französisch gegeben, in vielen Fällen durch
Anschauungsbilder unterstützt. In der Erkenntnis jedoch, da(3 die
französische Umschreibung den Begriff gar oft nicht klarstellt — man
veTgle\cA\e unv etreindre = serrer fortement und serrer = presser, etreindre,
— haben die Verfasser sich zu zwei Zugeständnissen im Sinne der
alten Methode bequemt: oft ist die deutsche Übersetzung zugefügt,
wie z. B. bei acier, epinard, marmotte, fönte, geriet, resine, seuil; außer-
dem haben sie ..für besondere Bedürfnisse" ein französisch-deutsches
Wörterbuch in besonderer Ausgabe veröffentlicht. Dieses Entgegen-
kommen ist um so mehr zu begrüßen, als nun das Buch mit gutem
Gewissen auch den Vertretern der vermittelnden Methode als eines
der besten Lehrmittel warm empfohlen werden kann.
5. Der zweite Kursus der französischen Unterrichtsbriefe kann
als die würdige Fortsetzung des Buches bezeichnet werden, das wir
in Band XXXII, S. 217 ff. dieser Zeitschr. in durchaus günstigem
Sinne besprechen konnten. Er umfaßt in abermals zwanzig Briefen
gut ausgewählte, charakteristische Proben aus den Werken der be-
deutendsten Schriftsteller der drei letzten Jahrhunderte. Mit Recht
ist der rückwärtsschreitende Gang gewählt worden, da die Schrift-
steller des 18. und besonders des 17. Jahrhunderts wegen der Schwierig-
keit und teilweise veralteten Form der Ausdrucksweise dem Verständnis
schwerer zugänglich sind als die der neueren Zeit. Von den Haupt-
vertretern der neueren Literatur, von A. Daudet, Mistral, Zola, Coppee,
Sully-Prudhomme und den großen Lyrikern der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts wird der Lernende zu V. Hugo, Musset, G. Sand,
Beranger, Lamartine, Chateaubriand und den großen Historikern
des 19. Jahrhunderts geführt, um dann die Größen des 18. Jahr-
hunderts (Mirabeau, Montesquieu, Rousseau, Voltaire, Diderot) und
die großen Prosaiker und Dichter der Zeit Ludwigs XIV. kennen zu
lernen. Wenn zuletzt noch Proben aus Descartes, Pascal und aus
der Literatur des 16. Jahrhunderts gegeben sind, so vermögen wir
darin keinen Vorzug zu erblicken ; der Raum wäre besser der Literatur
des 18. und 19. Jahrhunderts gewidmet worden, deren große Vertreter
bei der zu weit gehenden Berücksichtigung von Männern zweiten
Ranges oft mit zu spärlichen Proben abgetan werden mußten. Die
Texterläuterung ist fast durchaus in französischem Gewände gegeben,
schwierigere Partien vereinzelt in deutscher Übersetzung. — ■ Aus den
konkreten Beispielen dieser Texte werden, geschickt auf die zwanzig
Briefe verteilt, die wichtigsten Regeln der Grammatik abstrahiert.
Die Übungen im freien und schriftlichen Gebrauch bestehen in Um-
formungen des Gelesenen u. dergl., z. B. Auflösung in Fragen und
Antworten, Übertragung in phonetische Schrift, Bildung ähnlicher
Sätze nach grammatischen Gesichtspunkten. An deutschen Stücken
zur Übersetzung in das Französische sind nur drei kleine gegeben:
viel zu wenig, als daß die Grammatik gründlich befestigt werden
könnte.
An weiteren französischen Texten außer den im Vordergrund
stehenden Proben der genannten Schriftsteller folgen in jedem Brief
die Biographie des betreffenden Autors und Abschnitte einer Voyage
en France, die nach Paris und Versailles, an das Meer, in die Pyrenäen,
nach Toulouse, Marseille und Lyon führt. Dabei sind, im Gegensatz
zu dem Verfahren des ersten Kursus, die phonetische und die ortho-
graphische Form getrennt, d. h. auf zwei aufeinanderfolgende Briefe
verteilt: der Lernende soll die Sprechform nach gründlicher Durch-
arbeitung selbständig in die Rechtschreibform übertragen, um beim
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 20
292 Referate and Rezensionen. August Slurmjels.
jeweilig nächsten Brief seine eigene Arbeit mit der Druckvorlage zu
vergleichen. In der Tat kann in dieser Übung ein guter Ersatz für
das im Klassenunterricht zu pflegende Diktat gesehen werden.
Als besondere äußere Zierde und Empfehlung dieses 2. Kursus
nennen Avir zum Schluß noch die wohlgelungenen Porträts der Haupt-
vertreter der franzö.sischen Literatur je auf der ersten Seite eines
jeden Briefes.
Der Meine Toussaint-Langenscheidt. Mit Angabe der Aussprache nach
dem phonet. System der Methode T.-h.-Französisch. Zur
schnellsten Aneignung der Umgangssprache durch Selbst-
imterricht von A. Gornay. Berlin-Schöneberg, Langen-
scheidtsche Verlagsbuchhandlung. CCGXX + 220 -f 284 S.
IG». Preis geb. 3 Mk.
Die wichtigsten Teile dieses Buches sind 1. die genaue Erklärung
der Aussprachezeichen, 2. die Grammatik, 3. neunundzwanzig Ge-
spräche über alle Gebiete des heutigen Lebens, 4. ein deutsch-französ.
imd 5. ein küi'zeres französ.-deutsches Wörterbuch.
Die Aussprache ist überaus gewissenhaft behandelt und nach
dem System Toussaint-Langenscheidt bezeichnet. Bei einer großen
Anzahl von Stichproben in allen Teilen des Buches habe ich auch
kein einziges Versehen entdeckt. Ein kurzes Gedicht, von dem Ver-
fasser des Buches stammend, enthält alle vokalischen und konsonan-
tischen Laute. Besonderen Dank verdient die drei Seiten umfassende
Zusammenstellung ähnlich lautender und von x\nfängern leicht ver-
wechselter Wörter mit stimmhaften, bezw. stimmlosen Konsonanten
(gueux queue, vont fönt, gant camp u. ä.). — Sehr eingehend ist die
Grammatik; sie gibt sogar sehr häufig des Guten zu viel, wie z. B. im
Kapitel der Pluralbildung, bei der Aufzählung der Adjektive auf -al
ohne männlichen Plural, bei der Konkordanz, der Moduslehre. Wäre
hier mit Rücksicht auf das praktische Bedürfnis gekürzt worden,
so hätte man Raum gewonnen für eine übersichtlichere Anordnung,
z. B. der Zahlwörter S. CIX, der unregelmäßig gebildeten weiblichen
Substantiva S. CLXVII {ahbe abbesse, canard cane, dindon dinde u. ä.),
der verneinenden Adverbien CCCIII (ne-pas, ne-personne etc.). Un-
praktisch ist die Verwendung dicker und großer Buchstaben neben
dünnen und kleinen im selben Wortkörper, z. B. bei der Darstellung
der unregelmäßigen Verben. Der Lernende gewinnt kein klares Bild;
die Auffassung wird ihm viel mehr erschwert als erleichtert. — Die
Gespräche führen alle Gebiete des heutigen Lebens vor: Eisenbahn,
Hotel, Restaurant, Theater, Postwesen, Arzt, Schneider, Optiker,
Buchhändler, Sport, Obstladen usw. Jedesmal stehen der ortho-
graphische französische Text, die phonetische Umschrift und die wört-
liche deutsche Übersetzung übereinander; die gute deutsche Form
folgt nach, leider in sehr kleinem. Druck. Damit jeder sein eigener
Lehrer werden kann, hat der Verlag den Unterricht an der Hand
dieser Gespräche in Verbindung mit dem Grammophon ermöglicht,
indem dabei die Stimme des vorsprechenden Franzosen durch die
mittels des Schallwellenträgers erzeugte Grammophonstimme ersetzt
wird. — Von den zwei Wörterbüchern ist das deutsch-französische
viel umfangreicher: es unterscheidet ziemlich vollständig die Syno-
nvma (vgl. Zug), gibt sachliche Auskunft über französische Verhält-
nisse (z. B. die Feiertage S. 27, das Parlament S. 106, Pferderennen
S. 109, Polizei S. 113, Restaurant S. 122, Heerwesen S. 147, Speisen,
Krankheiten, Sprachunterricht, Unterrichtswesen, Zeitungen, Ge-
tränke) und gibt viele sprachliche Zusammenstellungen, z. B. Namen
Delauncy, Augusle. 293
von Flüssen, Getränken, Inseln, Kleidungsstücken, Ländern und
Völkern, Meeren, Körperteilen, von musikalischen, photographischen
und anderen Ausdrücken, Speisen, Ausdrücken des Theaterlebens u. f. s.
Darmstadt. August Sturmfels.
Delauney. Aaguste. Französische Aufsatzlehrc. Leipzig, Zechel,
1909. 40 S. (0,90 Mk.).
Dieses für den Schüler bestimmte Büchlein eines französischen
Verfassers, der seine Sprache schon seit Jahren an einer deutschen
Schule lehrt, faßt in Kürze noch einmal alles zusammen, was aus dem
grammatischen Pensum der vorhergehenden Jahre für den französischen
Satzbau des aufsatzschreibenden Schülers von Wichtigkeit ist. Die
Wiedergabe einiger häufiger Germanismen und Gallizismen in der
anderen Sprache und die Regeln über den französischen Satzanfang
sind besonders beachtlich. Die drei wesentlichsten Eigenschaften
des französischen Stils: Kürze, Klarheit und Lebendigkeit werden
entwickelt und durch sechs auch inhaltlich interessante Musteraufsätze
veranschaulicht.
Dresden. Wolfgang Martinl
Boewe, Heinrich et Delaiiney, Auguste. Manuel de lec-
tures courantes. Leipzig, Dürr, 1910. 116 S. 1,40 Mk.
Ein Deutscher und ein Franzose, die beide schon jahrelang
die französische Sprache in Deutschland lehren, veröffentlichen hier
62 französische Lesestücke, die sehr geschickt die wichtigsten Gebiete des
häuslichen und öffentlichen Lebens in Stadt und Land umfassen, und so
in ansprechender Form einen nach allen Seiten bis zu einem gewissen
Grade vollständigen praktischen Wortschatz in seiner natürlichen
Anwendung im Leben vermitteln. Der Anhang liefert ein besonderes
Wörterverzeichnis für jedes Stück. Die Verfasser bestimmen das
Buch zunächst für die höheren Klassen der deutschen ,, Bürger-,
Mittel- und Realschulen". Man kann es aber auch jeder anderen
Schulgattung empfehlen, und es wird jedem französisch Lernenden,
insbesondere dem, der nach Frankreich reisen will, eine willkommene
Unterstützung bieten. Ob er sich zum Frühstück oder zum Mittag-
essen an den Tisch setzt, ob er auf der Post oder im Laden eine Be-
sorgung zu machen hat, ob er ins Theater oder auf den Jahrmarkt,
zum Arzt oder auf die Polizei, auf die Jagd oder auf den Fischfang
geht, stets wird er in diesem Buche eine kleine Schilderung oder Er-
zählung finden, die alle notwendigen Ausdrücke im Zusammenhange
verwendet. Eine Reise nach Paris, Rundgänge durch Paris und andere
den Verfassern bekannte Städte, ein Landaufenthalt, eine Feuers-
brunst, französische Feste etc. werden geschildert. Auch ,,la semaine
aviatique" darf heutzutage nicht fehlen. Die Anordnung der Stücke
schreitet vom Einfachen zum Sch\vierigeren fort, zwingt aber dem
Lehrer keine bestimmte Reihenfolge auf. Auch das Wörterverzeichnis
nimmt durch häufige Wiederholung auf diese Freiheit Rücksicht.
Dresden. Wolfgang Martini.
Pfohl, Ernst. Neues Wörterbuch der französischen und deutschen
Sprache für den Schul- und Handgebrauch. 2 Teile: Franz. -
Dtsch. und Dtsch.-Franz. XII u. 620 S. u. 542 S. in einem
Leinenband geb. 7 Mk. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1911.
20*
294 Referate und Rezensionen. C. Th. Lion.
Die Abfassung des neuen Wörterbuchs von Pfohl kommt in der
Tat einem Bedürfnis entgegen, insofern es eine Menge neu geprägter,
wichtiger Wörter, die im täglichen Leben und Verkehr vorkommen,
und viele moderne Redensarten, die sich bisher in keinem Wörterbuch
finden, aufgenommen hat. Durch zweckmäßige Kürzungen ist es
möglich geworden, das Wörterbuch reichhaltiger zu gestalten, ohne
den Umfang über das durch seine Bestimmung gebotene Maß hinaus
zu vergrößern.
Ob ein Wörterbuch gut ist, d. h. dem Nachschlagenden die nötige
Auskunft bietet, läßt sich nur bei seinem Gebrauche erkennen. Ich
habe es bei dem Lesen von Octave Feuillet, Le jownal d'une femme
(Paris, Calmann-Levy) geprüft bei Wörtern und Wendungen, deren
Bekanntschaft ich bei einem schon ziemlich sprachkundigen Leser
bezweifeln zu müssen glaubte, und dabei gefunden, daß es nur in
folgenden Fällen zu wünschen übrig ließ.^)
Bei Feuillet a. a. O. p. 17 findet sich . . . tendant vers eile son joli
visage et ses deux josseties. — Vraiment ? Voyez-vous cela ? dit ma
grand'mere, ardez le beau museaul Unter arder, ardre mußte bemerkt
werden, ,,s. auch ardez''', damit man nicht für ardez le beau museau,
das auf Moliere Depit am. 4, 4, 7 zurückzuführen ist, auf Abwege gerät.
— Octave Feuillet p. 24: une perruche feu. jeu in der Bedeutung
„feuerfarben'" fehlt in allen Wörterbüchern, die mir zur Hand sind,
z. B. auch im Petit Larousse illustre. — Für passer une inspection
p. 31 fehlt unter passer die Bedeutung ,, durchmachen, vornehmen,
anstellen." — Zu A vol d'oiseau, comment les trouves-tu? p. 34 reicht
das Wb. unter oiseau mit „ä vol d'oiseau in gerader Richtung" nicht
aus. Sachs gibt für ä vol d'oiseau aus der Vogelperspektive, das er
für besser erklärt als ä vue d' oiseau (bei Pfohl: aus der Vogelschau).
p. 40 findet sich der Plural Urre-neuves (Neufundländer.) Pfohl: pl.
= sg. — p. 49: en banne fortune (in guter Stimmung, dgl.) avec moi-
meme fehlt in jedem Wörterbuche. — p. 56: Venvers de ses merites:
unter envers wäre ,, Kehrseite [Gegenteil Widerspiel]" nachzutragen.
— p. 56: dans cette honnete moyenne: unter moyenne wäre statt ,, Durch-
schnittszahl" ,,Durchschnitt(szahl)" zu setzen. — p. 61: d't-paisses
moustaches en her s e fehlt noch überall.
Man sieht, es sind nur Kleinigkeiten und wenige Fälle, die neben
den zahlreichen Stellen, wo das Wb. recht befriedigende Auskunft
gab, nicht in Betracht kommen, und ich bin zu dem Ergebnis gelangt,
daß ich das Wb. von Prof. Pfohl für den Schul- und Handgebrauch
wegen der erstrebten guten Eigenschaften, die es in der Tat besitzt,
wegen seiner Handlichkeit und seines klaren gut leserlichen Druckes,
sowie wegen seines biligen Preises (die Seite kostet 0,6 Pf.) angelegent-
lich empfehlen zu können glaube. Die Ableitung der Wörter ist nicht
angegeben; damit ist viel Raum gespart, und es ist schließlich wohl
zu billigen, daß der Verfasser davon Abstand genommen hat, da der
gewöhnliche Leser, dem es nur um das Verständnis des Inhalts zu tun
ist, sich meist nicht darum kümmert und der Schüler von dem Lehrer,
wenn dieser es für nötig hält, die Belehrung darüber erhalten kann.
1) o r t m u n d. C. Th. Lion.
^) Die Wahl des Buches erklärt sich durch den Umstand, daß ich
zufällig damit beschäftigt war, es zu lesen, ist aber dadurch gerecht-
fertigt, daß es in mustergültigem, modernem Französisch geschrieben
ist und sein Verfasser mit seinem Roman d'un jeune homme pauvre
bereits für Schullektüre herangezogen worden ist.
Miszelle.
Einige merkwürdige Beispiele
von Kompoisitions Übertragiuagen. Corneille,
Racine. I^a Fontaine und L<ionardo da Tinci.
Wenn man sich die Meisterwerke der Kunst betrachtet, dann wird
einem nicht immer gleich in die Augen springen, wie der Künstler
bei der Anlage seiner Arbeit verfahren ist. Alles scheint uns um so
natürlicher und selbstverständlicher, je einfacher das gewählte Motiv
behandelt ist. Aber eben in dieser ,, selbstverständlichen" Einfachheit
liegt ein Hauptmoment des künstlerischen Schaffens, in der Berechnung
nämlich auf jene Wirkung hin, die sich nicht eingestellt haben würde,
wenn der Vorgang, nehmen wir einmal einen historischen wie die
Krönung Wilhelm I. in Königsberg, von Menzel, selbst im allergünstig-
sten Moment photographisch aufgenommen worden wäre. Das
Materielle an und für sich, so wichtig es unter Umständen auch sein
mag, wird, sobald es in das Gebiet der Kunst eintritt, sich doch immer
ihren Forderungen und Voraussetzungen fügen müssen, und das, was
dem Historiker außerordentlich wichtig erscheint, mag für den Künstler
oft unbequem, ja für die Entfaltung seiner Kunst manchmal geradezu
hinderlich sein. Der Maler will eben einen malerischen Gedanken
entwickeln, der Architekt einen räumlichen und der Bildhauer einen
plastischen. Ein jeder sieht deshalb den Vorgang von einer ganz
anderen Seite an und ist deshalb auch bemüht, ihn auf seine Art sich
gefügig zu machen. Es muß also komponiert, d. h. geschoben und
gerückt, ergänzt oder beschnitten, oft auch gänzlich umgeformt und
neugeschaffen werden, um die Kunst, die für die betreffende Dar-
stellung die passendste ist, auch in dem ihr eigenen Wesen zum
Ausdruck zu bringen. Jede Kunst trägt also ihre Bedingungen in
sich, auch hinsichtlich der Regeln ihrer Komposition.
Es hat nun Zeiten gegeben, wo man diese Kompositionskunst,
z. T. in Weiterverfolgung der Raphaelschen Praxis, arg überschätzt
hat, so daß die eigentliche Aufgabe der betreffenden Kunst darüber
vergessen worden ist. Bezüglich der Malerei brauche ich nur an unsere
verflossene Kartonaera zu erinnern und, um ein Beispiel anzuführen,
an die unkünstlerisch bunten Kompositionskunststücke Wilhelm von
Kaulbachs an den Wänden des Treppenhauses im Alten Berliner
Museum. Sie und andere ,, Kompositionen" haben diese Art Kunst
arg in Mißkredit gebracht, und die Moderne tut sich etwas darauf
zugute, daß sie, wie sie sagt, nicht komponiert, sondern nur bemüht
ist, einen Ausschnitt aus der Natur zu geben. Dieser soll allerdings
individualistisch geschaut, oder, um mich der Zolaschen Formel z»
bedienen, durch ein Temperament gesehen werden. — Aber gerade
das Aufsuchen eines solchen Ausschnittes, das Herausfinden der Stelle,
wo dem Baum oben die Krone abgeschnitten werden muß, oder den
Figuren unten die Beine, beweist eine ganz raffinierte Kompositions-
kunst.
296 Miszelle.
Ohne Komponieren geht es nun einmal nicht. Das gilt für den
Architeken und Bildhauer ebenso, wie für den Maler und nicht minder
für den Dichter. Schon die Verteilung des dramatischen Stoffes auf
die üblichen fünf Akte setzt diese Kunst voraus und bestände sie nur
in der Führung der Handlung über Exposition und Steigerung zur
Höhe und von dort abwärts zum Rückschlag und zur Katastrophe,
die Handlung muß daraufhin gezwungen, d. h. komponiert werden.
Solche Komposition ist aber natürlich und dem Verlauf der Handlung
angemessen. Sie wird auch sofort als richtig empfunden und im Falle
einer unbegründeten Abweichung vermißt. Das liegt im Gefühl,
entspricht also der Forderung der Aufnahmestelle für diese Kunst.
Es gibt nun aber auch Fälle, wo gewisse Kompositionsarten dem
vorliegenden Gegenstande nicht angemessen sind, wo die betreffenden
Künstler sich an Muster gehalten haben, die für ihre Kunst nicht
passen. Also Kompositions Übertragungen von einer
Kunst au f_ die andere. Im folgenden wollen wir einige Bei-
spiele solcher Übertragungen aus dem Gebiete der französischen Lite-
ratur des XVII. Jahrhunderts anführen und dann den Versuch machen,
ihre im Gebiet der darstellenden Kunst liegende Quelle nachzuweisen. i)
Corneille.
Von allen Stücken Corneilles bietet vielleicht sein C i n n a in
der dritten Szene des ersten Aktes, wo der Titelheld
seiner BrautEmilia den Bericht über dieVerschworenen-
Versammlung abstattet, das auffälligste Beispiel einer eigen-
artigen Kompositionskunst. Nehmen wir die ganze Szene, so läßt sie
vor und hinter dem eigentlichen Bericht, deutlich von ihm abgetrennt,
Einleitung und Schluß erkennen. Die Einleitung enthält die
besorgte Frage Emiliens, ob die Verschwörer einig wären (in kleinere
Abschnitte zerlegt: 4+8 + 4 Verse), der Schluß ihren ermuti-
genden Zuspruch und ihre Mahnung an den Bräutigam, vorsichtig
zu sein (19 Verse). Was dazwischen steht (104 Verse) bildet in
ununterbrochener Folge Ginnas Schilderung jener oben er-
wähnten Versammlung. Sehen wir uns die Art an, wie diese feurige
Tirade komponiert worden ist.
Ihr erstes Kennzeichen ist, daß sie mit einer Anrede an Emilien
beginnt und auch mit einer solchen schließt. Oben:
Plüt aux dieux que vous-meme eussiez vu de quel zele
Cette troupe entreprend une action si belle! (V. 158.)
unten:
Voilä, belle Emilie, ä quel point nous en sommes, (V. 249)
bis :
Mourant pour vous servir, tout me semblera doux . . . (V. 260.)
Aber auch die Mitte des Berichtes ist durch eine Anrede an Emilien
ausgezeichnet:
Vous dirai-je les noms de ces grands personnages. ... (V. 205.)
. pourrais-je vous dire ä quelle impatience, . .
Ces indignes tr6pas, quoique mal figur^s,
Ont porte les esprits de tous nos conjur^s? (V. 212.)
^) Verf. ist auf diese Frage im Verlauf seiner Studien über die
Kunst des XVII. Jh. gekommen, von denen er bisher 2 Bände als
Beiträge zur Geschichte des französischen Dramas (Corneille, Halle,
S. Niemeyer, 1905, und Racine, ebenda, 1909) veröffentlicht hat.
Vorliegende Arbeit wäre also in gewisser Hinsicht als eine Ergänzung
jener beiden Beiträge anzusehen.
Miszelle. 297
Diese Anreden bilden also gewissermaßen den Rahmen um den
Bericht, liefern aber auch einen scharf fixierten Mittelpunkt; denn
die mittlere Anrede (V. 205 — 212) hält sich in gleichen Abständen
von den beiden äußeren. Es sind von ihr aus genau 48 Verse bis zum
Anfang des Berichtes (V. 153) und ebensoviel bis zu seinem Ende
(V. 260). Durch diese Rahmenstücke mit ihrem Mittelpunkt wird der
Bericht in zwei große Abschnitte zerlegt, von denen jeder einzelne
seinem Inhalt nach wieder in zwei Teile zerfällt, und diese Teile ent-
sprechen einander symmetrisch. Zuerst wird nämlich von den
Verschwörern gehandelt (V. 159 — 168). Von ihrer Wut bei
bloßer Erwähnung des kaiserlichen Namens und von der Mission, zu
der sie berufen sind (4+6 Verse), dann folgt die Hetzrede
gegen Augustus (V. 169 — 204): Was hat dieser Mann nicht
alles getan! (4 V.V.): An den Vätern der Verschworenen (4 V.V.),
in den Bürgerkriegen (12V.V.), als Triumvir (4V.V.). In die Familien
\va\ er den Mord getragen! (12 V.V.).
Das steht vor der Mitte mit ihrer Anrede an Emilien.
Hinter i h r folgt nun, in Korrespondenz zum letzten Abschnitt
vor ihr, der Mordplan gegen Augustus (V. 213 — 240):
Die Umstände sind günstig; denn er verdankt seine Macht nur der
Gewalt (8 V.V.). Er steht allein (4 V.V.), kein Rächer ist zu fürchten
(4 V.V.). Morgen soll er fallen, beim Opfer auf dem Kapitol! (4 V.V.).
Ich führe den ersten Streich (4 V.V.), zeigt Ihr Euch auch als Römer!
(4 V.V.).
Indem nun folgenden letzten Abschnitt (V. 241 — 248)
kommt der Dichter wieder auf die Verschworenen zurück,
von denen er ausging. Ihr Eifer wird gerühmt (4 V.V.), die Rollen
werden verteilt (4 V.V.).
Die Ordnung ist musterhaft, der Plan wohl ausgeklügelt. In der
Mitte Emilie, die auch die innerste Triebkraft der Verschwörung ist.
Ihr zunächst, rechts und links, der von ihr bedrohte Kaiser und dieser
wieder von beiden Seiten durch die Verschwörer eingeschlossen! An
ein Entrinnen ist also nicht zu denken. Da aber alles, w'as geschieht,
nicht Cinnas, sondern einzig und allein Emiliens Werk ist, so steht
sie nicht nur am Anfang und Ende des Berichtes und in seiner Mitte,
sondern auch noch am Anfang und Ende der ganzen Szene. Ihre
Bedeutung ist also fünffach unterstrichen.
Der Bericht über die Verschworenen-Versammlung hat demnach
folgende Werkstattform :
Anrede an Emilien.
F'lüt aux dieux que vous-meme eussiez vu de quel zele
Cette troupe entreprend une acüon si belle!
a) D i e V e r s c h w ö r e r.
Au seul nom de Cesar, d' Auguste, et d'empereur,
Vous eussiez vu leurs yeux s'enflammer de fureur, 160
Et dans un meme instant, par un effet contraire,
Leur front pälir d'horreur et rougir de colere.
«Amis, leur ai-je dit, voici le jour heureux
«Qui doit conclure enfin nos desseins genereux:
«Le ciel entre nos mains a mis le sort de Rome, 165
«Et son salut depend de la perte d'un homme,
«Si Ton doit le nom d'homme ä qui n'a rien d'humain,
«A ce tigre altere de tout le sang romain.
b) Die Hetzrede gegen Augustus.
«Combien pour le röpandre a-t-il forme de brigues!
«Combien de fois change de partis et de ligues, 170
298 Miszelle.
«Tantöt ami d'Antoine, et tantot ennemi,
«Et Jamals insolent ni cruel ä demi!»
La, par un long recit de toutes les miseres
Que durant notre enfance ont endure nos peres,
Renouvelant leur haine avec leur souvenir, 175
Je redouble en leurs cceurs l'ardeur de le punir.
Je leur fais des tableaux de ces tristes batailles
Oü Rome par ses mains dechirait ses entrailles... etc.
J'ajoute ä ces tableaux la peinture effroyable
De leur concorde impie, affreuse, inexorable, 190
Funeste aux gens de bien, aux riches, au senat.
Et pour tout dire enfin, de leur triumvirat;
Mais je ne trouve point de couleurs assez noires
Pour en representer les tragiques histoires.
Je les peins dans le meurtre ä Ten vi triomphants, 195
Rome entiere noyee au sang de ses enfants:
Les uns assassines dans les places publiques,
Les autres dans le sein de leurs dieux domestiques. . . etc.
c) Anrede an Emilien.
Vous dirai-je les noms de ces grands personnages 205
Dont j'ai depeint les morts pour aigrir les courages,
De ces fameux proscrits, ces demi-dieux mortels,
Qu'on a sacrifies jusque sur les autels?
Mais pourrais-je vous dire ä quelle impatience,
A quels fremissements, ä quelle violence, 210
Ces indignes trepas, quoique mal figures,
Ont porte les esprits de tous nos conjures?
b) Der Mordplan gegen August us.
Je n'ai point perdu temps, et voyant leur colere
Au point de ne rien craindre, en etat de tout faire,
J'ajoute en peu de mots: «Toutes ces cruautes. . . etc. 215
«Sont les degres sanglants dont Auguste a fait choix
«Pour monter dans le tröne et nous donner des lois. 220
«Mais nous pouvons changer un destin si funeste,-)
«Puisque de trois tyrans c'est le seul qui nous reste,
«Et que juste une fois, il s'est prive d'appui,
«Perdant, pour regner seul, deux mechants comme lui.
«Lui niort, nous n'avons point de vengeur ni de maitre; 225
«Avec la liberte Rome s'en va renaitre,
«Et nous meriterons le nom de vrais Romains,
«Si le joug qui l'accable est brise par nos mains.
«Prenons l'occasion tandis qu'elle est propice:
«Demain au Capitole il fait un sacrifice; 230
«Qu'il en soit la victime, et iaisons en ces lieux
^) Von hier ab haben wir zugleich ein gutes Beispiel der quatraia-
artigen Komposition, der sich Corneille und auch Racine mit Vorliebe
im Dialog bedienten. Die Vorgänge werden nämlich nicht gleich-
mäßig oder in größeren oder kleineren unregelmäßigen Abschnitten
heruntererzählt, sondern, wie Verf. a. a. O. nachgewiesen hat, iu
strophenartigen Abschnitten zu je vier Versen, die inhaltlich zusammen-
gefaßt werden können. Die 1782 Verse von Corneilles Horace z. B.
enthalten 62 Prozent solcher strophisch zusammenfaßbaren Glieder.
Racines erstes Stück, die Thebaide, zählt deren 12 Prozent, sein zweites,
der Alexander, dessen ganzer erster Akt auf diese Weise zerlegbar
ist, 15 etc.
Miszelle. 299
«Justice ä tout le mondc. ä la face des dieux:
«La presque pour sa suile il n'a que notre troupe;
«C'est de ma main qu'il prend et l'encens et la coupe;
«Et je veux pour signal que cetle meme main 2.'?i)
«Lui donne, au lieu d'encens, d'un poignard dans le sein.
«Ainsi d'uu coup mortel la victime irappee
«Fera voir si je suis du sang du grand Pompee;
«Faites voir apres moi si vous vous souvenez
«Des illustres aieux de qui vous etes nes.>^ 240
a) D i e V e r s c h w ö r e r.
A peine ai-je acheve, que chacun renouvelle,
Par un noble serment, le voeu d'etre l'idele:
L'occasion leur plait; mais chacun veut pour soi
L'honneur du premiei' coup, que j'ai clioisi pour moi.
La raison regle eni'in l'ardeur qui les empörte: 245
Maxime et la moitie s'assurent de la porte;
L'autre moitie nie suit, et doit l'environner,
Prete au moindre signal que je voudrai donner.
Anrede an Emilien.
Voilä, belle Eniilie, ä quel point nous en sommes.
Demain j'attends la haine ou la faveur des hommes, 250
Le nom de parricide ou de liberateur,
Cesar celui de prince ou d'un usurpateur.
Du succes qu'on obtient contre la tyrannie
Depend ou notre gloire ou notre ignominie;
Et le peuple, inegal ä l'endroit des tyrans, 255
b'il les deteste morts, les adore vivants.
Pour moi, soit que le ciel me soit dur ou propice,
Qu'il m'eleve ä la gloire ou me livre au supplice,
Que Rome se declare ou pour ou contre nous,
Mourant pour vous servir, tout me semblera doux. 2G0
Diese fünfteilige Gliederung nach dem Schema abcba ist von
Corneille oft beliebt worden, besonders in seinen Horatiern und im
angeführten Bande über Corneille hat Verf. gezeigt, daß der Meister
nicht nur einzelne Szenen, strophische Partien und monologartige
Abschnitte auf diese Weise komponiert, sondern auch ganze Stücke
schematisch gezwungen hat. So sind in den Horatiern einer äußeren
Zahlensymmetrie zuliebe die inneren Zusammenhänge bei der Akt-
abgrenzung auseinandergerissen worden und im Cinna, wo sich die
Szenen der fünf Akte ihrer Anzahl nach symmetrisch nicht entsprechen,
tun es die in den Akten behandelten Themen um so schärfer. Es
behandelt nämlich der erste Akt die Verschwörung, der letzte die
Verzeihung derselben (Grausamkeit und Milde des Augustus). Der
zweite Akt die Hindernisse, die dem Komplott durch die Großmut
des Kaisers, der vierte Akt die Hindernisse, welche ihr durch den
Verrat des Maxismus drohen. In der Mitte aber, im dritten Akt,
liaben wir das Siegel Corneillescher Kunst, den Konflikt. Wie sym-
metrisch er wieder behandelt ist, zeigt der große Monolog Cinnas,
der seinerseits wieder genau in der Mitte dieses Aktes steht!
Nehmen wir jetzt ein Beispiel aus Racines Tragödien.
Kaciue.
Racine hat zwar schon in seiner Berenice vom Jahre 1670 bei
der Anordnung der Etappen, durch die er seinen Kaiser Titus zum
Handeln treibt, gezeigt, daß ihm eine symmetrische Kompositionsweise
nicht fremd war (s. a. a. O. S. 82/3), aber dennoch ist die widergleiche
300 Miszelle.
Anlage dort so versteckt, daß man nicht sicher sein kann, ob sie vom
Dichter mit voller Absichtlichkeit in dieser Weise gefügt wurde, wozu
noch kommt, daß bis zur Phädra (1677) sich keine weitere Spur dieser
Kompositionsart zeigt. Erst in diesem Stücke kommt sie, nach-
weislich nach erneutem Studium der Horatier Corneilles wieder zum
Vorschein und zwar so unverkennbar, daß es den Anschein hat, als
sei sie hier erst von Racine an seinem Vorbilde entdeckt worden.
Auch in den auf die Phädra folgenden beiden letzten Stücken Racines,
der Esther und der Athalie, ist sie auffallend befolgt worden. Als
Probe mag hier nur ein kleiner Abschnitt aus der Athalie, der reifsten
und letzten dramatischen Schöpfung Racines folgen:
Die Kriegs rede des Oberpriesters Joad vor
den Priestern und Leviten (IV, 3 V. 1325—1372).
Es handelt sich um die Szene, wo Joad, nach seiner Huldigung vor
dem Knaben Joas als seinem König (IV, 2), ihn den Ältesten des
Volkes als den ,,heritier veritable des rois de Juda" (V. 1310) vor-
stellt. Er tut es mit folgenden Stichworten: Hier ist Euer König,
Jezabel will ihn morden; helft ihm zu seinem Recht! (V. 1326 — 1336).
Damit ist die Aufforderung, den König zur Anerkennung zu
bringen, in diesem Abschnitt deutlich ausgesprochen. Vv^odurcii
das einzig und allein geschehen kann, zeigt der Schlußteil dieser Rede
von V. 1360 ab, der sich abermals mit Joas beschäftigt: Scheut Euch
nicht, gottloses Blut zu vergießen. Nehmt Euch dabei Eure Voi'-
fahren zum Muster; schwört, Euer Leben Eurem König zu weihen!
Anfang und Ende stehen also inhaltlich in engster Beziehung.
Ebenso aber auch die beiden inneren, um die Mitte herumliegenden
Teile. Sie handeln von den Gefahren bei diesem Unternehmen, aber
auch von den nicht ungünstigen Aussichten dabei. Beide Male ist
zuerst von den Bundesgenossen die Rede, oben von denen der gottlosen
Königin, unten von denen der Gläubigen; danach beide Male vom
Beistande Gottes. Diese Teile sind also ebenfalls inhaltlich symmetrisch
aufeinander bezogen.
In der Mitte endlich, dem kürzesten Teile, wird die Parole zum
Kampf ausgegeben: Laßt uns Joas zum König proklamieren, Gott
anrufen und Athalja in ihrem Palast angreifen!
Da die beiden äußeren Teile 12, resp. 13 Verse enthalten, die beiden
inneren je neun, die Mitte aber nur fünf, so finden wir hier Corneilles
Schema auch in der so oft von ihm angewandten Zahlensymmetrie
ziemlich genau befolgt. Die Disposition des Abschnittes ergibt demnach :
a) Befreit den König!
Joad: 1325
Voilä donc votre roi, votre unique esperance.
J'ai pris soin jusqu'ici de vous le conserver:
Ministres du Seigneur, c'est ä vous d'achever.
Bientöt de Jezabel la fille meurtriere,
Instruite que Joas voit encor la lumiere, 1330
Dans l'horreur du tombeau viendra le replonger.
D^jä, sans le connaitre, eile veut l'egorger.
Pretres saints, c'est ä vous de prevenir sa rage.
11 faut finir des Juifs le honteux esclavage,
Venger vos princes morts, relever votre loi, 1335
Et faire aux deux tribus reconnaitre leur roi.
b) Der Kampf ist gefährlich, aber nicht aus-
sichtslos.
L'entreprise, sans doute, est grande et p6rilleuse.
J'attaque sur son tröne une reine orgueilleuse,
Qui voit sous ses drapeaux marcher un camp nombreux
De hardis 6trangers, d'infideles H6breux.
1340
MiszelU. 301
Mais ma force est au Dieu dont Tinteret me guide.
Songez qu'en cet enfant tout Israel reside.
Dejä ce Dieu vengeur commence ä la troiibler,
Dejä trompant ses soins. j'ai su vous rassembler.
Elle nous croit ici sans armes, sans defense. 1345
c) Der Kriegsplan.
Couronnons. proclamons Joas en diligence.
De lä, du nouveau prinoe intrepides soldats,
Marchons, en invoquant Tarbitre des combat«;
Et reveillant la foi dans les coeurs endormie,
Jusque dans son palais cherchons notre ennemie. 1350
b) Gute Aussichten für den Kampf.
Et quels cceurs si plonges dans un lache sommeil,
Nous vovant avancer dans ce saint appareil.
Ne s'empresseront pas ä sui^Te notre exemple?
Un roi que Dieu lui-meme a noiirri dans son temple.
Le successeur d'Aaron de ses pretres suivi, 1355
Conduisant au combat les enfants de Levi,
Et. dans ces memes mains des peuples reverees,
Les armes au Seigneur par David consacrees?
Dieu sur ses ennemis repandra sa terreur.
ai Kämpft, lebt und sterbt für Euren König!
Dans Tinfidele sang baignez-vous sans horreur; 1360
Frappez et Tyriens, et meme Israelites.
Xe descendez-vous pas de ces fameux levites
Qui lorsqu'au dieu du Nil le volage Israel
Rendit dans le desert un culte criminel.
De leurs plus chers parents saintement homicides. 1365
Gonsacrerent leurs mains dans le sang des perfides.
Et par ce noble exploit vous acquirent Thonneur
D'etre seuls employes aux autels du Seigneur?
Mais je vois que dejä vous brülez de me suivre.
Jurez donc, avant tout, sur cet auguste livre. 1370
A ce roi que le ciel vous redonne aujourd'hui.
De vivre. de combattre. et de mourir poiu" lui.
Eine eben so interessante Probe liefert die Anordnung der
fünfChöre in derEsther. Diese Lieder, die mit ihrem Inhalt
den der zu ihnen gehörigen Akte begleiten, lassen ihre symmetrische
-\nlage rein äußerlich schon daran erkennen, daß auf den ersten und
letzten Akt je zwei Chöre kommen, auf den zweiten und mittleren
;ü)er nur einer. Auch hierin könnte man einen Beleg für das Prinzip
der schwachen Mitte erkennen, die dieser fünfteiligen Komposition
meist eigen ist. In diesem mittleren Akt erfolgt die Krisis der Handlung
und so begleitet sie auch sein einziges Chorlied (II, S) mit der bangen
Frage: Wer wird siegen, der Fromme oder der Gottlose? Um diese
Kernfrage dreht sich nämlich der Inhalt des kleinen, dreiaktigen
Dramas.
Von den äußeren Chören enthält nun der erste (I. 2) das
Klagelied über das Unglück Zions, der fünfte
und 1 e t z t e (III. 9't d e n T r i um p h g e s a n g über ihr Glück.
Das unterjochte und das befreite Jerusalem sind also ihre sich ent-
sprechenden Themen. Das ist ohne weiteres deutlich.
Die beiden inneren Chöre, der zweite und vierte (I, 5
and III, 3), bringen Apostrophen der Bedrückten,
erstens an ihren Gott, zweitens an ihren Bedrücker, das heißt also
302 Miszelle.
an den Herrscher des Himmels und an den der
Erde: Dulde nicht, o Gott, daß Israel stirbt, fleht oben (L 5) der
Chor; die Gefahr drängt, hilf der Ehre Deines Namens! Und unten
(III, 3) in gleicher Weise, mit gleicher Betonung der Dringlichkeit
und der himmlischen und irdischen Macht, vor der die Völker zittern
sollen: Dulde nicht, o Ahasveros, daß die Unschuld leidet, die Gefahr
drängt, laß Dir die Ehre Deines Namens nicht durch einen Betrüger
beflecken!
Einige nähere Hinweise mögen das deutlich machen: Im zweiten
Chorlied stehen obenan die ,,mortelles alarmes" wegen des bevor-
stehenden Mordfestes (V. 297 ff.)- Das vierte aber beginnt mit der
Schilderung Amans, eben des Mannes, der jenes Mordfest veranstalten
will. (V. 934 ff.) Der zweite Chor fährt dann fort:
Le dieu que nous servons . . . ne souffrira pas
Qu'on egorge ainsi Tinnocence. (V. 336 ff.)
und dementsprechend der vierte:
. . . un roi sage et qui halt l'injustice . .
Ne souffre point que le pauvre gemisse
La veuve en sa defense espere
De l'orphehn il est le pere etc. (V. 991 ff.)
Es handelt sich also um die beiden Gewaltigen, die helfen sollen.
Und im letzten Teile des zweiten Chores die Bitte: Kehre Dich zu
uns Gott; denn
Tu vois nos pressants dangers:
Donne ä ton nom !a victoire;
Ne souffre point que ta gloire
Passe ä des dieux etrangers. (V. 359 ff.)
Im vierten aber: Kehre Dich ab, mächtiger König,
Detourne, roi puissant, detourne tes oreilles
De tout conseil barbare et mensonger.
Gefahr ist im Anzüge:
II est temps que tu t'eveilles:
Dans le sang innocent ta main va se plongcr
Pendant que tu someilles.
.... puisse ä Jamals contre tes ennemis
Le bruit de ta valeur te servir de barriere! (V. 999ff.|
Zum Schluß endlich im zuzeiten Chor:
Arme-toi, viens nous döfendre...
Que les mechants aprennent aujourd'hui
A creindre ta colere:|
Qu'ils soient comme la poudre et la paille legere
Que le vent chasse devant lui. (V. 363 ff.)
Und im vierten dementsprechend:
Que de ton bras la force les renverse
Que de ton nom la terreur les disperse;
Que tous leur camp nombreux soit devant tes soldats
Comme d'enfants une troupe inutile. (V. 1010 ff.)
Bemerken wir nur noch, daß beide Chöre auch in ihren Ab-
messungen annähernd gleich sind: Der zweite hat nämlich 80, der
vierte 84 Verse.
Daß Chorlieder auf solche Art komponiert wurden, mag begreif-
lich sein, ja man könnte es vermuten, weniger aber, daß das auch
bei den Fabeln seines Freundes der Fall ist, nämlich bei
TtSL I'ontaiiic.
Auch bei ihm findet sich merkwürdigerweise jenes eigenartige
Kompositions- Schema und zwar gleich im ersten Buche seiner Fabeln.
Miszdle. 303
Wir greifen zwei Beispiele heraus, die sich in fast allen französischen
Elementarbüchern abgedruckt finden: Le Loup et le Chien (I, 5) und
Le Chene et le Roseau (I, 22).
In der Fabel: Le Loup et le Chien haben_ wir ein Zwiegespräch
zwischen dem Wolf und dem Hunde. Not und Überfluß sind einander
drastisch gegenübergestellt. Die Verführung für den armen Teufel
von Wolf ist groß und gipfelt in der Aufforderung des Hundes: „Suivez-
moi!" und in seiner Lockung: „Vous aurez un bien meilleur destin."
Dieser Vers (21) nimmt genau die Mitte der aus 42 Versen bestellenden
Fabel ein. — Die Not aber lebt in Freiheit, während dem Wohlleben
Sklaverei beschieden ist. Sind also oben den unsicheren Vagabonden
die in behäbiger Rulie lebenden Haustiere entgegengesetzt, so unten
«lie servilen Diener den freien Herren. Alles das knapp und präzis,
alles auf große Gegensätze gearbeitet, wie die Themen bei Corneille
und Racine auch.
Die Hauptdisposition ist demnach: 1. D e r N e i d d e r A r ni u t
(20 V.V. ). 2. Die Aufforderung zur Umkehr und
zum Wohlleben (1 V.). 3. Die Bedingungen des
Tausches (20 V.V.). Symmetrie also rechts und links bei äußer-
lich ganz schwacher, aber innerlich höchst bedeutungsvoller Mitte;
denn sie enthält in einem einzigen Verse alles das, worauf es bei der
ganzen Geschichte ankommt.
Aber auch die von uns bei Corneille und Racine nachgewiesene
Fünfteilung ist hier unschwer zu erkennen. Die Einleitung, als
Exposition des Dichters genommen, faßt 12 Verse. Sie enthält die
Beschreibung der beiden Tiere. Darauf folgt die Aufforderung
des Hundes an den Wolf, sein Geschick zu ändern in 8 Versen.
Sie wird in dem folgenden mittleren und 21. Verse mit dem Hin-
weis auf das bessere Leben, das ihn erwartet, schärfer
formuliert. — Genau dieselbe Anordnung, nur in umgekehrter Reihen-
folge der inhaltlichen Argumente, findet sich im zweiten Hauptteil
von Vers 22 ab, noch dazu bei gleicher Verszahl der beiden Unter-
abteilungen. Es folgen nämlich abermals 8 Verse mit den Bedin-
gungen, die der Hund dem Wolf auf seine Frage, was man tun
müsse, um ein besseres Leben zu haben gibt und dann zum Schluß
wieder 12 Verse, wie im Anfang, in denen in dialogischer Fassung
die Bedenken des Wolfes auseinandergesetzt werden.
Das Ganze zeigt demnach das Schema 12 -f 8 -f 1 -J- 8 + 12 Verse.
Wer aber noch weiter gehen und auch die kleinsten Abschnitte zählen
wollte, die sich inhaltlich in Stichworten aussondern lassen, der würde
finden, daß über der Mitte ebensoviel Teilchen stehen, wie unter ihr;
nämlich je acht. Sie sind in dem hier folgenden Text links durch
kleine Zahlen bezeichnet.
a) L e L o u p e t 1 e G h i e n.
1 Un loup n'avait que les os et la peau,
Tant les chiens faisaient bonne garde;
2 Ce loup rencontre un dogue aussi puissant que beau,
Gras, poli, qui s'etait fourvoye par megarde.
3 L'attaquer, le mettre en quartiers, 5
Sire loup l'eüt fait volontiers;
4 Mais il fallait livrer bataille,
Et le mätin etait de taille
A se defendre hardiment.
5 Le loup donc l'aborde humblement, 10
Entre en propos, et lui fait compliment
Sur son embonpoint, qu'il admire.
304 Miszelle.
b) L e C h i e n.
6 «11 ne tiendra qu'ä vous, beau sire,
D'etre aussi gras que moi, lui repartit le chien;
7 Quittez les bois, vous ferez bien: 15
Vos pareils y sont miserables,
Gancres, heres et pauvres diables,
Dont la condition est de mourir de faim.
8 Gar quoi! rien d'assure, point de franche lippee;
Tout ä la pointe de l'epee. 20
c) LaSommation.
Suivez-moi, vous aurez un bien meilleur destin.»
b) L e G h i e n.
1 Le loup reprit: «Que me" faudra-t-il faire?»
2 — «Presque rien,» dit le chien: «donner la chasse aux gens
Portant bätons, et mendiants;
3 Flatter ceux du logis, ä son maitre complaire: 25
Moyennant quoi votre salaire
Sera force reliefs de toutes les fagons,
Os de poulets, os de pigeons,
Sans parier de mainte caresse.»
a) L e L 0 u p e t 1 e C h i e n.
4 Le loup dejä se forge une felicite 30
Qui le fait pleurer de tendresse.
5 Chemin faisant, il vit le cou du chien pele.
6 «Qu' est cela?» lui dit-il. — «Rien.» — «Quoi! rien.» — <>Peu
de chose.»
— «Mais encor?» — Le collier dont je suis attache
De ce que vous voyez est peut-etre la cause.» 35
7 — «Attache!» dit le loup; «vous ne courez donc pas
Oü vous voulez?» — «Pas toujours; mais qu'importe ?»
— 11 importe si bien, que de tous vos repas
Je ne veux en aucune sorte,
Et ne voudrais pas meme ä ce prix un tresor.» 40
8 Gela dit, maitre Loup s'enfuit et court encor.
Die andere Fabel,
Le Gliene et le Roseau
(I, 22) ist das Pendant zu der eben behandelten vom Wolf und vom
Hunde. Auch hier handelt es sich um die in ruhiger Sicherheit Leben-
den gegenüber den gefährdeten ,, armen Teufeln". Der feste Baum
spricht dem schwanken Gras gegenüber in demselben hochmütigen
Ton, wie der satte und in Sicherheit lebende Hund zum hungrig um-
herschweifenden Wolf. Offenbar ist sein Los ebensowenig zu beneiden
wie das des Schilfes. Hier aber mißgönnt das Rohr der Eiche ihr
stolzes Aussehen und ihre Stärke keineswegs. Es vertraut seiner
geschmeidigen Natur und weiß sich für gewisse Katastrophen außer
Gefahr. Auch hier hebt der Starke an und auch hier steht das,
worauf aller Nachdruck liegt, in der Mitte, der Hinweis nämlich auf
das unfreundliche Geschick: La nature envers vous me semble bien
injuste (V. 17). Wie in der ersten Fabel liegt in dieser Mitte die
Quintessenz des Ganzen, die abermals nur die verstärkte Wieder-
holung einer ersten Aiifforderung resp. Beschuldigung ist. Gerade
dadurch aber gewinnt sie an Nachdruck und Bedeutung. Oben beim
Wolf das Quittez les bois, vous ferez bien (V. 15) wiederholt und ver-
stärkt durch die Einladung und Verheißung: Suivez-moi, vous aurez
un bien meilleur destin, und hier, bei der Eiche, das Vous avez bien
sujet d'accuser la nature schärfer als Vorwurf ausgesprochen: La nature
envers vous me semble bien injuste (V. 17).
Miszclk. 305
Sehen wir uns jetzt die P'abel auf ihre Komposition hin näher an.
Trennen wir den Eingangsvers:
Le chien un jour dit au roseau
als Auftakt ab, so erhalten wir 1 -4- (15 + 1 + 15) Verse. Der Absatz
über der Mitte enthält die Anrede der Eiche, der unter der
Mitte die Antwort des Schilfes mit ihrer Rechtfertigung.
Also Vorwurf und Rechtfertigung stehen sich gegenüber. Im einzelnen
aber ist eine weitergehende symmetrische Gliederung um die Mitte
herum deutlich. In fünf Versen wird die demütige Kopfhaltung des
Grases gegenüber der stolz aufrechten des Baumes bemängelt:
Vous avez bien sujet d'accuser la natuie,
Un roitelet pour vous est un pesant fardeau;
Le moindre vent qui d'aventure
Fait rider la face de l'eau,
Vous oblige ä baisser la tete.
In weiteren vier Versen der Stolz der Eiche im Sturm betont:
Cependant que mon front, au Caucase parail,
Non content d'arreter les rayons du soleil,
Brave l'effort de la tempete.
Tout vous est aquilon, tout me semble zephyr.
Im dritten Teil, dem nächsten der Mitte, spielt sich der Starke als
Freund und Gönner des Schwachen auf:
Encor si vous naissiez ä l'abri du feuillage
Dont je couvre le voisinage,
Vous n'auriez pas tant ä souffrir;
Je vous döfendrais de l'orage:
Mais vous naissez le plus souvent
Sur les humides bords des royaumes du vent.
Darauf folgt die kurze Mitte mit dem Vorwurf gegen die ungerechte
Natur :
La nature envers vous me semble bien injuste.
Und nach der Mitte, an das letzte Argument zuerst anknüpfend, be-
gegnet das Schilf der Erwähnung des Windes mit Aufwand der gleichen
Vers zahl:
«Votre compassion», lui repondit l'arbuste,
«Part d'un bon natui'el; mais quittez ce souci:
Les vents me sont moins qu'ä vous redoutables;
Je plie, et ne romps pas. Vous avez jusqu'ici
Contre leurs coups epouvantables
Resiste, sans courber le dos. Mais attendons la fin.->
Dabei dankt es zugleich für die ihm in Aussicht gestellte hohe Pro-
tektion: «Quittez ce souci», ich helfe mir selber; «Je plie, et ne romps
pas.» Der Sturm aber, von dem die Eiche im zweiten Teil sprach,
tritt unten in dem ihm gegenüberliegenden vierten tatsächlich ein:
Comme il disait ces mots.
Du bout de l'horizon accourt avec furie
Le plus terrible des enfants
Que le nord eüt portes jusque-lä dans ses flaues.
Also gleichfalls vier Verse, und wie anfangs fünf Verse die erste Anrede
ausmachten, so wird jetzt unten mit ebensovielen Versen geschlossen.
Mit stolz erhobenem Haupt fing oben der Baum an und liegt unten
mit gen Himmel gestreckten Wurzeln gestürzt am Boden:
L'arbre tient bon; le roseau plie.
Le vent redouble ses efforts
Et fait si bien qu'il deracine
306 Miszelk.
Celui de qui la lete au ciel elait voisine
Et dont les pieds touchaient ä l'empire des morts.
Die Anlage zeigt also 1 + (5 + 4 + 6) + 1 + (6 + 4 + 5) Verse.
Dabei haben wir nur Vers 24 der Ausgaben: «Mais attendons la fin».
Comme il disait ces mots in seine beiden selbständigen Teile zerlegt
und den zweiten zum nächsten Abschnitt gezogen, zu dem er organisch
gehört.
Es wäre interessant, die ursprünglich handschriftliche Fassung
festzustellen. Aber selbst wenn hier beide Teile nebeneinander stünden,
würde das nichts gegen die streng symmetrische Komposition der
Fabel beweisen. In all solchen Fällen, wo es sich um Analysen von
Kunstwerken handelt, kann es nie auf Silbenstechereien ankommen;
denn auch bei offenbar komponierter Anlage wird der Künstler doch
eher bemüht sein, das Schema zu verschleiern, als es wie ein Baugerüst
nackt und offen hinzustellen.
Diese beiden Beispiele mögen für La Fontaine genügen. In wel-
chem Umfang diese Kompositionsart von unserem Fabeldichter ange-
wandt worden ist, hat Verfasser nicht untersucht. Es genügte ihm
nachgewiesen zu haben, daß auch die didaktische Poesie des XVII. Jh.
mit dem Schema Corneilles arbeitete.
Daß nun La Fontaine dieses Schema von seinem Freunde Racine
überkommen hätte, ist unwahrscheinlich; denn 1668 erschien bereits
das erste Buch der Fabeln, dem beide oben behandelten Muster ent-
nommen sind und erst 1677 brachte Racine seine Phädra auf die Bühne.
In diesem Stück aber zeigte er zum ersten Male eine eingehende Kennt-
nis dieser Form. Wie wir im Bande über Racine nachgewiesen haben,
erfolgte die Auffindung derselben erst auf wiederholtes und eingehendes
Studium von Corneilles Horace. In diesem Stück war der Vater der fran-
zösischen Tragödie besonders eifrig bemüht, jenes fünfteilige Schema an-
zuwenden. La Fontaine könnte es aber direkt von Corneille über-
nommen haben wobei dann freilich auffällig wäre, daß La Fontaine mit
seinem Freunde Racine nicht darüber gesprochen haben sollte.
Kommen wir jetzt zum Schlüssel dieser eigenartigen Kompo-
sitionsform, die in der Poesie deshalb unverständlich ist, weil sie durch
das Organ, mit dem diese Kunst zu rechnen hat, mit dem Ohre nämlich,
nicht wahrgenommen werden kann. Wir glauben nicht fehlzugehen,
wenn wir ihn in den Schöpfungen der italienischen Renaissance suchen,
die in ihrem eigentlichen Wesen und in ihren Wirkungen noch lange
nicht genug erforscht ist. Die Beziehungen des französischen Klassi-
zismus zu ihr sind außerordentlich reich und Lionardo da Vincis Ver-
pflanzung auf französischen Boden, in dem er auch seine letzte Ruhe-
statt fand, beweist genug für eine enge Wechselwirkung.
Ijionardo da Vinci.
Lionardo da Vincis berühmtestes Werk ist sein heiliges Abend-
mahl im Refektorium des Klosters bei Santa Maria delle Gracie in
Mailand, jenes unsterbliche Wandgemälde der Hochrenaissance oder
besser noch des bereits beginnenden Barocks, um dessen Rettung vor
dem Untergang Italien jetzt so eifrig bemüht ist. Dieses Bild nun
wirkt wie eine Illustration der von uns oben behandelten Kompositions-
form.
Christus, die Hauptperson, dessen Wort: ,, Einer unter Euch wird
mich verraten", die noch soeben in ruhiger Unterhaltung begriffene Tisch-
gesellschaft in laute Aufregung versetzt hat, nimmt genau die Mitte des
Bildes ein und zwar mit dem kleinsten Raum. Es hat deshalb den Anschein,
als ob an dieser Stelle das Ganze in zwei Hälften auseinander gerissen
wäre. Diese Absonderung Christi, hauptsächlich von der linken Bild-
hälfte, auf der der Verräter sitzt, wird durch den Fensterbalken der Wand
Miszelle. 307
des Hintergrundes, der, nach einem treffenden Ausdruck Wölfflins^)
wie ein Gasurstrich wirkt, noch auffälliger gemacht. Wie stark die
Brüchigkeit gerade an der Hauptstelle dieser Komposition empfunden
worden ist, hat keiner deutlicher gezeigt als Rembrandt, der in seinen
Skizzen nach Lionardo nichts eiligeres zu tun hatte, als dieser, wie
ihm schien, von Lionardo vernachlässigten Mitte erst einmal die ihr
zukommende Fülle zu verschaffen. Er setzt seinen Christus unter einen
reichen Baldachin und zog die bei Lionardo voneinander abgesonderten
Gruppen malerisch zusammen, um auf diese Weise mehr Flufj in die
Handlung zu bringen. Daß dieser Fluß beim Meisler der Hochrenaissance
in der durchgehenden, leidenschaftlich bewegten Linie lag, die die
aufgeregt sprechenden Hände in großer Welle verbindet, übersah der
Holländer. Für den Italiener liegt aber gerade hierin ein Haupt-
charakteristikum seiner Kunst.
Die Jünger hatte Lionardo nun so verteilt, daß rechts und links
vom Meister je zwei Gruppen von drei Aposteln zusammensitzen
und, um diese Gruppen scharf voneinander abzugrenzen, hat er sie
in Ovale, den Herrn und Meister aber in ein Dreieck hineinkomponiert.
Die Unruhe und der Aufruhr in den Gruppen konnte, im Gegensatz
zu der in der Mitte herrschenden Ruhe, nicht besser symbolisiert
werden als durch diese mathematischen Zeichen: das unwandelbare
Dreieck und die vier leicht beweglichen Ovale! Eine weitere Symmetrie
liegt nun darin, daß die beiden Gruppen in nächster Nähe des
Heilandes die geschlosseneren sind, die beiden äußeren aber, an
den Tichecken sitzenden, die mehr offenen. Das Schema des Bildes
könnte demnach etwa durch folgende Form veranschaulicht werden:
(.)/\(.)
Daß es sich bei den französischen Klassizisten um eine Entlehnung
dieses Schemas handelt, ist mehr wie wahrscheinlich. Lionardos Werk,
dessen Ruhm die Stecher des XVI L Jhs. in alle Lande verbreitet
hatten, und von dem Abbildungen überall vorhanden waren, hat,
unserer Meinung nach, hier geradezu als Vorlage gedient. Man ver-
gleiche nur: Die Fünf zahl der Glieder, ihre symmetrische Gruppierung
um eine äußerlich schwache Mitte herum, ihre deutliche Abgrenzung
voneinander, ja auch die Betonung der äußeren Abschlüsse, die bei
Lionardo durch die geknotet herabhängenden Tischtuchenden gegeben
sind, (sie wirken zusammen mit der Haltung der Eckfiguren wie Aus-
rufezeichen hinter dem von Christus gesprochenem Satz), all das
findet sich ebenso deutlich auch bei Corneille, Racine und La Fontaine.
Die symmetrische Entsprechung der Gruppen, die bei Lionardo durch
die zeichnerische Form deutlich gemacht wurde, fand bei unseren
Dichtern in der inhaltlichen Entsprechung der sich gegenüberliegenden
Abschnitte oder Akte ihren Ausdruck, und das, was bei dem Maler
die Hände in durchgehender Linie so beredt verkünden, das berichtet
beim Dichter die durchgehende Handlung. Überall also Überein-
stimmung.
Die bei Lionardo in die Augen springende Klarheit der Disposition,
die mathematisch-architektonische Anlage des Ganzen hat es offenbar
den mathematisch geschulten und deshalb gerade der italienischen
Renaissance und Lionardo verwandten Franzosen am meisten angetan.
Nur eins übersahen sie: den Umstand nämlich, daß die von ihnen ent-
lehnte Kompositionsform eigentlich nichts mit ihrer Kunst zu tun
hat. Beim Italiener ist alles für das Auge berechnet, für den Sinn
^) Wölfflin, Die klassische Kunst, Eine Einführung in die
Italienische Renaissance. München, Bruckmann, 1899. S. 26 ff .
Ztochr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVII'. 21
308 Miszelle.
also, für welchen die Malerei fast ausschließlich schafft. Die zwei-
dimensionale Anlage überwiegt deshalb und läßt die räumlichen An-
deutungen nur als Fortsetzung des Refektoriums erscheinen auf dessen
hinterer Wand das Bild aufgetragen wurde. Deshalb ist auch die
Plazierung der Tischgesellschaft in einer Weise vorgenommen, wie
sie in Wirklichkeit nimmer stattfinden könnte. Elf Personen würden
an der einen besetzten Längsseite des Tisches keinen Platz haben.
Aber, wie schon gesagt, Lionardo kam alles auf die Übersichtlichkeit
an. Davon kann aber in einem poetischen Werke nimmermehr die
Rede sein. Diese Kunst wendet sich an das Gefühl durch einen ganz
anderen Sinn. Dichtungen sollen vor allem rezitiert und gehört werden,
nicht aber angeschaut, wie die Werke der Malerei. Bei einer Auf-
führung auf der Bühne il e»', wo der Geist vorwiegend mit der Erfassung
der dramatischen oder laufenden Handlung beschäftigt ist, oder auch
beim Lesen oder Anhören eines Gedichtes etc. findet sich keine Zeit,
solche Kompositionskunststücke wahrzunehm.en. Bei der I^ektüre
einer kurzen Fabel könnte man, wegen ihrer oft bildmäßigen Behand-
lung schon eher dazu kommen sie "u 1 eme^^ken, wesensfremd bleiben
sie aber auch ihr. Das erklärt auch den Umstand, daß sie bis jetzt
noch nicht entdeckt worden sind. Goethes Wort: ,,Den Stoff sieht
jedermann vor sich, den Gehalt findet nur der, der etwa dazu zu tun
hat, und die Form ist ein Geheimnis der meisten", bewahrheitet sich
hier am deutlichsten. So hat Voltaire gegen eine ganze Anzahl von
Ausdrucksweisen bei Corneille polemisiert, die sich im Hinblick auf
seine symmetrische Komposition sofort als wohlüberlegt erweisen
(s. 8. a.' O. S. 232/33).
Rembrandts Korrektur Lionardos führt uns aber noch weiter.
Sie zeigt uns, daß auch das Schema Lionardos nicht der an der
Wand des Refektoriums von Santa Maria geübten Kunst wesens-
gleich ist. Rembrandt war einzig und allein Maler, und wußte ganz
genau, was seiner Kunst frommt, Lionardo aber war auch noch
und vielleicht noch mehr, Mathematiker und Architekt, und gerade
der Architekt, der Mann von Lineal und Zirkel, kommt bei seiner
Komposition zum Vorschein. Ihr Schema ist der Architektur der
italienischen Renaissance entlehnt und hat offenbar die symmetrische
Anlage der Kuppel über gleichseitig lateinischem Kreuz zum Vorbild.
Daß Lionardo der Mitte, die beim zentral-symmetrischen Kuppel-
bau räumlich doch das Hauptstück bildet, eine ihrer inneren Bedeutung
entgegengesetzte Ausdehnung gab, ist wohl als eine Geistreichigkeit
zu erklären, die gerade bei Lionardo nicht wundernimmt, in einem
Gemälde aber doch wenig angebracht erscheint. Lionardo dachte
zu viel, auch noch während der Arbeit und das ist ihm bei seinei Schöp-
fungen immer etwas hinderlich gev esen.
Was wirModernen nun aber spezifisch malerisch nennen und von der
Malerei in erster Linie verlangen, kannte die Renaissance noch ebenso
wenig, wie die franzosischen Klassizisten die eigentlich dramatische
Handlung. In dieser Hinsicht ist vielleicht Corneilles Horace die einzig
kunstgerechte Tragödie des XVII. Jhs. Man tauschte sich eben über
das Wesen seiner Kunst, wofür nichts lehrreicher ist, als die ,, Examens"
Corneilles zu seinen Stücken, die in ihren Prinzipien der in den Stücken
selbst geübten Praxis auf keine Weise entsprechen. Er wollte es aber
den Gelehrten gerecht gemacht haben und konnte doch den Künstler
in sich nicht unterdrücken. Racine litt unter gleichem Zwiespalt
und deshal) av r seine Künstlerlaufbahn oft recht dornenvoll. Nur
La Fontaine erscheint als der sorglos heilere Liebling der Musen, gleich
wie Rafael unter den Malern.
Corneille handelte Themen ab, disputierte über Salonfragen,
wie im Cid, und konnte dabei nach Herzenslust komponieren; Racine
aber experimentierte im Sinne von seelischen Belastungsproben und
Miszelle. 309
konnte deshalb mit einem Kompositions Schema nicht viel anfangen,
aber er traute seinem dichterischen Genius nicht immer und ließ
sich zuletzt von solchen Spielereien blenden. Die Auflassung vom
Drama als einem Architekturwerk hat dabei einen großen Anteil ge-
habt. Für La Fontaine endlich war es nicht schwer, es ihnen in solcher
Kunst gleich zu tun. Seine Stoffe waren hierfür plastisch genug und
in der Form Aveniger verbindlich, als die dramatischen. So hat er in
der Fabel 1. e L o u p et l'A g n e a u (I, 10) dem Wolf 10 Verse ge-
geben, dem Lamm ebenfalls 10, während er selbst mit neun Versen so
beteiligt ist, daß er mit seinen Worten das Ganze rahmenartig umfaßt.
Die übrigen Dialogpartien sind symmetrisch angeordnet, der Wolf
redet in der Mitte und am Anfang und Ende; das Lamm in den
beiden dazwischen liegenden Partien.
Ohne die oben nachgewiesene Kompositionsform wäre das alles
bedeutungslos und Tüftelei, mit ihr aber nicht.
Halle a. S. G. Steinweg.
21*
Novitätenverzeichnis.
(Abgeschlossen am 1. Mai 1911.)
1. Bibliographie und Handschrlftenkunde.
Maignien, E. Catalogue des livres et manuscrits du fonds dauphinois
de la Bibliotheque municipale de Grenoble. T. 2. 2e partie. Gre-
noble, impr. AUier freres. 1910. In-8, VII-232 p.
Delpy, A. Essai d'une bibliographie speciale des livres perdiis, ignor^s
ou connus ä I'etat d'exemplaire unique. 2e volume. Lettre H ä
Lettre P. Paris, A. Durel, 1911. Grand in-8, 179 p.
Lasteyrie, R. de et A. Vidier. Bibliographie annuelle des travaux
historiques et archeologiques publies par les societes savantes de la
France, dressee sous les auspices du ministere de l'instruction
publique. 1906—1907. Paris, E. Leroux, 1909. In-4, 269 p.
Lefevre, E. Catalogue general de la librairie provengale. Annöe 1910.
Marseille, P. Ruat, 1911. 15 S. 8». Pr. 1 fr.
Tempel, H. Bibliographie 1907 [Supplementheft XXXII der Zs. f.
roman. Philologie].
Omont, H. Nouvelles Acquisitions du departement des manuscrits de
la Bibliotheque nationale pendant les annees 1909 — 1910. Inven-
taire sommaire. Paris, E. Leroux, 1911. In-8, 68 p. [Tirage ä
part de la Bibliotheque de l'Ecole deschartes. Annee 1911, p. 5 — 56].
3. ^Enzyklopädie, Sammelwerke, Gelehrtengeseliiclite.
Bericht üb. die Verhandlungen der XIV. Tagung des allgemeinen deut-
schen Neuphilologen-Verbandes (A. D. N. V.) in Zürich vom 16. bis
19. V. 1910. Hrsg. vom Vorstande des allgemeinen deutschen Neu-
philologen-Verbandes. IV, 174 S. Gr. 8**. Hannover, C. Mever,
1911. 3 Mk.
Casopis pro Moderni Filologia Vydäva Klub Modernich Filologu.
Roenik I. Sesit 1. Redaktoi'-i: Jan Mächal, Josef Janko, Pr. Mir.
Haskovec. V Praze 1911. Näkladem Klubu modernich filologu.
Tiskem Edvarda Leschingra v Praze.
Glossaire des patois de la Suisse romande. Douzieme rapport annuel
de la rödaction 1910. Neuchätel. Imprimerie Attinger freres 1911.
16 S. 8».
Rei>. des etudes rabelaisiennes VIII, 4 [Sommaire. L'Ecriture sainte et
la littörature scripturaire dans l'oeuvre de Rabelais, par Jean
Plattard. P. 257. — Rabelais, et la legende de saint Martin, par
Gustave Cohen (avec une planche). P. 331. — Jean Thenaud et
Rabelais, par Lazare Sainean. P. 350. — Saint Guodegrin, par
Henri Clouzot. P. 361. — Quelques vocables prö-rabelaisiens, par
H. Vaganay. P. 364. — Comples-Rendus. P. 366: V.-L. Bourrilly.
Novitätenverzeichnis. 311
Lettres ecrites d'Italie par Frangois Rabelais (döcembre 1535-
levrier 1536) (J. Plattard). — P. 367: Alfred Richard. Un diplo-
mate poitevin du XVle siecle. Charles de Danzay, ambassadeur
de France en Danemark (Henri Clouzot). — P. 369: Maurice La-
combe. Essai sur la coutume poitevine du mariage au döbut du
XVe siecle, d'apres le vieux «Coustumier du Poictou», 1417 (H. C).
— P. 349: Paul Laumonier. Tableau chronologique des (Euvres
de Ronsard, suivi de poesies non recueillies et d'une table alpha-
betique (J. Plattard). — P. 370: Gustave Macon. Chantilly et le
Musee Conde (J. B.). — Chronique. P. 372-382. — Table des Ma-
tteres. P. 383. — Fac-simile: La messe de saint Martin. Le miracle
des manches. Le diable au volet ecoutant le caquet des femmes.
P. 332.
Sprachen, die neueren. Zeitschrift f. d. neusprachL Unterricht. 1910.
Ergänzungsbd. Festschrift, Wilhelm Vietor zum 25. XIL 1910 dar-
gebracht V. F. Brie, K. D. Bülbring, A. Eichler, W. Franz, O. Hoff-
mann, F. Holthausen, O. Jespersen, F. Kluge, E. Koeppel, K. Luick,
E. A. Meyer, P. Passy, O. Ritter, J. Schipper, H. Schneegans,
A. Schröer, L. L. Schücking, Th. Siebs, E. Stengel, A. Thumb,
J. van Herp, H. Varnhagen, E. Wechssler. IV, 333 S. m. Fig. u.
1 Taf. Gr. 8«. Marburg, N. G. Elwerts Verl., 1910. 7 Mk.
Daire. — Notice biographique sur le Pere Daire; par Alcius Ledieu.
Abbeville, impr. Lafosse, 1911. Grand in-8, LIII p. (vgl. oben
p. 280).
3. Sprachgeschichte, Oraniiuatik, licxikog^raphie.
Damm, O. Der deutsch-französische Jargon in der schönen französi-
schen Literatur. I. Kapitel: Verstöße gegen die Aussprache der
Konsonanten. Diss. Berlin 1910. 80 S. 8«.
Tockert, J. Romanische Lehnwörter in der luxemburgischen Mundart.
Etymologisch-kulturhistorische Beiträge zum luxemburgischen Wör-
terbuch. Luxemburg 1910. 20 S. 4^.
Vossler, K. Zur Entstehungsgeschichte der französischen Schrift-
sprache [In: Germ.-roman. Monatsschrift III].
Adler, H. Die lautliche und begriffliche Entwickelung der französischen
Verba des Infinitivausgangs Vokal + y -\- er. Kieler Dissertation
1911.
Lude, W. Die lautliche und begriffliche Entwickelung der lateinischen
Verba intensiva und frequentativa (iterativa) im Französischen.
Kieler Dissert. 1911.
Passy, P. Quelques specimens de Vieux Frangais avec la pronon-
ciation reconstituee et transcrite phonetiquement [In: Festschrift
für W. Vietor, s. oben Neuere Spr.}.
Philipon, E. Les parlers du duche de Bourgogne aux Xllle et XlVe
siecles [In: Romania XXXIX, 476—531].
Schuchardt, H. Zum Nasaleinschub [In: Zs. f. rom. Phil. XXXV
71—92].
Stimming, A. Über das anglonormanische dl, dn, altfranz. sl, sn [In:
Zs. f. rom. Phil. XXXV, 93—96].
Sostmann, C. Der Formenbau des Nomens und Verbums in dem
Fragment von Gormont et Isembart, nebst einem etymologischen
Wörterverzeichnisse. Kieler Dissert. 1910.
Behrens, D. Franz. rotengle [In: Zs. f. rom. Phil. XXXV, 2. S. 231].
— saunee [In: Zs. f. rom. Phil. XXXV, 2. S. 231].
312 Novitätenverzeichnis.
Constant, L. ei A. Thomas. Miscere en ancien frangais [In: Romania
XXXIX, 580].
Ettmayer, K. Tose, carena [In: Wörter und Sachen II, 2].
Faral, E. «Leire» dans une chanson franQaise [In: Romania XXXIX,
582].
Gillieron, J. et M. Roques. Etudes de philologie linguistique, mots
en collision: Le coq et le chat. — Epi et äpine [In: Rev. de phil.
frane. et de litter. XXIV, 4].
Jackson, H. und H. Mutschmann. 'Bozzimacu' [In: Mod. Lang. Review
VI, 1. S. 96].
Jud, J. Sprachgeographische Untersuchen. VI. Frz. son 'Kleie'.
[In: Arch. f. n. Spr. 126 1/2].
Langlois, Ch.-V. Anc. franf. pichar [In: Romania XXXIX, 581].
Meyer-Lühke, W . Franz. creme. — Archiater und medicus in Frank-
reich [In: Arch. f. n. Spr. 126 1/2].
Nicollet, F. N. Histoire, Origine et Etymologie du mot braca, braga,
braj'a, braie [In: Annales de Provence. Janvier-fevrier 1911. S. 24
bis 38 (ä suivre)].
Nyrop, Kr. Degradation du sens des mots [Academie Royale des
Sciences et des lettres de Danemark. Extrait du Bulletin de l'Annee
1910 Nr. 6].
Salvioni, C. Miscellanea etimologica e lessicale [In: Romania XXXIX,
433—475].
Weekley, E. A propos de l'anc. frang. escomos, escoymous [In: Ro-
mania XXXIX, 584].
Bieringer, E. Der mittel- und neufranzösische direkte Fragesatz.
Diss. Göttingen. 1910. 130 S. 8«.
Cledat, L. Nomenclature grammaticale [In: Rev. de Phil, frang.
XXIV, 4. S. 314—316].
— L'imparfait du subjonctif, temps defectif [In: Rev. de phil. frang.
et de litter. XXIV, 4].
Dittmar, A. Syntaktische Grundfragen. [Wissenschaftliche Beigabe
zum Jahresbericht der Fürsten- und Landesschule St. Augustin
zu Grimma 1911] Grimma 1911. 71 S. 4P.
Knickerbocker, W. S. Ellipsis in Old French. Submitted in partial
fulfilment of the requirement for the degree of Doctor of Philo-
sophy, in the Faculty of Philosophy, Columbia University.
New York 1911.
Körte, J. Die beziehungslosen Relativsätze im Französischen. Diss.
Göttingen 1910. XV, 166 S. 8».
Koopmann, W. Die Inversion des Subjekts im Französischen. Diss.
Göttingen 1910. X, 109 S. 80.
Schreinecke, W. Die Entwickelung des Modus im indirekten Frage-
satze des Französischen. Diss. Göttingen 1910. XVIII, 52 S. 8".
Durand la Calade, J. de. Notes sur les Rues d'Aix aux XlVe et XV«
siecles (suite) [In: Annales de Provence. Janv.-f6vr. 1911. S. 39 bis
48].
Gensollen, O. Etymologie du nom de lieu «AI Manarre» [In: Annales
de Provence VII, 6].
Kremers, J. Beiträge zur Erforschung der französischen Familien-
namen. Münster. Diss. 1910.
Zachrisson, R. E. A Contribution to the study of Anglo-Norman
nfluence on English place-names. Lund, Gleerup. Kr. 3,75 [Lunds
Universitets-Arsskrift. N. F. Afd. 1. IV, 3].
Novilätenverzeichnis. 313
Hauser, H. Un document sur la röforme orthographique de Louis
Maigret [In: Rev. d'Hist. litter. de la Fr. XVIII, 1].
Meyer, E. A. Untersuchungen über Lautbildung. Experimental-
phonetische Untersuchungen über die Vokalbildung im Deutschen,
Holländischen, Englischen, Schwedischen, Norwegischen, Fran-
zösischen und Italienischen. Mit 1 Tal'el in Lichtdruck und 42 Text-
figuren. Marburg, N. G. Elwert, 19U. 83 S. 8«, [Aus: Fest-
schrift Wilhelm Victor].
Scerba, L. Notes de phonetique gönörale [In: M6m. Ling. XVI, 4].
Victor, W. Einheitliche Aussprachebezeichnung [In: Neuere Sprachen
XVIII, 9].
Daire. — Dictionnaire picard gaulois et frangois contenant aussi les
mots gaulois approchants le plus du dialecte de la Picardie avec
leur signification en Frangois par le Pere Daire. Ouvrage indis-
pensablement necessaire ä tous ceux qui, par nöcessite, par ötude,
par plaisir ou par etat, se trouvent dans le cas de dechiffrer les
archives. Mis en ordre, completö et publie d'apres le manuscrit
autographe par Alcius Ledieu. Paris, H. Champion, lOlL LVII,
166 S. 8».
Pfohl, E. Neues Wörterbuch der französischen und deutschen Sprache
für den Schul- und Handgebrauch. 2 Teile in 1 Bde. XII, 620
und 542 S. 8». Leipzig, F. A. Brockhaus. 1911. geb. 7 Mk.
4. Metrik, iStiligtik, Poetik, Khetorik.
Elster, Ernst. Prinzipien der Literaturwissenschaft. 2 Bde. Stilistik.
VII, 311 S.) gr. 8». Halle, M. Niemeyer. 1911. 8 Mk.
5. Moderne Dialekte nnd Tolksknnde.
Braconnier, P. Causerie grammaticale: Variation locale du frangais;
Longs mots; Vieilles langues [In: Annales des Basses-Alpes. Sie
annee, 1910. P. 265—283. 355—368.].
Hingre. Vocabulaire complet du patois de la Bresse (suite) [In :
Bull, de la soc. philomatique vosgienne. 35"^e annöe. 1909 — 1910.
Saint-Di6 1910.
Horning, A. Zum Glossar von Belmont [In: Zs. f. rom. Phil. XXXV, 2].
Hrkal, Ed. Grammaire historique du patois picard de Demuin (suite)
[In: Rev. de Phil, frang. et de litter. XXIV, 4].
Kervarec, H. Le parier frangais de Quimper [In : Annales de Bre-
tagne Juillet 1910].
Armanac de la Gascougno, pour 1911. (14e annee.) Auch, impr. L. Co-
charaux. 1911. In-16, 79 p. 20 cent.
Armanac de Louzero, per loü be Ion de Diöu 1911. (57« annado del
Fölibrige), marco las fieros, las festos, las lunos, las sesous, I. o. de
contes, de prouverbis, de chansous, de fargos, per fa passa lou
temps al brabe mounde de nostre pays. Alende, impr. C. Pauc.
1911. In-16, 64 p. 25 cent.
Armanac nicart, pour 1911. Nice, J. Eynaudi, ^dit. 1911. In-8, 103 p.
Dialogue facetieux, d'un Gentil-homme Frangois se complaignant
de l'amour et d'un Berger, qui le trouvant dans un Bocage le re-
conforta, parlant ä luy en son patois. Le tout fort plaisant. Publik
par G. Thiriot [In: Jahrb. der Gesellschaft für lothring. Gesch.
und Altertumskunde. XXI, 2. 1910].
Eynaudi, J. Mise Pounchoun, coumedia nigarda en un ate e en prosa.
Letra prefaga de Jöuse Giordan. Illustrations originales de Paul
Trachel. Nice, S. Eseoffier. 1910. In-8 55 p.
314 Novitätenverzeichnis.
Gras, F. L'Eiretage de l'ouncle Bagnöu, coumedi en tres ate. Avignon.
J. Roumanille. 1911. In-16, 56 p.
Heren, E. Morceaux choisis de patois picard des XVIle et XVIIIe
siecles. Conference faite ä la seance des Rosati picards, du 21 mars
1904. In-16, 25 p. [Conferences des Rosati picards, Amiens, XLV].
Mistral, F. Mireio, poema provenpal. Traducgao portugueza com o
texto provenfal auctorisada pelo autor de F. R. Gomes Jor. Paris,
H Garnier. 1910. In-18 jösus, 492 p. avec musique et portrait.
Reille, J. Li BenuranQo! pouemo. Vaison (Vaucluse), impr. G. Roux.
1910. Petit in-8, 17 p. 50 cent.
Chants et Chansons populaires recueillis et classes par Achille Millien,
avec les airs notes par J. G. Penavaire. T. 3: Chansons anecdotiques
(suite). Paris, E. Leroux. 1910. In-8, VIII-239 p. 15 fr. [Littera-
ture orale et Traditions du Nivernais (Morvan, Bazois, Amognes,
Puisaye, etc.)].
Colson, O. Les Petes paroissiales : Les «Jeux populaires» [In: Wallonia.
Novembre 1910].
Contes populaires sur les Ogres recueillis ä Blida et traduits p. J. Des-
parmet. 2 Bd. 18^. 10 fr. Paris, Leroux [Collection de Contes
et Chansons populaires t. XXXV. XXXVI].
Merle, R. Die Tierwelt im deutschen und franz. Sprichwort [In:
Festschrift zum 600jähr. Jubiläum des Gymnasiums zu Liegnitz].
Mouzin, A. Deux legendes d'Höracles en Provence [In: Memoires
de l'Academie de Vaucluse, 2e serie, t. X (1900), S. 81—84].
Sebillot, P. Y. La Bretagne pittoresque et lögendaire. Paris, H. Da-
ragon. 3 fr. 50.
6. Lilteraturgeschichte.
a) Gesamtdarstellungen.
Brandes, G. Jeanne d'Arc in Dichtung und Geschichte. [In: Neue
Jahrbücher 1911. I. S. 186—207].
Claretie, L. Historia de la literatura francesa (900—1900). Version
castellana por Miguel de Toro y Gomez. Tomo segundo: Desde el
siglo XVIII hasta fines del XIX. Paris, P. Ollendorff. 1911.
In-8, 1211 p.
Faivre, J . Histoire de la litterature frangaise et Analyse des auteurs.
Paris, G. Beauchesne et Cie. 1910. Petit in-8, 684 p.
Lecureux, L. Une legende d'origine iconographique. La Legende
d'Avenieres. Contribution k l'ötude des procedes de formation
des legendes. Paris, H. Champion. 1910. In-8, 10 p. [Extrait
du «Moyen äge». 2e serie. T. 14 (juillet-aoüt 1910].
Meyer, Richard M. Tannhäuser und die Tannhäusersage [In: Zs. d.
Vereins f. Volkskunde XXI, 1].
Benary, W. Über die Verknüpfungen einiger französischer Epen und
die Stellung des Doon de Laroche [In: Roman. Forsch. XXXI, 1].
Beneke, A. Das Repertoir und die Quellen der französischen Farce.
Jenenser Dissert. 1910. 107 S. 8".
Bruce, J. D. Some proper names in Layamon's Brut not represented
in Wace or Geoffrey of Monmouth [In: Mod. Lang. Notes. March
1911].
Brun, A. Les Troubadours d'apres quelques livres recents. Avignon,
F. S^guin, 1910. In-8, 16 p. [Extrait des «Memoires de l'Academie
de Vaucluse», 1910].
Burchardt, A. Beiträge zur Kenntnis der französ. Gesellschaft in
der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts, auf Grund der Werke Rutebeufs,
NovitäLetwerzeichnis. 315
des Roman de la Rose, des Renart le Nouvel und des Couronne-
ment Renart. Diss. Leipzig 1910. 85 S. 8».
Debenedetti Santore. Gli studi provenzaii in Italia nel Cinquecento.
Torino, E. Loescher. (Olivero e C). 1911. VIII, 304. L. 10.
Erfurth, P. Die Schlachtschilderungen in den älteren Chansons de
Geste. Hallenser Dissert. 1911.
Heyl, C. Die Theorie der Minne in den ältesten Minneromanen Frank-
reichs. Dissert. Marburg, A. Ebel.
Klein, A. Die altfranzösischen Minnefragen. Ein Beitrag zur Ge-
schichte des Streitgedichts und der Minnehöfe (Teildruck). Mar-
burger Diss. 1910 [Die vollständige Arbeit erscheint als Heft I
der Marburger Beiträge zur romanischen Philologie. Herausgb.
von E. Wechssler].
Lefranc, A. La civilisation intellectuelle en France ä l'epoque de la
Renaissance: L'independance intellectuelle au Moyen-Age [In:
Revue de cours et Conferences XIX, 2].
— La fin du Moyen-Age. La Renaissance du XlVe siecle [In: Rev.
des cours et confer. XIX, 3].
— Le XVe siecle: civilisation et litterature [In: Revue des cours et
Conferences XIX, 4].
Liebermann, F., Der Name Arthur [Im Arch. f. n. Spr. 126^/2].
Neubert, Fr. Die volkstümlichen Anschauungen über Physiognomik
in Frankreich bis zum Ausgang des Mittelalters [In: Rom. Forsch.
XXIX, 2] (Auch Münchener Dissertation. Vgl. unten p. 320
L. Jordan).
Novati, F. Rapports litteraires de l'Italie et de la France au Xle
siecle [In: Comptes rendus des seances de l'Academie des inscrip-
tions et belles-lettres 1910].
Reinhold, J. Über die verschiedenen Fassungen der Bertasage [In:
Zs. f. rom. Phil. XXXV, 1].
Sommer-Tolomei, Elv. La leggenda di Tristano in Italia [In: Rivista
d'Italia XIII, 7].
Stefanooic, S. Die Crescentia-Florence-Sage [In: Rom. Forsch.
XXIX, 2].
van Gennep, A. Legendes populaires et Chansons de geste en Savoie.
Paris, bureau de la «Revue des Idees'>, 26, rue de Conde. 1910.
In-8, 44 p. [Extrait de la «Revue des Idees» du 15 novembre 1910].
Young, K. Phillippe de Mezieres Dramatic Office for the presentation
of the Virgin [In: Publications of the Mod. Lang. Assoc. of America
XXVI, 1].
Zenker, R. Die Tristansage und das persische Epos von Wis und
Rämin [In: Rom. Forsch. XXIX, 2].
Bernard, G. Le Cid espagnol et le Cid frangais. Essai de critique et
d'analyse litteraire. Lille, impr. Lefebvre-Ducrocq, 1910. In-16,
35 p. [L'Imitation espagnole en France. I].
Berthelot, R. Un romantisme utilitaire. Etüde sur le mouvement
pragmatiste. Le pragmatisme chez Nietzsche et chez Poincare.
Paris, F. Alcan. 7 fr. 50.
Blanck, K. Der französische Einfluß im zweiten Teil von Gottscheds
Critischer Dichtkunst. Diss. München 1910. 149 S. 8».
Bled, V. du. La societe frangaise du XVI^ siecle au XXe siecle. Vllle
sörie: XVIIle et XIXe siecles. La comedie de societe. Le Monde
de I'Emigration. Paris, Perrin & Cie. 3 fr. 50.
Chevalier, Adrien. Etudes litteraires. Maurice Barres. — Paul Bourget.
— Maurice Donnay. — Anatole France. — Paul Hervieu. — Louis
le Cardonnel. — Henri Heine. Paris, E. Sansot. 3 fr. 50.
316 No V (täten ver zeich n is.
Chol, J. et R. Delhier. Histoire des lettres frangaises de Belgique
depuis le moj'en äge jusqu'ä nos jours. Preface de Paul Adam.
Charleroi, impr. D. Hallet, 1910. XII, 605 S. 4». 5 fr.
Collins, J. Ch. Voltaire, Montesquieu et Rousseau en Angleterre.
Traduit de l'Anglais p. P. Deseille. Paris, Hachette et Cie. 3 fr. 50.
Fagniez, G. La femme et la societe fran^aise depuis la premiere moitie
du XVIle siecle — Le Mariage [In: Rev. des Deux Mondes ler janv.
1911].
Gaubert, Ernest. Figures francaises. Rivarol. — Fromentin. — Fran-
?ois Copp(^e. — Emmanuel Signoret. — Charles Gu6'in. — Maurice
Barres. Paris. Nouvelle librairie nationale. X, 240S. Iß''. 3 fr. 50.
Gazier, A. Le theätre de Florian, Andrieux, Colin d'Harleville, Fabre
d'Eglantine [In: Rev. des cours et Conferences XIX, 4].
Gerold, Th., Zum 'genre troubadour' um 1780 [Im Arch. f. n. Spr. 126V2-
Hansen, Ch. Frauenbildung im 17. Jahrhundert in Frankreich nach
den Briefen von Mme de Sevigne. Diss. Heidelberg 1910. 66 S. 8^.
Hazard, P. La Revolution frangaise et les lettres italiennes. Essai
sur l'influence frangaise en Italie de 1789 ä 1815. Paris, Hachette.
8». Fr. 10.
Hervier, M. Les Ecrivains frangais juges par leurs contemporains.
Jugements recueillis, commentes, completes ou rectifies. I. Le
XVle et XVIle siecle. Paris, P. Delaplane, 1911. In-16, VIII,
676 p. 4 fr. 50.
Humblot, M. L'edition littöraire au XIXe siecle. 18 S. 8" [Supple-
ment ä la Bibliographie de la France, n° 11. 17 mars 1911].
Kohler, E. Entwicklung des biblischen Dramas des XVI. Jahrh.
in Frankreich unter dem Einfluß der literarischen Renaissance,
bewegung XIV, 69 S. 8*^. [Münchener Beiträge zur rom. u. engl-
Phil. 52. Heft].
Lachevre, Fr. Disciples et successeurs de Thöophile de Viau. La
vie et les po^sies libertines inedites de Des Barreaux (1599 — 1673)
— Saint-Pavin (1595—1670). Paris, H.Champion, 1911. XIV^
541 S. 8". 10 frcs. [Le libertinage au XVI le siecle].
Ledere, T. Les femmes de theätre du XVIIJe siecle. Paris,
H. Piazza. 200 fr.
Lefranc, A. Les romans du XVe siecle [In: Rev. des cours et Con-
ferences XIX, 5].
— Les Romans et les Farces du XVe siecle [In: Rev. des cours et
Conferences XIX, 7].
— Les poetes du XVe siecle. Les Humanistes. L'imprimerie [In:
Rev. des cours et Conferences XIX, 8].
— Origines de l'imprimerie. Savants et Lettres au XVe siecle. Robert
Gaguin [In: Rev. des cours et Conferences XIX, 9].
— La Renaissance aux Pays-Bas. Erasme. Les grands Rhetoriqueurs
[In: Revue des cours et Conferences XIX, 11].
Levrault, L. La Critique litteraire (Evolution du genre). Paris, P.
Delaplane, 1910. In-18, 138 p. 75 cent [Les Genres litteraires].
Maury, L. Les origines du romantisme [In: Revue bleue: 18 fevr. 1911].
Morel, L. La fortune de 'Werther' en France dans la pot^sie et le
roman (1778—1816) [In: Archiv f. n. Sprachen CXXV, 347—372].
Retinger, J. H. Histoire de la litterature frangaise, du romantisme
ä nos jours. Paris, B. Grasset, 1911. In-16, .323 p. 3 fr. 50.
Rigal, E. De Jodelle ä Moliere. Tragedie. Comedie. Tragi-Comedie.
Paris, Hachette et Cie. 3 fr. 50.
Schomann, Emilie. Französische Utopisten des 18. Jahrhunderts und
ihr Frauenidoal. Dissert. Greifswald 1911.
Stenger, Gilbert. Grandes dames du XIXe siecle. Ghronique du temps
de la restauration. La Duchesse d'Angouleme. — La Duchesse
Novitätenverzeichn is. 317
de Berry. — La Marquise de Castries. — La Duchesse de Duras.
— La Princesse de la Tremoille. — La Duchesse de Raguse. — La
Marquise de Montcalm. — Mme de Remusat. — La Duchesse
d'Abrantes. — La Princesse de Foix. — La Duchesse de Broglie.
— La Comtesse du Cayla. — La Duchesse de Dino. Paris, Perrin
et Cie. 5 fr.
Stroloke, F. Das Tönende in der Natur bei den französischen Ro-
mantikern. Königsberger Dissert. 1911 [Die vollständige Arbeit
erscheint in Bd. XXXI der Romanischen Forschungen].
b) Einzelne Autoren.
Antoine de la Säle. — A. Lefranc. La civilisation intellectuelle en
France ä l'epoque de la Renaissance. Le Petit Jehan de Saintr6
[In: Revue des cours et Conferences XIX, 6].
Arene, Paul. Von Lorenz Petry. Tübinger Dissertation 1910.
Augier. — G. Le Bidois. Em.ile Augier moraliste [In: Le Correspondant
10 janv. 1911].
— Emile Augier et la Comedie sociale p. H. Gaillard de Champris.
Paris, B. Grasset. 6 fr.
Balzac ignore p. le Docteur Cabanes 2iönie ed. Paris, Albin Michel.
3 fr. 50.
— A. Bettelheim. Balzac - Studien 2 [In: Deutsche Rundschau
XXXVII, 2].
— L. Tailhade. Quelques notes sur Balzac [In: Mercure de France
16 janv. 1911].
— P. Musso. II Beranger e il Brofferio [In: Rivista d'Italia XIII, 5].
Boileau et son temps p. A. Gazier [In: Rev. des cours et Conferences
XIX, 8].
— A. Gazier. Boileau poete satirique [In: Revue des cours et Con-
ferences XIX, 5].
— A. Gazier. La vie de Boileau [In: Rev. des cours et Conferences
XIX, 9. 11].
Bonjour, C, als Sittenschilderer seiner Zeit von E. Bauer. Dissert.
Heidelberg 1910. 154 S. 8».
Bossuet. — Martine Bemusat. Un converti de Bossuet [In: Rev. de
Paris XVIII, 4].
Charles d'Orleans. — H. N. Mac Cracken. An English Friend of
Charles of Orleans [In: Publ. of Mod. Lang. Assoc. of America
XXVI, 1].
Chevreau. — G. Boissiere. Urbain Chevreau. 1613 — 1701. Sa vie et
ses. Oeuvres. Niort, Clouzot. Dissertation Poitiers. X, XX,
508 S. 8".
Daudet. — H. Willert Thackerav und Daudet [In : Arch. f. n. Spr.
126 ly.
Delille. — F. Baldensperger. L'Emigration de Jacques Delille [In:
Rev. d'Hist. litter. de la Fr. XVIII, 1].
Des Barreaux. S. oben p. 316 Lachevre.
Faui'el, Henri, sa vie, son oeuvre, l'homme ,le savant, l'ecrivain, l'homme
politique; par Amedee Coignet et Georges Ackain. Paris, P. Rosier,
1911. In-18, 35 p. 1 fr.
Fenelon. — Lettres ä M. Jules Lemaitre sur la valeur, pour une nation,
de «rUnite d'esprit», ä propos de ses Conferences sur Fenelon; par
L. Gilard. Paris, Fischbacher, 1911. In-16, 59 p.
— Fenelon et l'Education attrayante; par Gabriel Compayre. Paris,
P. Delaplane, 1910. In-18, 107 p. 90 cent [Les Grands Educateurs].
— Fenelon (etude d'äme); par l'abbe Sanvert. Paris, G. Amat, 1911.
In-8, 304 p. 6 fr. [Voix canadiennes].
318 Novitätenverzeichnis.
Flaubert ä Chenonceaux p. R. Marüneau [In: Mercure de France
ler Mars 1911].
— E. Bovet. Le realisme de Flaubert [In: Revue d'Hist. litter de la
France XVIII, 1].
Gobineau et sa femme p. T. de Visan [In: Le Journal des Debats
10 janv. 1911].
Hugo, V. — Marradi. La pietä sociale nel romanzo: Victor Hugo e
Leone Tolstoi. S. Miniato, tip. V. Bongi e figli, 1910. 8". 24 S.
— La Philosophie de Victor Hugo (1854 — 1859) et Deux Mythes de
la Legende des siecles. Le Satyre. Pleine mer. Plein ciel; par
Paul Berret. Paris, H. Paulin et Cie., 1910. In-8, 144 p.
R. Pichon. Virgile et Victor Hugo [In: Rev. d. deux mondes
15 mars 1911] (In Veranlassung der Arbeiten Chabert's und Guiard's
über das gleiche Thema. Vgl. oben p. 227).
Lamartine et Elvire d'apres de nouveaux documents p. L. Seche [In:
Mercure de France ler fevrier 1911] (Vgl. auch Annales Romantiques
VIII, 1].
— P. de Lacretelle. Les origines maternelles de Lamartine [In: Mercure
de France. 16 fevrier 1911].
— Pierre de Lacretelle. Les origines et la jeunesse de Lamartine.
1790—1812. Paris, Hachette et Cie. 3 fr. 50.
Lamennais. — A. Rebellian. Une amitie feminine de Lamennais [In:
Mercure de France ler fevrier 1911].
La Rochefoucauld. — G. Tinivelle. La Rochefoucauld e le sue massime.
Studio storico-critico. Sondrio. 160 S. 8^.
Loti, P., sein Wesen aus seinen Werken von G. Goyeri. Marburger
Dissertation 1910.
Martial d" Auvergue. — A. Thomas. Le pere de Martial d'Auvergne
[In: Romania XXXIX, 586].
Maupassant. — Souvenirs sur Guy de Maupassant; par Frangois
(Tassart), son valet de chambre (1883 — 1893). Paris, Plon-Nourrit
et Cie., 1911. In-16, 321 p. 3 fr. 50.
— Fr. Tassart. La mort de Guy de Maupassant [In: Rev. des deux
Mondes ler mars 1911].
Moliere. — D. H. Miles. The influence of Moliere on Restoration
Comedy. New York, The Columbia University Press. IX, 272 S.
8° [Columbia University Studies in ComparatiVe Literature].
— Moliere p. M. Donnay. Paris, A. Fayard. 3 fr. 50.
— S. oben p. 316 Rigal.
Montaigne inconnu; par E. Courbet. Paris, H. Leclerc, 1910. In-8,
16 p. [Extrait du «Bulletin du bibliophile»].
Montesquieu. S. oben p. 316 Collins.
Murger. — Le cinquantenaire d'Henry Murger; Son Excellence Gustave
Colline, Souvenirs personnels, par Leon Seche [In: Annales Ro-
mantiques VIII, 1].
— Henry Murger p. Jules Claretie [In: Le Temps. 20 janv. 1911].
Musset et l'esprit allemand [In: Annales Romantiques VIII, 1. S. 60
bis 64].
— Michelet inspirateur de Musset p. J. Giraud [In: Revue bleue 1910].
— Alfred de Musset au Maine; par le marquis de Beauchesne. Mamers,
impr. Fleury, 1911. In-8, 23 p. [Extrait de la «Revue historique
et archöoiogique du Maine», t. 68, 1910].
— H. Harbeck. Alfred de Musset [In: Zeitung f. Lit., Kunst und
Wissenschaft. Beil. d. Hamb. Korrespondenten 22].
Pascal als Erotiker von P. Sakmann [In : Arch. f. n. Spr. 126 ^2]-
Prudhomme, Sully, von N. Hohbach [In: Neuere Sprachen XVIII, 9].
— W. Brangsch. Philosophie und Dichtung bei Sully Prudhomme.
Greifswalder Dissertation 1911.
Novitätenverzeichnis. 319
Quinault. — E. Richter. Philippe Quinault, sein Leben, seine Tragödie,
seine Bedeutung für das Theater Frankreichs und des Auslandes.
Diss. Leipzig 1910. 151 S. 8°.
Racine. — Les deux Racine de M. Faguet. R^ponse de M. Masson-
Forestier [In: Revue des deux mondes. ler f^vrier 1911].
Regnier, H. de, p. G. Jean-Aubry [In: Mercure de France 16 f6vr. 1911].
Rimband chez les Parnassiens: Sa liaison avec Verlaine p. P. Berrichon
[In: Mercure de France ler mars 1911].
Rousseau, Jean-Baptiste röfugiö en Suisse, en Autriche et aux Pays-
Bas (1710 — 1741) d'apres les documents diplomatiques inedits et
sa propre correspondance; par Hyrvoix de Landosle. Paris, Plon-
Nourrit et Cie., 1911. In-8, 87 p- [Extrait de la «Revue d'histoire
diplomatique»].
— Rousseau contre Helvötius p. P.-M. Masson [In: Rev. d'Hist.
littär. de la France XVIII, 1].
— G. Gran. Jean- Jacques Rousseau [Det nittende aarhundredes
tilblivelse. L] Christiania, H. Aschehong &Co. (W. Nygaard). Kr. 5.
— S. oben p. 316 Collins.
Saint-Gelais. — C. Rutz-Rees. A note on Saint-Gelais and Bembo
[In: The Romanic Review I, 4].
Saint-Pavin. — S. oben p. 316 Lachevre.
Sand, G. — A. Vovard. Le colonel Dudevant, beau-pere de George
Sand [In: Feuilles d'Histoire ler mars 1911].
Scarron. — Scarroniana. Von Joseph Frank (Schluß) [In: Archiv f. n.
Sprachen CXXV, S. 330—346].
Stael, Mme de. — Maria Teresa Porta. Madame de Stael e l'Italia.
Firenze, Ferrante Gonnelli 1910.
d'Urfe, Honore, dans ses rapports avec la Bresse et le Bugey, d'apres
les archives de Chäteaumorand (Loire), de Leran (Ariege), etc., et
les travaux de M. le chanoine O. C. Reure sur: La Vie et les ffiuvres
de Honore d'Urfe; par Edmond Chapoy. Bourg, impr. du «Courrier
de l'Ain», 18, rue Lalande. In-8, 23 p. avec grav. et fac-simil6
d'autographe.
Verlaine. — L. Maury. Humilis et Verlaine [In : Revue bleue. 4. f^vrier
1911].
— Ch. Morice. Discours prononce au banquet des Amis de Paul
Verlaine. Plaquette in-12. Paris, L. Vanier. 1 fr.
Vigny, Alfred de. — O. G. Harlander. Alfred de Vigny's pessimistische
Weltanschauung. Ein Beitrag zur Geschichte des Romantizismus
in Frankreich. Münchener Dissert. \I, 89 S. 8" [Auch in Rom.
Forsch. XXIX].
Villon ä Metz p. G. Thiriot [In: Le Pays Lorrain et le Pays Messin
20 janv. 1911].
Voltaire. — Chardonchamp, G. La Familie de Voltaire. Les Arouet.
Avec un tableau genealogique et des blasons. Paris, H. Champion,
1911. In-8, 71 p. 2 fr. 50 [Extrait de la «Correspondance historique
et archeologique». Annees 1909—1910].
— L'Affaire Sirven. Etüde historique d'apres les documents origi-
naux; par Elie Galland, Avec une lettre de M. Emile Faguet.
Mazamet, impr. V. Carayol ; en vente chez l'auteur. 1910. In-8,
XI-549 p. avec grav., autographe et carte. 6 fr.
— F. Caussy. La Mission diplomatique de Voltaire [In: La Grande
Revue. 10 fevr. 1911].
■ — S. oben p. 316 Collins.
7. Ausgaben, Srlänterungsschrlften, Übersetzungen,
Lewis, Charles B. La lyre d'amour. An anthology of French love
poems from the earliest times down to 1866, selected and anno-
320 Novitätenverzeichnis.
tated. With a photogravure frontispice. Chatto & Windus.
London 1911. 5 sh.
Hammond, E. P. Latin texts of the Dance of Death [In: Mod. Phil.
VIII, 3].
Hill, R. T. Two Old French lyrics hitherto unpublished [In: Mod.
Lang. Notes XXVI, 2].
Jordan, L. Physiognomische Abhandlungen [In: Rom. Forsch.
XXIX, 2].
Meyer, P. Notice du ms. Egerton 735 du Musee Britannique (premier
article) [In: Romania XXXIX, 532—569].
Petersen, Holger. Deux chansons pieuses inconnues (Dublin, Trinity
College, ms. D. 4. 18) [In: Neuphilol. Mitteilungen 1911. Nr. 1)'2].
Pillet, A. Beiträge zur Kritik der ältesten Troubadours. Sonder-
abdruck aus dem 89. Jahresbericht der Schlesischen Gesellschalt
für vaterl. Kultur. Sitzung der Sektion für neuere Philologie vom
23. Februar 1911. Breslau 1911. G. P. Aderholz Buchhandlung.
19 S. 8" (I. Eine neue Form eines Liedes des Grafen von Poitiers.
II. Binnenreim bei Cercamon und Marcabru. III. Zum Texte von
Marcabrus Gedichten).
Albertet de Sisteron. — G. Bertoni. Un componimento inedito di Albertet
de Sisteron [In: Zs. f. rom. Phil. XXXV, 2].
Aldebrandin de Sienne. — Le Regime de corps de Maitre Aldebrandin
de Sienne. Texte frangais du Xllle siecle pubiie pour la premiere
fois, d'apres les manuscrits de la Bibliotheque nationale et de la
Bibliotheque de l'Arsenal, par les docteurs Louis Landouzy et
Roger Pepin. Avec variantes, glossaire et reproduction de minia-
tures. Pi'eface de M. Antoine Thomas. Paris, H. Champion, 1911.
In-8, LXXVIII, 265 p.
Alexis. — L. Brandin. Vie de St. Alexis, Strophe CXI, 2 [In: Mod.
Lang. Review VI, 1. S. 98—100].
Antoine de la Säle. — O. Grojean. Un nouveau manuscrit d'Antoine
de la Säle [Extrait de l'Annuaire 1910 des Bibliophiles et Iconophiles
de Belgique].
Arnaut de Carcasses. — G. Bertoni. Nota sulla ,,Novella del Pappagallo"
[In: Zs. f. rom. Phil. XXXV, 104 f.].
Arnaut, Daniel. — R. Lavand. Eclaircissements sur la vie et l'oeuvre
d'Arnaut Daniel [In: Annales du Midi. Janv. 1911].
Aspremont. — /. Mayer. Weitere Beiträge zur Chanson d'Aspremont
(Quellen, Textproben). Diss. Greifswald 1910. 51 S. 8».
Aucassin et Nicolette, XXI, 5 — 8. By L. Brandin [In: Mod. Lang.
Review VI, 1. S. 100—102].
Austorc de Segret, Le sirventes d', p. C. Fahre (fin) [In: Annales du
Midi. Janvier 1911].
Bail en langue d'oc de travaux pour l'eglise de Calvisson (1482), pubiie
par Edouard Bondurand. Nimes, impr. A. Chastanier, 1911. In-8,
15 p. [Extrait des «Memoires de l'Academie de Nimes» de I'annee
1910].
Benoit de Ste Maure. — K. Basler. Konrads von Würzburg ,, Trojani-
scher Krieg" und Benoits de Ste Maure ,, Roman de Troie". Diss.
Berlin 1910. 134 S. 8».
Berte aux grans pies. S. oben p. 315 Reinhold.
Boeve von Hantone. — Fritz Oeckel. Ort und Zeit der Entstehung der
Fassung II des festländischen Boeve von Hantone. Göttinger
Dissertatiou 1911. VIII, 88 S. 8».
Novitätenverzeichnis. 321
Brendan. — Das anglonormannische Gedicht von Brendan als Quelle
einer lateinischen Prosafassung, von E. Pfitzner. Hallenser Diss
1910 [Aus: Zs. f. rom. Phil. XXXV, 1].
Cercamon. S. oben p. 320 Pillet.
Une Chanson en l'honneur du glossateur Martin et de son fils Guillaume
p. Jean Acher. Palermo, Stab. tip. ditta L. Gaipa 1910 [Estratto
dagli 'Studi in onore di Biagio Brugi'].
Chants royaux et Tableaux de la confrörie du Puy Notre-Dame
d'Amiens reproduits en 1517, pour Louise de Savoie, duchesse
d'Angouleme (Bibliotheque nationale, ms. fran^ais, 145), publi^s
par Georges Durand, A. Picard et fils. 1911. In-fol., XI p. et 47
planches. [Memoires de la Society des antiquaires de Picardie.]
Chevalerie Vivien, facsimile phototypes of the Sancti Bertini manuscript
of the Bibliotheque Municipale of Boulogne-sur-Mer with an intro-
duction and notes by Raymond Weeks. Published by the University
of Missouri 1909 [The University of Missouri Studies ed. by W. G.
Brown. 1 Literary and linguistic series].
Chevalier au Cygne. — M. Einstein. Beiträge zur Überlieferung des
Chevalier au Cygne und der Enfances Godefroi. Diss. Bern. 43 S. 8**.
Chrestien. — E. Pr. Hammond. A note on borrowing from Chretien
de Troyes [In: Mod. Lang. Notes. March 1911].
— Edens, R. Erec-Geraint. Der Chretien'sche Versroman und das
wälsche Mabinogi. Rostocker Dissertation. Gekrönte Preisschrift.
Rostock 1910. IX, 148 S. 8».
Covenant Vivian. — Willy Schulz. Der Covenant Vivian und der
gegenwärtige Stand der Forschung. Progr. der Kgl. Realschule
in Wollstein 1911.
Deschamp. — J. L. Lowes. Chaucer and the Miroir de Mariage II
[In: Modern Philol. VIII, 3].
Doon de Laroche. — S. oben p. 314 Benary.
Eneas. — B. Fairly. Die Eneide Heinrichs von Veldeke und der
Roman d'Eneas. Eine vergleichende Untersuchung. Diss. Jena
1910. 91 S.
Enfances Guillaume. — H. Theuring. Die Prosafassung der ,, Enfances
Guillaume". Diss. Halle 1910. 73 S. 8».
Enfances Godefroi. S. oben Chevalier au Cygne.
Eustache von Kent. — H. Schneegans. Üljer die Interpolation des
'Fuerre de Gadres' im altfranzös. Roman des Eustache von Kent
[In: Festschr. für W. Vietor. S. oben p. 311 Neuere Sprachen].
Foucon de Candie. — R. Weeks. A mention of the Return of King
Arthur in Foucon de Candie [In: The Romanic Review I, 4].
Garin le Loherain. — E. Stengel. Ein neues Bruchstück Z'^ der Chanson
von Garin le Loherain [In: Festschr. f. Vietor. S. oben p. 311 Neuere
Sprachen].
Geoffrey of Monmouth. S. oben p. 314 Bruce.
Gormont et Isembart. S. oben p. 311 Sostmann.
Hue de Rotelande. — W. Hahn. Der Wortschatz des Dichters Hue
de Rotelande. Greifswalder Dissertation 1910.
Jehan de le Mote. — E. Hoepffner. Die Balladen des Dichters Jehan
de le Mote [In: Zs. f. rom. Phil. XXXV, 2].
Lanfranc Cigala. — G. Bertoni. Su Lanfranc Cigala 282, 20 [In: Zs.
f. rom. Phil. XXXV, 103 f.].
Ä Liturgical Play of Joseph and his brethren p. by K. Young [In:
Mod. Lang. Notes XXVI, 2].
Marcabru. S. oben p. 320 Pillet.
Marie de France. — T. P. Gross. The Celtic origin of the lay of Yonec
[In: Revue Celtique XXXI, 4].
322 Novüäienverzeiclinis.
Mistere de la conception. — E. Franke. Untersuchungen über Le
Mistere de la conception et nativite de la glorieuse vierge Marie
avecques le mariage d'icelle la nativite passion resurrection et
ascension de nostre sauver et redempteur Jesucrist jou^e a Paris
l'an de grace mil cinq cens et sept. Diss. Greifswald 1910. 68 S. 8".
Mystere de Saint Clement. — F. Tinius. Studien über das Mvstere
de Saint Clement. Diss. Greifswald 1910. 88 S. 8».
The Oak Book of Southampton of c. A. D. 1300. Transcribed and
edited from the unique MS. in the Audit House, with Translation,
Introduction, Notes, etc. by P. Studer, M. A. . . Vol. I, including
the Anglo-French ordinances of the Ancient Guild Merchant of
Southampton. Southampton: Cox Sharland. 1910 [Publi-
cations of the Southampton Record Society. General Editor:
Professor F. J. C. Hearnshaw, M. A., LL. D.].
Ogier. — B. Cerf. The Franco-Italian Chevalerie Ogier II [In: Mod.
Philol. VIII, 3].
Philomena. — Lucy M. Gay. Notes on De Boer's edition of Philomena
[In: Mod. Lang. Notes March 1911].
Rambertino Buvalelli. — O. Schultz-Gora. Zu Bertoni's Ausgabe des
Rambertino Buvalelli [In: Zs. f. rom. Phil. XXXV, 99—102].
Raimbaut von Vaqueiras. — R. Zenker und Kurt Lewent. Nochmals
Raimbaut von Vaqueiras und der Kaiser von Konstantinopel
[In: Arch. f. n. Sprachen CXXV, 404—410].
— Nie. Zingarelli. Engles nelle rime di Rambaldo di Vaqueiras.
22 S. 8''. 1900 [Aus : Miscellanea di studi critici in onore di V. Gresciui.],
Sainte Marguerite. — An Italien Version of the Legend of St. Margaret.
By C. Foligno [In: Mod. Lang. Review VI, 1].
Das Seerecht von Oleron nach der Handschrift Paris, Bibliotheque de
l'Arsenal no 2570. D plomatischer Abdruck mit Einleitung,
ergänzendem Glossar und einer Handschriftprobe von Dr. jur.
Heinrich Ludwig Zeller. Berlin, in Kommission bei R. L. Prager.
Pr. 1,50 Mk. [Sammlung älterer Seerechtsquellen, Heft 6].
Tristan. S. oben p. 315 Zenker.
Troie, Roman de. — G. Bertoni. Un frammento di una versione per-
duta del Roman de Troie [In: Romania XXXIX, 570—579].
Vita Sancti Honorati, herausgegeben nach drei Handschriften von
B. Munke. Hallenser Diss. 1911 [Erscheint vollständig als 31. Bei-
heft zur Zs. f. rom. Phil.].
Vivien. S. oben 321 Chevalerie.
Wace. S. oben p. 314 Bruce.
Wilhelm von Poitiers. S. oben p. 320 Pillet.
Anthologie des ecrivains franpais. Poesie (XVIIIe siecle), publice,
sous la direction de Gauthier-Ferrieres. 31 portraits dont 4 hors
texte, 30 autographes. Paris, Larousse. Petit in-8, 152 p. 1 fr.
Anthologie des ecrivains frangais. Prose (XVIIIe siecle), publice sous
la direction de Gauthier-Ferrieres. 30 portraits, dont 4 hors texte,
26 autographes. Paris, Larousse. Petit in-8, 160 p. 1 fr.
Bibliotheca romanica. kl. 8^. Straßburg, J. H. E. Heitz. — 117. 118.
Bibliotheque fran?aise. Saint-Pierre, Bernardin de: Paul et Vir-
ginie. 162 S. 1910. — 119. Bibliotheque fran^aise. Moliere:
Th^ätre. Le Tartuffe. 106 S. 1910.
Les Poetes du Terroir du XVe siecle au XXe siecle, Textes choisis ac-
compagnös de Notices biographiques, d'une Bibliographie et de
Cartes des anciens Pays de France par Ad. van Bever. Tome III:
Languedoc et Comte de Foix. — Lorraine. — Lyonnais. — Niver-
nais. — Normandie. Paris, Ch. Delagrave. 3 fr. 50.
Novitätenverzeichnis. 323
Andrieux. S. oben p. 316 Gazier.
Barhey d'Aurevilly, J. Les Diaboliques. Compositions et gravure ori-
ginale de Lobel-Riche. Paris, A. Romagnol, 1910. In-4, X-327 p.
Baudelaire. — Nadar. Charles Baudelaire intime. Le poete vierge.
Deposition. Documents. Notes. Anecdotes. Correspondance.
Autographes et Dessins. Le Gonade. La Fin. Paris, Auguste
Blaizot. 15 fr.
Beaumarchais. — A. Gazier. Le thöätre de Beaumarchais [In: Revue
des cours et Conferences XIX, 2. 3].
Brossette. S. oben p. 319 J.-B. Rousseau.
Chateaubriand. — E. Herpin. Les Tiroirs de Chateaubriand [In:
Mercure de France. 16 mars 1911].
— inedit p. P. Dubois [In: Rev. d'Hist. litter. de la France XVIII, 1].
— G. Charlier. A propos du Manuscrit des ,,Natchez" [In: Rev.
d'Hist. litter. de la P>ance XVIII, 1].
— V. Giraud. Sur Chateaubriand traducteur de Milton [In: Rev.
d'Hist. litter. de la France XVIII, 1].
— Le Genie du christianisme. Paris, Hachette et Cie. 1910. In-16,
IV-655 p. 3 fr. 50.
— Anatole Le Braz. Sur la Correspondance de Chateaubriand relative
ä son tombeau [In: Rev. d'Hist. littör. de la France XVIII, 1].
Colin d'Harleville. S. oben p. 316 Gazier.
Fahre d' Eglantine. — S. oben p. 316 Gazier.
Flauhert. Sur la derniere edition de Par les Champs et les Greves,
de G. Flaubert, p. Rene Descharmes [In: Annales Romantiques
VIII, 1].
— Une lettre inedite de Gustave Flaubert [In: Annales Romantiques
VIII, 1].
— ffiuvres de jeunesse inedites, de Gustave Flaubert. II, 1839 — 1842.
CEuvres diverses. Novembre. Paris, L. Conard, 1910. In-8,
287 p. 8 fr. [Appendice aux oeuvres completes de Gustave Flaubert].
— ffiuvres de jeunesse inedites. III, 1845 — 1846. L'Education
sentimentale (version de 1845). Paris, L. Conard. 1910. In-8,
371 p. 8 fr. [Appendice aux oeuvres completes].
— CEuvres completes. Correspondance. 2e serie (1850 — 1854).
Paris, L. Conard. 1910. In-8, 460 p. 8 fr.
— CEuvres completes. L'Education sentimentale. Histoire d'un jeune
homme. Paris, L. Conard, 1910. In-8, 708 p. 8 fr.
Florian. — S. oben p. 316 Gazier.
— Lettres inedites de Florian [In: Rev. d'Hist. litter. de la France
XVIII, 1].
Guerin. — Comte de Colleville. Un cahier inedit du Journal d'Eugenie
de Guerin [In: Mercure de France 16 fevrier 1911].
Hugo. — Le Moyen Age dans la legende des siecles et les Sources de
Victor Hugo; par Paul Berret. Paris, H. Paulin et Cie. In-8,
447 p. 10 fr.
— E. Blemonl. Le reliquat des ,,Chätiments" [In: Annales Roman-
tiques VIII, 1. S. 49—53].
Lamartine. — Une poesie inedite de Lamartine [In: Annales Roman-
tiques VIII, 1. S. 48 f.].
— Variantes et Corrections inedites des ,,Harmonies" de Lamartine
[In: Rev. d'Hist. litter. de la France XVIII, 1].
— G. Allais. Les ,,Harmonies" de Lamartine et le manuscrit de la
ville d'Angers [In: Rev. des cours et Conferences XIX, 3].
— CEuvres choisies; par Rene Waltz. Poesie. Paris, Hachette et Cie.,
1910. In-16, LXIV-319 p. 3 fr. 50.
— Nouvelles Meditations poetiques. Compositions de H. Guinier,
gravees ä l'eau-forte par C. Coppier. Paris; Soci^te des amis des
livres. 1910. In-8, 182 p.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXVir. 22
324 Novitätenverzeichnis.
Lamartine — CEuvres. Voyage en Orient. T. ler. Paris, Hachette
et Cie., 1910. In-16, 490 p. 3 fr. 50.
— Le Manuscrit de ma mere, avec commentaires, prologue et epilogue.
Paris, Hachette et Cie., 1911. In-16, XI-322 p. 3 fr. 50 [Cette
Edition est publice par les soins de la Societe proprietaire des ceuvres
de M. de Lamartine].
Latouche, H. de. — Un Roman politique sous la Restauration: Clement
XIV et Carlo Bertinazzi, de Henri de Latouche, par Georges Vrancken
[In: Annales Romantiques VIII, 1].
Leconte de Lisle. Contes en prose (impressions de jeunesse). Preface
de Jean Dornis. Paris, Societe normande du livre illustr^. 1910.
In-8, XXIV-221 p., portrait grave au burin par J. A. Corabeuf,
d'apres un dessin au crayon de Jobbe-Duval. Ornements typo-
graphiques de Malatesta gravis sur cuivre par Maccard et tires en
taille-douce par Wittmann.
Lesage. — Le Realisme pittoresque chez Lesage et ses prödecesseurs
immediats; par Irene Galli. Grenoble, impr. Allier freres, 1910.
In-8, 72 p.
Marcellus, Comte de. — Lettres inödites du Comte de Marcellus ä
M. Henri de Bonald (suite) [In: Annales Romantiques VIII, 1
(ä suivre)].
Marivaux. — Theätre choisi. Paris, J. Gillequin et Cie. In-16, 233 p.
[Tous les chefs-d' Oeuvre de la littörature fran^aise].
Marot. (Euvres de Clement Marot. Paris, J. Gillequin et Cie. In-16,
184 p. [Tous les chefs-d' ceuvre de la litterature frangaise].
Merimee, P. Lettres ä Estäbanez Calderon. Paris, editions de la
«Revue politique et litteraire» («Revue Bleue») et de la «Revue
scientifique», 41 bis, rue de Chäteaudun. 1910. In-8, 30 p. [Extrai
de la «Revue politique et litteraire» («Revue Bleue») des 12 et
19 novembre 1910].
Moliere. — P. Martin. La ceremonie turque du ,, Bourgeois gen-
tilhomme" [In: Rev. d'Hist. litter. de la France XVIII, 1].
— H. Hartmann. Die literarische Satire bei Moliere. Tübinger
Dissertation 1910.
— Moliere' s sämtliche Werke übersetzt von Margarete Beutler, Hein-
rich Conrad, Friedrich Freksa, Reinhard Koester und Eugen Neres-
heimer, herausgegeben von E. Neresheimer. München, G. Müller.
6 Bde. ä 5 Mk. (Im Erscheinen).
Montaigne. — Les editions des ,,essais" de Montaigne: Le texte de la
,,Vulgata" [In : Ac. des Inscript. et Beiles- Lettres- Comptes Rendus
1910. Bulletin de döcembre. P. 765—768].
— Essais, precedes d'une lettre ä M. Villemain sur l'eloge de Mon-
taigne; par M. Christian. T. ler. Paris, Hachette et Cie., 1911.
In-16, XII-385 p. 1 fr. 25 [Les Principaux Ecrivains frangais].
Musset, Alfr. de. Liebesbriefe an Aimee d'Alton (Madame Paul de
Musset). Mit ungedr. Gedichten 1837 — 1848. Einleitung u. An-
merkgn. v. L^on Sech6. Übertr. v. Auguste Förster. 7. Aufl.
185 S. m. Titelbild, kl. 8». Berlin, H. Seemann Nachf., 1911.
2 Mk.
— Une nuit de Musset; par Charles de Bussy. Lettre-pr6face de M.
Jules Claretie. Paris, P. Commaille, 1910. In-16, 70 p. 2 fr. 50.
Perrault. — Les Contes de Perrault. Dessins par Gustave Dorö. Pre-
face par P. J. Stahl. Paris, J. Hetzel. In-fol., XXV-132 p. 26 fr.
— Contes. Images de Georges Delaw. Preface de Mme Edmond
Rostand. Paris, A. Sporck, 1910. Petit in-4, 68 p.
Babelais. (Euvres. T. 2, t. 3 et dernier: Pantagruel. Corbeil, impr.
Cret6. Paris, J. Gillequin et Cie. 2 vol. in-16. T. 2, 247 p.;
t. 3, 211 p. [Tous les chefs-d' oeuvre de la litterature frauQaise].
Novitätenverzeichnis. 325
Rabelais. — Rabelais en fran^ais moderne; par J. A. Soulacroix, ]>recM6
de l'opinion de M. Emile Faguet. Illustrations par F. Jobbe-Duva
et R. de La Nöziere. T. ler, 2, 3, 4, 5, 6. Paris, Libr. universelle,
20, rue Saint-Marc. 6 vol. in-16. T. ler, 280 p.; t. 2, 272 p.; t. 3,
276 p.; t. 4, 275 p.; t. 5, 280 p.; t. 6, 272 p. avec grav. Chaque
volume, 75 cent.
Renan, E. ä Victor Cousin p. P. B. [In: Rev. d'Hist. litter. de la France
XVIII, 1].
Ronsard. Poemes. Paris, J. Gillequin et Cie. In-16, 133 p. [Tous
les chefs-d'ceuvre de la litt(^rature frangaise].
Rousseau, J.-B. — Correspondance de Jean-Baptiste Rousseau et de
Brossette. Publiee d'apres les originaux, avec une introduction,
des notes et un index par P. Bonnejon. T. 1. 1715 — 1729. Paris,
Ed. Cornely et Cie. [Soc. des textes frang. modernes].
Rousseau, J. J. ffiuvres. Le Devin du village. Lettres ecrites de
la montagne. Dialogues. Les Reveries d'un promeneur solitaire.
Paris, Garnier freres, 1910. In-18 jösus, 627 p. 3 fr.
Sainte-Beuve, Lettres inedites de [In: La Revue l^r janvier 1911].
— J. Lemaitre. Les Peches de Sainte-Beuve [In: Revue hebdoma-
daire. 28 janv. 1911].
Sales, Saint Frangois de. QEuvres. Edition complete d'apres les
autographes et les editions originales, enrichie de nombreuses
pieces inedites. Dediee ä S. S. L4on XIII et honoree de deux brefs
pontificaux. Publiee sous les auspices de Monseigneur l'eveque
d'Annecy, par les soins de religieuses de la Visitation du premier
monastere d'Annecy. T. 16: Lettres. Vol. 6. Lyon, E. Vitte. Paris,
libr. de la meme maison. 1910. In-8, XII-486 p. et fac-simile
d'autographe. 8 fr.
Senancourt, E. de. Reverie sur la nature primitive de l'homme. Edition
critique p. J. Maerlant. T. 1. Paris, Ed. Cornely et Cie., 1910
[Soc. des textes frang. modernes].
Sevigne, Mme de. — S. oben p. 316 Hansen.
Stendhal. Journal d'Italie p. p. P. Arbelet. Paris, Calmann-Levv.
3 fr. 50.
Verlaine, Paul. Vers. (Edite par Georges A. Tournoux.) 198 S. gr. 8*^.
Leipzig, E. Rowohlt, 1910. Geb. 12 Mk.
Villon, F. CEuvres, publiees avec preface, notices, notes et glossaire;
par Paul Lacroix. Paris, E. Flammarion. In-18 Jesus, 368 p.
95 cent [Les Meilleurs Auteurs classiques frangais et etrangers].
Voltaire, ffiuvres completes. T. 19: Dictionnaire philosophique (suite
et fin). Paris, Hachette et Cie., 1911. In-16, 463 p. 1 fr. 25 [Les
principaux ecrivains frangais].
— A. Lelioux. Le dernier descendant de Calas et la Convention
[In: Bulletin de la Soc. de l'Hist. du Protestantisme Frangais.
Janvier-fevrier 1911].
8. Geschichte and Theorie des Unterrichts.
Ellinger, Joh. Über die Vorteile der in der III. und IV. Klasse der
Realschule durchgeführten Ausgleichung der französischen Stunden
[In: Zs. i. d. Realschuhv. XXXVI, 1].
Gregoire, Ant. Conseils pratiques sur l'emploi des machines parlantes
dans l'enseignement des langues Vivantes [In: Rev. de Instruction
publique en Belgique No. 6 (1910)].
Hammer, W. A. Zur Verwendung der Sprechmaschine [In: Zs. f. d.
Realschuhv. XXXVI, 1. S. 1—7].
Hasl, Die Prüfungsordnung für das Lehramt der humanistischen und
realistischen Mittelschulen Bayerns nach dem Entwurf des König-
lichen Staatsministeriums [In: Zs. f. franz. u. engl. Unterr. X, 1].
22*
326 Novitätenverzeichnis.
Herp, J. van. Die Reform des neusprachlichen Unterrichts in Belgien
[In: Festschr. für Vietor. S. oben p. 311 Neuere Sprachen].
Jordan, R. Zur Behandlung der Frage nach den drei dramatischen
Einheiten auf der Mittelstufe der Gymnasien [Lehrproben und
Lehrgänge 1911. 2. Heft].
Middel, Jos. Wie erlerne ich durch Selbststudium fremde Sprachen
rasch und gründlich. Erprobte Ratschläge u. ausfuhr!. Besprechg
der in Frage komm. Hilfsmittel. 56 S. S». Stuttgart, E. Leupoldt,
1911. 80 Pf. » > 1- ,
Parmentier, A. Le Theätre en France depuis le debut du XVIe siecle
jusqu'ä la Revolution. Paris, G. Vitry, edit. de diapositives, 1910.
Petit in-8, 20 p. [Enseignement par les projections lumineuses.
Notices redigees sous le patronage de la commission des vues instituee
pres du Musee pedagogique].
Reuland, M. L'imagination et les möthodes scolaires. Progr. Echter-
nach 1910. 61 S. 4°.
Schröer. Die künstlerische Seite der Anschauungsbilder [In: Zs. f.
franz. u. engl. Unterricht X, 1. S. 35 — 42].
Strohmeyer. Bericht über einen Erlaß des französischen Unterrichts-
ministeriums zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der gram-
matischen Termini in der Schule [In: Zs. f. franz. u. engl. Unter-
richt X, 1].
Ulmer. Metrik in der Schule? [In: Zs. f. franz. u. engl. Unterricht X, 1
(Schluß folgt)].
Unterricht und Sprechmaschine. Mitteilungen üb. die Verwendg. der
Sprechmaschine als Unterrichtsmittel. Neue Folge v. ,,Sprachen-
erlerng. u. Sprechmaschine". Hrsg.: Vict. A. Reko. 3. Jahrg. 1911.
6Nrn. (Nr. 1 16 S.) gr. 8». Stuttgart, W. Violet. 1,20 Mk. Bisher
u. d. T.: Spracherlernung u. Sprechmaschine.
9. Liehrmittel für den französischen Unterricht.
a) Grammatiken, Übungsbücher etc.
Bechtel, Adf. Französisches Sprech- u. Lesebuch. Mittelstufe. Für die
3. u. 4. Klasse. 5., der ,,Verordng. des Ministers f. Kultus u. Unter-
richt vom 8. IV. 1909, Z. 14. 741", entsprech. Aufl. Mit 6 Bildern
u. 1 (färb.) Karte v. Frankreich. VIII, 225 S. 8^. Wien, Manz,
1911. 2,50 Mk.
Beck, Christoph. Französische Stilübungen nebst Diktat- u. Lesestoffen
f. höhere Lehranstalten. IL Tl. 3 Abtlgn. 8°. Nürnberg, F. Korn,
1910. Jeder Bd. 1,40 Mk. 1. Abtlg. Klasse VII. (XII, 84 S.) —
2. Abtlg. Klasse VIII. (IV, 72 S.) — 3. Abtlg. Klasse IX. (IV, 96 S.)
Den I. Teil bildet die französische Stillehre.
Bergmann, Martha. Idiomes. [Gallicismes-Germanismes.] Sprach-
eigenheiten (die jeder lernen kann u. muß). (Französisch-Deutsch.)
1. Tl. 55 S. 8». Magdeburg, K. Peters, 1910. Geb. 1 Mk.
Berlitz: Methode. 4 tableaux. Je 92 x 112,5 cm. Farbdr. Berlin,
S. Cronbach, 1911. 10 Mk.
Bize, Louis u. Wern. Flury. Cours gradue de la langue frangaise ä
l'usage des ecoles moyennes de langue allemande. Grammaire-
exercices-lecture. VII, 322 S. 8". Zürich, Schulthess & Co., 1911.
Geb. 3 Mk.
Böddeker, K., H. Bornecque, R. Erzgraeber. Übungsbuch f. höhere
Mädchenschulen u. Studienanstalten. (Böddeker-Bornecque-Erz-
graeber: Französisches Unterrichtswerk.) III. Tl.: Klasse II u. I.
der höheren Mädchenschule (bezw. Illa — I der Studienanstalt).
137 S. m. 3 färb. Karten u. 1 Plan. 8». Leipzig, G. Freytag, 1911.
Geb. 2 Mk.
Novitätenverzeichnis. 327
Boerner, O. u. R. Dinkler. Oberstufe zum Lehr- u. Lesebuch der fran-
zösisclien Sprache. Mit besond. Berücksicht. der Ubgn. im mündL
w. schriftl. freien Gebrauch der Sprache, f. Mittelschulen hrsg.
(Boerners französ. Unterrichtswerk. [Boerner-Dinkler f. Mittel-
schulen 3.]) V, 247 S. m. 12 Abbildgn., 1 Vollbild u. 2 Taf. 8».
Leipzig, B. G. Teubner, 191 L Geb. 2,C0 Mk.
Brunot et Bony. Methode de langue fran^aise. 3e livre, Maitre, destine
au cours moyen (preparation au certificat d'etudes primaires ele-
mentaires) et au cours superieur. Grammaire d'apres la methode
d'observation. Analyse de la forme et analyse du sens. Enseigne-
ment systematique du vocabulaire. Lecture. Recitation. Texte
des grands ecrivains. Methode de composition fran^.oise: Directions
et Exercices. Nombreux exercices en textes suivis. Paris, A. Colin,
1911. Petit in-8 ä 2 col., XVIII-419 p. 3 fr. 50 [Enseignement
primaire elementaire].
Enkel, H., Th. Klähr u. H. Steinen. Lehrbuch der französischen
Sprache f. Bürgerschulen (Knaben- u. Mädchenklassen). I. Teil
16. völlig umgearb. Aufl. v. Frdr. Hoffmann. Bilder v. Elisab.
Voigt. VII, 161 S. 80. Dresden, A. Huhle, 1911. 1,50 Mk.
Foulche-Delbosc, R. et A. R. Gongalves-Vianna. — Resumo de gram-
matica francesa. Paris, Aillaud, Alves et Cie. Petit in-8, 205 p.
[Ensino secundario official].
Gaßmeyer, M. u. A. Wagner. Französische Hausübungen (m. Schlüssel).
I. Regelmäßige Formenlehre. VIII, 92 u. 67 S. gr. 8". Leipzig,
Dr. Seele & Co., 1911. 1,60 Mk.
Kittkewitz, Geo. L'apprenti. Französisches Lehrbuch f. Handels-,
Gewerbe- u. kaufmänn. Fortbildungsschulen. Ausg. B. in 1 Tle.
Mit 2 färb. Karten u. 2 Stadtplänen im Text. 2., verb. Aufl. 252 S.
8». Leipzig, F. Hirt & Sohn, 1910. Geb. 2,50 Mk.
Kiinghardt, H. u. M. de Fourmestraux. Französische Intonations-
übungen. Für Lehrer u. Studierende. Texte u. Intonationsbilder
m. Einleitg. u. Anmerkgn. VII, 114 u. 35 S. 8». Cöthen, O.
Schulze Verl., 1911. Geb. 3,80 Mk.
Manger, Karl. Hilfsbüchlein f. den französischen Llnterricht. Übungs-
stücke zum Übersetzen aus dem Deutschen ins Französische, nebst
Präparation, kleine Synonymik, petit questionnaire grammatical
suivi des reponses. 3. u. 4., durchgeseh. u. verm. Aufl. IV, 135 S.
kl. 8». Nürnberg, C. Koch, 1911. 1 Mk.
Myard, J. et L. Meneret. Grammaire et Composition frangaise. Paris,
C. Delagrave. In-18, 331 p. 3 fr. [Bibliotheque des ecoles prati-
ques de commerce et d'industric].
Oliver, George A. S. Unterrichtsbriefe zur Erlernung fremder Sprachen
unter Benutzung humoristischer Texte. Französisch. (System
Oliver. Brieflicher Sprach- u. Sprech-Unterricht f. das Selbst-
studium Erwachsener.) Neue Aufl. 20 Briefe m. 3 Beilagen.
484, 47, 20 u. II, 41 S. Lex. 8^. Berlin-Schöneberg, Mentor-Verlag,
1911. In Mappe 20 Mk.; einzelne Briefe 1 Mk.
Orell FüssWs Bildersaal f. den Sprachenunterricht. Kommentar zum
8. Heft. Aufsätze f. den Unterricht in der französ. Sprache v.
G. Egli. Fragensammlung u. ausgeführte Beispiele in französ.
Sprache v. Gh. Alb. Rosse. 2. Aufl. 119 S. m. Abbildgn. 8».
Zürich, Art. Institut Orell Füssli, 1910. 2 Mk.
— dasselbe. Collection d'images destin(^e ä l'enseignement des langues.
Commentaire du 7^ cahier. Sujets de redactions pour l'enseigne-
ment de la langue maternelle, par instituteur second G. Egli.
Questionnaires et exemples de redaction en langue frangaise par
Gh.- Alb. Rosse. 119 S. m. Abbildgn. 8«. Ebd. 1910. 2 Mk.
Ozenfant, E. Exercices de grammaire fran^aise. Cours elementaire.
Livre du maitre. Paris, C. Delagrave. In-18 Jesus, 514 p. 5 fr.
328 Novitätenverzeichnis.
[Cours de grammaire frangaise publie sous la direction de Leopold
Sudre].
Stefan, AI. Lehrbuch der französischen Sprache f. Realgymnasien u.
verwandte Lehranstalten. IL Tl. (Für die 5., 6., 7. u. 8. Klasse.)
Mit 1 (färb.) Karte v. Frankreich u. 1 (färb.) Plan v. Paris. VIII,
203 S. 8». Wien, K. Graeser & Co., 1910. Geb. 2,50 Mk.
Sudre, L. et P. Laurent. Exercices de grammaire frangaise. Cours
moyen. Livre du maitre. Paris, C. Delagrave, 1910. In-18 Jesus,
VI-'616 p. 5 fr. 50 [Cours de grammaire frangaise, publiee sous la
direction de Leopold Sudre].
Tafel, synoptische, der französischen Konjugation. Regelmäßige
Verben. Unregelmäßige Modus-Zeiten. Übereinstimmung der
Zeiten. Regeln des Participiums. 51,5 x 60 cm. Leipzig, Neu-
markt 36, A. Gascard, 1910. 30 Pf.
Werner, Alex. Gymnastique du vocabulaire frangais. (Französisch-
deutsches Wörterverzeichnis.) Hilfsbuch zum Gebrauch für die
oberen Klassen der Mittelschulen. 220 S. 8". Wien, F. Tempsky,
1911. Geb. 2,60 Mk.
b) Literaturgeschichte, Realien, Schulausgaben, Lesebücher.
Fleury, C. Recueil de compositions litteraires ä l'usage des candidats
au baccalaureat. Sections A. B. C. D. Cent d(^veloppements de
Sujets donnes aux examens du baccalaureat, de 1905 ä 1910. Paris,
J. de Gigord, 1911. In-18 Jesus, VII-530 p.
Huleux, E. La Vie litteraire ä l'^cole. Lecture, Recitation, Redaction.
Cours moyen (l^r annee). Choix de 120 textes expliques et analyses,
en vue de la preparation k la composition frangaise. Ouvrage
illustre de 30 tableaux d'art. Paris, Aleide Picard. In-18, 351 p.
Cartonnö, 1 fr. 35 [Cours regulier de langue frangaise. Collection
Edouard Petit].
Martini, W. u. A. Delanney. Elements de litterature frangaise, suivis
des regles essentielles sur la versification. VI, 50 S. 8". Leipzig,
H. Schmidt. Geb. 90 Pf.
Brenner, Charles. Morceaux choisies des auteurs frangais ä l'usage
des ecoles et de l'enseignement particulier. VIII, 150 S. 8**. Wien,
Mor. Stern, 1911. Geb. 2 Mk.
C otogne p. F. Le Bourgeois. Avec huit gravures hors texte. Paul
Neubner, Editeur Cologne.
Daudet, Atphonse. Aventures prodigieuses de Tartarin de Tarascon.
Für den Schulgebrauch hrsg. v. Dr. Otto H. Brandt. 125 S. 8".
Leipzig, G. Freytag. — Wien, F. Tempsky, 1911. Geb. 1,20 Mk.
Diesterweg's neusprachliche Reformausgaben, hrsg. v. Prof. Dr. Max
Frdr. Mann. 8*'. Frankfurt a. M., M. Diesterweg. 22. Thiers,
Adolphe. Extraits historiques. Annotes par Prof. Dr. Louis Andrö.
XIX, 64 u. 56 S. 1911. Geb. 1,60 Mk. 24. Maupassant, Guy de.
La guerre franco-allemande. Annotee par Prof f. Ch. Robert-Dumas
et Dr. Max Frdr. Mann. Seule ^d. autoris^e pour les pavs de langue
allemande. VII, 75 u. 36 S. 1911. Geb. 1,40 Mk.
Gerhard's französische Schulausgaben, kl. 8°. Leipzig, R. Gerhard.
Nr. 26. Collection de contes et nouvelles. Tome II. Auteurs mo-
dernes. 2me partie. Für den Schulgebrauch zusammengestellt und
erklärt v. A. Mühlan. I. Tl.: Preface. Notices biographiques et
litteraires. Text. Anmerkungen. VI, 145 S. m. 2 Bildnissen. 1910.
Geb. 1,60 Mk.; 2. Tl.: Wörterbuch. 32 S. 40 Pf.
Gratacap, M. Les mömoires frangais du XlXme siede. Morceaux
choisis. Recueillis et annotes ä l'usage des classes. I. L'histoire.
Noviiätenverzeichnis. 329
181 S. 8». Wien, F. Tempsky. — Leipzig, G. Freytag, 1911.
Geb. 1,70 Mk.
Guizot, F. Hisloire de la civilisation en Europe. Für den Schul-
gebrauch hrsg. V. Edm. Köcher. 135 S. S*'. Leipzig, G. Freytag.
— Wien, F. Tempsky, 1911. Geb. 1,50 Mk.
Kühn, K. La France et les Fran^ais. Ausg. B. Mit 40 lUustr., 3 (ein-
gedr.) Kartenskizzen, 1 (färb.) Plan v. Paris, 1 (färb.) Karte der
Umgebg. V. Paris u. 1 (färb.) Karte v. Frankreich. XX, 320 S.
8«. Bielefeld, Velhogen & Klasing, 1910. Geb. 3,20 Mk.
— R. Diehl \\. W. Schwarzhaupt. P'ranzösisches Lesebuch für Mittel-
schulen. Mit 10 Illustr., 1 (färb.) Plan v. Paris, 1 (färb.) Karte
der Umgebg. v. Paris u. 1 (färb.) Karte v. Frankreich. XI, 194 S.
8». Bielefeld, Velhagen & Klasing, 1910. Geb. 2 Mk.
La Fontaine. Fahles. Edition annotee ä l'usage de la jeunesse; par
L. Rollin. Illustrations de Hadamar et Dösaudrö. Paris, E. Guerin,
1910. In-18, 288 p.
La literature par les textes. Collection p. p. H. Matthey et P. Roches
Helbing und Lichtenhahn, Bäle. Vol. 1: Montesquieu, Voltaire,
Rousseau. 149 p. fr. 1.80. Vol. 2 : Les grand poetes romantiques.
Lamartine, Hugo, Musset, Vigny, Gautier. 190 p. fr. 2.40.
Perthes' Schulausgaben englischer und französischer Schriftsteller.
Neue Aufl. Ausg. B. Mit französ. Anmerkgn. 8**. Gotha, F. A.
Perthes. Nr. 40 B. Sandeau, Jules. Mademoiselle de la Seigliere.
Comedie. (1851). Edition precedee de notices biographiques et
historiques et accompagnee de notes par K. Engelke. 2. ed.
VIII, 123 S. 1910. Geb. 1,60 Mk.; Wörterbuch, 15 S. 20 Pf.
Sammlung englischer und französischer Autoren. Hrsg. v. Frz. Eigl u.
Rieh. Lederer. kl. 8°. Troppau, Buchholz & Diebel. Merimee,
Prosper. Nouvelles. Inhalt: Mateo Falcone, Tamango. IV, 51 S.
1910. 25 Pf. 3. Heft. Maupassant, Guy de. Contes. Inhalt: La
parure. La mere sauvage. Le parapluie. IV, 40 S. 1911. 20 Pf.
Schulbibliothek, französische und englische. Hrsg. v. Otto E. A. Dick-
mann. Reihe A: Prosa. 8^. Leipzig, Renger. 165. Bd. Sand,
George. La mare au diable. Im Auszuge für den Schulgebrauch
bearb. v. Karl Roos. VI, 69 S. 1911. Geb. 1 Mk. 166. Bd.
Hanotaux, Gabr. Le gouvernement de M. Thiers et la liberation
du territoire. Auswahl aus ,,Histoire de la France contemporaine".
Für den Schulgebrauch erklärt v. Beruh. Völcker. Alleinberechtigte
Ausg. X, 117 S. 1911. Geb. 1,30 Mk.
Schulbibliothek, französische und englische. Hrsg. v. Otto E. Dick-
mann. Reihe A: Wörterbücher. 8*^. Leipzig, Renger. 164 Bd.
Pressense, Mad. E. Rosa. Bearb. v. E. Kluth. 29 S. 1910. 30 Pf.
Stange, A. Auswahl französischer und englischer Gedichte zum Ge-
brauch an Realschulen. 5. Aufl. 94 S. 8". Minden, J. C. C.
Bruns, 1911. Geb. 1 Mk.
Velhagen <^ Klasing's Sammlung französischer und englischer Schul-
ausgaben. Reform-Ausg. m. fremdsprachl. Anmerkgn. kl. 8".
Bielefeld, Velhagen & Klasing. Nr. 22. Daudet, Alphonse. Le
petit chose. Extraits et commentaire ä l'usage des classes. Nou-
velle ed. reformee par //. Fr. Haastert et Gaston Dansac. VI, 143
und 47 S. 1911. Geb. 1,10 Mk.
Druckfehlerberichtigung;.
Im Aufsatz: ,, Neuere Arbeiten über George Sand''\ Heft 2/4
S. 60, Z. 6 und 7 von oben muß es heißen, statt Friedrich August I.
von Sachsen: Friedrich August II.
3
PC
2003
Z5
Bd. 37
Zeitschrift für französische
Sprache und Literatur
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS CR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY